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Von Synapsen und Schaltkreisen


 
 
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MademoiselleCharlie
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 31



Beitrag26.04.2015 17:32
Von Synapsen und Schaltkreisen
von MademoiselleCharlie
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Herr Professor, nennen sie Dich hier. Hier, im Seniorenzentrum Weidenweg, diesem Neubau mit den langen weißen Gängen, deren spärliche Deko nicht über die eigentliche Trostlosigkeit des Ortes hinwegzutäuschen vermag. Es riecht nach Desinfektionsmittel und Verfall. Ein Umstand, an den ich mich bis heute nicht gewöhnen konnte, dabei ist mir der Weg seit nunmehr 2 Jahren vertraut. Sie haben Dich in Deinem Zimmer belassen, weil sie wussten, dass ich komme und weil sie meine Meinung kennen. Ich möchte mit Dir allein sein. Aus Prinzip. Es entspricht meiner Vorstellung von Würde die ohnehin so seltenen Stunden der Gemeinsamkeit nicht in der Öffentlichkeit dieses Pflegeheims zu zelebrieren. Sie wissen wann Du Deine Tabletten erhältst, wie viele Windeln Du verbrauchst und werden bei Deinem Tod zugegen sein – sie müssen nicht alles mitbekommen.

/

Du kanntest Deine Diagnose, lange bevor uns die ersten Veränderungen auch nur ansatzweise ins Bewusstsein drangen. Allerdings zogst Du es nicht in Erwägung, uns davon in Kenntnis zu setzen, sondern hülltest Dich in Schweigen, als ob durch Deine Ignoranz die Krankheit selbst wieder mundtot gemacht werden könnte.
Doch der Tag ist gekommen, an welchem der Rückgang mentaler Selbstverständlichkeiten nicht länger einer schlechten Tagesform zugeschrieben werden kann. Ein zu viel an geistigen Defiziten hat sich in Deinem alltäglichen Leben etabliert. Du bist nicht mehr der Alte, Du bist alt geworden – so zumindest erkläre ich mir jenen subtilen Wechsel, der sich immer deutlicher zeigt. Allen voran jene nie dagewesene Unruhe.
Permanent bist Du auf der Suche nach Tassen und Kugelschreibern, nach Worten, Erinnerungen und Gedankenfetzen. Wanderst Du im ersten Moment noch haltlos durch das Wohnzimmer, stehst Du im nächsten schon reglos da, eine Hand an die in Falten gezogene Stirn gepresst, von einem umherschweifenden Blick begleitet.
"Was wollte ich denn gerade?", murmelst Du mehrfach vor Dich hin, bevor Du mit einem dahin geworfenen "Ach!" resignierst und Dich stattdessen einer anderen Tätigkeit zuwendest, mich zu fragen, wo genau ich jetzt studiere zum Beispiel. Eine Frage, die Du mir heute bereits zum 3. Mal gestellt hast.
Am Nachmittag sitzen wir auf der Bank hinter dem Haus.
Und ich rede und rede, erzähle Dir von meinem Studentenwohnheim und den Professoren und dem schrecklichen Mensa-Essen. Und Du nickst und nickst und mich überkommt der Verdacht, dass Du mir gar nicht richtig zuhörst. Du siehst zu Deinen Apfelbäumen hin und scheinst noch weiter weg. Von Deinem roten Pullover geht ein Geruch aus, als ob Du ihn seit Tagen nicht gewechselt hättest.

Der kleine Eigenbau stammte noch aus DDR-Zeiten. Ein gerade mal 15 qm großer Raum, in dem es nach Kühlmittel und Schmierfett roch und in welchem Du keinen Zentimeter hattest ungenutzt gelassen. Über den Werkbänken, unter denen Kompressor und Schweißgerät verstaut waren, befanden sich die obligatorischen Zangen, Schraubenzieher und Maulschlüssel, angeordnet in Reih und Glied an einer Stahlblechwand. Gleich daneben: Ein Prüftisch, dessen untere Schubladen bunte Kabel und Bausätze beherbergten und der den Abschluss des Reigens bildete, welcher sich um den großen Arbeitstisch in der Mitte rankte, auf dem sich die größte Auswahl an Oszilloskopen, Frequenzzählern, Generatoren und Messgeräten befand, die ich bis heute gesehen habe.

