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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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19.07.2015 13:30 Eine Gewitterfrau - Kurzgeschichte von Christof Lais Sperl
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Eine Gewitterfrau
Man kann mit oder ohne rauchen. Mit, wenn man zwischendurch schnell mal eine durchziehen will. Und ohne in langen Nächten voller Alkohol, in denen der Qualm noch durch die Betäubung hindurch so schön den Hals herab brennt. Um mehr Geschmack zu erzeugen, wird Filterzigaretten sehr kräftiger Tabak beigemischt, der dem Rauch nach der Passage durch das Filterstück noch genug Aroma gibt. Bricht man allerdings die Mundstücke ab, erhält man Zigaretten, die selbst die Filterlosen an Stärke weit übertreffen.
Am Château Rouge kann man nur vereinzelt Farbsprenkel sehen: Tüten von Tati, die allenthalben durch Gesichtsfeld ziehen, ein paar farbige Umhänge. Doch meist herrschen Schwarz und Grau vor. In Richtung Place Saint Pierre werden die Farbpunkte dichter. Und am Eingang von Tissus Reine haben sie schon all das traurige Schwarz und Grau verdrängt. Hier kaufen die bunt gekleideten Afrikanerinnen ihren Nähstoff ein, der sich so schön leicht und trocken von der glänzenden, dunklen Haut absetzt.
Im spitzen Eckhaus nebenan, zwischen rue Ronsard und rue Charles Nodier, wohnt Françoise, eine eher kleine und etwas gedrungene, in Brauntönen gekleidete Frau, deren riesige Hände ihr etwas Monumentales verleihen, und so gar nicht zum restlichen Erscheinungsbild passen wollen. Ein kleiner, kurzer Körper, kräftige Waden, krauses Haar, dessen Farbe niemand auf Anhieb benennen könnte, das Gesicht alterslos, Hände, von denen man berührt werden will, zwischen die man kriechen und sich schmiegen will, Hände voller Versprechungen, die trotz all ihrer Größe sehr geschickt sind, denn sie fädeln Garn ein, streichen Stoffbahnen glatt, schneiden zu.
Françoise raucht viel. Wenn sie erzählt. Und überhaupt. Wenn sie vom Regen erzählt. Von Gewittern. Françoise verfolgt Gewitter, und will immer unter ihnen sein. Zieht eines auf, springt sie in den Clio und verfolgt es stundenlang, tagelang übers Land. Aus der großen Stadt findet sie immer den kürzesten Weg zum Gewitter hinaus, genießt Spannung und Entladung, die Wärme und die Ruhe vor dem Sturm, und weiß immer, wohin Blitz und Donner als nächstes ziehen. Hört man sie so reden, möchte man selbst auch dabei sein, alles stehen und liegen lassen, im Auto von den riesenhaften Händen berührt werden, sich ihnen in wehrlosem Genuss überlassen. Sie riechen blättrig herb, nach Erde, beißendem, salzigem Caporal-Tabak und süßem Wein. Allein, wen stört das, der die Pranken schon einmal gesehen hat? Françoise kennt alle Gewitter der längst vergangenen Jahre, und kann die schönsten Donnerschläge ihres jungen Lebens aufzählen. Die Stimme dieser so riesenhaft wirkenden Frau bereitet Gänsehaut, und lähmt jeden Widerstand. Es ist, als packte man dich im Nacken. Erst ganz sanft, und dann immer fester.
Kranke und verletzte Tiere finden stets den Weg zu ihr und lassen sich gesundpflegen. Stadttauben, Krähen, Hunde, Katzen, sogar Rehe verlieren ihre schützende Angst. Sehen auch sie zuerst die gewaltigen Hände, deren bloßer Anblick ein Gefühl allumfassender Heilung und Geborgenheit verspricht?
Sie brechen, schon ganz gelb und zittrig, unablässig Filter: Zigaretten ohne sind zu schwach. Sie zieht mit der Mundhöhle, atmet halb ein, zieht erneut, atmet im gleichen Zug noch eine Wolke darüber, nun quillt es vor dem nächsten Zug aus Mund und Nase.
Doch wie lang wird sie standhalten, die sie ihren Körper an all die Gewitter, Zigaretten, Weinflaschen, Menschen, Tiere gibt?
