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Die Drahthexe Gänsefüßchen
Beiträge: 17
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19.07.2016 01:28 Südlich von hier von Die Drahthexe
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Südlich von hier
Für Eduard Berger
Kaufmann, Klavierspieler und Europäer
1891 – 1915
Hier draußen könnte ich jetzt mit Kusine Gertrud sitzen.
Sie wäre die Kusine, die meine Mutter nie hatte.
Die Tochter ihres Onkels Eduard.
Ich mache mir keine Illusionen über Gertrud.
Geboren zwischen den Weltkriegen, wäre sie heute über achtzig Jahre alt. Mit Sicherheit hätte sie die großen Ohren, die jeder neuen Generation dieser Familie aus dem Kopf zu sprießen scheinen. Vielleicht wäre sie eine pensionierte Krankenschwester mit dicken Füßen und Kommandostimme, die nie die Zeit gefunden hat für einen Mann und Kinder und die nun, im Alter, zum nachsichtigen Familienmaskottchen mutiert ist. Oder eine zerstreute Anwaltsgattin, vielfache Oma, reiselustig und frankophil wie ihr Papa, die beim Begriff Champagne zuallererst an die gleichnamige Edelbrause denkt. Die mit einem Gläschen davon in der Hand bereitwillig erzählt, was man ihr als Kind erzählt hat: wie der Papa entgegen aller Wahrscheinlichkeit den Krieg überlebte, wie er heimkehrte zu seiner Margret und wie hart er in den folgenden Jahren arbeiten musste, um ihr einen Bruchteil dessen bieten zu können, was ihnen beiden vor dem Krieg selbstverständlich erschienen war.
Aber Kusine Gertrud hat es nie gegeben.
Den Mann, der ihr Vater geworden wäre, hat vor über hundert Jahren der Erdboden verschluckt. Er liegt ein paar Kilometer südlich von hier, in einer kleinen Senke an der alten Römerstraße durch den Wald. Und auch ein paar Kilometer westlich von hier, ein Kreuz von vielen auf einem sanften Hang zwischen Weizenfeldern, denn nach dem Krieg - als Zorn, Pulverdampf und Kampfgas verraucht waren - grub man die toten Feinde so gut es ging wieder aus und verstaute sie ordentlich an Orten, die sie zu Lebzeiten nie gesehen hatten. Und so kam es, dass Ersatz-Reservist Berger und seine Kameraden mit einiger Verspätung doch noch erreichten, wozu ihr Kaiser sie losgeschickt hatte: tief ins Feindesland einzudringen und dort die Stellung zu halten.
Drei Jahre und zehn Tage vor seinem Tod ist Eduard in Paris.
Auf Briefpapier des Hôtel Moderne, Place de la République, berichtet er am 18. Januar 1912 in akkurater Handschrift an die Eltern und Geschwister daheim. „Paris hat sich aber absolut nicht verändert“, schreibt er, und es liegt Genugtuung in diesen Zeilen. „Als ich aus dem Bahnhof kam, war es mir, als wenn ich nur einige Wochen weggewesen wäre.“ Eduard kennt sich aus in Paris. Die Kaufmanns- und Fabrikantensöhne jener Zeit organisieren ihre Auslandspraktika in Eigenregie. Der Kontakt zu Familie Clavel hat sich über die Jahre gefestigt und ist freundschaftlich geworden. Clavel junior war bei den Bergers zu Gast, und Eduard hat schon mehrmals im Geschäft des Monsieur Clavel mitarbeiten dürfen. „Übrigens soll ich Euch alle von der Familie Clavel recht herzlich grüßen, sie fragen mich auch, ob mein Bruder nicht nach Paris kommen wollte.“ Im Januar 1912 wird der junge Clavel von seinen Reisen zurückerwartet. „Er ist überall gewesen, in Hamburg, Berlin, dann ist er in Schweden, Norwegen und England in Stellung gewesen", schreibt Eduard, „Er kommt nun Samstag von einer Reise zurück und wird er mich dann im Hôtel aufsuchen.“ Europäer unter sich. Eduard hat Verwandte in Madrid. Der Gedanke muss ihn gereizt haben.
Die Mobilmachung im August 1914 durchkreuzt alle seine Pläne.
