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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Postkartenprosa 03/2015
Fünf Minuten Ewigkeit im Jahr 1929

 
 
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Lorraine
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 648
Wohnort: France
Das goldene Stundenglas Ei 10
Lezepo 2017 Pokapro 2016


Beitrag14.03.2015 06:31

von Lorraine
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Zwölf.
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rieka
Geschlecht:weiblichSucher und Seiteneinsteiger


Beiträge: 816



Beitrag14.03.2015 14:42

von rieka
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Aus Mangel an Erfahrung werde ich mich beim Kommentieren auf wenige Punkte beschränken:
Das Motiv ‚Spirale‘ ist durch die Treppe und metaphorisch durch das philosophische Betrachten eines Lebens im Text integriert.
Eine nachdenkliche, etwas schwermütige Liebesgeschichte, die mir gefällt. Mich würde interessieren, aus welchem Grund sie in das Jahr 1929 gelegt worden ist. Ist es der Stimmung wegen?
Sehr schöne Sprache, sinnlich gemalte Bilder des Umfeldes.
Weitgehend übersichtlicher Handlungsstrang. Weitgehend deswegen, weil mir an einer Stelle erst nach nochmaligem Nachlesen klar wurde, dass das „Noch nicht“ sich auf das ‚alt-sein‘ bezieht.
Zitat:
….im Morgengrauen von Wismar nach Berlin. Unsere Familien könnten uns nichts verbieten.  
Noch nicht, bestätigt Judith, aber wir werden es werden, zusammen, und sie legt ihren….

Allerdings stört es dann nicht mehr und ich vermute, dass das so gewollt ist. Schließlich spricht man ja auch so.
Fehler habe ich keinen gefunden.
Der Text gehört zu meinen Favoriten.
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Mermaid
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 143

Pokapro 2015


Beitrag14.03.2015 18:25

von Mermaid
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Die Stimmung ist wunderbar eingefangen. Ich kann es sehen, riechen, fühlen. „ […] gefressen wird von unsichtbaren Schichten aus Bohnerwachs, gekochtem Kohl und stumpfer Abgestandenheit […]“ – das finde ich richtig gut. Der Schreibstil ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack, meiner ist er auf jeden Fall. Das Thema ist für mich sehr gut getroffen. Das Lauernde macht die Sache spannend.

Mein Favorit in diesem Wettbewerb, von mir 12 Punkte.
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shatgloom
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 372
NaNoWriMo: 27985
Wohnort: ja, gelegentlich


Beitrag15.03.2015 14:20

von shatgloom
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Bei diesem Text mag ich die Sprache, die langen ausführlichen Sätze am Anfang. Auch wenn ich sonst so lange Sätze nicht mag, hier passen sie zur Zeit.  
Was ich nicht so mag, ist, dass ich die Geschichte nicht so richtig verstehe, nicht ganz fassen kann, worum es hier geht. Das Leben?
Hier habe ich mit der Bewertung ziemliche Probleme.
Ein ruhiger, eindringlicher Text, der hängen bleibt.
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Piratin
Geschlecht:weiblichExposéadler

Alter: 58
Beiträge: 2186
Wohnort: Mallorca
Ei 2


Beitrag15.03.2015 16:59

von Piratin
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Hallo Inko,
dies ist ein Text, zu dem ich trotz mehrmaligen Lesens keinen wirklichen Zugang finde. Vielleicht hätten einige Anführungszeichen der wörtlichen Rede geholfen, um diese von der indirekten abzugrenzen, und überlange Sätze tragen auch leider nicht zum Verständnis des Textes bei.
Leider keine Punkte,
Sorry,
Piratin


_________________
Das größte Hobby des Autors ist, neben dem Schreiben, das Lesen.
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Nihil
{ }

Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag18.03.2015 16:15

von Nihil
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Hallo Unbekannt,
das ist so ungefähr der einzige Text, der durch sprachliche Andersartigkeit (positiv) auffällt und einer der wenigen, wo ich mir von Anfang an relativ sicher war, viele Punkte vergeben zu werden.
Zitat:
das milchige Licht, das sich durch die rußigen Dachfenster müht und auf dem Weg nach unten gefressen wird von unsichtbaren Schichten aus Bohnerwachs, gekochtem Kohl und stumpfer Abgestandenheit.
Bei weitem nicht die schönste Atmosphäre für fünf Minuten Ewigkeit, aber eine tolle Beschreibung. Das einzige, womit ich mich nicht anfreunden kann, ist die Treppe als Symbol. Dass man gerade auf einer Treppe, die zwei Ebenen miteinander verbindet, nicht vorankommt, kann ich nicht nachvollziehen. Wäre die Konkretisierung im Text nicht gewesen, hätte ich ja sogar noch daran gedacht, nicht vom Objekt, sondern vom „Erlebnis“ Treppe auszugehen, wie die beiden da so warten und nichts geht weiter. Das passt für mich einfach nicht. Die Wendung am Ende ist hingegen wieder gut gelungen, spröde, nicht kitschige Romantik.
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Gießkanne
Geschlecht:weiblichVolle Kanne ungeduldig

