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Reizwortgeschichte

 
 
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DasrothaarigeMädchen
Geschlecht:weiblichErklärbär
D

Alter: 43
Beiträge: 3



D
Beitrag20.11.2014 12:57
Reizwortgeschichte
von DasrothaarigeMädchen
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe mich zum Einstand hier gleich mal an der Reizwortgeschichte versucht. Finde ich eine tolle Übung! Freue mich auf Kritik und eure Meinung dazu.

****

Der Glühwein bahnte sich seinen Weg durch die Scherben und sickerte allmählich in die Fugen des alten Dielenbodens. Mit Einmalhandschuhen, Eimer und Lappen bewaffnet machte sie sich daran, dem Chaos Herr zu werden. Die Scherben würde sie auflesen, den roten Saft aufwischen können. Doch etwas, das zwischen den geborstenen Porzellanteilen und der klebrigen Brühe lag, war unwiederbringlich kaputt gegangen. Der süße Duft von Zimt und Nelken lag in der Luft, ein kleiner Widerstand gegen die Kälte, die sie frösteln ließ. Kinderkram hätte man es nennen können, einen kleinen Wutausbruch, der vielleicht, wie sonst, in einer unausgesprochenen Versöhnung enden würde. Doch da war dieser Blick in seinen Augen gewesen. Verachtung, nicht einmal mehr Hass war es gewesen. Vielleicht wäre Hass noch ein Ausdruck von Liebe gewesen, während die Verachtung, mit der er sie strafte, nun von Gleichgültigkeit zeugte. Die Verachtung eines Mannes, der ihr einst die große Liebe geschworen hatte.

Was hatte fortbestanden von dieser Liebe? Als junges Mädchen hatte sie sich die Liebe als ein riesiges, bauchiges Fass vorgestellt, das immer gefüllt bliebe, ganz gleich, wie oft man daraus schöpfte. Übrig geblieben war im Laufe der Zeit nur eine alte Tasse, die, erst mit fast unsichtbaren Sprüngen behaftet, nun, wie ihr ganzes Leben, in Scherben vor ihr lag. Als hätte man sie von einem Jahre andauernden Herzstillstand wiederbelebt, hatte der Knall, als das Gefäß den Boden getroffen hatte, sie wachgerüttelt. Etwas, das schon vor langer Zeit erstarb – oder vielleicht nie wirklich zu leben begonnen hatte – war nun endgültig vorbei.

Mit jeder Scherbe, die sie auflas, kehrte eine neue Art von Ruhe in ihr ein. Es schien, als sammelte sie mit jedem Stück einen Teil ihrer Selbst wieder ein, den sie über die Jahre verloren hatte. Als wäre der Eimer, in dem die Scherben nun landeten, ein kleiner Wallfahrtsort des Abschieds, aber auch des Neubeginns. Sie würde aus den Einzelstücken kein Ganzes mehr zusammensetzen können. Aber vielleicht würde etwas Neues entstehen, wenn die Zeit reif dafür wäre. Vielleicht wäre die Liebe nicht länger nur ein Spendenkonto, auf das sie unaufhörlich einzahlte, ohne jemals etwas ausbezahlt zu bekommen. Der Glühwein hinterließ rote Spuren auf ihren Händen. Längst war er kalt geworden.

****

Liebe Grüße
Das rothaarige Mädchen Smile
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag20.11.2014 15:13
Re: Reizwortgeschichte
von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Hallo nochmal.

Kurze Rückmeldung von mir: Gefällt mir sehr, was du aus der Aufgabenstellung gemacht hast – nämlich eine kompakte und trotzdem gehaltvolle, eigenständige Geschichte zu machen. Manchen Leser schreckt vielleicht die Häufung von Hilfsverben ab, die Distanz, die damit geschaffen wird – aber mir gefällt der Ton, den du hier anschlägst. Ein paar Anmerkungen habe ich dir in den Text geschrieben.

