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Ein Rucksack, eine Kamera und vier Herzen


 
 
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Lyrika
Leseratte
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Beiträge: 130
Wohnort: Berlin


Liebe einen Inder
L
Beitrag16.08.2015 11:33

von Lyrika
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Es war ein Panzer! Es mußte einfach ein Panzer gewesen sein, der über mich gerollt war, dachte ich, als ich aufwachte. Mir taten sämtliche Knochen weh und ich konnte einzelne Partien meines Körpers nicht mehr spüren. Ich lag im Bett und hatte die Augen geschlossen. Ich wollte nicht wissen, welcher Tag es war, welche Tageszeit, noch, was Lilly, Melanie oder all die Anderen machten. Bloß nicht bewegen! Immer noch kraftlos drehte ich mich auf die Seite und öffnete zaghaft die Augen. Also doch! Ich war nicht aus einem Traum erwacht, es war alles wahr! Ich hatte alles erlebt und doch noch auf einen Traum gehofft. Hatte das Gefühlschaos auf dem offenen Meer seinen Lauf genommen oder war es nur eine Fortsetzung? Nun würde mir Lilly wenigstens glauben, daß ich ihn die Nacht bei der Filmvorführung gesehen hatte. Ich kam mir wie eine Waage vor, deren eine Schale mit Skepsis, Angst; Ungewißheit und deren andere Schale mit Freude, Erwartung, Sehnsucht, Verlangen gefüllt wurde. Und nie wurden die Schalen gleichsam befüllt, sodaß das Pendel in der Mitte verweilt. Nein, jedes Erlebnis füllt die Schalen mit seinen Eindrücken und ich wurde immer verwirrter. Konnte er mich auf der einen Seite überfallen und auf der andern küssen? Genervt von meinem Gefühlschaos drehte ich mich auf die andere Seite und riß die Augen auf. Lilly hatte ihn vor allen Leuten direkt ins Gesicht geschlagen. Und das mit einer Wucht, die ich von ihr schon kannte, wenn sie in Rage war. Sie schliff mich den ganzen Weg zu unserer Hütte und schwieg. Meine lädierten Handgelenke schmerzten unter ihrer Führung, traute mich aber nicht ein Wort zu sagen. Vielleicht donnerte sie mir dann auch noch eine? Es war nicht von der Hand zu weisen, daß er derjenige war, der mich die Nacht überfallen hatte. Er hatte ein Pflaster und ein blaues Auge. Und die Stimme kann man verstellen, ergänze ich die Beweise gegen ihn. Dieser miese Hund hatte meine hilflose Situation auf dem Meer ausgenutzt, wie die Dunkelheit der Nacht. Beide Male war ich allein und schutzlos gewesen. Beide Male wäre mir nicht so schnell einer zur Hilfe geeilt. Ich erschrak. Was hatte ich beide Male für ein Glück! In der Nacht des Überfalls kam ihm ein Unbekannter in die Quere und auf dem Meer Melanie. Aber was hatte er denn vor? Um was geht es hier eigentlich? Hatte er mich beobachtet und Melanie und ihre Mutter mit dem Boot absichtlich auf das Meer hinausgeschickt, damit ich hinterher schwimme? Aber davon konnte er doch nicht ausgehen, daß ich hinterher schwimmen würde. Die eine Schale der Waage bewegte sich ganz nach unten. Bevor mich meine Spekulationen die Schale abbrechen würde, stand ich mit einem Ruck aus dem Bett auf.
„Na Klasse!“ winselte ich.
„Karo?“ hörte ich es leise rufen.
„Ja, ich bin wach.“ antworte ich und sah, daß es noch hell draußen war. Lilly erschien zwischen dem Vorhang, den man zur Trennung der Räume ausziehen konnte und lächelte mich an. Sie hatte ein Tuch auf dem Handrücken der rechten Hand und hielt es fest.
„Lilly, was hast du gemacht?“ Sie kam auf mich zu und setzte sich neben mich auf das Bett. Sie hob die Hand mit dem Tuch hoch.
„Ach, das hat man mir zur Kühlung gegeben. Sonst wäre es wohl angeschwollen.“ sagte sie und lüftete ein wenig das Tuch. „Na, wird wohl nicht ganz so dick werden.“ Ich verstand gar nichts.
„Bist du irgendwo gegen geknallt?“
„Schon vergessen? Ich habe diesem Arsch meine Faust in seine dumme Visage gerammt.“ Erstaunt schaute ich sie an.
„Nein, habe ich nicht, aber wie doll hast du denn zugeschlagen?“ fragte ich besorgt.
„Na hör mal! Machst du dir Sorgen wegen diesem…“
„Ja, ja, diesem Arsch.“ ergänzte ich ihren Satz und stand auf. Himmel, gab es denn wirklich Muskeln in meinem Körper, die ich noch nie gespürt hatte, die aber eindeutig existierten? „Du hast ihm vielleicht die Nase gebrochen! Lilly, wir sind hier in Indien. Ich habe, genau wie du, keine Ahnung, wie man hier auf solche Sachen reagiert. Was ist, wenn er dich anzeigt und sie dich dann in den Knast stecken?“ Gegen die Kraftlosigkeit meines Körpers fing ich langsam an zu laufen. Wären wir bloß an die Nordsee gefahren! Abwertend schnaufte ich durch die Nase. Ich sah mich schon jede Woche ein Päckchen zurecht machen, daß den Weg zu Lillys neuer Adresse nehmen würde. Der Knast in Indien! Für die nächsten 100 Jahre! Dieses impulsive Frauenzimmer! Jetzt hatte ich Lust mein Faust in ihr Gesicht zu rammen. Das sie sich aber auch nie zusammenreißen konnte! Ich war am Tisch angekommen und setzte mich auf einen der Stühle. Aua, wie lange dieser Muskelkater braucht, um wegzugehen?
„Ich kann dich beruhigen. Seine Nase ist nicht gebrochen. Hat man mir vorhin gesagt, als ich an der Strandbar war und uns ein wenig zu Essen geholt habe. Ich wußte nicht, wie lange du schlafen würdest.“ sagte sie unter schauenden Blicken unter das Tuch, bis sie es wegnahm.
„Das ist lieb von dir.“
„Erzähl mir, was du auf dem offenen Meer erlebt hast.“ Sie blieb auf dem Bett sitzen, ich auf dem Stuhl und erzählte ihr alles. Auch meine Befürchtungen mit Melanies Mutter. Den Part mit ihm ließ ich bewußt aus, sonst hätte sie mich windelweich geschlagen. Nachdem ich geendet hatte, stand sie auf und setzte sich auf einen der andern Stühle.
„Arme Karo, immer passiert dir so was. Aber mit Melanies Mutter ist alles in Ordnung. Die Fischer hatten ihre Boote wegen den hohen Wellen hereingeholt, bis auf das eine. Melanies Mutter lag mit ihr am Strand und sie spielte am Wasser. Dann war sie plötzlich weg und ihre Mutter suchte sie noch eine Weile am Strand, fragte die anderen und mich, bis einem auffiel, daß das Boot weg war. Erst da sind einige sofort losgeschwommen. Ich durfte ja nicht. Na, und dann seid ihr ja schon auf halben Weg herangekommen. Melanie selber sagte, sie wollte doch nur schauen, wie ein Boot von innen aussieht und dazu gehört es auch für dieses Kind, daß man die Leinen losmacht. Das hat sie dann auch getan und schon war sie auf dem offenen Meer. Sie hatte mal in einem Film gesehen, daß eine Frau auch alleine in einem Boot unterwegs war und nur geschrieen hat. Die wurde dann gerettet. Also schrie sie und wurde zum Glück auch gerettet. Von meiner Heldin Karo.“ berichtete sie mir ihrerseits die Zeit, als ich mit dem Boot kämpfte. Ich, eine Heldin? Wie absurd!
„Dieses Kind! Aber ich bin erleichtert, zu wissen, daß ihrer Mutter nichts geschehen ist. Nicht auszudenken. Es ist alles noch einmal gut gegangen. Ich bin aber keine Heldin!“ sagte ich beschämt.
„Doch! Der Chef von diesem ganzen Laden hier möchte gerne wegen diesem glücklichen Ausgang heute Abend ein kleines Fest geben.“ Müde schaute ich sie an.
„Wann ist heute Abend? Ich weiß noch nicht einmal, wie spät es jetzt ist.“
„Zeit für ein kleines Essen.“ sagte sie und schob mir das Besorgte unter die Nase. „Greif zu!“ brachte sie noch unter einem großen Bissen hervor, bevor wir mit gefüllten Bäuchen den leeren Teller zur Seite schoben. Das hat gut getan und ich bemerkte, wie sich meine Muskeln über die zugeführte Energie freuten. Mir stand immer mehr der Sinn danach, auf das kleine Fest zu gehen.
„Wo findet es denn statt, das Fest?“ erkundigte ich mich neugierig.
„Direkt an der Strandbar. Ach überrings, die Bilder sind da.“ Die Bilder! Die hatte ich ja ganz vergessen.
„Ach so! Hast du schon reingeschaut?“ fragte ich so desinteressiert wie möglich.
„Nein, das wollte ich mit dir machen. Ok, wir duschen uns jetzt, machen uns fein und gehen früher zur Strandbar und schauen uns die Bilder an. Ok?“
„Ok! Dann los! Aber Lilly!“ sagte ich, bevor sie aufstand.
„Ja?“
„Die Bilder lassen wir zur Sicherheit an der Strandbar liegen.“
„Machen wir. Dann los jetzt!“

Frisch geduscht, noch ein wenig wackelig auf den Beinen, stand ich an der Strandbar und erzählte zum x-Mal mein Erlebnis. Mal auf deutsch und mal auf englisch. Langsam kam ich mir wirklich wie eine Heldin vor. Lilly tänzelte stolz um mich herum, was die Aufmerksamkeit der Anderen noch mehr auf uns zog. Ich blickte immer wieder in alle Richtungen. Ich sah weder Melanie noch ihn. Ein wenig enttäuscht lächelte ich in die Runde. Hatte mich mein Gefühl so getäuscht? Er überfällt mich und küßt mich? Das paßte nicht zusammen. Aber da blitzten wieder die Beweise vor meinem geistigen Auge auf. Ich seufzte und schob den Gedanken zur Seite. Heute abend wollte ich meine Ruhe haben und das kleine Fest genießen. Ein letzter Gedanke noch: Nie wieder Indien!
„Wollen wir die Bilder anschauen?“ fragte mich Lilly aufgeregt. Ich lachte und meinte zu ihr, daß ich dachte, die Bilder interessieren sie nicht so brennend.
„Aber sicher doch! Die sind doch an allem Schuld!“ erwiderte sie und ließ sich die Fototasche aushändigen. Wir setzen uns weiter abseits an einen freien Tisch. Sie öffnete die Tasche, holte die Bilder heraus und blätterte eines nach dem anderen durch. Bei jedem Bild, was sie betracht hatte, verfinsterte sich ihre Miene. Sie murmelte den Bildern unverständliches Zeugs zu. Als sie mit dem Durchsehen fertig war, ließ sie sich in den Stuhl fallen.
„Ich hab es gewußt! Wir sind da in eine riesige Scheiße geraten. Wie wir da wieder rauskommen? Keine Ahnung! Aber dieser Typ! Dieses Arsch….“ Sie verschluckte den letzten Satz und gab mir die Bilder. „Hier, überzeuge dich selber.“ Mit Herzklopfen nahm ich die Bilder. Wollte ich wirklich wissen, was sie mir gleich zeigen würden? Ich atmete tief ein und machte mich an das Durchsehen. Sie zeigten mir nicht die Familie, mit der ich ihn ausgestattet hatte. Sie zeigten mir ihn nicht einmal. Was ich sah, schien gefährlich. Es waren Bilder, auf denen Männer mit Gewehren waren, Männer, die sich duellierten, Männer, die Geldkoffer mit sich herumtrugen, Männer mit finsterdreinblickenden Mienen, Männer, die vor der Polizei flüchteten. Ich schluckte schwer, als auch ich fertig war. Schnell packte ich die Bilder wieder in die Fototasche und verschloß sie. Vorsichtig blickte ich mich um. Es hatte offenbar niemand mitbekommen und wenn, dann schauten wir uns Urlaubsbilder an. Ich beugte mich ganz nah über den Tisch zu Lilly herüber.
„Ich glaube, wir sind unfreiwillig Zeugen eines Banküberfalles geworden. Nur durch die Bilder. Und jetzt besitzen wir sie auch noch.“ flüsterte ich ihr entgegen. Sie kam auch ganz nah an mich heran. In diesem Moment stellte der Chef die Musik etwas lauter.
„Du hast recht! Das war auch mein erster Gedanke. Und weißt du was? Es paßt alles zusammen! Das Durchwühlen unserer Hütte, der Überfall auf dich, die Fragen, die er dir gestellt hat und…“
„…und er hat absichtlich das Boot auf das Meer geschickt. Er hat gesehen, daß Melanie drinnen war. Dieses Schwein!“ ergänzte ich ihre Beweisaufnahme.
„Der will an die Bilder, damit wir nicht auf die Idee kommen, die Polizei zu informieren. Ihm sind alle Mittel recht. Karo, wir müssen aufpassen wie die Schießhunde!“ Mir wurde angst und bange.
„Meinst du, er war es allein?“ fragte ich Lilly leise.
„Was? Den Banküberfall? Keine Ahnung! Ist auch egal. Fakt ist, wir haben diese Bilder als Beweis und das macht ihn fuchsig. Ich muß mich bei dir entschuldigen.“
„Warum?“ raunte ich leise.
„Du hast ihn gesehen. In Delhi! Er ist uns bis hierher gefolgt. Und die Nacht hast du ihn auch bei dem Film gesehen. Entschuldige, daß ich dir nicht geglaubt hab, aber ich dachte ja, du willst ihn sehen, weil es dein Herz sagt.“ Sie knetete wieder meine Hände.
„Aua!“ jaulte ich leise und sie ließ sofort mit einem entschuldigenden Lächeln meine Hände los.


Es war ein schönes kleines Fest. Die Musik, das Essen und die Getränke waren hervorragend. Ich konnte leider nicht tanzen, sonst wäre ich auseinander gefallen. Das hatte Lilly für mich dann übernommen und nun hing sie mir am Arm. Und der tat mir doch noch so weh. Sie war schwer wie ein Kartoffelsack und betrunken. Leider hatte sie nicht nur das Tanzen für mich übernommen. Wenn sie mich weiter so runterzieht, dann sitzen wir hier gleich auf dem Boden. Lilly kann alles vertragen, nur keinen Alkohol! Ich hatte beobachtet, daß ihr Glas nicht leerer wurde. Was sollte ich machen? Sie tanzte hier und dort und schüttete sich die Drinks nur so hinter. Mich ärgerte das, aber auch wenn ich ihr das gesagt hätte, wäre es umsonst gewesen. Ja, sie machte, was sie wollte, sie sagte, was sie wollte und sie schlug wen sie wollte. Und nun hing sie an wem sie wollte und das war zweifelsohne ich. Das Fest war zu Ende und die Runde löste sich auf. Nein, Lilly schüttete weiter, bis ich ihr das Glas aus der Hand nahm. Sie maulte mich an und nannte mich Spielverderber. Ja, damit konnte ich leben. Sie griff noch einmal nach dem Glas und ich nutzte ihre Tat, stellte das Glas weiter weg und griff ihre Hand. Sie maulte immer noch. Wie eine Ziege am Strick zog ich sie Millimeter um Millimeter von der Strandbar zu unserer Hütte. Und nun wankte ich mit ihr auf dem Weg herum. Wer hatte denn zuviel getrunken? Das Gewanke machte mich auch schon ganz schwindelig. Sie hielt sich zwar noch auf den Beinen, aber sie konnte sie nicht mehr koordinieren. Es ging Schlagseite nach links, Schlagseite nach rechts und immer die Gefahr, daß wir beide hinfallen. Mein Muskelkater empfand diese Prozedur als Beleidigung und brannte mir gemein im ganzen Körper, worauf ich keine Kraft mehr hatte. Ich lasse sie einfach liegen, dachte ich. Dann fiel mir aber wieder der Typ ein, die Bilder und die Nacht und ich zog sie wieder grade auf die Beine. So standen wir auch noch nach einer ganzen Weile da. Sie bewegte sich nicht ein Schritt.
„Lilly, komm jetzt! Ich bin müde und du voll wie ein Amtmann. Lauf!“ bat ich sie streng.
„Nö!“ prustete sie und knicke ein wenig ein. Mit einem Ruck hielt ich sie fest.
„Ich laß dich hier liegen! Lilly, bitte, los jetzt!“ Sie glotzte mich in dem schummrigen Licht an.
„Nee, nee, dis machse nich. Dfürr biss duhu zu nett!“ giggelte sie mir entgegen. Sie schloß die Augen, verlor völlig die Orientierung und ging mit einem `Rums` zu Boden. Ich hatte keine Chance. Meine Muskeln hatten keine Kraft mehr für Kartoffelsack Lilly.
„Steh auf!“ quakte ich sie an. Unverschämt lachte sie mich aus. Jetzt wurde ich sauer.
„Gut, dann schleife ich dich über den Boden. Und wehe, du beschwerst dich morgen über Schürfwunden!“ Mit allem was ich noch hatte an Kraft beugte ich mich zu ihr herunter und packte sie unter den Armen. Es war wie verhext. Keiner der anderen Urlauber war in Sicht, um mir zu helfen. Wo sind die denn immer alle hin? Sind hier Löcher im Boden, worin sie verschwinden? Meine Wut über Lilly verlieh mir die nötige Kraft, um sie über den Boden zu schleifen. Dabei gerieten ihre Haare unter ihren Rücken und stoppten ein wenig mein Geschleife. Sie jaulte vor Schmerz über ihre eingeklemmten Haare auf, was mich in diesem Moment kalt ließ. Dann steh auf! Nö! Ok, dann schmerzt es weiter. Du bist gemein! Diese Dialoge führten wir zirka eine halbe Stunde aus und waren doch auch nicht viel weiter gekommen. Meine Geduld war am Ende, als ich sah, daß wir noch nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter uns hatten. Ich ließ sie los und stellte mich aufrecht hin. Sie lag wie ein Brett auf dem Boden. Wir waren an dem Punkt, wo der Weg an Laternen abnahm. Die letzte Laterne spendete nur sehr spärliches Licht und die nächste war noch zu weit weg. Ich faßte mir mit den Händen auf meinen Rücken und bog mich zur Erleichterung durch. Wie konnte man sich nur so gehen lassen? Das ist ja wohl die größte Frechheit! Jetzt vernahm ich ein wohliges Schnarchen aus ihrer Richtung. Nein, das wird sie sich nicht gewagt haben. Ich ging in die Hocke.
„Lilly?“ fragte ich ungläubig. „Lilly, du wirst doch hier nicht schlafen wollen?“ Sie antworte mit einem Schnarcher. Ich hatte nicht übel Lust sie zu ohrfeigen! Ich rüttelte an ihr. Nichts tat sich. Und nun, fragte ich mich und schaute mich um. Mein Herz setzte für Sekunden aus, als mein Blick in seinen wunderschönen braunen Augen zum stehen kamen. Der Schweiß schoß mir aus den Poren und ich fing leicht an zu zittern. Er stand mir in dem schummerigen Licht gegenüber und schaute mich an. Unwillkürlich schritt ich zurück. Wo kam er so plötzlich her? Ob ich auch so einen Schlag wie Lilly hätte? Lilly! Sie schnarchte selig vor sich hin und ich stand mutterseelenallein hier. Meine Hand ballte eine Faust. Er ist ein Bankräuber Karo, ermahnte ich mich und atmete schneller. Er will die Bilder! Aber die lagen an der Strandbar. In unserer Situation waren wir für ihn leichtes Futter. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Er will sich bestimmt auch an Lilly rächen und die bekommt gar nichts mit. Das lasse ich nicht zu! Sie war auch immer für mich da. Er erfaßte die Tatsache, daß Lilly keine Gefahr mehr war und schritt langsam auf mich zu. Er verzog keine Miene. Der Gedanke zu schreien kam mir gar nicht und das spürte er. In dem schummerigen Licht wirkte er so männlich, so anziehend und der Wind trug seinen Moschusduft zu mir herüber. Der Kuß und seine Berührungen am Boot blitzen vor mir auf. Die Waagschale mit dem Verlangen wurde gefüllt. Ich wollte mich schwach in seine starken Arme schmiegen. Ich wollte ihn küssen, ich wollte…Karo, brüllte mein Verstand und ich kam zu mir. Dieses markante Gesicht, dieser Duft….Karo, brüllte es noch lauter. Ja, ich bin da. Nein, wir werden uns wehren! Er kam weiter langsam auf mich zu. Nun war er nur ein paar Schritte entfernt. Nahe genug, um ihm erneuert eins auf die Nase zu verpassen. Ich holte aus und winselte auf. Boxen war nicht meine Stärke und er hielt mich am Handgelenk fest. Wütend, aber ratlos schaute ich ihn an. Er ließ mich nicht los. In der Haltung blickte er auf die schnarchende Lilly und lächelte. Oh nein, er bemerkte unsere Hilflosigkeit. Leise sprach er vor sich hin. Er schmiedet einen Plan, schoß es mir durch den Kopf. Lenk ihn ab!
„Was hast du gesagt?“ flüsterte ich zaghaft. Erstaunt über meine Worte lächelte er weiter.
„Entschuldige, ich habe Hindi gesprochen und du deutsch. Ich glaube, wir sollten es bei englisch belassen, sonst verstehen wir uns beide nicht.“ sagte er. Stimmt, ich hatte ihn auf deutsch gefragt.
„Wäre wohl besser.“ antwortete ich auf englisch. Er ließ mich immer noch nicht los, beugt sich zu mir und gab mir einen atemberaubenden Kuß. Ich erlag gegen all meinen Überzeugungen und Beweisen gegenüber ihm seinen zärtlichen Lippen. Dieses Gefühl strömte wie heiße Lava durch meinen Körper. Er ließ von mir ab und schaute mich liebevoll an. Dann ließ er mich los und hob Lilly vom Boden auf. Wie mutig, dachte ich mir. Er müßte doch wissen, daß sie gleich zuschlägt, wenn sie mitbekommt, wer sie jetzt auf dem Arm trägt. Er deutete mit dem Kopf in Richtung unserer Hütte und trug Lilly, immer noch schnarchend, bis zu unserem Bett. Dort deckte ich sie leicht zu und schloß den Vorhang. Nun standen wir beide in der Hütte und sagten kein Wort. Er soll ein Bankräuber sein? Aber auch Bankräuber haben Gefühle, verteidigte ich ihn. Lilly darf niemals erfahren, daß er bei uns in der Hütte war. Aber woher wußte er, wo unser Bett war? Er ging ja zielstrebig darauf zu. Also war er doch den Tag in der Hütte und hatte sie durchsucht. Jetzt würde er mich bestimmt außer Gefecht setzten und die Hütte erneuert durchsuchen. Es wäre auch keiner da, der ihn überraschen könnte. Karo, was hast du getan? Wie konntest du das zulassen? Er schaute sich in der Hütte um und machte nicht die Anstallten, daß er was suchen würde.
„Willst du was trinken?“ was Dusseligeres ist dir nicht eingefallen bereute ich meine Frage. Er nickte. Ich goß ihm ein Glas Wasser ein und reichte es ihm. Er trank es in einem Zug aus und stellte es auf den Tisch. Ich hatte bei unserem Eintreten in die Hütte nur die kleine Lampe in der Ecke eingeschaltet. Sie spendete noch weniger Licht, als die Laternen. Ich sah nur das Pflaster, aber nicht sein blaues Auge. Ich ging auf ihn zu und berührte zaghaft sein Pflaster. Er gab ein leicht ertickten Schmerzschrei von sich. Ich zuckte zurück, aber er packte meine Hand. Mein Puls raste. Er umarmte mich liebend und ich tat es ihm gleich. Seine Wärme und seine Größe durchzogen meinen Körper mit einer Sicherheit. Einer Sicherheit, daß er es nicht gewesen sein konnte. Gab es aber nicht genug Filme, da wo es auch solche Bankräuber mit Herz gab. Nicht jetzt daran denken! Er streichelte mir über den Rücken und atmete mir heiß ins Ohr. Ich stöhnte leise auf und er fing langsam an zu tanzen. Ganz leicht wiegte er sich hin und her und streichelte dabei meinen Rücken und abwechselnd meinen Nacken. Die Gänsehaut, die ich hatte, tat weh, so sehr sog ich seine Berührungen in mir auf. Seine Muskeln unter meinen Händen schrieen nach mehr. In mir schrie es nach ihm. Ich krampfte meine Finger in seine Haut und drückte mich fester an ihn. Er stöhnte auf und erwiderte den Druck. Seine Lippen fanden meine und wir gingen unter unseren Berührungen und Küssen zu Boden. Die Zärtlichkeit schlug in Verlangen um. Die Berührungen und Küsse wurden heftiger. Plötzlich ließ er von mir ab, als hätte er sich verbrannt. Ohne Worte verstand ich, daß es nicht der Zeitpunkt und der Ort war, dem Verlangen nachzugeben. Er streichelte mein Gesicht, stand auf und zog mich hoch. Ich lächelte verlegen.
„Akash.“
„Gesundheit. erwiderte ich artig.
„Nein, ich heiße Akash.“ lachte er und verstummte sofort, um Lilly nicht zu wecken. Ich schaute schief und lief rot an. Nun lachten wir beide gedämpft über mein Mißverständnis. Wir waren wohl zu laut, denn im nächsten Moment hörten wir Geräusche aus dem Nebenzimmer. Um Himmelswillen, wenn Lilly ihn jetzt hier sieht! Leise schlichen wir zum Vorhang und ich spähte hindurch. Sie lag noch so, wie er sie abgelegt hatte. Sie hatte nichts bemerkt. Ich schlich voran und schaute zur Sicherheit noch einmal nach. Nein, sie schlief ihren Rausch aus. Aber was war das? Sie nuschelte was.
„Wie“ fragte ich ganz leise. Sie redete öfter im Schlaf.
„Liebe ihn auch Karo….Er ist so wundervoll…Mußte ihn schlagen….Kann das Gefühl zu ihn nicht beschreiben…Verzeih mir Karo…Ich liebe ihn auch…Schon am Flughafen…Darum muß ich ihn und nicht dich schlagen...“ murmelte sich recht verständlich. Ich starrte sie an. Ich traute meinen Ohren nicht. Mir wurde speiübel und eiskalt, als ich begriff, daß auch sie Akash liebte.
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Lyrika
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Beitrag27.09.2015 22:00

