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Ein geschäftliches Treffen


 
 
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U-Banane
Wortedrechsler


Beiträge: 83



Beitrag17.05.2014 22:36
Ein geschäftliches Treffen
von U-Banane
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich war in einer dringenden Angelegenheit unterwegs und durfte keine Zeit vergeuden. Der Mann, der mich erwartete, ein gewisser Herr Brückner, war sicher schon ungeduldig und würde keineswegs Rücksicht auf eine Verzögerung meinerseits nehmen, ganz gleich, welche Entschuldigung ich dafür hervorbringen konnte. Als ich nun im Zug sitzend auf meine Uhr sah, bemerkte ich zu meiner Erleichterung, dass ich es wohl noch rechtzeitig schaffen würde, sollte es keine ungeplanten Zwischenfälle geben. Allerdings konnte man so etwas natürlich nie im Voraus wissen; wenn nun im schlimmsten Fall der Zug entgleisen würde, läge es selbstverständlich nicht an mir, wenn ich nicht rechtzeitig zu dem vereinbarten Termin erscheinen konnte, doch für den Mann, der mich erwartete, würde dies, wie bereits schon erwähnt, keinen Unterschied machen; ja, selbst wenn ich bei einem solchen Unglück stürbe, würde er nur sagen, dass es ein Jammer sei, dass ich mich nicht an Verabredungen halten könne, und dass er unter solchen Voraussetzungen nicht gewillt wäre, weitere Geschäfte mit mir abzuschließen. Da es um ein Treffen von äußerster Wichtigkeit ging, bei dem Pünktlichkeit gewiss eine große Rolle spielte, konnte ich seine Haltung nachvollziehen, wenngleich mir auch die Aufdringlichkeit missfiel, mit der er sie mir sie offenbart hatte.
Draußen vor den Fenstern zog die Landschaft vorbei, gleich flüchtigen Erinnerungen, und ich war froh, dass ich allein in diesem Abteil saß, sodass ich frei meinen Gedanken nachhängen konnte, ohne mich dabei beobachtet fühlen zu müssen. Es war mir immer schon unangenehm gewesen, im Beisein anderer zu sehr in meine Gedankenwelt abzutauchen, da ich dabei immer die Empfindung hatte, sie könnten mir womöglich ansehen, an was ich gerade dachte. Mir war natürlich bewusst, dass das Unsinn war. Trotzdem glaubte ein Teil in mir noch immer fest daran; es war eine Art kindliche Überzeugung, der die Rationalität eines Erwachsenen nichts anhaben konnte.
Ich klappte meinen Aktenkoffer auf und ging noch mal die Papiere durch. Gewiss wird Herr Brückner es mir hoch anrechnen, dass ich solche Sorgfalt an den Tag legte, hatte er doch auch einen ausgesprochenen Sinn für Ordnung und einen Blick für Genauigkeit; nichts war ihm, neben Unpünktlichkeit, mehr zuwider als schlampige Arbeit und entsprechend streng war sein Urteil in solchen Fällen. Diesbezüglich hatte ich mir nichts vorzuwerfen, dachte ich, als ich einige Unterlagen einer letzten Prüfung unterzog. Dennoch hatte sich in mir seit Beginn der Fahrt ein diffuses Unbehagen hinsichtlich des Treffens aufgebaut, das sich auch durch die Gewissheit, dass ich gut vorbereitet war, nicht vertreiben ließ. Ich schloss meinen Koffer und schaute wieder aus dem Fenster.
Mittlerweile war der Zug fast am Ziel; einerseits begrüßte ich die Aussicht, voraussichtlich rechtzeitig anzukommen, doch andererseits wuchs mein Unbehagen mit jedem Kilometer, der mich meinem Bestimmungsort näher brachte. Immerhin würde ich mir kein Taxi nehmen müssen wenn ich ankam, dachte ich; Herr Brückner hatte an alles gedacht und eigens einen Fahrer engagiert, der mich vom Bahnhof abholen würde, was ich ihm im Übrigen hoch anrechnete, war dies doch keine Selbstverständlichkeit.
