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Der erste Satz - Als ich wieder aufwachte, war ich tot.

 
 
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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag17.05.2015 01:45
Der erste Satz - Als ich wieder aufwachte, war ich tot.
von Lilly_Winter
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Als ich wieder aufwache, bin ich tot. Ich starre an die Decke und frage mich: Warum bin ich noch hier? Mein Blick fällt auf den Haarschopf neben mir. An einigen Stellen zeigen sich bereits graue Strähnen und verdrängen das dunkle Braun. Er hasst es, wenn ich ihn auf die kleine kahle Stelle aufmerksam mache, die sich ganz hinten auf seinem Schädel ausdehnt.
Ich versuche irgendetwas zu empfinden, aber da ist Nichts.
Meine Hände greifen nach der Hose und ziehen sie über die leere Hülle. Der Stoff an meiner Haut ruft den Nebel einer Erinnerung auf -  der Druck einer sanften Berührung, geflüsterte Worte. Für einen kurzen Moment scheint es, als könne ich mein Herz wieder schlagen hören, doch so schnell dieser Augenblick gekommen war, so schnell stirbt er auch wieder in meinem Inneren.
Ich warte. Lausche seinen Atemzügen. Vergewissere mich, dass er weiterhin schläft. Dann erst bringen mich meine Beine hinunter in die Küche. Meine Hände und Füße kennen den Ablauf. Ich muss nicht leben, um die tägliche Routine zu vollziehen. Kurz darauf brodelt die Kaffeemaschine in die morgendliche Stille hinein. Droht mir, wie es nun immer wäre, etwas, dass für einen kurzen Moment einmal ganz anders war.
Oben verrät die knarzende Diele, dass er aufgewacht war. Ich nehme zwei Tassen aus dem Schrank und gieße  etwas von der schwarzen Brühe hinein.
Sieht das zu sehr nach Schuldeingeständnis aus?
Ich entscheide, dass es egal ist. Ich bin hier. Leer. Tod. Aber hier.
Er betritt die Küche und greift wortlos nach seiner Tasse. Unsere Blicke treffen sich, ich lese den Vorwurf in seinen Augen. Das lange Gespräch, die Tränen, all das würde wahrscheinlich nie wieder etwas an seinem Blick ändern. Oder an meinem. Das Ultimatum würde immer zwischen uns stehen.
Nachdem er seine Tasse geleert hat, geht er zur Tür. Er greift nach seiner Jacke und geht. Ohne ein Wort. Ich sehe ihm nach.
Das Handy zu meiner linken gibt einen kleinen Ton von sich. Ich schließe die Augen. Auch ohne die Nummer zu sehen, weiß ich, von wem die Nachricht ist.
Ich vermisse dich!
Ich starre auf die Worte, rufe mir sein Bild ins Gedächtnis, erlaube mir die kurze Erinnerung an das Leben. Meine Augen wollen weinen, doch Tote weinen nicht. Von selbst finden meine Finger die Tasten.
Löschen? Ok.
Für einen kurzen Moment frage ich mich, ob ich jemals wieder empfinden werde, oder für immer eine leere Hülle bleibe.
Das Poltern auf der Treppe holt mich zurück. Die kleinen Füße springen mir entgegen. Ich lächle das Leben an. In meiner Brust spüre ich die Wärme. Es ist eine andere Wärme, als die, die ich in seinen Armen empfunden hatte, aber sie ist das Leben. Der Grund, warum ich mich für den Tod entschieden habe.
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Einar Inperson
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1675
Wohnort: Auf dem Narrenschiff


Beitrag17.05.2015 08:32

von Einar Inperson
Antworten mit Zitat

Liebe Lilly,

du hast mich sofort in deine Geschichte hineingezogen und atemlos mitgenommen. In dem kurzen Text wirkt beim Lesen im Hintergrund ein ganzer Roman mit, über den du tatsächlich im Text (fast) kein Wort verlierst.

Der Schluss ist wunderschön, herzig, Hollywood und hat mir ausgezeichnet gefallen. Aber ich glaube, die Geschichte wäre stärker, wenn es dir gelänge, nicht so offensichtlich zu sein, sondern auch die Motivation als Tote zu leben, mehr im Hintergrund verarbeitest.

