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Die heftige Schornsteinfegerin


 
 
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Wolfgang Rill
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 33
Wohnort: Fulda


Beitrag14.11.2015 16:03
Die heftige Schornsteinfegerin
von Wolfgang Rill
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Staublunge, Schlüsselbeinbrüche, Hautausschläge im Hüftbereich, Leberzirrose, Haarausfall, Eiterbeulen am linken Fuß, Oberschenkelhalsbruch ausgeheilt, Krampfadern, leichter Parkinson – aber ansonsten völlig gesund, Herr Direktor.
Direktor Czapek vom Feierabendheim „Mediana“, ein Heim der gehobenen Klasse, schaut irritiert auf die resolute Dame vor ihm. Auf einen Stock ist sie gestützt und unter dem Kopftuch lugen nur wenige Haare hervor, aber insgesamt wirkt diese Frau völlig gesund, was sie ja selber sagt. Mehr als gesund scheint sie, beängstigend kraftvoll, resolut, so als wolle sie von hier direkt an die Front rollen und alle Feinde aus dem Feld schlagen.
Große Güte, wenn wir die wirklich nehmen müssen, wo bringen wir die bitteschön unter? Etwa in der Gruppe „Milseburg“, wo noch Schach gespielt wird und wo Diskussionsabende über das Alte Testament stattfinden? Oder besser in der Etage „Biberstein“, wo nur noch einige Rollstuhlfahrer mobil sind? Oder eben in der Gruppe „Kreuzberg“, der Dementengruppe. Da könnte sie im Gemeinschaftsraum stundenlang reden und hätte viele Zuhörer. Für so etwas wie die müsste man eher eine eigene Gruppe aufmachen. Eine Handwerkergruppe.
Bei uns steht immer der menschliche Faktor im Vordergrund, wir sind für unsere Bewohner da und ihr Wohl liegt uns sehr am Herzen. Wir kümmern uns um Freizeitaktivitäten, Arztbesuche und auch besondere Essenswünsche sind uns willkommen, salbadert Czapek. Trotzdem, so schließt er vorsichtig an, muss ich Sie ganz nebenbei auch fragen: Wie steht es denn mit der Finanzierung?
Die ist gesichert. Ich habe eine gute Rente, die Pflegeversicherung Stufe 1 werden wir schon hinkriegen und für den Rest kommt mein Sohn auf.
Ihr Sohn?
Ich habe ihn seit fünf Jahren nicht gesehen, meinen Sohn. Aber er wird heute in den Landtag gewählt. Haben Sie heute Morgen gewählt?
Czapek nickt verwirrt.
Haben Sie auch die Schwarzen gewählt?
Czapek blickt unergründlich.
Dann haben Sie ihn vermutlich mitgewählt.
Und was hat das mit der Finanzierung zu tun? fragt Czapek, dem ein böser Verdacht kommt.
Ist doch klar: Für die Differenz zwischen Pflegeversicherung plus Rente und Ihrem horrenden Monatspreis wird er aufkommen. Mir läge übrigens daran, dass diese Differenz groß ausfällt. Seien Sie ruhig teuer.
Czapek räuspert sich und greift zu den Lehnen seines Chefsessels. Frau Schneider-Volkhardt, warum wollen Sie in ein Pflegeheim? Sie sind offensichtlich eine rüstige Person mit nur wenigen gesundheitlichen Einschränkungen. Sie können noch gut zu Hause leben. Wir können Ihnen da übrigens alle möglichen ambulanten Dienste …
