18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Zeitenträumer


 
 
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3, 4, 5  Weiter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag29.11.2014 03:10

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Ha! Da ist jemand mit genauem Blick ... Smile

Und du, Bibiro, hast Recht: es mag nicht 100%ig realistisch sein. Ich hatte mir das tatsächlich so vorgestellt, dass er durch den Rauchfang schaut, aber ich sehe deine logischen Bedenken voll und ganz ein.

Die Frage ist, ob es a) wirklich unmöglich ist, von einem hohen Baum dort hindurch zu sehen und b) wenn ja, wirklich so schlimm ist. In deinem Fall hat es offensichtlich ein Einsteigen in den Text verhindert, aber ich denke, die meisten werden weniger kritisch (und vorgebildet) sein.

Ich bin mir nicht sicher, was ich daraus mache. Ich denke, ich werde Dumnorix nicht ans Fenster, sondern in die Tür treten lassen - das war ein echter Flüchtigkeitsfehler. Aber ob ich die Gesamtkonstellation ändere, weiß ich nicht. Zudem werde ich nochmal schauen, ob ich nicht doch irgendwelche keltischen Häuser mit Fenstern entdecken kann ...

Eine Frage noch dazu: hätte es geholfen, wenn ich erwähnt hätte, dass er durch den Rauchfang schaut?

Ich danke dir jedenfalls vielmals für den Hinweis - da sieht man mal wieder, dass Kritik eben doch noch hilfreicher ist als Lob, so angenehm sich letzteres auch anfühlt und so motivierend es auch ist.

Beste Grüße,

David
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
bibiro
Geschlecht:weiblichKlammeraffe
B


Beiträge: 716



B
Beitrag29.11.2014 10:47

von bibiro
Antworten mit Zitat

Zeitenträumer hat Folgendes geschrieben:
Ha! Da ist jemand mit genauem Blick ... Smile

I'm so sorry Smile

Und du, Bibiro, hast Recht: es mag nicht 100%ig realistisch sein. Ich hatte mir das tatsächlich so vorgestellt, dass er durch den Rauchfang schaut, aber ich sehe deine logischen Bedenken voll und ganz ein.

Die Frage ist, ob es a) wirklich unmöglich ist, von einem hohen Baum dort hindurch zu sehen

Das Sehen empfinde ich nicht als das Hauptproblem, eher das Hören.

und b) wenn ja, wirklich so schlimm ist. In deinem Fall hat es offensichtlich ein Einsteigen in den Text verhindert, aber ich denke, die meisten werden weniger kritisch (und vorgebildet) sein.

Die Fragen, die du dir stellen könntest, würden lauten:
a) will ich nur Leser ohne Vorbildung ansprechen
b) schlage ich mit Eingehen auf Bibis vordergründige Erbsenzählerei vielleicht sogar mehrere Fliegen mit einem Schlag?
Mit weiteren Fliegen meine ich z. B. die relative Distanz zu deinen erzählenden Protagonisten. Du kennzeichnest ja die direkte Gedankenrede deiner Erzähler kursiv - davon könntest du gerne mehr einsetzen.
Bspw. die "zuckenden hellblauen Augen" - es ist technisch unmöglich, die zur Nachtzeit auf einer Eiche sitzend durch den Rauchabzug eines Keltenhauses zu erspähen. Aber warum nicht Villù sich - gerne wertend - an den Tag der Ankunft erinnern lassen? Was weiß ich: Wie der Helvetier sich aus zuckenden hellblauen Augen umgesehen hatte, als er ins Dorf geritten kam. Gerade so, als würde ihm alles gehören! In diesem Augenblick hatte Villù gespürt, dass der Fremde etwas im Schilde führte, dass er nicht nur über die Ehe seiner Tochter einen Bund schließen wollte ... Fantasie mit Schneegestöber meinerseits. Oder das mit den "gegelten Haaren" - käme meiner Meinung nach natürlicher rüber, wenn du es nicht als trockene Beschreibung verpackst, sondern in eine abfällige Entrüstung eines jungen Mannes über die ach so uncoolen alten Männer. You know what I mean?


Ich bin mir nicht sicher, was ich daraus mache. Ich denke, ich werde Dumnorix nicht ans Fenster, sondern in die Tür treten lassen - das war ein echter Flüchtigkeitsfehler. Aber ob ich die Gesamtkonstellation ändere, weiß ich nicht. Zudem werde ich nochmal schauen, ob ich nicht doch irgendwelche keltischen Häuser mit Fenstern entdecken kann ...

Eine Frage noch dazu: hätte es geholfen, wenn ich erwähnt hätte, dass er durch den Rauchfang schaut?

Definitiv, ja.
Außerdem könntest du für meinen Geschmack das Infodumping rund um die Eiche auflösen, indem du sie "nebenher" beschreibst, während Villù höher und höher klettert, auf der Suche nach dem Ast, auf dem sitzend er durch den Rauchfang spähen kann.
Außerdem solltest du seine Sorge, dass der Onkel ihn von drinnen aus entdeckt, bzw. ein hinzugerufener Druide, besser umwandeln in die Sorge, dass jemand rauskommen und ihn entdecken könnte.
Denn es ist zwar - mit Komplikationen - möglich, durch einen Rauchabzugs IN ein Haus zu sehen, aber keinesfalls bei Nacht hinaus.
Des weiteren könntest du einen der Männer hin und her gehen und somit aus dem beschränkten Sichtfeld des Rauchabzugs gehen lassen.
Bleibt die Sache mit der Akustik.
Könnte Villù vielleicht ein besonders gut entwickeltes Gehör haben?
Oder könnte es die Eigenschaft des Helvetiers sein, besonders (über)laut zu sprechen, nun ja, so wie uns südlich des Weißwurscht-Äquators beheimateten z. B. die Art zu sprechen von manchen norddeutschen Volksstämmen erscheint, wo wir immer denken "müssen die so reden, dass die ganze Nachbarschaft ihre Privatangelegenheiten mitbekommt?" (Was sicherlich mit der traditionellen Dichte der Besiedlung zu tun hast, in einem süddeutschen Bauerndorf stehen die Häuschen dermaßen eng, da hörst du die Flöhe des Nachbarn husten - die Siedlungsverhältnisse in Norddeutschland sind doch ganz anders).
Und der Onkel könnte sich dann aus Höflichkeit an die Lautstärke des Gastes anpassen.


Ich danke dir jedenfalls vielmals für den Hinweis - da sieht man mal wieder, dass Kritik eben doch noch hilfreicher ist als Lob, so angenehm sich letzteres auch anfühlt und so motivierend es auch ist.

Beste Grüße,

David
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Emmy
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 65
Beiträge: 30
Wohnort: Ruhrgebiet


Beitrag01.12.2014 00:19

von Emmy
Antworten mit Zitat

Hallo David,

mittlerweile habe ich alle hier eingestellten Teile deines Romans gelesen. (Und, ja, auch ein wenig zum Hintergrund recherchiert. wink ) Alles in allem lese ich es gerne und mit Interesse. Und der hier von mir bereits kommentierte Teil ist für mich in der neuen Version wirklich besser lesbar.

Das mit dem Fenster hatte ich mich beim Lesen zwar auch gefragt, es hat mich aber nicht so sehr abgelenkt. Ich habe das wegen der gut zu lesenden anschaulichen Schilderung des Aufenthalts in der Eiche in Kauf genommen. Aber klar, du könntest das auch als rein akustisches Erleben schildern: in einer sonst stillen Nacht kann man viel hören, und die visuellen Schilderungen können geistige Bilder Villus sein.

Meine Stolpersteine liegen mehr dort, wo es in den beiden Prologen um Bilder geht, die ich (ähnlich wie die gestrichenen Misteln wink ) literarisch mittlerweile zu überstrapaziert finde: den gehörnten Gott gleich am Anfang und das bekannte Einsteinbild in der Powerpoint-Präsentation. Beide Dinge sind passend und korrekt eingebaut. Nichtsdestoweniger (für mich) zu so etwas wie "Klischee-Reizworten/-bildern" geworden, die mich Bücher in der Buchhandlung sofort aus der Hand legen lassen. ("Nicht schon wieder ...") Das ist keine rationale Reaktion von mir, weite andere Teile deines Textes, die mich interessieren, zeigen mir das. Und ich weiß natürlich nicht, wie es andren Lesern damit ergeht. Nichtsdestoweniger wollte ich es dir sagen. Oder allgemeiner: wenn du sehr genau schaust, die "klischeegefährdeten" Bilder deiner Story in den Hintergrund zu schieben, wird das für mich eine gute, lesenswerte Geschichte. Wobei ich gespannt bin, wie du die beiden Zeiten miteinander verflechten wirst.

LG, Emmy
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
bibiro
Geschlecht:weiblichKlammeraffe
B


Beiträge: 716



B
Beitrag01.12.2014 09:25

von bibiro
Antworten mit Zitat

Emmy hat Folgendes geschrieben:
Das mit dem Fenster hatte ich mich beim Lesen zwar auch gefragt, es hat mich aber nicht so sehr abgelenkt. Ich habe das wegen der gut zu lesenden anschaulichen Schilderung des Aufenthalts in der Eiche in Kauf genommen. Aber klar, du könntest das auch als rein akustisches Erleben schildern: in einer sonst stillen Nacht kann man viel hören, und die visuellen Schilderungen können geistige Bilder Villus sein.

Meine Stolpersteine liegen mehr dort, wo es in den beiden Prologen um Bilder geht, die ich (ähnlich wie die gestrichenen Misteln wink ) literarisch mittlerweile zu überstrapaziert finde: den gehörnten Gott gleich am Anfang und das bekannte Einsteinbild in der Powerpoint-Präsentation. Beide Dinge sind passend und korrekt eingebaut. Nichtsdestoweniger (für mich) zu so etwas wie "Klischee-Reizworten/-bildern" geworden, die mich Bücher in der Buchhandlung sofort aus der Hand legen lassen. ("Nicht schon wieder ...") Das ist keine rationale Reaktion von mir, weite andere Teile deines Textes, die mich interessieren, zeigen mir das. Und ich weiß natürlich nicht, wie es andren Lesern damit ergeht. Nichtsdestoweniger wollte ich es dir sagen. Oder allgemeiner: wenn du sehr genau schaust, die "klischeegefährdeten" Bilder deiner Story in den Hintergrund zu schieben, wird das für mich eine gute, lesenswerte Geschichte. Wobei ich gespannt bin, wie du die beiden Zeiten miteinander verflechten wirst.


Ich finde interessant, was du anmerkst, Emmy, und glaube auch den Grund gefunden zu haben, weshalb du - und andere - über die Klischees stolpern, und ich mich an einem Baum-Fenster-Haus-Konstrukt aufhänge:

Wie du ganz richtig schreibst, stehen diese Dinge, sowohl die von dir als "klischeebeladen" benannten Misteln, Götter oder Einsteinfotos, als auch das, worüber ich gestolpert bin, sehr im Vordergrund des Geschehens.

Ich hatte schon einmal in einem Kommentar zu einem anderen Teil des Zeitenträumers angemerkt, dass mir die vom erzählenden Protagonisten abgerückte Erzählperspektive beim Lesen "gegen den Strich" gegangen ist.

Es ist ein absolut legitimes Stilmittel, den Erzähler mit ein wenig Abstand anzulegen, allerdings muss man dann auch mit den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten umgehen und Komplikationen lösen oder vermeiden.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die genannten Punkte den wenigsten Lesern aufgefallen wären, wenn sie mehr in der Haut, dem Kopf des jeweiligen Erzählers stecken würden.
Denn als Leser ist man - quasi ins Hirn des Protagonisten transplantiert - viel eher bereit, dessen _subjektive_ Wahrnehmung als gegeben hinzunehmen und nicht zu hinterfragen.

Um die genannten Beispiele aufzudröseln:

Cernunnos: Würde ich als Leser nicht halb von außen auf den Druiden und sein Götterbild schauen, sondern könnte ich fühlen, was er fühlt, seinen tiefen, archaischen Glauben, seine Verwurzelung in uralte Sitten, dürfte ich an seinen Empfindungen mehr teilhaben, und keine distanzierte, modern-analytische Haltung suggeriert bekommen (die zum kritischen Hinterfragen einlädt!) dann könnte ich den gehörnten Gott als so real wahrnehmen, wie dies die Menschen dieser Zeit taten - und mich nicht an Comics erinnern.

Einstein: Gerade beim Prolog des modernen Teils stieß mir die distanzierte Perspektive noch mehr auf. Und gerade hier ließe sich mit einem Heranrücken an den Erzähler unheimlich viel Dynamik in den Text bringen. Da er modern ist, darf er dann selbst gern den analytischen Part übernehmen und vielleicht denken: Meine Güte, das Einstein-Foto ist aber so was von Klischee - aber es passt zu dieser selbst etwas aus der Mode gekommenen alten Dame.
Geschickt eingeflochten, locken solche Gedanken des Protagonisten ein wissendes Lächeln auf die Lippen des Lesers, er fühlt sich dem Erzähler auf gewisse Weise verbunden, weil sie beide ein "Geheimnis" teilen, miteinander über das Klischeedenken der alten Wissenschaftlerin abgelästert haben.

Misteln: Die ganze Baum-Haus-Fenster-Eiche-Mistel-Onkel-belausch-Aktion ist problematisch, weil wir einerseits uns wieder so weit vom Inneren des Kopfes des jungen Mannes befinden und weil wir spüren, wie der Autor ihn (und im Schlepptau uns) ganz gezielt mitten in der Nacht mit einem Auftrag losschickt: Finde mehr über den Besucher heraus, und was er und der Onkel im Schilde führen.
Dadurch rücken wir noch mehr vom ganzen Geschehen ab, sehen nun nicht nur auf Villú halb von außen, wie es beim Druiden war, sondern wir entfernen uns noch mehr, sehen das "gallische Dorf" wie auf Seite 2 eines jeden Asterix-Comics von oben, und es kommt uns vor wie diese kitschigen Schachspiele mit Obelix, Majestix und Miraculix, die es für Enthusiasten zu kaufen gibt. Darüber rollen wir schon unsere Augen, und dann sehen wir auch noch die Hand des Autors, wie sie die Figuren hin und her rückt.
Wie könnte man das ändern? Die Grundproblematik ist schon einmal, dass Villú sich nicht altersgerecht verhält. Wenn ein junger Mann sich nachts herumschleicht, erwarten wir eher, dass er fensterlt, um seiner Angebeteten nachzusteigen, aber nicht, um den Superspion zu geben.
Die ordnende Hand des Plotters scheint viel zu sehr durch, wir hören fast mit, wie der Autor den Protagonisten ihre Aufträge erteilt (dies ist im Prolog des modernen Teils geschickt verpackt, denn wir als Leser verwechseln dann den Auftrag des Autors mit dem des geheimnisvollen Zirkels, der den Erzähler losschickt).