Alter: 21
Beiträge: 655
Wohnort: Nicht mehr in deiner Welt


Beitrag18.03.2015 18:38

von Gießkanne
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Hallo, lieber Mensch dort draußen, der leider nicht sieht, wie ich mir mit dem Handrücken über die Stirn wische und lächle, ihn ansehe und sage: "Hallo, lieber Mensch dieses Textes, hallo. Bitte lobe mich, dass ich bis hierhin gekommen bin und versuche, jeden Einzelnen zu kommentieren, obwohl ich bei manchen überhaupt nicht weiß, was ich schreiben soll."!

Ich finde deinen Text ganz gut, weil dein Stil ein sehr Schöner ist. Was mir nicht so gut gefallen hat, sind lange Sätze, bei denen ich lese und lese und mich fühle, als würde ich in einem Strudel versinken, während ich immer noch auf den rettenden Punkt warte, die rettende Nußschale von Kapt'n Blaubär.
Was ich mir noch gewünscht hätte ist, dass du PUNKTE setzt. Das war's aber auch schon.
Besondere Beobachtungen:/

LG Gießkanne


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Die Schlacke einer verbrannten Liebe im Hochofen des Herzens ist ein Nebenprodukt, das man so schnell leider nicht loswird.
Mogmeier
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fancy
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Beiträge: 2758
Wohnort: Im sonnigen Süden


Beitrag19.03.2015 11:47

von fancy
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Hallo (wahrscheinlich Elian),

ich denke, du willst auf den aufkommenden Nationalsozialismus hinweisen.
Für mich handelt es sich hierbei nicht um eine Kurzgeschichte. Es ist mehr eine Momentaufnahme. Und die fesselt mich nicht. Ich hatte ursprünglich nicht vor, hier einen Kommentar zu hinterlassen, aber da ich unerwartet mehr Zeit habe, mach ich es nun doch.

Das einzige, was mich hier anspricht, sind die Sätze, die sich wie Spiralen durch die Gegend schrauben.

Andere sehen das sicher anders und ich denke, du hast auch ohne mich ein Publikum.

Liebe Grüße

fancy


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Don't start doing things, just do them. Fang nicht an, Dinge zu tun, tu sie einfach! (Me)
Wer wenig denkt, irrt viel (Leonardo da Vinci)
Meinungsverschiedenheiten über ein Kunstwerk beweisen, dass das Werk neu, komplex und lebenswichtig ist. (Oscar Wilde)
Wenn Kritiker uneins sind, befindet sich der Künstler im Einklang mit sich selbst. (Oscar Wilde)

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adelbo
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1830
Wohnort: Im heiligen Hafen


Beitrag19.03.2015 22:37

von adelbo
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Gut geschriebener Text, mit schönen Bildern. Eher eine Szene, als eine Geschichte, muss auch für mich nicht unbedingt sein. Mir gefällt die Sprache.

_________________
„Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.“

Bertrand Russell
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Ithanea
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 34
Beiträge: 1062

Ei 3 Pokapro 2017


Beitrag20.03.2015 16:13

von Ithanea
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Sehr schöne Geschichte.
Sprachlich gefällt mir das total gut, nur der "bösartige Dämon" passt mir nicht rein, klingt oberflächlich, wie ein im Reflex benutzter Begriff, der aber nicht extra für diese Stelle gewählt wurde. Kann mich auch täuschen.
Leben als Treppe, die man lange hinaufgeht ohne sicht fortzubewegen, mag ich auch gerne.


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Verschrieben. Verzettelt.
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Mardii
Stiefmütterle

Alter: 64
Beiträge: 1774



Beitrag20.03.2015 16:20

von Mardii
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Hallo Postkarte,

so ganz komme ich nicht dorthin, in die Atmosphäre des Jahres 1929. Dafür genügt mir nicht, dass es ganz schön staubig zu sein scheint und mit Bohnerwachs nicht gespart wurde.
Ich sehe ein Liebespaar, das darauf zu warten scheint eine Wohnung zu besichtigen und sich die Zeit mit ein wenig Philosophie des Lebens vertreibt. Wahrscheinlich weist das Jahr auf die Weltwirtschaftskrise hin, aber mir genügt das allein als historisches Kolorit nicht.

