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Glowworm
Gänsefüßchen

Beiträge: 23
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 19.12.2015 21:55 Wenn die Lichter ausgehen... von Glowworm
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Hallo,
ich weiß nicht, ob dieser kurze Anfang einer Geschichte eines Einstandes würdig ist. Dennoch interessiert mich eure Meinung. Vielen Dank schonmal!
Wenn die Lichter ausgehen
„Ziehen Sie hinsichtlich dieser Frage mal bitte Bilanz Ihres bisherigen Lebens.“
Die Therapeutin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schaute mich über den Rand ihrer markanten Brille an. Die Klischeehaftigkeit der Situation ließ mich beinahe schmunzeln.
Ich saß auf einem braunen Ledersofa, die Beine von mir gestreckt. Frau Markert saß mir gegenüber und zwischen uns stand ein runder Beistelltisch auf dem zwei Wassergläser standen.
Ich schwieg. Zum einen, weil die Absurdität der Situation mir die Sprache verschlug – ich bei einer Psychologin, das hätte ich nie für möglich gehalten - und zum anderen wusste ich einfach nicht, was ich sagen sollte.
Meine 26 Lebensjahre in ein paar Sätzen zusammenfassen – das konnte ich nicht. Ich starrte auf einen Punkt auf dem gemusterten, dicken Perserteppich. Er war umgeben von geschwungenen Ornamenten. Irgendwie kam er mir fehl am Platz vor. Ein roter Punkt. Schlicht und ohne Schnörkel. Inmitten von so vielen aufregenden Mustern und Farben.
„Sind sie zufrieden?“, hakte sie nach, als mein Schweigen unangenehm im Raum zu schweben begann. Ich schaute sie an. Schluckte, und richtete meinen Blick wieder auf den roten Punkt. Die Sekunden verstrichen. Ein Staubkorn tanzte im Sonnenstrahl, der durch das Dachfenster hereinfiel. Er berührte fast meinen rechten Fuß. Ich hob den Blick und sah sie an. „Nein!“, sagte ich…ich hauchte es fast. Und dieses „Nein“ war mit Abstand das Ehrlichste, was ich in den letzten 12 Monaten von mir gegeben hatte. Es war ganz zart und zerbrechlich, aber es war ein Anfang.
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Harald
Show-don't-Tellefant
 Alter: 75 Beiträge: 5230 Wohnort: Schlüchtern
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 19.12.2015 22:27
von Harald
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Oh ja, Julia,
ich finde diesen Einstieg gut, er macht schon neugierig …
… und lässt gleich eine andere Frage aufkommen …
_________________ Liebe Grüße vom Dichter, Denker, Taxi- Lenker
Harald
Um ein Ziel zu erreichen ist nicht der letzte Schritt ausschlaggebend, sondern der erste! |
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Einar Inperson
Reißwolf

Beiträge: 1742 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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 19.12.2015 22:49 Re: Wenn die Lichter ausgehen... von Einar Inperson
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Glowworm hat Folgendes geschrieben: | Hallo,
ich weiß nicht, ob dieser kurze Anfang einer Geschichte eines Einstandes würdig ist. Dennoch interessiert mich eure Meinung. Vielen Dank schonmal!
Wenn die Lichter ausgehen
„Ziehen Sie hinsichtlich dieser Frage mal bitte Bilanz Ihres bisherigen Lebens.“
Die Therapeutin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schaute mich über den Rand ihrer markanten Brille an. Die Klischeehaftigkeit der Situation ließ mich beinahe schmunzeln.
Ich saß auf einem braunen Ledersofa, die Beine von mir gestreckt. Frau Markert saß mir gegenüber und zwischen uns stand ein runder Beistelltisch auf dem zwei Wassergläser standen.
Ich schwieg. Zum einen, weil die Absurdität der Situation mir die Sprache verschlug – ich bei einer Psychologin, das hätte ich nie für möglich gehalten - und zum anderen wusste ich einfach nicht, was ich sagen sollte.