Ich persönlich finde, das Alleinstellungsmerkmal von Büchern in der heutigen Zeit ist, dass sie - im Gegensatz zu Filmen - uns erlauben, mit Haut und Haar in eine andere Person, ggf. in mehrere andere Personen zu schlüpfen.
Wir leben in einer Welt, die von Filmen bestimmt ist, und von denen sind wir mit dieser leicht distanzierten Sicht so übersättigt, dass wir uns beim Lesen dann nicht, wie Leser vergangener Zeiten, auch in einen distanzierten Plot fallen lassen können, sondern ebenso kritisch hinterfragen, wie wir das von unserem tagtäglichen TV- und Filmkonsum gewohnt sind.

Manch einer mag den vergangen Zeiten nachtrauern, viele lesen gern immer noch Bücher aus jener Epoche, aber die Erwartungshaltung der Leser hat sich in der Gesamtheit verändert.

Ganz kurz gefasst, die Entscheidung für dich lautet:

Beibehaltung der distanzierten Erzählperspektive - dann radikales Herunterfahren von allem, was klischeebeladen sein könnte oder nicht 100%-ig historisch oder physikalisch korrekt ist. (Wobei es mir da wirklich, wirklich schade um Details wie Misteln, Eichen und gehörnte Götter wäre. Ja, und um Einstein, Klischee hin oder her, ich bin wahrscheinlich auch schon jenseits des MHDs)

oder

Köpper hinein in die Protas und klopfe dir selbst auf die Finger, wenn dein Plot, dein Wille, die Figuren auf dem Schachbrett in die passenden Positionen zu bringen, zu sehr durchschimmert. (Ich gebe es unumwunden zu: Das wäre meins, eine Zeitreise hineingebeamt in die Köpfe der alten Kelten. Also lass dich nicht zu sehr beeinflussen)

Ich wünsche dir, dass du die zu dir als Autor passende Entscheidung findest.

Bibi
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag01.12.2014 16:03

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Hallo ihr beiden,

ich danke Euch sehr für eure Überlegungen. Eure Bedenken richten sich gegen 2 Elemente:
1. Die Klischees.
Da weiß ich nicht genau, wie sich das komplett vermeiden ließe. Denn z.B. wird jemand, der keine Ahnung vom antiken Rom hat, sehr wohl aber Asterix gelesen hat, bei dem Namen "Caesar" immer zuerst an das Comic denken.
Ich werde mein Manuskript nochmal auf diese "Überstrapazierten Bilder" überprüfen und in Zukunft darauf achten. Es war mir nicht bewusst, dass das so wirkt. Dafür danke.
Was Einstein betrifft, so halte ich es im Rahmen des Vortrags im Sinne Bibis für passend, dass Mme Mirabeau sein Bild benutzt.
2. Die Perspektive.
Eigentlich versuche ich, möglichst personal zu erzählen, aber leider fällt das manchmal meinem Hang zur Beschreibung zum Opfer. Eure Vorschläge bezüglich einer ausschließlich akustischen Schilderung klingen vielversprechend, um näher bei Villú bleiben zu können.

Eine kurze Frage zum altersgerechten Verhalten; ich werde es natürlich auflösen, aber da ihr es noch nicht wisst ergreife ich mal die Chance: für wie alt haltet ihr Villú denn?

Ich werde den Text mal testweise in eine Version bringen, in der Villú nicht in das Haus hinein sehen kann - mal sehen, was für innere Bilder das bei ihm auslöst und ob Klischees dadurch verringert werden könnten ...

Besten Dank nochmal!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
bibiro
Geschlecht:weiblichKlammeraffe
B


Beiträge: 716



B
Beitrag01.12.2014 17:09

von bibiro
Antworten mit Zitat

Hej,

ich halte Villú für 16 bis 18, maximal 20 Jahre alt, für die damalige Zeit ein erwachsener, wenn auch noch nicht verheirateter Mann.

Zur personalen Perspektive, darf ich mal Fantasie mit Schneegestöber, und du schaust, was du davon für dich übernehmen kannst?

Zitat:
Villú hielt inne und horchte in die Nacht.
Gleich zu Beginn bin ich außerhalb von Villús Kopf, sehe von draußen auf ihn hinauf.
Wie wäre es, ein wenig früher anzufangen:

Villú hielt es kaum in seinem Bett aus. Er horchte auf das Atmen, das Rascheln der Bettlaken, Decken und Strohsäcke, bis endlich ein gleichmäßiger Klangteppich zeigte, dass alle im Haus in den Schlaf gefunden hatten. Er hob seine Füße aus dem Bett heraus und angelte im Dunkeln nach seinen Schuhen. Leise schlich er sich hinaus, hielt unter der Tür inne und horchte in die Nacht.
Die Sippe schien zu schlafen, lediglich im Haus seines Onkels Dumnorix flackerte noch Licht. Obwohl die kalten Nächte des Winters vorüber waren, zog Villú seinen Umhang fest um die Schultern und duckte sich an den Stamm der alten Steineiche, die in der Mitte des mondbeschienenen Hofes wuchs.
Das geht mir irgendwie auch wieder zu schnell, wie Villú zu der Eiche kommt. Und du lässt Möglichkeiten aus, anhand derer wir als Leser uns ihm nähern könnten.
Villú fröstelte es, obwohl die kalten Winternächte vorüber waren. Er zog seinen Umhang fester um die Schultern, rannte über den mondbeschienen Hof und duckte sich an den Stamm der alten Steineiche.
Die Eiche war der geweihte Baum der Sippe, ebenso von Efeu wie von Legenden umrankt, und stets fanden sich einige Nester der Allheiler-Pflanze zwischen ihren knorrigen Ästen. Villú fühlte die raue Borke unter seinen Fingern, als er sich auf die unteren Äste hinauf zog.
Auch hier sehe ich halb auf Villú drauf. Du behauptest zwar, er fühle die Borke - aber ich glaube es dir nicht! Gerade durch Formulierungen wie "er sah/fühlte/hörte" entfernst du den Leser weiter vom erzählenden Protagonisten!
Villú reckte sich auf seine Zehenspitzen, fasste um den untersten Ast und zog sich hoch. Die raue Borke zerbröselte unter seinen Fingerspitzen, als er sich mit Schwung hinaufwuchtete.
Er liebte die Sippeneiche. Jeden Ast, jeden gemütlichen Platz hatte er erkundet und den Baum sogar schon mit geschlossenen Augen bestiegen, und so wusste er genau, von welcher Astgabelung er in das Haus seines Onkels hinein sehen konnte, in dem dieser sich jetzt, da das Gelage vorüber war, mit dem Gast aus Helvetien besprach.
Was für ein langer, sperriger Satz - auch nicht gerade geeignet, uns an Villú anzunähern.
Er liebte die Sippeneiche, kannte jeden ihrer Äste. Keines der gemütlichen Plätzchen in der Krone war ihm fremd, er hatte den Baum sogar schon mit geschlossenen Augen bestiegen. Zielstrebig kletterte er weit hinauf, hielt sich dann nach links. Von dieser Astgabel aus konnte er in das Haus seines Onkels hinein sehen, der sich jetzt, nach dem Gelage, mit dem Helvetier besprach.
Hoffentlich haben sie keinen Druiden hinzu gebeten, dachte Villú mit klopfendem Herzen.
Ebenso sind Formulierungen wie "er dachte" geradezu perfekt geeignet, um den Leser auf Abstand zu halten.
Villús Herz klopfte. Hoffentlich haben sie keinen Druiden hinzu gebeten!
Wenige Handgriffe mehr, und er wäre für alle gewöhnlichen Beobachter unsichtbar; ein Druide jedoch? Die Weisen sahen Dinge, die anderen verborgen blieben. Wenn er ein Mann war, würde auch er ein mächtiger Druide werden.
Er klemmte sich in die Astgabel und spähte durch das Laubwerk.
Auch dies ist mehr beschreibend denn erlebend.
Er stützte sich mit beiden Händen ab, schob sein Gesäß zurück, bis er sicher in der Astgabel klemmte. Dann spähte er durch das Laub.


Spürst du die Veränderung?

Zitat:
Villú hielt inne und horchte in die Nacht. Die Sippe schien zu schlafen, lediglich im Haus seines Onkels Dumnorix flackerte noch Licht. Obwohl die kalten Nächte des Winters vorüber waren, zog Villú seinen Umhang fest um die Schultern und duckte sich an den Stamm der alten Steineiche, die in der Mitte des mondbeschienenen Hofes wuchs. Die Eiche war der geweihte Baum der Sippe, ebenso von Efeu wie von Legenden umrankt, und stets fanden sich einige Nester der Allheiler-Pflanze zwischen ihren knorrigen Ästen. Villú fühlte die raue Borke unter seinen Fingern, als er sich auf die unteren Äste hinauf zog. Er liebte die Sippeneiche. Jeden Ast, jeden gemütlichen Platz hatte er erkundet und den Baum sogar schon mit geschlossenen Augen bestiegen, und so wusste er genau, von welcher Astgabelung er in das Haus seines Onkels hinein sehen konnte, in dem dieser sich jetzt, da das Gelage vorüber war, mit dem Gast aus Helvetien besprach. Hoffentlich haben sie keinen Druiden hinzu gebeten, dachte Villú mit klopfendem Herzen. Wenige Handgriffe mehr, und er wäre für alle gewöhnlichen Beobachter unsichtbar; ein Druide jedoch? Die Weisen sahen Dinge, die anderen verborgen blieben. Wenn er ein Mann war, würde auch er ein mächtiger Druide werden.
Er klemmte sich in die Astgabel und spähte durch das Laubwerk.


versus

Zitat:
Villú hielt es kaum in seinem Bett aus. Er horchte auf das Atmen, das Rascheln der Bettlaken, Decken und Strohsäcke, bis endlich ein gleichmäßiger Klangteppich zeigte, dass alle im Haus in den Schlaf gefunden hatten. Er hob seine Füße aus dem Bett heraus und angelte im Dunkeln nach seinen Schuhen. Leise schlich er sich hinaus, hielt unter der Tür inne und horchte in die Nacht.
Die Sippe schien zu schlafen, lediglich im Haus seines Onkels Dumnorix flackerte noch Licht. Villú fröstelte es, obwohl die kalten Winternächte vorüber waren. Er zog seinen Umhang fester um die Schultern, rannte über den mondbeschienen Hof und duckte sich an den Stamm der alten Steineiche.
Die Eiche war der geweihte Baum der Sippe, ebenso von Efeu wie von Legenden umrankt, und stets fanden sich einige Nester der Allheiler-Pflanze zwischen ihren knorrigen Ästen. Villú reckte sich auf seine Zehenspitzen, fasste um den untersten Ast und zog sich hoch. Die raue Borke zerbröselte unter seinen Fingerspitzen, als er sich mit Schwung hinaufwuchtete.
Er liebte die Sippeneiche, kannte jeden ihrer Äste. Keines der gemütlichen Plätzchen in der Krone war ihm fremd, er hatte den Baum sogar schon mit geschlossenen Augen bestiegen. Zielstrebig kletterte er weit hinauf, hielt sich dann nach links. Von dieser Astgabel aus konnte er in das Haus seines Onkels hinein sehen, der sich jetzt, nach dem Gelage, mit dem Helvetier besprach.
Villús Herz klopfte. Hoffentlich haben sie keinen Druiden hinzu gebeten!
Wenige Handgriffe mehr, und er wäre für alle gewöhnlichen Beobachter unsichtbar; ein Druide jedoch? Die Weisen sahen Dinge, die anderen verborgen blieben. Wenn er ein Mann war, würde auch er ein mächtiger Druide werden.
Er stützte sich mit beiden Händen ab, schob sein Gesäß zurück, bis er sicher in der Astgabel klemmte. Dann spähte er durch das Laub.


Die sogenannten Klischees würde ich, wie bereits geschrieben, keinesfalls killen - sondern in den Hintergrund treten lassen durch geschickte Perspektivanlegung.

Aber dies sind natürlich nur Vorschläge, die du nur befolgen solltest, wenn sie sich für dich, deinen Plot und deine Protagonisten gut anfühlen.
Die kennst ja nur du richtig gut.

Bibi
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Emmy
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 65
Beiträge: 30
Wohnort: Ruhrgebiet


Beitrag01.12.2014 19:32

von Emmy
Antworten mit Zitat

Zeitenträumer hat Folgendes geschrieben:
1. Die Klischees.
Da weiß ich nicht genau, wie sich das komplett vermeiden ließe. Denn z.B. wird jemand, der keine Ahnung vom antiken Rom hat, sehr wohl aber Asterix gelesen hat, bei dem Namen "Caesar" immer zuerst an das Comic denken.
Ich werde mein Manuskript nochmal auf diese "Überstrapazierten Bilder" überprüfen und in Zukunft darauf achten. Es war mir nicht bewusst, dass das so wirkt.


Hallo,

also, das mit dem Comic hatte ich diesmal nicht mehr gemeint. smile Mich interessiert, was du schreibst, der Text ist gut und flüssig zu lesen und hat m.E. Substanz. Meine Mäkelei bezieht sich letztlich nur darauf, dass mir an diesen Stellen diese sonst angelegte Substanz oder Tiefe etwas verloren geht. Ich präzisiere das aber besser in den Threads zu den Prologen.

Im wesentlichen hat Bibiro mein Gefühl beim Lesen gut konkretisiert: es geht nicht um das Weglassen dieser Elemente, sondern darum, dass sie aus der Perspektive der jeweils im Mittelpunkt stehenden Person geschildert werden. In einer Metapher: die Kulissen aus Perspektive des Schauspielers beschreiben, nicht aus Perspektive des Zuschauers. Die Perspektive des Zuschauers kann verwendet werden, aber das bedeutet eine gefühlte Hervorhebung des jeweiligen Sachverhalts. Also, so in diese Richtung ist das von mir gemeint.

Villú halte ich für vorpubertär bis pubertär, also irgendwas zwischen 10 und 13. Einfach weil ich mir dachte: wenn er die Ausbildung zum Druiden noch nicht abgeschlossen hat, ist er noch kein erwachsener Mann. Aber ich habe keine Ahnung von damaligen keltischen Druidenausbildungen. smile

LG, Emmy
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Emmy
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 65
Beiträge: 30
Wohnort: Ruhrgebiet


Beitrag01.12.2014 19:51

von Emmy
Antworten mit Zitat

Zeitenträumer hat Folgendes geschrieben:
Die Augen des Gehörnten ruhten auf ihm, unergründlich, ewig. Der Druide betrachtete das steinerne Abbild des Gottes, halb Mensch, halb Hirsch, der mit gekreuzten Beinen dasaß, die Widderkopfschlange um den Hals gelegt.
Dich, Cernunnos, dachte er. Insgeheim fürchten sie Dich am meisten. Sie alle. Er lächelte. Ungezählt und vielgestaltig waren die Unsterblichen, doch keiner, so glaubte er, flößte den Menschen so viel Respekt ein wie der Gott mit dem Hirschgeweih: Cernunnos, der Gehörnte, Herrscher über die Anderen Welten.
Der Druide schloss die Augen. „Ich bin der ewige Strom des Flusses“, murmelte er in einer alten Sprache, die nur wenige verstanden. „Ich bin das Allessehende Auge. Ich bin die Waage der Wahrheit. Ich bin die Kraft der Eiche. Sieh durch meine Augen, o Cernunnos, sprich mit meiner Stimme, urteile durch meinen Geist, strafe, wenn es sein muss, durch meine Hand. Und es wird besser sein und nicht schlechter.“


"Die Augen des Gehörnten" lässt einen Roman antizipieren, in dem es auch um eine Auseinandersetzung mit dem Christentum geht. (Der gehörnte Gott als Vorläufer des christlichen Teufels.) Wenn du das vorhast, ist es okay. Wenn du aber etwas anderes in den Mittelpunkt stellen willst, würde ich an der Stelle einfach Sagen: "Die Augen des Hirschgotts..."