Bei meinem nächsten Besuch haben sich hunderte Zettelchen in Deinem Haus eingefunden. Sie kleben an Türen, Spiegeln und dem Kühlschrank. Augenscheinlich wirr zusammengesetzte Satzfragmente, die Dich jedoch an das Wesentliche einer Tagesstruktur erinnern sollen. Es sind die letzten, verzweifelten Kämpfe einer bereits verlorenen Schlacht. Irgendwo musst Du gelesen haben, dass geistige Aktivität die Symptome wenigstens ansatzweise zurückdrängen kann; Auf dem Wohnzimmertisch stapeln sich Kreuzworträtsel und Sudokuhefte, für die Dir Deine Zeit immer viel zu schade gewesen ist.
Später beim Kohlrouladen-Essen, in Mutters Haus, möchtest Du Dich wie gewohnt nützlich machen. Du nimmst die Glasflasche auf, und hältst mitten in der Bewegung inne.
"Was wollte ich denn jetzt?", fragst Du zerstreut.
"Du wolltest uns etwas zu trinken eingießen.", antworte ich schnell.
"Ja, aber ... Wie denn?"
Dein hilfloser Blick fällt auf die Flasche in der Hand. Dir will nicht mehr einfallen, wie ein Schraubverschluss funktioniert.

Es gab keinen Ort, an dem ich lieber war, vermittelte mir dieser doch stets das Gefühl von der rauen Welt abgeschottet und in Sicherheit zu sein. Seit meinem ersten Betreten im Alter von vier Jahren stellte ich Fragen. Und ich hörte nicht damit auf, offenbarten mir Deine Antworten doch Dimensionen der Wirklichkeit, die mir bis dahin verborgen geblieben waren. Deine Schilderungen über elektrische Felder, Magnetismus, Spannungs- und Stromarten versetzten mich in ungeahntes Erstaunen, zumal sich alles beweisen ließ. Du hattest Deine Freude daran, mich mittels simpler Experimente in Sprachlosigkeit zu versetzen. Und natürlich war ich nicht lange fähig dabei untätig herumzustehen.

Wenn man einen solch persönlichkeitsentstellenden Krankheitsverlauf mehr oder weniger bewusst mitbekommt, ist es schwer nicht mit Wut oder Depression zu reagieren. Kein Telefonat, das nicht von einem Streit zwischen Dir und Mama kündet. Aufgebracht berichtet sie mir von Deinen Aggressionen, die neuerdings selbst mit dem kleinsten Aufeinandertreffen einhergehen.
"Ich wollte ihm nur ein bisschen helfen.", schimpft sie. "Aber er schmeißt mich einfach achtkantig aus der Wohnung raus, ich solle aus seinem Leben verschwinden, mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern." Ich bin kaum imstande sie zu beruhigen.

Ich hantierte mit Dioden, Transistoren, Widerständen und Kondensatoren, lange bevor der Physikunterricht in meinem Schulalltag Einzug erhielt. Im Alter von 9 Jahren baute ich meinen ersten Schaltkreis zusammen und bald war ich versiert genug, Dich bei den Reparaturen zu unterstützen, die Du für die Leute aus dem Dorf erledigtest.
 
Als mich Mama an meinem 20. Geburtstag anruft, muss ich ihr erzählen, dass ich keine Karte von Dir erhalten habe. Daraufhin bricht sie in Tränen aus. Sie ist mit Dir beim Arzt gewesen. Bei Dr. Schuhmacher, der sie auf ihren 10-Minütigen Monolog hin ganz verwirrt angesehen hatte.
"Die Diagnose habe ich Ihrem Vater doch schon vor zwei Jahren gestellt.", hatte er gesagt und einen dieser stillen Momente eingeleitet, in denen man meint, die Erdrotation sei für einen Augenblick zum Erliegen gekommen. Nun erklären sich auch Deine Wutausbrüche und dass sie vor allem eins gewesen sind, nämlich Ausdruck Deiner Hilflosigkeit. Du schämst Dich, das ist doch nur verständlich. Warum muss so etwas auch gerade Dir passieren? Einem Professor der Physik, der in Moskau studiert und in Greifswald gelehrt hatte.

"Es gibt kaum etwas beeindruckenderes, als die Elektrizität.", sagtest Du. "Sie selbst können wir nicht sehen, ihre Wirkung dafür umso mehr. Was hat sie unsere Welt doch bereichert ..."
Du sprachst immer so zärtlich von ihr, wie von einer fernen Geliebten.
Wie konnte Deine Faszination nicht auf mich übergehen?