Es wird dunkel. Tissus Reine schließt schon. Ich muss los. Die knarzende Treppe hinunter. In ein graues zweisames Leben jenseits aller Farbtupfer, in ein Leben unten hinterm Château Rouge, in ein Leben, das ich nicht mehr will. Aber leben muss. Doch besänne ich mich, und gäbe’s auf, wie lange könnte ich der Verführung Françoises und ihrem Strudel widerstehen? Gab es Menschen, die ihm widerstehen konnten? Noch am Rand des Lebens blieben? Und wenn ja, ist sie deshalb immer so allein?
Weitere Werke von Christof Lais Sperl:
_________________ Lais |
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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20.07.2015 14:11 Gewitterfrau 2.0 von Christof Lais Sperl
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Eine Gewitterfrau
Man kann mit oder ohne rauchen. Mit, wenn man zwischendurch schnell mal eine durchziehen will. Ohne in langen Nächten voller Alkohol, in denen der Qualm noch durch die Betäubung hindurch so schön den Hals herab brennt. Um mehr Geschmack zu erzeugen, wird Filterzigaretten sehr kräftiger Tabak beigemischt, der dem Rauch auch nach der Passage durch das Filterstück genug Aroma gibt. Bricht man allerdings die Mundstücke ab, erhält man Zigaretten, die selbst die Filterlosen an Stärke weit übertreffen.
Auf dem Weg zünde ich mir immer eine mit Filter an.
Am Château Rouge kann man nur vereinzelt Farbsprenkel sehen: Tüten von Tati, die allenthalben durch Gesichtsfeld ziehen, ein paar farbige Umhänge. Doch meist herrschen Schwarz und Grau vor. In Richtung Place Saint Pierre werden die Farbpunkte dichter. Und am Eingang von Tissus Reine haben sie schon all das traurige Schwarz und Grau verdrängt. Hier kaufen die bunt gekleideten Afrikanerinnen ihren Nähstoff ein, der sich so schön leicht und trocken von der glänzenden, dunklen Haut absetzt.
Im spitzen Eckhaus gleich nebenan, zwischen den rues Ronsard und Charles Nodier, wohnt Françoise, eine eher kleine und etwas gedrungene, in Brauntönen gekleidete Frau, deren riesige Hände ihr etwas Monumentales verleihen, und so gar nicht zum restlichen Erscheinungsbild passen wollen. Ein kleiner, kurzer Körper, kräftige Waden, krauses Haar, dessen Farbe niemand auf Anhieb benennen könnte, das Gesicht alterslos, strahlend hellblaue Augen, Hände, von denen man berührt werden will, zwischen die man kriechen und sich schmiegen will, Hände voller Versprechungen, die trotz all ihrer Größe sehr geschickt sind, denn sie fädeln Garn ein, streichen Stoffbahnen glatt, schneiden zu.
Täglich ist die Wohnung voller Freunde.
Françoise raucht viel. Wenn sie erzählt. Und überhaupt. Wenn sie vom Regen erzählt, von Gewittern. Françoise verfolgt Gewitter, und will immer unter ihnen sein. Zieht eines auf, springt sie ins Auto und verfolgt es stundenlang, tagelang übers Land. Aus der großen Stadt findet sie immer den kürzesten Weg zum Gewitter hinaus, genießt Spannung und Entladung, die Wärme und die Ruhe vor dem Sturm, und weiß immer, wohin Blitz und Donner als nächstes ziehen. Hört man sie so reden, möchte man auch selbst dabei sein, alles stehen und liegen lassen, im Auto von den riesenhaften Händen berührt werden, sich ihnen in wehrlosem Genuss überlassen. Sie riechen blättrig herb, nach Erde, beißendem, salzigem Caporal-Tabak und süßem Wein. Allein, wen stört das, der die Hände schon einmal gesehen hat?
Françoise kennt alle Gewitter der vergangenen Jahre und kann Zeiten und Orte ihrer schönsten Blitzschläge aufzählen. Die leise Stimme dieser so riesenhaft wirkenden Frau bereitet Gänsehaut, und lähmt jeden Widerstand. Es ist, als packte man dich im Nacken: Erst ganz sanft, und dann immer fester.
