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Reizwortgeschichte

 
 
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Nipf
Geschlecht:weiblichErklärbär
N


Beiträge: 3



N
Beitrag24.11.2014 18:52
Reizwortgeschichte
von Nipf
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Es war Freitagabend, fünf nach sechs, als Patrizia auf dem Weihnachtsmarkt ankam. So richtig weihnachtlich war ihr ja nicht zumute. Viel lieber wäre sie gleich nach der Arbeit nach Hause gefahren, aber Birgit, eine ihrer ältesten Freundinnen, hatte so lange genörgelt, bis sie schließlich zusagte, auf einen Glühwein vorbeizukommen.
Birgit arbeitete als freiwillige Helferin beim Roten Kreuz und hatte heute Dienst auf dem kleinen Weihnachtsmarkt in der Innenstadt. Dieser endete aber in ein paar Minuten und dann wollten die beiden Frauen etwas zusammen trinken und quatschen. „Sich mal alles von der Seele reden“ hatte Birgit es genannt. In Selbstmitleid zerfließen – so empfand es Patrizia.

Nicht, dass sie nicht allen Grund dazu gehabt hätte. Sie war 39 und stand vor den Scherben einer glücklichen Ehe. Nun ja, glücklich aus ihrer Sicht. Alle anderen, einschließlich ihres zukünftigen Ex-Ehemannes  waren sich einig, dass sie sowieso keine Zukunft gehabt hatten. Das machte sie wütend.
Wütend auf sich, dass sie offenbar so blind war. Wütend auf Richard, ihren Ex, dass er sie so schändlich hintergangen hatte.
Er hatte sie so sehr verletzt, als er damals in diesem scheiß Wallfahrtsort diese alte Trockenpflaume Madeleine kennengelernt hatte. Die war 75 Jahre alt!
Richard war zu einer Reise zur Selbstfindung aufgebrochen. Er brauche die Zeit für sich, hatte er gesagt. Er müsse weg von dem Stress im Job, hatte er gesagt. Und sie, ganz verständnisvolle Frau, hatte ihm noch geholfen seine verdammten Koffer zu packen! Vielleicht hätte sie beim Anblick der Armani-Anzüge stutzig  werden sollen?! Doch in Patrizia‘ s perfekte Welt passten weder Untreue noch Verrat.

Sie hatte Richard aus Liebe geheiratet, er sie als eine Art Ausstellungsstück.
Mit ihren 1,75m und knapp 60 Kilo machte sie immerhin eine gute Figur. Sie war hübsch, keine Schönheit, aber doch über dem Durchschnitt, mit ihrem langen braunen Haare und den moosgrünen Augen. Sie achtete auf sich und hatte hervorragende Umgangsformen. Sie war das Vorzeigemodell, das man in Richards Kreisen brauchte.
Nach der Bankenkrise, von deren Auswirkungen auch Richards Anwaltskanzlei betroffen war, brauchte ihr Gatte Urlaub! Genauer gesagt er wollte sich selbst finden. So kam es zu dann zu jener Reise.
Zugegeben, gefunden hatte er ja jemanden. Bedauerlicherweise nicht sich, sondern Madeleine.
Patrizia konnte nicht sagen, was sie mehr verletzt hatte. Dass Richard sie durch eine andere ersetzt hatte, oder durch wen er sie ersetzt hatte! Der eiskalte Kerl war doch nur auf das Geld der Alten scharf. Und offensichtlich war die Dame dumm genug, auf den jungen Gecken reinzufallen.