lg Mardii


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`bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag20.03.2015 16:54

von anderswolf
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Diese Geschichte funktionierte nicht, gäbe es nicht das Thema 1929, das die gesamte Szenerie und auch die Sprache in das Sepia einer vergangenen Zeit taucht. In dieser Zeit aus Bohnerwachs, Kohl und allgemeinem Muff ist das Thema, sind die Konflikte, die Möglichkeiten zur Rebellion glaubhaft und wirkt. Vor diesem Hintergrund funktioniert auch der vage Ton des Gesprächs, das fast noch älter klingt als das Setting es vorgibt: Das Leben ist "derart".
Die Stärke dieser Geschichte ist ihre atmosphärische Dichte, das Bild, vor dem sich der Dialog wie ein Theaterstück ausrollt, ein Gespräch im Übrigen, das eigentlich nur einen Bruchteil des Textes ausmacht und sich doch (auch durch den Verzicht auf Anführungszeichen) in den Blicken, den Gesten, den Berührungen fortsetzt. Ohne das vorher gemalte Bild des gebohnerten Treppenhauses wäre das nicht machbar oder spürbar.
Am Ende steht eine große Traurigkeit: der arme Hans bekommt nicht mit, dass er Judith enttäuscht hat. Ihre Hoffnung, die wie die Sonne im Treppenhaus aufflammte und wieder verging, sie könne mit Hans an ihrer Seite vielleicht doch dem Treppenfluch des ewigen auf der Stelle Tretens entkommen, wird enttäuscht. Sein Versuch, ihr Bild zu benutzen, um ihr Leben in Zweisamkeit zu beschreiben, als Liebeserklärung gewissermaßen, bestätigt ihre schlimmste Angst: sie kann mit Hans nicht frei sein, der Dämon, der im Treppenhaus lauert, hat ihn schon ergriffen.
Eine Schwäche dieser Geschichte liegt natürlich auch in der Szenerie, denn sie ist bekannt, so dass es auch wirkt, als wollte die Beschreibung des Treppenhauses an etwas appellieren, nicht nur an Erinnerung, sondern auch an damit verbundene Gefühle.
Schwierig ist außerdem das Ende des Absatzes nach dem Aufflammen der Sonne: Es ist unklar, was Hans mit "Keine Zugfahrt …" meint. Wollten die Eltern die Fahrt verbieten, oder ist der Verzicht auf die Zugfahrt ein Zeichen für oder gegen das Älterwerden? Zudem sind Hans' Gedanken vor Judiths "Noch nicht" unklar abgegrenzt, es klingt so, als wollte sie sagen: "Noch können uns unsere Familien nichts verbieten."

Zehn Punkte.
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seitenlinie
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Beitrag20.03.2015 17:50

von seitenlinie
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Dieser Text besitzt schon einen magischen Reiz, auch wenn ich mich selten mit Bandwurmsätzen (sorry) arrangieren kann.
Wie hier Form und Inhalt mit der Aufgabenstellung verschmelzen, das ist meisterhaft gemacht.
Für mich funktioniert die Geschichte (oder die Andeutung einer Geschichte) erst bei mehrfachem Lesen. Das hängt m.E. damit zusammen,
dass manche Bilder nicht sofort stimmig sind und erst später mit dem Wissen funktionieren. Passendes Beispiel wäre der erste Satz, oder
„Die Sonne flammt auf“.


Das Rumpeln der Elektrischen (funktioniert, höre ich, sehe ich vor mir)
draußen (ich korrigiere mein Bild)
verliert sich (ich korrigiere noch einmal)
so
unmerklich und unaufdringlich, wie es gekommen ist. (eigentlich sehr schön, weil sich ein Kreis schließt / leidet etwas am Vorherigen)

Die Vorahnung auf die Weltwirtschaftkrise sprengt dann die Geschichte ein wenig.
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sleepless_lives
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Beitrag28.03.2015 18:05

von sleepless_lives
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Vielen Dank für die Kommentare und die Punkte. Ein paar der Rezensenten beschreiben und interpretieren den Inhalt und die Hintergründe der Geschichte ja schon sehr treffend, sodass ich nicht viel hinzufügen muss in diese Richtung. Speziell Jenni könnte ich hier eigentlich als meine Stellvertreterin einsetzen. smile   

Aber ein paar Bemerkungen zu aufgeworfenen Fragen und angeschnittenen Themen sind natürlich nie fehl am Platz.


1929
Ja, warum eigentlich dies Jahr? (@Literättin, rieka, Constantine)
Im Oktober des Jahres kommt es zum Börsencrash in New York, der dann eine Weltwirtschaftskrise auslöst. Nach den USA wird Deutschland am härtesten getroffen. In gewisser Weise der Anfang vom Ende. Judith's nackte Knie sollen auf ein kurzes Sommerkleid hinweisen, das dazu beiträgt, sie zu charakterisieren, aber eben auch auf Sommer hinweisen soll. Noch nicht Oktober. Judith ist Jüdin, was angeblich sogar die ursprüngliche Bedeutung dieses Vornamens ist, und Hans ist 'gewöhnlicher' Deutscher. Spätestens mit der Machtergreifung der Nazis 1933 wird es für das Liebespaar äußert schwierig. Man kann das noch nicht sehen damals, aber vielleicht ahnen.


Die Elektrische
So nannte man damals umgangssprachlich die Straßenbahn (@gold), da ist auch kein Wort vergessen (@Amaryllis).