In acht Wochen - etwa halb so lang, wie er gebraucht hätte, um seine Hochzeit vorzubereiten - schult er um von Registrierkasse und Piano auf Repetierbüchse und Bajonett. Noch sind die Vorratslager gut gefüllt, und er wird ausgestattet mit genagelten Lederstiefeln, Tornister, Mantel, Spaten und Zeltplane zum Biwakieren, dazu neunzig Schuss Munition. Der Stahlhelm ist noch nicht erfunden. Eduard und seine Kameraden erhalten lederne Pickelhauben, und dann werden sie rasch weitergereicht, immer weiter nach Westen, bis ganz nach vorn. Über das, was er in den Schützengräben durchlebt, wird er kaum etwas nach Hause berichten. Niemand tut das. Nichts über gefallene Kameraden, nichts über stundenlanges Ausharren unter Artilleriefeuer. Kein Wort darüber, wie es ist, einen Menschen zu töten. Stattdessen schimpft man auf lange Nachtwachen und dünnen Kaffee und darauf, dass das Essen immer schon kalt ist, wenn es die vorderen Stellungen erreicht. „Schick mir mal einen Kuchen!“ lesen die Mütter daheim und sind halb und halb beruhigt, weil ihre Söhne trotz allem noch zu Scherzen aufgelegt scheinen. An besonders schlimmen Tagen verflucht man per Brief den Regen, der Mitte November eingesetzt hat und der mal mit, mal ohne Sturm einfach nicht mehr aufhören will. Bis Ostern kann der Krieg vorbei sein, heißt es. Wenn nur alle entschlossen zusammenstehen und die deutsche Überlegenheit beweisen in diesem Walddickicht tief in der französischen Provinz.
Der Regen hat aufgehört.
Dort, wo Eduard fast dreißig Kilo Marschgepäck durch matschige Furchen der Front entgegenschleppte, scheucht heute seine Großnichte zwei Tonnen Geländewagen über leere Landstraßen – Sonnenbrille auf der Nase, James Blunt im Ohr. Fronturlaub. „Autohaus Berger“ steht in Großbuchstaben unter dem Nummernschild. Keine Verwandschaft, keine Absicht, nur einer dieser schwarzhumorigen Seitenhiebe, die die Geschichtsschreibung selbst für ihre dunkelsten Kapitel bereithält. Die Pfützen am Straßenrand sind noch tief und zischen laut, wenn ein Reifen hindurchfährt. Ansonsten bleibt der kleine deutsche Spähpanzer unbeachtet, reiht sich ein zwischen holländische Wohnmobile und vollgepackte englische Kombis, die hier und da vor den Gedenkstätten parken.
Die Westfront hat die Deutschen nicht vergessen.
Aber ihre Revanche für verbrannte Wälder, Schützengräben, Tunnel und die zahllosen Sprengtrichter des Minenkriegs ist subtil geworden. Jeden Tag holt sie sich nun ein Stück meines Wohlfühl-Equipments. Es beginnt mit der Taschenlampe, die, kaum aus dem Rucksack heraus, den Geist aufgibt. Nein, es liegt nicht an den Batterien. Dieses Modell hat einen Dynamo, und es war fast neu. Als nächstes erwischt es das Tablet, dann den CD-Spieler, beides zuverlässige Begleiter auf vielen Urlaubsreisen. Das Radio hält noch durch, aber es empfängt nur France Inter und liefert als heutiges Bonbon Klaviersonaten von Brahms. Die wiederum würden Eduard gefallen haben. Ihn hätte der Verlust von Hightech-Spielzeug nicht aus dem Konzept gebracht. Als er den Befehl zum Sturmangriff am nächsten Morgen erhält, schreibt er noch einmal an seine Margret. Als er durch die Schützengräben läuft, trägt er diesen Brief in seiner Uniformjacke bei sich. Als ihn die Kugel trifft und er weiß, dass er sterben wird, drückt er den Brief einem Kameraden in die Hand. Heute würde man sagen, er ist gut organisiert. Ein paar Herzschläge später ist er tot. Mit ihm sterben an jenem Tag dort über dreitausend Männer – genaue Zahlen gibt es nicht –, Deutsche, Italiener und Franzosen. Vielleicht auch, wenige Schritte entfernt auf der anderen Seite, sein Freund Clavel, mit dem er in Paris bei Kaffee und Zigaretten über Exporthandel und internationale Karriere philosophiert hat.
Es ist spät geworden.
