Einstand x 2

[MademoiselleCharlie]

Da wo der Abwasch gemacht werden muss
Sind gebrochene Herzen nicht weit
Sie liegen in ungemachten Ikea-Betten
Und lassen sich von der Auswegslosigkeit
Schädel und Brustkorb zerquetschen
/
Dort wo Dein Lippenstift das Laminat zerkratzt
Ist mir die Regungslosigkeit engste Vertraute
Sie legt um mich ein schwarzes Kleid
Und vergilbt meinen Mund
Mit chloroformbenetzten Küssen
/
Nebenan in der Küche: Ein Obstfliegenmeer

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In meinen Wimpern hängt der Schnee vom letzten Jahr
Kristalle
Die den Augen
Blick verschleiern
Mit Perfektion kreiert
(Das ist nichts Neues)
Schon damals
Beim Kugelwerfen, im Sportunterricht
Versagte ich
Bekam schlechte Noten
Weil mir das Loslassen nicht gelang
(Meine Lehrerin gab mich früh genug auf)
Die Tusche aus dem Drogeriemarkt hat mir noch nie ihre Dienste verweigert
Ich laufe vorbei
Und
Stecke lieber meine Augen in Brand

[Gast]

Die ersten 2 Zeilen:

Da wo der Abwasch gemacht werden muss
Sind gebrochene Herzen nicht weit

finde ich richtig toll!
Das beschreibt mit einem einzigen Federstrich, woran eine Liebe doch oft stirbt: an der Abnutzung, an Banalisierung durch Alltag.
Dadurch, daß du eine eigentlich so abgenuddelte Wendung wie gebrochene Herzen in einem Atemzug mit dem Abwasch nennst, bekommt das einen großen Bogen, eine Brechung, die schön ist.

Danach gefallen mir zwar die Gedankengänge, aber einige Bilder sind für mich nicht mehr schlüssig.

Sie liegen in ungemachten Ikea-Betten ist gut, aber für mich liegen da nun die zwei einzelnen Herzen aus der Zeile davor in dem Bett, grade weil du auch keine Satzzeichen benutzt, aber Herzen haben keine Schädel und Brustkörbe, die zerquetscht werden können.
Oder meinst mit Sie liegen das Paar da in dem Bett?
Dann schreib doch einfach: Wir liegen - obwohl mir dieses Unpersönliche der ersten Strophe, als ob du aus deinem Körper ausgetreten bist und diese Szene von außen betrachtest - und dann das dein und mein in der zweiten Strophe - sehr gut gefällt.

Aber das paßt halt alles noch nicht ganz.
Und wenn das alles in sich stimmig ist, braucht man so ein Allgemeinwort wie Ausweglosigkeit nicht, weil sich dann dieses Gefühl beim Leser von alleine einstellt.

Ich hatte spontan die Vorstellung von zwei Herzen, die wie Murmeln in einem ungemachten Bett verloren umherkullern, und von den klammen Kissen erschlagen werden.





Laut deinem Profil bist du eine Frau: und dann schreibst du Dein Lippenstift - also ist die andere Person auch eine Frau.
Aber das der Lippenstift auf dem Laminat kratzt, erschließt sich mir nicht: ein Lippenstift ist weich, der kratzt nicht, und warum auf dem Laminat?
Mit Lippenstift kann man an einen Spiegel schreiben, zum Abschied zb, und da könnte ich mir sogar ein Kratzen vorstellen, wenn der Stift abbricht etc.

Bei der Verbindung von kratzen und Holzboden fällt mir sofort ein Stöckelschuh ein: das würde eine Tanz assozieren, der dann auch einen schönen Gegensatz zu deiner Reglosigkeit ergäbe und dem schwarzen Kleid - das gefällt mir dann wieder richtig.

Die letzte Zeile finde ich auch toll: das schlägt den Bogen zum Anfang: der Abwasch, der gemacht werden muß, aber der den Beiden längst egal ist, gärt und verwest zu einem neuen Biotop ... und Obstfliegenmeer ist so ein poetisches Wort.

[MademoiselleCharlie]

Hallo Kurt!

Hab vielen Dank für Dein Feedback!

Ist ja wirklich spannend, wie Du das Gedicht interpretierst.

Ich habe eigentlich versucht, das allgemeine Gefühl des Verlassenseins zu porträtieren. So zumindest ist meine Lebensrealität gewesen: (1. Strophe) Ich lag in meinem ungemachten Bett, unfähig mich zu rühren und in der Küche stapelte sich der Abwasch.

Das Lippenstiftbild ist dann eher etwas surreales, nicht logisches, sondern etwas empfundenes.
Deine Idee mit dem Stöckelschuhtanz finde ich aber toll.

Ich lasse das auf jeden Fall nochmal Revue passieren.

Liebe Grüße
Charlie