Kranke und verletzte Tiere fänden stets den Weg zu ihr und liessen sich gesundpflegen. Stadttauben, Krähen, Katzen, sogar Rehe verlören ihre schützende Angst. Sehen auch sie als erstes die gewaltigen Hände, deren bloßer Anblick ein Gefühl von Heilung und Geborgenheit verspricht?
Sie brechen, schon ganz gelb und zittrig, unablässig Filter. Zigaretten ohne sind zu schwach. Die Gewitterfrau zieht mit der Mundhöhle, atmet halb ein, saugt erneut, atmet in der zweitel Hälfte des Atemzuges noch eine Wolke darüber; und nun quillt es aus Mund und Nase, bevor sich die Riesenhand erneut an die Lippen bewegt.
Wie lang wird sie standhalten, die sie ihren Körper an all die Laster, Menschen, Tiere gibt?
Nun wird es dunkel. Tissus Reine schließt schon. Ich muss los. Die knarzende Treppe hinunter, auf der von oben noch Gelächter hallt. In ein graues zweisames Leben jenseits aller Farbtupfer, in ein Leben hinter Château Rouge, in ein Leben, das ich nicht mehr will, und doch leben muss.
_________________ Lais |
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Seraiya Mondsüchtig
Beiträge: 924
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25.07.2015 22:03
von Seraiya
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Hallo Christof Lais Sperl,
Ich mag es.
Den Anfang mit den Gedanken über die Zigaretten fand ich als Nichtraucherin jetzt nicht so fesselnd.
Davon abgesehen hat mir der Text wirklich sehr gut gefallen. Vor allem folgendes:
Zitat: | , Hände, von denen man berührt werden will, zwischen die man kriechen und sich schmiegen will, Hände voller Versprechungen, die trotz all ihrer Größe sehr geschickt sind, denn sie fädeln Garn ein, streichen Stoffbahnen glatt, schneiden zu. |
Ich hätte zwar mal einen Punkt gesetzt, aber im Ganzen finde ich diese Passage sehr schön formuliert und habe die Hände schon vor mir gesehen.
Etwas unglücklich finde ich hingegen:
Zitat: | Ein kleiner, kurzer Körper, kräftige Waden, krauses Haar, dessen Farbe niemand auf Anhieb benennen könnte, das Gesicht alterslos, strahlend hellblaue Augen, |
Wenn man klein ist, ist man wohl auch kurz. Für mich hier eine unnötige Doppelinfo. "Strahlend hellblaue Augen", klingt für mich nicht. Ich persönlich fände "klare blaue Augen" oder "strahlend blaue Augen" besser.
Abgesehen davon sind mir nur Kleinigkeiten aufgefallen, die ich persönlich ändern würde, den Text für mich aber nicht weniger lesenswert machen. Ich denke, dass diese Dinge zu deinem Stil gehören.
LG,
Seraiya
_________________ "Some people leave footprints on our hearts. Others make us want to leave footprints on their faces." |
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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19.09.2015 15:15 Eine Gewitterfrau - Kurzgeschichte 2.0 von Christof Lais Sperl
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Eine Gewitterfrau
Man kann mit oder ohne rauchen. Mit, wenn man zwischendurch schnell mal eine durchziehen will. Und ohne in langen Nächten voller Alkohol, in denen der Rauch noch durch die Betäubung hindurch so schön den Hals herabbrennt.
Um mehr Geschmack zu erzeugen, wird Filterzigaretten sehr starker Tabak beigemischt, der dem Rauch auch nach der Passage noch genug Aroma gibt. Bricht man allerdings die Mundstücke ab, erhält man Zigaretten, die selbst die Filterlosen an Stärke weit übertreffen.
Françoise raucht nur Abgebrochene. Mit zittrigen Händen führt sie Zug um Zug die kurzen Stummel an die Lippen - und zündet sich an der Aufgerauchten gleich eine neue Zigarette an. Meist sitzt sie unter allerlei Leuten in der Küche. Und dorthin will ich gehen.
Raus aus der Métro und ihrer süßlichen, nach Fäkalien stinkenden Luft und den ruhelosen Rollbändern, auf denen hektische Menschen ihre Geschwindigkeit verdoppeln.