Endlich hielt der Zug. Ich stand auf, den Koffer in der Hand, schritt zur Tür und trat hinaus. Der Bahnhof schien mir für diese Zeit ungewöhnlich verlassen; nur wenige Menschen tummelten sich auf den Bahnsteigen und in den Zeitungsläden, ganz im Gegensatz zu dem sonst üblichen Trubel.
Als ich den Bahnhof verließ, musste ich nicht lange Ausschau nach dem für mich bestellten Fahrer halten; ein junger Mann, der sich gelangweilt umschaute, stand vor einer Limousine und ich identifizierte ihn sofort als meinen Fahrer.
"Guten Tag", sagte ich und er erwiderte meine Gruß. Ohne sich zu vergewissern, ob ich tatsächlich derjenige war, den er abzuholen angewiesen war, ließ er mich einsteigen und wir fuhren los. Mir kam in den Sinn, dass ich Herrn Brückner noch nie persönlich begegnet war, wir hatten nur schriftlichen und telefonischen Kontakt gepflegt, und das Unbehagen, das ich die ganze Zeit schon verspürte, mischte sich nun mit einer gewissen Neugier und Ungeduld.
"Entschuldigen Sie", sagte ich zu dem Fahrer, "wie lange wird die Fahrt dauern?"
Der Fahrer schaute mich durch den Rückspiegel hindurch an und blickte dann wieder auf die Straße. "Nicht lange. Sind nur zwei oder drei Kilometer."
"Danke", sagte ich und trommelte mit den Fingern auf den Aktenkoffer der auf meinen Knien lag.
"Ist das bei Ihrer Firma üblich, dass man abgeholt wird?", fragte ich, da mir das Schweigen unangenehm war.
"Nein, das kommt nur äußerst selten vor. Ist sozusagen eine Ausnahme. Sie können sich glücklich schätzen."
Ich unterdrückte die Frage, warum ausgerechnet mir eine solche Ausnahme zuteil wurde. "Verstehe. Ich freue mich jedenfalls, Herr Brückner endlich persönlich zu treffen."
Der Fahrer musterte mich wieder durch den Rückspiegel und ich konnte sehen, wie er die Stirn runzelte.
"Wir sind gleich da", sagte er schließlich. "Dort drüben kann man das Gebäude schon sehen."
Ich nickte nur stumm, obwohl der Fahrer mich gerade nicht beobachtete. Schweigend fuhren wir den restlichen Weg bis zum Bürogebäude, das mir außerordentlich imposant erschien; ein solches Hochhaus hatte ich nicht erwartet, passte es doch auch auch gar nicht in das Stadtbild.
Ich stieg aus, schlug die Autotür zu und wollte mich gerade zu dem noch hinter dem Steuer sitzenden Fahrer hin drehen um mich zu verabschieden, als der Wagen auch schon davonfuhr. Meine Gedanken konzentrierten sich nun jedoch viel mehr auf Herr Brückner und den Termin, sodass ich dem Verhalten des Fahrers keine weitere Beachtung schenkte.
Als ich das Gebäude betrat, fiel mir auf, dass sich im Erdgeschoss nichts befand außer einer Art Rezeption, hinter der einsam eine junge Frau stand, die eine Brille trug und gerade damit beschäftigt war, irgendetwas aufzuschreiben. Die Wände waren gänzlich kahl, weiß gestrichen und die Atmosphäre die sich daraus ergab, wirkte auf mich seltsam; so als wäre dies keine Empfangshalle eines Bürogebäudes, sondern vielmehr eine noch nicht fertiggestellte Hotellobby.
Ich ging zu der Frau und als sie mich bemerkte, blickte sie zuerst verwundert, dann lächelnd zu mir auf.
"Guten Tag", sagte ich. "Ich komme wegen eines wichtigen Treffens mit Herrn Brückner."
Die Frau runzelte die Stirn. "Hier arbeitet kein Herr Brückner." Dann dachte sie kurz nach. "Meinen Sie vielleicht Herr Bruckner?"