Meine 26 Lebensjahre in ein paar Sätzen zusammenfassen – das konnte ich nicht. Ich starrte auf einen Punkt auf dem gemusterten, dicken Perserteppich. Er war umgeben von geschwungenen Ornamenten. Irgendwie kam er mir fehl am Platz vor. Ein roter Punkt. Schlicht und ohne Schnörkel. Inmitten von so vielen aufregenden Mustern und Farben.
„Sind sie zufrieden?“, hakte sie nach, als mein Schweigen unangenehm im Raum zu schweben begann. Ich schaute sie an. Schluckte, und richtete meinen Blick wieder auf den roten Punkt. Die Sekunden verstrichen. Ein Staubkorn tanzte im Sonnenstrahl, der durch das Dachfenster hereinfiel. Er berührte fast meinen rechten Fuß. Ich hob den Blick und sah sie an. „Nein!“, sagte ich…ich hauchte es fast. Und dieses „Nein“ war mit Abstand das Ehrlichste, was ich in den letzten 12 Monaten von mir gegeben hatte. Es war ganz zart und zerbrechlich, aber es war ein Anfang. |
Wenn Harald sich in die Prosaecke verirrt, dann pickt er sich doch sicher nur gute Sachen heraus, habe ich mir gedacht.
Und siehe da, ich hatte recht.
Drei Anmerkungen:
Rot: Vielleicht ist die wörtliche Rede authentisch, aber es klingt gelesen sehr gestelzt. Vielleicht kannst du sie etwas natürlicher reden lassen, aber vielleicht ist dies auch ihre eigene Sprache, wiedererkennbar.
Blau: stand und standen so kurz aufeinander. Hm, vielleicht fällt dir da noch etwas anderes ein.
Grün: Diese kleinen, feinen Beobachtungen, nicht zu viel, gerade richtig, haben mir besonders gut gefallen. Im zweiten Satz Satz ist allerdings der Bezug unklar. Berührt der Sonnenstrahl fast den rechten Fuß, oder das Staubkorn.
Ja, dein Einstand macht Lust weiterzulesen.
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis
si tu n'es pas là, je ne suis plus le même
"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer |
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LoveDoroT
Gänsefüßchen
 Alter: 54 Beiträge: 23 Wohnort: Thüringen
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 20.12.2015 08:22
von LoveDoroT
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...ich würde auch gern mehr davon lesen...
LG
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Glowworm
Gänsefüßchen

Beiträge: 23
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 20.12.2015 15:23
von Glowworm
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Danke für eure Anmerkungen
Es freut mich, dass ihr erfahren möchtet, wie es weiter geht.
@Einar Inperson: Ich war auch nicht wirklich zufrieden mit der wörtlichen Rede.
Die Therapeutin soll sich schon ein wenig gestelzt ausdrücken, aber du hast Recht, es klingt nicht authentisch.
Ich muss mir da nochmal Gedanken machen.
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Zettelhexe
Leseratte
 Alter: 52 Beiträge: 138
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 20.12.2015 15:39 Re: Wenn die Lichter ausgehen... von Zettelhexe
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Macht mich definitiv neugierig und ist flüssig zu lesen. Obwohl ich in letzter Zeit doch eher in anderen Genres unterwegs bin...
Hier sind mir Wortwiederholungen aufgefallen, ist aber nur eine Kleinigkeit.
Glowworm hat Folgendes geschrieben: | Ich saß auf einem braunen Ledersofa, die Beine von mir gestreckt. Frau Markert saß mir gegenüber und zwischen uns stand ein runder Beistelltisch auf dem zwei Wassergläser standen.
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Toller Einstand, gefällt mir. Und jetzt wüsste ich gerne, was mit dem Protagonisten oder der Protagonistin eigentlich los ist...