Warum sind die beiden auf der Treppe, warum Wismar-Berlin?
Die beiden sind jung und von ihren Familien weggelaufen, die von beiden Seiten aus eine Liaison oder gar Heirat nicht zulassen wollen (@Michel). Sie fliehen vom kleinen Wismar ins großstädtische Berlin. Sie wollen nicht nur eine Wohnung besichtigen, sondern da wohnen (@Mardii). Ein entfernter Verwandter hat eine Dachwohnung in einem billigen Mietshaus, die er ihnen für so gut wie kein Geld zu Verfügung stellt. Das ist eine Zeit, wo Wohnungen unter Dach noch nicht 'Loft' heißen und teuer und begehrt sind, sondern in der es die schlechtesten Wohnungen sind, feucht und zugig, kalt im Winter und schwer mit einem Ofen zu heizen, stickig und heiß im Sommer. Beim entfernten Verwandten hatte ich Widerspruch erwartet, denn der gehört ja zu einer der beiden Familien. Den gab es aber gar nicht. Die Antwort wäre gewesen, dass es immer ein schwarzes Schaf gibt, vielleicht aus ähnliche Gründen wie bei Judith und Hans, und es macht nur Sinn, wenn der dann in Berlin wohnt. Wismar könnte auch eine andere kleinere Stadt sein (@Literättin). Ich hab es eigentlich nur genommen, weil es zum Teil die Kulisse des  1922er Films "Nosferatu" von F.W. Murnau darstellte. So eine kleine Anspielung auf Vampire, die noch Vampire waren, und die Ankunft von etwas sehr Dunklem.


Die Wendeltreppe als Metapher
Natürlich ist es eine Wendeltreppe (@Lionne) und deswegen kommt man zwar höher (wird älter), aber in den anderen zwei Dimension kommt man nicht weiter (@Nihil), sondern immer wieder an den gleichen, nicht weit von einander entfernten Orten vorbei, wie firstoffertio und Ithanea das auch beschreiben.   
Es stimmt schon, dass das nicht so ein originelles Bild für das Leben ist (@anuphti). Aber so originell ist Judith nicht, keine Poetin, und der Vergleich selbst ist nicht das Wichtige an dieser Geschichte, sondern was die beiden Protagonisten damit verbinden. Man könnte kritisieren, dass Judith, obwohl sie gerade heimlich per Bahn mit Hans ins große Berlin weggerannt ist, solche Gedanken hat - trotz Ortswechsel und Abenteuer. Aber das Mietshaus drängt es ihr auf und die unterschwellige Erkenntnis, dass sie sich mit ihrer Aktion in gewisser Weise an Hans gebunden hat und jetzt der gemeinsame Alltag auf sie wartet. Hans hat eine Vorahnung, von dem was passieren wird, vielleicht ist er politisch interessiert, vielleicht ist es nur, weil er sich das gemeinsame Leben in dem Haus vorstellt. Er ahnt, dass ein von Routine geprägtes, friedliches Leben einen unglaublichen Luxus darstellen kann in bösen Zeiten.       


Die Atmosphäre
Es freut mich, dass so viele meinen, dass die Atmosphäre gut herüberkommt (@Babella, Jenni, gold, Einar Inperson, Lapidar, anuphti, Mermaid), wenn auch nicht alle (@Mardii).  Der Kohlgeruch lässt sich schlecht ersetzen (@Michel), wie nichts Anderes steht er für relative Armut in dieser Zeit, für Sich-kein-Fleisch-leisten-können und für die Bedrohung der Existenz, wenn es auch nur geringfügig weiter bergab ginge. Selbst beim ›Dämon‹ (@Ithanea) will mir im Moment keine Alternative einfallen, die besser passt, zumindest nicht angesichts des Wortlimits. Irgendwie hatte ich da vage und nebulös Gemälde der Neuen Sachlichkeit im Kopf, Otto Dix, George Grosz, Max Beckmann.


Nur eine Momentaufnahme
Dass der Beitrag nur eine Momentaufnahme darstelle, wird gesagt und gleichermaßen negativ bewertet (fancy), wie positiv (firstoffertio) oder neutral gesehen (adelbo). Das hängt wohl stark davon ab, was man als »Geschichte« ansieht. Ab welcher Zeitspanne qualifiziert sich ein Kurzprosatext als Geschichte und ist nicht mehr eine Momentaufnahme? Eine Viertelstunde, eine Stunde, ein Tag? Ich denke, es ist unsinnig, da irgendetwas festlegen zu wollen. Zusätzlich betrifft das nur die äußere Handlung auf der Treppe, die vom Geräusch der Straßenbahn bis zu Judiths Blick reicht. Aber Geschichten haben keinen klaren Anfang und kein Ende: diese sind immer willkürliche Zäsuren, die vom Autor und vom Leser gesetzt werden, und variabel und mehrdeutig bleiben. Speziell in dem vorliegenden Text, ist die Handlung doch weit mehr als das Warten auf der Treppe. Sie umfasst zum Beispiel auch die Zugfahrt und die Probleme der Liebenden mit ihren Familien noch vor der Fahrt.   


