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Rasmus und die Gilde der Propheten ... mein Lieblingskapitel


 
 
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GereonSand
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Beiträge: 5
Wohnort: Rheinland-Pfalz


G
Beitrag06.05.2016 14:59
Rasmus und die Gilde der Propheten ... mein Lieblingskapitel
von GereonSand
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Das Kapitel macht isoliert eigentlich nur sehr wenig Sinn, weil es Bezug auf zahlreiche vorangegangene Ereignisse nimmt ... aber es ist trotzdem mein Lieblingskapitel. Ignoriert die Querbezüge und lasst es einfach auf euch wirken.

Viele Grüße und viel Spaß,

Gereon

-------------------------------------

Die Dunkelheit war sein Freund. Er starrte an die Decke und hörte auf die Melodie, die in seinem Kopf tanzte. Er wusste nicht, wo er war, aber er war in Sicherheit, und nur das zählte. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch. Die heißen Tage waren lang, und die warmen Nächte waren kurz. Er durchwachte die Nächte und verschlief die Tage. Die Dunkelheit war seine Decke, seine Zuflucht, sein Freund. Licht war gefährlich. Die Sonne war gefährlich. Licht brannte. Licht verbrannte.

Es war still in seinem Zimmer. Wann immer die Stille ihn umfing und vereinnahmte, begann er, die Melodie zu summen. Er schlief ein und erwachte, und wann immer er erwachte, war die Welt vertraut und doch fremd. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch. Die Melodie gab ihm Halt. Sie gab ihm Bestand. Sie erzählte eine Geschichte, die nur er verstand. Eine Geschichte von der Welt außerhalb dieses Zimmers. Außerhalb dieses Bettes. Jenseits dieser Matratze.

Männer und Frauen, die ihm fremd waren, fütterten ihn mit hölzernen Löffeln. Er aß Brei. Er trank süße Milch. Als er das erste Mal mit der Zunge über seine zertrümmerten Zähne fuhr, stellte er fest, dass er durch die Löcher pfeifen konnte. Er pfiff. Eine Geschichte. Eine Geschichte von der Welt außerhalb dieses Zimmers.

„Wer bist Du?“, fragte er den Jungen eines Tages.

„Du weißt, wer ich bin“, antwortete der Junge. „Verdammt, Flemming, wie oft willst Du mich noch fragen?“

Er wusste nicht, was der Junge damit meinte. „Feuerkopf?“, fragte er prüfend.

„Ich bin nicht Feuerkopf“, antwortete der Junge und schluchzte. Die Lüge war offensichtlich, denn der Junge trug das Feuer mit sich. Jede Geste, jedes Wort und jedes rote Haar gab ein beredtes Zeugnis davon. „Ich bin niemand“, sagte der Junge. „Vier Jahre lang war ich ein Sternenwächter. Zwei Tage lang war ich ein Papiermacherlehrling. Heute bin ich niemand. Und ich pflege einen Barden, der nicht weiß, wer er ist.“ Die Hand mit dem Breilöffel zitterte. Gehorsam öffnete Flemming den Mund. Flemming. Der Junge hatte ihm einen Namen gegeben, und der Name gefiel ihm. Er ließ den Brei durch seine zerstörten Zähne gleiten und schluckte. „Feuerkopf“, sagte er und lächelte. Die Augen des Jungen weiteten sich. Das taten sie immer, wenn er lächelte.

„Du sollst mich nicht Feuerkopf nennen, Flem! Ich bin Nale, verdammt! Nale, der Papiermacherlehrling!“

„Nale“, sagte er gehorsam. Er wusste, dass das nicht der richtige Name des Jungen war. Der Junge spielte ein Spiel, dessen Regeln er nicht verstand, aber das machte nichts. Er hatte Zeit und er hatte Geduld. Er würde gerne mitspielen. Erneut summte er die Melodie. Die Melodie des Flusses. Es war der Fluss, der ihm diese Melodie geschenkt hatte, begriff er. Der Fluss, der ihn hierher getragen hatte.

„Deine Zähne sehen fürchterlich aus“, sagte der Junge. „Ich weiß nicht, ob Du je wieder Flöte spielen können wirst. Was hat dieses Arschloch Dir angetan?“

Die Stimme des Jungen war zu tief. Flemming variierte die Tonhöhe, bis das Lied wieder passte.

„Ich wusste immer, dass Kesh eine Gefahr für sich und andere darstellt“, sagte Feuerkopf wie zu sich selbst. „Ich glaube, dass es genau diese Gefahr ist, die mich an ihm fasziniert hat.“

Flemming lächelte und summte. Auch der Fluss konnte eine Gefahr sein. Oft war er träge und schwer von der Last, die er mit sich tragen musste. Aber er konnte auch schnell und reißend sein. Scharf wie ein Schwert, und klar wie ein Wintermorgen nach einer kalten Nacht. Er variierte den Rhythmus der Melodie und wob ein hektisches Stakkato hinein.

„Verdammt, kannst Du nicht einmal still sein, Flem? Sobald ich aufhöre, Brei in Dich hineinzustopfen, pfeifst Du vor Dich hin!“ Der Junge hielt inne. „Oh. Ich weiß, was Dir fehlt. Eigentlich hätte ich auch von alleine darauf kommen können.“ Er verließ das Zimmer.

Er schlief ein und erwachte. Die Welt war vertraut und doch fremd. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch. Er begann, eine Melodie zu summen. Die Melodie gab ihm Halt. Sie gab ihm Bestand. Sie erzählte eine Geschichte, die nur er verstand. Eine Geschichte von der Welt außerhalb dieses Zimmers. Außerhalb dieses Bettes. Jenseits dieser Matratze. Er schlief erneut ein. Erwacht erneut. In einer fremden und doch vertrauten Welt.