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DieGunkel
Wortedrechsler

Beiträge: 79 Wohnort: Metropolregion Franken
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 22.12.2015 12:16
von DieGunkel
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Hallo Glowworm,
auch ich möchte gerne mehr erfahren, über den Therapeuten, den Patienten... Besonders gut hat mit die Innenperspektive gefallen - das Lichtspiel.
Wann geht's weiter?
LG
Gunkel
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Glowworm
Gänsefüßchen

Beiträge: 23
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 23.12.2015 17:20
von Glowworm
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@Zettelhexe: Danke für den Hinweis bezüglich der Wiederholungen Das fällt mir ganz häufig selbst gar nicht auf.
@DieGunkel: Nach Weihnachten wird es wahrscheinlich weitergehen. Mal gucken, wie viel Zeit ich finde
Liebe Grüße und euch schon mal schöne (und friedliche) Festtage!
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Glowworm
Gänsefüßchen

Beiträge: 23
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 04.01.2016 21:03
von Glowworm
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Als ich die Wohnungstür aufschloss, stieg mir der Geruch von Essen in die Nase und ich hörte laute Stimmen aus der Küche.
Ich zählte die fremden Paar Schuhe: Schwarze DOC-Martens, Wildleder-Stiefel mit Fransen und ein Paar ausgelatschter Chucks, über die ich fast gefallen wäre. Ich schob sie mit dem Fuß ungehalten zur Seite.
Schnell hängte ich meinen Mantel auf und griff nach meiner Schultertasche. Da ging die Küchentür auf, und, gefolgt von einem dröhnenden Lachen, kam Bernadette heraus. „Heyyyy….naaa wie war's in der Stadt? Du hast ja ewig gebraucht. Hatten sie das Spiel nicht mehr?“
Als Beweis hob ich die Plastiktüte hoch. Ich hatte nicht vor, Bernadette von meinem Termin bei der Therapeutin zu erzählen. „Ach, ich bin noch ein bisschen rumgebummelt. Hab aber dann doch nix gekauft.“, meinte ich.
Sie nickte. „Hast du Lust mitzuessen? Olli hat heute für uns gekocht!“ Schnell schüttelte ich den Kopf, bevor ich mich noch gezwungen sah „Ja“ zu sagen. Bernadettes Freundeskreis war größtenteils im ASTA vertreten
und mir war aktuell überhaupt nicht nach gebratenen Tofuwürfeln und Gesprächen über Hochschulpolitik.
„Danke, das ist lieb, aber ich habe mir schon in der Stadt was geholt.“ Bernadette zuckte die Schultern. „OK, sonst ist nachher bestimmt noch was übrig.“, sagte sie und zog die Badezimmertür hinter sich zu.
Ich setzte mich in meinem Zimmer an meinen Schreibtisch und öffnete meine Mails. Eine Flut von SPAM- und Werbemails der diversen Online-Shops in denen ich in den letzten Jahren Kundin gewesen war hatte mein Postfach überflutet. Eine nach der anderen löschte ich. „Die neusten Booties der Saison“. Löschen! „It's Party time“. Löschen! „Erleben sie Kaschmir wie noch nie…“, murmelte ich und drückte erneut auf die „Löschen“-Taste. Gerade als ich die nächste Mail in den Papierkorb befördern wollte, stutzte ich. „Wichtige Anfrage“ lautete der Betreff.
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V.K.B.
[Error C7: not in list]
 Alter: 50 Beiträge: 5787 Wohnort: Cocytus
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 05.01.2016 00:54
von V.K.B.
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Ich mach mal einige Verbesserungsvorschläge (rot) und Kommentare im Text (grün).
Glowworm hat Folgendes geschrieben: | Als ich die Wohnungstür aufschloss, stieg mir der Geruch von Essen in die Nase und ich hörte laute Stimmen aus der Küche.
Ich zählte die fremden Paar Schuhe: Schwarze DOC-Martens (Doc besser so schreiben, groß wirkt irgendwie aufdringlich oder wie eine Word Datei), Wildleder-Stiefel mit Fransen und ein Paar ausgelatschter Chucks, über die ich fast gefallen wäre. Ich schob sie mit dem Fuß ungehalten zur Seite.