Ich habe nachgelesen, dass Cernunnos eine neuzeitliche Bezeichnung ist. Dann würde die Benennung des Gottes in den Altertumskapiteln nicht passen. Und der Druide sollte ihn vielleicht lieber bei seiner Funktion ansprechen: "Dich, Gott der (??? Fruchtbarkeit, der Tiere,...) fürchten sie insgeheim am meisten." Geweih und Hörner sind verschiedene Sachen. Seit wann und in welchem Kontext existiert die Bezeichnung "gehörnter Gott"? Ist es wirklich die Bezeichnung jener Zeit, oder eine spätere Interpretation. Ich halte das wie gesagt deswegen für wichtig, da du sonst automatisch die Assoziation zur christlichen Rezeption und Auseinandersetzung hast. Da ich den Roman nicht kenne, kann das passen. Deinem Altertumskapitel nach glaube ich das aber nicht.

Der Druide übt eine Gerechtigkeitsfunktion aus und ruft in der Szene oben die Kräfte des Rechts, der Gerechtigkeit an. Ist Cernunnos hier wirklich die passende Gottheit? (Keine rhetorische Frage, ich weiß es nicht, habe aber meine Zweifel.)

Soweit meine Konkretisierung dessen, was ich zum Altertumskapitel schrieb.

LG, Emmy
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Emmy
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 65
Beiträge: 30
Wohnort: Ruhrgebiet


Beitrag01.12.2014 20:03

von Emmy
Antworten mit Zitat

Zeitenträumer hat Folgendes geschrieben:
Mirabeau nickte dem Assistenten zu, und Klein startete eine Powerpoint-Präsentation. Auf der Leinwand über dem Podium erschien das Porträt eines Mannes mit wirrem, weißen Haar und heraushängender Zunge, ein Bild, das wohl beinahe jeder Mensch in der westlichen Welt schon einmal gesehen hatte.


Vorschlag für die Richtung einer Abmilderung:
"Mirabeau nickte dem Assistenten zu, und Klein startete eine Powerpoint-Präsentation. Immer riefen sie als erstes Einstein an, wenn die Physiker über Zeitfragen dozieren wollten, und so war es kein Wunder, dass auch jetzt auf der Leinwand über dem Podium das Porträt des Mannes mit wirrem, weißen Haar und heraushängender Zunge erschien."

Auch diese Anmerkung als Erläuterung zu dem, was ich allgemein zum Altertumskapitel formulierte. smile

LG, Emmy
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Sue Rovia
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 30
Beiträge: 586
Wohnort: Metronom
Das bronzene Floß Silbernes Licht


Beitrag01.12.2014 22:32

von Sue Rovia
Antworten mit Zitat

Zitat:
Der Druide schloss die Augen. „Ich bin der ewige Strom des Flusses“, murmelte er in einer alten Sprache, die nur wenige verstanden. „Ich bin das Allessehende Auge. Ich bin die Waage der Wahrheit. Ich bin die Kraft der Eiche. Sieh durch meine Augen, o Cernunnos, sprich mit meiner Stimme, urteile durch meinen Geist, strafe, wenn es sein muss, durch meine Hand. Und es wird besser sein und nicht schlechter.“


Mein Vorschlag wäre, das vielleicht tatsächlich im Versmaß zu schreiben:

Ich bin der ewige Strom des Flusses
Ich bin das Allessehende Auge.
Ich bin die Waage der Wahrheit.
Ich bin die Kraft der Eiche.
Sieh durch meine Augen, o Cernunnos.
Sprich mit meiner Stimme.
Urteile durch meinen Geist.
Strafe, wenn es sein muss, durch meine Hand.
Und es wird besser sein und nicht schlechter

Ich finde die Absätze wirken einfach schon sehr geballt, und für das Auge  deshalb etwas ausladend. Deswegen die Idee. Du kannst ja mal darüber nachdenken.

P.S: Was mich wirklich stört am ersten Absatz, ist die Tatsache dass ich schätzungsweise bis zum Ende des Buches nicht herausbekommen werde, wie die Sprache heißt, in der die Verse gesprochen werden. Geht aber wahrscheinlich nur mir so.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag02.12.2014 01:15

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Abermals vielen Dank, ich denke ich weiß was ihr meint. Emmy, danke auch für die Beispiele für die Prologe - werde ich beherzigen, wenn ich mir die nochmal vornehme.

Ich habe mal eine Version geschrieben, in der Villú keine Einsicht in das Haus hat, und finde diesen Ansatz nach wie vor vielversprechend. Bibi, ich habe dabei einiges von deinem Gestöber benutzt; vor allem die zerbröselnde Broke hat mir gut gefallen.

Ach ja, und noch die Auflösung des Rätsels: Emmy hat Recht - Villú ist 12.

Beste Grüße,

David
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag02.12.2014 01:21

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Riuros, 15. Jahr, 25. Zyklus

Vorsichtig steckte Villú den Kopf aus der Tür und horchte in die Nacht. Die Sippe schien zu schlafen, lediglich aus dem Haus seines Onkels Dumnorix drangen gedämpfte Stimmen, zu leise, um sie zu verstehen. Mit klopfendem Herzen hob er den Blick zum Rauchfang unter dem Giebel, einem kleinen, offenen Dreieck, aus dem ein flackerndes Licht leuchtete. Ihn fröstelte, obwohl die kalten Winternächte vorüber waren, und er zog seinen Umhang fester um die Schultern. Vielleicht sollte ich es diesmal lassen, dachte er, doch er wusste, dass es zu spät war. Sie haben mich noch nie entdeckt. Er gab sich einen Ruck, rannte geduckt über den mondbeschienenen Hof und kauerte sich an den Stamm der alten Steineiche, die in der Mitte des Hofes wuchs. Sie war der geweihte Baum der Sippe, ebenso von Efeu wie von Legenden umrankt, und Villú kannte jeden ihrer Äste, jeden gemütlichen Platz in ihrer breiten Krone; er liebte die Sippeneiche und hatte sie sogar schon mit geschlossenen Augen bestiegen.
Erneut sah er hinauf zu dem hellen Dreieck unter dem Giebel und wusste, dass es falsch war, was er tat. ‚Du verwechselst Neugier mit Wissensdrang, Villú‘, erklang die Stimme seines Vaters in seinem Kopf, doch sie verschwand so schnell sie gekommen war. Er reckte sich auf die Zehenspitzen und umfasste den untersten Ast; die raue Borke zerbröselte unter seinen Fingern, als er sich mit Schwung hinauf wuchtete. Hoffentlich haben sie keinen Druiden hinzu gebeten, dachte er. Wenige Handgriffe mehr und er wäre für alle gewöhnlichen Beobachter unsichtbar; ein Druide jedoch? Die Weisen sahen Dinge, die anderen verborgen blieben. Wenn er ein Mann war, würde auch er ein mächtiger Druide werden.
Zielstrebig kletterte er höher, vorbei an den dunklen Nestern der Allheilerpflanzen im Laubwerk, bis weit hinauf zu einer Astgabel in der Nähe des Rauchfangs und hielt den Atem an. Es war still. Haben sie mich gehört?, fragte er sich ängstlich, als ein rauer Bass aus dem Haus ertönte. Augenblicklich tauchte das Bild des hünenhaften Helvetiers vor seinem inneren Auge auf, der ihm mit seiner groben Art bei dem Hochzeitsgelage so unangenehm gewesen war: Orgetorix, Sohn des Samicos. Er war, wie Villú gehört hatte, der reichste unter den Helvetiern, so wie es Dumnorix unter den Haeduern war, und hatte wie dieser tausende von Schuldnern und Hörigen. Bei dem Fest hatte Villú einen Krieger sagen hören, allein der Farbstoff für Orgetorix‘ scharlachroten Umhang sei eine ganze Rinderherde wert, und die Mitgift für seine Tochter hatte aus zwölf Wagenladungen bestanden! Villú fragte sich zum wiederholten Male, was sich in den vielen beschlagenen Holzkisten befand, die Dumnorix` Männer ins Haus geschleppt hatten, und schauderte bei der Erinnerung daran, wie der Helvetier mit dem viergehörnten Stierhelm an der Spitze seines Gefolges in den Hof eingeritten war. Wie er sich aus seinen zuckenden blauen Augen umgesehen hatte! Villú schluckte und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Gespräch.
„…könnt Ihr getrost vergessen“, hörte er Orgetorix abfällig sagen.  „Unser Vergobret ist ein alter Mann. Es würde mich nicht wundern, wenn er bei meiner Rückkehr gestorben wäre. Mein Volk braucht Land, niemand kann das bestreiten. Unter dem Vorwand der Auswanderung ziehen wir den Arar hinauf, bis wir Eure Gebiete erreichen; niemand wird etwas ahnen. Dann vereinen wir unsere Krieger, schwenken zum Sonnenaufgang und zeigen den Germanen, was es heißt, keltischen Zorn zu erregen.“
Wovon spricht er, bei den Neun Quellen?, fragte sich Villú verwirrt; gespannt wartete er auf die Antwort seines Onkels.
Dumnorix sprach wie üblich wohlartikuliert und flüssig, in überaus verbindlichem Tonfall. „Gut“, sagte er. „Nehmen wir an, Haeduer und Helvetier vereinigten sich. Doch werden wir stark genug sein, Ariovist zu besiegen? Er hat viele tausend Krieger über den Rhenos gebracht, und es werden von Tag zu Tag mehr. Angeblich hat er den Sequanern bereits ein Drittel ihres Landes abgepresst.“
„Sequaner sind keine Helvetier!“, bellte Orgetorix. „Wir haben diese Wilden viele Male über den Rhenos zurückgeschlagen. Uns folgen zahllose Krieger anderer Stämme, Boier, Tulinger, Rauracer. Mit Eurer Unterstützung…“
„Dennoch mussten jene Stämme in der Vergangenheit vor den Germanen weichen“, unterbrach ihn Dumnorix. „Sie alle sind erstarrt in Angst vor Ariovist. Euer Plan ist groß, Orgetorix, vielleicht zu groß. Wenn wir scheitern, werden Germanen und Römer Gallien unter sich aufteilen.“
„Wollt Ihr diesem germanischen Schlächter weiterhin Tribut zahlen Ihm Geiseln stellen? Wo ist der Stolz und die Ehre der Haeduer?“
Villú konnte sich die beiden genau vorstellen, wie sie auf Bärenfellen an dem niedrigen Tisch saßen und die Reste der Prachtschweine vom Festmahl verzehrten, Wein aus goldenen Schalen tranken; Orgetorix, wie er mit seinem Dolch große Stücke Fleisch vom Knochen schnitt, ein Stück Knorpel ausspuckte und ungeduldig mit den Händen fuchtelte. Ihm war, als dringe die alles verachtende Selbstsicherheit des Helvetiers mit seinen Worten und dem Rauch der Feuerstelle unter dem Giebel hervor.
 „Die Krieger sind stolz wie eh und je“, entgegnete Dumnorix nach einer Pause. „Doch die Ehre unseres Stammes haben wir längst an Rom verkauft, lange bevor Ariovist uns besiegte.“
Villú zuckte zusammen, als Orgetorix mit der Faust auf den Tisch schlug.
„Dann wird es Zeit, sie zurückzugewinnen!“, rief er nun lauter. „Wo war Rom, als der Wilde Eure Felder verwüstete und Eure Frauen und Kinder raubte?“
Dumnorix schien einen Moment nachzudenken. „Was Ihr vorhabt, Orgetorix, Sohn des Samicos, verstößt gegen die Gesetze fast aller Stämme, auch des Euren. Es darf nicht fehlgehen. Was hindert meinen Bruder Diviciacos, sofort wieder nach Rom zu laufen und um Hilfe zu betteln, wenn er davon erfährt?“
 „Damit hat er beim letzten Mal auch nichts erreicht, außer dass er seine Stellung an Euch verlor. Zudem seid Ihr am heutigen Tage den Vierbund mit meiner Tochter eingegangen, schon vergessen? Sie wartet sicher schon sehnsüchtig auf Euch!“
Villú spürte, dass die Erregung des Helvetiers wuchs. Was bei allen Göttern geht hier vor? Die geweihte Verbindung seines Onkels mit Orgetorix‘ Tochter Enia war der eigentliche Anlass des Besuchs der Helvetier gewesen. Oder seid Ihr in Wahrheit wegen dieses nächtlichen Treffens gekommen, Orgetorix? Er verstand kaum etwas von dem Gehörten, aber offenbar war eine Verschwörung im Gange.
„Diviciacos ist alles zuzutrauen“, sagte Dumnorix ruhig. „Er ist wie ein Bach, der jedem Hindernis ausweicht und sich neue Wege sucht, wenn ihm die alten verschlossen sind.“
Villú hörte seinen Onkel aufstehen und kurz darauf wurde der lederne Vorhang am Eingang zurückgeschlagen und ein Lichtschein fiel in den Hof. Villú duckte sich und hielt erneut die Luft an, obwohl er wusste, dass sein Onkel ihn nicht sehen konnte. Dumnorix‘ schlanke Gestalt hob sich dunkel gegen das flackernde Licht des Feuers ab, nur in seinem geölten Haar und auf dem prächtigen goldenen Torques um seinen Hals glänzte der Schein des Mondes. Villú überkam die Mischung aus Bewunderung und Furcht, die er seinem Onkel gegenüber stets empfand.
„Seid Ihr euch der Treue Eures Volkes sicher, Orgetorix?“, fragte Dumnorix mit leiser Stimme in den stillen Innenhof hinein, mehr an sich selbst als an seinen Gast gerichtet. Dann drehte er sich wieder um und Villú atmete auf. „Was werden die tapferen Helvetier sagen, wenn sie erfahren, dass einer der ihren sich gegen den Brauch zum König erheben will?“
„Das lasst meine Sorge sein!“, sagte Orgetorix herrisch. „Ich habe sie überzeugt, ihr Land zu verlassen und mit mir durch ganz Gallien zu ziehen. Schon bald werden sie freiwillig ihre Städte, Dörfer und Gehöfte in Brand stecken, um mir zu folgen! Viele der Mächtigen sind mir hörig, und das Volk ist der Herrschaft der Sippen seit langem überdrüssig. Sie sind arm und schreien förmlich nach einem König, der sie aus ihrem Elend befreit. Und wer sollte ihr König sein, wenn nicht ich?“ Er rülpste. „Sagt,  ist das der Wein, den Ihr von dem elenden Griechen erworben habt?“
„In der Tat“, bestätigte Dumnorix. „Und lasst Euch gesagt sein, der verfluchte Kerl verlangt ganz spezielle Preise.“ Er ließ sich eine Weile Zeit, bis er fortfuhr, und Villú spürte, dass er nur einen kleinen Teil seiner Gedanken preisgab. „Seid darauf bedacht, Euren Plan vor den Römern geheim zu halten“, sagte sein Onkel dann. „Von dem neuen Statthalter hört man, er suche nur nach einem Grund, die Stämme zu überfallen.“
„Pah!“, rief Orgetorix aus. „Bereits unter Brennos haben keltische Krieger das Capitol umstellt, und wir Helvetier haben die Römer noch vor fünfzig Wintern besiegt und unter das Joch geschickt. Erinnert einen Römer an Aginnum, und er zittert und fleht um Gnade.“ Der Wein und der Gedanke an die siegreiche Schlacht von Aginnum schienen ihn zu beflügeln. Villú musste zugeben, dass er sehr überzeugend wirkte, auch wenn jene Schlacht und erst recht die Eroberung Roms durch den Senonenhäuptling Brennos schon seit vielen Wintern Vergangenheit waren.
Orgetorix senkte die Stimme. „Nein, Dumnorix. Der Einzige, der mir Sorge bereitet, ist Euer Bruder. Diviciacos.“
Die Art, wie er den Namen zwischen den Zähnen hinausspie, verriet seine Angst und seinen Hass auf den berühmten Druiden. Villú war ein bisschen stolz. Dieser Mann, vor dem selbst Dumnorix Respekt zu haben schien, fürchtete seinen Vater mehr als die Germanen, mehr als den Zorn seines eigenen Stammes, ja sogar mehr als die Macht Roms! Dennoch erfüllte ihn dieses geheime Gespräch mit Angst. Was bei Esos habt ihr vor?
Ein Moment der Stille folgte, so still, dass Villú die beiden Männer trinken hörte, bevor Dumnorix abrupt zu sprechen begann.
„Nun gut, Orgetorix“, sagte er. „So sei es. Vertreiben wir den verfluchten Germanen. Sobald Ihr bereit seid, verkünden wir unser Bündnis. Ich bin einverstanden mit eurer Ansicht, dass die anderen Stämme sich einem solchen Bund unterwerfen werden, wenn die Götter unserem Plan ihre Gunst schenken.“ Seine Stimme hatte einen feierlichen Klang. „Mögen die Könige zurückkehren.“  
Er lügt, dachte Villú aufgeregt. Oder mindestens hält er viel von dem zurück, was er denkt und plant. Er konnte sich ausmalen, was Orgetorix mit denjenigen tun würde, die sich ihm nicht ergäben oder ihn gar hintergingen.
Dumnorix hob erneut an. „Vergesst jedoch nicht, dass unser Stamm sich den Römern verpflichtet hat. Auch wenn Caesar, der neue Statthalter, derzeit noch in Italien weilt, so wird er bei einem derartigen Vertragsbruch schnellstens mit seinen Legionen in unsere Länder ziehen. Bis zu seiner Ankunft müssen wir Gallien in der Hand haben. Wenn die Stämme nicht vereint kämpfen, werden die Römer uns leicht besiegen. Und dann werden sie Euch und mich als Aufrührer töten und unsere Frauen und Kinder in die Sklaverei verkaufen. Wenn Euer Plan scheitert, wird er das Ende der keltischen Völker bedeuten.“
Orgetorix antwortete mit der sicheren Stimme eines Menschen, der nicht gewohnt ist, dass seine Pläne fehlgehen. „Wir werden Seite an Seite stehen, Dumnorix, und Germanen wie Römern zeigen, dass die Kelten freie Menschen sind! Doch zunächst kümmert Euch um Euer Volk und vor allem um Euren Bruder. Wenn Ihr Rom als so große Gefahr seht, ist es umso wichtiger, dass er nichts erfährt und gefügig ist.“
„Für Diviciacos habe ich bereits einen Einfall“, sagte Dumnorix langsam. Villú hörte aus seinem Tonfall, dass sein Onkel jenes überlegene Lächeln aufgesetzt hatte, das bei ihm stets eine Gänsehaut auslöste. „Zur weiteren Bekräftigung der Freundschaft unserer Sippen und Stämme werdet Ihr, Orgetorix, Euren Sohn Allecnos den Haeduern als Geisel stellen. Im Gegenzug nehmt Ihr Villú, Sohn des Diviciacos, mit Euch nach Aventia.“
Wäre die Astgabel nicht absolut sicher gewesen, Villú wäre vor Schreck vom Baum gefallen, als er seinen Namen hörte. Nicht nur wollten die beiden sich offenbar zu Königen erheben und alle Stämme in Knechtschaft zwingen; nein, Dumnorix hatte vor, ihn in Gefangenschaft zu den Helvetiern zu schicken, einem Stamm, der Gerüchten zufolge sogar mit den Wilden jenseits des Rhenos verwandt war!
Sein Vater musste sofort davon erfahren. So leise wie möglich machte er sich an den Abstieg.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
bibiro
Geschlecht:weiblichKlammeraffe
B