Ein Junge betrat das Zimmer. Ein Junge mit feuerroten Haaren. „Ich habe Dir etwas mitgebracht“, sagte der Junge und warf ein Paket auf das Bett. „Ich musste bis Annstein reisen, um eine zu finden, und ich habe sie noch nicht einmal gestohlen! Ich habe sie verdammt nochmal gekauft!“ Der Junge lachte bitter. „Eigentlich dachte ich, dass ich sie mir gar nicht leisten könnte. Zum Glück hat die Kauffrau beide Augen zugedrückt, als ich ihr erzählt habe, dass es sich um eine Notlage handelt! Ich musste nur drei Silbergroschen bezahlen ‐ und ein paar Tropfen Blut. Fantastisch, oder?“

Er wusste nicht, wovon der Junge sprach. Ratlos besah er das Paket in seinen Händen. „Nun mach es schon auf, Flem!“, sagte der Junge. „Es wird Dir gefallen, das weiß ich!“

Gehorsam wickelte er das Papier auseinander. „Rat mal, wo das Papier hergestellt wird!“, sagte der Junge, wartete seine Antwort aber nicht ab, sondern fuhr einfach fort, zu reden. „Bei Meister Matura natürlich. Meinem Meister, wenn es nach Kesh gegangen wäre. Vielleicht wäre ich sogar dort geblieben, wenn Du nicht wie üblich alles über den Haufen geworfen hättest. Es ist ziemlich spannend, ein Mann zu sein, verdammt!“

Er hörte dem Jungen nicht mehr zu. Verzückt starrte er auf den Inhalt des Paketes. Eine Flöte. Der Junge hatte ihm eine Flöte gebracht. Ein einfaches hölzernes Instrument, aber mehr als ausreichend. Das kostbarste Geschenk, das er jemals erhalten hatte. Wie von selbst fanden seine Finger die Grifflöcher und er setzte das Instrument an. Wenn er die Luft über den Gaumen abstieß und seine Zungentechnik anpasste, würde er trotz der zerschlagenen Zähne spielen können. Er blies einen ersten Ton. Dann einen zweiten. Dann spielte er die Melodie. Die Melodie des Flusses.

„Oh, Flemming! Du kannst es noch!“, sagte der Junge und nickte. Dann wurde er still und hörte eine Weile zu. Tränen stahlen sich in seine Augen, während die Melodie ein Eigenleben entwickelte und durch den Raum tanzte. Träge und schwer. Schnell und reißend. Er spielte für den Fluss. Er spielte für die Sonne, den Mond und die Sterne. Männer und Frauen betraten das Zimmer, während er spielte. Alle trugen dasselbe sackartige Gewand wie er. Der einzige, der andere Kleidung trug, war der Junge. Der Junge, der das Feuer war und mit jeder Geste, jedem Wort und jedem roten Haar davon kündete. Er veränderte Rhythmus und Tonlage, um die Melodie von dem Feuer erzählen zu lassen. Wie es brannte. Wie es verbrannte. Eine unerklärliche Angst stieg in ihm auf, und er begann, zu zittern. Die Melodie brach ab, und er verstummte. Ein Dutzend Menschen standen um ihn herum. Niemand sagte ein Wort.

„Flemming, oh Flemming!“, sagte der Junge mit dem Feuerkopf. „Das war … ergreifend! Ich habe noch nie so etwas Großartiges gehört!“

Er wusste nicht, von wem der Junge sprach. Aber der Name gefiel ihm. „Flemming“, sagte er leise und lächelte. Die Menschen sahen ihn mitleidig an. Dabei gab es keinerlei Grund, traurig zu sein. Jeder musste doch sehen, dass der Junge ein Segen für ihn war. Er hatte ihm eine Flöte gebracht, und jetzt brachte er ihm auch noch einen Namen. „Flemming“, sagte er erneut.

„Das war wunderschön“, sagte eine ältere Frau. „Annaia hat Euch reich beschenkt, Fremder!“

„Er ist kein Fremder“, widersprach der Junge. „Ich weiß, wer er ist, Schwester Annagrit! Flemming Flinkfinger, ein Barde aus Annstein!“

„Mein Name ist Allagried … und Ihr wisst nicht, wer er ist. Ihr wisst lediglich, wer er zuvor war“, widersprach die Frau sanft. „Niemand weiß, zu wem Annaia ihn gemacht hat.“ Die Menschen zerstreuten sich. Nur der Junge blieb zurück und schluchzte. Ein Mann brachte einen geschmacklosen Brei und süße Milch. Der Junge trocknete seine Tränen, fütterte ihn und redete auf ihn ein. Kratzig und knarrend, manchmal tief, manchmal ins Falsett umschlagend. Wenn er weinte, klang er wie eine Frau.

„Morgen ist Brachfest“, sagte der Junge leise. „Morgen ist Brachfest, und ich werde nicht dabei sein!“

Er wusste nicht, was das Brachfest war. Aber die Stimme des Jungen war voller Bedauern, und er wollte nicht, dass er traurig war. Er schluckte den Brei herunter und ordnete seine Gedanken. „Warum geht Ihr nicht hin, wenn Euch so viel daran liegt?“, fragte er. „Feste muss man feiern, wie sie fallen!“

„Ich wünschte, ich könnte es, Flem. Aber Nalissa ist tot und muss tot bleiben. Kesh hatte schon recht.“

„Nalissa?“, fragte er. Der Name brachte eine Seite in ihm zum Klingen. Es kam ihm vor, als hätte er jemanden dieses Namens gekannt. Prüfend wiederholte er den Namen ein paar Mal. Man konnte ihn beinahe singen. „Nalissa, Nalissa, Nalissa“, sagte er. „Ein schöner Name.“

Der Junge schaute ihn beinahe zärtlich an. „Nale“, korrigierte er ihn. „Hier bin ich Nale. Das ist der Name, den Du Dir merken solltest, Flem.“