Sprache und Still, Punkt und Komma
Am meisten kommentiert wurden Sprache und Stil und die Meinungen weichen nirgendwo so stark ab. Dazu kann ich nicht viel sagen. Es ist natürlich absichtlich so, wie es ist (abgesehen von dem Tippfehler »zur«). Vielen Dank für das Lob (Einar Inperson, Jenni (ganz besonders), Rainer Zufall, Mermaid, shatgloom, Nihil, adelbo, Ithanea, Gießkanne (trotz Einschränkung).

Manche können mit langen Sätzen nichts oder nicht viel anfangen (Magnus Soter, tronde, Dienstwerk, Piratin, Gießkanne), andere haben kein Problem damit oder nur stellenweise oder finden sie nur in im Zusammenhang dieser Geschichte akzeptabel (holg, Kateli, fancy, seitenlinie), wieder andere ziehen sie sogar kurzen vor.
Ich gehöre natürlich in die letztere Gruppe, sonst würde ich nicht so schreiben (ich habe auch schon einen PKP-Beitrag mit nur zwei Sätzen verfasst). Meiner Meinung hängt die Lesbarkeit davon ab, wie lange Sätze aufgebaut sind, d.h. im Wesentlichen wie viel und wie komplexe Information man im Gedächtnis behalten muss, während man sich auf das Ende des Satzes zubewegt. An bestimmten Stellen in den längeren Sätzen hätte ich einen Punkt setzten können. Das hätte einen großen Unterschied für den Fluss des Satzes bedeutet und darin, wie die ausgedrückten Sachverhalte miteinander in Verbindung stehen. Es hätte auch einen Unterschied gemacht, in der Art wie man den Satz gesprochen hätte.  Aber für den Lesevorgang sehe ich kaum einen:

»Das Leben sei derart, sagt Judith, auf der Treppe sitzend, neben Hans, die Stille im Mietshaus von einer dunklen Farbe wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers.«

»Das Leben sei derart. Sagt Judith. Auf der Treppe sitzend, neben Hans. Die Stille im Mietshaus von einer dunklen Farbe wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers.«

Wo ist da ein Problem in der Komma-reichen Version? Aber da bin ich wohl einseitig belastet.

Zum Aufbau gehört natürlich die Reihenfolge, in der die Information präsentiert wird. Da muss ich dem, was seitenlinie anspricht mal weiter nachgehen. Es ist mit der Frage verbunden, wie viel beim Lesen seriell übermittelte Information gleichzeitig aufgenommen wird oder nicht. Wie groß ist der Bereich, in dem beim Lesen alles zusammen wahrgenommen wird und die Reihenfolge deshalb keine Rolle spielt? Ein einzelnes Wort, ein paar Wörter, ein ganzer (kurzer) Satz? Wenn er sehr klein wäre, etwa nur ein Wort, hätte das stark einschränkende Konsequenzen für den Aufbau von Sätzen in vielen Situationen. Wie so oft wird es wohl individuelle Unterschiede geben.

Im großen Ganzen geht es darum Variationen der Satzlänge zu erzielen. Die Geschichte hat 18 Sätze und die Sätze haben die folgenden Wortzahlen:
15, 88, 47, 22, 13, 5, 18, 2, 10, 13, 6, 9, 6, 68, 10, 2, 3, 7 (Zusammen mit dem Titel genau 350.)
Man sieht die starke Streuung.
  

Tausendfüßler
Ja, wie sieht es im Inneren eines Tausendfüßlers aus? Faktisch wird das wohl kaum einer wissen. Aber die meisten werden wohl doch eine Vorstellung haben davon, unwillkürlich, diffus. In der Geschichte dient dies Bild der Vergegenständlichung des Gefangen-Seins in wiederkehrender, immer gleicher Routine und als Vorausdeutung auf die zwölf Jahre des kommenden ›Tausendjährigen Reiches‹.


_________________
Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

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hobbes
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Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
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Beitrag28.03.2015 18:18

von hobbes
Antworten mit Zitat

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Im großen Ganzen geht es darum Variationen der Satzlänge zu erzielen. Die Geschichte hat 18 Sätze und die Sätze haben die folgenden Wortzahlen:
15, 88, 47, 22, 13, 5, 18, 2, 10, 13, 6, 9, 6, 68, 10, 2, 3, 7 (Zusammen mit dem Titel genau 350.)