Und ganz genau genommen, stelllt sich zu der vordergründigen Offensichtlichkeit des Verzichts für das Kind die Frage, warum denn nicht Leben und Kind eine Option wäre. Hier bbleibt ein unaufgelöster Bruch.


_________________
Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch

Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis

si tu n'es pas là, je ne suis plus le même

"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer
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Yachen
Geschlecht:weiblichLeseratte
Y

Alter: 46
Beiträge: 187



Y
Beitrag17.05.2015 12:02

von Yachen
Antworten mit Zitat

Hallo,

die Geschichte hat mich total ergriffen. Ich konnte es echt nachempfinden. Am Anfang fragt man sich, worauf es hinaus läuft, dann langsam dämmerte es. Und der Schluss erklärt alles.

Schön!

Einziger kleiner Hinweis:

 etwas, dass für einen kurzen Moment einmal ganz anders war

es müsste "das" heißen.

LG
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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag17.05.2015 21:01

von Lilly_Winter
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für eure Kommentare!!!

@Einar Inperson: Einen dicken, fetten Dank an dich! Die nächste Übungsaufgabe steht jetzt fest: ein Interview mit der Prota!

@Yachen: Embarassed  stimmt, muss "das" heißen. So oft gelesen und nicht aufgefallen

lg Lilly
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PersonaGrata
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
P

Alter: 74
Beiträge: 21
Wohnort: Oberhausen


P
Beitrag19.05.2015 11:46

von PersonaGrata
Antworten mit Zitat

Liebe Lilly, darf ich auch etwas anmerken? Ich würde das Wort "Tod" in dem Zusammenhang: Ich entscheide, dass es egal ist. Ich bin hier. Leer. Tod. Aber hier.   so schreiben "Tot", es erscheint mir flüssiger, wenn es nicht als Substantiv geschrieben wird. Du willst doch sagen, dass die Protagonistin sich außer "leer" auch "tot" fühlt, oder irre ich mich?

Mich hat die Geschichte sehr berührt! Danke, dass wir sie lesen durften.


_________________
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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag19.05.2015 12:28

von Lilly_Winter
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Embarassed  Ich habe gar nicht mit so viel Lob für meine Schreibübung gerechnet. Das schafft a bissl mehr Selbstvertrauen, ich danke euch.

@PersonaGrata: Natürlich darfst du etwas anmerken! Und ich stimme dir zu, das Substantiv ist hier fehl am Platz.

lg Lilly
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Sembi
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 39
Beiträge: 42



Beitrag23.05.2015 15:30

von Sembi
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Hallo Lilly,

Du hast Dir für Deine "Schreibübung" mit Sicherheit ein brisantes Thema ausgesucht.

Ich schließe mich Einars Kommentar an - nur der Schluß bereitet mir Bauchschmerzen.

Wenn Du andeuten willst, daß die Protagonistin sich entscheidet, dem Kind zuliebe an einer nicht-funktionierenden Beziehung fest zu halten (und sich dabei selbst völlig aufzugeben) - dann kann ich nur hoffen, daß die Mutter - die ohne Zweifel das Beste für ihr Kind will - sich weiter entwickelt, Beratungsangebote in Anspruch nimmt und später eine qualifiziertere Entscheidung trifft. Dem Kind - und sich selbst - zuliebe.

(Grundsätzlich könnte/dürfte/sollte natürlich auch der Vater verhindern, daß das Kind zwischen den im Raum stehenden Vorwürfen, Schuldzuweisungen etc. aufwächst und er selbst dauerhaft mit einer Frau zusammenlebt, von der er nichts mehr wissen will.)

Vielleicht habe ich die Andeutungen auch völlig falsch verstanden?

Lieben Gruß
Sembi
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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag23.05.2015 20:30

von Lilly_Winter
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo, Sembi

Zitat:
Wenn Du andeuten willst, daß die Protagonistin sich entscheidet, dem Kind zuliebe an einer nicht-funktionierenden Beziehung fest zu halten (und sich dabei selbst völlig aufzugeben) - dann kann ich nur hoffen, daß die Mutter - die ohne Zweifel das Beste für ihr Kind will - sich weiter entwickelt, Beratungsangebote in Anspruch nimmt und später eine qualifiziertere Entscheidung trifft. Dem Kind - und sich selbst - zuliebe.