Nale war kein Name. Nale war kein Lied und kein Bild. Flemming schüttelte den Kopf und sperrte gehorsam den Mund auf, als der Junge einen weiteren Löffel Brei zu seinem Mund führte. „Wenn Du Flöte spielen kannst, solltest Du eigentlich auch alleine essen können“, sagte der Junge mehr zu sich selbst. „Wir werden mal prüfen, was Du so alles wieder kannst, Flem.“

Der Tag verging ereignislos. Sich schwer auf den Jungen stützend, schaffte er es, von seinem Lager aufzustehen und das Zimmer für eine kleine Weile zu verlassen. Vorsichtig setzte er Schritt um Schritt und sog die Farben und Gerüche der Welt gierig ein. Überall um ihn herum hörte er Lieder. Seine Schritte schlurften einen Takt. Der Junge, der auf ihn einredete, umspielte diesen Takt mit Variationen eines immer gleichen Themas. Er summte eine Basslinie dazu.

Der Junge führte ihn zum Fluss. „Schau, die Ann!“, sagte er und deutete auf die rotbraunen Fluten, die träge dahinströmten. Zwei Männer in Kutten schichteten Treibholz zu einem übermannsgroßen Turm. „Das Brachfeuer“, erklärte der Junge. „Hier feiern sie das Brachfest bereits am Vorabend des Brachmondes. Einen Tag früher als in Annstein. Frag mich nicht, wieso. Glaubst Du, Du hältst es hier aus, bis die Sonne untergeht, Flem?“

Ja. Oh ja. Und wie er es aushalten würde. Der Fluss sprach zu ihm, und Flemming starrte fasziniert in die wogenden Wassermassen. Der Fluss sprach vom Vergehen und neu anfangen. Er sprach von der Unberührtheit der Quelle, der Rastlosigkeit einer langen Reise und der Sehnsucht nach dem großen grauen Meer. Flemming fühlte diese Sehnsucht tief in seinem Inneren. In seinem Kopf formte sich bereits eine Melodie. Der Junge redete auf ihn ein, aber er hörte ihn gar nicht. Als der Junge ihn schließlich verließ, drückte er Flemming die hölzerne Flöte in die Hand. Er war dankbar, dass der Junge sie mitgenommen hatte. Er setzte sie an und spielte das Lied des Flusses. Für den Fluss. Für sich selbst. Für die Sterne, den Mond und das Meer.

Gegen Abend trafen zahlreiche andere Menschen ein, Männer wie Frauen. Alle trugen dasselbe geflochtene Gewand wie er. Feuer wurden entzündet, Speisen wurden zubereitet und Getränke verteilt. Der Junge brachte einen zarten Fisch und einen Becher mit einer streng riechenden Flüssigkeit. Flemming probierte und trank in gierigen Schlucken. Nie zuvor hatte er etwas derart Köstliches getrunken. Das war etwas anderes als die süße Milch, die der Junge ihm heute Morgen gebracht hatte.

„Dir schmeckt das Zeug?“, fragte der Junge verwundert, als Flemming nach einem zweiten Becher verlangte.

„Es schmeckt nach dem Fluss. Es schmeckt nach Leben“, erwiderte Flemming.

„Das ist Wein, gekeltert aus zuckerhaltigem Tang. Nach meinem Empfinden schmeckt er eher nach Scheiße als nach irgendetwas anderem.“ Der Junge lachte. „Du wirst hier noch zu einem richtigen Annaia‐Mönch, Flem. Warte, ich hole Dir noch einen.“ Der Junge brachte einen zweiten Becher. Flemming trank und fühlte, wie das Leben des Flusses sich in seinem Magen und in seinen Adern ausbreitete. Er fühlte sich lebendig wie nie zuvor.

Die Mönche stimmten einen Gesang an, dessen einfaches Thema wieder und wiederkehrte. Bald schon stimmte Flemming mit ein. Aus voller Kehle sang er mit den Menschen um ihn herum, und der Junge mit dem Feuerkopf schaute ihn verwundert an. „Dir geht es mit jedem Tag besser“, stellte er fest. „Es ist, als ob Du vor meinen Augen gesundest. Oh, Flemming. Ich bin so froh, dass er Dich nicht umgebracht hat! Dass ich Dich nicht … verkauft habe!“ Erneut füllten seine Augen sich mit Tränen, und der Junge schluchzte.

Als das Lied der Mönche verklang, hielt eine ältere Frau eine Rede. Danach entzündeten zwei Männer den riesigen Treibholzstapel. Der Junge lehnte den Kopf an seine Schulter und starrte in die Flammen. „Schau, Flemming. Unser Brachfeuer“, sagte der Junge. „Lassen wir die Geister der Vergangenheit ruhen. Fangen wir noch einmal ganz von vorne an. Was meinst Du?“

Flemming antwortete nicht. Das Holz musste schon seit Tagen in der Sonne getrocknet worden sein, denn die Flammen fanden rasch Nahrung und breiteten sich gierig aus. Höher und höher loderte das Brachfeuer, und gelborange Hitze strömte in wabernden Wellen auf ihn zu. Er wurde unruhig. Irgendetwas regte sich in seinem Unterbewusstsein, und er griff nach der Hand des Jungen und klammerte sich daran fest. Der Junge erwiderte den Griff und lächelte ihm zu.

Flemming konnte das Lächeln nicht erwidern. Schweiß trat auf seine Stirn, und es war nicht die Hitze des Feuers, die dafür verantwortlich war. Bilder traten vor seine Augen, und er wusste nicht, wo diese Bilder herkamen. Sterne, die von einem schwarzen Himmel fielen. Ein Glatzkopf mit einem schwarzen Schnauzbart, der eine Treppe herunter polterte. Ein Mann mit dem Gesicht eines Totenschädels, der einen Dolch nach ihm warf, der in seiner Schulter steckenblieb. Er meinte, den Schmerz fast körperlich zu spüren.