Ich stelle den Aktenkoffer ab und schaute sie an. Das kann gar nicht sein, dachte ich; in den Unterlagen und Briefen stand ganz klar Brückner, auch am Telefon hatte jener sich mit Brückner gemeldet. Vielleicht arbeitete die Frau noch nicht lange hier; in diesem Fall wäre eine solche Nachlässigkeit vielleicht zu entschuldigen.
"Nein, ich bin mir sicher, dass ich einen Termin mit Herr Brückner habe", sagte ich.
Die Hände der Frau spielten mit einem Kugelschreiber. "Das ist ausgeschlossen. Ein Herr Brückner ist mir nicht bekannt. Vielleicht haben Sie sich doch geirrt - ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber so was passiert doch jeden Mal. Wenn Sie möchten, sage ich Herr Bruckner sofort Bescheid, dass Sie ihn sprechen möchten. Wie lautet denn Ihr Name?"
"Gerlach. Werner Gerlach. Aber hören Sie, das hat ja keinen Zweck, ich möchte Herrn Brückner sprechen, nicht Herrn Bruckner. Wir haben telefonisch für Heute einen Termin vereinbart. Sogar einen Fahrer, der mich vom Bahnhof abholte, hatte Herr Brückner eigens für mich bestellt."
"Tut mir Leid. Ich kann mich nur wiederholen, Herr Gerlach. Ein Fahrer hat Sie hier her gefahren, sagten Sie?"
Ich nickte.
"Das ist seltsam", sagte sie. "Wissen Sie, Herr Gerlach, das ist eigentlich völlig ausgeschlossen. So was ist noch nie vorgekommen."
Sie nahm einen Telefonhörer in die Hand. "Warten Sie einen Augenblick, ich rufe kurz Herrn Bruckner an."
Während sie telefonierte, wandte ich mich ab und meine Gedanken rasten wild durcheinander wie eine Horde aufgeschreckter Hühner. Ein Irrtum meinerseits ist ausgeschlossen, dachte ich, und die Unterlagen untermauern dies; ich werde mich beschweren müssen, ist ein solches Verhalten seitens Herr Brückner doch inakzeptabel, oder vielmehr, es ist sozusagen skandalös; da bereitet man sich akribisch auf dieses Treffen vor, geht alle Unterlagen mehrfach penibel durch, hält sich peinlich genau daran, pünktlich zu erscheinen, um Herr Brückner nicht zu verärgern - und dann lässt er sich verleugnen. Ein solches Verhalten ist eines Mannes in seiner Position einfach nicht würdig, dachte ich.
"Herr Gerlach?", meldete sich die Frau und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich drehte mich zu ihr hin.
"Herr Gerlach, ich habe mit Herrn Bruckner gesprochen und er sagte, dass er weder jemanden heute erwartet, noch dass er jemanden mit dem Namen Gerlach kennt. Ich bitte um Verzeihung, aber so wie es aussieht, müssen Sie sich geirrt haben."
"Ich kann Ihnen die Unterlagen zeigen, die Ihnen bezeugen können, dass dem nicht so ist. Im Übrigen finde ich es höchst unhöflich von Herr Brückner, sich verleugnen zu lassen. Ein Skandal ist das!"
Die Frau seufzte. "Herr Gerlach, hier lässt sich niemand verleugnen. Sie müssen sich wirklich irren und ich kann Ihnen in dieser Sache nicht weiterhelfen."
Wütend nahm ich meinen Koffer und öffnete ihn. Ich suchte einen Brief heraus, den ich in weiser Voraussicht mitgenommen hatte, auf dem klar und deutlich der Name Brückner stand, samt der Anschrift dieser Firma und dem vereinbartem Termin. Ich legte ihn ihr hin.
"Da", sagte ich. "Dort steht Schwarz auf Weiß, dass ich die Wahrheit erzähle."
Zögernd nahm die Frau den Brief in die Hand, blickte nach unten, runzelte erneut die Stirn und sah mich dann über den Brillenrand hinaus an.
"Herr Gerlach", begann sie. "Das ist nur ein leeres Blatt Papier."

