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Alter des Lichts und der Landschaft

 
 
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag27.11.2014 14:15

von anderswolf
Antworten mit Zitat

Ich habe aus Zeitmangel vor der Siegerehrung nur jene Texte kommentiert, denen ich keine Punkte gegeben habe. Darum nachfolgend noch eine (versuchsweise von der allgemeinen Bewertung unbeeinflusste) Begründung für meine Bepunktung.
Möglicherweise sind in meinen Begründungen Fragen oder Anmerkungen enthalten, die mittlerweile, weil auch von anderen erwähnt, schon addressiert wurden. Da ich die Kommentare zwecks größtmöglicher Neutralität höchstens überflogen habe, können Redundanzen vorkommen.


Der erste Impuls, die erste Notiz war: Gegen diesen Text wird es schwer zu gewinnen sein. Und jedes Mal wieder, wenn ich ihn lese, vor allem, wenn ich glaubte, zwischenzeitlich einen anderen Favoriten gefunden zu haben, war mir wieder klar: es kann nur diesen einen geben.

Die Handlung selbst ist irritierend einfach: ein Landschaftsarchitekt wird nach Beendigung eines Projekts zu einer unzweifelhaft orgiastischen Feier eingeladen, will eigentlich nicht, weil es sich aber um einen ehemaligen Auftraggeber handelt, den man vielleicht eher nicht vergrätzen will, geht er hin. In der Villa selbst trifft er erst auf andere Gäste und schließlich auf den Hausherren, der ihn seiner Frau zuführen will, der Architekt aber flieht vor der Begegnung mit ihr.

Was in den Händen eines weniger poetischen Autors zu einem Stück für den Rotlicht-Distrikt hätte werden können, ist hier eine fabulierende Aneinanderreihung von Bildern, die sich, obschon sie das selbe beschreiben, nicht gleichen. Der Autor umschifft gekonnt die Untiefen der Wiederholung, gleichzeitig weicht er den Klippen der Bildüberfrachtung aus.

Schon der Beginn des Textes attestiert dem Verfasser erzählerisches Können. Ohne eine einzige aktive Bewegung des Protagonisten nähert der Leser sich allein durch die Wahrnehmung der Landschaft dem Eingang der Villa, bis er schließlich, ohne im Text einen einzigen Schritt getan zu haben, im Haus steht, dem ersten Paar gegenüber.
Während die Vermeidung beschriebener Bewegung natürlich auch deswegen sehr angenehm ist, weil die Worte, die aktive Bewegung ausdrücken, zwar viele, aber deshalb noch lange nicht vielseitig sind, erzeugt das Fehlen dieser Worte einen Sog, der nicht nur den Erzähler ins Haus, sondern auch den Leser durch die Geschichte zieht, und ehe sie sich versehen, sind sie alle, Erzähler und Leser, in der Form des Protagonisten in der Villa und damit in einer Situation, der niemand gewachsen ist.

Es fällt darum auch schwer, differenziert über die ersten drei Absätze zu schreiben, denn immer wieder wird meine Aufmerksamkeit zum Herz des Parks gezogen, der Villa, der Feier, dem Höhepunkt der Party entgegen.
Was schade ist, denn für sich genommen ist diese Beschreibung der Landschaft vor allem auch eine Beschreibung des Erzählers. Bedingt durch seinen Beruf erkennt der Landschaftsarchitekt in der Gestaltung eines Gartens einen Charakter, doch er ist so naiv zu glauben, es wäre der seines Auftraggebers und nicht sein eigener. Tatsächlich aber wird ihm spätestens bei seiner Flucht aus dem Haus klar, was dem Leser schon zu Beginn klar wird: der Park ist nur eine Wiedergabe dessen, wie sich der Auftraggeber im Auftragnehmer spiegelt, er ist eine Interpretation, die - ihrer Art inhärent - auch eine Interpretation des Interpretierenden darstellt. So erläutert allein schon der Brunnen, dessen Gestaltungselemente so abgedroschen und billig sind, dass es jeden Ästheten nach Blindheit dürstet, wie sehr der Gestalter jede Künstlichkeit ablehnt, noch deutlicher wird das aber in der Brombeerhecke, die einen abgelegenen Teil des Gartens überwuchert. Wollte ich den Erzähler interpretieren (und dabei mich selbst als Interpretierendem einer weiteren Interpretation zur Verfügung stellen), so nähme ich an, er sei nach außen hin ein kontrollierter, ehrgeiziger Mensch, in dessen Inneren immer auch neben dem Wunsch, seine Auftraggeber zu befriedigen, eine mühsam kaschierte Sehnsucht nach Wildheit hat, die er aber nur selten oder nur in Andeutungen zulässt. Tatsächlich wird er, als er schließlich die Möglichkeit zur eigenen Ausuferung, zu einer orgiastischen Entgrenzung hat, davor zurückschrecken, sich zu öffnen oder zuzulassen, dass seine künstliche Zurückhaltung, die ja nichts anderes als Angst vor Kontrollverlust ist, aufgebrochen wird.