Das Brutalste an der Alzheimer-Krankheit ist wohl die Tatsache, dass das Wissen um dieselbe keinen Einfluss auf deren endgültigen Verlauf hat. Die Lebensuhr wird gnadenlos zurückgedreht. Man wird wieder zum Kind, zum Säugling. Alles was man sich in den vergangen Jahren angeeignet hat – Sprache, Handlungsabläufe, Problemlösefähigkeiten – geht verloren. Und das nur aufgrund eines Ungleichgewichts im Gehirn, das die Synapsen und damit die Verbindungen zwischen den Neuronen zerstört, womit nicht länger auf gespeicherte Inhalte zugegriffen werden kann. Die Folge ist das Ausschalten ganzer Hirnareale.
So schreiten auch bei Dir die Ausfälle unerbittlich voran.
Vor der Sparkasse, unter der Spätsommersonne, hältst Du Deinen Kontoauszug in den fahrigen Händen, und bist außerstande zu begreifen was die Druckerschwärze Dir zu erkennen geben will. Wir indes sehen ganz genau, dass Du mit 1000 Euro im Rückstand bist. Du hast Dir vor 3 Tagen alles und noch mehr auszahlen lassen.
Mutter übernimmt daraufhin die Vermögenssorge und engagiert eine Pflege. Ab sofort bekommst Du zwei Mal am Tag Besuch. Olga und Anne, die Dich waschen und Dir beim Anziehen helfen, die Knöpfe an Deinem Hemd verschließen und die Schnürsenkel binden, die dafür sorgen, dass Du Deine Medikamente nimmst und einkaufen gehen.
Wir wissen alle, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Du in eine stationäre Pflegeeinrichtung wechselst. Häusliche Pflege hat ihre Grenzen und Deine Selbstständigkeit nimmt kontinuierlich ab.

Ich wünschte mir nicht länger Puppen zu Weihnachten, sondern Elektrik-Spielkästen und Physikbücher. Nach und nach erweiterte ich meinen Wortschatz um Begrifflichkeiten wie Induktion, Ohmsches Gesetz und Kirchhoffsche Regeln. Ich umgab mich mit den Hochbegabten der Schule und war sogar einmal bei "Jugend forscht" dabei. Kurzum: Ich fand meine Passion und Lebensaufgabe. Dank Dir.

Meine Mutter bringt in dieser Zeit eine Geduld auf, wie ich sie mir in meiner Kindheit immer gewünscht habe. Sie ist sogar bereit sich mit den Nachbarn anzulegen, in deren Gärten Du wiederholt strandest, wenn Du auf Deinen abendlichen Spaziergängen verloren gehst. Doch nachdem sie Kot in Deiner Nachttischschublade findet, kapituliert auch sie.
Ich bin nicht dabei, als sie Dich in Dein neues Zuhause bringt, aber später erzählt sie, wie sehr Du Dich gegen die Aufnahme gesträubt und wie Du geweint hättest, herzzerreißend, wie ein kleines Kind. Du kannst nicht verstehen, warum Du plötzlich aus Deiner gewohnten Umgebung gerissen wurdest, aber Du bist Dir ganz sicher: Morgen holen wir Dich wieder ab.

/

Ich klopfe an die Tür mit der Nummer 216 und trete ein.
Du sitzt in Deinem grünen Ohrensessel, den Du damals freundlicherweise mitnehmen durftest. Es ist derselbe Sessel, in dem Du mir noch vor 15 Jahren Geschichten vorgelesen hast.  
Die Schwestern sagen, Du sprichst seit 3 Wochen kaum noch ein Wort. Auch die Hand-Mund-Koordination funktioniert nicht mehr richtig, weswegen sie dazu übergegangen sind, Dich zu füttern.
Ich rede mit Dir, selbst wenn Du auf Ansprache so gut wie gar nicht mehr reagierst, erzähle Dir von meinem Studium der Elektrotechnik und dass ich mittlerweile die einzige Frau in meinem Semester bin, weil alle anderen geschmissen haben.
"Ach Opalein, was wäre ich nur ohne Dich geworden?"
Deine Augäpfel rollen zu mir hin. Ich sehe Deine Mundwinkel zucken.
Es sollte das letzte Mal sein.