Nichts da! unterbricht Christine Schneider Volkhardt barsch. Ich will ins Heim und basta! Wütend stößt sie mit dem Stock auf den Laminatfußboden. Ich kann mich bei Ihnen um die Heizung kümmern, um die Elektrik brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen, wenn ich da bin. Und kleinere Schäden an Möbeln, Küchengeräten, Rollstühlen repariere ich Ihnen zum Nulltarif in der Werkstatt.
In welcher Werkstatt?
In der, die Sie mir einrichten.
Czapek ist kein Dummer. Sein Impuls, diese Frau rauszuschmeißen währt nur kurz. Dann erwärmt er sich für den innovativen Gedanken einer völlig neuen Art von Heimbewohnerin. Sicher, Stufe 1 wird ein Problem. Aber Dr. Hofmann hat schon andere Problemfälle erfolgreich ins Heim evakuiert. Und heute Morgen hat er, Czapek, keineswegs die Schwarzen gewählt, sondern, das würde man ihm gar nicht zutrauen, die Grünen. Einem von den Schwarzen ein wenig auf die Füße zu treten würde ihm durchaus Spaß machen.
Er atmet durch. Also, Frau Schneider-Volkhardt, dann werden wir die Sache mal durchsprechen. Bitte nehmen Sie Platz.
So kam es, dass Frau Christine Schneider-Volkhardt, Ex Schornsteinfegermeisterin, Handwerkerin und Mutter eines abtrünnigen Sohnes nach ein paar Wochen mit zwei Koffern und ein wenig Werkzeug in den Wohnstift „Mediana“ einzog. Und zwar zog sie in einen kleinen Bungalow im Garten, der eigentlich für junge Mädchen vom Pflegepersonal vorgesehen war, der aber seit längerem leer stand. Neben dem Bungalow wurde ein stabiler Schuppen errichtet, in dem sich bald eine Werkstatt mit den wichtigsten Geräten zur Holzbearbeitung, zur Metallbearbeitung und für die Elektrik befand. Wie man sich denken kann, profitierte das Wohnstift von Frau Schneider-Volkhardt doppelt: Frau Schneider zahlte eine fette Monatsapanage ans Heim, in der alle möglichen Zusatzkosten für Massagen, Akupunkturen, Gymnastikgruppen enthalten waren, von denen sie in Wirklichkeit nichts in Anspruch nahm. Dazu hatte sie viel zu wenig Zeit. Sie reparierte alte Radios der Heiminsassen, die machte Rollstühle gängig und als das neue Flachdach an einer Stelle drohte undicht zu werden, fand man sie oben unter den Wolken mit einem Besen und einem Eimer heißen Teers. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass Frau Schneider eigentlich eine Heimbewohnerin war, denn sie lief immer im Blaumann herum. So gingen denn die Erhaltungs- und Reparaturkosten des Heims drastisch zurück.
Frau Schneider-Volkhardt profitierte aber auch. Sie hatte eine neue Bleibe gefunden und eine neue Aufgabe. Zu Hause in ihrer Dreizimmerwohnung hatte sie doch immer alles an Alex erinnert. An ihren Sohn, der nichts mehr von ihr wissen will. Und nun hatte sie nicht nur diese neue Existenz gefunden, sondern auch Alex eins ausgewischt, der weit über Tausend Euro monatlich ans Heim bezahlen musste. Denn wie hätte das für einen schwarzen Abgeordneten denn ausgesehen, wenn er seiner armen, kranken Mutter aus Geiz das Altersheim verweigert hätte.