Ehrlich gesagt, weiß ich das auch noch nicht so genau.^^ Ich habe ja schon gesagt, dass ich eine andere Schreibübung aus diesem Forum dafür nutzen möchte, um diesen Dingen auf den Grund zu gehen. Ich werde Interviews führen, mit der Frau, dem Ehemann und dem Geliebten. Mit ihr habe ich schon angefangen, aber irgendwie will sie noch nicht richtig mit mir reden. Ich suche sie zur Zeit in verschiedenen Foren, die sich mit diesem Thema beschäftigen ^^. Mal sehen, vielleicht finde ich sie ja noch, dann gibt's eine Fortsetzung.

lg Lilly Very Happy
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Stanley86
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 37
Beiträge: 11
Wohnort: Berlin


Beitrag23.05.2015 22:18
Re: Der erste Satz - Als ich wieder aufwachte, war ich tot.
von Stanley86
Antworten mit Zitat

Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
  Droht mir, wie es nun immer wäre, etwas, dass für einen kurzen Moment einmal ganz anders war.


Hallo Lilly,
das Thema und die Umsetzung gefallen mir sehr gut. Das Ende fand ich erfrischend und hat mir die Situation gut erklärt.
Den o.g. Satz verstehe ich allerdings gar nicht. Okay, das eine "s" hast du ja bereits gestrichen, aber der Inhalt erschließt sich mir trotzdem nicht.
"Droht mir etwas, das für einen kurzen Moment einmal ganz anders war." Was soll das bedeuten? Auch das "wie es nun immer wäre" verwirrt mich noch mehr.
Ich fürchte, ich stehe auf'm Schlauch.
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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag23.05.2015 22:42

von Lilly_Winter
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Stanley

Zitat:
Droht mir, wie es nun immer wäre,


damit meint sie das Gefühl, sie wäre tot, sie fühlt sich innerlich leer und glaubt, dass sich daran nichts mehr ändern wird. Die Kaffeemaschine, die jeden Morgen eingeschaltet wird, wird für sie zum Symbol.


Zitat:
etwas, dass für einen kurzen Moment einmal ganz anders war


gemeint ist die Beziehung zu dem anderen Mann, sie hat sich lebendig gefühlt, weil sie verliebt war, deshalb war es für einen Moment anders.

Embarassed Ich hoffe das ist verständlich ... bin, glaub ich eine Erklärungsniete Embarassed

lg Lilly
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PersonaGrata
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
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Alter: 74
Beiträge: 21
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P
Beitrag23.05.2015 23:06

von PersonaGrata
Antworten mit Zitat

Muss man denn alles dem Leser "erklären"? Darf man nicht auch erwarten, dass der Leser seine eigene Interpretation findet? Wenn ich bisher Lilys Geschichte richtig verstanden habe, dann ist die Story doch nicht unbedingt in der Realität anzusiedeln... Die Protagonistin macht sich Gedanken über ihr bisheriges Leben und das soll der Leser ruhig auch machen...: Nachdenken!

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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag23.05.2015 23:31

von Lilly_Winter
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ohh  Realität???

Wenn es diese Frau wirklich geben würde, dann würde mir mein Interview wesentlich einfacher fallen Laughing
Wenigstens habe ich schon anhand von Durchschnittswerten und der Liste der beliebtesten Vornamen aus den jeweiligen Jahren ihr Aussehen und ihren Namen erfahren Sich kaputt lachen
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Gießkanne
Geschlecht:weiblichVolle Kanne ungeduldig

Alter: 21
Beiträge: 655
Wohnort: Nicht mehr in deiner Welt


Beitrag23.05.2015 23:42

von Gießkanne
Antworten mit Zitat

Ich will jetzt nicht unhöflich sein, weil ich keine Ansprache mache, aber ich möchte meinen Worten damit noch mehr Nachdruck verleihen.

Ich habe selten so einen sauberen Schreibstil gesehen. Es gibt nur eine Person, deren Schreibstil mich extrem beeindruckt und der ich hier im Forum zu Füßen liege. Jetzt ist meine Liste erweitert worden. Wunderbare Story - Dankeschön, ich habe jedes einzelne Wort genossen.