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Jack Burns
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 54
Beiträge: 1444



Beitrag26.04.2015 21:05

von Jack Burns
Antworten mit Zitat

Hallo Madmosell
Zu Deiner Geschichte kann ich nur sagen, dass ich sie als rundum gelungen betrachte.
Die kühle, fast analysierend wirkende Sprache ist sehr gut geeignet, dieses Thema zu transportieren. Gerade dadurch bin ich, als Leser, dazu bereit, mich emotional darauf einzulassen.
Sehr positiv ist mir an einigen Stellen aufgefallen, dass Du die Kunst beherrschst, längere Sätze zu konstruieren, die stimmig und leicht zu verfolgen bleiben. Das fällt vielen Autoren schwer.
Für mich bräuchte es die Erklärungen zur Krankheit nicht. Spannender finde ich den Umgang der Betroffenen mit der Situation. Und da bleibt mir die Motivation des Opas, die Diagnose zu verschweigen, zu blass.
Ein sehr (sehr) guter Einstand.

Zitat:
Herr Professor, nennen sie Dich hier.

Ich hatte den Eindruck es handelte sich um einen, gutmütig verliehenen Spitznamen, bis ich verstand, dass er wirklich Professor war. Also nennen sie ihn sicher nicht nur "hier" Professor.

Zitat:
Doch der Tag ist gekommen,
Der Opa ist schon zwei Jahre im Heim also liegt dieser Tag schon eine Weile zurück, wenn ich recht verstehe. "Der Tag kam..."

Zitat:
Es sollte das letzte Mal sein.

Vielleicht benutzt Du hier die Vergangenheit bewusst als Stilmittel.(?) Jedenfalls ist es, streng genommen, nicht ganz korrekt.

Grüße
Martin


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Papa Schlumpf
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 64
Beiträge: 373
Wohnort: Friedersdorf


Beitrag27.04.2015 12:45

von Papa Schlumpf
Antworten mit Zitat

Hallo, Fräulein, und herzlich willkommen, nachträglich.
Du steigst hier mit einem sehr interessanten und recht sorgfältig gearbeiteten Stück ein, Glückwunsch!
Trotzdem fielen mir ein paar Kleinigkeiten auf. Weil Prof. ein Titel ist wird er auf Lebenszeit verliehen, nach der Emeritierung nur durch das "em." ergänzt. Also wird man den Mann gewöhnlich "Professor" nennen. Damit bilden sich unversehens hinter dem ersten "hier" Schwärme von Fragezeichen. Den Sinnzusammenhang berücksichtigend sollte der Titel unbedingt in Anführungszeichen, dadurch könntest Du auf das unmotivierte Komma verzichten. Bleibt: "Herr Professor" nannten sie dich. Den nächsten Satz könnte man mit "Auch" beginnen, um die Gewichtung ein wenig zu schieben, muss aber nicht.
Manchmal stören Füllsel den Lesefluss.
Zitat:
dabei ist mir der Weg seit nunmehr 2 Jahren vertraut.
Brauchst Du es? Was verlörest Du mit dem nunmehr? Ich hänge bisweilen antiquierterer Formulierung an, zugegeben, da stören solche Wörtchen. Aber das kann durchaus mit persönlichen Vorlieben zusammenhängen.
Das "belassen" im nächsten Satz lässt tief blicken. Entweder auf die sagenhaft schlechte Qualität der Betreuung in diesem Heim oder aber Deine Geringschätzung für die schwere Arbeit der Pflegekräfte. Man belässt Objekte, Gegenstände an ihrem Platz. Den hilflosen Menschen platzierten die Pfleger vielleicht in seinen Sessel in seinem Zimmer, oder sie führten ihn nicht zu den anderen in die Halle, weil (Du) dich ansagtest.
Mal was ganz anderes: hier fehlt ein Komma.  
Zitat:
Es entspricht meiner Vorstellung von Würde (Komma) die ohnehin so seltenen Stunden der Gemeinsamkeit nicht in der Öffentlichkeit dieses Pflegeheims zu zelebrieren.
Das ist nicht nur ein Imz, sondern zwei ganze Sätze.
Es gibt da ein paar Sachen, die ich überhaupt nicht gut leiden kann. Hilfsverben und unnötige dieses und welches. Beides benötigt eine gute Motivation, um im Text Berechtigung zu erlangen. Hier:
Zitat:
Doch der Tag ist gekommen, an welchem
fehlt sie.
Ein
Zitat:
zu viel
wird zusammen und groß geschrieben.
Ich fand noch mehrere solcher unwesentlicher Kleinigkeiten beim Erstlesen, beim Zweiten verstecken sie sich besser, deshalb will ich nicht weiter nerven, zumal auch ich nicht als Duden in Person durch die Gegend ziehe, mir geht etliches durch die Lappen.
Deinen Text sehe ich als sehr mutigen Versuch, sich diesem Thema zu nähern. Als recht gelungenen Versuch. Was die Aufmerksamkeit vom Thema ablenkt ist die unterschwellige Frage, die bis auf die letzten Zeilen offen gehalten wird, in welchem Verhältnis (Du) zum Patienten stehst. Da lässt Du viele Varianten zu. Mitunter verirrst Du Dich in den Zeitformen:
Zitat:
wenn Du auf Deinen abendlichen Spaziergängen verloren gehst.
gehört in die Vergangenheit, seit zwei Jahren. gingst.
Was die Werk- und Messzeuge angeht befiel mich eine große Unsicherheit bezüglich der korrekten Bezeichnungen (die ein Physik-Prof. definitiv benutzt), Auch bezweifle ich, dass jemand ohne ein größeres Speziallabor mit Flusssäure arbeitet, eine Grundvoraussetzung, um einen Schaltkreis zu bauen. Da können wir nochmal drüber reden.
Vielleicht konnte ich helfen, was nicht hilft vertrau getrost der Tonne an.
Also, tolles Thema, tolle Umsetzung, lediglich ein paar wenige Details ...
Und, man liest sich.
P. S.


