Verkehrte Welt

[Ruskoni]

Die Welt ist nicht mehr in Ordnung. Das beginnt schon bei der Fleischwurst, egal ob mit oder ohne Knoblauch oder welchem Gewürzen auch immer. Die Wurst an sich ist das Produkt einer möglichst umfassenden Verwertung eines geschlachteten Tieres, also nicht aus Kadavern oder an diversen Krankheiten verendeter Zwei- oder Vierbeiner, hoffentlich, aber so steht es geschrieben.
Laut Fleisch- und Schlachtverordnung:
2. dürfen Fleischerzeugnisse nicht aus oder unter Verwendung folgender Eingeweide, Nebenprodukte der Schlachtung oder Gewebe hergestellt werden:
2.1 Geschlechtsorgane, ausgenommen Hoden.
Lassen Sie es sich auf der Zunge zergehen. Und dann lachen Sie bitte laut und spöttisch über geschmacksverwirrte Asiaten, die sich solch delikate Köstlichkeiten in Reinform genüsslich munden lassen.
Ein paar andere der für Zartbeseitete würgreizfördernden zugelassenen Zutaten habe ich vergessen. Vielleicht könnte ich mich daran erinnern, wenn ich denn wollte, aber ich möchte es auch gar nicht, denn eigentlich esse ich Fleischwurst, auch mit Hoden, gelegentlich ganz gern.
Alles andere, wie eben Geschlechts- oder Harnorgane, bekommen wir dann, am Ende der Verwertungsorgie, über das Futter für ein leckeres Fischfilet aus einer Zucht auf den Teller geschoben.

Größere Probleme aber habe ich bei dem Verzehr von Honig. So sitze ich schon mal bei Tagesanbruch vor einem halbierten und eingefetteten Brötchen am Frühstückstisch, das Glas mit der goldgelben, zähflüssigen, klebrigen Substanz in der Hand, blicke sie skeptisch an und sinniere über ihre Entstehungsgeschichte.
Sammelbienen bespringen bunte Blüten, um mit ihrem Saugrüssel zuckerhaltige Säfte, Nektar und andere Sekrete lebender Pflanzenteile, sogenannte Siebröhrensäfte, wie ein Magersüchtiger, aber wahrscheinlich mit mehr Genuss, hoch zu saugen und sich die Honigblasen damit voll zu pumpen.
Zurück am Lebensort der WG stecken sie sich dann einen Finger in den Rüssel und erbrechen diesen mit Speichel verdünnten und mit Enzymen angereicherten Brei auf die Terasse des eigenen Zuhauses.
Von den Stockbienen, also vom Hauspersonal, wird dieses unreife Erbrochene, und auch hier setze ich irgendeine Art von krankhafter Befriedigung voraus, wiederum mit Verzückung aufgeschlürft und in kleinen Tropfen immer wieder und wieder aus dem Rüssel hervor gewürgt und erneut aufgesaugt, um es durch körpereigene Sekrete zu bereichern.
Nach dieser Beteiligung am Reifeprozess der Fermentierung übergeben sie sich dann noch ein allerletzes Mal in eine Wabe des Depots. Diese Fress- und Brechorgie nennt der Fachkundige Veredelung. Ein solches Kerbinsektenprodukt, das in der Wabe noch ausdünstet und weiter reift, ist der überlebenswichtige Wintervorrat eines Bienenvolkes und wird von Imkern gerne gestohlen und durch Zuckerwasser ersetzt.

Noch abstoßender aber wird es bei Waldhonig, dem so genannter Honigtau zu Grunde liegt. Hier bekomme ich nicht einmal mehr veredelten, halb verdauten Blütennektar auf mein Brötchen gekotzt, sondern die Ausscheidungen von Rinden- und Schildläusen, die das Siebröhrensystem von Pflanzen anstechen und den Teil des Saftes, den sie für ihre Ernährung nicht benötigen, als Honigtau und Notdurft auf Nadeln und Blätter entsorgen. Diese wird wiederrum von Sammelbienen mit Hochgenuss verschlungen und einverleibt, um die ganze berauschende Fermentierungsprozedur mit dem Kot anderer Insekten durchzuführen. Terasse, Hauspersonal, Wabe, Imker, Schleudermaschine, Glas, Brötchen, Mund.
Das ist nicht in Ordnung. Muss das denn so sein? Und warum schreibt jemand so absonderliche Geschichten, die nicht geschrieben hätten werden müssen? Was aber, wenn sie nicht geschrieben worden wären, obwohl man sie schreiben hätte können? Hätte es nicht doch noch getan werden sollen, hätte es nicht getan werden müssen, weil es unerheblich gewesen wäre, wenn es getan worden sein würde? Und wenn es nicht getan worden wäre, obwohl es getan hätte werden können, vielleicht getan hätte worden sein sollen, sollte es dann zu Recht, obwohl man es tun hätte  können, nicht getan worden sein? Fragen über Fragen.

[Carizard]

Jetzt sehe ich Honig definitv mit anderen Augen. Dabei schmeckt der doch ganz gut.

Den Auszug aus der Fleisch- und Schlachtverordnung müsstest du wohl irgendwie als Zitat kennzeichnen oder in eigenen Worten formulieren. Schließlich ist dieser teil des Textes nicht von dir. Oder ist das bereits eine umformulierte Version? Überprüft hab ich das jetzt nicht.

[DieGunkel]

Hallo Norbert,
inhaltlich finde ich deinen Text interessant. das meiste ist mir bereits bekannt. ich esse keine Würste mehr und auch sonst keine Fertiggerichte, sofern es sich vermeiden lässt.
In welcher Gattung "Humor/Humoreske, Satire" hast du ihn zugeordnet. Für mich ist ein bisschen von dem und ein bisschen ein "sachlicher Text/Artikel". Ich will damit sagen, mir ist nicht genau bewusst, was erreichen möchtest. Will du humoristisch schreiben oder durch "Schock" aufmerksam machen.
LG
Gunkel

[Ruskoni]

Hallo Gunkel, Carizard. Habe aus Versehen pn geschickt. Nur zum Verständnis derer, die hier lesen und eventuelle Antworten nachvollziehen wollen.   Norbert

[Rodge]

Hi Norbert,

nun, der ganze Ekelkram stört mich eher, aber ich finde es sehr gut geschrieben.

Grüße
Rodge