So. Immer noch nicht am ersten Paar vorbei und trotzdem schon so viel geschrieben. Auch hat den Ausschlag für meine Bepunktung gegeben: dass allein in den ersten drei Absätzen so viel gesagt wird, ohne dass es angesprochen wird.

Die Betrachtung der Paare und Paarungen ist distanziert, nüchtern und ohne jedes Begehren geschildert, während gleichzeitig aus der Beschreibung ihrer Landschaften eine sinnliche Überwältigung des Erzählers herausklingt, die mehr als jede körperteilige Darstellung eines Geschlechtsaktes verdeutlicht, wie verstört der Protagonist vom Gesehenen ist.
Natürlich ist die Darstellung der Paare auch notwendig, um das Finale der Geschichte einzuleiten und glaubhaft zu machen.  Erst durch die Beschreibung dessen, wie er sieht und fühlt, wenn er die Paare beobachtet, wird glaubhaft, was er empfindet nicht nur beim Anblick des Hausherrn, sondern vor allem auch bei der fast übersinnlichen Wahrnehmung der Hausherrin. Sie selbst tritt bis auf ihr Bein und ihre überbordende innere Landschaft ja nicht in Erscheinung, und dennoch ist sie der Kulminationspunkt der gesamten Geschichte, worauf alle Wege, mögen sie auch noch so verschlungen sein, schließlich hinführen.
Der Protagonist ist von der Hausherrin allerdings so eingeschüchtert, dass er flieht, ihre ganze Präsenz ist schon aus der Distanz so unerträglich, dass er die Flucht ergreift. Zu verdenken ist ihm das nicht, immerhin begegnet er, der Gestalter des sich immer wandelnden Lebens, mit ihr, der alles verschlingenden Wüste, gewissermaßen seinem eigenen Kontrapunkt. Während er eigentlich glaubte, dem winterlich frostigen Hausherrn eine Lektion erteilt zu haben, indem er ihm seine innere Ödnis zu präsentieren glaubte, wird der Protagonist von der Hausherrin selbst gedemütigt und fast vernichtet.
Man könnte dadurch in der Geschichte vieles sehen, eine Allegorie auf den Kreislauf des Lebens an sich, auf die Abfolge von Jahreszeiten (mit der einsam tanzenden Dame als Herbst), auf die Spannung zwischen den drei Aggregatszuständen der Zeit selbst. Vielleicht ist es aber auch nur die Beschreibung eines sehr ausschweifenden Festes, die einen Menschen mit übersensibler Wahrnehmung an die Grenze seines  Verstandes führt. Es ist dieser Reichtum an Lesarten und Resonanz, der zusammen mit der durchgängig souveränen und so vielseitigen, ja vielfarbigen Sprache und der sicheren Konstruktion der Geschichte selbst zu meinem ersten Urteil geführt hat:  Gegen diese Geschichte wird schwer zu gewinnen sein.

Natürlich gibt es auch hier schwächere Stellen, wenn sich beispielsweise das Bein der Hausherrin zum Vorschein kommt. Es ist nicht ganz klar, wie das passiert, als erschiene ihr an keinem Körper befestigtes Bein aus dem Nichts zwischen den sitzenden Herren. Das ist natürlich nicht so.
Die Frage des Lichts, die, ich habe es beim losen Überfliegen einzelner anderer Kommentare schon gesehen, offensichtlich in mehreren Ebenen Unverständlichkeiten evoziert. Dass die acht Minuten die Reisedauer des Lichtes bis zur Erde bezeichnen, war mir zwar klar, aber die Relevanz in der Geschichte nicht, denn sie würde genauso gut funktionieren, gäbe es die ausgelöste Diskussion um junges und altes Licht nicht. Vielleicht läge die Interpretation um die  Aggregatszustände der Zeit nicht so nahe, vielleicht wäre ein alternativer Textanfang weniger poetisch, tatsächlich aber fehlt im späteren Text die Relevanz für die Einführung des Alters des Lichtes. Natürlich ergäbe der Titel dann auch keinen Sinn mehr, ließe man das Alter des Lichtes weg, aber das ist ja dann nebensächlich.

Zwischendurch fehlen ab und an Kommata, ich schließe hier aber gnädig auf Flüchtigkeitsfehler, einige Worte oder Wendungen wie "Zufahrtsallee" oder "Je ferner des Hauses mit freierer Hand" sind irritierend und/oder sperrig.
Insgesamt aber liest sich die Geschichte wie aus einem Guß und es scheint eine der wenigen Geschichten zu sein, in der das vorgegebene Zitat nicht nur auch sprachlich passend, sondern vor allem auch der Erzählung hilfreich erscheint.
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