Beiträge: 716



B
Beitrag02.12.2014 07:33

von bibiro
Antworten mit Zitat

Hallo Zeitenträumer,

In der Überarbeitung schreitest du voran.

Allerdings habe ich immer noch zwei Kritikpunkte:

Mein Hinweis zu den Formulierungen wie "er fühlte", "er dachte" etc. hast du geflissentlich übergangen - doch jede von ihnen schubst mich wieder aus Villús Kopf hinaus, wenn ich mich gerade darin eingerichtet hatte.

Dass solche Formulierungen perspektivischen Abstand erzeugen ist nichts, was ich mir aus den Fingern sauge, um dich zu ärgern. Ich habe extra gesucht, Beka, die ungleich mehr Erfahrung hat als ich, hat es unlängst auch erklärt, gewiss sind ihre Worte verständlicher: http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?p=914356#914356

Solche Dinge sind winzige Kniffe, die in der Gesamtheit sehr viel bewirken.

Darf ich dich fragen, wie du beim Schreiben vorgehst?

Du schriebst, meine Formulierung mit der bröselnden Borke habe dir gefallen (danke dafür) - nun, ich schildere dir mal, wie ich vorgegangen bin, bei der Überarbeitung deines Absatzes:

Zunächst mal versuchte ich mich in Villús Kopf hineinzukuscheln - und da es Nacht ist, geht das am Besten, indem ich mich - wie ein Alien in seinem Kopf - mit ihm zusammen in sein Bett kuschele.
Dazu habe ich mir in Erinnerung gerufen, wie es sich denn in so einem Bett in einem Haus des Freilichtmuseums anfühlt, was man da hört und ich roch sogar den kalten Rauch und schwupps saß ich in seinem Hirnkasten.
Gut, ich wusste also, ich, in Villús Kopf, habe von dir den Auftrag, hinaus in die kalte Spätwinternacht zu gehen - deshalb suchten wir völlig automatisch nach den Schuhen, ehe wir leise durch das Haus tappten und die Tür öffneten. Nachdem wir im Mondschein zur Eiche gerannt waren, stand Villú erstmal ein bisschen unschlüssig herum, ehe mir einfiel, wie das so ungefähr in der mittleren Jungsteinzeit war, als ich noch auf Bäume geklettert bin.
Deshalb hoben wir uns auf die Zehenspitzen, fasten den untersten Ast, zogen uns hoch - und genau wie vor 35 oder so Jahren zerbröselte die Rinde unter unseren Fingern, ein fieser Windhauch streute sie direkt in unsere Augen und wir mussten blinzeln, um sie mit Tränenflüssigkeit herauszuspülen.
All das habe ich weggelassen, weil ich ja davon ausging, dass Villú ein junger Mann ist, kein Kind.

Nun behauptest du jedoch, er sei dies - womit ich zu meinem zweiten Kritikpunkt komme: Das Alter.
Villús Erzählung unterscheidet sich nicht einen Deut von der seines Vaters und nur marginal von der des zeitgenössischen Beobachters.
Seine Sprache ist eine gewählte Ausdrucksweise, mit vielen Nebensätzen und sogar Semikolon anstelle von Punkten.
Im Grunde erzählst du - und nicht der 12- jährige Villú, der vor 2000 Jahren lebte.
Dass deine Erzählstimme beim Druiden durchklingt, ist (halb) verzeihlich (ich schrieb dir ja schon, du musst mehr in seine heidnische Überzeugung hineinschlüpfen), beim zeitgenössischen Beobachter ist sie völlig angebracht - aber bitte, suche dir eine handvoll 12-jähriger Jungs und höre denen aufs Maul, wenn sie untereinander davon erzählen, wie sie in der großen Pause gekickt haben, der Ball im Astwirrwar eines Baumes festklemmte und sie hochklettern mussten.
Du wirst keine kunstvoll aneinandergedröselten Satzkonstrukte hören.
Dies bedeutet nun nicht, dass du Villús Erzählpart in Gossensprache verfassen solltest - nein, keineswegs!
Aber es sollte beim Lesen eben schon spürbar werden, dass hier ein anderer Charakter spricht.

Deine bisher aufgetretenen Erzähler - der Druide, der Beobachter und der Junge Villú - sind doch ganz unterschiedliche Charaktere.
Der Druide ist gläubig, seinen Göttern stark verbunden. Auch wenn du selbst keinem Glauben anhängst, auch heute noch gibt es tief religiöse Menschen, sieh sie dir an, welches Modell könnte zu deinem Druiden passen? Eher der Gospelchorleiter (Hallelujah!), mehr der ernste Zeuge Jehovas, der an deiner Tür läutet, findest du Spuren von ihm in einem verschmitzten, lebensweisen Abt oder gar in deinem Nachbarn, der fünfmal täglich seinen Gebetsteppich ausrollt und das Schicksal hinnimmt (Inschallah)
Zudem ist dein Druide ein Familienvater, sein Denken und Fühlen wird sich mit seinen Angehörigen befassen, er trägt Verantwortung für seine Kinder und für seine Frau.
Der moderne Beobachter darf gerne so diffus und abgehoben bleiben, bei ihm passt das zu der Aura des Geheimnisvollen.
Villú dagegen braucht mehr Lebensfreude, Energie, unbedachtes Handeln. Sein Glaube - der spürbar sein sollte, wenn er doch seinem Vater nachfolgen soll  - könnte mehr Staunen sein denn Wissen. Er darf ruhig aufgeregt sein und auch mal Dummheiten machen.
In der überarbeiteten Fassung hast du versucht, das ein wenig anklingen zu lassen, baue das aus, du bist hier auf einem guten Weg.
Dann formuliere Villús Parts noch mit ein wenig reduzierter sprachlicher Finesse, und dann solltest du auch uns kritische Suppenkasper überzeugen können.

Wenn ich jedoch den anfänglichen Text mit der zuletzt eingestellten Version vergleiche, dann hast du schon deutliche Fortschritte gemacht.

Grüßle Bibi
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag02.12.2014 16:13

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Hallo Bibi,

Zitat:
Mein Hinweis zu den Formulierungen wie "er fühlte", "er dachte" etc. hast du geflissentlich übergangen - doch jede von ihnen schubst mich wieder aus Villús Kopf hinaus, wenn ich mich gerade darin eingerichtet hatte.

Ich bemühe mich ... aber das wird noch einen Moment dauern. Darüber hinaus gibt es in Villús Fall noch eine Besonderheit, die eigentlich erst in seinem 2. Kapitel explizit wird (da auch etwas eleganter), aber vielleicht einen Teil des Problems beheben könnte. Ich habe sie jetzt mal eingebaut (Spoiler!), wie in der nächsten Version zu lesen sein wird.

Villú kann Gefühle anderer Menschen spüren

Hm, wie gehe ich beim Schreiben vor? Soweit ich verstehe, ist dein Ansatz, dich so genau wie möglich in die handelnde Person zu versetzen, wozu du gern Beispiele aus deinem eigenen Leben benutzt. Das mache ich durchaus auch, aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, glaube ich, dass ich die Szenen zumindest am Anfang eher als Film vor mir sehe. Muss ich nochmal beobachten. Ich werde jedenfalls dank dir von nun an noch genauer darauf achten und hoffentlich mein Repertoire erweitern.

Jetzt zum Alter: Zum Einen ist man mit 12 in der damaligen Zeit natürlich in einer vollkommen anderen Position als heute, aber darüber brauchen wir nicht zu reden.
Viel wichtiger ist Folgendes: Ich will auf gar keinen Fall, dass er spricht wie ein modernes Kind / Jugendlicher. Allerdings hat mich seine etwas übertriebene Erwachsenheit schon auch immer gestört. Da habe ich noch keine perfekte Lösung, aber ich arbeite dran.

Liebe Grüße,

David
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag08.12.2014 15:32

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

So, hier nun also eine weitere Überarbeitung. Ich danke allen, die sich beteiligt haben, sehr für ihr Feedback; ich denke, der Text ist ein ganzes Stück besser geworden. Ich werde ihn nun erstmal ruhen lassen, weitere Meinungen sind aber natürlich immer noch höchst willkommen.