Als die bitteren Gedanken sie auf ihrem Weg zum Einsatzfahrzeug ihrer Freundin begleiteten, schüttelte sie unwirsch den Kopf und murmelte: „Lass den Kinderkram!“
Sie ermahnte sich selbst ein fröhliches Gesicht zu machen und eilte weiter. Es fiel ihr auf, dass die Straße um sie herum seltsam leer war. Zwar war sie erst bei den äußersten Häuschen angelangt und es war auch noch früh, trotzdem sollten sich hier mehr Menschen aufhalten.
Sie bog um eine Ecke in eine kleine Gasse in der das Einsatzfahrzeugs des Roten Kreuz geparkt war und stutze. Niemand war da.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass ihre Freundin noch immer Dienst hatte. Es war erst zehn nach sechs. Birgits Dienst endete um halb sieben.
Patrizia fror. Der schicke Mantel, den sie sich im Ausverkauf gegönnt hatte, wärmte leider nicht. Sie verfluchte ihre Eitelkeit und versprach sich selbst, künftig eher praktisch zu denken.
Es war zu kalt war um beim Wagen zu warten und da ihr nichts Besseres einfiel, beschloss sie weiter in Richtung Marktplatzmitte zu gehen. Vielleicht würde sie Birgit auf dem Weg treffen. Wenn nicht,  würde sie mit einem kleinen Rundgang die Wartezeit überbrücken.
Kaum bog sie um die Ecke um zum Hauptplatz des Weihnachtsmarkts zu gelangen, kam sie unvermittelt zum Stehen. Vor ihr befand sich eine große Ansammlung von Menschen. Man konnte eine Anspannung fühlen und jetzt hörte sie leises Gemurmel und vereinzelte „Achjehs“ und „Ohwehs“.
Patrizia war von Natur aus furchtbar neugierig. Zu gern würde sie wissen, was da gerade passiert war. Irgendetwas Unerfreuliches vielleicht?  Bevor sie sich weiter den Kopf zerbrechen konnte, kam Bewegung in die Menge vor ihr.

Eine Gasse teilte sich und hindurch kam Birgit, ihre Birgit. Das flammend rote Haar hing der kleinen Person strähnig ins Gesicht und sie sah müde und erschöpft aus. Patrizia machte große Augen .
Als die Rettungssanitäterin ihre Freundin sah, wies sie sie stumm an, ihr zu folgen. Noch im Gehen zog sie die Einmalhandschuhe aus.
Schweigend gingen die beiden zum Einsatzfahrzeug. Patrizia fiel nichts Kluges ein und sie wollte nicht gleich über ihre Freundin herfallen und sie mit Fragen bombardieren. So schritten sie schweigend nebeneinander her.
Offensichtlich hatte war etwas Schlimmes passiert. Anders konnte sich Patrizia das Schweigen der quirligen und sonst niemals stillen Freundin nicht erklären.
 Am Fahrzeug angekommen öffnete Birgit die hinteren Türen und ließ sich auf den obersten Tritt fallen. Sie atmete seufzend aus und sackte richtig in sich zusammen.
Patrizia stand schweigend daneben und wartete. Das fiel ihr von Sekunde zu Sekunde schwerer, doch sie riss sich zusammen.
Birgit schielte sie von unten durch die roten Locken an. „Ich frage mich, wie lange du durchhälst!“ Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Noch nicht ihr übliches breites Strahlen, aber immerhin.
„Was meinst du?“ fragte Patrizia.
„Nun gut, bevor dich die Neugier umbringt…jemand hatte einen Herzstillstand!“
Patrizia nickte stumm. Auch die herrlichsten Orte schützen nicht vor solch traurigen Dingen. Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte fragte Birgit: „Willst Du nicht wissen wer’s war?“ Sie raffte sich auf und begann, ins Innere des Wagens zu klettern.
„Wieso sollte ich wissen wollen wer’s war?“ Patrizia war verwirrt. Hatte ihre Freundin einen Schock erlitten? Das war doch keine normale Reaktion auf ein solches Erlebnis. Und durfte sie einer Fremden, und das war sie in diesem Fall sicher, einfach so Details erzählen? Fiel das nicht unter Datenschutz?
 „Na was nun?“ Birgit hatte begonnen im Innern des Krankenfahrzeugs herumzuhantieren, unterbrach diese Tätigkeit aber um ihre Freundin aus seltsam glitzernden Augen anzuschauen. „Also…“ stotterte Patrizia, verblüfft durch das Verhalten der anderen. Sie starrte Birgit mit einer Mischung aus Entsetzen und Gereiztheit an. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, redete Birgit weiter.
„Na gut, ich sag’s Dir. Aber offiziell hast Du das nicht von mir!“ Birgit lehnte sich aus dem Wagen  und sah sich kurz um.
Das alles wurde Patrizia langsam zu dumm. Doch flüsterte Birgit:  „Es war Madeleine!“