Am Château Rouge kann man vereinzelt Farbsprenkel sehen: Tüten von Tati, die allenthalben durch Gesichtsfeld ziehen, ein paar Umhänge. Meist herrschen Schwarz und Grau vor. In Richtung der Place Saint Pierre werden die Farbpunkte dichter, und am Eingang von Reine haben sie schon all das traurige Schwarz und Grau verdrängt. Hier kaufen die bunt gekleideten Afrikanerinnen ihren Nähstoff ein, der sich so schön von der glänzenden, dunklen Haut absetzt.
Im spitzen Eckhaus nebenan wohnt sie, eine eher kleine und etwas gedrungene, in Brauntönen gekleidete Frau, deren riesige Hände ihr etwas Monumentales verleihen, und so gar nicht zum restlichen Erscheinungsbild passen wollen. Ein kleiner, kurzer Körper, kräftige Waden, krauses Haar, dessen Farbe niemand auf Anhieb benennen könnte, das Gesicht alterslos, riesenhafte Hände, von denen man berührt, zwischen die man kriechen und sich schmiegen will, Hände voller Versprechungen, die trotz all ihrer Größe sehr geschickt sind, denn sie fädeln Garn ein, streichen Stoffbahnen glatt, schneiden zu. Ihr Atem ist betörend und betäubend, trocken und rauchig erinnert er an verbrannte Hölzer, Wald und Erde.
Françoise raucht viel. Sehr viel. Am Tag müssen es um die hundert sein. Wenn sie erzählt. Und überhaupt. Ein Leben im Rauch, das ohne solches Laster seinen Namen nicht verdiente. Raucht, wenn sie vom Regen erzählt. Von Stürmen und Gewittern. Egal was sie gerade tut: zieht eines auf, springt sie in den Wagen und verfolgt es stundenlang auf seinem Weg übers Land. Aus der großen Stadt findet sie immer die kürzeste Strecke zum Gewitter hinaus, genießt Spannung und Entladung, die unerträgliche Hitze und die Ruhe vor dem Sturm. Sie weiß immer, wohin Blitz und Donner als nächstes ziehen. Und höre ich sie so reden, möchte ich auch dabei sein, im Auto von den riesenhaften Händen berührt werden, sich ihnen wehrlos überlassen. Sie riechen blättrig herb, nach beißendem Caporal und süßem Wein. Doch wen stört das, der die Pranken schon einmal gesehen hat? Du erblickst sie, und es ist, als packte man dich im Nacken. Erst ganz sanft, dann immer fester. Gänsehaut umkribbelt deinen Körper wie ein warmes Frösteln und du willst in ihr versinken.
Ihre Finger brechen, schon ganz gelb und zittrig, unablässig Filter. Zigaretten ohne sind zu schwach. Sie zieht mit Lippen und Wangen, atmet halb ein, saugt erneut, atmet im gleichen Zug noch eine Wolke ein, nun quillt es vor dem nächsten Zug aus Mund und Nase.
Dorthin will ich, schon hat meine Hand den Türknauf berührt. Vorbei an der Concierge, in den ersten Stock, ich drehe die Klingel und bemerke, dass das Türschloss nicht eingerastet hatte. Die Tür gibt nach, ich rieche den beißenden Rauch. Alle Türen im Gang sind geschlossen, nur durch einen Spalt am Ende dringen Stimmen und Gerüche. Françoise sitzt am Küchentisch, raucht, grüßt lächelnd zur Tür hin, sie ist umgeben von jungen Männer und Frauen, die ihr allesamt den Blick zuwenden. Niemand bemerkt mein Eintreten. Ich mache die Hände aus, schon packt mich das Kribbeln im Nacken, ich kann es nicht erwarten, dränge blitzartig nach vorn zu ihr hin, einige sind erschrocken aufgestanden und zurückgewichen, haben dabei Stühle umgeworfen, Françoise schaut mich konsterniert an, schon will man mich festhalten, mit einen Blick durchs Fenster erkenne ich, dass auch unten auf der Straße sich schon Menschen neugierig versammelt haben und hochstarren. Ich drehe mich nach rechts, will den Rückzug antreten, ein dumpfer Schmerz reißt durch meine Schulter, der Kopf stößt sich an etwas sehr Hartem. Pochend durchzieht ein Wehen meinen Schädel. Wer hat mich so grob angefasst und umgerissen? Warum sehe ich all die Leute nicht mehr?