Gruß,
Klemens

DasrothaarigeMädchen hat Folgendes geschrieben:
Der Glühwein bahnte sich seinen Weg durch die Scherben und sickerte allmählich in die Fugen des alten Dielenbodens. Mit Einmalhandschuhen, Eimer und Lappen bewaffnet machte sie sich daran, dem Chaos 'Chaos', dessen man Herr werden muss, ist mir persönlich ein zu starker Ausdruck für ein paar Scherben und verschüttete Flüssigkeit. Herr zu werden. Die Scherben würde sie auflesen, den roten Saft aufwischen können. Doch etwas, das zwischen den geborstenen Porzellanteilen und der klebrigen Brühe lag, war unwiederbringlich kaputt gegangen. Der süße Duft von Zimt und Nelken lag Ich bin kein grundsätzlicher Feind von Wortwiederholungen, denke, dass sie, bewusst eingesetzt, einen Text aufwerten können; hier passt mir aber das erste 'lag' von Ausdruck her nicht so ganz; etwas liegt zwischen Scherben und Flüssigkeit – wie muss ich mir dieses Dazwischenliegen vorstellen? in der Luft, ein kleiner Widerstand Ein Duft als 'Widerstand' gegen die Kälte? 'Widerstand' kenne ich entweder als passive Eigenschaft, trotz eines verändernden Einflusses im derzeitigen Zustand zu verharren, sich nicht zu verändern (Wiktionary) oder als aktives 'Auflehnen' – beides passt mir nicht zum 'Duft' gegen die Kälte, die sie frösteln ließ. Kinderkram hätte man es nennen können, einen kleinen Wutausbruch, der vielleicht, wie sonst, in einer unausgesprochenen Versöhnung enden würde. Doch da war dieser Blick in seinen Augen gewesen. Verachtung, nicht einmal mehr Hass war es gewesen. Vielleicht wäre Hass noch ein Ausdruck von Liebe gewesen, während die Verachtung, mit der er sie strafte, nun von Gleichgültigkeit zeugte. 'Verachtung' und 'Gleichgültigkeit' sind für mich nicht synonym. Wenn ich jemanden verachte, dann bin ich ihm vielleicht nicht wohlgesonnen, aber gleichgültig ist er mir eben auch nicht, oder? Die Verachtung eines Mannes, der ihr einst die große Liebe geschworen hatte.

Was hatte fortbestanden von dieser Liebe? Als junges Mädchen hatte sie sich die Liebe als ein riesiges, bauchiges Fass vorgestellt, das immer gefüllt bliebe, ganz gleich, wie oft man daraus schöpfte. Gefällt mir, dieses Bild. Übrig geblieben war im Laufe der Zeit nur eine alte Tasse, die, erst mit fast unsichtbaren Sprüngen behaftet, nun, wie ihr ganzes Leben, in Scherben vor ihr lag. Die vielen Kommata in diesem Satz zerhackstückeln mE den ansonsten richtig schönen Sprachrhythmus, der deinen Text auszeichnet. Als hätte man sie von einem Jahre andauernden Herzstillstand wiederbelebt, hatte der Knall, als das Gefäß den Boden getroffen hatte, sie wachgerüttelt. Etwas, das schon vor langer Zeit erstarb erstorben war? – oder vielleicht nie wirklich zu leben begonnen hatte – war nun endgültig vorbei.

Mit jeder Scherbe, die sie auflas, kehrte eine neue Art von Ruhe in ihr ein. Inwiefern ist diese Art der Ruhe 'neu'? 'Neu' im Sinne von 'nie gekannt', oder nur situativ? Es schien, als sammelte sie mit jedem Stück einen Teil ihrer Selbst wieder ein, den sie über die Jahre verloren hatte. Als wäre der Eimer, in dem die Scherben nun landeten, ein kleiner Wallfahrtsort des Abschieds, aber auch des Neubeginns. Sie würde aus den Einzelstücken kein Ganzes mehr zusammensetzen können. Aber vielleicht würde etwas Neues entstehen, wenn die Zeit reif dafür wäre. Vielleicht wäre die Liebe nicht länger nur ein Spendenkonto, auf das sie unaufhörlich einzahlte, ohne jemals etwas ausbezahlt zu bekommen. Gefällt mir auch. Der Glühwein hinterließ rote Spuren auf ihren Händen. Längst war er kalt geworden.


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lilli.vostry
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Beitrag20.11.2014 17:20
aw:Reizwortgeschichte
von lilli.vostry
Antworten mit Zitat

Hallo, Rothaariges Mädchen,

gefällt mir gut diese kleine vorweihnachtliche Liebesgeschichte aus Reizwörtern, aus der Spendenkonto am Ende unschön herausragt.
Sprachlich kann man sicher noch dran feilen, z.B. der Duft "lag in der Luft"... hing in der Luft (da schwerlos) fände ich treffender.
Der Mittelteil erscheint mir zu dick aufgetragen, dass nun angesichts einer zerbrochenen Tasse und eines kalten Blicks, gleich ihr ganzes Leben in Scherben liegt... Das würde ich diffiziler schreiben. Das Bild an sich ist auch schon recht abgenutzt.
Für mich braucht es diesen Mittelteil auch gar nicht.
Ohne wäre der Text noch dichter, atmosphärischer.

Ein Text jedenfalls, der Lust auf mehr macht von Dir zu lesen.

Viele Grüße,
Lilli


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lilli.vostry
Wortschmiedin


Beiträge: 1219
Wohnort: Dresden


Beitrag20.11.2014 17:23
aw:
von lilli.vostry
Antworten mit Zitat

.... kleiner Zusatz von mir: Das Bild mit der Liebe als bauchiges Fass ist sehr schön; nur die anderen etwas ausschweifenden Formulierungen mit der Tasse kann man m.E. kürzen.