Die Sonne geht unter, nichts Großartiges, nur Wolken und ein wenig rauchiges Rosa zwischen den Stromleitungen am Horizont. Das Glockenspiel am Kirchturm im Nachbardorf läutet zu jeder Viertelstunde die ersten Noten von „Frère Jacques“. Vom nahen Campingplatz weht der Duft von heißem Fett herüber. Dort hat die Friterie eröffnet und zieht alle anwesenden Nationen in ihren Bann. Drüben am Waldrand blinken jetzt eins nach dem anderen winzige Lichter auf, umkreisen einander, trennen sich wieder. In der lauen Sommernacht patroullieren Glühwürmchen in Herzensangelegenheiten. Kusine Gertrud schaut ihnen eine Weile zu und lächelt versonnen. Dann stemmt sie sich aus dem Gartensessel und wandert über den feuchten Rasen davon, bis sie eintaucht ins Zwielicht unter den jungen Eichen.
Adieu.
Ich hätte dich gerne kennengelernt.
Weitere Werke von Die Drahthexe:
_________________ "The light works. The gravity works. Anything else we have to take our chances with." (Douglas Adams) |
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purpur Klammeraffe
Beiträge: 964
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19.07.2016 05:17
von purpur
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Guten Morgen liebe Drahthexe,
Deine Kurzgeschichte hat mir sehr gut gefallen, meinem Morgen eine besondere
Note gegeben und mich in die Vergangenheit entführt. Gehaltvolle Retrospektive
in eine interessante, mir unbekannte Zeit - das Praktizieren von ''was wäre wenn''
hat mir schon als Kind zugesagt, später hab ich mir zu diesem Zweck zur
''Komplettierung des notwendigen Equipments'' extra einen Schaukelstuhl gekauft.
Dein Text liest sich ungemein gut und flüssig, besonders gefällt mir
die jeweilige Überschreibung eines jeden Absatzes mit einem prägnanten und
Ausblick vermittelnden Satz.
Deine Geschichte erinnert mich an meinen Großvater, der Stalingrad zwar
überlebte, aber als völlig zerstört-veränderte Persönlichkeit weiterexistierte.
Diese Aussage stammte von meiner Großmutter, weil mein Großvater nach
der Rückkehr nicht mehr gesprochen hat. Ich war immer gern in sein stillen,
unnahbaren Nähe, bei ihm, in seiner Holzwerkstatt-er hat mich sehr viel gelehrt-
unter anderem die NeuGier.
Dein Text hat mich wirklich sehr angerührt, aber ich werde noch mehrfach in die
Zeilen eintauchen müßen, intensiver zu erspüren, die Bild im Kopf kontrastreicher
werden zu lassen! Große Klasse, gern gelesen, danke!
Gute Wünsche für den Tag und
sonnige PpGrüße
Pia
_________________ .fallen,aufstehen.
TagfürTag
FarbTöneWort
sammeln
nolimetangere
© auf alle Werke |
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Amon Schneckenpost
Alter: 31 Beiträge: 6 Wohnort: Santa Stett
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19.07.2016 10:58
von Amon
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Dein Text lässt mich die treudoofe Mentalität des zweiten Reiches spüren. Finde es erfrischend hierbei keine Wertung herauszulesen.
_________________ Wo ist mein Geist? |
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Soleatus Klammeraffe
Beiträge: 968
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19.07.2016 18:04
von Soleatus
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Hallo Drahthexe!
Das ist schon ein tragfähiger Text, denke ich. An manchen Stellen etwas dick aufgetragen, ich hatte häufiger den Eindruck eines "Zuviels", als wollte sich der Text die Möglichkeit, vom Leser nicht verstanden zu werden, auf gar keinen Fall zugestehen; aber sonst ... doch!
Gruß,
Soleatus
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Municat Eselsohr
Alter: 56 Beiträge: 353 Wohnort: Zwischen München und Ingolstadt
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19.07.2016 19:50
von Municat
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Zu viel sehe ich hier eigentlich nicht. Die Kurzgeschichte holt mich in den ersten drei Zeilen ab und lässt mich nicht mehr los, bis ich am Ende angelangt bin. Sie ist emotional, ohne auf die Tränendrüse zu drücken, kritisch, ohne den Zeigefinter zu heben und bissig, ohne zu verletzen. Gut gemacht, finde ich.
Zitat: | Und so kam es, dass Ersatz-Reservist Berger und seine Kameraden mit einiger Verspätung doch noch erreichten, wozu ihr Kaiser sie losgeschickt hatte: tief ins Feindesland einzudringen und dort die Stellung zu halten. | Das ist das erste Highlight für mich. Genau auf den Punkt.