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Hardcase
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 19
Wohnort: NRW
Ei 9


Beitrag27.04.2015 16:06

von Hardcase
Antworten mit Zitat

Hallo Mademoiselle Charlie,

mir hat dein Text gut gefallen. Der unaufgeregte Stil trifft für mich genau den richtigen Ton und transportiert die traurige Atmosphäre sehr gut - ich kann mich in diese Enkelin hineinversetzen, die hier den Verfall ihres Opas miterleben muss. Die Sprünge zurück in die Zeit, als der Opa noch er selbst war und ihr seine Faszination für die Physik weitergeben konnte, finde ich toll!

Anmerkungen habe ich nur wenige. Ich würde vielleicht ein wenig die Distanz reduzieren, mit der der Text "erzählt wird" - du verwendest häufiger reflexive Verben, deswegen liest sich das Ganze stellenweise leicht gestelzt und ich als Leser fühle mich dabei ein wenig auf Abstand gelassen. So was zum Beispiel:
Zitat:
Ein zu viel an geistigen Defiziten hat sich in Deinem alltäglichen Leben etabliert.

Zitat:
Bei meinem nächsten Besuch haben sich hunderte Zettelchen in Deinem Haus eingefunden.

Das kann auch persönliche Vorliebe sein, vielleicht hast du genau diese Distanz bezwecken wollen - mir würden solche Stellen etwas "direkter" formuliert besser gefallen, glaube ich.

Was mir häufiger aufgefallen ist: Bei wörtlicher Rede mit Beisatz verlieren Aussagesätze ihren Punkt. Sprich:
Zitat:
"Du wolltest uns etwas zu trinken eingießen.", antworte ich schnell.

Das wird zu: "Du wolltest uns etwas zu trinken eingießen", antworte ich schnell.

Und ich schließe mich Jack an: Die Erläuterungen zur Krankheit brauche auch ich nicht. Ich persönlich würde den Abschnitt darüber wohl rauslöschen und den Absatz mit der Sparkasse starten lassen.

Insgesamt eine schöne, wenn auch traurige Geschichte. Ich freu mich auf mehr von dir!

Liebe Grüße
Hardcase


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MademoiselleCharlie
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 31



Beitrag27.04.2015 17:09

von MademoiselleCharlie
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Wow, habt vielen Dank für euer Feedback! Ich kann damit richtig was anfangen und werde mich die nächsten Tage nochmal ransetzen, um die Verbesserungsvorschläge einzuarbeiten.

Ich denke auch, dass ich in Zukunft besser auf meine Wortwahl achten sollte (Sprich: Reflexive Verben, unnötige Füllwörter, allg. Wörter die nur benutzt werden, um eloquent zu wirken)

Falls es von Interesse ist:
Den Text habe ich ursprünglich für einen Wettbewerb zum Thema "Rückwärts" geschrieben, darum musste ich ihn stark einschränken, weil nur eine Wortanzahl von insgesamt 1600 erlaubt waren.