Ich bin aus meinem Bett gefallen und beginne, die bunten Wahrnehmungsbruchstücke zu einem neuen Lebenstag zusammenzufügen. Ein neuer Tag, noch durchzogen von all den Menschen und Gerüchen, sammelt sich. Lachend ruft man meinen Namen.
_________________ Lais |
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Poolshark Klammeraffe
Alter: 42 Beiträge: 827 NaNoWriMo: 8384 Wohnort: Berlin
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19.09.2015 17:23
von Poolshark
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Hallöchen,
mir gefällt Françoise als Charakter unheimlich gut. Sie ist originell und ich finde sie genauso anziehend wie dein Erzähler. Und sowas passiert mir leider nicht oft genug ...
Auch dein Erzählstil hat einen schönen Klang und Rhythmus.
Hier ein paar Dinge, an denen ich mich gestoßen habe:
der Anfang hat mich auf eine falsche Fährte geführt. Das hat für mich zu einem recht starken Bruch in einer so kurzen Geschichte geführt. Aber das kann durchaus so gewollt und reine Geschmackssache sein.
Zitat: | Im spitzen Eckhaus nebenan wohnt sie, eine eher kleine und etwas gedrungene, in Brauntönen gekleidete Frau, deren riesige Hände ihr etwas Monumentales verleihen, und so gar nicht zum restlichen Erscheinungsbild passen wollen. |
Würde ich weglassen. Einmal weil es sprachlich in deinen sonst so sauber gestrickten Satzkonstruktonen ein Holperchen war und zweitens, weil ich auch nach nochmaligem Lesen nicht verstehe warum die großen Hände nicht zu ihrem Erscheinungsbild passen sollen - wo sie ihr doch insgesamt etwas Monumentales verleihen und große Hände ohnehin zur gedrungen Gestalt und kräftigen Waden passen.
In den folgenden Sätzen gehst du noch einmal und dann später nochmal auf diese Hände ein. Das fand ich mindestens einmal zu viel.
Diese Hände wirken auch auf mich faszinierend und heimelich. Dieser Eindruck nutzt sich durch die Wiederholungen aber ein bisschen ab.
Wie gesagt, schöner Text, schöne Atmosphäre. Mir gefällt's.
_________________ "But in the end, stories are about one person saying to another: This is the way it feels to me. Can you understand what I'm saying? Does it also feel this way to you?"
-Sir Kazuo Ishiguro |
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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20.09.2015 11:31 Eine Gewitterfrau - Kurzgeschichte 3.0 von Christof Lais Sperl
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Ich nehme die Kritik an:
Eine Gewitterfrau
Man kann mit oder ohne rauchen. Mit, wenn man zwischendurch schnell mal eine durchziehen will. Und ohne in langen Nächten voller Alkohol, in denen der Rauch noch durch die Betäubung hindurch so schön den Hals herabbrennt.
Um mehr Geschmack zu erzeugen, wird Filterzigaretten sehr starker Tabak beigemischt, der dem Rauch auch nach der Passage noch genug Aroma gibt. Bricht man allerdings die Mundstücke ab, erhält man Zigaretten, die selbst die Filterlosen an Stärke weit übertreffen.
Françoise raucht nur Abgebrochene. Mit zittrigen Händen führt sie Zug um Zug die kurzen Stummel an die Lippen - und zündet sich an der Aufgerauchten gleich eine neue Zigarette an. Meist sitzt sie unter allerlei Leuten in der Küche. Und dorthin will ich gehen.
Raus aus der Métro und ihrer süßlichen, nach Fäkalien stinkenden Luft und den ruhelosen Rollbändern, auf denen hektische Menschen ihre Geschwindigkeit verdoppeln.
Am Château Rouge kann man vereinzelt Farbsprenkel sehen: Tüten von Tati, die allenthalben durch Gesichtsfeld ziehen, ein paar Umhänge. Meist herrschen Schwarz und Grau vor. In Richtung der Place Saint Pierre werden die Farbpunkte dichter, und am Eingang von Reine haben sie schon all das traurige Schwarz und Grau verdrängt. Hier kaufen die bunt gekleideten Afrikanerinnen ihren Nähstoff ein, der sich so schön von der glänzenden, dunklen Haut absetzt.