Gießkanne


_________________
Die Schlacke einer verbrannten Liebe im Hochofen des Herzens ist ein Nebenprodukt, das man so schnell leider nicht loswird.
Mogmeier
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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag23.05.2015 23:55

von Lilly_Winter
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Embarassed Embarassed Embarassed Embarassed Embarassed Embarassed Embarassed Embarassed


@Gießkanne: Darf ich dich knuddeln? love
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag24.05.2015 07:21
Re: Der erste Satz - Als ich wieder aufwachte, war ich tot.
von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Hallo Lilly_Winter.

Die Diskussion um
Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Droht mir, wie es nun immer wäre, etwas, das für einen kurzen Moment einmal ganz anders war.

hat mich jetzt doch dazu gebracht, mich zu deinem Text zu äußern, den ich – nach der ersten und zweiten Lektüre – gewissermaßen vom Wurf oder vom Ansatz her gelungen fand, der mich allerdings nicht in gleicher Weise ergriffen zurückließ wie meine Vorposter.

Und jetzt denke ich mir: Vielleicht liegen zwei der Gründe dafür, weshalb der Text mE hinter seinen Möglichkeiten bleibt, in oben zitiertem Satz.

Dein Text arbeitet auf der – in Anführungszeichen – "Handlungsebene" sehr stark mit der Nichtkommunikation, dem leeren Raum, der durch das Schweigen gebildet wird – und öffnet dadurch ein Feld, das mE nicht nur Unausgesprochenes, sondern oftmals eben auch Unaussprechliches thematisiert.

Ich erlaube mir mal, die Aussage eines Vorposters aus dem Zusammenhang zu reißen:
Stanley86 hat Folgendes geschrieben:
hat mir die Situation gut erklärt.

Dieser Eindruck hat mich den gesamten Text hindurch begleitet und es mir, denke ich, verunmöglicht, mich in der nötigen Art und Weise auf ihn und auf deine Ich-Erzählerin einlassen zu können, um wirklich ergriffen zu werden. Der wiederholte Dualismus "lebendig – tot"
Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Für einen kurzen Moment scheint es, als könne ich mein Herz wieder schlagen hören, doch so schnell dieser Augenblick gekommen war, so schnell stirbt er auch wieder in meinem Inneren.

Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Ich entscheide, dass es egal ist. Ich bin hier. Leer. Tod. Aber hier.

Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Ich starre auf die Worte, rufe mir sein Bild ins Gedächtnis, erlaube mir die kurze Erinnerung an das Leben.

Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Für einen kurzen Moment frage ich mich, ob ich jemals wieder empfinden werde, oder für immer eine leere Hülle bleibe.

gemahnt mich immer daran, dass hier ein Bild gefunden wurde, das mir, dem Leser, eine Situation erklären soll. Das ist nicht per se schlecht, aber es ist mir persönlich zu klein, zu konzeptualisiert für das, was eigentlich im Text steckt.

Ich mache die Frage, ob ein Text in der Realität angesiedelt ist oder nicht, nicht daran fest, ob die Figur im Text ein reales Vorbild hat. Wichtig ist, wie wahrhaftig der Text in seiner eigenen Vorgehensweise ist. Ich erwähnte das Feld des Unaussprechbaren, und wenn ich mir vorstelle, welch ein Wust an widersprüchlichen, unfassbaren, unbewussten, kaum in Worte zu fassenden Emotionen in einem Moment wie diesem stecken
Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
In meiner Brust spüre ich die Wärme. Es ist eine andere Wärme, als die, die ich in seinen Armen empfunden hatte, aber sie ist das Leben.

dann greift mir dieser Satz in seinem Bild-, seinem Erklärcharakter zu kurz. Wem wird hier eigentlich erklärt? Ist sich, kann sich die Ich-Erzählerin dessen, was hier steht, in diesem Moment so bewusst sein, wie es hier geäußert wird, oder wird hier nur mir, dem Leser, eine Erklärung für eigentlich Widersprüchliches, Unaussprechliches geliefert? Zwangsläufig beginne ich, den hier geäußerten Gedankengängen zu misstrauen, sie nicht als wahrhaftig anzusehen. Mir fehlt vielleicht, um es kurz zu machen, das Ringen um Sprache, das ich mir von einem Text wünschen würde, der so offensichtlich das Schweigen thematisiert.
Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Droht mir, wie es nun immer wäre, etwas, das für einen kurzen Moment einmal ganz anders war.