Zitat: | In acht Wochen - etwa halb so lang, wie er gebraucht hätte, um seine Hochzeit vorzubereiten - schult er um von Registrierkasse und Piano auf Repetierbüchse und Bajonett. | Auch das ist ganz besonders stark, finde ich.
Zitat: | Die Pfützen am Straßenrand sind noch tief und zischen laut, wenn ein Reifen hindurchfährt. | An dem "zischen" bleibe ich hängen. Da sehe ich eher ein frisch geschmiedetes Schwert in der Pfütze als einen Autoreifen.
Zitat: | Die wiederum würden Eduard gefallen haben. | Da würde ich lieber "Die wiederum hätten Eduard gefallen" schreiben. Ist aber bestimmt Geschmacksache.
Schöner Einstand!
_________________ Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt |
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Die Drahthexe Gänsefüßchen
Beiträge: 17
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21.07.2016 12:18
von Die Drahthexe
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Dankeschön!
Das ist schon eine Form von Luxus, wenn "wildfremde" Leute sich nicht nur die Mühe machen, meinen Text durchzulesen, sondern auch mehr als "Geht so!", "Nett!" oder "Häh?" dazu zu sagen haben.
@Soleatus
Ich kann mir denken, welche Stellen du meinst, und bin inzwischen noch mal mit der Astschere durchgegangen...
@Municat
"hätten... gefallen" habe ich nicht genommen, weil gleich danach noch ein "hätte"-Satz folgt und sich die drei "Als..."-Sätze anschließen.
Greenhorn-Frage: Soll man im "Einstand"-Bereich Korrekturen lieber in der ersten geposteten Textversion machen, oder den ganzen Text neu darunterposten? Oder weder noch?
Freundlich grinsend grüßt
Die Drahthexe
_________________ "The light works. The gravity works. Anything else we have to take our chances with." (Douglas Adams) |
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Municat Eselsohr
Alter: 56 Beiträge: 353 Wohnort: Zwischen München und Ingolstadt
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22.07.2016 08:20
von Municat
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Zitat: | Soll man im "Einstand"-Bereich Korrekturen lieber in der ersten geposteten Textversion machen, oder den ganzen Text neu darunterposten? Oder weder noch? | Da hat jeder irgendwie seinen eigenen Weg. Möglich ist vieles Wenn Du nur Kleinigkeiten änderst, macht es Sinn, einfach nur den geänderten Teil zu posten. Wenn Du den Text komplett überarbeitest (was meiner Meinung nach nicht nötig ist), lohnt es sich, ihn insgesamt noch einmal einzustellen. Eine Verpflichtung hast Du gar nicht. Aber natürlich freuen sich Leute, die Deinen Text kommentieren, wenn sie sehen, dass Du Dich mit dem, was sie geschrieben haben, auch beschäftigst.
_________________ Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt |
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KanKan Schneckenpost
K Alter: 25 Beiträge: 12 Wohnort: Frankfurt
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K 22.07.2016 19:41
von KanKan
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Ich habe mich so gefreut, dass du mich auf dem "Roten Teppich" begrüßt hast, da wollte ich gleich mal einen Text von dir lesen. Auch, wenn ich historische Geschichten eher nicht so mag, diese hier finde ich richtig gut. Man merkt dem Text an, dass du ein super Gespür für Sprache hast und für Rhythmus, so dass man total reingezogen wird. Ich mag eigentlich auch auktoriale Erzählweisen nicht so, aber du hast es richtig gut hinbekommen. Mir gefällt, wie du gleichzeitig ernst und gefühlvoll und trotzdem irgendwie ironisch-distanziert bist. Weiß gerade nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Der Satz hier z.B.:
Zitat: | Und so kam es, dass Ersatz-Reservist Berger und seine Kameraden mit einiger Verspätung doch noch erreichten, wozu ihr Kaiser sie losgeschickt hatte: tief ins Feindesland einzudringen und dort die Stellung zu halten. |
Das find ich beispielhaft für deinen Stil und das gefällt mir echt gut. Wüsste nicht, was ich da groß an Verbesserungsvorschlägen bringen sollte. Es passt alles toll zum Thema, es fügt sich. Richtig klasse!
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4279
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23.07.2016 22:23
von hobbes
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Municat hat Folgendes geschrieben: | Zitat: | Soll man im "Einstand"-Bereich Korrekturen lieber in der ersten geposteten Textversion machen, oder den ganzen Text neu darunterposten? Oder weder noch? | Da hat jeder irgendwie seinen eigenen Weg. Möglich ist vieles |
Stimmt so nicht. Sobald es Antworten zu einem Text gibt, lässt sich nichts mehr an ihm ändern. Dafür gibt es die Funktion "neue Version", die du bei "antwort erstellen" anklicken kannst.
