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DoroThea Wortedrechsler
Alter: 57 Beiträge: 90 Wohnort: Dresden
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16.11.2014 17:08 Die Insel von DoroThea
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Die bloße Stelle an seinem Körper verblüffte mich. Immerzu musste ich darauf starren. Das Stück Haut war der letzte ungezeichnete, also jungfräuliche Teil seines Körpers. So hell, unübersehbar, mitten in einem Meer von Farben. Eine Insel, zu der ich mich unheimlich hingezogen fühlte. Dieser blanke und empfindsame Teil zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt bereitete mir sehnsuchtsvolle Schmerzen. War er bedeckt, wenn wir uns trafen, wendete ich all meine Überredungskünste an, nur mit dem Ziel ihn zu sehen und zu berühren. Wenn es Zeit und Ort nicht zuließen, rief ich ihn am selben Tag unter einem Vorwand mit der Bitte um ein weiteres Treffen.
Er war ein sehr eitler Mann. Meinen Wunsch betrachtete er weniger als Verpflichtung denn als schmeichelhafte Nachfrage an seine Person.
Wenn er erschien, strich ich als Erstes den lästigen Stoff zur Seite. Er meinte dann immer lachend, dass dieses nackte Stück Haut nur eine Schonzeit hätte. Eines Tages würde sein Körper endlich wie aus einem Guss wirken und damit vollkommen sein.
Ich warnte ihn regelmäßig, dass dies das Ende unserer Beziehung bedeutete.
Denn – man kann oft nicht erklären, weshalb man der einen oder anderen Zwangsvorstellung verhaftet ist – ich konnte ihn mir nicht ohne diese besondere Hautinsel denken. Auf sie konzentrierte sich all meine Aufmerksamkeit. Selbst seine Worte, oft lautmalerisch gesetzt, verloren an Kraft und drangen nur gedämpft zu mir vor.
Liebten wir uns, konnte der Akt nur mit einem sehr langen Kuss auf diese zarte weiße Stelle seiner Haut besiegelt werden.
Seine Koketterie um dieses letzte Zipfelchen unbemalten Daseins war vollständig irrational, genauso wie es meine fixe Idee von der Besetzung seiner Hautinsel war.
Mit seinem Plan, den er immer wieder erwähnte, setzte er unsere Beziehung aufs Spiel. Er musste doch wissen – er kannte mich schließlich gut genug -, dass es mir ernst mit dem war, was ich gesagt hatte.
Leider schien ihm die Vollendung seines Körperkunstwerkes wichtiger als unsere Liebe zu sein. Neben den ineinander verknoteten Schlangen, den lilienartigen Gewächsen, die über seinen ganzen Körper rankten, neben Worten, denen er Bedeutungen zumaß, die nur er kannte, erstrahlte eines Tages aus der leichten Vertiefung bis über den Schulteransatz ein Feuerwerk.
Am Anfang war es noch eine bläuliche Explosion, die in alle Richtungen führte. Doch bald folgten in weiteren Stichetappen Farbspiele im Regenbogengewand. Den Höhepunkt bildete eine Sternschnuppe, die sanft auf seinem rechten Schulterblatt aufsetzte.
Erklärtermaßen konnte ich seine Freude über dieses Meisterwerk der Stechkunst nicht teilen. Ich versank in tiefe, in abgrundtiefe Traurigkeit, sehnte mich zurück nach der Insel, nach diesem Abbild von Reinheit und Wahrhaftigkeit.
Niemand konnte diese Trauer begreifen.
Wir entfernten uns mehr und mehr voneinander.
Unsere Liebe verkam zu einem Akt vulkanisierter Asche. Sie verglühte mit diesem Feuerwerk.
Er jedoch spiegelte sich nurmehr für sich allein und belächelte meine Traurigkeit.
Vielleicht, so sage ich mir heute, hätte er der Sternschnuppe beim Stechen einen Wunsch mit auf den Weg geben sollen.
Ich verließ ihn, als der Mond am tiefsten am nachtblauen Himmel zu sehen war, goldgelb und rund und allerorts Wünsche in den Himmel flogen, dem Sternschnuppenregen entgegen.
Weitere Werke von DoroThea:
_________________ DoroThea |
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Telani Leseratte
Alter: 37 Beiträge: 174
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17.11.2014 11:49
von Telani
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Hallo Dorothea!
Dein Text gefällt mir sehr gut. Ich finde den Aufbau super und auch die Idee. Du hast sehr schöne Formulierungen im Text wie "Unsere Liebe verkam zu einem Akt vulkanisierter Asche." Mit solcher Bildsprache kannst du einen Leser wie mich fangen.
Nur eine Frage habe ich: ist es der Teil etwas größerem oder ist der Text so in sich vollendet?
LG, T!
_________________ Die Wirklichkeit ist ein zerbrochener Spiegel! |
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DoroThea Wortedrechsler
Alter: 57 Beiträge: 90 Wohnort: Dresden
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17.11.2014 19:30
von DoroThea
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Hallo Telani,
es freut mich, dass dir mein Text gefällt!
Gut, dass du das fragst! Ursprünglich hatte ich ihn einem Programm zugedacht, das Texte tänzerisch untermalt. Leider passt er mit dem jetzigen Ende nicht so ganz dahin. Eventuell schreibe ich ihn für diesen Zweck nochmal um. Es würde mir jedoch etwas Leid darum tun. Deshalb wollte ich erstmal andere Meinungen dazu einholen
Danke für dein Interesse!
liebe Grüße
DoroThea
_________________ DoroThea |
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