von Lyrika
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Clockmaker: Noch da?
Clockmaker: Bitte schreib doch was!
Dev: Sorry, ich mußte das erst einmal verdauen. Hab ich das jetzt richtig
verstanden? Du bist nicht Clockmaker?
Clockmaker: Nein ich bin die Schwester von Clockmaker, also, die Schwester von
der Freundin von Clockmaker.
Dev: Wow, wow, warte mal, ich kapiere jetzt gar nichts mehr. Du bist die Schwester
von Clockmaker?
Clockmaker: Ja.
Dev: Und wer ist dann….
Clockmaker: Also, Lilly und Karo sind Freundinnen und Karo heißt mit Nachnamen
Uhrmacher. Lilly nennt sie scherzhaft Clockmaker und benutzt den Namen im
Messenger. Und ich bin die Schwester von Lilly. Na ja und einmal ließ sie das Fenster vom Messenger offen und ging aus dem Haus. Da konnte ich nicht widerstehen und hab mit dir unter ihrem Namen gechattet.
Dev: War nicht ok von dir.
Clockmaker: Ich weiß. Es tut mir auch leid. Aber du bist so nett.
Dev: Danke, aber wie alt bist du denn eigentlich?
Clockmaker: Ich bin 16.

Dev schaute auf den Bildschirm und konnte es nicht fassen. Er hatte die Schwester von Clockmaker, oder auch nicht Clockmaker, auf der anderen Seite der Leitung. Und sie war noch so jung. Ich werde das Gespräch jetzt beenden und nach Akash schauen, dachte er und nahm einen Schluck Tee. Nicht so lecker wie der von Akash, aber trinkbar. Er laß sich das ganze Gespräch noch einmal durch, um die passenden Abschlußworte zu finden. Lächelnd stolperten seine Augen über die Worte Clockmaker, Karo, Lilly. Was für eigenartige Namen. Karo und Lilly. Bestimmt auch Spitznamen. Er nahm nochmals einen Schluck Tee und verschluckte sich heftig, daß er die Hälfte des Schlucks in seine Luftröhre trieb und die andere Hälfte aus seinem Mund über Akashs Schreibtisch prustete. Er stellte den Tee zur Seite und versuchte unter starkem Husten seine Lungen von der Flüssigkeit zu bewahren. Gleichzeitig tupfte er mit seinem T-Shirt die Unterlagen, die verstreut auf dem Schreibtisch lagen, trocken. Der starke Husten trieb ihm die Tränen in die Augen und er konnte nur ein schnelles `gleich` an Clockmaker senden, ehe er in die Küche ging und Tücher zum Trocknen holte. Wahnsinn! Das Schnarchen von Akash übertönte sein lautes Husten. Auch wenn er leise sein wollte, sein Körper wehrte sich gegen Flüssigkeit, die versehentlich da hin kommt, wo sie nicht hingehört. Am Schreibtisch machte er notdürftig sauber. Plötzlich hielt er inne. Warum hatte er sich denn so verschluckt, als er über die Wörter `Karo und Lilly` gestolpert war? Langsam setzte er sich hin. Geistesabwesend tupfte er weiter. Karo und Lilly. Karo und Lilly. Nein, das konnte nicht sein! Schlagartig löste sich der Knoten in seinem Kopf und die Erkenntnis bereitete sich wie ein fertiges Puzzle vor ihm aus. Frech grinste ihn das Puzzle an und lockte ihn, Fragen zu stellen. Er klatschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und redete laut mit dem Bildschirm.
„Akash hat mir doch von euch erzählt. Das seid ihr beide. Karo und Lilly, die beiden Frauen, die er auf dem Flug getroffen hat und ihr beide habt den Rucksack vertauscht. Ja, und die Frau eben an Telefon, das war eine von euch. Lilly! Und ich Esel hab den Hörer aufgeknallt. Konnte ich denn das wissen? Oh, Schicksal, wie gut du es mit uns meinst. Also gut, wenn du mir schon des Rätsels Lösung präsentierst, dann wollen wir mal die kleine Schwester aushorchen, ob ich recht habe.“ Er verschränkte seine Finger ineinander, bog sie von sich weg bis sie knackten und fing an zu schreiben.

Dev: Hatte mich gerade am Tee verschluckt. Sorry. Sag mal, hast du denn gar kein
schlechtes Gewissen?
Clockmaker: Doch schon und wenn Lilly dahinterkommt, dann verkloppt sie mich.
Dev: Na, dann bleibt das hier unserer kleines Geheimnis. Sie ist doch jetzt aber in
Indien, oder?
Clockmaker: Unser Geheimnis? Ok! Ja, sie ist mit Karo nach Indien geflogen.
Dev: Und, wie gefällt es ihr?
Clockmaker: Ich glaube gut. Sie hat meinen Vater angerufen. Wegen Geld.
Dev: Nanu? So teuer ist es doch hier nicht.
Clockmaker: Nein, mein Vater meinte zu uns, die beiden haben ihren Rucksack
verloren oder der ist gestohlen worden. Weiß ich nicht mehr.
Dev: Oh, das ist aber nicht so schön. Und jetzt hat sie wieder Geld für Bombay?
Clockmaker: Sie bleiben ja nicht nur in Bombay.
Dev: Nicht? Bombay ist eine schöne Stadt.
Clockmaker: Ja, aber sie wollten noch durch Indien ziehen.
Dev: Ach so, ja, da braucht man ein bißchen Geld. Willst du auch mal nach Indien?
Clockmaker: Ja, aber nicht wie Karo und Lilly nach Goa. Wenn dann nur nach
Bombay. Dort würde ich nur vor den Filmstudios sitzen und nach Stars
schauen.
Dev: Du magst indische Filme?
Clockmaker: Ja, besonders die Schauspieler.
Dev: Kann ich verstehen. Ok, Schwester von Clockmaker. Da wir ja jetzt ein
Geheimnis teilen, möchte ich dich um etwas bitten. Ich bin der, dem der Rucksack vertauscht wurde. Würdest du mir die genaue Adresse von Goa geben, wo Karo und Lilly sein werden?
Clockmaker: Ich weiß nicht.
Dev: Bitte, es ist sehr wichtig. Und…und ich würde gerne Lilly treffen.
Clockmaker: Bist du verliebt in sie?
Dev: Vielleicht.
Clockmaker: Ok, warte kurz, ich hol mal die Unterlagen, die sie hier gelassen hat.

Bingo! Ich könnte die ganze Welt umarmen und Akash aus dem Unglück ziehen. Nachdem er die Adresse notiert hatte, ging er sofort zu Akash. Er sah ein, daß eine Unterhaltung mit ihm nichts bringen würde. Er schnarchte einfach zu laut und gab ihm damit zu verstehen, daß sich der Alkohol noch in seinem Körper befand.

Dev berichtete Akash am nächsten Morgen, was sich ereignet hatte. Mit der Adresse in der Hand fuhren sie zum Chef und fragten ihn, wie es mit einem Kurztrip nach Goa aussah würde. Unter der Aussicht, daß dadurch der Auftrag gerettet wäre, stimmte der Chef ein. Die Tage bis zu ihrer Abreise nutzen Akash und Dev für ihre alltägliche Arbeit. Zum Glück hatte niemand etwas von Akashs Ausrutscher in der Firma bemerkt. Außer Amisha lächelte Dev bei Begegnungen auf dem Gang verschwörerisch entgegen. Und sie verriet niemand etwas. Dev und Akash hatten besprochen, zwei Tage vor dem Eintreffen von Lilly und Karo in Goa zu sein, um sich die Gegebenheiten anzuschauen, und zu beobachten, wo sie wohnen würden. Das Flugzeug hob ab und Akash war voller Zuversicht, daß er den Rucksack wieder bald in seine Händen halten würde.


Ich starrte auf das Bett, wo meine im Schlaf redende Freundin lag. Meine Freundin? Meine Unterlippe fing an zu beben. Diese Kälte, die durch meinen Körper zog bereitete mir unendliche Traurigkeit. Ich schüttelte unmerklich mit dem Kopf und ging rückwärts zum Vorhang zurück und stieß mit Akash zusammen. Verwirrt drehte ich mich um und sah ihm in die Augen. Der Vorhang schwang zurück, trennte mich von Lilly und gab die Zweisamkeit mit ihm frei. Er hielt mich am Arm, lächelte leicht und blickte mich fragend an. Oh Akash, ich muß um dich kämpfen. Ich war mir deiner so sicher. Zu sicher. Wie würdest du dich entscheiden, wenn zwei Frauen um deine Gunst anhalten? Dir ihre Liebe gestehen? Die eine schwach und schüchtern, die andere stark und streitbar und beide sehnen sich nach Liebe. Wenn du dich entscheiden müßtest? Wenn du Stärke und Streitbarkeit meiner vorziehst? Ich würde zwei Menschen verlieren! Ich würde meine Liebe zu dir und ich würde meine Zuneigung zu Lilly verlieren. Elemente, die mir wichtig im Leben waren. Elemente, die sich mit einer Entscheidung aus meinem Herzen reißen würden. Verzweifelung schlug aus meinen Augen. Er empfing die Botschaft und zog mich an seine starke Brust. Mit beiden Armen umschlang er mich. Ich fühlte mich so beschützt. Seine Lippen ruhten auf meiner Stirn und er streichelte beruhigend meinen Kopf. Er wiegte mich leicht, um meinen Tränen entgegenzuwirken, die sich langsam in sein T-Shirt einarbeiteten. Ich weinte leise. Ich weinte verzweifelt. Wieso? Wieso Lilly und ich? Ganz fest drückte ich ihn an mich, als wollte ich zeigen, daß wir zusammen gehörten und schlurzte auf. Ich hatte Filme gesehen mit Bankräubern, die Herz hatten und Filme, wo beste Freundinnen um einen Mann kämpften. Es waren Filme und dies hier war die Realität und ich spielte ungefragt eine der Hauptrollen. Ich lockerte meine Umarmung und suchte seinen Blick. Unsere Augen trafen sich und ich konnte in der spärlich beleuchteten Hütte erkennen, daß seine Augen Ratlosigkeit ausdrückten. Sein Gesicht hingegen strahlte pure Männlichkeit und Entschlossenheit aus. Er küßte meine Stirn, strich mit seinem Daumen über meine Lippen, hob meinen Kopf und küßte mich. Dieser Kuß war so intensiv. So voller Liebe. Dieser Kuß vereinte uns auf unsichtbare Weise und unterschrieb unsere Zusammengehörigkeit. Unsere Liebe! Lilly hast du gehört, unsere Liebe! Erschrocken stoben wir auseinander. Hinter dem Vorhang tat sich was. Lilly! Sie war wach und stand auf. Ich konnte es an ihrem Fluchen hören. Akash sah mich an. Wir beide wußten, was passiert, wenn sie ihn hier antreffen würde. Schnell drückte er mir ein Küßchen auf die Wange, deutete auf den Vorhang und entschwand in letzter Sekunde aus der Tür. Mit dem Schließen der Tür lüftete sich der Vorhang und Lilly stand mir gegenüber. Herrje, wie sah sie denn aus? Ihre Haare standen in allen Himmelsrichtungen und ihr Gesicht schien irgendwie zerknautscht.
„Hallo Karo! Warum stehst du denn hier herum?“ Ich schaute sie nur an mit einem Gemisch aus Mitleid und Abscheu. Meine Freundin?
„Ist ja auch egal. Ich muß mal.“ brachte sie kurz und schwer über ihre Lippen und wackelte auf unsicheren Beinen in das Badezimmer.
„Geht doch!“ sagte ich ihr gereizt hinterher. Sie stoppte und drehte ihren Kopf schräg in meine Richtung.
„Bist du böse auf mich?“ fragte sie beschämt.
„Nein! Geh wieder ins Bett! Wir reden morgen!“ Sie überlegte sich meine Antwort, zuckte mit den Schultern und schlürfte in das Badezimmer. Ich war müde und brauchte dringend Schlaf, konnte mich aber nicht aufraffen, mich neben Lilly ins Bett zulegen. Ich war zu aufgewühlt. Als ich die Tür hinter mir zu zog, hörte ich noch die Toilettenspülung. Hoffentlich hat sie sich mit runtergespült, dachte ich und stand verloren vor unserer Hütte. Den Mut allein durch die Nacht zu spazieren brachte ich kein zweites Mal auf. Ich ging vor der Tür in die Hocke und machte es mir gemütlich. Eher verbringe ich die Nächte hier draußen, als mit Lilly in einem Bett. Die Gefühle zu ihr fingen zu wanken an. Hatte ich nicht immer mehr, als nur die Freundin in ihr gesehen? Sie war für mich da. Wir gingen durch das sprichwörtliche ´Dick und Dünn´. Und nun? Durch ein geflüsterten Traum und Alkohol, gab sie ihr wahres Gesicht zu erkennen? Sollte ich mich so in ihr getäuscht haben? Sie hatte mir versprochen ganz Indien nach ihm abzusuchen. Für mich! Bitter schluckte ich die Erkenntnis, daß sie ihn für sich suchen wollte. Ein Geräusch riß mich aus meinen Gedanken. Oh nein, dachte ich, nicht schon wieder! Ich verhielt mich ganz still und atmete auf, als ich Akash erkannte, der die Ursache für das Geräusch war. Er kam auf mich zu und hockte sich vor mich hin.
„Was tust du denn noch hier? Ich dachte, du bist gegangen.“ fragte ich erstaunt.
„Ich hab mich noch einmal nach eurer Hütte umgedreht und gesehen, daß du aus der Tür getreten bist. Da hab ich mir Sorgen gemacht, daß etwas nicht stimmt. Ist alles in Ordnung?“ klärte er mich auf.
„Ja, es ist alles in Ordnung.“ lächelte ich schwach „Lilly mußte nur mal auf die Toilette.“
„Ok, dann werde ich jetzt in meine Hütte gehen und du gehst auch rein. Ok?“ bestimmte er und streichelte mir über die Wange. Er stand auf und bot mir seine Hand an. Ich zog mich hoch und griff mit der anderen Hand den Türknauf. Er ließ meine Hand los und schaute mich fragend an.
„Was hat Lilly da eigentlich gemurmelt?“ erschrocken öffnete ich ein wenig die Tür. Nein, Akash, nein bitte frage mich nicht. Du darfst es niemals erfahren und du wirst es auch nie erfahren.
„Ach, irgend etwas über Indien und die Reise. Hab ich auch nicht ganz verstanden.“ log ich ihn an. Meine erste Lüge! Meine erste Lüge unserer Liebe! Mir wurde schlecht. „Ich gehe jetzt schlafen. Schlaf auch gut, Akash.“
„Ja, du auch.“ erwiderte er gedehnt und schaute mir tief in die Augen. Dann wandte er sich ab und schritt in die Dunkelheit. Ich schloß die Tür hinter mir und setzte mich an den Tisch. Sein letzter Blick ließ mich nicht los. Mit nassen Augen schlief ich auf dem Stuhl ein, mit dem Bewußtsein, daß er wußte, ich hatte ihn eben angelogen.
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Lyrika
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Beitrag07.11.2015 14:25

von Lyrika
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Langsam öffnete ich die Augen. Jemand hatte die Hütte quer gestellt. Alles war schief und lag auf der Seite. Wer macht denn so etwas, grübelte ich. Mit dem Heben meines Kopfes, der auf der Tischplatte ruhte, stellte sich die Hütte auch in die Senkrechte. Ich wußte im ersten Moment nicht, wo ich war, kam aber schnell zu mir. Ja, ich bin auf Goa und wohl auf den Stuhl eingeschlafen. Meine Muskeln meckerten mit mir und fanden die letzte Nacht nicht gerade bequem. Ich reckte mich und bemerkte, daß eine Decke um meine Schultern lag. Nanu, bin ich nachts noch einmal losgelaufen? Nein, soweit ich wußte, hab ich hier ohne Unterbrechung geschlafen. Ich schaute mich in der Hütte um und kam mir vor wie ein Vogeljunges, das aus dem Nest geflogen war. Dann fiel mein Blick auf die drapierten Sachen, die vor mir auf dem Tisch standen. Und das hier, hatte ich auch nicht hingestellt. Zwischen den Sachen, die aus Teller, Tasse und einem Gefäß mit einer Blume darin bestanden, steckte ein Zettel. Unschlüssig starrte ich ihn an. Von Akash konnte das nicht sein, oder doch? Vielleicht nur der Zettel? Was für ein quatsch, sagte ich laut zu mir und nahm den Zettel aus seiner Position, klappte ihn auf und laß:

Liebe Karo, entschuldige meine Sauftour von gestern! Hab dir die Decke umgelegt und ein wenig Frühstück gemacht. Der Kaffee steht auf der Küchenzeile. Also, sei mir nicht mehr böse. Freunde? Wenn du dann soweit bist, ich liege am Strand.
Hab dich lieb, deine Lilly.