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Einar Inperson
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1675
Wohnort: Auf dem Narrenschiff


Beitrag17.05.2014 23:50
Re: Ein geschäftliches Treffen
von Einar Inperson
Antworten mit Zitat

U-Banane hat Folgendes geschrieben:
Ich war in einer dringenden Angelegenheit unterwegs und durfte keine Zeit vergeuden. Der Mann, der mich erwartete, ein gewisser Herr Brückner, war sicher schon ungeduldig und würde keineswegs Rücksicht auf eine Verzögerung meinerseits nehmen, ganz gleich, welche Entschuldigung ich dafür hervorbringen konnte. Als ich nun im Zug sitzend auf meine Uhr sah, bemerkte ich zu meiner Erleichterung, dass ich es wohl noch rechtzeitig schaffen würde, sollte es keine ungeplanten Zwischenfälle geben. Allerdings konnte man so etwas natürlich nie im Voraus wissen; wenn nun im schlimmsten Fall der Zug entgleisen würde, läge es selbstverständlich nicht an mir, wenn ich nicht rechtzeitig zu dem vereinbarten Termin erscheinen konnte, doch für den Mann, der mich erwartete, würde dies, wie bereits schon erwähnt, keinen Unterschied machen; ja, selbst wenn ich bei einem solchen Unglück stürbe, würde er nur sagen, dass es ein Jammer sei, dass ich mich nicht an Verabredungen halten könne, und dass er unter solchen Voraussetzungen nicht gewillt wäre, weitere Geschäfte mit mir abzuschließen. Da es um ein Treffen von äußerster Wichtigkeit ging, bei dem Pünktlichkeit gewiss eine große Rolle spielte, konnte ich seine Haltung nachvollziehen, wenngleich mir auch die Aufdringlichkeit missfiel, mit der er sie mir sie offenbart hatte.
Draußen vor den Fenstern zog die Landschaft vorbei, gleich flüchtigen Erinnerungen, und ich war froh, dass ich allein in diesem Abteil saß, sodass ich frei meinen Gedanken nachhängen konnte, ohne mich dabei beobachtet fühlen zu müssen. Es war mir immer schon unangenehm gewesen, im Beisein anderer zu sehr in meine Gedankenwelt abzutauchen, da ich dabei immer die Empfindung hatte, sie könnten mir womöglich ansehen, an was ich gerade dachte. Mir war natürlich bewusst, dass das Unsinn war. Trotzdem glaubte ein Teil in mir noch immer fest daran; es war eine Art kindliche Überzeugung, der die Rationalität eines Erwachsenen nichts anhaben konnte.
Ich klappte meinen Aktenkoffer auf und ging noch mal die Papiere durch. Gewiss wird Herr Brückner es mir hoch anrechnen, dass ich solche Sorgfalt an den Tag legte, hatte er doch auch einen ausgesprochenen Sinn für Ordnung und einen Blick für Genauigkeit; nichts war ihm, neben Unpünktlichkeit, mehr zuwider als schlampige Arbeit und entsprechend streng war sein Urteil in solchen Fällen. Diesbezüglich hatte ich mir nichts vorzuwerfen, dachte ich, als ich einige Unterlagen einer letzten Prüfung unterzog. Dennoch hatte sich in mir seit Beginn der Fahrt ein diffuses Unbehagen hinsichtlich des Treffens aufgebaut, das sich auch durch die Gewissheit, dass ich gut vorbereitet war, nicht vertreiben ließ. Ich schloss meinen Koffer und schaute wieder aus dem Fenster.
Mittlerweile war der Zug fast am Ziel; einerseits begrüßte ich die Aussicht, voraussichtlich rechtzeitig anzukommen, doch andererseits wuchs mein Unbehagen mit jedem Kilometer, der mich meinem Bestimmungsort näher brachte. Immerhin würde ich mir kein Taxi nehmen müssen wenn ich ankam, dachte ich; Herr Brückner hatte an alles gedacht und eigens einen Fahrer engagiert, der mich vom Bahnhof abholen würde, was ich ihm im Übrigen hoch anrechnete, war dies doch keine Selbstverständlichkeit.