Hier finde ich vorgefasst, was eigentlich erst noch gefunden werden müsste, von mir und derjenigen, die hier erzählt; mir, dem Leser, wird erklärt, was ich gerne selbst herausfinden würde. Und schon bin ich außen vor – mir bleibt, mich zu fragen, ob dieser Satz überhaupt stimmt, ob das, was angedroht wird, dasjenige ist, das "einmal ganz anders war" oder ob es sich dabei nicht eigentlich um zwei verschiedene Bezugnahmen handelt.

Von einem Text ergriffen zu werden, funktioniert für mich nicht allein dadurch, dass eine ergreifende Situation beschrieben wird, ein ergreifendes Thema aufgegriffen wird. Ich brauche eine Entsprechung auf der Textebene – oder der Ebene der sprachlichen Gestaltung –, eine Art Komplizenschaft zwischen mir, dem Leser, und der Stimme, die ich im Text vorfinde; ich möchte das Gefühl haben, mich gemeinsam mit dem "Ich" auf die Suche nach Worten für Gefühle, Gedanken zu machen, die wir – ich, der Leser, und das "Ich" des Textes – jeder für sich allein nicht finden würden. Erklärungen, Vorgefasstem, muss ich zwangsläufig misstrauen. Ich weiß, dass es sich hier "nur" um eine Schreibübung handelt, aber anscheinend steckt etwas in deinem Text, das mich zu diesem langen, wirren Kommentar bewegt hat; vielleicht ein Potential, das es auszuschöpfen gilt?

Gruß,
Klemens

P.S.: Grade fällt mir noch auf – hier:
Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Oben verrät die knarzende Diele, dass er aufgewacht war.

müsste mE "aufgewacht ist" stehen.


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PersonaGrata
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
P

Alter: 74
Beiträge: 21
Wohnort: Oberhausen


P
Beitrag24.05.2015 17:18
Realität?
von PersonaGrata
Antworten mit Zitat

Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
ohh  Realität???

Wenn es diese Frau wirklich geben würde, dann würde mir mein Interview wesentlich einfacher fallen Laughing
Wenigstens habe ich schon anhand von Durchschnittswerten und der Liste der beliebtesten Vornamen aus den jeweiligen Jahren ihr Aussehen und ihren Namen erfahren Sich kaputt lachen


Hallo Lilly, da hast Du mich offenbar falsch verstanden... Meine Aussage sollte nur verstärken, dass die Protagonistin Deiner Fantasie entsprungen und eben nicht real ist.


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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag24.05.2015 18:11

von Lilly_Winter
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo PersonaGrata,

ich habe dich richtig verstanden, entschuldige bitte, wenn das nicht so rüber gekommen ist ^^.
Das war eher ein persönlicher Ausruf, der wohl einfach mal raus musste, weil bisher jeder, dem ich den Text persönlich in die Hand gedrückt habe, als erstes gefragt hat, ob zwischen mir und meinem Mann alles in Ordnung sei (soviel zu der Meinung von Familie und Freunde Rolling Eyes ). Ich antworte immer mit einer Gegenfrage: "Wenn ich einen Mord beschrieben hätte, würdest du mich dann auch fragen, ob ich ihn tatsächlich begangen habe?"


Hallo Klemens,

es ist schön zu lesen, wenn jemandem ein Text gefällt, aber noch schöner ist es zu lesen, warum der Text bei jemandem nicht ankommt. Ich denke, das ist Sinn und Zweck einer Schreibübung. Dafür danke ich dir ^^
Ich möchte gar nicht näher auf die Punkte eingehen, da ich sie noch auf mich wirken lasse (positiv^^).

Zitat:
Ich weiß, dass es sich hier "nur" um eine Schreibübung handelt, aber anscheinend steckt etwas in deinem Text, das mich zu diesem langen, wirren Kommentar bewegt hat; vielleicht ein Potential, das es auszuschöpfen gilt?