Mit einem abschätzenden ´Pffffff` legte ich den Zettel zur Seite. Freunde! Freunde sind ehrlich zueinander, meine liebe Lilly! Ich schmiß die Decke von mir runter und ging den Kaffee holen. Er war lauwarm, was mich nicht weiter störte. Als ich auf die Blume schaute, lächelte ich gegen meine Wut auf sie. Na ja, vielleicht hatte ich mich die Nacht verhört. Meine Gefühle fingen an zu wanken. Würde sie denn auf der einen Seite die Freundin sein und auf der anderen Seite mir die Beine weghauen? Geistesabwesend nahm ich einen Schluck Kaffee, ohne die Blume aus den Augen zu lassen. Nein, Lilly war ehrlich. Sie sagte immer, was sie dachte. So hatte ich sie kennengelernt. Der Gedanke nahm einen anderen Weg und fragte mich, ob ich sie auch schon einmal in einer Situation erlebt hatte, wenn es um die Liebe eines Mannes ging. Erbost über die Frage meines Gedanken, stellte ich die halbvolle Tasse Kaffee auf die Küchenzeile und ging in das Schlafzimmer. Nein, habe ich noch nicht, antworte ich laut meinem Gedanken. Und selbst da würde sie mir gegenüber fair sein. Verloren stand ich im Schlafzimmer. Wie das hier aussieht! Alles durcheinander. Mein Gedanken ignorierend fing ich an, das Bett zu machen. Nun bekam ich Lust einige Sachen von uns zu waschen. Zum Strand wollte ich später gehen. Mit steigender Laune packte ich die für mich schmutzig erwählten Sachen über meinen Arm und ging in das Badezimmer. Ich stöpselte das Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Wir hatten zum Glück eine Waschpaste mitgenommen. In der Kulturtasche von Lilly wurde ich fündig. Als das Becken sich mit Wasser gefüllt hatte, legte ich einige T-Shirts hinein und wusch sie durch. Durch die Arbeit wurde ich von meiner Enttäuschung über Lilly abgelenkt und war am Ende wieder milde gestimmt auf sie. Was ich mir auch immer einbildete! Ich legte die ausgewrungene T-Shirts zur Seite und widmete mich den Hosen. ´Immer erst in die Taschen sehen´ klangen die Worte meiner Mutter zu mir ans Ohr und ich griff artig in die Hosentaschen von Lillys Hose. Nichts, drehte die Hose, nichts, drehte die Hose und ertastete etwas. Ich zog es heraus. Oh nein, wieder ein Zettel. Der Tag der Zettel, grinste ich und stand erstarrt im Badezimmer. Die Hose ließ ich in das Waschwasser fallen. Sie sog sich sogleich mit Wasser voll und sank langsam auf den Boden des Waschbeckens. Ich brauchte weder den Zettel zu öffnen, noch zu drehen. Es war eindeutig eine Adresse, die mir entgegen blitzte. Unter zittern laß ich die Anschrift und stockte schon bei dem Namen: Akash Kapoor. Weiter kam ich nicht. Ich starrte wie hypnotisiert auf den Namen. Akash Kapoor. Woher kannte ich denn den…Das kann nicht wahr sein! Das darf nicht wahr sein! Sie hatte ihn also doch gemeint, als sie im Schlaf murmelte. Ich überließ der Hose ihrem Schicksal und ging in das Schlafzimmer. Dort setzte ich mich auf das Bett. Akash und Lilly! Sie mußten sich schon getroffen haben. Warum sollte sie sonst seine Adresse in der Hose spazieren führen? Ich stand auf und lief völlig konfus in unserer Hütte durch alle Räume, legt da und dort einen Gegenstand zur Seite, lief weiter, nahm einen Schluck kalten Kaffee, tunkte die Hose tiefer in die Jauche und setzt mich schließlich wieder auf das Bett. Den Zettel hielt ich weiter fest in der Hand. Wieder und wieder laß ich seinen Namen. Ich wollte es nicht glauben. Vieles sprach dafür und vieles dagegen, daß sie ihn gemeint hatte. Warum boxt sie ihm auf die Nase? Na klar, als Ablenkungsmanöver! Die Erkenntnis stellte sich glasklar vor mich auf und lachte mich aus. Wann sollten sie sich denn getroffen haben? Ich grübelte nach und kam zu dem Tag, als ich Melanie rettete. Ja klar, ich war an dem Tag alleine am Strand und das nicht für kurze Zeit. Sie hatte diesen Zeitpunkt also ausgenutzt, um sich zu treffen. Vor Wut stiegen mir die Tränen in die Augen. Diese gemeine Bande! Und anscheinend treffen sie sich jetzt auch gerade. Ich stand auf und ging, um mich frisch zu machen, in das Badezimmer. Die Hose wartete auf weitere Behandlung. Mit einem Griff langte ich in die Jauche, packte die Hose und schleuderte sie an die Wand. Es klatschte gewaltig und die Hose landete jauchedurchtränkt auf dem Boden. Ich schrie sie an:
„Raus aus meinem Waschbecken!“ Ich schrie weiter: „Lilly, du fiese hinterhältige Kuh! Akash, du Mitkerl! Ihr könnt mir beide gestohlen bleiben!“ Bevor ich mich einem Schrei-Weinkrampf hingeben konnte, erschrak ich und drehte mich um.
„Hat die Hose dir etwas getan?“ fragte mich eine piepsig verschüchterte Stimme.
„Melanie!“ entfuhr es mir.
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Beitrag16.01.2016 23:11

von Lyrika
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Mit wutverzerrtem Gesicht schaute ich sie an. Irgendwie nervte mich dieses Kind!
„Was weißt du schon!“ herrschte ich sie an. Sie stand mit ihren großen blauen Augen und aufgeklappten Mund in der Tür und wußte nicht, wie ihr geschah. In diesem Augenblick kam ich mir schäbig vor, diesem kleinen Mädchen meine Wut entgegen zu bringen. Ich hockte mich hin und breitete die Arme aus.
„Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht so anfahren. Komm, laß dich umarmen!“ sagte ich versöhnlich und hoffte, sie mit meiner Art nicht verschreckt zu haben. Sie zögerte kurz und umarmte mich erleichtert. Dieser kleine Körper! Wie er sich so unschuldig an mich schmiegte. Ich drückte sie ganz fest an mich und hätte sich nicht `Aua` gesagt, ich hätte sie zerdrückt. Melanie, eine Kind, das aufrichtig einem seine Zuneigung zeigte. Ich mochte sie vom ersten Augenblick an. Ich mochte auch Akash vom ersten Augenblick an. Seufzend ließ ich von Melanie ab und schaute sie an.
„Das sah lustig aus, wie du die Hose an die Wand geklatscht hast. Machst du das noch einmal?“ sagte sie erwartungsvoll.
„Nein, die Hose bleibt da jetzt liegen.“ Enttäuscht schaute sie über meine Schulter und zeigte auf die Hose.
„Hörst du, du bleibst da jetzt liegen!“ rief sie freudig. Ich ging aus der Hocke und stand ihr gegenüber.
„Sag mal, warum bist du eigentlich hier? Weiß das deine Mutter?“ fragte ich sie ermahnend. Sie senkte den Blick und drehte ihren kleinen Fuß verlegen auf dem Boden hin und her. Also nicht!
„Melanie, du mußt deiner Mutter sagen, wo du hin gehst! Du weißt doch noch, was mit dem Boot passiert ist?“ erinnerte ich sie streng. Sie hielt den Blick gesenkt und wurde ein wenig rot.
„Ok, dann bleib kurz hier. Ich mache mich nur eben zurecht und dann gehen wir beide zu deiner Mutter.“
„Du bist hübsch.“ murmelte sie immer noch verlegen. „Der Mann von dem Boot findet das auch.“ Nach diesem Satz zuckte es heftig in meinen Eingeweiden. Akash! Ich hatte ihn durch Melanie kurz vergessen und meine Wut auch. Die kam jetzt wieder mit einer Portion Zorn aus meinem Innersten in mein Bewußtsein hoch. Reiß dich vor dem Kind zusammen, dachte ich und schob Melanie aus dem Badezimmer an unseren Tisch, gab ihr etwas zu trinken und etwas Süßes. Sie blieb artig sitzen und genoß die Süßigkeit. Ich machte mich schnell frisch, zog frische Kleidung an und trat mit Melanie an der Hand aus der Tür.
„So“ meinte ich zu ihr „Wo ist denn deine Mutter jetzt?“
„Am Strand.“ sagte sie und hüpfte aufgeregt herum. Na klasse, am Strand. Wo denn auch sonst! Und gerade da wollte ich nicht hin. Oder doch? Wollte ich mich nicht davon überzeugen, Lilly und Akash in heimlicher Zweisamkeit zu sehen? Der Gedanke verursachte mir Übelkeit. Ich war unentschlossen, was das betraf. Einerseits interessierte mich es schon und anderseits wollte ich mir den Stich in meinem Herzen ersparen.
„Nun komm doch!“ rief Melanie ungeduldig und zog mich ein wenig vorwärts. Vielleicht liegt ihre Mutter ja am anderen Ende des Strandes. Ich gab mir einen Ruck und lief mit dem Kind los. Sie führte mich an der Strandbar vorbei und schlug dann den Weg zum Strand ein. Ihre Mutter sah ich schon von weitem. Suchend drehte sie sich um die eigene Achse, war doch schon wieder ihre Tochter verschwunden. Sie stoppte ihre Drehungen, als sie mich mit Melanie an der Hand erblickte. Sie kam auf uns zugelaufen. Melanie hielt mich weiter an der Hand. In der Zeit, in der sich Melanie eine wohlverdiente Predigt von ihrer Mutter anhören durfte, suchte ich den Strand ab. Nach kurzen Schauen, erblickte ich Lilly und traute abermals meinen Augen nicht. Was war das denn für ein Tag? Da saß sie und….na, warte, jetzt reicht es! Wortlos ließ ich Melanie los und stapfte auf Lilly zu. Sie saß auf ihrem Handtuch. Nach schnellen Schritten baute ich mich vor sie auf.
„Darf ich fragen, was das soll?“ pflaumte ich sie an und verschränkte die Arme vor meiner Brust. Sie erschrak und schaute mich blinzelnd an.
„Was meinst du?“ fragte sie.
„Tu doch nicht so blöde! Das da!“ fauchte ich sie an und deutete auf die glimmende Zigarette in ihrer Hand.
„Ach das! Ist mir halt danach.“ sagte sie und zog genüßlich an der Zigarette. Ich beugte mich herunter, riß ihr die Zigarette aus der Hand und schmiß sie in den Sand.
„Ey, spinnst du?“ empörte sie sich. Sie starrte auf den Punkt, an dem ich die Kippe ausgetreten hatte.
„Du hat vor drei Jahren aufgehört!“ erinnerte ich sie.
„Das weiß ich selber. Aber, meine liebe Karo, darf ich dich daran erinnern, daß ich erwachsen bin.“ verteidigte sie sich. Ich wurde rot vor Zorn.
„Dann benehme dich auch so, meine liebe Lilly!“ brachte ich noch zähneknirschend hervor, bevor ich sie einfach sitzen ließ und zurück zum Weg stapfte. Ich wußte zwar nicht wohin, aber ich lief erst einmal den Weg entlang. Mit jedem Schritt, der mich von Lilly entfernte, verebbte meine Wut und eröffnete mir den Blick für die schöne Vegetation, die hier üppig vorhanden war. Kokospalmen, Sträucher mit exotischen Blumen, angelegte Beete mit Blumen und große mannshohe Gebüsche. Ich lief ein Stückchen weiter an unserer Hütte vorbei und entfernte mich so von dem kleinen Hüttendörfchen. Fasziniert von der mir gebotenen Natur bemerkte ich nicht, daß ich mich zu weit von dem Dörfchen entfernt hatte. Plötzlich war es hier sehr einsam und abgelegen. Traurigkeit breitete sich in mir aus. Warum mußte mir nur immer so etwas passieren? Erst das mit meinem Ex-Freund und nun das mit Akash. Und Lilly kam auch noch hinzu. Ich wußte auf diese Frage keine Antwort. Resigniert über mein Gefühlsleben, hielt ich meinen Marsch an. Bevor ich mich verlaufe, drehe ich lieber um. Ich lief den Weg wieder zurück. Waren da eben nicht Stimmen gewesen? Erschrocken blieb ich kurz stehen, lauschte und lief schneller weiter. Hier hatte es die Natur so eingerichtet, daß durch die dichte Vegetation auch bei Tage eine Dämmerung herrschte. Oh je, Karo, du bist zu weitgelaufen, war mein letzter Gedanke, ehe mir jemand die Hand auf den Mund preßte, Psst machte und mich hinter einen Busch zog. Mir blieb fast das herz stehen. Schnell drehte mich derjenige, dem die Hand gehörte um und ich erkannte Akash. Er nahm mir die Hand vom Mund und deutete mit seinem Finger auf seinem Mund an, daß ich leise sein sollte. Verstört befolgte ich seinen Befehl. Was hatte das zu bedeuten? Fragend schaute ich ihn an und er schüttelte wortlos den Kopf. Er lief geduckt mit mir an der Hand hinter den Büschen lang, bis wir wieder den Steinweg zum Hüttendörfchen erreicht hatten. Die ganze Zeit verhielt ich mich ruhig und lief, wie er, geduckt. Als uns das Tageslicht wieder hatte, gingen wir aufrecht weiter. Ich bemerkte, daß er mich immer noch an der Hand hielt. Er hatte noch kein Wort gesprochen. Seine Hand war so weich und doch so männlich. Sie war so groß und umschloß beschützend meine Hand. Mein Herz hüpfte unkontrolliert in meiner Brust durch diese Berührung. Seine Wärme strömte durch meinen Körper und stoppte an meinem Verstand. Hatte er nicht Lilly seine Adresse gegeben? Hatte er nicht mit ihr irgendwo gestanden und sich mit ihr amüsiert, während ich am Strand lag? Wie oft hatte er Lilly berührt? Wie oft hatte er sie geküßt? Mein letzter Gedanke trieb mir die Tränen der Verzweiflung in die Augen und ich riß mich von seiner Hand los. Ich rannte das letzte Stück zu unserer Hütte und knallte die Tür in das Schloß. Weinend ließ ich mich hinter der Tür nieder. Sie fängt wieder an zu rauchen, dachte ich. Wann raucht man denn? Doch nur, wenn man aufgeregt ist. Und hatte sie nicht allen Grund aufgeregt zu sein? Ja, sie mußte aufgeregt sein, wußte sie doch um meine Gefühle zu Akash. Jetzt hatte sie sich in ihn verleibt und mußte mir es ja irgendwann beichten. Ja, Lilly, dann fängt man wieder an zu rauchen. Ich wollte nur nach Deutschland, nach Hause! Vielleicht konnte ich ja ein paar Tage früher nach Bombay zurück und dort auf den Heimflug warten. Es klopfte. Ich reagierte nicht. Es klopfte noch einmal. Ich schwieg.
„Karo?“ fragte jemand leise. „Karo, darf ich reinkommen?“
„Nein, Akash!“ sagte ich erschöpft.
„Bitte!“ ich schwieg weiter „Bitte, Karo. Es ist wichtig!“ flehte er. Ja, ich kann mir schon denken, was du mir sagen willst, aber ich möchte es nicht hören.
„Akash, bitte laß mich in Ruhe!“ Jetzt schwieg er. Ich lausche. War er wirklich gegangen? Hatte er sich so schnell abschrecken lassen? Ich stand auf und lauschte mit dem Ohr an der Tür. Kein Geräusch. Verzweifelt über meine Art, ihn weggeschickt zu haben, öffnete ich einen spaltweit die Tür. Dann öffnete ich sie weiter. Er war tatsächlich gegangen. Ich sah noch seine Silluette, wie sie auf dem Weg zum Strand war.