Wie dem auch sei, ich wünsche euch noch einen schönen Montag!

Charlie
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 941
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Der silberne Roboter


Beitrag27.04.2015 18:04
Schön
von Christof Lais Sperl
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Wie du die Geschichte entwickelst. Gute, kraftvolle Sprache. Allerdings ein Tipp: lies dir die Story selber laut vor. Dann kommt du auf ein paar rhythmische Schwierigkeiten.
Und: redest du wirklich mit dem Mann, oder beschreibst du einen Gedankenstrom? Gern gelesen, cls


_________________
Lais
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Jack Burns
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 54
Beiträge: 1444



Beitrag27.04.2015 23:04

von Jack Burns
Antworten mit Zitat

Hallo MademoiselleCharlie,

ich klinke mich noch mal kurz ein.
Normalerweise stört es mich, wenn diese gestelzte Ausdrucksweise als Selbstzweck, also um eloquent zu wirken, verwendet wird. In Deinem Text empfand ich sie als passend, da ein älterer Herrn, Professor gar, im Mittelpunkt steht. Natürlich kann man immer noch Einiges kürzen. Aber hier sehe ich es nicht als dringlich an.

Grüße
Martin


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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag28.04.2015 02:40

von Constantine
Antworten mit Zitat

Hallo MademoiselleCharlie,

willkommen im Forum und danke für deinen feinen Einstand. Insgesamt gefällt mir deine Kurzgeschichte. Sprachlich und von den Bildern her hast du den von deiner Protagonistin beobachteten Wandel des Großvaters gut eingefangen und wie sie von ihm in die Physik und die Grundlagen der E-Lehre geführt worden ist. Deine Titelwahl gefällt mir und passt gut zum Gesamtbild und Ton deiner Geschichte.

Du hast bereits einige hilfreiche Anmerkungen erhalten. Insofern nur einige kleine Anmerkungen von mir:

Auch ich finde gleich zu Beginn
Zitat:
Herr Professor, nennen sie Dich hier.

könntest du auf das "hier" verzichten. Er ist wirklich Professor gewesen und im Gesamtkontext passt es, dass er so im Seniorenzentrum genannt wird, dennoch schwingt für mich mit dem "hier" und dem Folgesatz eine Art Spitzname mit, der in diesem Sinne vielleicht nicht gemeint ist.


- Es ist kein muss, aber da du einen erzählenden Text geschrieben hast, würde ich alle Zahlen ausschreiben. Anstelle
Zitat:
Ein Umstand, an den ich mich bis heute nicht gewöhnen konnte, dabei ist mir der Weg seit nunmehr 2 Jahren vertraut.

dann
Zitat:
Ein Umstand, an den ich mich bis heute nicht gewöhnen konnte, dabei ist mir der Weg seit nunmehr zwei Jahren vertraut.


oder
Zitat:
Wir indes sehen ganz genau, dass Du mit 1000 Euro <-- hier ist sowohl "1000 Euro", als auch "tausend Euro" möglich im Rückstand bist. Du hast Dir vor 3 Tagen alles und noch mehr auszahlen lassen.

in
Zitat:
Wir indes sehen ganz genau, dass Du mit tausend Euro im Rückstand bist. Du hast Dir vor drei Tagen alles und noch mehr auszahlen lassen.


- An dem ein oder anderen Satz fehlt mindestens ein Komma, z.B.:
Zitat:
Herr Professor, nennen sie Dich hier. Hier, im Seniorenzentrum Weidenweg, diesem Neubau mit den langen weißen Gängen, deren spärliche Deko nicht über die eigentliche Trostlosigkeit des Ortes hinwegzutäuschen vermag. Es riecht nach Desinfektionsmittel und Verfall. Ein Umstand, an den ich mich bis heute nicht gewöhnen konnte, dabei ist mir der Weg seit nunmehr 2 Jahren vertraut. Sie haben Dich in Deinem Zimmer belassen, weil sie wussten, dass ich komme und weil sie meine Meinung kennen. Ich möchte mit Dir allein sein. Aus Prinzip. Es entspricht meiner Vorstellung von Würde(Komma) die ohnehin so seltenen Stunden der Gemeinsamkeit nicht in der Öffentlichkeit dieses Pflegeheims zu zelebrieren. Sie wissen(Komma) wann Du Deine Tabletten erhältst, wie viele Windeln Du verbrauchst(Komma) und werden bei Deinem Tod zugegen sein – sie müssen nicht alles mitbekommen.