Schnell hängte ich meinen Mantel auf und griff nach meiner Schultertasche. Da ging die Küchentür auf, und, gefolgt von einem dröhnenden Lachen, kam Bernadette heraus. „Heyyyy….naaa wie war's in der Stadt? Du hast ja ewig gebraucht. Hatten sie das Spiel nicht mehr?“
Als Beweis hob ich die Plastiktüte hoch. Ich hatte nicht vor, Bernadette von meinem Termin bei der Therapeutin zu erzählen. „Ach, ich bin noch ein bisschen rumgebummelt. Hab aber dann doch nix gekauft.“, meinte (Verb passt nicht, ist keine Meinung, besser entgegnete oder erklärte oder sowas) ich.
Sie nickte. „Hast du Lust mitzuessen? Olli hat heute für uns gekocht!“ Schnell schüttelte ich den Kopf, bevor ich mich noch gezwungen sah, „Ja“ (besser ohne Anführungsstriche und klein) zu sagen. Bernadettes Freundeskreis war größtenteils im ASTA vertreten
und mir war aktuell überhaupt nicht nach gebratenen Tofuwürfeln (LOL! Das kennt wohl jeder von ASTA Leuten, der mal an einer Uni war! Kann ich voll nachvollziehen!) und Gesprächen über Hochschulpolitik.
„Danke, das ist lieb, aber ich habe mir schon in der Stadt was geholt.“ Bernadette zuckte die Schultern. „OK, sonst ist nachher bestimmt noch was übrig.(ich würde den Punkt hier weglassen, bin mir aber nicht ganz sicher, was grammatikalisch richtig ist, finde nur, der stört den Lesefluss etwas)“, sagte sie und zog die Badezimmertür hinter sich zu.
Ich setzte mich in meinem Zimmer an meinen Schreibtisch und öffnete meine Mails. Eine Flut von SPAM(ich würde Spam schreiben, weil es keine Abkürzung ist. Wörter in Großbuchstaben stören den Lesefluss gravierend (sagt jedenfalls mein Typographie-Buch))- und Werbemails der diversen Online-Shops, in denen ich in den letzten Jahren Kundin gewesen war, hatte mein Postfach überflutet. Eine nach der anderen löschte ich. „Die neusten Booties der Saison“. Löschen! „It's Party time“. Löschen! „Erleben sie Kaschmir wie noch nie…“, murmelte ich und drückte erneut auf die „Löschen“-Taste. Gerade als ich die nächste Mail in den Papierkorb befördern wollte, stutzte ich. „Wichtige Anfrage“ lautete der Betreff. |
Nett geschrieben, sehr nachvollziehbar, besonders die Personen, kennt wohl jeder, der mal (Geisteswissenschaft) studiert hat. Nur den letzten Satz verstehe ich nicht: Warum stutzt sie bei "Wichtige Anfrage!"? Klingt für mich auch nach Spam, wie "letzte Mahnung!" oder so. Oder kommt da noch was anderes, das sie stutzen lässt, der Absender vielleicht?
_________________ Song of my soul
my voice is dead
die thou unsung
as tears unshed
shall dry and die
in Lost Carcosa |
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Glowworm
Gänsefüßchen

Beiträge: 23
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 07.01.2016 21:28
von Glowworm
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Danke für deine Verbesserungsvorschläge und Kommentare.
Ja, der Absender lässt sie stutzen. Ich muss mir diesbezüglich aber noch weitere Gedanken machen.
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Insane
Wortedrechsler
 Alter: 34 Beiträge: 51 Wohnort: USA
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 07.01.2016 22:09
von Insane
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Mir hat es trotz der Kuerze auch sehr gefallen. Ich wuerde ebenfalls weiterlesen wollen
Gut gemacht!