Mit diesem Satz sprichst du mir aus der Seele Very Happy .
Es war anfangs wirklich nur eine Schreibübung. Ich hatte mir den Satz herausgesucht "Als ich aufwachte, war ich tot", weil mir sofort 1000 Dinge dazu eingefallen sind. Den tatsächlichen Tod zum Thema zu machen fand ich langweilig und entschied mich für den gefühlten Tod. Viele der Dinge fanden einfach ihren Weg in den Text, ohne dass ich groß darüber nachgedacht habe, einfach weil es passte.
Mittlerweile ist daraus tatsächlich ein kleines Projekt geworden, in dem ich mich mit aufgekommenen Fragen auseinandersetze: warum eigentlich?wer?wie?was?wieso?
Ich bin gerade dabei, meine eigenen Figuren kennenzulernen. Bisher habe ich noch keine Ahnung, was sich daraus entwickelt, eine abgewandelte Form des Textes, oder vielleicht was ganz anderes. Aber eines ist sicher, ich möchte keine schwarz-weiß Version, in der es einen Schuldigen gibt und ein Opfer (?).
Zur Zeit soll der Text so stehen bleiben, da ich auf diese Weise selbst bestimmte Dinge hinterfrage.
Aber, wie gesagt, ich weiß noch nicht, was daraus wird^^, aber diese Entstehung macht wirklich Spaß Very Happy Und vielleicht schaffe ich es dann auch, die anderen, von dir angesprochenen Dinge besser rüberzubringen, weniger erklärend ^^

Ich habe keine Ahnung, ob das für irgendjemanden Sinn macht Embarassed

lg Lilly


P.S.

Zitat:
P.S.: Grade fällt mir noch auf – hier:
Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Oben verrät die knarzende Diele, dass er aufgewacht war.

müsste mE "aufgewacht ist" stehen.


Dieser Satz hat mich auch beschäftigt. Ich habe "war" geschrieben, da das Knarzen der Diele bedeutet, dass er sich bereits im Zimmer bewegt, also aufgestanden ist, demnach liegt das "Aufwachen" doch in der Vergangenheit, oder?
Hmmmmm ...
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Yachen
Geschlecht:weiblichLeseratte
Y

Alter: 46
Beiträge: 187



Y
Beitrag24.05.2015 18:44

von Yachen
Antworten mit Zitat

Hallo,

ich möchte dir ausführlicher schreiben, weshalb mich der Text so ergriffen hat.

Der Text ist in meinen Augen eine Momentaufnahme in einer Beziehung. Es ist alles frisch: die Affäre, das Ultimatum, die Entscheidung. Das heißt ja nicht, dass sich die Figur nicht weiterentwickeln kann.

Im Text steht ja nicht, wie die Beziehung zum Ehemann ist. Hat sie auch noch Gefühle für ihn? Was haben sie erlebt? Welche Rolle spielt das Kind? Was beinhaltet das Ultimatum?

Objektiv lässt sich schon sagen, dass es natürlich eine fragwürdige Entscheidung ist, die sie getroffen hat. Aber ist sie endgültig? Bleibt sie tot (um im Thema zu bleiben)?

Ich kann das Gefühl, das Wohl des Kindes über das eigene Lebensglück zu stellen, sehr gut nachvollziehen. Ich bin mir sicher, dass viele Geschiedene mit Kindern mal an einem Punkt waren, an dem sie gedacht haben, dass man dem Kind zu Liebe zusammen bleiben sollte.

Aber ich verstehe den Text, wie gesagt, nicht als Lebensentscheidung, sondern als Phase, vielleicht den Anfang einer Trennung. Was für eine schreckliche Situation.

Ich hoffe, ich war jetzt nicht zu sülzig. Doch der Text ist für mich total stimmig. Wäre es der Anfang eines Romans, würde ich weiterlesen.

LG
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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag24.05.2015 19:25

von Lilly_Winter
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Yachen,

ich danke dir für deinen Kommentar.

Zitat:
Der Text ist in meinen Augen eine Momentaufnahme in einer Beziehung. Es ist alles frisch: die Affäre, das Ultimatum, die Entscheidung. Das heißt ja nicht, dass sich die Figur nicht weiterentwickeln kann.

Im Text steht ja nicht, wie die Beziehung zum Ehemann ist. Hat sie auch noch Gefühle für ihn? Was haben sie erlebt? Welche Rolle spielt das Kind? Was beinhaltet das Ultimatum?