Abermals knallte ich die Türe zu und rannte auf das Bett zu. Mit einem Satz schmiß ich mich rauf und blieb auf dem Bauch liegen. Eigenartigerweise weinte ich nicht. So sehr ich mich auch anstrengte, es kamen keine Tränen. Ich setze mich auf den Bettrand und wunderte mich über mich selber. Warum weinte ich nicht? Mit meiner Kälte hatte ich den Mann meiner Träume abgewiesen und er entsprach meinem Wunsch, mich in Ruhe zu lassen. Was hatte ich mir denn eingebildet? Das er mit kratzenden Händen an der Tür steht, damit ich ihn gnädigerweise reinließ? Warum weinte ich nicht? Warum rauchte Lilly wieder? Warum ging er sofort nach meiner Aufforderung? Diese drei Sätze wirbelten in meinem Kopf. Ich kam auf keinen Nenner und ging in das Badezimmer. Die Hose erweckte den Eindruck, nach meiner unsanften Behandlung noch mehr dieser zu bekommen. Sie hatte damit auch nicht ganz unrecht. Mit einer Wut und den wirbelten Sätzen bearbeitete ich die Hose in der Jauche, spülte sie aus und hängte sie auf. Nein, es waren mir eindeutig zu viele ´Warum´s´. Wo hatte ich denn eigentlich den Zettel mit der Adresse hingelegt, dachte ich und wurde fündig. Er lag auf dem Tisch, wo ich Melanie plaziert hatte. Ein Griff, ein kurzes zusammenknüllen und schon war er in meiner Tasche. Warum raucht sie wieder? Hätte sie nicht beinahe wieder angefangen zu rauchen, als sie diese Phase mit diesem Typen hatte? Damals stand ich ihr zur Seite und redete ihr den Typen und das Rauchen aus. Und jetzt sitzt sie am Strand und pafft lustig vor sich hin. Plötzlich fiel mir wieder die Situation am Flughafen ein. Sie hatte ihn beschimpft und dabei auf seiner Brust rumgetippt und…nein, sie hatte getippt und hielt dann inne. Ja genau, erinnerte ich mich, sie hörte auf zu tippen und schaute ihm in diese wunderschönen braunen Augen. Da also mußte es um sie geschehen sein. Da wußte sie, sie hat sich in ihn verliebt. Und mir hatte sie die ganze Zeit etwas vorgemacht. Sie will ihn in ganz Indien für mich finden und was finde ich? Seine Adresse in ihrer Hosentasche! Und hier auf Goa….Ich kochte vor Wut. Anscheinend wird er auf dem Weg zu ihr sein! Mich hier anflehen und dann schnurstracks zu ihr gehen. Nein, Akash, so läuft das nicht! Und so auch nicht, Lilly! Ich drehte mich um und lief in das Schlafzimmer, holte Lillys Koffer hervor und schmiß alle ihre Sachen hinein. Alles was deins ist, sollst du bekommen! Alles was meins ist, bleibt auch meins! Ich war blind vor Wut. Als ich fertig war, stellte ich den Koffer an die Tür, riß diese auf und lief zum Strand. Mit jedem Schritt stieg mein Blutdruck und als ich vor ihr stand, platzte ich.
„So, meine Liebe, kannst gleich ausziehen!“
„Hä?“ fragte sie verdattert von ihrem Buch aufschauend.
„Ja, ist schon alles gepackt. Du fliegst früher nach Bombay!“ sagte ich bestimmend.
Sie legte ihr Buch zur Seite und stand auf. Mit einer geschickten Bewegung strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht.
„Karo, ich verstehe nicht….“
„Oh doch, du verstehst mich sehr gut. Du rauchst!“ unterbrach ich sie laut. „Und noch was. War es denn schön?“ Völlig irritiert schaute sie mich an.
„Sag mal, hast du zulange in der Sonne gesessen? Ja, natürlich war es schön. Ich hab es genossen!“ sagte sie jetzt patzig. Ihr letzter Satz schwang in einer Gehässigkeit in meinen Ohren. Sie hat es genossen! Sie hat es genossen! echote es immer wieder und trieb mich zum Äußersten. Ohnmächtig griff ich ihr Handtuch und schleuderte es durch die Gegend. Ihrem Buch verpaßte ich ein Bad im Meer und die Zigaretten verarbeitete ich mit dem Fuß in den Sand. Mit wutverzerrtem Gesicht schaute ich auf. Ihre Größe flößte mir in diesem Moment keine Angst ein. Mein letzter Rest Respekt ihr gegenüber hielt mich zurück, sie zu ohrfeigen. Sie hatte mit verschränkten Armen seelenruhig zugeschaut, was ich mit ihren Sachen veranstalte. Mit einem durchdringenden Blick schaute sie mich an und schwieg. Sie schwieg einfach. Nach einer Weile, ich stand immer noch schwer atmend vor ihr, sammelte sie ihre mißhandelten Sachen ein und sagte zu mir: “ Ja, Karo, ich hab es genossen und werde es weiter genießen und du wirst mich nicht davon abhalten!“ Sie wollte sich umdrehen, aber ich hielt sie am Arm zurück. Unsicher über mein Tun, blieb sie stehen. Ich wußte in diesem Moment auch nicht, was ich wollte. Mein Herz sagte: Schlag ihr die Zähne ein und mein Verstand: Was tust du da? Wir standen uns so gegenüber. Mir zerriß es das Herz, daß ich sie jemals zum Kampf herausfordern sollte. Ich liebte sie, wie man nur eine Freundin lieben kann. Und nun? Nun mußten wir kämpfen. Wir durften nicht, wir mußten! Wollte ich das? Wollte sie das? Mir kam es wie eine Ewigkeit vor, bevor ich langsam ihren Arm losließ.
„Laß uns schauen, wer von uns beiden am Schluß gewinnt.“ forderte ich sie auf. Abschätzend blickte sie mich an.
„Ok, wir werden ja sehen, wer stärker ist!“ sagte sie kühl und nahm den Weg zu unserer Hütte. Erschöpft stand ich im Sand und bemerkte, wie sich die Sonne gnadenlos in meine Haut brannte. Oder war es der Schmerz über den bevorstehenden Kampf mit meiner besten Freundin? Ich lief ihr im kuren Abstand nach. Fast zeitgleich kamen wir an der Hütte an. Sie drehte sich um und unsere Blicke trafen sich. Sie bestanden aus einer Kälte, die nicht mit dem Nordpol zu vergleichen war. Die Tür knallte hinter ihr in das Schloß und ich setzte mich vor die Hütte. Mit angestrengtem Gesicht lauschte ich ihrer Schritte. Dann ein Knall, war wohl die Schranktür, dachte ich mir, dann ein Fluchen, eindeutig von Lilly und im nächsten Blick stand sie vor mir.
„Ich glaube, bei dir hackt es, oder? Was soll den das jetzt? Hast du alle meine Sachen in den Koffer gepackt?“ fragte sie gereizt. Ich blieb sitzen und tat ganz unbeteiligt. „Ich rede mit dir? Was soll der Scheiß hier?“ schrie sie jetzt und deutete auf den Koffer, der immer noch artig gepackt vor der Tür stand. Ich drehte mich um und erwiderte gleichgültig: „Ach das meinst du.“ Sie schnappte nach Luft und wollte gerade weiterbrüllen, als ich sie mit einer Handbewegung daran hinderte. „Ich denke, es ist besser, du fliegst noch heute nach Bombay.“ bestimmte ich und zeigte ihr, daß ich auf weitere Diskussionen keine Lust hatte, indem ich mich herumdrehte.
„Karo“ redete sie beschwörend auf mich ein „Karo, wegen einer solchen Kleinigkeit machst du so einen Zirkus?“ Ich stand auf.
„Ja, wegen solch einer, wie du es nennst, Kleinigkeit geht unsere Freundschaft kaputt.“ zwängte ich böse zwischen meinen Zähnen hervor. Mein Zeigefinger kreiste vor ihrem Gesicht herum. Verständnislos schüttelte sie den Kopf.
„Das kann nicht dein Ernst sein! Ich glaube, du hast was getrunken.“ Ich senkte den Zeigefinger.
„Gar keine schlechte Idee. Dann kann ich vielleicht deine ätzende Visage ertragen.“ pfefferte ich ihr gehässig ins Gesicht. Plötzlich schaute sie mich traurig an und ging wortlos in unsere Hütte zurück. Wenig später fand ich mich an der Strandbar wieder, wie ich einen Drink nach dem anderen in mich hineinkippte. Und das um die Mittagszeit!

Gegen meine Natur schüttete ich mich im wahrsten Sinne des Wortes zu. Der Alkohol tat was ihm befohlen und vernebelte mir in einem rasanten Tempo erst meinen Verstand, dann meine Gefühlswelt und nun machte er sich an mein Bewußtsein heran. Ja, der Alkohol hatte leichtes Spiel mit mir. Ich trank sonst keinen Tropfen und jetzt hatte ich mich schon in den frühen Mittagsstunden mit leerem Magen an ihm vergriffen. An was ich mich in denn letzten Stunden vorm meinem Absturz erinnerte war, daß ich mich mit Lilly richtig in den Haaren hatte. Ehrlich gesagt, war ich auch nicht ganz nett zu ihr gewesen. Sie hatte keine Visage. Und erst recht keine ätzende. Aber was sagt man nicht alles im Zorn. Und das tat mir jetzt leid. Mein Stolz hinderte mich daran, in die Hütte zu treten und mich bei ihr zu entschuldigen. Der Stolz war es nicht nur allein, der mich hinderte. Ich war verletzt über ihre Unehrlichkeit, über ihre Verlogenheit und die Eifersucht nagte an mir. Mit diesem hochexplosiven Gemisch aus Gefühlen wäre es wahrscheinlich nicht nur bei beleidigenden Worten geblieben. Ich kannte mich soweit, daß ich dieser Situation in diesem Moment die Nahrung nehmen mußte. Distanz war mein Zauberwort. In Deutschland kein Problem, aber hier auf Goa? Nein, ich mußte gehen, egal was sie darüber denken würde. Auf dem Weg zur Strandbar brubbelte ich mir in mein nichtvorhanden Bart und stieß Flüche der schlimmsten Art aus. Einige andere Urlauber hatten die Tage zuvor schon mitbekommen, daß Lilly und ich ein amüsantes Pärchen abgaben. So war mein Verhalten, den Urlaubern, denen ich begegnete, auch nicht unheimlich. Anscheinend dachten sie: Ach, wieder eine der beiden Durchgeknallten. Sie ließen mich jedenfalls ungehindert meines Weges ziehen. Mein zackiger Marsch bewirkte, daß mein Blutdruck zusätzlich stieg. Ich sicherte mir am Ende der Theke einen Platz, bestellte erst einen nicht so stark alkoholdurchtränkten Drink und schlürfte ihn langsam aus. Der Effekt stellte sich bald ein. Die Wärme des Alkohols startete ihren Siegeszug von meinem Magen aus und eroberte nach und nach meinen ganzen Körper. Ein wohliges Gefühl mit einem kleinen Dreh der Hirnwindungen erleichterte mir die Sicht auf die Dinge. Mit jedem Drink, der auch an Alkohol gewann, stieg meine Laune. Ich besah mir die Urlauber, die kamen und gingen, und schüttete weiter. Ich wunderte mich, daß ich das Zeug einfach so runterbrachte. Sobald mein Glas leer war, winkte ich damit und schon stand ein Neues da. Die Stunden vergingen genauso wie mein Ärger über Lilly, meine Traurigkeit über Akash und auch die Enttäuschung über diese Reise. Mit steigender Promille fing ich an, mit dem Barkeeper zu flirten. Die Brille des Alkohols ließ ihn mir attraktiv erscheinen. Ich grinste ihn bei dem nächsten vollen Glas an, daß er mir brachte.
„Na duhu, kleiner schniddiger Puschel.“ lallte ich ihm entgegen. Er stellte das Glas ab, grinste mich ebenfalls an und zuckte verständnislos mit den Schultern. Ich glotzte ihn an. Er faßte sich an das Ohr, machte eine ausschweifende Bewegung, um mir zu signalisieren, daß er mich nicht verstanden hatte. Ist der blöde, dachte ich. Aber dann verstand ich doch.
„Ach ja, duhu hsst mich nichh werstandn. Hab ich germany geredet?“ Er lachte und nickte. Das hat der ja mal kapiert, grinste ich, langte über die Theke und kniff ihm in die Wange, schüttelte sie, wie Omas bei ihren Enkeln und gab ihn einem Singsang von mir: „Ja, ja, ihr sei mirrr schon nen Wölkchen, ihr Hinder! Alls kleine Chamöööööööre. Hi Hi Hi.“ Er riß die Augen auf und schaute auf mein volles Glas. Der Gedanke daran, daß er mir vermutlich zu großzügig den Alkohol ausgeschenkt hatte, beschlich ihn spätestens jetzt. Ich schüttelte weiter seine Wange und folgte seinem Blick. Soweit ließ es mein Gehirn noch zu. Schlagartig ließ ich seine Wange los, ergriff mein Glas und zeigte ihm, wer der Besitzer des Drinks war.
„Oh nö, duhu, das meiner! Nix mehr germany!“ winkte ich ab und ging in das Englische über. „Meins, meins, meins und duhu bringst mir einfach nur die lecker Dringggggs.“ quäkte ich im schiefen englisch und bekam einen Lachkrampf bei seinem bescheuerten Gesicht. Er hob abwehrend die Hände und sagte nur ok, ok. Bei meiner Hartnäckigkeit, die sich durchsetzte hatte er keine andere Wahl. Was ich bemerkte war, daß er bei jedem weiteren Drink, den er mir hinstellte weiter in meine Nähre rückte. Ich löste in meinem Zustand bei ihm wohl eine Art Beschützerinstinkt aus. Jedenfalls blieb er bei mir. Er spülte Gläser und trocknete sie ab. In der Zeit redete ich meinen Kummer von der Seele. Anfänglich in englisch und irgendwann in deutsch. Er erwies sich als geduldiger Zuhörer. Mal nickte er, mal brummte er nur, was mich in Lachen versetzte. Ich genoß die Wirkung des Alkohols und kam der Theke immer näher. Es fehlten nur wenige Zentimeter und ich würde hier zusammenbrechen. Ich schaute auf und sah eine Gestalt auf mich zukommen. Mach dich vom Acker, war mein letzter Gedanke, ehe der Alkohol seine teuflische Wirkung zeigte und die Lichter in meinem Kopf ausblies.
Was sich in den folgenden Stunden dann ereignete wurde mir erzählt, weil ich einen sogenannten Filmriß nach meinem x-ten Drink hatte.
Ich ließ Tatsache den Kopf senken und der plazierte sich auf der Theke. Das hatte aber nicht zur Folge, daß mein Gespräch verstummte. Nein, ich lallte weiter mit dem Kopf auf der Theke.
Er ging auf sie zu. War das nicht eine der beiden Frauen? Als er nahe genau war, erkannte er, daß es sich um Karo handelte. Er griff nach dem Glas, gab es dem Keeper und gab ihm wortlos zu verstehen, daß es wohl genug war. Dieser nickte und trollte sich.
„Karo?“ fragte er verunsichert. Er bekam als Antwort eine brummende Bestätigung. Oh je, er hatte in seinem Leben noch nie eine so betrunkene Frau gesehen. Was tut man in einer solchen Situation? Bei Männern wußte er, was zu tun ist, aber bei Frauen? Ob sie schlagen, schreien oder spucken würden? Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.
“Karo, warum sitzt du hier?“ Eine weitere brummende Bestätigung. Ratlos schaute er sich um. Wo war denn Lilly? Zu sehen war sie nicht. Vielleicht war sie kurz zur Toilette?
„Ist Lilly nicht hier? Kommt sie gleich wieder?“ Es hatte keinen Zweck sie zu fragen, weil sie eh nur brummte. Er packte sie seitlich an der Schulter, hielt aber Abstand. Sie hob mit einem Schwung den Kopf, der sie auch gleich nach hinten mitriß. Schnell packte er sie und verhinderte so, daß sie vom Hocker fiel. Sie brummte weiter. So konnte er sie auf gar keinen Fall allein lassen. Beherzt und auf die Gefahr hin, daß sie sich wehren würde, legte er ihren Arm auf seine Schulter, hielt ihn fest, legte seinen Arm um ihre Taille und lief mit ihr los. Der Barkeeper nickte nur ab und war über den Abtransport der sich Betrinkenden unübersehbar glücklich. Sie ließ den Kopf hängen und brachte kaum einen Fuß vor den anderen. Trotzdem er kräftig war, kam er abgekämpft an der Hütte an. Sie hatte den Weg über nur gebrummt und nicht verständliches Zeugs gebrabbelt. Er fixierte sie vor der Hütte in seiner Haltung und klopfte an die Tür. Diese öffnete sich und er trat mit ihr hinein. Der andere schaute ungläubig auf das sich ihm bietende Bild. Er schloß die Tür und folgte dem wankenden Paar in das Schlafzimmer. Dort wurde Karo auf das Bett gelegt.
„Dev, was hat das zu bedeuten?“ fragte Akash.
„Was sollte ich tun? Ich ging an der Strandbar vorbei und dort saß sie an der Theke. Sie scheint völlig betrunken zu sein. Und so konnte ich sie doch nicht sitzen lassen. Ich weiß auch nicht genau, wo deren beider Hütte ist, also hab ich sie erst einmal hierher gebracht.“ verteidigte sich Dev. Akash schaute auf Karo und strich sich ratlos durch das Haar.
„Wir müssen Lilly bescheid sagen, sonst macht sie sich Sorgen. Aber ich kann nicht gehen, da sie sich einem nächsten Schlag bei meinem Anblick bestimmt nicht nehmen läßt. Also mußt du gehen. Ich bleibe bei Karo.“ Liebevoll schaute er auf sie hinunter. Wie hilflos sie jetzt war. Dev atmete tief durch.
„Ok, aber sie kennt mich nicht. Na ja, nicht real, nur durch den Messenger. Ich kann doch nicht so einfach vor ihrer Türe stehen.“ versichte Dev der unangenehmen Aufgabe aus dem Weg zu gehen. Akash winkte ab.
„Dann sagst du ihr halt, wer du bist. Dev, es wird Zeit, daß die beiden uns ihr Vertrauen schenken. Du erinnerst dich, die Bilder.“ Der Freund klatschte sich gegen die Stirn.
„Ach ja, die Bilder. Wir haben auch nicht mehr soviel Zeit. Na, bei Karo hast du es ja schon geschafft. Mit dem Vertrauen meine ich. Ich werde mir dann jetzt Lilly vornehmen.“ stimmte Dev in den Plan von Akash ein.
„Dev, rede nicht so! Ich mag es nicht, wenn du redest.“ ermahnte er den Freund. „Es geht hier nur um die Bilder.“ Dev grinste, trat aus der Hütte und meinte noch: „Bist du dir da ganz sicher?“
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Lyrika
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Beitrag12.03.2016 11:50

von Lyrika
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Die Tür schloß sich hinter Dev und Akash stand allein in dem Vorraum. Ob es mir nur noch um die Bilder geht, dachte er. Welch blöde Frage von Dev. Hatte er ihm nicht im Büro ausführlich erzählt, was er für Karo empfindet? Verstohlen sah er sich in der Hütte um. Was sollte er jetzt machen? Karo lag nebenan im Schlafzimmer und war offensichtlich sehr betrunken. Er ging zum Tisch und setzte sich. Die Hütten hatten alle den gleichen Baustil und waren auch identisch ausgestattet. Als er sich gesetzt hatte, seufzte er und überlegte, was jetzt zu tun sei. Dev geht zu Lilly und sie würde hoffentlich mit Dev mitgehen. Wenn sie ihm überhaupt zuhört und glaubt, kam Akash in den Sinn. Schmerzvoll erinnerte er sich an den Kinnhacken, den sie ihm verpaßt hatte. Armer Dev, lächelte er gehässig, aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Er nahm ein Geräusch aus dem Schlafzimmer wahr und horchte auf. Hatte sie gerufen? Leise stand er auf und ging in das Schlafzimmer. Die kleine Lampe brannte und gab ein spärliches Leuchten von sich. Er trat an das Bett und blickte Karo an. Sein Herz machte einen Satz und sein Magen schnürte sich freudig zusammen. Auch wenn sie ihn heute mittag an der Tür abgewiesen hatte, jetzt schien sie so hilflos. Schien? Sie war hilflos. Vollgepumpt mit Alkohol und sie befand sich in einer Welt, die man nur mit Gleichgesinnten teilen konnte. Er schüttelte über die Ironie des Schicksals den Kopf. Er hatte gewollt, daß sie sich in seine Hütte begibt, sich mit ihm unterhält, ihm über ihr Leben berichtet und nun war sie da. Er nüchtern und sie betrunken. Wenn sie ihren Rausch ausgeschlafen hat und bemerkt, daß sie in unserer Hütte ist, dann verliere ich wohlmöglich ihr anfängliches Vertrauen. Aber habe ich es nicht schon verloren, dachte er und erinnerte sich, wie er ihrem Wunsch nachkam, sie in Ruhe zu lassen. Was war denn bloß geschehen? Gestern hätten sie sich ihrer Hütte fast geliebt und heute? Er faßte Karo vorsichtig unter Schulter und Becken und schob sie weiter in die Bettmitte. Dann setzte er sich auf den Bettrand. Wie sie so da lag, gleichmäßig ruhig atmend, erwärmte sich sein gesamter Körper. Ganz sanft strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Mit seinen Fingern zeichnete er ihr Gesicht nach. Sie war so schön und so weiblich. Er berührte sie, als wäre sie aus feinstem Porzellan. Trotz seines turbulenten Berufes hatte er in den letzten Tagen nichts Aufregenderes erlebt, als mit ihr und Lilly. Wie konnte nur ein einzelner Mensch sein Leben so auf den Kopf stellen? Langsam beugte er sich zu ihr herunter und küßte sie zärtlich auf die Stirn, dann auf die Wangen. Die Küsse schienen sich in ihr Bewußtsein vorzuarbeiten. Er beugte sich weiter herunter und küßte sie auf die Augen, auf die Nase und schließlich fanden sich seine Lippen auf ihren wieder. Es war kein erotischer, brennender Kuß, nein, er liebkoste ihrer Lippen mit kaum wahrnehmbarer Berührung. Es war mehr ein sanftes ruhen auf ihren Lippen, was er durch kleinste Bewegungen seiner Lippen unterbrach. Diese Art der Berührung hatte er noch nie in seinem Leben erfahren und änderte dieses schlagartig. Er unterbrach seine Liebkosungen und rückte ein wenig von Karo weg, sodaß er sie sehen konnte. Was er noch vor einem Bruchteil einer Sekunde für sie empfunden hatte, war in einer großen Wolke verpufft. Dieses Gefühl war weg. Einfach weg! Mit Tränen in den Augen schaute er Karo an.
„Ach Karo, warum hat es nur dazu kommen müssen?“ sagte er leise zu ihr. „Ich hatte Gefühle für dich. Starke Gefühle. Aber sie sind nach dieser Berührung einfach verschwunden. Verzeih mir, ich kann es nicht ändern.“ Er weinte still und streichelte dabei ihr Gesicht. Dann ließ er von ihr ab und verließ das Schlafzimmer. Vor der Tür atmete er die frische Luft ein und wischte sich die letzten Tränen aus den Augen. Er wußte, daß diese Gefühle zu ihr nie wieder kommen würden. Er wußte, jetzt beginnt ein harter Kampf in seinem Leben. Ein Kampf, den er gewinnen wollte. Ob er deswegen mit seiner Familie brechen müßte? Er atmete tief ein, ging zurück in das Schlafzimmer und kniete sich vor die Bettkante. Sein Mund war ganz dicht an ihrem Ohr und er flüsterte kaum hörbar:
„Karo, nach dieser Berührung ist nichts mehr so, wie es mal war. Ich bin ein Inder und du eine Deutsche, aber wir sind Mann und Frau. Ich habe dich geliebt, aber jetzt ist es anders. Ich schenke dir alles, was du zum leben brauchst. Karo, auch wenn es schwer wird, ich liebe dich so sehr, daß ich alle Hürden auf mich nehmen werde. Karo, ich möchte, daß du meine Frau und die Mutter unserer Kinder wirst. Karo, ich schenke dir meine Leben!“