Riuros, 15. Jahr, 25. Zyklus

Vorsichtig streckte Villú den Kopf aus der Tür und horchte in die Nacht. Die Sippe schien zu schlafen, lediglich aus dem Haus seines Onkels Dumnorix drangen gedämpfte Stimmen, zu leise, um sie zu verstehen. Ihn fröstelte, obwohl die eisigen Winternächte vorüber waren, und er zog seinen Umhang fester um die Schultern. Mit klopfendem Herzen hob er den Blick zum Rauchfang unter dem Giebel, einem kleinen, offenen Dreieck, aus dem ein flackerndes Licht leuchtete. Vielleicht sollte ich es diesmal lassen, dachte er, doch er wusste, dass es zu spät war. Sie haben mich noch nie entdeckt. Er gab sich einen Ruck, rannte geduckt über den mondbeschienenen Hof und kauerte sich an den Stamm der alten Steineiche, die in der Mitte des Hofes wuchs. Kurz schloss er die Augen und legte die Hand auf die rissige Borke. Die Eiche war der geweihte Baum der Sippe, ebenso von Efeu wie von Legenden umrankt, und Villú kannte jeden ihrer Äste, jeden gemütlichen Platz in ihrer breiten Krone; er liebte die Sippeneiche und hatte sie sogar schon mit geschlossenen Augen bestiegen. Helft mir, Väter meiner Väter, bat er die Ahnen im Geiste. Lasst mich heimlich und leise sein, wie die Katze in der Nacht.  
Er öffnete die Augen, sah erneut hinauf zu dem hellen Dreieck unter dem Giebel und wusste, dass es falsch war, was er tat. ‚Du verwechselst Neugier mit Wissensdrang, Villú‘, erklang die Stimme seines Vaters in seinem Kopf, doch sie verschwand so schnell wie sie gekommen war. Er reckte sich auf die Zehenspitzen und umfasste den untersten Ast; Rinde zerbröselte unter seinen Fingern, als er sich mit Schwung hinauf wuchtete. Hoffentlich ist kein Druide bei ihnen. Wenige Handgriffe mehr und er wäre für alle gewöhnlichen Beobachter unsichtbar. Aber ein Druide? Die Weisen sahen Dinge, die anderen verborgen blieben. Wenn er ein Mann war, würde auch er ein mächtiger Druide werden.
Zielstrebig kletterte er höher, vorbei an den dunklen Nestern der Allheilerpflanzen im Laubwerk, bis weit hinauf zu einer Astgabel, die sich auf Höhe des Rauchfangs befand, hielt den Atem an und lauschte. Es war still. Haben sie mich gehört?
Er zuckte zusammen, als auf einmal ein rauer Bass aus dem Haus ertönte. Augenblicklich tauchte das Bild des hünenhaften Helvetiers vor seinem inneren Auge auf, der ihm mit seiner groben Art bei dem Hochzeitsgelage so unangenehm gewesen war: Orgetorix, Sohn des Samicos. Er war, wie Villú gehört hatte, der reichste unter den Helvetiern, so wie es Dumnorix unter den Haeduern war, und hatte wie dieser tausende von Schuldnern und Hörigen. Bei dem Fest hatte Villú einen Krieger sagen hören, allein der Farbstoff für Orgetorix‘ scharlachroten Umhang sei eine ganze Rinderherde wert, und die Mitgift für seine Tochter hatte aus zwölf Wagenladungen bestanden! Villú fragte sich zum wiederholten Male, was sich in den vielen beschlagenen Holzkisten befand, die Dumnorix` Männer ins Haus geschleppt hatten, und er schauderte bei der Erinnerung daran, wie der Helvetier mit dem viergehörnten Stierhelm an der Spitze seines Gefolges in den Hof eingeritten war. Wie er sich aus seinen zuckenden blauen Augen umgesehen hatte! Villú schluckte und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Gespräch.
„…könnt Ihr getrost vergessen“, hörte er Orgetorix abfällig sagen.  „Unser Vergobret ist ein alter Mann. Es würde mich nicht wundern, wenn er bei meiner Rückkehr gestorben wäre. Mein Volk braucht Land, niemand kann das bestreiten. Unter dem Vorwand der Auswanderung ziehen wir den Arar hinauf, bis wir Eure Gebiete erreichen; niemand wird etwas ahnen. Dann vereinen wir unsere Krieger, schwenken zum Sonnenaufgang und zeigen den Germanen, was es heißt, keltischen Zorn zu erregen.“
Keltischer Zorn? Wovon spricht er, bei den Neun Quellen?, fragte sich Villú verwirrt; gespannt wartete er auf die Antwort seines Onkels.
Dumnorix sprach wie üblich wohlartikuliert und flüssig, in überaus verbindlichem Tonfall. „Gut“, sagte er. „Nehmen wir an, Haeduer und Helvetier vereinigten sich. Doch werden wir stark genug sein, Ariovist zu besiegen? Er hat viele tausend Krieger über den Rhenos gebracht, und es werden von Tag zu Tag mehr. Angeblich hat er den Sequanern bereits ein Drittel ihres Landes abgepresst.“
„Sequaner sind keine Helvetier!“, bellte Orgetorix. „Wir haben diese Wilden viele Male über den Rhenos zurückgeschlagen. Uns folgen zahllose Krieger anderer Stämme, Boier, Tulinger, Rauracer. Mit Eurer Unterstützung…“
„Dennoch mussten jene Stämme in der Vergangenheit vor den Germanen weichen“, unterbrach ihn Dumnorix. „Sie alle sind erstarrt in Angst vor Ariovist. Euer Plan ist groß, Orgetorix, vielleicht zu groß. Wenn wir scheitern, werden Germanen und Römer Gallien unter sich aufteilen.“
„Wollt Ihr diesem germanischen Schlächter weiterhin Tribut zahlen Ihm Geiseln stellen? Wo sind der Stolz und die Ehre der Haeduer?“
Villú sah die beiden vor sich, wie sie auf Bärenfellen an dem niedrigen Tisch saßen und die Reste der Prachtschweine vom Festmahl verzehrten, Wein aus goldenen Schalen tranken; Orgetorix, wie er mit seinem Dolch große Stücke Fleisch vom Knochen schnitt, ein Stück Knorpel ausspuckte und ungeduldig mit den Händen fuchtelte. Ihm war, als quelle der alles verachtende Stolz des Helvetiers mit seinen Worten und dem Rauch der Feuerstelle unter dem Giebel hervor, und ihm schwindelte. Er hatte sich daran gewöhnt, Gefühle anderer Menschen beinahe wie seine eigenen zu empfinden, doch niemals zuvor war ihm ein derart wütender, brodelnder Geist begegnet, so kraftvoll, dass er es kaum ertrug.
„Die Krieger sind stolz wie eh und je“, entgegnete Dumnorix nach einer Pause. „Doch die Ehre unseres Stammes haben wir längst an Rom verkauft, lange bevor Ariovist uns besiegte.“
Er ist so kalt, dachte Villú und schreckte erneut zusammen, als Orgetorix mit der Faust auf den Tisch schlug.
„Dann wird es Zeit, sie zurückzugewinnen!“, rief er nun lauter. „Wo war Rom, als der Wilde Eure Felder verwüstete und Eure Frauen und Kinder raubte?“
Dumnorix schien einen Moment nachzudenken. „Was Ihr vorhabt, Orgetorix, Sohn des Samicos, verstößt gegen die Gesetze fast aller Stämme, auch des Euren. Es darf nicht fehlgehen. Was hindert meinen Bruder Diviciacos, sofort wieder nach Rom zu laufen und um Hilfe zu betteln, wenn er davon erfährt?“
 „Damit hat er beim letzten Mal auch nichts erreicht, außer dass er seine Stellung an Euch verlor. Zudem seid Ihr am heutigen Tage den Vierbund mit meiner Tochter eingegangen, schon vergessen? Sie wartet sicher schon sehnsüchtig auf Euch!“
Villús Gedanken wirbelten durcheinander. Er begriff nicht, was die beiden vorhatten, aber offenbar war eine Verschwörung im Gange. War nicht die geweihte Verbindung seines Onkels mit Orgetorix‘ Tochter Enia der eigentliche Anlass des Besuchs der Helvetier gewesen? Oder seid Ihr in Wahrheit wegen dieses nächtlichen Treffens gekommen, Orgetorix?
„Diviciacos ist alles zuzutrauen“, sagte Dumnorix ruhig. „Er ist wie ein Bach, der jedem Hindernis ausweicht und sich neue Wege sucht, wenn ihm die alten verschlossen sind.“
Villú hörte seinen Onkel aufstehen und kurz darauf wurde der lederne Vorhang am Eingang zurückgeschlagen und ein Lichtschein fiel in den Hof. Villú duckte sich und hielt erneut die Luft an. Er sieht mich nicht, ermahnte er sich, er sieht mich nicht. Dumnorix‘ schlanke Gestalt hob sich dunkel gegen das flackernde Licht des Feuers ab, nur in seinem geölten Haar und auf dem prächtigen goldenen Torques um seinen Hals glänzte der Schein des Mondes, und wie so oft erschien er Villú wie ein mächtiger Fürst aus der Zeit der Helden, großartig und furchteinflößend zugleich.
„Seid Ihr euch der Treue Eures Volkes sicher, Orgetorix?“, fragte Dumnorix mit leiser Stimme in den stillen Innenhof hinein, mehr an sich selbst als an seinen Gast gerichtet. Dann drehte er sich wieder um und Villú atmete auf. „Was werden die tapferen Helvetier sagen, wenn sie erfahren, dass einer der ihren sich gegen den Brauch zum König erheben will?“
Villú erschrak und hielt sich schnell eine Hand vor den Mund. König? Bei allen Göttern …
„Das lasst meine Sorge sein!“, erwiderte Orgetorix herrisch. „Ich habe sie überzeugt, ihr Land zu verlassen und mit mir durch ganz Gallien zu ziehen. Schon bald werden sie freiwillig ihre Städte, Dörfer und Gehöfte in Brand stecken, um mir zu folgen! Viele der Mächtigen sind mir hörig, und das Volk ist der Herrschaft der Sippen seit langem überdrüssig. Sie sind arm und schreien förmlich nach einem König, der sie aus ihrem Elend befreit. Und wer sollte ihr König sein, wenn nicht ich?“ Er rülpste. „Sagt, ist das der Wein, den Ihr von dem elenden Griechen erworben habt?“
„In der Tat“, bestätigte Dumnorix. „Und lasst Euch gesagt sein, der verfluchte Kerl verlangt ganz spezielle Preise.“ Er ließ sich eine Weile Zeit, bis er fortfuhr, und Villú spürte, dass er nur einen kleinen Teil seiner Gedanken preisgab. „Seid darauf bedacht, Euren Plan vor den Römern geheim zu halten“, sagte sein Onkel dann. „Von dem neuen Statthalter hört man, er suche nur nach einem Grund, die Stämme zu überfallen.“
„Pah!“, rief Orgetorix aus. „Bereits unter Brennos haben keltische Krieger das Capitol umstellt, und wir Helvetier haben die Römer noch vor fünfzig Wintern besiegt und unter das Joch geschickt. Erinnert einen Römer an Aginnum, und er zittert und fleht um Gnade.“ Der Wein und der Gedanke an die siegreiche Schlacht von Aginnum schienen ihn zu beflügeln. Villú musste zugeben, dass er sehr überzeugend wirkte, auch wenn jene Schlacht und erst recht die Eroberung Roms durch den Senonenhäuptling Brennos schon seit vielen Wintern Vergangenheit waren.
Orgetorix senkte die Stimme, und Villú beugte sich unwillkürlich nach vorn. „Nein, Dumnorix. Der Einzige, der mir Sorge bereitet, ist Euer Bruder. Diviciacos.“
Die Art, wie er den Namen zwischen den Zähnen hinausspie, verriet seine Angst und seinen Hass auf den berühmten Druiden. Villú lief ein kalter Schauer über den Rücken und er biss die Zähne zusammen. Dieser Mann, vor dem selbst Dumnorix Respekt zu haben schien, fürchtete seinen Vater mehr als die Germanen, mehr als den Zorn seines eigenen Stammes, ja sogar mehr als die Macht Roms! Was hat das alles zu bedeuten?
Ein Moment der Ruhe folgte, so still, dass Villú die beiden Männer trinken hörte, bevor Dumnorix abrupt zu sprechen begann.
„Nun gut, Orgetorix“, sagte er. „So sei es. Vertreiben wir den verfluchten Germanen. Sobald Ihr bereit seid, verkünden wir unser Bündnis. Ich bin einverstanden mit eurer Ansicht, dass die anderen Stämme sich einem solchen Bund unterwerfen werden, wenn die Götter unserem Plan ihre Gunst schenken.“ Seine Stimme hatte einen feierlichen Klang. „Mögen die Könige zurückkehren.“  
Er lügt, dachte Villú aufgeregt. Oder mindestens sagt er nicht alles, was er denkt. Er konnte sich ausmalen, was Orgetorix mit denjenigen tun würde, die sich ihm nicht ergäben oder ihn gar hintergingen.
Dumnorix hob erneut an. „Vergesst jedoch nicht, dass unser Stamm sich den Römern verpflichtet hat. Auch wenn Caesar, der neue Statthalter, derzeit noch in Italien weilt, so wird er bei einem derartigen Vertragsbruch schnellstens mit seinen Legionen in unsere Länder ziehen. Bis zu seiner Ankunft müssen wir Gallien in der Hand haben. Wenn die Stämme nicht vereint kämpfen, werden die Römer uns leicht besiegen. Und dann werden sie Euch und mich als Aufrührer töten und unsere Frauen und Kinder in die Sklaverei verkaufen. Wenn Euer Plan scheitert, wird er das Ende der keltischen Völker bedeuten.“
Orgetorix antwortete mit der sicheren Stimme eines Menschen, der nicht gewohnt ist, dass seine Pläne fehlgehen. „Wir werden Seite an Seite stehen, Dumnorix, und Germanen wie Römern zeigen, dass die Kelten freie Menschen sind! Doch zunächst kümmert Euch um Euer Volk und vor allem um Euren Bruder. Wenn Ihr Rom als so große Gefahr seht, ist es umso wichtiger, dass er nichts erfährt und gefügig ist.“
„Für Diviciacos habe ich bereits einen Plan“, sagte Dumnorix langsam. Villú hörte aus seinem Tonfall, dass sein Onkel jenes überlegene Lächeln aufgesetzt hatte, das bei ihm stets eine Gänsehaut auslöste. „Zur weiteren Bekräftigung der Freundschaft unserer Sippen und Stämme werdet Ihr, Orgetorix, Euren Sohn Allecnos den Haeduern als Geisel stellen. Im Gegenzug nehmt Ihr Villú, Sohn des Diviciacos, mit Euch nach Aventia.“
Wäre die Astgabel nicht absolut sicher gewesen, Villú wäre vor Schreck vom Baum gefallen. Nicht nur wollten die beiden sich offenbar zu Königen erheben und alle Stämme in Knechtschaft zwingen; nein, Dumnorix hatte vor, ihn in Gefangenschaft zu den Helvetiern zu schicken, einem Stamm, der sogar mit den Wilden jenseits des Rhenos verwandt war!
Sein Vater musste sofort davon erfahren. So leise wie möglich machte er sich an den Abstieg.[/i]

« Was vorher geschah123456Wie es weitergeht »

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag08.12.2014 15:56
Zeitenträumer / Kapitel 1 Gegenwart
von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Ich stelle mal einen weiteren Teil des 1. Kapitels zur Diskussion. Kritik bitte wie immer offen und schonungslos ... Cool