_________________ Es ist nichts wie es ist, es scheint nur wie es scheint. |
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Mieke
Gänsefüßchen
M
Beiträge: 22 Wohnort: Im Norden
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M 09.02.2016 10:54 Ansprechend von Mieke
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Die Geschichte/ der Schreibstil ist ansprechend und flüssig zu lesen. Ich bin am Anfang auch etwas über die Ausdrucksweise der Therapeutin gestolpert. Aber die gestelzte Sprachweise passt, vielleicht kannst du es einfach leicht umstellen, damit man nicht so einen harten Einstieg in die Geschichte hat?
Z.B. so:
Die Therapeutin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schaute mich über den Rand ihrer markanten Brille an. "Ziehen Sie hinsichtlich dieser Frage mal bitte Bilanz Ihres bisherigen Lebens."
Die Ausschmückungen der "Nebensächlichkeiten" gefällt mir sehr gut und ich würde gerne mehr lesen!
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gold
Show-don't-Tellefant
 Alter: 70 Beiträge: 6686 Wohnort: unter Wasser
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 09.02.2016 18:59
von gold
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_________________ es sind die Krähen
die zetern
in wogenden Zedern
Make Tofu Not War (Goshka Macuga)
Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso) |
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drusilla
Eselsohr
 Alter: 40 Beiträge: 235 Wohnort: Schweiz
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 11.02.2016 16:37
von drusilla
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Wow, mir hat dein Schreibstil sehr gefallen. Die eigentlich belanglose Geschichte (sie geht nach hause in die WG) macht Lust auf mehr.
Das Gespräch zwischen den zwei Mitbewohnerinnen könnte irgendwie noch spritziger sein. Es ist ein Gespräch, wie man es tatsächlich führen würde, aber dadurch etwas fad. Vielleicht kann Bernadette ja etwas verächtlicher reagieren und irgendwas von wegen "Fleischfresser... Tiere töten" oder so was murmeln? Aber nur meine subjektive Meinung
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Glowworm
Gänsefüßchen

Beiträge: 23
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 15.02.2016 21:40
von Glowworm
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Danke für all eure Antworten und eure Tipps. Sie helfen mir echt weiter.
Hier kommt die Fortsetzung...
Mein Herz schlug schneller, als ich den Absender registrierte. Ich wollte diese Mail nicht öffnen. Ich wollte nicht wieder scheinheilig antworten, als wäre alles ok.
Kurz überflog ich die Mail, dann klickte ich sie weg. Es klang, als würde er einen Geschäftspartner um einen Termin bitten. Seufzend klappte ich meinen Laptop zu und legte mich aufs Sofa. Nur kurz die Augen schließen.
Im Grunde genommen war die WG mit Bernadette ein echter Glücksgriff gewesen. Altbau, gute Lage, ein Bad mit Badewanne und ein großes, helles Zimmer. Außerdem gehörte Bernadette zu der Sorte unkomplizierter Menschen, die sich nicht sofort über dreckiges Geschirr aufregten und immer fragten, ob man mitessen wollte. Gelegentlich unternahmen wir sogar etwas zusammen, gingen ins Kino oder gemeinsam shoppen. Einmal war ich auch mit ihr auf einem Flohmarkt in der Nähe gewesen. Während sie sich alte Schallplatten, ein Tischdeckchen in schauerlichen Farben und ein Paar geometrischer Ohrringe gekauft hatte, hatte ich nur die Bücherkisten durchwühlt und festgestellt, dass Flohmärkte irgendwie nicht meins waren. Der leicht muffige Geruch und der Gedanke, durch wie viele Hände die Sachen schon gegangen waren löste in mir ein leichtes Gefühl von Ekel aus.
Wir verstanden uns gut – obwohl wir uns eigentlich gar nicht kannten. Oder besser gesagt. Ich kannte sie. Denn Bernadette trug ihr Leben auf der Zunge. Das sorgte dafür, dass es kein peinliches Schweigen mit ihr gab und sie sorgte immer dafür, dass das Gespräch in Schwung blieb, auch wenn das hieß, dass sie 90% davon bestreiten musste. Das war manchmal anstrengend und manchmal tat das gut. Sie erwartete nie die Offenheit von mir, die sie selber an den Tag legte. Ein echter Glücksgriff!