- Warum die Großschreibung der Pronomen?
Z.B.:
Zitat:
Du kanntest Deine Diagnose, lange bevor uns die ersten Veränderungen auch nur ansatzweise ins Bewusstsein drangen. Allerdings zogst Du es nicht in Erwägung, uns davon in Kenntnis zu setzen, sondern hülltest Dich in Schweigen, als ob durch Deine Ignoranz die Krankheit selbst wieder mundtot gemacht werden könnte.


- Warum verwendest du in der langen, nicht kursiven Rückblende meist das Präsens anstelle Präteritum? Es liegt Jahre, Monate, Wochen zurück, was darin beschrieben wird und für mich passt das gewählte Präsens der Rückblende nicht zum gegenwärtigen Rahmen der Geschichte, der Besuch der Enkelin beim Großvater im Seniorenzentrum.
Dennoch gefällt mir der geschickte Einsatz der zeitlichen Einordnung, dass es sich hierbei um Vergangenes handelt.
Z.B.:
Zitat:
Meine Mutter bringt in dieser Zeit eine Geduld auf, wie ich sie mir in meiner Kindheit immer gewünscht habe. Sie ist sogar bereit sich mit den Nachbarn anzulegen, in deren Gärten Du wiederholt strandest, wenn Du auf Deinen abendlichen Spaziergängen verloren gehst. Doch nachdem sie Kot in Deiner Nachttischschublade findet, kapituliert auch sie.
Ich bin nicht dabei, als sie Dich in Dein neues Zuhause bringt, aber später erzählt sie, wie sehr Du Dich gegen die Aufnahme gesträubt und wie Du geweint hättest, herzzerreißend, wie ein kleines Kind. Du kannst nicht verstehen, warum Du plötzlich aus Deiner gewohnten Umgebung gerissen wurdest, aber Du bist Dir ganz sicher: Morgen holen wir Dich wieder ab.



Zitat:
Doch der Tag ist gekommen <-- hier würde ich "kam" verwenden , an welchem der Rückgang mentaler Selbstverständlichkeiten nicht länger einer schlechten Tagesform zugeschrieben werden kann konnte.



Die Rahmenhandlung spielt in der Gegenwart.
Warum dieser Schlusssatz mit der mMn unpassend verwendeten Zeitform?
Zitat:
Es sollte das letzte Mal sein.



Vielleicht ist etwas Hilfreiches unter meinen Anmerkungen für dich dabei.
Insgesamt eine flüssig geschriebene Geschichte, die ich sehr gerne gelesen habe.

LG,
Constantine
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MademoiselleCharlie
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 31



Beitrag28.04.2015 13:34

von MademoiselleCharlie
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Danke Constantine für Deine Anmerkungen. Auch sie lasse ich gern mit einfließen.

Ich denke bei den Zeitformen habe ich wirklich etwas geschludert.

Dass ich Pronomen groß schreibe ist so eine Angewohnheit von mir, die mir mein Vater beigebracht hat. Wobei mir gerade einfällt: Das Gespräch damals drehte sich um Anredem in Briefschreiben - sollte ich also nochmal drüber nachdenken. Rolling Eyes Rolling Eyes Rolling Eyes

Liebste Grüße!


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Epiklord
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E


Beiträge: 11



E
Beitrag17.05.2015 14:29

von Epiklord
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Liebe Charlie,

ich bin eigentlich kein Leser von Belletristik, außer hier in den Foren und da ja nicht zum Vergnügen. Ich lege besonderen Wert auf die Sprache. Das heißt, während des Lesevorgangs muss ich Lust empfinden, und deine reiche Sprache erfüllt sie mir. Für mich ist es eher nebensächlich, ob ein Text einen Impuls zum Nachdenken bei mir hinterlässt, da diese empfundene Tiefe, wenn man sie konkret formuliert, meist eine Binsenwahrheit ist. Es gibt in der Literatur eben keine Einsteins. Eine Metaebene aber im allgemeinen empfinde ich natürlich auch reizvoll.

Ich habe deinen Text gestern spät gelesen und nicht bis zu Ende. Werde ich aber noch nachholen. Aber wie gesagt, für mich ist die Sprache wichtig und ich hätte nichts gegen Texte, bei der man sich an beliebigen Stellen einklicken könnte.

LG Epiklord
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