Endlich hielt der Zug. Ich stand auf, den Koffer in der Hand, schritt zur Tür und trat hinaus. Der Bahnhof schien mir für diese Zeit ungewöhnlich verlassen; nur wenige Menschen tummelten sich auf den Bahnsteigen und in den Zeitungsläden, ganz im Gegensatz zu dem sonst üblichen Trubel.
Als ich den Bahnhof verließ, musste ich nicht lange Ausschau nach dem für mich bestellten Fahrer halten; ein junger Mann, der sich gelangweilt umschaute, stand vor einer Limousine und ich identifizierte ihn sofort als meinen Fahrer.
"Guten Tag", sagte ich und er erwiderte meine Gruß. Ohne sich zu vergewissern, ob ich tatsächlich derjenige war, den er abzuholen angewiesen war, ließ er mich einsteigen und wir fuhren los. Mir kam in den Sinn, dass ich Herrn Brückner noch nie persönlich begegnet war, wir hatten nur schriftlichen und telefonischen Kontakt gepflegt, und das Unbehagen, das ich die ganze Zeit schon verspürte, mischte sich nun mit einer gewissen Neugier und Ungeduld.
"Entschuldigen Sie", sagte ich zu dem Fahrer, "wie lange wird die Fahrt dauern?"
Der Fahrer schaute mich durch den Rückspiegel hindurch an und blickte dann wieder auf die Straße. "Nicht lange. Sind nur zwei oder drei Kilometer."
"Danke", sagte ich und trommelte mit den Fingern auf den Aktenkoffer, der auf meinen Knien lag.
"Ist das bei Ihrer Firma üblich, dass man abgeholt wird?", fragte ich, da mir das Schweigen unangenehm war.
"Nein, das kommt nur äußerst selten vor. Ist sozusagen eine Ausnahme. Sie können sich glücklich schätzen."
Ich unterdrückte die Frage, warum ausgerechnet mir eine solche Ausnahme zuteil wurde. "Verstehe. Ich freue mich jedenfalls, Herrn Brückner endlich persönlich zu treffen."
Der Fahrer musterte mich wieder durch den Rückspiegel und ich konnte sehen, wie er die Stirn runzelte.
"Wir sind gleich da", sagte er schließlich. "Dort drüben kann man das Gebäude schon sehen."
Ich nickte nur stumm, obwohl der Fahrer mich gerade nicht beobachtete. Schweigend fuhren wir den restlichen Weg bis zum Bürogebäude, das mir außerordentlich imposant erschien; ein solches Hochhaus hatte ich nicht erwartet, passte es doch auch auch gar nicht in das Stadtbild.
Ich stieg aus, schlug die Autotür zu und wollte mich gerade zu dem noch hinter dem Steuer sitzenden Fahrer hin drehen, um mich zu verabschieden, als der Wagen auch schon davonfuhr. Meine Gedanken konzentrierten sich nun jedoch viel mehr auf Herrn Brückner und den Termin, sodass ich dem Verhalten des Fahrers keine weitere Beachtung schenkte.
Als ich das Gebäude betrat, fiel mir auf, dass sich im Erdgeschoss nichts befand außer einer Art Rezeption, hinter der einsam eine junge Frau stand, die eine Brille trug und gerade damit beschäftigt war, irgendetwas aufzuschreiben. Die Wände waren gänzlich kahl, weiß gestrichen und die Atmosphäre die sich daraus ergab, wirkte auf mich seltsam; so als wäre dies keine Empfangshalle eines Bürogebäudes, sondern vielmehr eine noch nicht fertiggestellte Hotellobby.
Ich ging zu der Frau und als sie mich bemerkte, blickte sie zuerst verwundert, dann lächelnd zu mir auf.
"Guten Tag", sagte ich. "Ich komme wegen eines wichtigen Treffens mit Herrn Brückner."
Die Frau runzelte die Stirn. "Hier arbeitet kein Herr Brückner." Dann dachte sie kurz nach. "Meinen Sie vielleicht Herr Bruckner?"