„Lass mich los, Flemming. Aua, Du tust mir weh!“

Eine Kammer, in der er gelegen und gefiebert hatte. Eine Frau mit rostfarbenem Haar, die ihm zu trinken gegeben hatte und ihn nachdenklich gemustert hatte, ein Messer in der rechten Hand. Stundenlang. Nächtelang. Eine halbe Ewigkeit. Er hörte eine Flöte, die das Crescendo irgendeines Liedes spielte. Ein ohrenbetäubendes Knacken, und ein Teil eines künstlichen Sternenhimmels fiel herab und verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Flammen loderten aus dem Raum oberhalb der Zimmerdecke.

„Flem, verdammt nochmal! Was hast Du denn?“

Flackerndes Licht. Die Dunkelheit war von flackerndem Licht erhellt. Alles um ihn herum brannte, und die Schreie, die zu hören waren, hatten nichts Menschliches mehr an sich. Der Dolch steckte noch immer in seiner Schulter und seine rechte Seite war blutüberströmt. In heller Panik sprang er auf und zeigte mit zitterndem Finger in das gleißende Licht des Feuers. Jemand versuchte, ihn zurückzuhalten, aber er nahm all seine kümmerliche Kraft zusammen, riss sich los und stolperte in die Dunkelheit. Er wusste, dass sie ihn verfolgen würden, und er wusste auch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihn eingeholt hätten. In seinem Zustand konnte er ihnen unmöglich entkommen. Er brauchte Hilfe. Er brauchte Heilung. Er wollte nicht sterben.

Jemand lief ihm nach und schrie seinen Namen. Er torkelte, rannte, stolperte und schlug der Länge nach hin. Jemand hob ihn auf und redete auf ihn ein. Angsterfüllt wimmerte er und schlug um sich wie ein verwundetes Tier. Jemand hielt ihn fest und nahm ihn in den Arm. Jemand summte eine Melodie. Die Melodie des Flusses. Träge und schwer, schnell und reißend. Der Junge wiegte ihn in seinen Armen, und langsam beruhigte er sich. Nach einer Weile führte der Junge ihn zu seiner Kammer. In die Sicherheit. In die Dunkelheit. Weg von den Flammen, weg von dem Licht. Licht war gefährlich. Licht brannte. Licht verbrannte.

Der Junge warf ihn auf das Bett und legte sein Wams ab. Während er fortfuhr, sich zu entkleiden, blieb Flemming reglos liegen und stöhnte nur leise. Seine neu gewonnene Kraft war aus ihm herausgeströmt wie aus einem lecken Eimer. Der Junge legte seine Unterkleidung ab und nestelte an einem Tuch herum, das er um den Oberkörper geschlungen hatte. Ein Paar wohlgeformter Brüste kam zum Vorschein, und splitterfasernackt durchquerte der Junge den Raum und legte sich zu ihm. Der Junge, der kein Junge war. „Feuerkopf?“, fragte Flemming ungläubig. „Du bist …“

„Sssch“, flüsterte das Mädchen. „Es ist gut. Alles ist gut.“

Er war das Wasser, und sie war das Feuer. Sie liebten sich für den Fluss, den Mond, die Sterne und das Meer. Sie liebten sich für die Ewigkeit. Er löschte ihre Glut mit seinen Fluten, und sie stöhnte kehlig auf. Träge und schwer, schnell und reißend. Lodernd und verbrennend. Quelle und Mündung, Anfang und Ende, Asche und Staub. Hungrig küssten sie sich, als wäre es das letzte Mal. Das erste Mal. Das einzige Mal.

Als er viel später erwachte, lag ihr Kopf auf seiner Brust. Es war dunkel in seinem Zimmer, und für eine lange Zeit lauschte er auf ihre regelmäßigen Atemzüge. Mit weit offenen Augen starrte er an die Decke und hörte auf die Melodie, die in seinem Kopf tanzte. Er wusste nicht, wo er war, aber er war in Sicherheit, und nur das zählte. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch. Und sie. Das Mädchen mit den rostroten Haaren. Er wusste nicht, wer sie war, aber er wusste, dass er ihr vertrauen konnte. Er hatte ihr immer vertraut. Er griff nach ihrer Hand, und er hörte, wie sie etwas murmelte, sich an ihn schmiegte und seinen Griff im Schlaf erwiderte. Ihre Hand gab ihm Halt. Sie gab ihm Bestand. Sie erzählte eine Geschichte, die nur er verstand. Eine Geschichte von der Welt außerhalb dieses Zimmers. Außerhalb dieses Bettes. Jenseits dieser Matratze.

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Wolfin
Geschlecht:männlichLeseratte


Beiträge: 120
Wohnort: Duisburg


Beitrag06.05.2016 15:15

von Wolfin
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Der Text hat mir sehr gefallen. Ich finde, er liest sich flüssig. Das macht Lust auf mehr. Was ist mit Flemming passiert? Wie geht es mit ihm weiter?