Langsam aber sicher machst du mir Angst. Was zählst du eigentlich noch alles?*


* Frage zurückgezogen, weil: Nein, ich will es lieber doch nicht wissen.
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sleepless_lives
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Beiträge: 6477
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Pokapro VI Weltrettung in Gold


Beitrag28.03.2015 19:04

von sleepless_lives
Antworten mit Zitat

Na, bin ich Wissenschaftler oder nicht?
Noch besser wäre es natürlich, ein paar statistische Kennzahlen zu berechnen.  Idea


_________________
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Rainer Zufall
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Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag28.03.2015 19:11

von Rainer Zufall
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Zitat:
»Das Leben sei derart, sagt Judith, auf der Treppe sitzend, neben Hans, die Stille im Mietshaus von einer dunklen Farbe wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers.«

»Das Leben sei derart. Sagt Judith. Auf der Treppe sitzend, neben Hans. Die Stille im Mietshaus von einer dunklen Farbe wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers.«

Wo ist da ein Problem in der Komma-reichen Version? Aber da bin ich wohl einseitig belastet.

Nein, bist du nicht. In dem Fall ist die erste (kommareiche) Version der zweiten eindeutig überlegen.
Wobei ... so ein bisschen schwindeln tust du da schon auch. Ich glaube(hoffe) niemand würde deinen Text so direkt nehmen und durch Punkte zerstückeln. Das würde man natürlich umformulieren. Sonst klingt das nämlich echt übel und nach Hack- und Brems-Stil.
Im direkten Vergleich der beiden Versionen gewinnt natürlich die erste, denn in der zweiten bollert jeder einzelne Punkt wie ein Stoppschild auf das Leserauge.
Die Sätze sind ja gerade so gebaut, dass du mit einer Info beginnst, und dann lässt du den Leser weiterschweifen, du verlierst nie den Fokus beim Betrachten der Frau, des Mannes neben ihr, gehst immer weiter, da muss man sich nicht endlos viel merken.
Und ich glaube fast, wenn ich mir das so anschaue, das ist die Hauptsache, wann auch wirklich ganz ganz lange Sätze funktionieren. Man muss sie eher reihen, wie du das auch gemacht hast, also von einer Beobachtung zur nächsten gleiten und darf nicht eine wichtige Info am Anfang beginnen, sie durch  ein endloses Nebensatzgestrüpp verbergen und die Info dann erst zum Schluss offenbaren. Dann wird es wesentlich schwerer.
Dein Stil hier ist eher singend, fließend, mäandernd, aber er verbirgt die Informationen nicht, sondern lässt sie aneinander anschließen.
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Magnus Soter
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Beiträge: 284



Beitrag28.03.2015 21:08

von Magnus Soter
Antworten mit Zitat

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
»Das Leben sei derart, sagt Judith, auf der Treppe sitzend, neben Hans, die Stille im Mietshaus von einer dunklen Farbe wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers.«

Der letzte Nebensatz ist irgendwie gar kein Satz. Für mich fehlt da wenigstens ein Wort (Ist?), welches auch nicht aus den vorangegangenen Teilsätzen erklärt ist. Und natürlich muss man ihn umformulieren, will man die Kommas weglassen. Da bin ich bei Rainer Zufall.
Der Satz liest sich auch in der Komma-Version sehr holprig.

Wieso sei das Leben derart? Wieso ist es das nicht?

"Das Leben ist derart", sagt Judith neben Hans auf der Treppe sitzend. Die Stille im Mietshaus ist von derselben dunklen Farbe, wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers."

Das ist in meinen Augen gut lesbar und verständlich. Allerdings gibt es noch immer einen Widerspruch: Wenn Judith gerade etwas sagt, herrscht im Treppenhaus keine Stille – nicht in diesem Moment. Das dieser Moment gemeint ist, muss ich annehmen, denn es steht ja im selben Satz.

Ich denke, der Text soll irgendwie besonders anspruchsvoll sein. Für mich leider eine Stufe zu viel. Passt vielleicht eher in Lyrik?


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Beitrag29.03.2015 11:12

von Rheinsberg
Antworten mit Zitat

Sleepless, da ich leider beim Kommentieren ausfiel, fehlten dir dann meine 12 Punkte. Leider. Ich finde den Text großartig, und mit deinen Erklärungen, die noch ein paar Details beinhalten, die ich so nicht entdeckt hätte, noch besser.
Könntest du dir vorstellen, über Hans und Judith mehr zu schreiben? Oder liegt meine Faszination hier vielleicht an meinem Faible für Fallada? Lange nicht gelesen, fällt mir dabei auf.
Liebe Grüße auf die andere Seite der Welt!


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Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag29.03.2015 11:58

von Jenni
Antworten mit Zitat

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Speziell Jenni könnte ich hier eigentlich als meine Stellvertreterin einsetzen.

Ja, das täte dir gefallen, was? Damit dann ich jetzt Magnus Soter erklären müsste, was der verdammte Unterschied ist zwischen
Der Autor hat Folgendes geschrieben:
Das Leben sei derart, sagt Judith, auf der Treppe sitzend, neben Hans, die Stille im Mietshaus von einer dunklen Farbe wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers.

und
Magnus Soter hat Folgendes geschrieben:
"Das Leben ist derart", sagt Judith neben Hans auf der Treppe sitzend. Die Stille im Mietshaus ist von derselben dunklen Farbe, wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers."

und warum die erste Variante mich neben Hans und Judith auf der Treppe sitzen lässt und mit ihnen in die dunkle Stille lauschen lässt, während die zweite Variante mir eine Situation beschreibt. (Und das, obwohl die sogenannten "Regeln" vermutlich das Gegenteil behaupten, was direkte und indirekte Rede anbelangt.) Von stilistischen Erwägungen gar nicht erst zu sprechen.