Heute

Etwas ratlos legte Aron die Akte zurück auf den Schreibtisch. Vier Gutachter hatten Martin Olsen bescheinigt, an paranoider Schizophrenie zu leiden, und auch die psychologischen Tests waren eindeutig. Olsen hatte diverse Therapien hinter sich und die meisten davon abgebrochen, weil er sich mit den Therapeuten überworfen hatte; offenbar fühlte er sich nach ein paar Sitzungen entweder nicht ernst genommen oder angegriffen, oder beides. Außerdem setzte er immer wieder seine Medikamente ab, weil er der Meinung war, sie wirkten nicht. Das alles war nicht schön, aber auch nicht wirklich ungewöhnlich, und Olsen schien erstaunlicherweise irgendwie mit seinen psychotischen Anfällen leben zu können.
Merkwürdig war, dass niemand die Halluzinationen, an denen er zweifellos litt, genauer definieren konnte. Er hörte zwar auch im klassischen Sinne Stimmen, sprach aber vor allem immer wieder davon, dass ‚Geräte‘ mit ihm kommunizierten. Vielleicht eine Art von Leibhalluzinationen, dachte Aron. Wie von allein strömte sein gesamtes Wissen über psychotische Störungen in sein Bewusstsein, Wissen, das er nach Lauras Unfall und seinem Abschied aus der Klinik für eine lange Zeit in den Tiefen seines Gehirns vergraben hatte, weil es ihn zu sehr an den Verlust erinnerte. Erst vor zwei Jahren, neun Jahre später also, hatte er sich dazu durchringen können, den Job im Institut anzunehmen, wo er wieder innerhalb der Psychiatrie tätig war – forschend, natürlich. Es gab nun einmal kaum jemanden, der mehr über Psychosen wusste als er, und es gab tausende Menschen, die darunter litten. Dennoch waren ihm die Nachmittage in seiner privaten Praxis bedeutend lieber, in der er für gewöhnlich jeden Gedanken, der mit Schizophrenie zu tun hatte, weit von sich bannte. Warum er ausgerechnet Martin Olsen angenommen hatte, konnte er nicht sagen; vermutlich hatte ihn einfach die Herausforderung gereizt. Olsen hatte während ihres kurzen Telefonats erzählt, dass er nach dem Abbruch seiner letzten Therapie vor vier Jahren sein Haus so gut wie nicht mehr verlassen hatte.
Es klingelte. Pünktlich ist er schon mal. Aron betrachtete Pünktlichkeit als eine der wichtigsten Eigenschaften eines Menschen. Kurz schwenkten seine Gedanken zu Matty, der sich nicht unbedingt dadurch auszeichnete, verabredete Zeiten genau einzuhalten; dann konzentrierte er sich auf die bevorstehende Sitzung, ging zur Tür und betätigte den Summer.
Der Mann, der die Praxis betrat, war etwa dreißig Jahre alt. Als erstes stach seine ungeheure Leibesfülle ins Auge – vermutlich wurde ein guter Teil davon durch die Medikamente verursacht, die er seit langem nahm, aber er musste schon immer eine Veranlagung zum Dicksein gehabt haben. Seine Wangen waren gerötet; er hatte die braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug einen eher spärlichen Backenbart, der sein Doppelkinn auf unvorteilhafte Art betonte, ein dunkelblaues, zu kleines Hemd, Jeans und spitz zulaufende Cowboystiefel. Aron streckte ihm die Hand entgegen.
„Sie können mich sehen?“, rief Olsen aus und riss die Augen auf; dann grinste er. „War’n Scherz. Tach, Dr. O‘Flaherty.“
Aron stutzte. „Setzen Sie sich“, sagte er vorsichtig. „Haben Sie gut hergefunden?“
Der Dicke ließ sich in den Sessel fallen. „Lassen Sie den Haben-Sie-gut-hergefunden-Quatsch“, sagte er in einer hastigen, nuscheligen Art. „Sind nicht mein erster Therapeut.“ Er schnaufte beim Atmen.
Das könnte anstrengend werden. Aron setzte sich langsam hinter den Schreibtisch und verschob einige akkurat angeordnete Papierstapel, um Zeit zu gewinnen.  „Okay. Dann fangen wir gleich an, Herr Olsen“, sagte er freundlich. „Weshalb sind Sie hier?“
„Sind allerdings der erste Therapeut, der die Akten nicht liest“, sagte Olsen. „Ich bin schizophren und hab noch verschiedene andere Störungen.“ Er schnitt eine Grimasse, die vermutlich einen Spastiker imitieren sollte.
Aron blieb ruhig. „Nein, ich meinte, warum sind Sie ausgerechnet zu mir gekommen?“
Olsen breitete die Arme aus und sah ihn an, als hielte er ihn für geistig eingeschränkt. „Weil Sie ein Spezialist für Leute mit paranoiden Wahnvorstellungen sind, vielleicht? Weil Sie mir gleich hoffentlich erklären, warum ich Sachen sehe, höre, was auch immer, die wahrscheinlich kompletter Schwachsinn sind, vielleicht? Und wie ich damit verdammt nochmal klarkommen soll? Vielleicht?“
Das könnte sogar sehr anstrengend werden, dachte Aron. Es war äußerst ungewöhnlich, das ein Patient derart forsch auftrat. Er nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas. „Verstehe ich das richtig, Sie haben immer noch, sagen wir, Fehlwahrnehmungen, obwohl Sie medikamentös eingestellt sind?“
„Sie haben die Akten ja doch gelesen“, sagte Olsen und grinste. „Jepp, richtig. Bin ein ganz komplizierter Fall.“
Er schlug sich mit gespieltem Stolz auf die Schulter und lachte keuchend, was kurz darauf in einen Hustenanfall überging. Aron wartete und bemerkte abwesend große Schweißflecke unter Olsens Achselhöhlen.
„Ihr… Handy… klingelt“, hustete der Dicke, sobald er sich wieder verständlich machen konnte.
 Aron sah schnell auf den Display und drückte auf ‚Ablehnen‘. Es war Matty; er würde nach der Sitzung zurückrufen. Er steckte das Telefon wieder in die Tasche.
„Vom Rauchen?“, fragte er dann.
„Jepp. Will aber nicht aufhören, bevor Sie fragen.“
„Was genau sind das für Wahrnehmungen, Herr Olsen?“
„Steht doch alles drin, Computer schicken mir Botschaften und all das Zeug.“ Olsen warf einen kurzen Seitenblick auf Arons Laptop und schnaufte. „Ja, ich weiß, ich bilde mir das nur ein, aber ich bild’s mir halt trotzdem ein. Und manchmal geht wirklich mal ein Fernseher aus, wenn ich nah dran bin oder sowas.“
Elf Jahre Therapie und keine Krankheitseinsicht, dachte Aron. Das wird ein harter Brocken.
„Die Medikamente helfen also nicht, ist das richtig?“
„Nada. Versuchen Sie bloß nicht, mir was anderes anzudrehen, hab‘ die ganze Palette durch, Haloperidol, Risperidon, Clozapin und den ganzen atypischen Kram, was Sie wollen. Hat mich nur krank und fett gemacht, das Zeug.“ Olsen klopfte sich mit beiden Handflächen auf den Bauch. Dann beugte er sich vor und stützte die Hände auf den Schreibtisch. „Ich will den Mist verstehen, klar? Ich will wissen, was mit mir los ist! Ich will, dass Sie mir wirklich helfen!“ Sein rundes, rotglänzendes Gesicht hatte auf einmal einen verzweifelten Ausdruck. „Sonst… Sie sind meine letzte Chance. Und das muss schnell gehen.“

Als Aron sich später von seinem neuen Patienten verabschiedete, hatte er den Eindruck, als sei dessen Hoffnung bereits deutlich geschwunden. Sie hatten zwar weitere Termine vereinbart, aber Olsen wirkte enttäuscht, auch wenn er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Aron schloss die Tür und nahm sein Diktiergerät zur Hand.
„Dreizehn fünfunddreißig. Erstbesprechung mit Martin Olsen. Chronische paranoide Schizophrenie mit ausgeprägter Positivsymptomatik, vermutlich taktile und akustische Halluzinationen. Glaubt, mit technischen Geräten kommunizieren zu können. Negative Symptome: soziale Verarmung, Einbußen an Initiative, Aktivitätsminderung. Kognitive Defizite nicht erkennbar.“
Er ließ sich in seinen Lesesessel fallen, um nachzudenken. Martin Olsen glaubte offensichtlich nicht an den Erfolg einer Behandlung, teils aufgrund seiner vielen erfolglosen Therapieversuche, teils, weil er seine Halluzinationen nicht voll und ganz als solche akzeptierte. Sein Gehirn hatte anscheinend eine wirksame Strategie gefunden, einerseits zu wissen und zu äußern, dass es sich nicht um echte Wahrnehmungen handelte, andererseits aber weiter an sie zu glauben. Er schien auch, im Gegensatz zu den meisten schizophrenen Patienten, keine Angst vor den Halluzinationen zu haben. Es würde nicht einfach werden, seine geübten Abwehrmechanismen zu durchdringen, aber irgendwann würde auch er sich eingestehen müssen, dass er nun einmal Dinge wahrnahm, die es nicht gab. Das einzig wirklich Seltsame war, dass die Medikamente nicht wirkten. Oder spielte Olsen den Psychologen etwas vor?
Aron seufzte und holte sein Telefon aus der Tasche, um Matty anzurufen. Er sah, dass er einen weiteren Anruf verpasst hatte, kurz bevor Olsen gekommen war: Clemens Werner, ein Kollege aus der Forschungsabteilung, der die außergewöhnliche Fähigkeit besaß, Aron innerhalb kürzester Zeit die Nerven zu rauben; jemand, der es witzig fand, Arons Nachnamen zu ‚O’Flirty‘ zu verballhornen. Dem würde er jetzt sicher nicht antworten. Er begann, Mattys Nummer einzutippen – er wählte stets selbst, anstatt die Adressbuch-Funktion zu nutzen, damit er die Nummern nicht vergaß –, stutzte und brach ab. Irgendetwas stimmte nicht. Matty hatte während Olsens Hustenanfall angerufen und Aron war auf das Gespräch konzentriert gewesen. Aber davor? Warum hatte er Werners Anruf verpasst? Er ging ins Menü und sah nach, was für ein Klingelton eingestellt war. Das kleine Häkchen stand bei ‚Kein Klingelton‘. Wie üblich hatte er jede Störung durch das Telefon vermeiden wollen, also hatte er Clemens Werner gar nicht hören können.
Und Matty auch nicht. Er spürte ein seltsames Gefühl in der Bauchgegend, das sich bei ihm immer dann einstellte, wenn etwas nicht in Ordnung war oder sich seiner Kontrolle entzog. Die Frage war folgende: Woher hatte Olsen in der Sitzung gewusst, dass das Telefon klingelte, wenn sogar die Vibration ausgestellt war? Auf einmal hatte er die nuschelnde Stimme des Dicken im Ohr. ‚Steht doch alles drin, Computer schicken mir Botschaften und all das Zeug‘. Für einen Moment saß er wie erstarrt da, während die Szene innerlich an ihm vorbei lief. Dann schüttelte er den Kopf, sprang auf und begann erneut zu wählen. Was für einen Blödsinn dachte er sich hier zusammen? Dieser Olsen hatte es wirklich geschafft, ihn nervös zu machen.
„Hi Dad.“
„Hallo, Matty.“
„Wir sind heute Abend bei Harald und Hanna zum Essen eingeladen.“
Erleichtert wandte Aron seine Gedanken dem Gespräch zu.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
inmutanka
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 322



Beitrag08.12.2014 19:20
Re: Zeitenträumer / Kapitel 1 Gegenwart
von inmutanka
Antworten mit Zitat

Hallo Zeitenträumer,

ich senfe mal etwas. Den ganzen Text schaffe ich nicht. Aber vllt. hilft der das schon mal weiter. Pick dir heraus, was passt.

LG
Inmutanka


Zitat:
Etwas ratlos legte Aron die Akte zurück auf den Schreibtisch. Vier Gutachter hatten Martin Olsen bescheinigt, an paranoider Schizophrenie zu leiden, und auch die psychologischen Tests waren eindeutig. Olsen hatte diverse Therapien hinter sich und die meisten davon abgebrochen, weil er sich mit den Therapeuten überworfen hatte; offenbar fühlte er sich nach ein paar Sitzungen entweder nicht ernst genommen oder angegriffen, oder beides.


- Etwas ratlos legte Aron die Akte zurück auf den Schreibtisch. - *Etwas* ist für mich schwächelnd, daher würde ich es streichen, ebenso *zurück*: Ratlos legte Aron die Akte auf den Schreibtisch.

- Vier Gutachter hatten Martin Olsen bescheinigt, an paranoider Schizophrenie zu leiden, und auch die psychologischen Tests waren eindeutig. - würde ich umschreiben: Vier Gutachter bescheinigten Martin Olsen paranoide Schizophrenie und auch die psychologischen Tests waren eindeutig.

- Olsen hatte diverse Therapien hinter sich und die meisten davon abgebrochen, weil er sich mit den Therapeuten überworfen hatte; offenbar fühlte er sich nach ein paar Sitzungen entweder nicht ernst genommen oder angegriffen, oder beides. - auch hier würde ich *testen/spielen*. Die Version, die mir gefallen würde: Die meisten Therapien hatte Olsen abgebrochen. Offenbar fühlte er sich von den Therapeuten nicht ernst genommen, angegriffen oder beides. - *Die meisten Therapien hatte  Olsen abgebrochen* impliziert für mich, dass er mindestens eine Therapie mehr bekommen hat als er abgebrochen hat. *Diverse Therapien* - klar, dass es für seine Krankheit abgestimmte Therapien waren und keine für Kleptomanie, daher genügt: Therapien (für mich). *Offenbar* wäre für mich ein Wort, dass ich eventl. streichen würde. In diesen Berichten steht genau drin, was die Ärzte als Abbruchsgrund nennen bzw. genannt bekommen haben. Da muss Aron keine Vermutung anstellen. Er übernimmt in diesem Fall die Meinung.

Zitat:
Außerdem setzte er immer wieder seine Medikamente ab, weil er der Meinung war, sie wirkten nicht. Das alles war nicht schön, aber auch nicht wirklich ungewöhnlich, und Olsen schien erstaunlicherweise irgendwie mit seinen psychotischen Anfällen leben zu können.


Da wäre mir zu viele Weichmacher drin: nicht wirklich/irgendwie. Wörter wie *seine* würde ich, wo es geht, vermeiden. Es gibt genügend Stellen, wo du sie brauchst.

- Außerdem setzte er immer wieder seine Medikamente ab, weil er der Meinung war, sie wirkten nicht. - *Außerdem* würde ich streichen. Statt *sie wirkten nicht* würde ich *ohne Wirkung* oder *wirkungslos* verwenden, schon hättest du wieder ein *nicht* gespart.

- Das alles war nicht schön, aber auch nicht wirklich ungewöhnlich - statt *nicht schön* wäre event. *unschön* eine Alternative, oder hässlich: Unschön/hässlich, aber nicht ungewöhnlich.
- und Olsen schien erstaunlicherweise irgendwie mit seinen psychotischen Anfällen leben zu können. - na ja, wenn jemand psychotische Anfälle hat, bedeutet das nicht, dass er deswegen stirbt. Es kommt eher darauf an, ob er damit gut lebt oder darunter leidet. Daher würde ich schreiben: Erstaunlicherweise schien Olsen mit seinen psychotischen Anfällen gut zu leben bzw. zurecht zu kommen.

Zitat:
Merkwürdig war, dass niemand die Halluzinationen, an denen er zweifellos litt, genauer definieren konnte. Er hörte zwar auch im klassischen Sinne Stimmen, sprach aber vor allem immer wieder davon, dass ‚Geräte‘ mit ihm kommunizierten. Vielleicht eine Art von Leibhalluzinationen, dachte Aron. Wie von allein strömte sein gesamtes Wissen über psychotische Störungen in sein Bewusstsein, Wissen, das er nach Lauras Unfall und seinem Abschied aus der Klinik für eine lange Zeit in den Tiefen seines Gehirns vergraben hatte, weil es ihn zu sehr an den Verlust erinnerte.


- Merkwürdig war, dass niemand die Halluzinationen, an denen er zweifellos litt, genauer definieren konnte. - dass ein Schizo an Halluzinationen leidet, ist (für mich! und sollte es auch für Aron sein, der sich damit auskennt) selbstverständlich, daher würde ich den Zusatz *an denen er zweifellos litt,* streichen. *Merkwürdig* würde ich auch streichen. Mir kommt es vor, als wolle mir dir Autor mit dem Holzhammer sagen: Leser, falls du es nicht merkst - das ist *merkwürdig*. Der Satz: niemand konnte die Halluzinationen definieren - würde mir schon alleine ein *merkwürdig* beim Lesen in den Sinn zaubern.