Ich stelle den Aktenkoffer ab und schaute sie an. Das kann gar nicht sein, dachte ich; in den Unterlagen und Briefen stand ganz klar Brückner, auch am Telefon hatte jener sich mit Brückner gemeldet. Vielleicht arbeitete die Frau noch nicht lange hier; in diesem Fall wäre eine solche Nachlässigkeit vielleicht zu entschuldigen.
"Nein, ich bin mir sicher, dass ich einen Termin mit Herr Brückner habe", sagte ich.
Die Hände der Frau spielten mit einem Kugelschreiber. "Das ist ausgeschlossen. Ein Herr Brückner ist mir nicht bekannt. Vielleicht haben Sie sich doch geirrt - ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber so was passiert doch jedes Mal. Wenn Sie möchten, sage ich Herr Bruckner sofort Bescheid, dass Sie ihn sprechen möchten. Wie lautet denn Ihr Name?"
"Gerlach. Werner Gerlach. Aber hören Sie, das hat ja keinen Zweck, ich möchte Herrn Brückner sprechen, nicht Herrn Bruckner. Wir haben telefonisch für Heute einen Termin vereinbart. Sogar einen Fahrer, der mich vom Bahnhof abholte, hatte Herr Brückner eigens für mich bestellt."
"Tut mir Leid. Ich kann mich nur wiederholen, Herr Gerlach. Ein Fahrer hat Sie hier her gefahren, sagten Sie?"
Ich nickte.
"Das ist seltsam", sagte sie. "Wissen Sie, Herr Gerlach, das ist eigentlich völlig ausgeschlossen. So was ist noch nie vorgekommen."
Sie nahm einen Telefonhörer in die Hand. "Warten Sie einen Augenblick, ich rufe kurz Herrn Bruckner an."
Während sie telefonierte, wandte ich mich ab und meine Gedanken rasten wild durcheinander wie eine Horde aufgeschreckter Hühner. Ein Irrtum meinerseits ist ausgeschlossen, dachte ich, und die Unterlagen untermauern dies; ich werde mich beschweren müssen, ist ein solches Verhalten seitens Herr Brückner doch inakzeptabel, oder vielmehr, es ist sozusagen skandalös; da bereitet man sich akribisch auf dieses Treffen vor, geht alle Unterlagen mehrfach penibel durch, hält sich peinlich genau daran, pünktlich zu erscheinen, um Herr Brückner nicht zu verärgern - und dann lässt er sich verleugnen. Ein solches Verhalten ist eines Mannes in seiner Position einfach nicht würdig, dachte ich.
"Herr Gerlach?", meldete sich die Frau und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich drehte mich zu ihr hin.
"Herr Gerlach, ich habe mit Herrn Bruckner gesprochen und er sagte, dass er weder jemanden heute erwartet, noch dass er jemanden mit dem Namen Gerlach kennt. Ich bitte um Verzeihung, aber so wie es aussieht, müssen Sie sich geirrt haben."
"Ich kann Ihnen die Unterlagen zeigen, die Ihnen bezeugen können, dass dem nicht so ist. Im Übrigen finde ich es höchst unhöflich von Herr Brückner, sich verleugnen zu lassen. Ein Skandal ist das!"
Die Frau seufzte. "Herr Gerlach, hier lässt sich niemand verleugnen. Sie müssen sich wirklich irren und ich kann Ihnen in dieser Sache nicht weiterhelfen."
Wütend nahm ich meinen Koffer und öffnete ihn. Ich suchte einen Brief heraus, den ich in weiser Voraussicht mitgenommen hatte, auf dem klar und deutlich der Name Brückner stand, samt der Anschrift dieser Firma und dem vereinbarten Termin. Ich legte ihn ihr hin.
"Da", sagte ich. "Dort steht Schwarz auf Weiß, dass ich die Wahrheit erzähle."
Zögernd nahm die Frau den Brief in die Hand, blickte nach unten, runzelte erneut die Stirn und sah mich dann über den Brillenrand hinaus an.
"Herr Gerlach", begann sie. "Das ist nur ein leeres Blatt Papier."