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LeviathanII
Geschlecht:männlichEselsohr
L


Beiträge: 297



L
Beitrag14.11.2015 23:46

von LeviathanII
Antworten mit Zitat

Zwei Dinge störten mich sehr:
1. Gewisse Formulierungen: "salbadert Czapek", oder "Czapek ist kein Dummer" - Es ist nur meine Meinung, aber es wäre mein größter Kritikpunkt.
Und 2. Die Auflösung fühlte sich irgendwie doppelt an, weil sie zu schnell und zu groß kam und als Pointe nicht wirklich wirkte, wenn dies denn ihr Ziel war. Insgesamt fühlte sich vieles doppelt an und ich kann nicht genau sagen, woran das liegt - Aber Stellen, wie "profitierte das Wohnstift von Frau Schneider-Volkhardt doppelt: Frau Schneider zahlte eine fette Monatsapanage ans Heim" führen wohl auch dazu. Oder ebenso: " Zu Hause in ihrer Dreizimmerwohnung hatte sie doch immer alles an Alex erinnert. An ihren Sohn, der nichts mehr von ihr wissen will. Und nun hatte sie nicht nur diese neue Existenz gefunden, sondern auch Alex eins ausgewischt"

Trotzdem: Die Figuren waren schön überspitzt, hatten einen interessanten Charakter und du selbst hast eine interessante Art, dies subtil hinüberzubringen.
Auch war die beschriebene Begebenheit (sie wirkte tatsächlich... wahr, ob sie es nun ist oder nicht) schön vielschichtig.
Und kurz! Ich liebe kurze Geschichten von kleinen Leuten, sofern sie interessant sind. Und das war diese, alleine aufgrund der Fingerkonstellation:
- Eine Mutter, die keinen Kontakt mehr zum Sohn hat, diesen verantwortlich macht und gleichzeitig unbedingt bestrafen möchte (was natürlich auch einiges über eine Mutter aussagt)
- Ein Heimleiter, der die Grünen wählt, der sich in einen fremden Familienstreit einmischen würde um einem Politiker der 'Schwarzen' eins auszuwischen (und vielleicht auch an das Geld denkt)
- Sowie ein Politiker der 'Schwarzen', von dem man nur weiß, dass er ehrgeizig ist und Geld besitzt und seine Mutter nicht sehen möchte, aus unbekannten Gründen und wohl sein eigenes Leben hat

Allerdings neige ich zur Überinterpretation und bin mir noch nicht ganz sicher: Wenn es so vielschichtig ist, wie es bei mir ankam, dann ist diese Begebenheit genial - Wenn allerdings der Sohn der böse sein soll und die Mutter gut und der Heimleiter ebenso, dann wäre sie mir zu moralisch und eher schwach...
Ich mochte den Text, aber ich bin mir nicht sicher dabei... Smile
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Wolfgang Rill
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 33
Wohnort: Fulda


Beitrag15.11.2015 00:49
Hallo Levi
von Wolfgang Rill
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für die ausführliche Kritik. Einiges davon werde ich unter dem Herzen bewegen. Insgesamt ist sie ja sehr freundlich ausgefallen.

Meine Schornsteinfegerin war von mir als sogenannte "starke Frau" geplant. Solche Frauen können im Leben sehr patent sein, wie man weiß, aber sie können ihre Söhne zerquetschen. Das wird im Text nicht gesagt (hätte ich  andeuten sollen), war mir beim Schreiben aber bewusst. Es trifft also nicht zu, dass die Frau "nur gut" ist und der Sohn "nur böse" - das wäre zu eindimensional. Aber, wie gesagt, ein, zwei Verweise darauf würden dem Text nicht schaden. Werde das bei Gelegenheit noch einfügen.
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Harald
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant

Alter: 76
Beiträge: 5104
Wohnort: Schlüchtern


Beitrag15.11.2015 01:16

von Harald
Antworten mit Zitat

Ich würde den Namen der Einrichtung verfremden, unbedarfte Leser schließen vielleicht auf tatsächlich vorhandene Personen anderen Namens in diversen Positionen/Parteien …

_________________
Liebe Grüße vom Dichter, Denker, Taxi- Lenker

Harald

Um ein Ziel zu erreichen ist nicht der letzte Schritt ausschlaggebend, sondern der erste!
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LeviathanII
Geschlecht:männlichEselsohr
L


Beiträge: 297



L
Beitrag15.11.2015 06:46
Re: Hallo Levi
von LeviathanII
Antworten mit Zitat

Wolfgang Rill hat Folgendes geschrieben:

Meine Schornsteinfegerin war von mir als sogenannte "starke Frau" geplant. Solche Frauen können im Leben sehr patent sein, wie man weiß, aber sie können ihre Söhne zerquetschen.

Dann bin ich mir sicher, dass ich den Text mochte smile Denn dann war er wirklich vielschichtig und subtil.
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Fion
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
F

Alter: 59
Beiträge: 34



F
Beitrag26.09.2016 17:35

von Fion
Antworten mit Zitat

Moin Wolfgang Rill.

Ich mag die Story.
Aber ich würde den Teig noch etwas mehr kneten.
Gut, auch so sehe ich erst am Ende, dass der Sohn alles bezahlt.
Aber könntest du das noch irgendwie so schrauben, dass ich...
-hämisch grinse (ach ne, das ist ja gar nicht mein Charakter)
-mich für die alte Dame doppelt freue? (Auch seltsam)
Ich denke, das steckt schon soooo in dem Text drin. Nur noch irgendwie rauskitzeln.

---Ach, und ist da irgendwas an mir vorbeigegangen???
Magst du keine Gänsefüßchen?

Lieben Gruß
Fion
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