Dev hatte die Tür hinter sich geschlossen und war in die Nacht getreten. Er war auf dem Weg zu Lilly und überlegte, wie er ihr gegenüber treten sollte. Sie waren sich ja schon begegnet, aber nur im Messenger. Was würde sie wohl sagen, wenn ich nun leibhaftig vor ihr stehe, dachte er sich und verlangsamte seinen Schritt. Mit den Händen in den Taschen kickte er ein Steinchen mit dem Fuß weg, was direkt auf dem Weg lag. Er könnte ja eine Weile herumlaufen und dann wieder zu Akash gehen. Sie wäre nicht da gewesen, könnte er ihn anlügen. Er lief weiter. Seit wann bin ich denn so ein Feigling? Ihn beschlich ein ungutes Gefühl, als er die Hütte der beiden Frauen erreicht hatte. Sie lag am anderen Ende des Hüttendörfchens. Unschlüssig wiegte er sich vor der Tür und hob dann seine Hand und setzte zum Klopfen an. Da Licht brannte, wußte er, daß sie da sein müßte. Ehe er wußte wie ihm geschieht, wurde die Tür aufgerissen und Lilly stand mit wütendem Gesicht vor ihm. Wie eine Statur aus Stein gemeißelt bot er ihr das Bild eines Mannes mit einem verdutzten Gesicht, deren geballte Hand zum Klopfen angesetzt war. Nur das jetzt die Tür zum Klopfen fehlte und die Hand in der Luft schwebte. Sie kam wie ein Tiger auf der Jagd mit ihrem Oberkörper näher, schaute an ihm links und rechts vorbei und musterte ihn dann.
„Wer sind Sie denn?“ warf sie ihm schroff an den Kopf. Was für eine Frau, schoß es ihm durch den Kopf. Er änderte seinen Gesichtsausdruck und entschied sich zu einem neutralen Ausdruck, um sie nicht weiter zu reizen. Die Hand vergaß er in der Luft.
„Was stehen Sie hier mitten in der Nacht vor meiner Tür? Und überhaupt, haben Sie Lähmungen?“ Sie blieb bei ihrem schroffen Ton. Er seufzte, wußte er doch, daß dies hier jetzt nicht einfach für ihn zu erklären sein würde. Unmerklich senkte er seine Hand und setzte zum Reden an.
„Ich...also, Sie…wir haben…ihre…“ stammelte er und sah, daß sie sich zu entspannen begann. Herausfordernd verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und legte ihren Kopf schief.
„Na das hab ich gern! Erst mir einen Schrecken einjagen und nun nicht zu wissen, was man will!“ stellte sie ironisch in den Raum. „Na, dann überlegen Sie mal schön. Gute Nacht!“ Mit einem Knall warf sie ihm die Tür vor der Nase zu. Er stand wie ein Vollidiot da und drehte sich zum Gehen um. Das hatte er noch nie erlebt, wie eine Frau so ein Zorn ausstrahlen konnte. Im Messenger war sie ihm immer nett und liebevoll begegnet. Es wird wohl ein Unterschied sein, ob man sich über tausende von Kilometern über einen Bildschirm unterhält oder ob man sich direkt gegenüber steht. Gerade wollten seine Beine den Rückzug antreten, da meldete sich sein Stolz. Seit wann wußte er nicht, was er wollte? Seit wann knallte ihm einer die Tür vor der Nase zu? Und seit wann gab er so schnell auf? Ruckartig drehte er sich abermals um und klopfte an die Tür. Es dauerte ihm zu lange und er klopfte energischer. Jetzt ging alles ganz schnell. Die Tür wurde von ihr genauso energisch aufgerissen, wie er geklopft hatte. Er trat ein, schlug die Tür hinter sich zu und stand ihr direkt gegenüber. Ihre Augen funkelten mit einer gefährlichen Mischung aus Zorn und Angst.
„Ich weiß immer, was ich will!“ zischte er mit Nachdruck und ehe sie es sich versah, nahm er sie in die Arme und küßte sie leidenschaftlich, bis sie keine Luft mehr bekam. Sie war von seiner Aktion so überrumpelt, daß sie sich anfangs heftig wehrte und je länger der Kuß dauerte, desto mehr gab sie sich der Leidenschaft hin. Als er von ihr abließ, grinste er sie an und fing sich eine saftige Ohrfeige ein. Er grinste weiter. Wie das Pflänzchen ´Rühr-mich-nicht-an´ tat sie so, als sei der Kuß die reinste Beleidigung für sie gewesen. Unbeirrt ging er auf den Tisch zu und setzte sich. Schnaubend von soviel Dreistigkeit in einer Person, setzte sie sich ihm gegenüber und starrte ihn böse an.
„Fanden Sie das eben witzig?“ kam ihre Frage fordernd nach Aufklärung. Er beugte sich ein wenig über den Tisch und flüsterte hämisch:
„Nein, aber leidenschaftlich! Und ich hätte nichts gegen eine Fortsetzung.“ Er stoppte ihren Arm in der schwungvollen Bewegung, die ihm eine neue Ohrfeige bringen sollte. Überrascht schaute sie ihren Arm an, der das Ziel verfehlt hatte. Er wurde ernst und ließ ihren Arm los. Wütend zog sie ihren Arm ganz dicht an sich heran, um zu demonstrieren, daß sie immer noch Besitzerin dieses Armes war und drehte ihm die Schulter zu. Ihr war die Stimmung, die gerade am kippen war, nicht entgangen. Obwohl er fremd war, wurde sie das Gefühl nicht los, daß sie ihn doch zu kennen schien. Verstohlen blickte sie ihn von der Seite an. Er war ein gutaussehender Mann, der sich nicht zu verstecken brauchte. Und er war ein halben Kopf größer als sie. Das Gesicht zeigte weiche gütige Züge. Stark war er auch, wie sie eben zu spüren bekommen hatte. Er schaute ihr direkt in die Augen und lächelte versöhnlich. So leicht wollte sie es ihm nicht machen. Sie verzog keine Miene. Eher setzte eine beleidigte auf.
„Hat es dir nicht gefallen?“ fragte er angriffslustig. Sie schüttelte den Kopf über soviel Selbstüberschätzung.
„Was bilden Sie sich eigentlich ein? Kommen hier mitten in der Nacht angeschneit, dringen in meine Hütte ein, küssen mich ungefragt und wollen jetzt allen Ernstes wissen, ob es mir gefallen hat? Entschuldigen Sie, aber Sie sind doch nicht mehr ganz dicht im Kopf!“ antwortete sie und winkte dabei mit ihrer Hand vor ihrem Gesicht hin und her, stand auf und ging auf die Küchenzeile zu, um sich ein Glas Wasser zu holen. Sie nahm die Wasserflasche und griff nach dem Glas, als sie seine Kraft abermals durch die Form seiner Hände spürte, die sich warm um ihre Oberarme schlossen. Sie hielt inne und wartete ab, was geschehen würde. Unbemerkt war er aufgestanden und hatte sich hinter sie postiert.
„Hatte wir nicht schon schönere Momente?“ hauchte er ihr sanft durch ihre Haare. Sein Atem strif über ihre Wange und ließ sie erschaudern. Sie hielt weiter das Glas und die Flasche in den Händen, bereit zur Verteidigung. Er verstärkte den Druck in seinen Händen und kam näher an ihr Ohr heran.
„Ich hab mich nach dir gesehnt!“ Ihr Atem ging schneller vor Angst. Mit einer Wasserflasche aus Plastik konnte sie ihn unmöglich außer Gefecht setzten. Sie fing an zu zittern. Was wollte dieser Kerl von ihr? Er muß mich mit jemand verwechseln. Warum hab ich ihn nicht gleich wieder rausgeschmissen? Verzweifelt überlegte sie, wie sie sich wehren konnte.
„Ich habe dich vermißt. Wir kennen uns schon länger und ich hege Gefühle für dich.“ flüsterte er weiter in einem vertraulich aufbauenden Ton.
„Sie müssen mich verwechseln! Ich kennen Sie nicht und Sie mich nicht.“ antwortete sie halbwegs gefestigt.
„Du irrst dich.“, Liebvoll küßte er ihr Ohr, „Wir kennen uns. Wir wissen viel voneinander. Wir freuten uns jeden Tag aufeinander, bis du verreist bist und nun hier bist. Ich freu mich, dich zu sehen, Clockmaker.“ Klirrend ging das Glas zu Boden.


„Woher weißt du von Clockmaker?“ fragte sie vorsichtig, ohne sich umzudrehen. Sie starrte auf das Glas, was sich jetzt in seinen Einzelteilen präsentierte. Er hielt sie immer noch an den Oberarmen, sodaß sie sich nicht bewegen konnte, damit sie nicht in die Scherben trat. Ihr Zittern war ihm nicht entgangen.
„Ich bin Dev!“ hauchte er zärtlich. Jetzt bemerkt er, wie sich ihre Muskeln verkrampften.
„Wie kann ich da sicher sein, daß du Dev bist?“ fragte sie unsicher, jedoch zu wissen, daß er die Wahrheit sprach. Abwartend auf die nächsten Minuten lauschte sie den Beweisen, die ihr Dev eröffnete. Mit jedem Beweis an der Echtheit seiner Behauptung, entspannte sie sich. Dann drehte sie sich um und schaute ihn an. Sie musterte sein Gesicht.
„Du bist es wirklich! Keiner konnte die Geheimnisse wissen, die ich dir jeden abend verraten habe. Aber du hättest mich nicht küssen dürfen!“ sagte sie zögernd, während sie mit ihren Fingern über sein Gesicht fuhr.
„Es tut mir leid, aber ich sehne mich schon so lange nach dir. Und als ich mitbekam, daß du hier bist….“ Ein Kuß, leidenschaftlich ausgeführt von Lilly, unterbrach das Gespräch. Als er endete schauten sie sich verlegen an. Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln.
„Lilly, ich bin wegen Karo hier.“ Verwundert rückte sie mit dem Oberkörper von ihm ab.
„Wegen Karo? Was hat die denn jetzt?“ knurrte sie säuerlich. „Ich küsse dich und du kommst mir mit Karo. Verstehe, wer das will!“ Es behagte ihr gar nicht, daß ihre Freundin ungefragt den Platz in der aufsteigenden Leidenschaft zwischen ihr und ihm einnahm. Verärgerung war jetzt das einzige, was sie verspürte. Sie rollte die Augen und fragte ihn genervt:
„Was hat sie wieder gemacht? Melanie gerettet, die Rucksäcke vertauscht oder die Bilder im Meer versenkt? Sag es mir, was ist es?“ Er packte sie an den Schultern und blickte ihr fest in die Augen.
„Die Bilder? Sie sind hier?“ fragte er mit Nachdruck. Verwundert über sein plötzliches Interesse an den Bildern, flößte ihr die Situation Unbehagen ein.
„Ja, die Bilder! Wir haben sie hier.“ sagte sie selbstverständlich. Suchend schaute er sich um und drückte so fest an ihren Schultern, daß sie aufwimmerte. Jetzt bekam sie Angst und begriff langsam, was hier vor sich ging. Mit einem Ruck hatte sie es geschafft, sich aus seiner Umklammerung zu lösen. Sie trat hastig einige Schritte zurück und steifte dabei eine der Scherben, die immer noch auf ihre Beseitigung warteten. Schell und ohne Gnade schnitt sie sich die Fußsohle auf. Blut sickerte langsam den Boden entlang. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lief sie sich rückwärts von Dev entfernend in Richtung Schlafzimmer. Er schaute entsetzt auf den Boden und hatte keine Chance sie vor der Verletzung zu bewahren. Sie war einfach zu schnell gewesen. Ohne auf ihren Fuß zu achten, humpelte sie weiter. Mit zügigen Schritten stand er wieder vor ihr und sie vertrat sich die Beine, kam ins stolpern und fiel rückwärts auf den Boden. Dort robbte sie auf dem Hintern weiter in das Schlafzimmer.
„Lilly!“ brüllte er sie an „Verdammt, Lilly, was ist denn los mit dir?“ Sie achtet nicht auf seine Worte und robbte weiter, bis ihr Versuch der Flucht scheiterte, weil er sich mit einem Satz auf sie geschmissen hatte. Ein ächzten entfuhr aus ihrer Lunge unter sein Gewicht. Sie lag gefesselt von seinem Körper hilflos am Boden und fing an zu weinen. Die Nässe an ihrem Fuß vermehrt sich. Es war nicht die gesamte Wucht, die sie zum stoppen brachte, darauf hatte er geachtet. Er stützte seine Ellenbogen auf dem Boden ab und nahm ihr Gesicht mit beiden Händen und drehte ihren Kopf zu sich herum.
„Lilly!“ flehte er „Lilly, hör mich an. Bitte hör mir zu! Ich will dir alles erklären!“
Sie versuchte seinem Blick auszuweichen und wandte ihren Kopf ab. Er hielt dagegen.
„Bitte!“ flehte er abermals, in der Hoffnung, sie würde seinem Flehen nachkommen. Sie sah ihn durch die Tränen verschwommen und brachte unter seinem Gewicht nur ein gequältes ´Nein´ hervor. Er hatte Kraft und ließ es sie jetzt in voller Härte spüren. Mit einer geschickten Handbewegung und schnell wie ein Wiesel, entließ er ihr Gesicht, packte sie am Arm, zog sie auf die Beine, und entriß ihr den Boden unter ihren Füßen. Er hatte sie auf den Arm genommen und trug sie in das Badezimmer, was sich für ihn schwierig gestaltete, da sie sich heftig unter der Behandlung wandte. Dabei schrie sie, er sei, der, der Karo überfallen hätte und jetzt wollte er sie holen, Karo hätte er ja schon, es ging ihm um jeden Preis um die Bilder, hörte aber sofort auf, nachdem sie die Drohung von ihm erhaltenen hatte, daß er ihr diesmal eine Ohrfeige verpassen würde. Im Badezimmer setzte er sie auf den Toilettendeckel und blickte sie so durchdringend an, was sie veranlaßte, nicht zu fliehen.
„Was hat du mit mir vor?“ gab sie mit zitternder Stimme wieder. Verschreckt wie ein Reh saß sie da, in der Gewalt von diesem Mann.
„Deinen Fuß verbinden.“ antwortete er ihr kurz und knapp, während er Sachen für einen Verband zusammen suchte. Er fand einige saubere Mullbinden in dem Kulturbeutel und machte sich an Lillys Fuß zu schaffen. Sie ließ ihn gewähren. Hockend und kopfschüttelnd verband er den Fuß. Dabei schaute er ein paar Mal zu ihr hoch und schüttelte weiter den Kopf.
„Würdest du mir jetzt zuhören!“ befahl er ihr. Sie nickte langsam und schaute auf ihren verarzteten Fuß. Wortlos gab er ihr die Hand und stützte sie ein wenig. Humpelnd ging es zu Tisch. Sie nahmen beide platz und Dev fing ohne zu warten an, daß zu erzählen, was sich nach ihrem letzten Treffen im Messenger ereignet hatte. Nachdem er nach zirka zwei Stunden geendet hatte, blickte Lilly ihn an und nahm seine Hand. Zärtlich streichelte sie über seine Handrücken.
„Entschuldige bitte, wegen der Beschuldigungen! Jetzt laß uns zu Karo gehen!“ Sie ließ seine Hand los und stand auf. Als sie sich auf dem Weg zu der Hütte von Akash und Dev befanden, sagte sie zu ihm:
„Trotzdem werde ich meiner Schwester den Hals umdrehen, wenn ich zurück bin.“
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Beitrag26.05.2016 22:14

von Lyrika
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Sie liefen durch die Nacht und schwiegen. Beide hingen ihren Gedanken nach, bis Lilly eine leichte Berührung an ihrer Hand spürte. Sie ließ ihn wortlos gewähren und legte ihre Hand in seine. Das Klopfen in ihrer Brust nahm an Stärke zu, welches sie in keinster Weise als unangenehm empfand. Hatte sei sich schon einmal gefragt, wie es passieren konnte, daß ein Mann Gefühle in ihr auslöste, die sie nicht deuten konnte. Sie war ein sehr rational denkender Mensch und machte sich nichts aus Gefühlsduseleien. Aber jetzt, mit der Wärme seiner Hand und des erhöhten Herzklopfens geriet ihre Welt aus den Angeln. Zwei Möglichkeiten gab es. Entweder sie hört auf ihr Herz oder auf ihren Verstand. Die Antwort blieb aus, da er ihre Hand losließ, um die Tür zu seiner und Akashs Hütte zu öffnen. Er stand im Türrahmen und schwang seinen Arm einer einlanden Geste in den Raum. Sie trat ein und lächelte ihn unsicher an.
„Magst du einen Tee? Akash brüht Tee, den du in deinem Leben nicht vergißt.“ Ehe sie sein Angebot annehmen konnte, erschien Akash in der Tür zum Schlafzimmer. Erschrocken starrte er Lilly an und startete den Versuch, den gleichen Weg, den er eben gekommen war, zurück zu gehen. Dev kam auf ihn zu und legte ihm den Arm um die Schulter.
„Keine Angst. Sie hat nicht vor, dir wieder eine zu verpassen.“ lachte er und zeigte auf Lilly. Wie sie beide dort standen. Wie Ölgötzen, dachte Lilly und kam sich irgendwie vorgeführt vor. Peinlich berührt räusperte sie sich und ging auf Akash zu. Der ließ sie nicht aus den Augen und verspannte sich. Je näher Lilly kam, desto entspannter wurde er, bis er, als sie vor ihm stand, anfing zu lachen.
„Was seit ihr zwei eigentlich für Frauen? Eine haut mir ein blaues Auge und die andere klaut mir mein Herz.“ Mit einem ´Häh´ gab sie ihm zu verstehen, daß sie nicht verstand, was er ihr sagen wollte. Dev sah in ihr Gesicht, lachte ebenfalls und ruckte kurz an Akashs Schulter. Der schaute Dev verdutzt an und begriff, worauf der Freund ihn aufmerksam machte. Akash klatschte sich an die Stirn und sprach Lilly erneuert an:
„Entschuldige, aber jetzt in englisch. Wie war das am Flughafen? Langsames englisch?“ Er zwinkerte ihr zu und sie nickte.
„Tut es noch weh?“ fragte sie betreten, als sie das blaue Auge entdeckte. Nachdem er ihr bestätigt hatte, daß sie als Frau einen gewaltigen Schlag habe, willigte sie in das Angebot von Dev ein und setzte sich wenig später mit den beiden an den Tisch. In der Hand eine Tasse Tee. Dev hatte nicht übertrieben. Der Tee schmeckte herrlich und mit jedem Schluck fühlte sie sich in der Gegenwart der beiden Männer immer wohler. Sie lernten sich kennen und lachten über Lillys englisch, was doch allzu häufig zu Wiederholungen führte. Sie versprach im Laufe der Nacht, ihr englisch zu trainieren. Eine zweite Kanne Tee wurde gebrüht und das Gespräch gewann an Ernsthaftigkeit. Dev berichtet Akash, daß er Lilly bereits alles erzählt hatte, was sich nach dem letzten Treffen zwischen ihnen im Messenger, ereignete hatte. Dann trat ein Schweigen ein, daß Lilly schließlich unterbrach:
„Helft ihr mir, Karo in unsere Hütte zu bringen? Ich möchte nicht, daß sie sich erschreckt, wenn sie wieder aufwacht. Sie ist eine sensible Person und würde bestimmt einen hysterischen Anfall bekommen, wenn sie in einem fremden Bett aufwacht.“ Sie kamen der Bitte von Lilly nach und Akash trug Karo auf seinen Armen in ihre Hütte. Er drückte sie den ganzen Weg an sich. Dev und Lilly liefen hinter ihm und taten das, was sie auf dem Hinweg getan hatten. Sie hielten sich wortlos an den Händen und paßten auf, daß Akash nichts mitbekam.
Nachdem er Karo in ihr Bett gelegt hatte, gesellte er sich zu den beiden vor die Tür. Zu dritt saßen sie auf der Türschwelle und schauen schweigend der Dämmerung zu, die den neuen Tag mit sich ziehen würde. Nach einer Weile stand Lilly auf, ging ein paar Schritte nach vorne und drehte sich zu den beiden Männern um. Welche Ähnlichkeit sie doch miteinander hatten, wenn die zarte Dämmerung sie berührte. Beide hatten diese schönen schwarzen Haare, die gleichende Statur und dazu diese Wärme, die beide ausstrahlten. Und ihr fiel auf, daß beide eine Männlichkeit besaßen, die ihr die Knie weicher werden ließ. Fragend schauten Akash und Dev ihrem Treiben zu. Sie zog leicht den Mundwinkel nach oben und wunderte sich über ihre Gefühle. Sicher, sie hatte schon viele Inder gesehen, aber sie hatte sie sich noch nie so genau angeschaut. Da saß Dev, den sie nur aus dem Messenger kannte und das saß Akash, dem sie schon auf dem Flughafen ihre Abneigung gezeigt hatte. Und nun? Nun hatte sie zu beiden ein Gefühl entwickelt. Den einen habe ich geküßt und den anderen habe ich geschlagen, dachte sie. Unterschiedlicher konnten ihre Gesten nicht sein und doch verband sie was auf unheimliche Weise zu beiden. Scheiß Gefühle, murmelte sie und setzte sich wieder zwischen die beiden. Sie stellten keine Fragen.
Die Dämmerung gewann an Kraft. Akash bemerkte, daß sich der Tee an anderer Stelle meldete, stand auf und entschuldigte sich. Er ging in die Hütte und ließ dir Tür hinter sich auf. Dev schaute ihm über seine Schulter nach und wartete darauf, daß sich die Tür zum Badezimmer hinter Akash schloß. Als dies eintrat, stand er auf und zog Lilly zu sich in die Höhe. Sie standen sich in der Dämmerung gegenüber und ließen ihren Gefühlen freien Lauf. Abermals fanden ihre Lippen zueinander und zeugte von Leidenschaft. Sie bemerkten nicht, daß sich die Tür von Schlafzimmer öffnete und Karo in den Raum trat.