Hallo U-Banane,

ich habe einmal einige Tippfehler markiert, über die ich beim schnellen Durchlesen gestolpert bin.

Und der Text? Die Sprache klingt wie Bürosprech von vorgestern. ich habe die gestelzten und verschachtelten Sätze mit vergnügen gelesen. Die Sprache ist stimmig mit dem pedantischen und umständlichen Protagonisten.

Leider hast du deinen Text nicht näher klassifiziert. Handelt es sich um eine Kurzgeschichte, oder ist das ein Ausschnitt aus einem längeren Projekt?

Du beginnst bereits mit der Absurdität, dass Gerlach den Brückner charakterisiert, ohne ihn zu kennen. Verspätungen sind unentschuldbar. Selbst der Tod birgt lediglich die Ablehnung jeglicher Geschäftsbeziehung.

Somit wird schon zu Beginn deutlich, dass dies keine Reise zu einem realen Termin ist.

Die Reise selbst vollzieht sich reibungslos, dennoch keimt Unbehagen auf.

Ein erstes Stirnrunzeln wird registriert, aber nicht hinterfragt. Der Zeuge verschwindet. Er kann nicht mehr herangezogen werden.

Und am Ende gibt es keinen Nachweis mehr, der auf eine reale geschäftliche Verabredung hinweist.

Hm, schwierig.

Ich habe in meinem Lesen die kahlen, weißen Wände als Hinweis auf eine Intensivstation gelesen.  Noch hat der Protagonist keinen Termin bei Herrn Brückner.


_________________
Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch

Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
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silentsilvy
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 112



Beitrag18.05.2014 17:42

von silentsilvy
Antworten mit Zitat

Hi U-Banane,

nach einer Weile des Einlesens in deinen Text, kamen mir ähnliche Gedanken, wie meinem Vorschreiber. Teilweise klingt die Sprache des Erzählers sehr altmodisch, aber sie hat einen schönen Klang beim Vorlesen. Diese Sprache charakterisiert ihn sehr gut. Er ist penibel bis zwanghaft, überbesorgt, ängstlich und steht unter Druck, es diesem imaginären Herrn Brückner recht zu machen.
Stellenweise ist die Sprache merkwürdig verschroben und mir ist nicht klar ob das deine Absicht war:

U-Banane hat Folgendes geschrieben:
Draußen vor den Fenstern zog die Landschaft vorbei, gleich flüchtigen Erinnerungen, und ich war froh, dass
ich allein in diesem Abteil saß, sodass ich frei meinen Gedanken nachhängen konnte, ohne mich dabei
beobachtet fühlen zu müssen
.


Das klingt schizophren. Hört er Stimmen, die ihn dazu zwingen so etwas anzunehmen? Dass er sich beobachtet fühlt ist an sich schon paranoid, aber diese Formulierung geht darüber hinaus.

An ein paar Stellen gibt es grammatische Unklarheiten. So verwendest du oft Nominativ, wo Akkusativ hingehört: Herrn Brückner

Die Pointe finde ich schlüssig. Wenn man auch die ganze Zeit, durch die umständliche vorausgehende Beschreibung, schon ahnt, dass so etwas geschehen wird, ist diese einfache Lösung sehr überzeugend.

lg sisi
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U-Banane
Wortedrechsler


Beiträge: 83



Beitrag18.05.2014 23:50
Re: Ein geschäftliches Treffen
von U-Banane
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Einar Inperson hat Folgendes geschrieben:

Hallo U-Banane,

ich habe einmal einige Tippfehler markiert, über die ich beim schnellen Durchlesen gestolpert bin.

Und der Text? Die Sprache klingt wie Bürosprech von vorgestern. ich habe die gestelzten und verschachtelten Sätze mit vergnügen gelesen. Die Sprache ist stimmig mit dem pedantischen und umständlichen Protagonisten.

Leider hast du deinen Text nicht näher klassifiziert. Handelt es sich um eine Kurzgeschichte, oder ist das ein Ausschnitt aus einem längeren Projekt?