Aber weißt was, das kannst du mal schön selbst machen. smile

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Aber ein paar Bemerkungen zu aufgeworfenen Fragen und angeschnittenen Themen sind natürlich nie fehl am Platz.

Da dachte ich ja kurz, du scherzt, aber nein, du erklärst. Und zwar über aufgeworfene Fragen hinaus. Was du erklärst, entspricht zum Glück exakt dem, was (für mich) auch schon deine Geschichte erzählt.

Bis auf zwei Details: Die Assoziation mit Nosferatu hatte ich nicht, aber auch nicht das Gefühl, das hätte für mich das Bild eindrücklicher werden lassen.
Das mit dem Tausendfüßler ... 12 Jahre Tausendjähriges Reich ... Wortspielkasse kann ich dazu nur sagen, und ja. Das intuitive Bild, das der Tausendfüßler bei mir hervorgerufen hat (ich könnte jetzt über imaginäre Lichtverhältnisse in Tausendfüßlern referierenspekulieren, aber lassen wir das) gefällt mir nach wie vor so sehr gut, nur deshalb ziehe ich dir dafür großmütig keine Punkte ab. wink

Ich mag den Text noch immer sehr. Ich finde, da gibt es auch nichts darüber hinaus (weiter) zu erzählen, denn für mich funktioniert das hier unheimlich gut, dass die Geschichte beider, ihre Zukunft wie ihre Vergangenheit in ihrer Komplexität und Bedeutung auf diesen einen Moment verdichtet ist, und gerade das ist doch die große Kunst der Kürzestprosa.
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Mardii
Stiefmütterle

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Beitrag29.03.2015 18:51

von Mardii
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sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Das Leben sei derart, sagt Judith, auf der Treppe sitzend, neben Hans, die Stille im Mietshaus von einer dunklen Farbe wie die Pfosten des abgegriffenen Holzgeländers, Judith ihren Kopf dagegen gelehnt, nach unten sehend, und Hans kann nicht verorten, was sie meint: das Warten auf den entfernten Verwandten mit dem Schlüssel oder die Tür mit der unbekannten Wohnung dahinter oder das milchige Licht


Das ist für mich die entscheidende Stelle, was den Ort der Handlung angeht. Ich weiß nicht, dem entnehme ich, das die Beiden im Treppenhaus sitzen und auf jemand warten, der ihnen die Tür zu einer Wohnung aufschließt. Dass sie bereits darin wohnen, steht da nicht.
Die Treppe kommt mir auch nicht so vor, wie eine großzügig gewundene Treppe in einem alten Treppenhaus. Judith lehnt ihren Kopf gegen den Pfosten ... dabei denke ich an eine schmale gewundene Treppe, die es so in einem großen Haus nicht gibt.
Es ist auch heute in Altbauten so, dass es unterm Dach am Heißesten ist. Das macht für mich das Jahr 1929 nicht fix. Obwohl ich bei längerer Betrachtung doch sagen muss, es genügt, es in der Überschrift erwähnt zu haben. Es ist selbstredend.

lg Mardii


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sleepless_lives
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Beitrag29.03.2015 20:20

von sleepless_lives
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Jenni hat Folgendes geschrieben:
sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Speziell Jenni könnte ich hier eigentlich als meine Stellvertreterin einsetzen.

Ja, das täte dir gefallen, was? Damit dann ich jetzt Magnus Soter erklären müsste,

Ja, allerdings, funktioniert doch auch sehr gut.



@Magnus Soter
Umformulieren würde man wohl schon. Aber in dem Beispiel ging es mir eher darum, zu zeigen (wie auch von Rainer Zufall angesprochen), dass man beim Lesen die vorigen Satzteile nicht weitergehend im Kopf behalten muss, weil da eine Komma statt eines Punktes steht. Die Sätze bilden keine langen Klammern. Man könnte sie ohne Weiteres mit Punkten aufteilen.
Magnus Soter hat Folgendes geschrieben:
Das ist in meinen Augen gut lesbar und verständlich. Allerdings gibt es noch immer einen Widerspruch: Wenn Judith gerade etwas sagt, herrscht im Treppenhaus keine Stille – nicht in diesem Moment. Das dieser Moment gemeint ist, muss ich annehmen, denn es steht ja im selben Satz.