Der schlechte Geschmack auf meiner Zunge brannte sich zu meinem Bewußtsein und ließ mich wach werden. Hatte ich nicht eben noch an der Theke gesessen und versucht mit Alkohol der Realität zu entkommen? Aber wie kam ich in mein Bett? War ich etwa selber hierher gewankt? Vielleicht hatte mich Lilly in Schlepptau genommen? Langsam nahmen die Nervenzellen ihre Arbeit auf. Ja, ich hatte an der Theke gesessen und irgend jemand stand vor mir. Dann suchten meine Nervenzellen nach weitern Informationen, deren Erfolg aber ausblieb. Strafend sendete mir mein Körper, daß er über diese Behandlung nicht erfreut war. Auf häßliche Art und Weise fiel meinem Körper nicht ein, mir auch nur ein klares Bild zusenden. So sehr ich auch meine Augen zusammenkniff, sie weigerten sich. Ok, dachte ich mir, dann eben nicht. Vielleicht wird es ja besser, wenn ich aufstehe. Kaum hatte ich mich aufgesetzt, fing der Raum um mich herum an, zu tanzen. Wenn ich mich jetzt darauf einlasse, dann kotze ich das ganze Bett voll. Eigenartigerweise war mir aber nicht nach kotzen, sondern nach einem Schluck Wasser. Ich kam mir vor wie eine Destille. Noch nie hatte ich Alkohol in diesen Maßen genossen. Gegossen wäre der treffendere Ausdruck, brummte ich und stand auf. Mechanisch taten meine Beine, wozu sie bestimmt waren. Sie standen. Na, das ist ja schon mal ein Anfang. Jetzt nur noch laufen, befahl ich meinem Gehirn. Die Befehlverweigerung setzte sich fort. Gut, ermahnte ich meinem Kopf, auf deine eigene Gefahr und trat unsicher in den tanzenden Raum. Hilfe noch mal, ist das ein ätzendes Gefühl gegen seinen Machtgeber im Kopf zu arbeiten. Ich kämpfte mich bis zur Tür durch, die es lustig fand, sich immer wieder zu verschieben. Nach ein paar Fehlgriffen erwischte ich die Klinke und öffnete sie triumphierend. Haste dir so gedacht, lachte ich innerlich der Tür zu und wankte auf unsicheren Beine weiter. Die Sicht stellte sich nur schleppend ein. Mehrmals riß und kniff ich die Augen weit auf, um nicht hinzufallen. Ok, ich wußte spätesten jetzt, was ich in meinem Leben nie wieder tun werde: Alkohol! Nie wieder! In der Mitte des Raumes schaute ich hoch und blickte direkt in ein Bild, was mich schlagartig nüchtern werden ließ. Unsere Tür stand offen und ich konnte sehen, daß sich die Dämmerung eingestellt hatte. Die Silluette, die sich mir bot, versetze mich in Erstarrung. Umschlungen und in fester Hand der Leidenschaft küßten sich zwei Menschen. Zwei Menschen, denen ich mein Vertrauen, meine Gefühle, meine Schwächen gebeichtet hatte. In diesem Moment zertraten sie mein Herz. Der Schmerz, der durch das Zerreißen meines Herzens entstand, drückte den Alkohol zur Seite und brannte statt dessen in meinen Adern. Sie waren so beschäftigt mit sich, daß sie mich nicht bemerkt hatten. Ich konnte sehen, wie aus einem Kuß eine Folge von Küssen wurde, die an Intensität zunahmen. Die Zeit hatte gereicht, die ich nebenan hilflos dem Alkohol ausgeliefert, um sich näher zu kommen. Sie hatten die Situation schamlos ausgenutzt. Ich starrte auf das Unglaubliche und drehte mich leise um. Als ich auf dem Bett lag, kamen keine Tränen. Das Bild zeichnete sich ab, egal ob ich die Augen geöffnet hatte oder geschlossen. Knallhart sendeten mir die Nervenzellen eine unerbitterliche Wahrheit: In der Dämmerung hatten sich Lilly und Akash ihrer Erregung hingegeben.



Ich bin irgendwann mit dem Bild vor meinem geistigen Auge eingeschlafen und wurde durch ein Geräusch geweckt. Die Orientierung setzte zum Glück gleich ein und ich riß die Augen auf. Flachatmend lag ich auf dem Rücken und starrte an die Decke. Es war ein Gefühl der Machtlosigkeit, das sich wie ein dunkles Tuch über mich legte. Akash und Lilly. Ich konnte und wollte es nicht glauben. Es lag bestimmt am Alkohol, beruhigte ich mich selber, was meine Gefühlswelt noch mehr durcheinanderbrachte. Mußte man sich immer selber so anlügen? Langsam drehte ich den Kopf zu meiner linken. Dort lag sie, die Antwort auf meine Frage. Nein, das war keine Lüge, sie lag neben mir. Die Freundin, die vertraute Freundin, die mich vor Stunden bestialisch verraten hatte. Ich sah ihre entspannten Gesichtszüge. Sie mußte sich ja noch prächtig amüsiert haben. Mein Blick wanderte über ihr Gesicht und zeigte mir auch noch ein kleines Lächeln, das ihren Lippen entsprang. Je näher ich sie mir ansah, desto mehr wuchs meine Wut zu ihr. Auf einmal hatte ich Lust genau in dieses lächelnde Gesicht zu schlagen. Mit voller Wucht und voller Haß auf sie. Aber was hätte das an dieser Situation geändert? Sie hatte das zarte Band zwischen Akash und mir zerschnitten. Die Küsse, die sie tauschten, unterschrieben meine steigende Abneigung gegen sie beide. Sie hatten mich verraten und verkauft. Ich kam mir mehr als schäbig vor. Hatte sie denn das recht, mir Akash wegzunehmen? Aber konnte sie mir etwas wegnehmen, was mir gar nicht gehörte? Was mir nie gehört hatte? Ich dachte über Akash wie über einen Gegenstand nach. Getrieben von der Unruhe, die meine Gedanken absonderten, stand ich auf. Eigenartigerweise hatte ich keine Folgeerscheinungen der letzten Nacht durch den Alkohol. Ich ging in das Badezimmer und duschte ausgiebig. Als ich fertig war, bemerkte ich kleine Blutflecken auf dem Boden. Verwundert beugte ich mich ihnen entgegen. Blut? Ich tastete meinen Körper ab, schaute in den Spiegel, konnte aber keine Verletzung an mir feststellen. Komisch, wer hatte sich denn hier verletzt? Es konnte aber auch keine große Verletzung sein, da die Blutstropfen klein und auch wenig waren. Oder klebten sie schon länger hier? Ich beobachtete die Flecken und trocknete mich dabei weiter ab. Jetzt fühlte ich mich frischer und ging mit dem Handtuch um meinen Körper geschlungen in das Schlafzimmer zurück. Die neue Kleidung für den Tag war schnell ausgesucht und angezogen. Das nasse Handtuch fand seinen Platz zum Trocknen vor der Hütte. Ich hatte Durst und ging in die Hütte zurück. Mit einem Zug leerte ich eine halbe Flasche Wasser und schaute mich in unserer Hütte um. Es kam mir in diesem Moment so widersprüchlich vor, unsere Hütte! Verträumt hielt ich die Flasche in der Hand und dachte darüber nach, daß ich mit Lilly Indien entdecken wollte. Und was ist aus diesem Urlaub geworden? Eine gekündigte Freundschaft und ein gebrochenes Herz. Mit einem Kloß im Hals trat ich vor die Hütte, blieb auf der Türschwelle stehen und setzte zum Trinken an. Das Gedanken und Körper sich auch nie absprechen können. Ich verschluckte mich, weil mein Gehirn ungefragt die Schwingungen der Türschwelle verarbeitete und sie mir auch uncodiert sendete. Hier hatten sie sich geküßt, war die Botschaft. Die andere Hälfte meines Gehirns war noch mit einem meiner Urinstinkte beschäftigt und wurde mit dem Verschlucken von Flüssigkeit bestraft. Zeitgleich setzte ich in mitten des ganzen Chaos die Flasche ab, deren Inhalt mir ungehindert den Hals herunterlief. Fluchend ging ich ein paar Schritte zurück in die Hütte und streifte mit meinem freien Arm das laufende Wasser aus meinem Gesicht. Zur Strafe stellte ich die Flasche unsanft auf dem Tisch ab. Mein Blick streifte zur Seite und blieb an den Koffern von Lilly hängen. ´Ja, natürlich war es schön. Ich hab es genossen!´ hallte es in meinen Ohren. Diesen Satz hatte sie zu mir am Stand gesagt. Und was würde sie mir jetzt beichten? Das es das war, wonach sie ihr Leben lang gesucht hatte? Sich mit Akash in inniger Umarmung vor unserer Hütte zu küssen, während die beste Freundin nebenan liegt? Mir wurde übel und ich rannte auf die Toilette. Das Wasser nahm den anderen Weg aus meinem Körper. War es der Restalkohol oder der Gedanke an das sich liebende Paar, was mich zum kotzen gebracht hatte? Erschöpft rappelte ich mich hoch. Genervt wischte ich mir mein Gesicht trocken und ging aus dem Badezimmer. Da stand ich nun verloren in dem Vorraum unserer Hütte. Ich wollte es noch einmal probieren und setzte die Flasche Wasser zum Trinken an. Diesmal klappte es ohne Zwischenfälle und ich behielt es auch bei mir. Ich stellte die leere Flasche auf die Küchenzeile, drehte mich herum und ging auf die Koffer zu. Mit einem entschlossenen Ruck befanden sich die Koffer in der Luft und wurden von mir vor die Tür gestellt. Dann setzte ich mich in der Hütte auf einen der Stühle, legte meine Arme auf den Tisch und beobachtete das Schlafzimmer. Wie eine Katze, die vor dem Mauseloch wartet, wartete ich darauf, daß Lilly aufwachen würde und aus dem Schlafzimmer treten würde. Die Zeit verstrich und ich starrte weiter. Unter anderen Umständen, wäre ich mir so was von dämlich vorgekommen, aber hier ging es jetzt um mehr. Um viel mehr! Ich ließ die Zeit nicht einfach verstreichen. Ich brütete über meine Gedanken, die sich mit Gefühlen, Emotionen und Erlebten abwechselten oder Übereinstimmung fanden. Ich schob den ganzen Wust hin und her, her und hin, verwarf Gedanken, strickte neue und beobachtete weiter. Ich vertiefte mich in meine Gedanken, wandelte in ihnen und beobachtete weiter und weiter. Mein Gesicht, der ganze Körper war unter meiner Folter angespannt. Ich befand mich in einer Art Trancezustand und mein Gehirn verarbeitete unzählige von Informationen, die keine Störung zuließ. Noch nicht einmal von mir selber. Es rauschte in meinen Ohren und mir wurde schwindelig. Dann plötzlich, ein Ruck, ein Stillstand und es tat sich mir ein fertiges Puzzle auf. Ich entspannte mich und spürte die Reinheit, die mir mein Gehirn sendete. Es fühlte sich herrlich an, dieses Gefühl. Dieses Gefühl, welches Rache genannt wird. Mein Kopf hatte mir aus all den Informationen, Kränkungen und dem Verrat, den perfekten Plan gesendet, wie ich Lilly und Akashs Liebe vernichten konnte. Nicht nur für einen Moment, sondern für immer. Ich lächelte mit einer Genugtuung, stand auf und ging in das Schlafzimmer, um Lilly zu wecken.
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Lyrika
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Liebe einen Inder
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Beitrag17.07.2016 21:11

von Lyrika
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„Karo“ rief mich eine Stimme in leiser Tonlage. Ich hatte gerade die Türklinge zum Schlafzimmer heruntergedrückt und erstarrte bei dem Ruf meines Namens. Die Klinge entließ ich aus meiner Umklammerung. Mit geschlossenen Augen atmete ich einmal tief durch, öffnete die Augen wieder und drehte mich herum. Dieser Mann, dieser wundervolle Mann. Er raubt mir alle Sinne, dachte ich und er hat dir so weggetan, erinnerte mich mein Teufelchen auf der Schulter. Wie er dort in der Tür stand. Fragend, hilflos, irritiert, aber dabei so unheimlich männlich. Sein frischer Duft strömte zu mir herüber. Das Engelchen auf meiner Schulter flüsterte, ich solle mich in seine Arme schmeißen und das Teufelchen war der Meinung, ein Schlag ins Gesicht wäre das Richtige. Wir standen uns gegenüber, weit entfernt voneinander, weiter als mir lieb war. So entfremdet kam ich mir ihm vor. Ich schaute ihn an und konnte nicht begreifen, daß er mich so leidenschaftlich geküßt hatte. Die Süße des Kusses stieg ihn mir auf. Ich spürte seine Lippen auf meinen, so sehr hatte sich die Leidenschaft eingebrannt, daß seine bloße Anwesenheit das Feuer in mir entfachte. Nein, brüllte ich meine imaginären Freunde auf meinen Schultern an und weiter:
„Schluß jetzt!“ Die letzten beiden Worte hatte ich laut gesagt und bemerkte es, als er mich achselzuckend anschaute. Ich winkte genervt ab und ging einfach auf die Küchenzeile zu.
„Ich wollte nach dir sehen. Wie geht es dir?“ fragte er. Mir stieg die Röte ins Gesicht. Ich änderte meinen Kurs und steuerte auf ihn zu. Ich kam ihn so nahe, daß sich unter sanften Umständen ein Kuß zwischen uns ergeben hätte. Jetzt aber blieb ich gefährlich nahe vor ihn zum stehen und platze:
„Du besitzt die Frechheit, mich zu fragen, wie es mir geht? Wie soll es mir schon seit letzter Nacht gehen?“ zischte ich ihm ins Gesicht und blickte ihn dabei haßerfüllt in die Augen. Er ging erschrocken ein Stück mit seinem Gesicht zurück, um Distanz zu gewinnen.
„Na ja, ich meine nach so viel Alkohol, daß es dir…“ stammelte er und wurde jäh von mir unterbrochen.
„Ja, das kam dir doch ganz recht. Du hast natürlich die Gunst der Stunde genutzt. Hast gedacht, die kleine doofe Karo, die bekommt das nicht mit. Mich so fallen zu lassen, du Arsch!“ brüllte ich ihn mit gedämpfter Stimme an und erhob meinen Zeigefinger, der wütend um seine Nase kreiste. „Wenn du gedacht hast, du hast es hier mit einer Dummen zu tun, hast du dich geschnitten. Ich werde dir die Hölle heiß machen. Zieh dich warm an!“ Er flackerte mit den Augenlidern, denn er folgte dem Zeigefinger, der Gefahr lief, in seinem Auge zu landen.
„Ich hab es doch ganz sanft getan und war auch leise. Ich wußte nicht, daß du was gemerkt hast, sonst hätte ich dich darauf vorbereitet.“ Bei dem Wort vorbereitet, hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle und der Zeigefinger bekam Unterstützung von meinen anderen Fingern, die klatschend auf Akashs Wange landeten. Geängstigt zog ich meine Hand zurück und wartete auf seine Reaktion. Er starrte mich nur ungläubig an. Eigentlich erwartete ich jetzt, daß er mich anschreien würde oder ähnliches. Aber er starrte mich nur an und rieb sich die Stelle, an der meine Hand aufschlug. Dann beugte er sich unerwartet zu mir und küßte mich. Ich erwiderte mit gemischten Gefühlen den Kuß, brach das Unterfangen schnell ab und es klatschte das zweite Mal auf seine Wange. Die Vernunft meinerseits war stärker. Außerdem sahnte ich auf Rache und da wollte ich mich nicht durch aufsteigende Gefühle liebevoller Art einlassen.
„Warum schlägst du mich andauernd?“ stellte er überrascht fest und sah über meine Schulter hinweg. Ich folgte seinem Blick und bemerkte, daß er die Schlafzimmertür anschaute. Nun platzte mir endgültig der Kragen.
„Lillyyyyyy!“ brüllte ich, ohne ihn aus den Augen zu lassen „Lilly, du hast Besuch. Steh auf!“ Böse funkelten meine Blicke an ihm hoch und runter, blieben direkt an seinen Augen stehen. Er schüttelte den Kopf und blickte wieder auf die Tür. Etwas regte sich im Schlafzimmer. Ich ließ von ihm ab und ging mit wütenden Schritten in das Schlafzimmer.
„Steh endlich auf!“ kreischte ich hysterisch in den Raum und sah, daß Lilly schlaftrunken am Bettrand saß.
„Brüll doch nicht so! Ich bin nicht taub. Was machst du denn hier für ein Wirbel?“ gab sie verärgert von sich. Ich stapfte auf sie zu und riß sie am Arm hoch. Ich war wie von Sinnen und brüllte nur ´Raus´. Sie zog ihren Arm weg, lief an mir vorbei und sah Akash.
„Hallo, was machst du denn hier?“ gurrte sie zuckersüß. Es war das Gurren, was meiner zügellosen Wut die Nahrung gab. Ich schubste Lilly so schnell durch das Schlafzimmer in den Vorraum, sodaß sie gar nicht registrieren konnte, was gerade passierte. Mit einem letzten Stoß in ihren Rücken fiel sie Akash in die Arme, der sie auffing, bevor sie auf den Boden stürzen würde. Das Bild, beide Arm in Arm, gab mir die Kraft, beide mit wüsten Beschimpfungen und weiteren Stößen vor die Tür zu schubsten. Die beiden wankten, immer noch umarmt, durch meine Stöße und ihr eigenes Laufen ins Freie und blieben erstarrt stehen. Ich hielt die Tür, bereit zum zuschlagen in der Hand, und schrie hysterisch:
„Lilly, laß dich hier nie wieder blicken und Akash, du auch nicht! Zieh zu ihm, dann könnt ihr es ausleben, wie ihr wollt. Ich hasse euch! Ich hasse euch aus tiefstem Herzen!“ Krachend flog die Tür in die Angeln. Ich sank weinend hinter der Tür zusammen, in dem Bewußtsein, daß ich Lilly in diesem Moment in die Arme meiner Liebe getrieben hatte. Es war alles außer Kontrolle geraten.