_________________
Mir reicht, dass ich weiß, dass ich könnte, wenn ich möchte.
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omchen
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 75
Beiträge: 55
Wohnort: paragauy


Beitrag06.05.2016 19:11
Antwort
von omchen
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Deine Geschichte hat mir ebenfalls gut gefallen. Aber in diesem Satz solltest du etwas ändern.
"Sie trugen alle dasselbe Gewand ..."
Das funktioniert so nicht, es sollte heißen "das gleiche Gewand"

Gruß omchen
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Floyd_M
Geschlecht:männlichErklärbär
F


Beiträge: 1



F
Beitrag06.05.2016 19:29

von Floyd_M
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Auch ohne den Kontext der Geschichte zu kennen, war dieses Kapitel sehr schön und verständlich. Ich kann Wolfin nur zustimmen, der Text liest sich flüssig und macht Lust auf mehr.
Die Wiederholung des Satzes, "Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch." zieht sich wie ein Mantra durch den Text, ohne jedoch eintönig zu werden. Der Satz erinnert den Leser wieder und wieder an die Szenerie, wie die Melodie Flemming irgendwie an die Realität und vermutlich seine Erinnerungen bindet.
Es gelingt dir sehr gut dem Leser das Gefühl von jemandem zu vermitteln, der immer wieder ohne Gedächtnis aufwacht, der die gleichen Erfahrungen und Erkenntnisse aufs Neue macht, ohne daraus Schlüsse ziehen zu können.
Die Verwandlung von Nale zu Nalissa ist sehr spannend gemacht und war für mich beim ersten Lesen kaum zu erkennen, sie bot eine schöne, überraschende Wendung. In dieser Geschichte funktioniert das hervorragend, interessant wäre allerdings zu wissen, wie gut das im Kontext der gesamten Geschichte funktioniert, wenn man die Figuren bereits kennt.
Nales Wortwahl ist allerdings nicht ganz zum Ton der Geschichte passend. Ihre derbe Ausdrucksweise sticht zu deutlich heraus. (Dabei denke ich vor allem an "Arschloch" und "Scheiße")

Insgesamt eine sehr fein erzählte Geschichte, die Interesse weckt und Lust macht mehr über die Charaktere, ihr Schicksal und ihre Vergangenheit zu erfahren.

Hier jetzt noch ein paar Anmerkungen und Fehler, die mir aufgefallen sind Wink

Zitat:
Die heißen Tage waren lang, und die warmen Nächte waren[/s] kurz.


Zitat:
„Wer bist Du?“, fragte er den Jungen eines Tages.  <--Bisher war nur von Männern und Frauen die Rede


Zitat:
Erwachte erneut


Zitat:
„Rat mal, wo das Papier hergestellt wird!“, sagte der Junge, wartete seine Antwort aber nicht ab, sondern fuhr einfach fort[s], zu reden.


Zitat:
Es ist ziemlich spannend, ein Mann zu sein, verdammt! Erst war mir nicht klar, was sie damit meint, aber später wird es natürlich um so deutlicher Laughing



Zitat:
Die Melodie brach ab, und er verstummte.


Zitat:
Der Name brachte eine SeiteSaite in ihm zum Klingen.


Zitat:
Nach meinem Empfinden schmeckt er eher nach Scheiße Dreck als nach irgendetwas anderem.  Der Ausdruck passt meiner Meinung nach nicht hier rein. Er klingt zu derb und vulgär, er sticht sehr aus dem sonstigen Ton des Textes heraus, darum würde ich einen schwächeren Ausdruck empfehlen.


Zitat:
Bilder traten vor seine Augen, und er wusste nicht, wo diese Bilder sie herkamen.


Zitat:
Quelle und Mündung, Anfang und Ende, Asche und Staub. Du arbeitest zuerst sehr schön mit den Gegensätzen, aber beim letzten Paar bricht das Bild, da Asche und Staub nicht unbedingt Gegensätze sind. Ich tue mich zwar schwer ein Antonym für Asche zu finden, aber vielleicht fällt dir ein passenderes Gegensatzpaar ein.
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Phenolphthalein
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Beitrag06.05.2016 20:25

von Phenolphthalein
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Hallo GereonSand,

also ich bin kaum über den ersten Absatz gekommen, was hauptsächlich an den Hilfsverben lag.
Eliminiere erst einmal die, dann sehen wir weiter.

(Ich weiß, dass dir das nicht oder nur wenig hilft. In dem Fall halte dich an die anderen.)

Edit: Danach könntest du mit den Anaphern weitermachen, denn die benutzt du auch recht inflationär.

Viele Grüße,

Phenolphthalein


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Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss.

-Arthur Schopenhauer
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GereonSand
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Beitrag06.05.2016 23:45

von GereonSand
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Moin,

erstmal 1000 Dank für die Rückmeldungen!

Das Wort "Anapher" musste ich als Genre-Neuling erstmal googlen. Bin immer noch nicht sicher, was damit im Kontext meines Kapitels gemeint ist *errötet*. Die ständigen Wiederholungen mancher Sätze sind z.B. durchaus Absicht, da der Protagonist ein massives Problem mit seinem Gedächtnis hat und die Wiederholung für mich ein Stilmittel war, diese Tatsache auszudrücken.

Die häufige Verwendung von "war/waren" im ersten Abschnitt sticht in der Tat ins Auge, wenn man darauf achtet. Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob ich sie als störend empfinde. Immerhin kann der Charakter zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr viel anderes tun als nur "sein". Muss mal drüber nachdenken. Vielen Dank für den Hinweis!

Gereon
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purpur
Klammeraffe


Beiträge: 964



Beitrag07.05.2016 00:03

von purpur
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Guten Abend Very Happy lieber GereonSand,

Herzlich Willkommen Laughing

Dein 'Einstand -Kapitel' hat mir sehr gefallen, Laughing den Schluss fand ich
besonders gelungen, er hat mich komplett vereinnahmt!
Als würde ich es erleben Daumen hoch² Bravo
 Kommt noch was?
Herzlich grüßt dich
PpPia


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sorgenlos
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Alter: 42
Beiträge: 31
Wohnort: Niederbayern


S
Beitrag07.05.2016 09:38

von sorgenlos
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Mir hat das Kapitel auch sehr gut gefallen und es hat mich schnell mitgezogen.
Was mir wirklich nicht gefällt sind die Begriffe "Arschlch" und "Scheiße" usw. Du schreibst so wunderbar melodisch und das reißt einen total raus. Ich bin sicher, da lassen sich passendere Wörter finden.


