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Nummer drei.


 
 
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manuh
Geschlecht:männlichErklärbär

Alter: 36
Beiträge: 1



Beitrag26.09.2015 16:01
Nummer drei.
von manuh
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

... wie in meinem Vorstellungsthread schon angeteasert möchte ich meinen gestern entstandenen Text zum Abschuss freigeben. Ich bin äußerst gespannt auf euer Feedback!

Überragend.
Der erste Gedanke, der erste Satz für das dritte Tagebuch.
Dummerweise habe ich vergessen, in welchem Zusammenhang ich das Wort gerade gedacht habe.

Meine Konzentration ist nicht mehr die beste, was sicherlich daran liegt dass mein Kopf verstopft mit Scheiße ist. Scheiße, die sich - wie ich gerade beim Lesen meiner alten Tagebücher festgestellt habe - die letzten Jahre massiver vermehrt hat als eine Hasenfamilie im Frühling und die Rezeptoren besetzt wie Feuchtigkeit eine beschlagene Fensterscheibe.

Es ist 21:59 Uhr an einem herbstkalten Freitag Abend. Meine Nebenhöhlen fühlen sich an, als würde darin eine neue Lebensform entstehen und heraus brechen wollen. Der Bettrahmen ächzt während ich meinen Rücken duchstrecke und auf die luminiszierenden Buchstaben meines MacBooks trommle. Und gähne. Alles nur Vorwände um das Kopfchaos nicht anzufassen.

Königsblau.
So hieß die Farbe der Tintenpatronen, die ich in meinen fururistischen Füllfederhalter eingelegt hatte um meine pubertierenden Gedanken in meinem ersten Tagebuch fest zu halten.
Ein Hoch auf die Chemie, die es fertig gebracht hat die Blätter 16 Jahre lang zu konservieren.
Es riecht ein bisschen nach damals. Weggesperrt und verdrängt. Aber vertraut.
Kaum zu glauben, dass das meine Zeilen sind. Henning, Schrift Note 1! Der Übergang zwischen Vivaldi Schreibschrift und krakeliger Halberwachsenen Schrift beeindruckt mich und erinnert mich an die Transformation von einer Larve in einen Nachtfalter.
Wie ein Mensch liegt es neben mir auf dem Bett. Gefühlte 120 Jahre alt und doppelt so weise.
Liebes Tagebuch, du bist kacke. All die Worte, die du gierig in dich aufgesogen hast haben dich nie dazu bewegt meine Wünsche und Träume Wirklichkeit werden zu lassen.
Das fand ich damals schon scheiße und selbst jetzt mit fast 28 Jahren trifft das Wort ‚Verrat‘ die Situation am besten.

Für einen Psychologen wären die 114 Seiten ein wahrer Vergnügungspark. Nach einer atomaren Explosion mit Fallout. Erstaunlich wie viel Naivität ein junger Erwachsener ausleben kann und wie viele Situationen von damals sich heute wiederholen. In erweiterter Form, als remastered bluray sozusagen. Ich habe mich in so viele Frauen verliebt, dass es für drei Leben reichen würde. Und doch kannte ich nur die wenigsten. Es erschien mir viel aufregender und plausibler die Beziehungen, Ehen, Geburten und Scheidungen vornehmlich in meinem Kopf durchzuspielen. Später, nach der Pubertät entdeckte ich die Möglichkeit, mit meinem Geiste aus einer Stubenfliege einen Kolibri zu machen. Um ihn im nächsten Moment das Klo runterzuspülen und mich mit der Libelle auf dem Fensterbrett zu beschäftigen, die mich plötzlich mehr faszinierte als der Kolibri. Nun, die Libelle war im Grunde auch eine gewöhnliche Stubenfliege, aber sie hatte Potenzial. Und sie war so schön.

Die Libelle breitet ihre Flügel aus. Der Geigerzähler versagt.

Klopapierrollen.
Damals, in Sachrang. Fliegensurren. Kuhglockenbimmeln. Eine Grille zirpt, ein Lama schnauft.
An diesem friedlichen Ort habe ich im zarten Alter von etwa 8 Jahren Gerüste gebaut. Für meine gestressten Playmobil Bauarbeiter, die in der Realität keine zwei Wochen meine Knechtschaft überlebt hätten.
Mit architektonischer Raffinesse habe ich den Balkon von Oma, der sich auf über 30 Metern um das Haus schlängelte in eine Großbaustelle verwandelt.
Bagger, LKWs, ein Kran für den Transport nach oben. Ein Betonmischer. Eine Planierraupe. Baustellenwohnwägen für die Bauarbeiter. Bierkästen und Bänke. Ein Geräteschuppen.
Und dann das Gerüst. Das pulsierende Herzstück der Baustelle. Fachmännisch auf bis zu 1m Höhe gestapelt, bestehend aus abwechselnd einer Schicht alter Holzlatten und Klopapierrollen als Trägersäulen. Die Arbeit auf der Baustelle ist lang und hart. Und gefährlich. Ab und zu passierten Unfälle. Unvorsichtige (oder schlimmer noch: betrunkene) Arbeiter überschätzten ihre Kräfte und fielen im schlimmsten Fall nicht nur die 1m vom Gerüst herunter sondern auch noch den kompletten Balkon weitere 10m auf die Terrasse eines etwa 50jährigen, dickbäuchigen Ruhrpottler, der die Ruhe und Frische Sachrangs in sich aufsog. Dieser Mann hatte einen Hund. Ein großes, sabberndes Kalb mit Mundgeruch, den die Frische kalt ließ, sich aber umso mehr für den schwerverletzten am Boden liegenden Arbeiter interessierte und diesen geräuschvoll aufsog. Dieser Prozess war wie ein invertiertes Niesen. Es war falsch. Kein Playmobil Bauarbeiter, sei er noch so besoffen, verdiente es, von einem zotteligen Wolpertinger weggeschnauft zu werden, wie eine Prise Schnupftabak.
Er tauchte nie wieder auf.
...

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wwwave
Gänsefüßchen
W


Beiträge: 27
Wohnort: Hinterm Mond


W
Beitrag27.09.2015 21:20

von wwwave
Antworten mit Zitat

Sich kaputt lachen Sich kaputt lachen Sich kaputt lachen Sich kaputt lachen Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Der arme Bauarbeiter!

Danke, dass du dieses Stück Kindheit mit uns teilst.

Am Anfang war es etwas schwierig in den Text zu finden, die thematischen Sprünge zwischen den Absätzen haben mich etwas ins Straucheln gebracht.
Mir ist außerdem nicht ganz klar, aus wessen Sicht du schreibst, 28-jähriges Ich, 8-jähriges Ich, mal so mal so?

So richtig gepackt hat mich erst der letzte Abschnitt (eben der mit dem Bauarbeiter). Drama, Drama lol
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