Durch die Tür hörte ich Lilly und Akash miteinander reden. Er wollte, daß sie mit mir sprach und sie erwiderte, sie könne darauf verzichten. Verschwommen nahm ich war, daß sie zu ihm sagte, daß es das Beste wäre, sie ziehe zu ihm. Etwas raschelte, dann kehrte Ruhe ein. Ich stand auf, öffnete vorsichtig die Tür einen Spalt weit und sah, daß die Koffer weg waren. Ich öffnete die Tür weiter, steckte meinen Kopf hindurch und wurde kurzzeitig in meiner Handlung bestätigt, daß Richtige getan zu haben. Mein Blick fiel auf ein sich umarmt laufendes Paar, das glücklich schien, ihre Liebe nun ohne mich ausleben zu dürfen. Leise schloß ich die Tür, rannte in das Schlafzimmer und schmiß mich auf das Bett. Nun lag ich dort und ekelte mich vor mir selber. So hatte ich noch nie reagiert. Ich hatte auch noch nie so geliebt. In diesem Moment schoß es mir wie eine glühende Kohle durch mein Herz. Ja, ich liebte Akash mehr als mich selber. Und nun wurde dieses Gefühl auf so schändliche Weise in seinem Keim erstickt. Es hatte keine Chance, zu wachsen. Und als mit bewußt wurde, das Lilly diejenige war, die dieses Gefühl erstickte, liefen mir, ohne das ich es wollte, die Tränen. Ich hatte beide durch meine Aktion verloren. Meine Liebe und meine beste Freundin. Schlechter hätte kein Film sein können. Die beste Freundin, der man vertraut hat. Die beste Freundin, der man seine Gefühle und sein Leben zu Füßen gelegt hat. Akash, die unvorbereitete Liebe, geboren in einem Flugzeug. Akash, der Mann, der die Leere in meinem Inneren füllte und meine Lippen nach Leidenschaft schreien ließ. An der Stelle, wo jetzt mein Herz sein sollte, klaffte ein riesiges Loch. Und es schmerzte. Um den Schmerz zu betäuben, stand ich auf, packte mechanisch meine Badesachen ein und ging zum Strand.


Akash trug die Koffer und Lilly hatte ihren Arm zur Abstützung um seine Hüfte gelegt. Humpelnd versuchte sie mit ihm Schritt zu halten.
„Geht´s?“ fragte er besorgt, als er bemerkte, daß sich ihr Gewicht auf seine Hüfte verlagerte.
„Ja, wenn du nicht schnell läufst, dann geht es schon. Ich nehme an, daß der Schnitt tiefer ist, als ich angenommen hatte.“
„Ok, wir machen es anders. Du humpelst mit mir bis zur Strandbar und läßt dich von einem Arzt versorgen. Ich bringe in der Zeit die Koffer in unsere Hütte.“ Lächelnd bejahte sie seinen Vorschlag und schaffte es unter zunehmenden Schmerzen bis zur Strandbar. Akash versprach ihr, sie wieder abzuholen. Er ging weiter und gerade als er die Koffer in die Hütte bringen wollte, kam ihm Dev entgegen. Verdutzt schaute er auf die Koffer.
„Was hat das zu bedeuten? Ich dachte, du wolltest nach Karo schauen.“ ergriff er das Wort und half Akash, die Koffer in die Hütte zu bringen.
„Soweit ich mitbekommen habe, haben die beiden sich gestritten. Jedenfalls hat Karo Lilly aus dem Bett gezerrt und rausgeworfen. Ich konnte nichts verstehen, weil sie sich auf deutsch gestritten hatten. Das ist jedenfalls das Ergebnis.“ erklärte er Dev und zeigte auf die Koffer. Kopfschüttelnd nahm Dev die Situation hin und räumte die Koffer in eine Ecke der Hütte.
„Soll das jetzt heißen, daß Lilly bei uns wohnen soll?“ fragte Dev lauernd und sah, wie Akash der Feststellung zunickte.
„Oh nein, Akash, nein…“ gab Dev abwinkend zum Ausdruck „Sie kann hier nicht wohnen. Wo soll sie denn schlafen? Und außerdem, sie ist eine Frau.“ Mit den Armen vor der Brust verschränkt stand er im Raum und sah Akash trotzig an.
„Ja, sie ist eine Frau. Na und, wo soll sie denn den Rest des Urlaubs schlafen? Am Strand? Auf einem der Liegestühle von der Strandbar? Dev…“ Er ging auf ihn zu und packte ihn bei den Schultern. „Wir besorgen uns die Liegestühle, stellen sie hier auf und sie kann dann im Bett schlafen. Das andere regelt sich von alleine. Komm, wir dürfen sie jetzt nicht hängen lassen.“ Versöhnlich schaute er Dev an. Dieser drehte, gefoltert von seiner Unschlüssigkeit, den Kopf hin und her. Dann nahm er seufzend die Arme herunter, willigte in den Vorschlag ein und machte sich auf den Weg zur Strandbar, um zwei Liegestühle zu besorgen. Akash informierte ihn, daß Lilly zwar auf ihn an der Strandbar wartete, aber es wohl keinen Unterschied macht, wenn er sie abholt.
„Aber…“ drehte er sich an der Tür noch einmal zu Akash herum „ die beiden sollen heute noch miteinander reden. Vielleicht vertragen sie sich ja wieder schnell.“ Akash schüttelte den Kopf und meinte:
„Das glaube ich nicht. Der Streit war zu heftig.“


Als Dev an der Strandbar ankam, sah er gerade noch, wie sich jemand von Lilly entfernte. Lächelnd ging er auf sie zu. Unsicher erwiderte sie sein Lächeln, als sie ihn sah.
„Das war eben der Arzt. Er hatte noch einen Splitter in der Wunde entdeckt. Aber jetzt, meinte er, würde alles gut abheilen können. Wo ist Akash?“ suchend schaute sie an Dev vorbei. Er bügte sich zu ihr herunter und nahm ihre Hand. In kurzen Sätzen erklärte er ihr, was Akash und er vereinbart hatten. Dankend fiel sie ihm um den Hals. Als sie sich aus der Umarmung gelöst hatte, half er ihr auf und fragte nach zwei Liegestühlen. Der Barkeeper stellte ihm diese zur Verfügung.
„Ich bringe dich erstmal zur Hütte und dann hol ich die Liegestühle ab.“ sagte er und legte ihren Arm um seine Hüfte. Zu schnell, wie sich herausstellte, wirbelte sie herum und stand ihm direkt gegenüber. Es knisterte kurz, dann küßte er sie ganz sanft.


Ich wollte mich nur noch ablenken und dachte, das Meer würde mir dabei helfen. Vielleicht hatte ich doch zu übertrieben reagiert? Würde mir Lilly tatsächlich soviel Leid zufügen? Sollte ich ihr nicht das Recht geben, mit mir zu reden, um die Dinge aus ihrer Sicht zu klären? Was ist, wenn ich im Unrecht war und sie mir meinen Ausbruch nicht verzeihen würde? Ich werde mich nicht an beiden rächen, sondern ihnen die Möglichkeit geben, mit mir zu reden. Mein Racheplan rückte in den Hintergrund. Die Gedanken wirrten in meinem Kopf. Als ich, immer noch nicht Herr meiner Sinne, den Weg zum Strand herunterlief, fiel mir auf, daß ich nichts zu essen und trinken eingepackt hatte. Noch einmal zurücklaufen, dachte ich erschöpft, da fiel mir ein, die Strandbar hat bestimmt schon auf. Der Weg wäre auch viel kürzer. Genervt durch diese Störung, änderte ich meinen Kurs und steuerte auf die Strandbar zu. Mit gesenktem Kopf und wilden Gedanken zog ich meines Weges. Kurz vor dem ersehnten Ziel erhob ich meinen Kopf, weil ich mitbekam, die Strandbar hatte schon geöffnet. Es tummelten sich schon einige andere Urlauber an der Theke. Ich stellte mich vor das Schild, welches die Angebote des Tages präsentierte. Schnell entschied ich mich für ein Sandwich und einer Cola. Der Barkeeper kam auf mich zu, um meine Bestellung aufzunehmen. Als er mich aber erkannte, zuckte er zusammen und bleib kurz stehen, kam dann aber weiter auf mich zu. Abwartend stand er vor mir und erwartete wohl, daß ich wieder Alkohol haben wollte. Dies konnte ich an seiner Handlung erkennen, weil er die Flaschen tiefer unter die Theke schob. Ich lächelte versöhnlich, entschuldigte mich bei ihm für die letzte Nacht und erklärte ihm, daß ich nur etwas zu essen und ein nichtalkoholisches Getränk haben wollte. Erleichtert lächelte er zurück und holte meine Bestellung. In der Zeit schaute ich mich an der Strandbar um. Mein Blick blieb an einem küssenden Paar hängen und ließ mich traurig werden. Ach Akash, warum können wir das beide nicht sein und… Mein Blick versteifte sich an dem Paar. Nicht, weil ich noch nie ein sich küssendes Paar gesehen hatte, nein, weil ich erkannte, daß die Frau Lilly war. Und der Mann, der mit dem Rücken zu mir stand, war Akash. Noch nicht einmal vor einer Stunde hatte ich beide aus der Hütte geworfen und nun ließen sie hier ihrer Liebe gleich den Auslauf. Mein Racheplan meldete sich aus der Versenkung und in diesem Moment stand für mich fest, es würde keine Aussprache geben. Nur noch Rache! Der Barkeeper kam mit meiner Bestellung und wußte nicht, wie ihm geschah, als ich ihm das Sandwich und die Cola aus der Hand riß und ihm das Geld auf die Theke knallte. Nun wollte ich nur noch zum Strand, nicht zur Ablenkung, sondern um meinen Racheplan weiter auszuschmücken.


Als sie sich aus der Umarmung Devs löste und über seine Schultern sah, bemerkte sie, wie sich eine junge Frau von der Theke entfernte. Eindeutig erkannte sie, daß es sich um Karo handelte. Der Rauschmiß hatte sie so gekränkt, daß sie weder das Verlangen verspürte, mit ihr zu reden, noch sich bemerkbar zu machen. Soll sie doch schmollen, dachte sich Lilly und widmete sich Dev.
„Ich humpele mal los. Du mußt ja die zwei Liegestühle tragen.“ sagte sie und lief los. Er schnappte sich die Liegestühle und so liefen sie in einem angemessenen Tempo zur Hütte von Akash und Dev.
„Wer hätte gedacht, daß wir uns mal auf so komplizierte Art kennenlernen.“ unterbrach sie nach einer Weile das Schweigen. Spontan lächelte er und sagte:
„Aber wir kannten uns doch schon. Na, nicht persönlich, aber wir kannten uns. Es wäre eh nur eine Frage der Zeit gewesen, wann wir uns treffen.“ Sie blieb kurz stehen, um ihrem Fuß eine kleine Pause zu gönnen. Besorgt schaute Dev sie an. Mit einer sachten Handbewegung beruhigte sie ihn.
„Geht gleich wieder.“ brachte sie mit leicht erschöpfter Stimme hervor. Was ihr fehlte, war Schlaf, stellte sie fest. Den hätte sie ja auch bekommen, wenn ihre Freundin Karo nicht diesen attraktiven Wutausbruch bekommen hätte, dachte sie bitter an den Rausschmiß. Was war denn bloß in sie gefahren? Die letzten Tage meckerte sie mit ihr nur noch herum. Egal, was es war, so kam es Lilly vor, sie hatte ständig etwas an ihr auszusetzen. Aber warum? Weil sie geraucht hatte? Stirnrunzelnd stand sie neben Dev und blickte ihn an. Der deutete den Gesichtsausdruck anders, stellte die Liegestühle an den Wegesrand und nahm Lilly auf den Arm.
„Du spielst hier nicht die starke Frau. Keine Widerrede!“ ermahnte er sie, bevor sie Luft holen konnte, um zu protestieren. Er trug sie bis zur Hütte und stellte sie auf der Türschwelle vorsichtig auf ihre Füße. Mit einem Kopfnicken und einem Küßchen auf der Wange gab er ihr zu verstehen, daß er die Liegestühle holen würde und sie solle schon einmal reingehen. Sie schaute ihm nach und ging, wie ihr befohlen, in die Hütte.
„Akash? Akash, ich bin es, Lilly.“ rief sie in den Raum und erschrak, als sie ihn am Tisch stehen sah. Er blickte sie wortlos an und hielt einen Gegenstand in der Hand. Zitternd streckte er ihr den Gegenstand entgegen. Sie erkannte, daß es sich um ihren Brustbeutel handelte. Zögernd und verwirrt nahm sie ihn an sich. Akash wirkt nicht weniger verwirrt.
„Ich wollte deine Sachen in das Schlafzimmer bringen, dabei ist er aus dem Koffer gerutscht. Alles lag auf dem Boden verteilt. Ich wollte nicht nachschauen, aber als ich deine Papiere zusammengesucht hatte...da hab ich erkannt, daß du…das ich…Lilly, ich…Lilly, ich liebe dich!“ brachte er stammelnd hervor. Sie hatte den Eindruck, daß er leuchtete, so weiß war sein Gesicht vor Verwirrung.
„Was redest du denn da? Ich versteh dich nicht…“ Weiter kam sie nicht, da er anfing durch die Hütte zu tigerte und sie unterbrach.
„Ich verstand es ja auch nicht, aber schon im Flugzug habe ich gewußt, daß ich dich liebe.“ Jetzt unterbrach sie ihn.
„Hör auf Akash! Du machst mir Angst. Ich weiß nicht, was das hier zu bedeuten hat. Du und Dev, ihr seid zu nett mir. Zu nett. Ihr laßt mich hier schlafen, aber ich glaube, das ist keine so gute Idee. Ist das ein Plan von euch? Wollt ihr so an…Na, klar, jetzt weiß ich, was hier gespielt wird. Es geht nicht um mich oder um Karo, es geht darum, uns zu entzweien, damit ihr sicher aus der Sache herauskommt. Ich bin ja so was von blöde. Und wegen euch hätte ich fast mit meiner Freundin gebrochen. Du hinterhältiger Kerl. Du und Dev!“ Ihre Stimme klang gedämpft und gewann mit jeder Silbe an Wut. Sie ging auf die Tür zu und wollte nur noch aus der Hütte. Mit einem Satz versperrte ihr Akash den Weg. Unerwartet der Handlung, wich sie zurück.
„Lilly, bitte höre mir zu. Wir haben dir doch alles erklärt, warum wir hier sind und warum es für uns wichtig ist, die Bilder zu bekommen. Bitte Lilly, vertraue uns. Und vertraue mir.“ Bittend sah er sie an. Sie drehte sich auf der Stelle um und ging in den Raum zurück. Sein Blick eben schien so ehrlich, daß sie sich plötzlich albern vorkam. Sie lehnte sich an die Küchenzeile.
„Entschuldige, ich bin ein wenig durcheinander. Ja; ihr habt mir ja gesagt, worum es euch bei den Bildern geht. Aber warum liebst du mich? Ich denke, du liebst Karo. Sie jedenfalls tut es. Und ich verliebe mich gerade in Dev. Akash, was ist hier los?“ fragte sie kopfschüttelnd. Langsam kam er auf sie zu. Verunsichert und unbewußt zum Schutz verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. Kurz vor ihr blieb er stehen, blickte ihr tief in die Augen und fragte sie:
„Vertraust du mir?“ Lange hielt sie seinem Blick stand.
„Ja.“ sagte sie zögernd, bereit für seine nächsten Worte.
„Dann höre mir zu, was ich dir sage. Du gehst jetzt schlafen und wenn du wieder wach bist, dann mußt du mit deiner Familie Kontakt aufnehmen. Wir haben hier ein Laptop und können in das Internet. Dev hat mir von deiner Schwester erzählt, die oft vor dem Computer sitz. Sie wird bestimmt Online sein. Wenn es dann soweit ist, stelle ich dir Fragen und du schickst sie ihr. Würdest du das für mich tun?“ Bevor sie antworten konnte, wurde ihr die Entscheidung von Dev abgenommen. Dieser stand mit den Liegestühlen unter dem Arm in der Tür und hatte Akashs letzte Worte mitbekommen.
„Was soll sie für dich tun?“ fragte er grinsend und stellte die Liegestühle in die Ecke des Raumes. Als er hoch kam, fiel ihm die gedrückte Stimmung zwischen den beiden auf. Er blickte zu Akash, der ihm mit einem Augenaufschlag zu verstehen gab, daß er sich jetzt nicht einmischen sollte. Die beiden Männer verstanden sich blind und Dev ging auf Lilly zu, nahm ihre Hand und sagte leise:
„Lilly, tu es für ihn, bitte!“
„Aber wieso meine Familie?“ schoß es aus ihr heraus.
„Mit deiner Familie ist alles in Ordnung. Ich will nur mit deiner Schwester sprechen. Tust du es?“ beruhigte Akash sie. Durcheinandergebracht blickte sie von einem zum anderen, bis sie durch ein Kopfnicken dem Vorschlag von Akash zustimmte. Dev küßte ihre Hand und zog sie in das Schlafzimmer. Kurze Zeit später stand er Akash gegenüber.
„Wir müssen reden?“ fragte er den Freund rhetorisch, da er die Antwort schon kannte. Akash holte tief Luft und deutet Dev an, sich vor die Hütte zu setzen. Er selber bereitete ihnen Tee und gesellte sich dann zu Dev.
„Akash, ich hab mitbekommen, wie du zu Lilly, sagtest, daß du sie liebst.“ brachte er mit erstickender Stimme hervor und umfaßte das Teeglas fester. Sollte es zwischen ihnen auch zu einem Streit kommen?
„Ja, Dev, ich liebe Lilly. Aber bitte…“ Er faßte Dev am Arm und schaute ihn an „Bevor du urteilst, höre mich an.“ Und als Akash geendet hatte, sagte Dev lächelnd zu ihm:
„Akash, jetzt weiß ich, warum du sie liebst.“
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Lyrika
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Liebe einen Inder
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Beitrag04.09.2016 21:18

von Lyrika
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Später am abend löste Lilly ihr Versprechen ein. Sie saß vor dem Laptop, links von ihr saß Dev, rechts von ihr Akash und dieser stellte ihrer Schwester eine Frage nach der anderen. Die Fragen gewannen an Inhalt und als die letzte beantwortet war, klappte Lilly den Laptop zu, atmete tief durch, stand auf und schaute beide Männer an.
„Ich muß zur Strandbar. Ich brauche jetzt einen Drink. Kommt ihr mit?“ Wortlos erhoben sich beide, faßten Lilly links und rechts unter und gingen schweigend zur Strandbar.