_________________
viele Grüße Petra
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Muskat
Eselsohr


Beiträge: 343



Beitrag07.05.2016 09:47
Gereon Sand
von Muskat
Antworten mit Zitat

Hallo Gereon Sand,

auch mich stören die Hifsverben im ersten Absatz. Daher habe ich einen vermessenen Vorschlag: Schmerzte es dich, wenn du den ersten Absatz streichest? Ich meine, es klänge schöner, wenn das Kapitel mit den Eindrücken im Zimmer beginne.

Der Rest liest sich so zerbrechlich, wie es der Prota auch ist. Ich stimme auch den Vorredner zu, das "Arsch..." und die "Sch..." durch "sanftere" Beschimpfungen zu ersetzen.
Sie wirken wie ein Peitschenknall zwischen den pastellig klingenden Sätzen.

Bis auf den ersten Absatz gefällt mir das Kapitel gut.
Habe es gerne gelesen.

Oh, herzlich willkommen im Forum.

Liebe Grüße

Muskat
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GereonSand
Geschlecht:männlichSchneckenpost
G


Beiträge: 5
Wohnort: Rheinland-Pfalz


G
Beitrag08.05.2016 08:19

von GereonSand
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Hallo ihr Lieben,

vielen herzlichen Dank für die Hinweise. Ich empfinde es als extrem hilfreich, Stärken und Schwächen des Textes vor Augen geführt zu bekommen (und weiß mittlerweile sogar, was eine "Anapher" ist smile extra.

Schade, dass man nur 2 Kapitel von euch probelesen lassen kann!

Einen schönen sonnigen Tag wünschend,

Gereon
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nothingisreal
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3994
Wohnort: unter einer Brücke


Beitrag08.05.2016 09:41
Re: Rasmus und die Gilde der Propheten ... mein Lieblingskapitel
von nothingisreal
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GereonSand hat Folgendes geschrieben:

Die Dunkelheit war sein Freund. Er starrte an die Decke und hörte auf die Melodie, die in seinem Kopf tanzte. Er wusste nicht, wo er war, aber er war in Sicherheit, und nur das zählte. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch. Die heißen Tage waren lang, und die warmen Nächte waren kurz. Er durchwachte die Nächte und verschlief die Tage. Die Dunkelheit war seine Decke, seine Zuflucht, sein Freund. Licht war gefährlich. Die Sonne war gefährlich. Licht brannte. Licht verbrannte.


Hallo Gereon,

auch ich komme nicht weiter. Vielleicht habe ich einfach einen anderen Anspruch an Literatur. In diesem winzigen Absatz hast du acht Mal "war" bzw. "waren" benutzt. Wenn ein Buch so starten würde, würde ich es nicht weiterlesen.
Etwas anderes noch:
Zitat:

Die heißen Tage waren lang, und die warmen Nächte waren kurz. Er durchwachte die Nächte und verschlief die Tage.

Das hier ist ein Widerspruch. Wenn man schläft, vergeht die Zeit schneller.
LG NIR


_________________
"Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten." - William Somerset Maugham
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Phenolphthalein
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Beiträge: 838

DSFo-Sponsor


Beitrag08.05.2016 15:48
Re: Rasmus und die Gilde der Propheten ... mein Lieblingskapitel
von Phenolphthalein
Antworten mit Zitat

hmm
@ GereonSand: Du machst auf mich nicht den Eindruck, als würdest du etwas ändern wollen. Dein Ding, aber ich behaupte, du solltest.


_________________
Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss.

-Arthur Schopenhauer
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Muskat
Eselsohr


Beiträge: 343



Beitrag08.05.2016 16:57
GereonSand
von Muskat
Antworten mit Zitat

Zitat:
Schade, dass man nur 2 Kapitel von euch probelesen lassen kann!


Das verstehe ich nicht. Du kannst so viele Kapitel einstellen, wie du magst und auch überarbeitete Versionen deiner Kapitel, wenn du das möchtest.
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denLars
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Extrem Süßes!


LOONYS - Die Vergessenen Rosen der Zeit
Beitrag08.05.2016 22:50

von denLars
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Dein Username hat mich an Game of Thrones erinnert. Dein Schreibstil letztendlich auch. Das ist schon mal nichts Schlechtes, würde ich sagen. Cool

Mir gefällt der lyrisch anmutende erste Absatz, in dem ich Hilfsverben und Anaphern nicht als Störelemente, sondern als Stilmittel empfunden habe.

Mir gefällt auch der Gebrauch von Beschimpfungen. Wir sind ja nicht mehr im Kindergarten. Ein Kontrast zum Erzählstil kann ja durchaus erwünscht sein.

Mir gefällt deine Dialogführung und die Art, wie du deinen Prota zeichnest. Und die Klammer aus "Eine Geschichte von der Welt außerhalb dieses Zimmers. Außerhalb dieses Bettes. Jenseits dieser Matratze." empfand ich als nettes Bonmot.

Sehr geschmäcklerische Wortmeldung, ich weiß. Fällt in Sachen Konstruktivität aber auch nicht gegen so manch anderes hier ab. Ich habe eine Schwäche für diesen Stil, wo andere eine Abneigung haben. Ich würde gerne mehr von dieser Geschichte lesen. Würde mich sehr dafür interessieren, wie du mit dem Einstieg umgegangen bist. Ende.