Das sind Fragen, die mich zur Zeit beschäftigen. Ich weiß zur Zeit selbst nicht, was für ein Ultimatum der Ehemann gestellt hat Embarassed . Aber ich denke auch, dass sie ihn liebt. Ich denke, dass jeder, der einen Partner hat oder hatte, weiß ,dass der Alltag manchmal schwierig ist, gerade wenn man auch Kinder hat. Das Ultimatum sollte daher aus der eigenen Verletztheit entsprungen sein (vielleicht), weil man den Partner kennt, weiß, was ihn verletzt. Ich frage mich auch, wer der andere Mann ist, wo hat sie ihn kennengelernt.
Für Anregungen und hilfreiche Seiten im Netz, oder anderer Form bin ich sehr dankbar. Gerne auch als PN, damit dieser Thread nicht immer gleich nach oben rutscht ^^.
 Ich bin natürlich sehr dankbar, dass er Interesse weckt und für die ganzen Kommentare smile extra

lg Lilly
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag25.05.2015 13:52

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Ich habe keine Ahnung, ob das für irgendjemanden Sinn macht Embarassed


Also für mich schon. Und wenn diese Übung der Auftakt zu einem größeren Projekt ist, dann hat sie ihren Zweck doch erfüllt, würde ich sagen.

Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
P.S.

Zitat:
P.S.: Grade fällt mir noch auf – hier:
Lilly_Winter hat Folgendes geschrieben:
Oben verrät die knarzende Diele, dass er aufgewacht war.

müsste mE "aufgewacht ist" stehen.


Dieser Satz hat mich auch beschäftigt. Ich habe "war" geschrieben, da das Knarzen der Diele bedeutet, dass er sich bereits im Zimmer bewegt, also aufgestanden ist, demnach liegt das "Aufwachen" doch in der Vergangenheit, oder?
Hmmmmm ...


Nein, ich würde, sobald du im Präsens erzählst, für jede abgeschlossene Handlung das Perfekt wählen und nicht einmal dann das Plusquamperfekt bemühen, wenn du explizit einen Ablauf schildern würdest:
Zitat:
Oben verrät die knarzende Diele, dass er aufgestanden ist, nachdem er aufgewacht war.

Selbst das wirkt im Vergleich zu
Zitat:
Oben verrät die knarzende Diele, dass er aufgestanden ist, nachdem er aufgewacht ist

seltsam, finde ich, da wir zur Unterscheidung von gleichzeitigen und vorzeitigen Handlungen in der Regel nur zwei Zeitebenen verwenden und zudem das "nachdem" ja schon einen Ablauf signalisiert, den wir in deinem Beispielsatz einfach dazudenken können, denn es ist logisch, dass jemand aufwacht, bevor er aufsteht und sich durch das Knarzen der Diele verraten kann (Ausnahmefälle, etwa Schlafwandeln, müssten explizit im Text erwähnt sein).
Das PQP wird benutzt, wenn die Handlung im Präteritum steht, bspw.
Zitat:
Oben verriet die knarzende Diele, dass er aufgewacht war.

bzw.
Zitat:
Oben verriet die knarzende Diele, dass er aufgestanden war, nachdem er aufgewacht war.

So, wie es jetzt da steht, ist doch klar, dass das Knarzen der Diele eine Bewegung verrät, vor der zwangsläufig das Aufwachen liegt – zur Kennzeichnung dieser Vorzeitigkeit reicht das Perfekt absolut aus, während das PQP mE eher störend wirkt.


_________________
100% Fitte

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Lilly_Winter
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 43
Beiträge: 250
Wohnort: Dortmund


Beitrag25.05.2015 15:59

von Lilly_Winter
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ok, das leuchtet ein. Danke ^^

lg Lilly
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Yachen
Geschlecht:weiblichLeseratte
Y

Alter: 46
Beiträge: 187



Y
Beitrag25.05.2015 16:53

von Yachen
Antworten mit Zitat

Ich finde "aufgewacht ist" auch besser. Stell dir vor, du würdest es jemandem gerade tatsächlich laut erzählen. Da passt "Er war aufgewacht" nicht. Die Diele knarzt. Oh, er ist aufgewacht.

Ist mir vorher gar nicht aufgefallen.
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Ella_Cross Roter Teppich & Check-In 4 12.04.2024 21:33 Letzten Beitrag anzeigen

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