Patrizia glotzte. Etwas, dass sie eher selten tat! Doch nun konnte sie nichts anderes tun. Die Worte klangen ihr im Ohr. Irgendwie ergaben sie keinen rechten Sinn.
Sie sah zu ihrer Freundin, nahm diese aber gar nicht recht wahr. Sie kniff die Augen zusammen, als ob sie angestrengt überlegte. Wieso hörte sie das Meer rauschen? Und wieso war ihr so heiß? Wenn sie sich richtig erinnerte, dann war Anfang Dezember und vor nicht allzu langer Zeit, nur ein paar Minuten zuvor, hatte sie noch gefroren.
Von weitem vernahm sie den Hauch einer Stimme „Madeleine?“. Irgendwie erinnerte sie die Stimme an ihre eigen. Dann war alles schwarz.
Patrizia erwachte in einem weichen warmen Bett. Als sie die Augen öffnete konnte sie die unschönen Farben des Krankenzimmers sehen und wusste sofort, wo sie war. Sekunden später bestätigte ihr Geruchssinn das soeben Wahrgenommene. Desinfektionsmittel und Trübsinn. Die Mischung, die in jedem dieser Häuser gleich schien.
Es dauerte einen Moment, bis sich ihr Kopf klärte. Und da kam alles zurück. Die Erinnerung an den Abend mit Birgit, den Vorfall mit Madeleine, die gescheiterte Ehe mit Richard.
Sie seufzte und wünschte sich den Schwindel zurück. Der war angenehmer als sich der Realität stellen zu müssen. Sie fragte sich, wie es Richard wohl ging. Von einem gemeinsamen Freund hatte sie gehört, dass Richard überall damit prahlte, dass Madeleine und er sich wahrhaft lieben würden und sie ihn, ganz in diesem Zeichen, als Alleinerben ihres beträchtlichen Erbes eingesetzt hatte.
Man sollte den Tod der armen Frau genauer untersuchen, dachte Patrizia bitter. Sicher war sicher.

Was bislang noch keiner außer einer jüngts Verstorbenen und einem Anwalt kannte, war die Existenz eines geänderten Testaments. Denn eines war Madeleine nie gewesen – dumm!
Und irgendwo in Papua Neuguinea gingen soeben zehn Millionen Euro auf das Spendenkonto eines Kinderheims ein.
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shatgloom
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 372
NaNoWriMo: 27985
Wohnort: ja, gelegentlich


Beitrag24.11.2014 21:02

von shatgloom
Antworten mit Zitat

Laughing Eine echt gute Geschichte hast du hier hinbekommen.
Hat mir gut gefallen.
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rieka
Geschlecht:weiblichSucher und Seiteneinsteiger


Beiträge: 816



Beitrag29.11.2014 14:46

von rieka
Antworten mit Zitat

Hallo Nipf,
ich bin zufällig hier drauf gestoßen.
Kannst deinem Klaus sagen, in Sachen Fantsie hat er dir schon mal nichts mehr zu erzählen.
Es ist gar nicht immer einfach, aus solchen vorgegebenen Worten eine spannende Geschichte zu zimmern. Das ist dir gelungen.
 Smile
Ich vermute doch, du weißt, dass du mit deinem Text hier im Trainingsbereich bist. In diesem Bereich ist Rückmeldung eher zufällig. Gezieltere Rückmeldungen mit Stilkritiken bekommst du im Bereich Einstand.
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Nipf
Geschlecht:weiblichErklärbär
N


Beiträge: 3



N
Beitrag01.12.2014 10:45

von Nipf
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich danke Euch beiden für die netten Worte.

@Rieka: Klaus ist derzeit sehr beschäftigt, hier im Forum zu stöbern und was soll ich sagen, er ist begeistert! So sind wir uns in diesem Punkt mal einig.

Auf bald,

Nicole
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