Du beginnst bereits mit der Absurdität, dass Gerlach den Brückner charakterisiert, ohne ihn zu kennen. Verspätungen sind unentschuldbar. Selbst der Tod birgt lediglich die Ablehnung jeglicher Geschäftsbeziehung.

Somit wird schon zu Beginn deutlich, dass dies keine Reise zu einem realen Termin ist.

Die Reise selbst vollzieht sich reibungslos, dennoch keimt Unbehagen auf.

Ein erstes Stirnrunzeln wird registriert, aber nicht hinterfragt. Der Zeuge verschwindet. Er kann nicht mehr herangezogen werden.

Und am Ende gibt es keinen Nachweis mehr, der auf eine reale geschäftliche Verabredung hinweist.

Hm, schwierig.

Ich habe in meinem Lesen die kahlen, weißen Wände als Hinweis auf eine Intensivstation gelesen.  Noch hat der Protagonist keinen Termin bei Herrn Brückner.


Hey,
danke fürs Lesen und Kommentieren. Hatte irgendwie vergessen, die Kategorie-Häkchen zu setzen. Sollte sein: Kurzgeschichte & Sonstige. Freut mich, dass die Sprache hier als passend angesehen wird!
"Hm, schwierig." <- Smile
Ja, ist wohl relativ rätselhaft was genau dort passiert; habe auch keine eindeutige Auflösung parat, vielleicht hat mein Unterbewusstsein sie. Aber das denkt nicht so rational. :E

Gruß
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U-Banane
Wortedrechsler


Beiträge: 83



Beitrag18.05.2014 23:55

von U-Banane
pdf-Datei Antworten mit Zitat

silentsilvy hat Folgendes geschrieben:
Hi U-Banane,

nach einer Weile des Einlesens in deinen Text, kamen mir ähnliche Gedanken, wie meinem Vorschreiber. Teilweise klingt die Sprache des Erzählers sehr altmodisch, aber sie hat einen schönen Klang beim Vorlesen. Diese Sprache charakterisiert ihn sehr gut. Er ist penibel bis zwanghaft, überbesorgt, ängstlich und steht unter Druck, es diesem imaginären Herrn Brückner recht zu machen.
Stellenweise ist die Sprache merkwürdig verschroben und mir ist nicht klar ob das deine Absicht war:

U-Banane hat Folgendes geschrieben:
Draußen vor den Fenstern zog die Landschaft vorbei, gleich flüchtigen Erinnerungen, und ich war froh, dass
ich allein in diesem Abteil saß, sodass ich frei meinen Gedanken nachhängen konnte, ohne mich dabei
beobachtet fühlen zu müssen
.


Das klingt schizophren. Hört er Stimmen, die ihn dazu zwingen so etwas anzunehmen? Dass er sich beobachtet fühlt ist an sich schon paranoid, aber diese Formulierung geht darüber hinaus.

An ein paar Stellen gibt es grammatische Unklarheiten. So verwendest du oft Nominativ, wo Akkusativ hingehört: Herrn Brückner

Die Pointe finde ich schlüssig. Wenn man auch die ganze Zeit, durch die umständliche vorausgehende Beschreibung, schon ahnt, dass so etwas geschehen wird, ist diese einfache Lösung sehr überzeugend.

lg sisi


Hey,
auch Dir danke fürs Lesen und Kommentieren.
Laut vorgelesen habe ich den Text noch gar nicht für mich. Aber cool, wenn's anscheinend gut fließt.
Die von Dir zitierte Stelle mit dem 'sich beobachtet fühlen' war schon so gedacht; dass eben angedeutet wird, dass er ein paar komische psychische Macken hat. Ob das schon direkt schizophren ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ein wenig verschroben.


Zitat:
An ein paar Stellen gibt es grammatische Unklarheiten. So verwendest du oft Nominativ, wo Akkusativ hingehört: Herrn Brückner

Da muss ich den Text wohl nochmal prüfend durchgehen, danke für den Hinweis.
Der Schluß kam so spontan, entwickelte sich aus der Geschichte selbst heraus, das hier ist meistens so.

Gruß
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