Und wo der Eindruck herkommt, dass du nichts ändern willst, weiß ich auch nicht. Confused

Aloha,
L


_________________
One whose name is writ in water.
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Sonnenstunde
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 39
Beiträge: 15
Wohnort: Nordrhein-Westfalen


Beitrag08.05.2016 23:49

von Sonnenstunde
Antworten mit Zitat

Lieber Gereon,
ich habe deinen Text sehr gerne gelesen und genossen.
Ein bisschen abenteuerlich ist es natürlich, ein drittes Kapitel zu lesen ohne zu wissen, was der Leser eigentlich schon weiß und was nicht.
Vielleicht werden einige meiner Anregungen daher gar nicht passen. Aber ich versuche es trotzdem.

Der Anfang war für mich der schwächste Teil. Er ist ja bereits von den anderen für die Hilfsverben kritisiert worden, aber in meinem Fall bin ich gar nicht sicher, ob es wirklich das war, was mich gestört hat. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass der Anfang sich zu zäh hinzieht, dass es zu lange dauert, bis eine Handlung beginnt.
Wobei ich die Satz-Wiederholungen super fand, vor allem die Matratze, die nach Salz und Meer roch. Abgesehen davon, dass diese Sätze ja auch helfen, Flemmings Amnesie darzustellen, geben sie deinem Text ja fast schon etwas lyrisches.

Über "Arschloch" und später auch "Scheiße" bin auch ich sehr gestolpert, aber das haben andere ja schon erläutert...

Ich finde sehr schön, wie du Flemming mit der Musik arbeiten lässt. Teilweise recht konkret benennst du, was er verändert.
Zitat:
und wob ein hektisches Stakkato hinein.

  Das dürfte aber im Dienste der Anschaulichkeit vielleicht sogar noch konkreter sein. Denn deine Formulierungen wiederholen sich.

Zitat:
Flemming variierte die Tonhöhe, bis das Lied wieder passte.

Zitat:
Er variierte den Rhythmus der Melodie und wob ein hektisches Stakkato hinein.

Zitat:
Er veränderte Rhythmus und Tonlage, um die Melodie von dem Feuer erzählen zu lassen.


Mach es doch auch hier konkret!
Zum Beispiel:
Flemming transponierte mit einer Überleitung seine Melodie um zwei ganze Töne nach unten, bis die Tonhöhe wieder passte.
Er zog das Tempo der Melodie an, streute Triolen und Triller ein, um sie von dem Feuer erzählen zu lassen.

Wobei ich den Abschnitt mit der Tonhöhe, die zur Stimme des Jungen passen soll, nicht ganz nachvollziehen konnte. Spricht denn der Junge so monoton auf einem Ton, dass seine Höhe  die Harmonik stört? Eher nicht, denn das wäre ja eine solch starke Auffälligkeit, dass du es sicherlich auch anderweitig erwähnt hättest.
Du siehst, den Satz kapiere ich nicht ganz. Ich nehme an, du willst hier eigentlich die geniale Musikalität Flemmings darstellen? Vielleicht gelingt dir das mit einer anderen erwähnten Kleinigkeit besser. Vielleicht hat Flemming im Laufe deines Romans ja mal die Gelegenheit, die Tonhöhe seiner Melodie an etwas anzupassen, das wirklich immer die selbe Tonhöhe hat. Wie die Schläge des Schmiedes auf den Amboss oder die Regentropfen auf dem Blechdach oder das Quietschen von Rädern...

Noch eine Stelle gab es, an der ich gestolpert bin, aber dass kann tatsächlich daran liegen, dass ich die ersten beiden Kapitel nicht kenne.

Zitat:
„Annaia hat Euch reich beschenkt, Fremder!“

Ich dachte ja, ich hätte nun den wahren Namen des "Jungen" erfahren. Dass Annaia wohl eine Gottheit ist, konnte ich ja erst später aus dem Zusammenhang lesen. Aufgrund dieses Missverständnisses musste ich den Absatz zwei Mal lesen.

Dass Nale ein Mädchen ist, habe ich übrigens gewusst ab
Zitat:
„Nale“, korrigierte er ihn. „Hier bin ich Nale. Das ist der Name, den Du Dir merken solltest, Flem.“
Ich dachte, es könnte nützlich für dich sein, zu erfahren, wann der Leser wie viel wirklich kapiert.

Zitat:
Sich schwer auf den Jungen stützend, schaffte er es, von seinem Lager aufzustehen und das Zimmer für eine kleine Weile zu verlassen. Vorsichtig setzte er Schritt um Schritt

Spätestens in diesem Satz hätte ich gerne mehr darüber gewusst, warum es Flemming eigentlich so schlecht geht. Was behindert ihn denn? Schmerzt sein Kopf? Oder sein Bein? Wo genau? Ist da eine offene Wunde? Verbrennung? Verstauchung? Und wie genau fühlt sich der Schmerz an?
Oder ist er einfach nur so fürchterlich schwach? Woran merkt er das? Rast sein Puls bei der kleinsten Anstrengung? Schwitzt er? Muss er sich für die kleinste Bewegung lange sammeln und aufrappeln? Dreht sich alles? Schwarz vor Augen?
Na ja, ich denke, du merkst schon, worauf ich hinaus will.
Auch schon früher im Text könntest du körperliche Beschwerden einstreuen. Denn alleine von der Amnesie her erklärt sich ja nicht, warum es sogar nötig ist, Flemming zu füttern.
Aber auch hier gilt: Vielleicht fehlen mir einfach nur die Informationen aus den ersten beiden Kapiteln.

Nichtsdestotrotz hat mir das Kapitel gut gefallen. Und würde es in einem Buch vor mir liegen - jap, ich würde definitiv weiter lesen wollen!