- Er hörte zwar auch im klassischen Sinne Stimmen, sprach aber vor allem immer wieder davon, dass ‚Geräte‘ mit ihm kommunizierten. - *auch* impliziert für mich, dass es *im klassischen Sinne/normal* ist. Um das *dass* einzusparen, würde ich schreiben: Er hörte auch Stimmen und behauptete, 'Geräte' würden mit ihm kommunizieren. - Wobei *kommunizieren* für mich ein *miteinander reden/Dialog* bedeutet. Wenn nur die Geräte mit ihm sprechen/ihn ansprechen, heißt es noch lange nicht, dass er mit ihnen redet, es könnte sich ja auch auf bloßes Zuhören beschränken, was wiederum keine Kommunikation wäre (nach meinem Verständnis). Dann könntest du den Satz verkürzen: Er behauptete, 'Geräte' würden ihn ansprechen/mit ihm reden.

Vielleicht eine Art von Leibhalluzinationen, dachte Aron. Wie von allein strömte sein gesamtes Wissen über psychotische Störungen in sein Bewusstsein, Wissen, das er nach Lauras Unfall und seinem Abschied aus der Klinik für eine lange Zeit in den Tiefen seines Gehirns vergraben hatte, weil es ihn zu sehr an den Verlust erinnerte.

Ok - ich behaupte ja immer, wer schreibt lernt. Bei diesem Absatz gehe ich nun davon aus, dass Aron vom Fach ist. Daher wird er nicht *Leibhalluzinationen* verwenden, sondern auch den Fachbegriff *Zoenästhesien*. Geht zumind. mir so, dass ich Fachbegriffe verwende und oft erst auf Nachfrage den allgemein. Begriff nenne. Außerdem würde ich mal als psychol. Laie, der gerade ein wenig recherchiert hat, behaupten, dass es sich dabei nicht um eine *Leibhalluzination* handeln kann. Denn das wäre eine verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers bzw. als eine Art davon, die verzerrte Wahrnehmung eines anderen Körpers. Treffender wäre für mich eine akkustische Halluzination, dazu würde auch gehören, dass jemand glaubt, die Gedanken anderer Leute zu hören bzw. an telepathischer Kommunikation glauben. Falls Olsen nun nicht vorhandene Geräte sieht, die mit ihm sprechen, wäre es (m. laienhafter Meinung nach) eine Kombi aus optischer und akkustischer Halluzination.

 Wie von allein strömte sein gesamtes Wissen über psychotische Störungen in sein Bewusstsein, Wissen, das er nach Lauras Unfall und seinem Abschied aus der Klinik für eine lange Zeit in den Tiefen seines Gehirns vergraben hatte, weil es ihn zu sehr an den Verlust erinnerte - mir wäre dieser Satz zu lang, mag aber Geschmackssache sein.
- Wie von allein strömte sein gesamtes Wissen über psychotische Störungen in sein Bewusstsein, - *Wie von allein strömte* wie sollte es sonst strömen?

Ich würde schreiben:
Vielleicht eine Art von XY-halluzinationen[/i], dachte Aron. Sein Wissen über psychotische Störungen wurde ihm bewusst. Wissen, das er nach Lauras Unfall und dem Abschied aus der Klinik verdrängt hatte. Zu sehr erinnerte es ihn an den erlittenen Verlust.
 
Zitat:
Erst vor zwei Jahren, neun Jahre später also, hatte  er sich dazu durchringen können, den Job im Institut anzunehmen, wo er wieder innerhalb der Psychiatrie tätig war – forschend, natürlich. Es gab nun einmal kaum jemanden, der mehr über Psychosen wusste als er, und es gab tausende Menschen, die darunter litten. Dennoch waren ihm die Nachmittage in seiner privaten Praxis bedeutend lieber, in der er für gewöhnlich jeden Gedanken, der mit Schizophrenie zu tun hatte, weit von sich bannte.


- Erst vor zwei Jahren, neun Jahre später also, hatte er sich dazu durchringen können, den Job im Institut anzunehmen, wo er wieder innerhalb der Psychiatrie tätig war – forschend, natürlich. - vllt. hängt es damit zusammen, dass ich die anderen Teile nicht gelesen habe, aber so - für sich alleine, ist das für mich ziemlich verwirrend: Erst vor zwei jahren, neun Jahre später

- Erst vor zwei Jahren ... hatte er sich dazu durchringen können, den Job im Institut anzunehmen, wo er wieder innerhalb der Psychiatrie tätig war - würde ich zusammenfassen: Erst vor zwei Jahren ... konnte er sich dazu durchringen, erneut (?) einen Job innerhalb der Psychiatrie anzunehmen -

- Es gab nun einmal kaum jemanden, der mehr über Psychosen wusste als er, und es gab tausende Menschen, die darunter litten.  
- Es gab nun einmal kaum jemanden - Warum so bescheiden? wink Vllt. Es gab niemanden ... wobei das wieder negativ geschrieben wäre, oder positiv: Er war eine führendeR Koryphäe/Experte/Fachmann für Psychosen

- Dennoch waren ihm die Nachmittage in seiner privaten Praxis bedeutend lieber, in der er für gewöhnlich jeden Gedanken, der mit Schizophrenie zu tun hatte, weit von sich bannte. - umständlich geschrieben. Vllt.: Die Nachmittage in seiner Praxis ohne jeden Gedanken an Schizophrenie waren ihm denoch bedeutend lieber/bevorzugte er jedoch.

Zitat:
Warum er ausgerechnet Martin Olsen angenommen hatte, konnte er nicht sagen; vermutlich hatte ihn einfach die Herausforderung gereizt. Olsen hatte während ihres kurzen Telefonats erzählt, dass er nach dem Abbruch seiner letzten Therapie vor vier Jahren sein Haus so gut wie nicht mehr verlassen hatte.


- Warum er ausgerechnet Martin Olsen angenommen hatte, konnte er nicht sagen; vermutlich hatte ihn einfach die Herausforderung gereizt - ok, mich stören 2 Dinge, die vielen *hatte* und das *vermutlich*. Mir ist klar, dass wir im täglichen Leben ständig *Vermutungen* anstellen, meinen Roman-Charas stehe ich es allerdings nur selten zu. Die müssen wissen, warum und weshalb sie etwas tun. Alternativen wären: Bei Martin Olsen hatte ihn die Herausforderung gereizt. Oder: Bei Martin Olsen machte er eine Ausnahme. In ihm sah er eine Herausforderung/er forderte ihn heraus.

- Olsen hatte während ihres kurzen Telefonats erzählt, dass er nach dem Abbruch seiner letzten Therapie vor vier Jahren sein Haus so gut wie nicht mehr verlassen hatte - auch hier stören mich die vielen *hatte*, durch Umstellung könntest du das vermeiden. Bsp: Seit er die letzte Therapie abgebrochen habe, wäre er so gut wie nie aus dem Haus gegangen, erzählte ihm Olsen bei einem kurzen Telefonat.

Zitat:
Es klingelte. Pünktlich ist er schon mal. Aron betrachtete Pünktlichkeit als eine der wichtigsten Eigenschaften eines Menschen. Kurz schwenkten seine Gedanken zu Matty, der sich nicht unbedingt dadurch auszeichnete, verabredete Zeiten genau einzuhalten; dann konzentrierte er sich auf die bevorstehende Sitzung, ging zur Tür und betätigte den Summer.


- Aron betrachtete Pünktlichkeit als eine der wichtigsten Eigenschaften eines Menschen. Kurz schwenkten seine Gedanken zu Matty, der sich nicht unbedingt dadurch auszeichnete, verabredete Zeiten genau einzuhalten; . würde ich zusammenfassen, Bsp. Im Gegensatz zu Matty betrachtete er Pünktlichkeit als eine der wichtigsten Eigenschaften eines Menschen.  - Dass er in Gedanken kurz auf Matty abweicht wird ebenso klar, wie dass Matty es mit Pünktlichkeit nicht genau nimmt. daher musst du es nicht noch einmal erwähnen.

- dann konzentrierte er sich auf die bevorstehende Sitzung, ging zur Tür und betätigte den Summer. - na ja, unter *auf bevorstehende Sitzung konzentrieren* verstehe ich nicht zur Tür gehen und den Summer betätigen. Da fielen bei mir eher Gedanken über den Menschen, was ich bisher von ihm weiß, ob er wohl meinem Bild entsprechen würde etc. drunter.

Zitat:
Der Mann, der die Praxis betrat, war etwa dreißig Jahre alt. Als erstes stach seine ungeheure Leibesfülle ins Auge – vermutlich wurde ein guter Teil davon durch die Medikamente verursacht, die er seit langem nahm, aber er musste schon immer eine Veranlagung zum Dicksein gehabt haben. Seine Wangen waren gerötet; er hatte die braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug einen eher spärlichen Backenbart, der sein Doppelkinn auf unvorteilhafte Art betonte, ein dunkelblaues, zu kleines Hemd, Jeans und spitz zulaufende Cowboystiefel. Aron streckte ihm die Hand entgegen.


- Der Mann, der die Praxis betrat, war etwa dreißig Jahre alt. - Du hast ihn bereits als Olsen eingeführt, also würde ich ihn weiterhin so nennen. Dass er die Praxis betritt, musst du nicht noch einmal erwähnen, das wird in dem Moment klar, als Aron ihn sieht.

- Als erstes stach seine ungeheure Leibesfülle ins Auge – vermutlich wurde ein guter Teil davon durch die Medikamente verursacht, die er seit langem nahm, aber er musste schon immer eine Veranlagung zum Dicksein gehabt haben. -  Es kann ihm nicht *als erstes ins Auge stechen* denn als erstes ist ihm (s. o.) sein Alter *mehr oder weniger* ins Auge gestochen. Wenn er durch Medikamente dick wurde, dann wirkt er *schwammig/aufgeschwemmt*, ein ganz anderes Bild wie bei jemanden, der sich Fett angegessen hat bzw. Veranlagung dazu hat. Ich würde es umstellen (kannst du das überhaupt noch lesen wink ): Medikamente hatten ihn aufgeschwemmt, doch musste er auch eine genetische Veranlagung zum Übergewicht haben.

- Seine Wangen waren gerötet; er hatte die braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug einen eher spärlichen Backenbart, der sein Doppelkinn auf unvorteilhafte Art betonte, ein dunkelblaues, zu kleines Hemd, Jeans und spitz zulaufende Cowboystiefel. - sorry, das empfinde ich als plumpen Infodump. Die Beschreibung sollte beiläufiger und verteilter kommen.


_________________
Ich danke allen, die meine Träume belächelt haben; Sie haben meine Phantasie beflügelt. ... Vor allem aber danke ich all jenen, die mich lieben, so wie ich bin; Sie geben mir die Kraft zum Leben! Danke. (Paul Coelho)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag09.12.2014 13:28

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Hallo Inmutanka,
besten Dank für den ausführlichen Kommentar, hat mir mal wieder vor Augen geführt, wie schlampig ich manchmal bin. Ich werde sicher eine Menge davon gebrauchen können.
Was die Fachbegriffe betrifft: ich habe bewusst nicht "Zoenästhesien" benutzt, was das korrekte Fachwort für Leibhalluzinationen wäre. Denn ich glaube, das würde den wenigsten Lesern etwas bringen. Doch was passiert, wenn man keine Fachbegriffe benutzt? Man verwendet das falsche "laienhafte" Wort. Mir ist nämlich jetzt aufgefallen, dass ich eigentlich Parästhesien meinte (hach, wie lang ist es her, das Grundstudium). Von daher war Leibhalluzinationen schlicht falsch.
Very Happy Ich werde es mal mit Fachbegriff versuchen.
Das, was Olsen hat, sind jedenfalls eben keine (bzw. nicht nur) akustische Halluzinationen. Sondern Parästhesien. Danke dir für den Hinweis.
LG,
David
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
inmutanka
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 322



Beitrag09.12.2014 13:36

von inmutanka
Antworten mit Zitat

Hallo Zeitenträumer,

ich mache es mit Fachbegriffen oder auch, wenn ich Wörter einer anderen Sprache so:

Ich vermutete, er litt an einer Art Parästhesien, Missempfindungen.

Vllt. hilft es dir.

LG
Inmutanka


_________________
Ich danke allen, die meine Träume belächelt haben; Sie haben meine Phantasie beflügelt. ... Vor allem aber danke ich all jenen, die mich lieben, so wie ich bin; Sie geben mir die Kraft zum Leben! Danke. (Paul Coelho)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Sue Rovia
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 30
Beiträge: 586
Wohnort: Metronom
Das bronzene Floß Silbernes Licht


Beitrag10.12.2014 02:23

von Sue Rovia
Antworten mit Zitat

Hi David,

Inmutanka hat ja schon ziemlich viel Textarbeit geleistet.
Ich würde an deiner Stelle ganz bewusst nochmal durch den Text gehen, und die Verben war/hatte mindestens jedes zweite Mal ersetzen. Da sind auch gegen Ende des Textes einige Wiederholungen drinnen.

Zitat:
Vier Gutachter hatten Martin Olsen bescheinigt, an paranoider Schizophrenie zu leiden, und auch die psychologischen Tests waren eindeutig. Olsen hatte diverse Therapien hinter sich und die meisten davon abgebrochen, weil er sich mit den Therapeuten überworfen hatte; offenbar fühlte er sich nach ein paar Sitzungen entweder nicht ernst genommen oder angegriffen, oder beides. Außerdem setzte er immer wieder seine Medikamente ab, weil er der Meinung war, sie wirkten nicht. Das alles war nicht schön, aber auch nicht wirklich ungewöhnlich, und Olsen schien erstaunlicherweise irgendwie mit seinen psychotischen Anfällen leben zu können.


Hier hat nahezu jeder Satz dieselbe Länge. Das gefällt mir nicht. Ich würde zwischen längeren und kurzen, prägnanten Sätzen variieren.

Zitat:
aber er musste schon immer eine Veranlagung zum Dicksein gehabt haben


Mich stört das Wort Dicksein aus Arons Mund. Es passt für mich nicht richtig zu ihm. Zu umgangssprachlich. Meine Großmutter darf das so gerne sagen, aber als Psychiater? Inmutanka hat dir schon das Wort Übergewicht zugeschoben. Wenn du deinen Text mit Fachwörtern verunzieren willst wäre Adipositas noch eine Alternative.

Zitat:
Der Dicke ließ sich in den Sessel fallen. „Lassen Sie den Haben-Sie-gut-hergefunden-Quatsch“, sagte er in einer hastigen, nuscheligen Art.


Genauso unzutreffend finde ich "der Dicke" als Bezeichnung für Olsen, wenn auch aus einen anderen Grund. Aron arbeitet ja vordergründig mit psychotischen Patienten und Neuroleptika verursachen über die Zeit sehr häufig Übergewicht als Nebenwirkung. Da wird für Aron die Körperfülle doch kaum noch das Merkmal sein, das den Namen ersetzt. Ich weiß nicht, ob du verstehst worauf ich hinauswill.
Zwei Adjektive für ein Nomen ist normalerweise eins zu viel. Ich würde vermutlich  schreiben: ...nuschelte er in einer hastigen Art. Oder einfach: ...nuschelte er hastig.