Im spitzen Eckhaus nebenan wohnt sie, eine gedrungene, in Brauntönen gekleidete Frau, deren riesige Hände ihr etwas Monumentales verleihen und in ihrer Größe nicht zur eher kleinen Figur passen wollen: Ein kurzer Körper, kräftige Waden, krauses Haar, dessen Farbe niemand auf Anhieb benennen könnte, das Gesicht alterslos, Hände, von denen man berührt, zwischen die man kriechen und sich schmiegen will, Hände voller Versprechungen, die trotz all ihrer Wuchtigkeit sehr geschickt sind, denn sie fädeln Garn ein, streichen Stoffbahnen glatt, schneiden zu. Ihr Atem ist betörend und betäubend, trocken und rauchig erinnert er an verbrannte Hölzer, Wald und Erde.
Françoise raucht viel. Sehr viel. Am Tag müssen es um die hundert sein. Wenn sie erzählt. Und überhaupt. Ein Leben im Rauch, das ohne solches Laster seinen Namen nicht verdiente. Raucht, wenn sie vom Regen erzählt. Von Stürmen und Gewittern. Egal was sie gerade tut: zieht eines auf, springt sie in den Wagen und verfolgt es stundenlang auf seinem Weg übers Land. Aus der großen Stadt findet sie immer die kürzeste Strecke zum Gewitter hinaus, genießt Spannung und Entladung, die unerträgliche Hitze und die Ruhe vor dem Sturm. Sie weiß immer, wohin Blitz und Donner als nächstes ziehen. Und höre ich sie so reden, möchte ich auch dabei sein, im Auto von den Händen berührt werden, sich ihnen wehrlos überlassen. Sie riechen blättrig herb, nach beißendem Caporal und süßem Wein. Doch wen stört das, der die Pranken schon einmal gesehen hat? Du erblickst sie, und es ist, als packte man dich im Nacken. Erst ganz sanft, dann immer fester. Gänsehaut umkribbelt deinen Körper wie ein warmes Frösteln und du willst in ihr versinken.
Ihre Finger brechen, schon ganz gelb und zittrig, unablässig Filter. Zigaretten ohne sind zu schwach. Sie zieht mit Lippen und Wangen, atmet halb ein, saugt erneut, atmet im gleichen Zug noch eine Wolke ein, nun quillt es vor dem nächsten Zug aus Mund und Nase.
Dorthin will ich, schon hat meine Hand den Türknauf berührt. Vorbei an der Concierge, in den ersten Stock, ich drehe die Klingel und bemerke, dass das Türschloss nicht eingerastet hatte. Die Tür gibt nach, ich rieche den beißenden Rauch. Alle Türen im Gang sind geschlossen, nur durch einen Spalt am Ende dringen Stimmen und Gerüche. Françoise sitzt am Küchentisch, raucht, grüßt lächelnd zur Tür hin, sie ist umgeben von jungen Männer und Frauen, die ihr allesamt den Blick zuwenden. Niemand bemerkt mein Eintreten. Ich mache die Hände aus, sie halten einen Kaffeebecher, der zwischen ihnen wie ein dampfendes Schnapsglas wirkt, schon packt mich das Kribbeln im Nacken, ich kann es nicht erwarten, dränge blitzartig nach vorn zu ihr hin, einige sind erschrocken aufgestanden und zurückgewichen, haben dabei Stühle umgeworfen, Françoise schaut mich konsterniert an, schon will man mich festhalten, mit einen Blick durchs Fenster erkenne ich, dass auch unten auf der Straße sich schon Menschen neugierig versammelt haben und hochstarren. Ich drehe mich nach rechts, will den Rückzug antreten, ein dumpfer Schmerz reißt durch meine Schulter, der Kopf stößt sich an etwas sehr Hartem. Pochend durchzieht ein Wehen meinen Schädel. Wer hat mich so grob angefasst und umgerissen? Warum sehe ich all die Leute nicht mehr?
Ich bin aus meinem Bett gefallen und beginne, die bunten Wahrnehmungsbruchstücke zu einem neuen Lebenstag zusammenzufügen. Ein neuer Tag, noch durchzogen von all den Menschen und Gerüchen, sammelt sich. Lachend ruft man meinen Namen.
_________________ Lais |
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