Viele Grüße, Sonnenstunde
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purpur
Klammeraffe


Beiträge: 964



Beitrag09.05.2016 06:18

von purpur
Antworten mit Zitat

Guten Morgen Very Happy GereonSand,

Die BlaueStunde hat mich verleitet, in deiner Geschichte Platz zu nehme, mich dazu zu setzen.Ich habe darin meine eigene Geschichte gefunden, zu meiner Überraschung, seltsam war es. Rolling Eyes .Felsblock läßt sich leicht merken, passt gut Laughing dazu/hinzu, gut zusammen, auch das Flötenspiel Laughing
 Kommt noch was?
PurpurGrüße
Pia


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.fallen,aufstehen.
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GereonSand
Geschlecht:männlichSchneckenpost
G


Beiträge: 5
Wohnort: Rheinland-Pfalz


G
Beitrag13.05.2016 16:48

von GereonSand
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo liebes Forum,

es ist Wochenende, ich habe wieder ein bisschen Zeit. Zunächst mal vielen Dank für euer reichhaltiges Feedback smile

Ihr habt insbesondere die Hilfsverben-Inflation im ersten Abschnitt thematisiert, den ich anbei nochmal zitiere:

Zitat:
Die Dunkelheit war sein Freund. Er starrte an die Decke und hörte auf die Melodie, die in seinem Kopf tanzte. Er wusste nicht, wo er war, aber er war in Sicherheit, und nur das zählte. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch. Die heißen Tage waren lang, und die warmen Nächte waren kurz. Er durchwachte die Nächte und verschlief die Tage. Die Dunkelheit war seine Decke, seine Zuflucht, sein Freund. Licht war gefährlich. Die Sonne war gefährlich. Licht brannte. Licht verbrannte.


Ich habe versucht, den Abschnitt zu überarbeiten, ohne dabei das Melodiöse, was sich hoffentlich durch das ganze Kapitel zieht, zu verlieren:

Zitat:
Die Dunkelheit verbarg ihn vor der Welt. Er starrte an die Decke und hörte auf die Melodie, die in seinem Kopf tanzte. Er wusste nicht, wo er sich befand, aber er war in Sicherheit, und nur das zählte. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch. Er durchwachte laue Nächte und verschlief brütendheiße Tage. Die Dunkelheit verbarg ihn, war Decke, Zuflucht, Freund. Licht brannte. Licht verbrannte.


Wie fühlt sich das für euch an? Besser? Schlechter? Unverändert?

Liebe Grüße,

Gereon
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Muskat
Eselsohr


Beiträge: 343



Beitrag13.05.2016 17:55
Gereon Sand
von Muskat
Antworten mit Zitat

Hallo Gereon Sand,

ja der überarbeitete Absatz gefällt mir besser.

Hier ist er:

Zitat:
Die Dunkelheit verbarg ihn vor der Welt. Er starrte an die Decke und hörte auf die Melodie, die in seinem Kopf tanzte. Er wusste nicht, wo er sich befand, aber er war in Sicherheit, und nur das zählte. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Salz und Meer roch. Er durchwachte laue Nächte und verschlief brütendheiße Tage. Die Dunkelheit verbarg ihn, war Decke, Zuflucht, Freund. Licht brannte. Licht verbrannte.



Ich habe mir erlaubt, ein wenig umzustellen, dennoch deine Worte beizubehalten.

Zitat:
Er lag in einem dunklen Zimmer. Er wusste nicht, wo er sich befand, aber er war in Sicherheit, nur das zählte. Ein Zimmer, ein Bett, eine Matratze, die nach Meer und Salz roch. Die brütendheißen Tage verschlief er, die lauen Nächte durchwachte er. Die Dunkelheit verbarg ihn, war Decke, Zuflucht, Freund. Licht brannte. Licht verbrannte.

Es war still im Zimmer. Wann immer die Stille ihn umfing, begann er die Melodie zu summen, die in seinem Kopf tanzte. ...



Ich stellte deswegen um, weil der Satz mit der Melodie zusammenhanglos dastand. Dann ließ ich das "hörte" weg, weil es klar ist, dass er die Melodie wahrnimmt, wenn sie im Kopf tanzt. Weiter habe ich drei von den vier "und" eliminiert. Du verwendest das Bindewort zu häufig in deinem Text. Ja, der Klang der Sätze ist schön und wichtig, dennoch kannst du gewiss einige "und" streichen.
Das ist nur ein Vorschlag, den du nicht übernehmen musst, oder auch abändern kannst.

Ab und an fehlt mir eine Verbindung der Sätze. Oben war es der mit der Melodie.

Hier noch ein Beispiel:

Der Tag verging ereignislos.  Sich schwer auf den Jungen stützend, ...

-Eigentlich verging der Tag nicht ereignislos, denn er bekam die Flöte und seinen Namen geschenkt. -

Ich nehme an, dass es also Abend ist, dann könntest du das auch hinschreiben, und schon stünde der Satz nicht mehr alleine.

Zitat:
Der Tag verging ereignislos. Am Abend kam der Junge. Sich schwer auf ihn stützen, ...


Weiter:

Du könntest noch ein wenig ändern. Die Stellen, an denen du deinen Protagonisten verlässt.

Bspw:

Ratlos besah er das Paket, Verzückt starrte er auf den Inhalt,
Besonders hier: Angsterfüllt wimmerte er und schlug um sich wie ein verwundetes Tier.


Hier schaust du als Autor von außen auf den Protagonisten, du solltest  aber in ihm sein.
Zeige seine Ratlosigkeit, seine Verzückung. Lass ihn wimmern und um sich schlagen, aber es muss IHM bewusst sein, er muss sich wie ein verwundetes Tier fühlen, aber sich nicht von außen betrachten.

Auch, wenn du ihn verwirrt zeigen willst, der eher alles mit sich geschehen lässt, als selbst zu handeln, dennoch ist es so, wie es dasteht, nicht stimmig. Er gerät in Panik und versucht sich zu wehren. Dann nimmt er aber nicht wahr, dass er das wie ein verwundetes Tier tut, er kann sich aber so fühlen.


Soweit erstmal meine Meinung dazu.

Liebe Grüße

Muskat
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