Den "gleichen" Text noch einmal als neuen Thread einstellen, das ist nicht erwünscht.
Aber zum Text: Ich habe ihn auch gern gelesen, sprachlich habe ich da rein gar nichts auszusetzen, gewundert habe ich mich nur über zwei Dinge:
Zitat: | „Paris hat sich aber absolut nicht verändert“, schreibt er, und es liegt Genugtuung in diesen Zeilen. „Als ich aus dem Bahnhof kam, war es mir, als wenn ich nur einige Wochen weggewesen wäre.“ |
Das aber im ersten Satz (kann das nicht weg?) und im letzten Teil fände ich als wäre hübscher als als wenn ... wäre.
Trotz gern gelesen bin ich nicht ganz überzeugt, ich habe noch nicht ergründet, woran das genau liegt, eigentlich kann ich noch nicht mal genau sagen, was mich stört. Ich hänge mich an Kusine Gertrud auf und denke gleichzeitig, das kann es doch nun eigentlich nicht sein? Mit aufhängen meine ich die Frage, warum es denn eine Kusine Gertrud gewesen wäre und nicht etwa ein Kusin Erich oder was weiß ich. Auch diesen Satz
Zitat: | Ich mache mir keine Illusionen über Gertrud. |
verstehe ich nicht. Was denn für Illusionen?
Und gleichzeitig denke ich "Aber warum sollte es denn nicht Kusine Gertrud sein?"
Keine Ahnung, ob das irgendwie hilfreich ist. Aber wenn ich schon hier antworte, wollte ich wenigstens auch was zum Text sagen.
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Die Drahthexe Gänsefüßchen
Beiträge: 17
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23.07.2016 23:32
von Die Drahthexe
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hobbes hat Folgendes geschrieben: | (...) Aber zum Text: Ich habe ihn auch gern gelesen, sprachlich habe ich da rein gar nichts auszusetzen, gewundert habe ich mich nur über zwei Dinge:
Zitat: | „Paris hat sich aber absolut nicht verändert“, schreibt er, und es liegt Genugtuung in diesen Zeilen. „Als ich aus dem Bahnhof kam, war es mir, als wenn ich nur einige Wochen weggewesen wäre.“ |
Das aber im ersten Satz (kann das nicht weg?) und im letzten Teil fände ich als wäre hübscher als als wenn ... wäre. |
Naja - die Geschichte ist halt echt.
Und das ist ein echtes Zitat aus einem echten Brief von ihm vom 18.1.1912, der mir hier vorliegt. Darum mag ich das nicht "aufhübschen".
hobbes hat Folgendes geschrieben: | Trotz gern gelesen bin ich nicht ganz überzeugt, ich habe noch nicht ergründet, woran das genau liegt, eigentlich kann ich noch nicht mal genau sagen, was mich stört. Ich hänge mich an Kusine Gertrud auf und denke gleichzeitig, das kann es doch nun eigentlich nicht sein? Mit aufhängen meine ich die Frage, warum es denn eine Kusine Gertrud gewesen wäre und nicht etwa ein Kusin Erich oder was weiß ich. Auch diesen Satz
Zitat: | Ich mache mir keine Illusionen über Gertrud. |
verstehe ich nicht. Was denn für Illusionen?
Und gleichzeitig denke ich "Aber warum sollte es denn nicht Kusine Gertrud sein?" (...) |
Jaja, die Kusine Gertrud...!
Sie ist das Einzige an dieser Geschichte, was ich dazuerfunden habe. Die Was-wäre-gewesen-wenn-Figur. Ich habe einen Allerweltsnamen für sie gewählt (im Prinzip wäre ein Vetter Erich genauso gut gewesen) und sie so beschrieben wie eine Durchschnittsfrau, denn Eduards Kinder wären wohl keine Präsidenten, Filmstars oder Nobelpreisträger geworden. Nur ganz normale Leute mit Macken und Schrullen. Und trotzdem fehlen sie uns, wie sie in allen Familien fehlen, die Söhne im Krieg verloren haben.
_________________ "The light works. The gravity works. Anything else we have to take our chances with." (Douglas Adams) |
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4279
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24.07.2016 22:01
von hobbes
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Die Drahthexe hat Folgendes geschrieben: | Naja - die Geschichte ist halt echt.