Die Stimmen aus dem Flur sagten mir, dass Bernadettes Freunde im Stande waren zu gehen. „Gott sei Dank!“, dachte ich. Mein Magen grummelte schon seit einer halben Stunde und im Kühlschrank wartete noch ein Rest Nudelauflauf vom Vortag. Ich plante, mich mit dem Nudelauflauf und einem Joghurt vor den Fernseher zu fläzen und den Spielfilmtipp des Tages anzugucken. Nicht der schlechteste Ausklang eines Tages. „Wasss? Hat er nicht!!!“, hörte ich es aus dem Flur kreischen. Ich verdrehte die Augen. Wehe, wenn sie sich jetzt im Flur festquatschten.
Ich dachte nochmal über meinen Besuch bei Frau Markert nach. Es hatte so gutgetan, ihr ehrlich von meinem inneren Chaos zu erzählen. Und dabei ernstgenommen zu werden. So belanglos meine Ängste, Sorgen und Gedanken vielleicht auch sein mochten, Frau Markert hatte mir geduldig zugehört und mir das Gefühl gegeben, dass ich die Berechtigung hatte, so zu fühlen. Dass es ok war. Und dass sie mich verstehen konnte. Das letzte Mal hatte ich so einen Seelenstriptease auf einer Hausparty hingelegt und meiner Freundin Mona mein Herz ausgeschüttet. Ich bezweifelte allerdings, dass sie sich am nächsten Tag noch daran erinnern konnte.
Die Haustür fiel ins Schloss. Ich rappelte mich vom Sofa auf und öffnete meine Zimmertür. Das Licht in der Küche und im Flur war aus. Und auch unter Bernadettes Zimmertür war kein Licht zu sehen. Sie waren wahrscheinlich zur Uniparty aufgebrochen. Erleichtert ging ich in die Küche. Sie hatten alles stehen lassen. Ich nahm den Nudelauflauf aus dem Kühlschrank, füllte ihn auf einen Teller und stellte ihn in die Mikrowelle. Gut, dass Freitag war und ich morgen ausschlafen konnte. Die Woche hatte mich geschlaucht. „Ist es okay für dich, wenn du erstmal die Nachmittagsbetreuung der Spatzen alleine übernimmst bis die Neue da ist? Ich weiß, es ist nicht ideal. Aber nur für den nächsten Monat?“, hatte meine Chefin mich vorletzten Montag gefragt und dabei so bittend geschaut, dass ich nicht nein sagen konnte. Obwohl die Spatzen die anstrengendste Gruppe war und ich nervlich eh schon am Limit war, hatte ich Ja gesagt.
Die Mikrowelle machte sich bemerkbar. Ich balancierte den Teller, den Joghurt und ein paar Weintrauben auf einem Tablett in mein Zimmer und schaltete den Fernseher an. Mein Handy vibrierte. „Mama: Alles gut bei dir?“, las ich. Ich tippte eine schnelle Antwort und schickte drei Herzen hinterher. Der Film ging los. Es vibrierte wieder. Leicht genervt griff ich nach meinem Handy. „Was machst du?“ Sie war einsam. Mein Vater war wahrscheinlich noch im Büro und sie saß daheim auf dem Sofa und wartete auf ihn. Ein Brettchen mit liebevoll zubereiteten Schnittchen schon fertiggemacht. Er würde seinen Aktenkoffer hereintragen, einen Kommentar über die Ereignisse im Büro fallen lassen und sich über die Brote hermachen. Er würde ihr von der nervigen neuen Tante aus dem Personalrat erzählen und von den Zielen, die er erreicht hatte. Sie würde nicken und zuhören und er würde pflichtbewusst fragen, wie ihr Tag war. „Gut“, würde sie sagen. Alles andere würde ihn eh nicht interessieren. Ich seufzte schwer. Wut machte sich in meinem Bauch breit.