Sehe ich nicht so. Jetzt mal unabhängig davon, ob der Satz wirklich eine Gleichzeitigkeit ausdrückt. Auch wenn ich spreche oder ein Geräusch mache, kann ich die (sonstige) Stille wahrnehmen und mit einer nicht wissenschaftlich präzisen, aber mächtigen Sprache auch ausdrücken. Wenn nicht, stell dir vor, der Protagonist geht in ein völlig ausgeräumtes Zimmer. Kann er nun nicht beschreiben: "Der Raum war leer"? Weil er selbst drin ist? Müsste man sagen: "Bis auf mich war der Raum leer." Das ergibt meiner Meinung nach keinen Sinn.


@Rainer Zufall
Rainer Zufall hat Folgendes geschrieben:
Man muss sie eher reihen, wie du das auch gemacht hast, also von einer Beobachtung zur nächsten gleiten und darf nicht eine wichtige Info am Anfang beginnen, sie durch ein endloses Nebensatzgestrüpp verbergen und die Info dann erst zum Schluss offenbaren. Dann wird es wesentlich schwerer.

Das denke ich auch. Das Gegenteil sind die Sätze, mit denen Linguisten gerne demonstrieren, das die Sprache (theoretisch unendliche) rekursive Strukturen erlaubt:

Der alte Mann, der das Boot, das er in dem kleinen Schuppen, der neben seinem Haus, das bessere Tage gesehen hatte, stand, repariert hatte, auf das Meer hinaussteuerte, hatte vergessen, wo er herkam.

Auch Partizipialkonstruktionen, die attributiv gebraucht werden, sind mit Vorsicht einzusetzen:

Die auf das Meer und die drohenden Wolken blickende und dabei zwischen kindlicher Zuversicht und resignierender und das Schicksal verfluchender Verzweiflung hin- und hergerissene Frau war überrascht über ihr spätes Auftreten.


@Rheinsberg
Vielen Dank, Rheinsberg, für die virtuellen Punkte und das Lob.
Rheinsberg hat Folgendes geschrieben:
Könntest du dir vorstellen, über Hans und Judith mehr zu schreiben?

Ich weiß nicht. Auf der einen Seite fasziniert mich das Thema des Zusammenhaltens eines Paares im drögen Alltag in schwierigen Zeiten und besonders, wenn es mit verschiedenen Kulturen verbunden ist. Auch wenn die beiden sich später verstecken und fliehen müssen, wirft das dauernd hochinteressante Fragen des Vertrauens und der Kenntnis des Partners auf.  Auf der anderen Seite interessiert mich im Moment eher die Gegenwart. Und Jennis Argument finde ich auch sehr überzeugend. Meistens scheine ich aber sowieso nicht zu entscheiden, was ich schreibe. Die Geschichte ist da und muss erzählt werden.  


@Mardii
Mardii hat Folgendes geschrieben:
Dass sie bereits darin wohnen, steht da nicht.

Nein, sie wohnen noch nicht darin. Aber sie werden. Du hattest geschrieben, dass sie die Wohnung besichtigen wollen und das klang so, als ob sie eine Wahl hätten. Und die haben sie nicht. Es wird genau die Wohnung sein und keine andere, egal wie sie aussieht und in welchem Zustand sie ist. Das ist wichtig für die Geschichte, auch wenn es nicht explizit gesagt wird.
Mardii hat Folgendes geschrieben:
Es ist auch heute in Altbauten so, dass es unterm Dach am Heißesten ist. Das macht für mich das Jahr 1929 nicht fix

Das war auch nicht so gemeint. Wie du selbst sagst, das Jahr im Titel sollte auf jeden Fall reichen. Meine Erklärung war eher in die Richtung zu verstehen, dass sich das Image und die bauliche Qualität (Isolierung) von Dachwohnungen stark geändert haben. Man darf es nicht mit den Augen von heute sehen.  



@Jenni
Jenni hat Folgendes geschrieben:
Bis auf zwei Details: Die Assoziation mit Nosferatu hatte ich nicht, aber auch nicht das Gefühl, das hätte für mich das Bild eindrücklicher werden lassen.

Das ist auch eher nebensächlich. Es musste eine kleinere Stadt sein, weit genug weg von Berlin. Und bei mir standen da plötzlich Bilder vor dem inneren Auge.
Jenni hat Folgendes geschrieben:
Das mit dem Tausendfüßler ... 12 Jahre Tausendjähriges Reich ... Wortspielkasse kann ich dazu nur sagen, und ja. Das intuitive Bild, das der Tausendfüßler bei mir hervorgerufen hat (ich könnte jetzt über imaginäre Lichtverhältnisse in Tausendfüßlern referierenspekulieren, aber lassen wir das) gefällt mir nach wie vor so sehr gut, nur deshalb ziehe ich dir dafür großmütig keine Punkte ab. wink

Danke, dass du keine Punkte abziehst. Puh, noch mal Glück gehabt. Aber es ist schon mehr als ein Wortspiel, denn es evoziert ja auch die im Gleichschritt marschierenden, vielen Beine. Mir ist dunkel so, als ob das irgendwo in der Literatur schon mal eingesetzt wurde, um den Faschismus zu charakterisieren.

Und danke, dass du den Text immer noch sehr magst. Wohow


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Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

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