Und das ist ein echtes Zitat aus einem echten Brief von ihm vom 18.1.1912, der mir hier vorliegt. Darum mag ich das nicht "aufhübschen". |
Na ja, dieses Argument ist immer ziemlich - nun ja. Was nützt es der Leserin, dass es "echt" ist? Klar, in diesem Fall, wo es nur zwei kleine Stellen sind, ist das Risiko nicht sonderlich groß, dass sie (die Leserin) deswegen gleich abspringt, nichtsdestotrotz hinterlässt mich dieses Argument, das im Grunde keins ist, immer mit einer Mischung aus dem hier und dem Vorsatz, beim nächsten Mal gleich die Klappe zu halten.
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Die Drahthexe Gänsefüßchen
Beiträge: 17
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24.07.2016 23:24
von Die Drahthexe
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hobbes hat Folgendes geschrieben: | (...) Was nützt es der Leserin, dass es "echt" ist? (...) |
Wenn "Biografisches" draufsteht, ist eben "Biografisches" drin. Unverdünnt.
Solange ich keine Doktorarbeit schreiben will, brauche ich auch keine Zitate zu fälschen...
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wohe Klammeraffe
W Alter: 71 Beiträge: 628 Wohnort: Berlin
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W 26.07.2016 14:06
von wohe
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Lob!
Ich verzichte auf Beschreibungen einzelner Elemente und schreibe nur, was mir spontan einfällt:
Stilistisch sauber, inhaltlich überzeugend, Aufbau gelungen, Stimmung und Spannnung optimal.
Ich habe einen derart überzeugenden Einstand bisher noch nicht gelesen.
Schade, daß ich nicht so schreiben kann.
Weiter so.
Mfg Wohe
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poetnick Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 834 Wohnort: nach wie vor
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05.08.2016 09:47
von poetnick
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Guten Morgen Drahthexe,
möchte Dir -mit etwas Verzögerung- meine Rückmeldung zu Deinem Einstandstext, 'Südlich von hier' mitteilen.
Mich hat die 'Geschichte' auf verschiedenen Ebenen am Kragen gepackt.
Da ist zum Einem das Spürbarwerden eines Menschen und seiner Interessen, (ein wenig auch seiner Lebensart) - durch den Abstand eines Jahrhunderts hindurch. Die Annäherung an ein, bald oder schon, historisches Geschehen scheint mir hier gelungen. Es sind natürlich auch die familiären Bande und die schriftlichen Lebenszeichen, die eine Brücke in die Vergangenheit bilden. Da ist aber auch -sichtbar werdend- durch die Geschichte, das Wissen und Trauern um den Verlust eines -fast- ungekannten Menschen und seiner Generation.
Hier wird deutlich, wieviel Leben, wieviele Begegnungen und Möglichkeiten durch Verblendung, Grössenwahn und Zynismus ausgelöscht und im Weiteren verhindert wurden - und werden.
Dein Text fordert zu einem Reflektieren, Fühlen und Bilanzieren und es bleibt vielleicht nach so langer Zeit nur der symbolisch-tröstende, (sprachlose) Akt, irgendwo eine Rose ablegen zu wollen; oder eben zu erzählen...
Der Wechsel der Zeitebenen, die verschiedenen Perspektiven auf die Landschaft in Krieg und Frieden beleben das Bild und das Ungeheure, das geschehen ist.
'Kusine Gertrud' steht und 'fällt' mit den zerstörten Möglichkeiten durch kollektiven Wahnsinn.
Zum sprachlichen, wie ich es empfinde: reich bebildert und klar, manchmal lakonisch klingend, ohne ins flappsige abzudriften.
Gerne gelesen und darüber nachgedacht.
Lieben Gruss - Poetnick
_________________ Wortlos ging er hinein,
schweigend lauschte er der Stille
und kam sprachlos heraus |
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llll Leseratte
L
Beiträge: 121
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L 07.08.2016 01:28
von llll
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Wirklich ein eindrucksvolles Text-Requiem
für dieses 24 jährige Opfer von Tausenden.....
Sehr sehr gut geschrieben !
Nie sentimental....
( Die Konstruktion der fiktiven Tochter Gertrud
- zumal gleich zu Beginn - ist für mich etwas irritierend
bzw. ein eigentlich überflüssiges Obendrein,
was der Text mMn nicht nötig hat. )
llll
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