Zitat:
Aron wartete und bemerkte abwesend große Schweißflecke unter Olsens Achselhöhlen.


Wenn Aron wartet und nebenbei Schweißflecken registriert, dann ist das für mich eher aufmerksam. Abwesend wäre er meiner Meinung nach dann, wenn er auf die Flecken achtet, während Olsen mit ihm spricht.

Zitat:
Sein rundes, rotglänzendes Gesicht hatte auf einmal einen verzweifelten Ausdruck.


Zu viele Adjektive.

Ich habe als Laie eine Frage:
Die Diagnose von Olsen lautet Chronische paranoide Schizophrenie.
Aber was ist an seiner Schizophrenie paranoid? Du schreibst ja selbst dass er keine Angst vor seinen Halluzinationen hat? Oder nimmst du die Diagnose, weil es im ICD-10 Schlüssel keine passendere gibt?

Was für dich vielleicht ganz interessant zu wissen ist: Ich habe jetzt alle deine Texte relativ kurz aufeinander gelesen. Für mich war von Anfang an klar, dass Olsens Halluzinationen keine sind sondern dass tatsächlich jemand über elektronische Geräte mit ihm kommuniziert. (Ich würde evtl auf jemanden aus der Zukunft spekulieren.) Neugierig war ich vor allem darauf, woran Aron das merken könnte.

Liebe Grüße
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag15.12.2014 14:19

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Hey Susie,

sorry, hat etwas länger gedauert - zu viel zu tun gehabt. Aber jetzt bin ich endlich dazu gekommen, die Sache nochmal zu überarbeiten. Danke für deine Kritik.

Zitat:
Die Diagnose von Olsen lautet Chronische paranoide Schizophrenie.
Aber was ist an seiner Schizophrenie paranoid? Du schreibst ja selbst dass er keine Angst vor seinen Halluzinationen hat? Oder nimmst du die Diagnose, weil es im ICD-10 Schlüssel keine passendere gibt?

"Paranoid" bezieht sich in diesem Fall nicht auf Angstzustände. "Paranoia" bedeutet wörtlich "Wider den Verstand". Die paranoide Schizophrenie ist einfach die häufigste Form und zeichnet sich v.a. durch Wahnvorstellungen, insbesondere Stimmenhören, aus. Die meisten Patienten haben allerdings Angst vor den Halluzinationen, z.B., wenn jemand "Befehle" von einer Stimme in seinem Kopf erhält.

Zitat:
Was für dich vielleicht ganz interessant zu wissen ist: Ich habe jetzt alle deine Texte relativ kurz aufeinander gelesen. Für mich war von Anfang an klar, dass Olsens Halluzinationen keine sind sondern dass tatsächlich jemand über elektronische Geräte mit ihm kommuniziert. (Ich würde evtl auf jemanden aus der Zukunft spekulieren.) Neugierig war ich vor allem darauf, woran Aron das merken könnte.

Ja, in der Tat, sehr interessant. Es ist gewollt, dass man als Leser schon hier zumindest an Olsens Krankheit zweifelt. Funktioniert also. Smile

Ich poste gleich eine neue Version. Vielen Dank noch mal (euch beiden) fürs Lesen.

Beste Grüße,

David
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zeitenträumer
Geschlecht:männlichLeseratte
Z

Alter: 44
Beiträge: 123



Z
Beitrag15.12.2014 14:30

von Zeitenträumer
Antworten mit Zitat

Heute

Ratlos legte Aron die Akte auf den Schreibtisch. Vier Gutachter bescheinigten Martin Olsen, an paranoider Schizophrenie zu leiden, und auch die psychologischen Tests waren eindeutig. Olsen hatte diverse Therapien hinter sich und die meisten davon abgebrochen, weil er sich mit den Therapeuten überworfen hatte; offenbar fühlte er sich nach ein paar Sitzungen entweder nicht ernst genommen oder angegriffen, oder beides. Zudem setzte er immer wieder seine Medikamente ab, weil er der Meinung war, sie wirkten nicht. Das alles war nicht schön, aber auch nicht wirklich ungewöhnlich, und Olsen schien erstaunlicherweise gut mit seinen psychotischen Anfällen leben zu können.
Keiner der Therapeuten konnte die Halluzinationen genauer definieren. Olsen hörte zwar auch im klassischen Sinne Stimmen, sprach aber vor allem immer wieder davon, dass ‚Geräte‘ mit ihm kommunizierten. Vielleicht eine Art von Parästhesien, dachte Aron. Missempfindungen. Das gesamte Wissen über psychotische Störungen strömte in sein Bewusstsein, Wissen, das er nach Lauras Unfall und dem Abschied aus der Klinik für eine lange Zeit in den Tiefen seines Gehirns vergraben hatte, weil es ihn zu sehr an den Verlust erinnerte. Erst vor zwei Jahren, neun Jahre nach dem Unfall, hatte er sich dazu durchringen können, wieder einen Job in der Psychiatrie anzunehmen – forschend, natürlich. Er war nun einmal eine Koryphäe im Bereich der Psychosen, und es gab tausende Menschen, die darunter litten. Dennoch waren ihm die Nachmittage in seiner privaten Praxis bedeutend lieber, in der er für gewöhnlich jeden Gedanken an Schizophrenie weit von sich bannte. Warum er ausgerechnet Martin Olsen angenommen hatte, konnte er nicht sagen; vermutlich reizte ihn einfach die Herausforderung. Olsen hatte während ihres kurzen Telefonats erzählt, dass er nach dem Abbruch seiner letzten Therapie vor vier Jahren sein Haus so gut wie nicht mehr verlassen hatte.
Es klingelte. Pünktlich ist er schon mal. Aron betrachtete Pünktlichkeit als eine der wichtigsten Eigenschaften eines Menschen. Kurz schwenkten seine Gedanken zu Matty, der sich nicht unbedingt dadurch auszeichnete, verabredete Zeiten genau einzuhalten; dann konzentrierte er sich auf die bevorstehende Sitzung, ging zur Tür und betätigte den Summer.
Als erstes stach Olsens ungeheure Leibesfülle ins Auge – vermutlich hatten die Medikamente ihn aufgeschwemmt, aber er musste auch eine Veranlagung zum Übergewicht haben. Er war etwa dreißig Jahre alt, hatte die braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug einen spärlichen Backenbart, der sein Doppelkinn auf unvorteilhafte Art betonte. Aron streckte ihm die Hand entgegen.
„Sie können mich sehen?“, rief Olsen aus und riss die Augen auf; dann grinste er. „War’n Scherz. Tach, Dr. O‘Flaherty.“
Aron stutzte. „Setzen Sie sich“, sagte er vorsichtig. „Haben Sie gut hergefunden?“
„Lassen Sie den Haben-Sie-gut-hergefunden-Quatsch“, nuschelte Olsen in einer hastigen Art und ließ sich in den Sessel fallen. „Sind nicht mein erster Therapeut.“ Er schnaufte beim Atmen.
Das könnte anstrengend werden. Aron setzte sich langsam hinter den Schreibtisch und verschob einige akkurat angeordnete Papierstapel, um Zeit zu gewinnen.  „Okay. Dann fangen wir gleich an, Herr Olsen“, sagte er freundlich. „Weshalb sind Sie hier?“
„Sind allerdings der erste Therapeut, der die Akten nicht liest“, sagte Olsen. „Ich bin schizophren und hab noch verschiedene andere Störungen.“ Er schnitt eine Grimasse, die vermutlich einen Spastiker imitieren sollte.
Aron blieb ruhig. „Nein, ich meinte, warum sind Sie ausgerechnet zu mir gekommen?“
Olsen breitete die Arme aus, wobei sein zu kleines Jeanshemd eine bleiche Speckrolle freigab, und sah ihn an, als hielte er ihn für geistig eingeschränkt. „Weil Sie ein Spezialist für Leute mit paranoiden Wahnvorstellungen sind, vielleicht? Weil Sie mir gleich hoffentlich erklären, warum ich Sachen sehe, höre, was auch immer, die wahrscheinlich kompletter Schwachsinn sind, vielleicht? Und wie ich damit verdammt nochmal klarkommen soll? Vielleicht?“
Das könnte sogar sehr anstrengend werden, dachte Aron. Es war äußerst ungewöhnlich, das ein Patient derart forsch auftrat. Er nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas. „Verstehe ich das richtig, Sie haben immer noch, sagen wir, Fehlwahrnehmungen, obwohl Sie medikamentös eingestellt sind?“
„Sie haben die Akten ja doch gelesen“, sagte Olsen und grinste. „Jepp, richtig. Bin ein ganz komplizierter Fall.“
Er schlug sich mit gespieltem Stolz auf die Schulter und lachte keuchend, was kurz darauf in einen Hustenanfall überging. Aron wartete und bemerkte große Schweißflecke unter Olsens Achselhöhlen.
„Ihr… Handy… klingelt“, hustete der Patient, sobald er sich wieder verständlich machen konnte.
 Aron sah schnell auf den Display und drückte auf ‚Ablehnen‘. Es war Matty; er würde nach der Sitzung zurückrufen. Er steckte das Telefon wieder in die Tasche.
„Vom Rauchen?“, fragte er dann.
„Jepp. Will aber nicht aufhören, bevor Sie fragen.“
„Was genau sind das für Wahrnehmungen, Herr Olsen?“
„Steht doch alles drin, Computer schicken mir Botschaften und all das Zeug.“ Olsen warf einen kurzen Seitenblick auf Arons Laptop und schnaufte. „Ja, ich weiß, ich bilde mir das nur ein, aber ich bild’s mir halt trotzdem ein. Und manchmal geht wirklich mal ein Fernseher aus, wenn ich nah dran bin oder sowas.“
Elf Jahre Therapie und keine Krankheitseinsicht, dachte Aron. Das wird ein harter Brocken.
„Die Medikamente helfen also nicht, ist das richtig?“
„Nada. Versuchen Sie bloß nicht, mir was anderes anzudrehen, hab‘ die ganze Palette durch, Haloperidol, Risperidon, Clozapin und den ganzen atypischen Kram, was Sie wollen. Hat mich nur krank und fett gemacht, das Zeug.“ Olsen klopfte sich mit beiden Handflächen auf den Bauch. Dann beugte er sich vor und stützte die Hände auf den Schreibtisch. „Ich will den Mist verstehen, klar? Ich will wissen, was mit mir los ist! Ich will, dass Sie mir wirklich helfen!“ Sein rotglänzendes Gesicht hatte auf einmal einen verzweifelten Ausdruck. „Sonst… Sie sind meine letzte Chance. Und das muss schnell gehen.“

Als Aron sich später von seinem neuen Patienten verabschiedete, hatte er den Eindruck, als sei dessen Hoffnung bereits deutlich geschwunden. Sie hatten zwar weitere Termine vereinbart, aber Olsen wirkte enttäuscht, auch wenn er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Aron schloss die Tür und nahm sein Diktiergerät zur Hand.
„Dreizehn fünfunddreißig. Erstbesprechung mit Martin Olsen. Chronische paranoide Schizophrenie mit ausgeprägter Positivsymptomatik, vermutlich taktile und akustische Halluzinationen. Glaubt, mit technischen Geräten kommunizieren zu können. Negative Symptome: soziale Verarmung, Einbußen an Initiative, Aktivitätsminderung. Kognitive Defizite nicht erkennbar.“
Er ließ sich in seinen Lesesessel fallen, um nachzudenken. Martin Olsen glaubte offensichtlich nicht an den Erfolg einer Behandlung, teils aufgrund seiner vielen erfolglosen Therapieversuche, teils, weil er seine Halluzinationen nicht voll und ganz als solche akzeptierte. Sein Gehirn hatte anscheinend eine wirksame Strategie gefunden, einerseits zu wissen und zu äußern, dass es sich nicht um echte Wahrnehmungen handelte, andererseits aber weiter an sie zu glauben. Er schien auch, im Gegensatz zu den meisten schizophrenen Patienten, keine Angst vor den Halluzinationen zu haben. Es würde nicht einfach werden, seine geübten Abwehrmechanismen zu durchdringen, aber irgendwann würde auch er sich eingestehen müssen, dass er nun einmal Dinge wahrnahm, die es nicht gab. Das einzig wirklich Seltsame war, dass die Medikamente nicht wirkten. Oder spielte Olsen den Psychologen etwas vor?
Aron seufzte und holte sein Telefon aus der Tasche, um Matty anzurufen. Er sah, dass er einen weiteren Anruf verpasst hatte, kurz bevor Olsen gekommen war: Clemens Werner, ein Kollege aus der Forschungsabteilung, der die außergewöhnliche Fähigkeit besaß, Aron innerhalb kürzester Zeit die Nerven zu rauben; jemand, der es witzig fand, Arons Nachnamen zu ‚O’Flirty‘ zu verballhornen. Dem würde er jetzt sicher nicht antworten. Er begann, Mattys Nummer einzutippen – er wählte stets selbst, anstatt die Adressbuch-Funktion zu nutzen, damit er die Nummern nicht vergaß –, stutzte und brach ab. Irgendetwas stimmte nicht. Matty hatte während Olsens Hustenanfall angerufen und Aron war auf das Gespräch konzentriert gewesen. Aber davor? Warum hatte er Werners Anruf verpasst? Er ging ins Menü und sah nach, was für ein Klingelton eingestellt war. Das kleine Häkchen stand bei ‚Kein Klingelton‘. Wie üblich hatte er jede Störung durch das Telefon vermeiden wollen, also hatte er Clemens Werner gar nicht hören können.
Und Matty auch nicht. Er spürte ein seltsames Gefühl in der Bauchgegend, das sich bei ihm immer dann einstellte, wenn etwas nicht in Ordnung war oder sich seiner Kontrolle entzog. Die Frage war folgende: Woher hatte Olsen in der Sitzung gewusst, dass das Telefon klingelte, wenn sogar die Vibration ausgestellt war? Auf einmal hatte er die nuschelnde Stimme des Dicken im Ohr. ‚Steht doch alles drin, Computer schicken mir Botschaften und all das Zeug‘. Für einen Moment saß er wie erstarrt da, während die Szene innerlich an ihm vorbei lief. Dann schüttelte er den Kopf, sprang auf und begann erneut zu wählen. Was für einen Blödsinn dachte er sich hier zusammen? Dieser Olsen hatte es wirklich geschafft, ihn nervös zu machen.
„Hi Dad.“
„Hallo, Matty.“
„Wir sind heute Abend bei Harald und Hanna zum Essen eingeladen.“
Erleichtert wandte Aron seine Gedanken dem Gespräch zu. [/i]

« Was vorher geschah123456Wie es weitergeht »

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 3 von 5 Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3, 4, 5  Weiter

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  

EmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlung

von last-virgin

von Wirbi

von Charlie Brokenwood

von femme-fatale233

von EdgarAllanPoe

von femme-fatale233

von Enfant Terrible

von Constantine

von Alien78

von Nordlicht

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!