Viele Grüße,
Lilli


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DasrothaarigeMädchen
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Beiträge: 3



D
Beitrag20.11.2014 17:40
Re: Reizwortgeschichte
von DasrothaarigeMädchen
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Hallo Klemens,

ganz lieben Dank für dein Feedback! Deine Kritik ist sehr hilfreich für mich, einige der von dir "bemängelten" Passagen waren auch genau die, bei denen ich irgendwie ein ungutes Gefühl hatte (aber nicht ganz wusste, warum). Gerade der Satz mit den vielen Kommata oder auch die irgendwie nicht stimmige Gleichstellung von "Gleichgültigkeit" und "Verachtung".

- Die relativ vielen Hilfsverben fallen mir jetzt erst richtig auf, darauf muss ich besser achten!

- Der "Widerstand" ist tatsächlich wohl nicht ganz treffend, vielleicht wäre ein "Trost" oder "wie eine warme Weihnachtserinnerung" die bessere Formulierung (?)

- Die "neue Art von Ruhe" ist auch etwas fahrig beschrieben, das ginge besser.

Vielen Dank, dass du dich mit meinem Text beschäftigt hast! Und freut mich, dass dir grundsätzlich der Ton gefällt Smile

Liebe Grüße
Das rothaarige Mädchen
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DasrothaarigeMädchen
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Alter: 43
Beiträge: 3



D
Beitrag20.11.2014 17:43
Re: aw:Reizwortgeschichte
von DasrothaarigeMädchen
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Lilli,

auch dir vielen lieben Dank für deine hilfreichen Anregungen und deine ehrliche Meinung! Der Mittelteil erscheint in der Tat etwas dick aufgetragen, ich hätte hier auch Lust gehabt, noch deutlich mehr auszuführen, aber ich wollte es kompakt halten. Da wäre tatsächlich noch eine Reduzierung etwas ausdrucksstärker - danke für die Überlegung!
Sprachlich ist das Ganze sicher noch verbesserungswürdig, da gebe ich dir recht. "Hing" in der Luft klingt jedenfalls schon um Klassen besser! Und ich neige etwas zum Ausschweifen Wink , da muss ich bei Überarbeitungen darauf achten.

Danke für die Auseinandersetzung mit dem Text!

Liebe Grüße
Das rothaarige Mädchen
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Klemens_Fitte
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Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag21.11.2014 12:30
Re: Reizwortgeschichte
von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Moin.

DasrothaarigeMädchen hat Folgendes geschrieben:
- Die relativ vielen Hilfsverben fallen mir jetzt erst richtig auf, darauf muss ich besser achten!


Hm, da habe ich mich vielleicht unglücklich ausgedrückt. Ich persönlich habe keine Probleme mit Hilfsverben und verwende sie selbst, wo sie benötigt werden, ohne Skrupel. Ich meine, wenn du eine Begebenheit aus der Vorvergangenheit schilderst, dann gehören Hilfsverben eben dazu. Ich weiß aber, dass manche das als schlechten Stil oder umständliche Sprache ankreiden. Da musst du entscheiden, ob du damit leben kannst oder nicht.

DasrothaarigeMädchen hat Folgendes geschrieben:
- Der "Widerstand" ist tatsächlich wohl nicht ganz treffend, vielleicht wäre ein "Trost" oder "wie eine warme Weihnachtserinnerung" die bessere Formulierung (?)


Puh, ich tue mich immer schwer mit konkreten Vorschlägen; vielleicht auch bildete einen angenehmen Kontrast zur Kälte, die … … hm, so ganz passt das auch nicht. Wenn du magst, kannst du ja noch ein bisschen rumprobieren, gibt ja schließlich für alles den passenden Ausdruck smile

Noch eins: ich würde lilli.vostry insofern widersprechen, dass die Geschichte ohne den Mittelteil für mich nicht mehr so gut funktionieren würde; erst der Mittelteil hilft mir ja szs, die 'Tragweite' des Geschehens zu erfassen. Man könnte vielleicht die genaue Verbindung von Fass und Tasse nochmal überdenken – so, wie es jetzt da steht, schrumpft das Fass mit der Zeit zu einer Tasse zusammen; passender fände ich, wenn die Tasse das Gefäß wäre, mit dem aus dem Fass geschöpft wurde und das nun zerbrochen ist, heißt, das Fass gibt es immer noch, aber es gibt keine Möglichkeit, an den Inhalt zu kommen, ohne ihn zu verschwenden. Ergibt das irgendwie Sinn? lol2

Ach ja, das hier
lilli.vostry hat Folgendes geschrieben:
Sprachlich kann man sicher noch dran feilen, z.B. der Duft "lag in der Luft"... hing in der Luft (da schwerlos) fände ich treffender.

sehe ich auch so.

Gruß,
Klemens


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