Der Film plätscherte dahin. Von wegen Spielfimtipp des Tages. Ich ließ mich von meinen Gedanken ablenken. Ein bedrückendes Gefühl von Einsamkeit machte sich in mir breit. Es war Freitag. Eigentlich sollte ich nicht alleine auf dem Sofa sitzen. Ich angelte mir den Joghurt. Aber die Woche war so anstrengend gewesen, dass ich mich auch nicht im Stande gesehen hatte, mich den Abend zu verabreden. Und jetzt saß ich hier und guckte einen Film mit miserabler Handlung und schlechten Schauspielern. Selber Schuld!
„Was? Du willst jetzt einfach gehen?“, kreischte die Schauspielerin viel zu schrill. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Neben mir vibrierte mein Handy. „Hey, hast du spontan Lust, mit Melli und mir auf die Party im Büro zu gehen? Küsschen“, las ich.
Ich brauchte nicht lange, um mich fertig zu machen. Um meine Müdigkeit abzuschütteln, schenkte ich mir ein Glas Cola ein und kippte direkt einen großen Schluck von Bernadettes Rum hinterher. Die Musik hatte ich voll aufgedreht. Ich schloss mein linkes Auge und zog einen Liedstrich. Als ich es öffnete, so dicht am Spiegel, sah ich in meine Pupille. In ihrer Schwärze sah ich mich selbst. Etwas in mir war voller Vorfreude auf den Abend. Endlich wieder raus, etwas erleben, feiern, tanzen, Spaß haben. Der andere Teil flüsterte mir zu, dass ich morgen wahrscheinlich den ganzen Tag verschlafen würde und keinen Schritt vor die Tür käme. „Egal!“, dachte ich mir und kramte in meiner Kosmetiktasche nach meinem roten Lippenstift. Er adelte jedes Outfit. Und heute, heute wollte ich auffallen.
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asriel66
Leseratte
 Alter: 56 Beiträge: 185 Wohnort: Katzenhausen
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 20.02.2016 19:15
von asriel66
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also mir gefällt dein Schreibstill... sehr anschaulich und ich finde deine Prota sehr interessant..
...die Situation mit ihrer Mutter, wie sie ihr die SMS zurückschreibt, eine Nebensächlichkeit die ihre Gedanken über ihre Eltern beschreibt... das hat mich auch sehr gut gefallen...
das WG Leben mit Bernadette...
Zitat: | Wir verstanden uns gut – obwohl wir uns eigentlich gar nicht kannten. Oder besser gesagt. Ich kannte sie. Denn Bernadette trug ihr Leben auf der Zunge. Das sorgte dafür, dass es kein peinliches Schweigen mit ihr gab und sie sorgte immer dafür, dass das Gespräch in Schwung blieb, auch wenn das hieß, dass sie 90% davon bestreiten musste. Das war manchmal anstrengend und manchmal tat das gut. Sie erwartete nie die Offenheit von mir, die sie selber an den Tag legte. Ein echter Glücksgriff! | ... Situationen die man selber kennt...
schreibe weiter... )
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Katha1
Gänsefüßchen

Beiträge: 24 Wohnort: Bayern
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 21.02.2016 18:17
von Katha1
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Toller Einstieg. Ich würde sofort weiterlesen!!
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Glowworm
Gänsefüßchen

Beiträge: 23
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 26.02.2016 11:36
von Glowworm
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Danke für eure Rückmeldung
Es freut mich, dass euch der Einstieg gefällt.
Ich finde es gar nicht so einfach, aus der Ich-Perspektive zu schreiben, weil man so nah an der Figur dran ist.
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asriel66
Leseratte
 Alter: 56 Beiträge: 185 Wohnort: Katzenhausen
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 26.02.2016 18:28
von asriel66
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stimmt... du hast das aber super gelöst...
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Glowworm
Gänsefüßchen

Beiträge: 23
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