Was mich dieser Urlaub ankotzte, war mein Gedanke von der Strandbar bis zum Strand. Ich breitete mein Handtuch aus und setzte mich. Wie das Sandwich schmeckte, weiß ich nicht mehr, da ich es nur aß, ohne zu schmecken. Die Geschmacksnerven hatten keine Chance, da sie von meinem Racheplan überrumpelt wurden. Mit dem Blick auf das Meer ließ ich den Urlaub Revue passieren. Lilly, die Bilder, der vertauschte Rucksack, mein Überfall, Melanie, das Lachen und Streiten mit Lilly, das Durchwühlen unserer Hütte, der große Krach zwischen Lilly und mir, mein Alkoholexzeß, der Verrat von Akash. Akash. Bei dem Gedanken an ihn, mußte ich schwer schlucken. War ich mir nicht sicher gewesen, daß er meine große Liebe ist? Plötzlich bemerkte ich, wie müde ich war. Nicht durch Schlafmangel. Ich war müde von dem Suchen nach der Liebe meines Lebens. Mehr als einmal hatte ich eine Enttäuschung, gepaart mit Schmerz und Verlust durchgemacht. Und nun schon wieder? Und nun durch meine beste Freundin? Ich muß wohl einen lustigen Eindruck abgegeben haben, wie ich da so saß und brubbelnd mein Sandwich aß. Jedenfalls bemerkte ich, daß ich nicht mehr alleine am Strand saß. Ich schaute zur Seite und blickte geradewegs in zwei braune fragende Augen. Die letzten Tage hatten mich kaltschnäuzig werden lassen und so fiel es mir nicht schwer, den ungebetenen Gast anzupflaumen:
„Und was haben sie hier verloren? Ich kann mich nicht erinnern, um ihre Gesellschaft gebeten zu haben. Also, machen sie sich vom Acker oder ich werde sauer.“ Dann blickte ich wieder auf das Meer. Der Mann ließ sich nicht beirren und blieb sitzen. Er hatte mich wohl nicht recht verstanden, dachte ich und setzte zu einem neuen Versuch an, ihn zu verjagen.
„Haben sie Bohnen in den Ohren oder sitzen sie drauf? Gehen sie bitte und lassen mich allein, ja? Verstanden?“ gab ich ihm gereizt seine ungebetene Anwesenheit zu verstehen, ohne den Blick vom Meer zu wenden.
„Ich hab sie hier sitzen sehen und dachte mir, vielleicht möchten sie Gesellschaft haben.“ gab er versöhnlich von sich. Genervt drehte ich mich zu ihm und in diesem Augenblick nahm mein Racheplan einen anderen Weg. Ich lächelte und dankte dem Schicksal für diesen Mann. Hatte ich nicht vorhin an der Strandbar gelesen, daß heute abend ein geselliges Zusammensein geplant war? Das war meine Chance, Rache zu nehmen.
„Ja, entschuldigen sie, daß ich eben so schroff war. Ich hatte mich nicht auf Gesellschaft eingestellt. Ich bin Karo.“ gurrte ich und streckte ihm meine Hand entgegen. Stutzig über die plötzliche Stimmungsschwankung meinerseits packte er meine Hand.
„Ich heiße Emraan. Wie lange sind sie schon in Indien?“ Wir sprachen den ganzen Vormittag miteinander und es stellte sich heraus, daß Emraan ein ganz netter Mann war. Er berichtete mir, daß er auch nur Urlaub auf Goa mache, häufig in Deutschland sei und auch ein paar Wörter deutsch sprach. Wir lachten zusammen und als ich aufstand, um den Heimweg anzutreten, hatte ich mir von ihm eine Zusage geholt, daß wir beide heute abend zur Strandbar gehen würden. Der erste Teil meines Racheplans war in die Tat umgesetzt. Nun rieb ich mir die Hände und freute mich auf einen weitern reibungslosen Ablauf meiner Rache.
Am abend holte mich Emraan von der Hütte ab und ich hackte mich gleich bei ihm unter. Ich wollte gerade loslaufen, als er mich bat, die Toilette benutzen zu dürfen. Ich gewährte ihm den Gang und wartete in der Tür auf ihn. Nach einer Weile kam er aus dem Badezimmer und blieb mitten im Raum stehen. Er schaute sich um und es kam mir vor, als wenn er etwas suchte.
„Was schaust du dich denn so um?“ fragte ich leicht irritiert. Jetzt fiel mir auf, daß er den Raum systematisch abschaute. Dann sah er mich an und grinste.
„Ihr habt es euch ja richtig gemütlich gemacht. Was mich allerdings wundert ist, daß ihr gar nicht soviel Gepäck habt. Seid ihr nur mit Rucksäcken unterwegs? fragte er im lockeren Ton. Spätestens jetzt hätte mir auffallen sollen, wer Emraan wirklich zu schien sein. Mein Kopf hatte keine Möglichkeit mit rationellen Blicken die Situation zu beurteilen, da ich ihn mit meinem Racheplan jede Sekunde überschwemmte. Da ich immer noch sauer auf Lilly war, hatte ich am Strand nicht ein Wort über sie verloren. Warum wußte er, daß wir hier zu zweit wohnten? Und wieso fragte er so auffällig nach dem Gepäck? Der Kopf hatte keine Chance, sonst hätte er mich gewarnt, daß ich mich in Gefahr befand. Ich wollte nur die Früchte meiner Rahe ernten.
„Nein, wir haben schon Koffer dabei und einen Rucksack. Das ist doch jetzt egal, laß uns zur Strandbar gehen.“ sagte ich und zog ihn aus der Hütte. Er folgte mir bereitwillig und erkundigte sich über den Verbleib meiner Freundin. Ich winkte ab und gestand ihm, daß sie hier nicht mehr wohnt. Ich bin jetzt alleiniger Herr der Hütte, lachte ich und hackte mich abermals bei ihm unter. Mir entging dabei sein triumphierendes Lächeln, das nach der Information, auf seinem Gesicht entstand.


Die Strandbar war schon gut besucht, als mir Emraan den Stuhl vom Tisch rückte. Dankend nahm ich Platz. Schweigend sahen wir uns um. Der Abend war noch jung, jung genug, sodaß ich Melanie sah, wie sie auf unseren Tisch zukam. Ich hatte sie die letzten Tage nicht mehr gesehen und freute mich über ihren besuch. Sie plapperte darauf los, bis ihre Mutter sie wieder hektisch suchend bei uns fand, um sie ins Bett zu bringen. Melanie winkte mir noch fröhlich zu und ich machte mich an das übersetzen, damit sich Emraan nicht ausgeschlossen vorkam.
„Nettes Kind. Und so aufgeweckt.“ stellte er fest, nachdem ich fertig übersetz hatte.
„Ja, sie ist schon ein bemerkenswertes Kind. Da fällt mir gerade ein, ich wollte ihr noch ein Bild von mir geben, bevor ich fahre.“
„Ein Bild?“ Emraans Interesse wuchs und er rückte näher zu mir an den Tisch. „Ihr habt bestimmt viele Erinnerungsfotos gemacht. Wenn man schon mal in Indien ist, will man bestimmt gerne zu Hause zeigen, wie es hier aussieht.“ Sein Ton bekam einen heiseren Klang. Er sprach leise, obwohl die Tische neben uns frei waren.
„Ja, wir haben viele gemacht und noch so ein paar andere, aber die sind nicht von uns. Diese Bilder liegen hier ja schon entwickelt herum. Nun ja, die werden wir auch bald los.“ plapperte ich jetzt, wie kurz vorher Melanie es getan hatte. Mein Kopf hatte bereits aufgeben, mir zu helfen.
„Wie, ihr werdet die bald los? Was meinst du damit, ein paar andere Bilder?“ Er kam mir unangenehm Nahe und packte mich am Unterarm. Verstört starrte ich ihn an, denn der Druck auf meinem Unterarm war hart. Schnell ließ Emraan meinen Unterarm los und lächelte mich an und fragte mich, ob etwas ich zu trinken haben mochte. Um der Situation zu entkommen, stand ich auf und bot ihm an, die Drinks zu holen. Er willigte ein. Ich ging auf die Theke zu und hätte ich mich noch einmal zu ihm herumgedreht, dann hätte ich gesehen, daß er sofort zu seinem Handy griff und zu telefonieren anfing.
Ich stellte mich an die Theke und wartete auf den Barkeeper. Dabei hielt ich nach dem Barkeeper Ausschau, der mich zweimal in bösere Erinnerung haben mußte. Ich wollte mich bei ihm entschuldigen und griente ein wenig vor mich hin. Ich sah ihn nicht, aber was ich sah verschlug mir den Atem. Lilly hockte an der Theke, links ein Mann, der mir unbekannt war und rechts von ihr Akash. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich fing an zu zittern, denn was ich dort sah, ließ mich blind werden vor Wut. Sie küßte den Unbekannten und wenn sie das nicht tat, umarmte sie ständig Akash und gab ihm Küßchen auf die Wange. Und alle drei gaben sich der Fröhlichkeit hin. Ich hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Wie konnten sie mir das antun? Sie mußten doch wissen, daß ich auch zur Strandbar kam. Warum taten sie mir so weh? Und reichte Lilly nicht ein Mann? Und warum machte Akash da mit, daß sie den Unbekannten küßte? Nun war mir alles egal. Ich wußte, daß ich Emraan an die Theke holen wollte, mit ihm hemmungslos flirten würde und zwar so, daß sie es sahen. Ich wollte ihnen nicht diesen Triumph gönnen. Und wenn sie mich entdeckt haben würden, dann, ja, dann würde ich meinen Joker aus dem Ärmel ziehen und aus ist es mit eurer Liebe. In meinen Adern floß der blanke Haß. Dies bekam diesmal der andere Barkeeper zu spüren, als er meine Bestellung aufnehmen wollte.
„Ich will nur die Bilder.“ sagte ich steif und tonlos zu ihm. Ratlos schaute er mich an. Schnell erklärte ich ihm, was ich von ihm verlangte. Dann begriff er, ging auf die andere Seite der Theke, langte runter und kam mit der Fototasche wieder. Dankend vertröstete ich ihn, daß ich nachher etwas bestellen würde und ging zurück zu Emraan. Was ich nicht sah, Akash hatte mich entdeckt und hielt Ausschau nach mir.
Emraans Augen weiteten sich, als er mich mit der Fototasche sah.
„Willst du mir jetzt Indien zeigen?“ fragte er belustigt, ließ aber die Fototasche nicht aus den Augen. Ich setzte mich.
„Nein, das sind die Bilder, die uns nicht gehören. Dummer Zufall, daß wir sie haben, aber, sie sind mein Joker. Jetzt wird abgerechnet!“ raunte ich ihm entgegen und wirbelte die Fototasche in der Luft herum. Kurz kam es mir so vor, als wenn er sie sich greifen wollte. Und dann packte er tatsächlich meine Hand, in der ich die Fototasche hielt.
„Paß mal auf, Süße, du gibst mir jetzt ganz unauffällig die Bilder oder dir wird es ganz schlecht ergehen.“ sprach er mich gefährlich warnend an. Ich war so geschockt über sein plötzliches Verhalten, daß ich unfähig war zu reagieren. Die Zeit war stehengeblieben, so kam es mir vor, weil wir eine Ewigkeit so da saßen. Es tat sich  mir wie eine Matrix auf, als ich ihn mir näher anschaute. Und was ich sah, verarbeite mein Kopf endlich als Gefahr. Er hatte an der einen Stelle im Gesicht Schorf, was auf eine verheilende Wunde vermuten ließ. Und nun fiel mir auch sein schlechtes englisch auf.
„Du! Du hast mich die Nacht am Strand überfallen. Du hast unsere Hütte durchwühlt. Warum?“ stotterte ich aufgeregt, mir der Gefahr bewußt, in die ich mich durch blinde Wut gebracht hatte. Grinsend nickte er nur und verstärkt den Griff um meine Hand. „Gib mir die Bilder!“ drohte er mir und riß mich fast über den Tisch. Ich schrie vor Schmerz und Angst auf. Dann ging alles ganz schnell. Mit einem Ruck wurde ich vom Stuhl gerissen und landete unsanft auf dem Boden. Die Fototasche wurde mir entrissen. Ich wollte noch nachgreifen, packte anstatt ihrer eine Hand, die mir vom Boden aufhalf. Als ich wieder auf meinen Füßen stand, erkannte ich, wem die Hand gehörte.
„Lilly!“ hauchte ich verdattert. Im Folgenden waren wir beide nur Zuschauer. Der Ruck, der mich vom Stuhl beordert hatte, stammte von Emraan, aber nur, weil ihn Akash mit der Faust mitten ins Gesicht geschlagen hatte. Dabei ging er zu Boden und riß mich mit. Der Unbekannte und Akash schlugen sich kurz mit Emraan, der schnell begriff, daß er gegen zwei Männer keine Chance hatte und rannte in die Dunkelheit, die ihm den nötigen Schutz vor weiteren Schlägen der beiden geben würde. Akash und der Unbekannte ließen von ihm ab. Die Situation entspannte sich und nun standen wir vier uns wortlos gegenüber. Die Erleichterung ließ ich an Lillys Schultern aus, die mich dabei liebevoll in den Armen hielt. Akash kam auf mich zu und umarmte Lilly und mich gleichzeitig. In der Zeit, ging der Unbekannte los und holte uns Drinks. Ich löste mich aus der Umarmung und kam mir so hilflos und so unendlich dämlich vor, daß ich erneuert schlurzend an Lillys Schultern hing. Sie gewährte mir noch einen kurzen Augenblick und setzte mich dann auf den Stuhl. Dann setzte sie sich und die Männer ebenfalls. Sie strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte mich an.
„Karo, meine liebe Karo, hörst du mir jetzt einmal zu?“ fragte sie mich leise und sanft. Ich nickte immer noch schlurzend und nahm ihre Hand. Akash und der Unbekannte, der mir als Dev, der beste Freund von Akash, vorgestellt wurde, schwiegen. Lilly nippte an ihrem Drink und fing an zu erzählen:
„Karo, hör mir zu. Akash und Dev arbeiten in der Medienbranche. Sie hatten einen großen Auftrag in Deutschland. Beide sind immer auf der Suche nach den neusten Bildern. Bildern, auf denen Aufnahmen sind, die von dem neusten Film stammen, die die indischen Produzenten unter Ausschluß der Öffentlichkeit erlauben. Aber auch nur diese sind erlaubt. Sie werden von Leuten wie Akash und Dev teuer eingekauft und legal den Fans vorgestellt. Die Bilder, die wir haben stammen von dem neusten Film, der in Deutschland gedreht wurde. Nun hast du im Flugzeug die Rucksäcke verwechselt und dadurch das Projekt gefährdet. Denn da wo legal gearbeitet wird, wird auch illegal gearbeitet. Und dieser Kerl eben ist so einer von ihnen. Akash und Dev wissen von diesen Leuten. Diese Leute stehlen diese Bilder und verkaufen ihre harte Arbeit für viel Geld weiter. Das wir hier alle auf Goa zusammengetroffen sind, ist reiner Zufall. Du weißt doch noch, daß ich vor unserer Indienreise Kontakt zu Dev hatte. Ja, und wie es das Schicksal so will, hat meine kleine Schwester unter meinem Namen mit ihm ab und an gechattet. Und als Akash und Dev sich über uns unterhielten, da wurde ihnen bewußt, wie wir miteinander verbunden sein müssen. Dev quetschte meine Schwester über uns aus und so folgten sie uns nach Goa, in der Hoffnung, die Bilder wieder zubekommen. Sie waren früher als wir hier und beobachteten uns beide, bis sie mitbekamen, daß sich zwei von diesen Typen an unsere Fersen geheftet hatten. Du hattest recht, als du mir sagtest, du hat Akash am ersten Abend bei dem Film am Strand gesehen. Sie wollten in unserer Nähe sein, da sie ja wissen, wie gefährlich diese Typen sind. Dev hatte immer mich beobachtet und Akash dich. Du bist die Nacht alleine zum Strand und als der Kerl dich überfallen hatte, da war Akash nicht weit und hat ihn in die Flucht geschlagen. Deswegen hatte er die Wunden im Gesicht. Ich streckte ihn mit der Faust zu Boden, als du Melanie aus dem Meer gefischt hattest, weil ich ja dachte, er hätte dich überfallen. Es schien mir logisch, daß er es gewesen war, da er ja die Blessuren im gesicht hatte. Sie wollten nur die Bilder, die tatsächlich einen Bankraub zeigen, aber halt nur von dem neusten Film. Akash und Dev sind keine Bankräuber, wie wir dachten.“ Ich hatte aufmerksam zugehört und blickte alle drei verwirrt an. Nun hatte ich aber noch ein paar Fragen.
„Lilly, ich bin so durcheinander. Aber warum haben sich Akash und Dev nicht gleich an uns gewandt?“
„Weil sie nicht damit gerechnet hatten, daß wir uns zerstreiten würden und weil sie nicht mit der Liebe gerechnet hatten. Die hat uns allen gehörig den Kopf verdreht.“ stellte sie lachend fest. Ich blickte Akash und Dev an, die die ganze Zeit geschwiegen hatten. Nun lächelte ich und verstand warum.
„Wollen wir in englisch weiterreden, damit sich alles aufklären läßt?“ schlug ich vor und stellte gleich meine nächste Frage.
„Woher wußten denn diese Kerle, daß wir die Bilder haben und das wir auf Goa sind?“ Akash ergriff das Wort:
„Wir wissen ja, daß diese Typen mit ausgekochten Methoden arbeiten. Es ist kein Geheimnis, wo welcher Film wann gedreht wird. Das entgeht der Öffentlichkeit nicht. Denen war bekannt, daß wir im Besitz dieser Bilder waren und überlegten bestimmt, wie sie sie bekommen könnten. Es sind immer andere Kerle, die diese Arbeit erledigen, sodaß wir auch manchmal nicht wissen, wer sie sind. So wie auch in diesem Fall. Diese Kerle wären euch nie gefolgt, wenn es da nicht eine undichte Stelle geben hätte. Ihr habt doch die Filme entwickeln lassen und von diesem Moment an, wußten diese Typen, wer und wo die Bilder zu holen sind.“
„Ja, wir haben die Bilder entwickeln lassen, aber woher wußten diese Typen das?“ fragte ich neugierig.
„Der nette Mr. Dutt von eurem Hotel in Bombay traute wohl seinen Augen nicht, als er begriff, womit er es zu tun hatte. Ihm ist, wie fast jeden Filminteressierten in Indien, bekannt, welche Filme in der nächsten Zeit zu erwarten sind. Und er hat schnell geschaltet, denn es ist, wie gesagt, kein Geheimnis, was das für ein Film ist. Ein Gangsterfilm, mit einem Bankraub als Haupthandlung. Ja, und als er die Fototasche wiederbekam, hat ihm der Entwickler des Filmes alles brühwarm erzählt. Nun brauchte er nur noch zu schauen, wann ihr wo in Indien seid und somit hätten sie euch die Bilder wegnehmen können. Ein netter Nebenverdienst für den lieben Mr. Dutt.“ beantwortete Akash meine Frage. Ich atmete tief ein. So ein Schwein, dachte ich mir und schaute Akash an. Diese wunderschönen braunen Augen. Leider würden sie mir nicht länger den Verstand rauben dürfen.
„Aber ihr seid uns durch Lillys Schwester gefolgt. Wie konntet ihr wissen, wie wir zueinander standen?“ interessierte ich mich weiter für diese komplizierte Verwirrungsgeschichte.
„Ich hatte dir gesagt, daß ich dir helfe, Akash zu finden. Als du in Bombay in unserem Hotel duschen warst, habe ich nicht meinen Vater, sondern Akash angerufen. Den Zettel mit seiner Adresse hatte ich gefunden, als ich den Rucksack auf unserem Bett ausgeschüttet hatte. Eigentlich wollte ich Ruhe in diese Sache bringen, aber als ich bemerkt hatte, daß du dich in Akash verliebt hattest, da wollte ich dir helfen. Ich rief also bei ihm an, aber es ging Dev dran, der mich ziemlich schroff abwürgte.“ Sie stoppte kurz in ihrer Ausführung, um Dev liebevoll böse anzuschauen. Er erwiderte ihren Blick und fuhr für sie fort:
„Als ich die Stimme von ihr am Telefon hörte, dachte ich mir nichts dabei, aber als sie ihren Namen sagte, klickerte es langsam und ich ärgerte mich über mich selber, denn schon hier hätten wir uns die Bilder von euch holen können. Da ich an diesem Tag im Internet war und zufällig Lillys Schwester Online war, kam mir eine Idee. Schnell war klar, wie ihr zusammenhängt und somit sind Akash und ich nach Goa geflogen. Aber das es sich so schwierig gestalten würde, damit haben wir nicht gerechnet.“ Lachend nahm er Lilys Hand und küßte sie. „Und daß sich Frauen so streiten können, damit haben wir auch nicht gerechnet.“
Ich bemerkte, die Funken, die zwischen den beiden flogen. Traurig sah ich an Akash vorbei, der versuchte, mir in die Augen zu schauen. Er beugte sich zu mir und nahm ebenfalls meine Hand. Ich entwich seiner Geste und schaute weiter an ihm vorbei.
„Karo, bitte schau mich an.“ sagte er leise, nahm mein Kinn und drehte meinen Kopf zu sich. Ich blickte ihn geradewegs in die Augen. Warum darf ich dich nicht lieben, dachte ich und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Lilly bemerkte, was mit mir geschah. Sie entwand sich aus der Hand Devs und drehte sich zu mir. Nun hockten Akash und Lilly vor mir und verstanden meine Tränen nicht. Dann platzte es aus mir heraus und ich erzählte, wie ich beide den Morgen gesehen hatte, wie sie sich geküßt hatten, wie sie an der Theke lachten, wie sie sich zärtlich Küßchen auf die Wange gaben und wie sehr ich Lilly dafür haßte, das sie gesagt hatte, daß sie es genossen hatte und das Dev alles so wortlos hinnahm. Es sprudelte nur so aus mir heraus und keiner der drei unterbrach mich. Als ich erschöpft endete, war ich erleichtert und wollte nur noch in mein Bett.
„Oh, Karo, du Schaf! Ich dachte den Tag am Strand, daß du mich wegen der Zigarette gefragt hattest, deswegen hab ich gemeint, daß ich es genossen hatte. Ich hatte es wirklich genossen, eine zu rauchen. Das du aber sauer warst, weil du dachtest, das Akash und ich…Karo, du bist wirklich ein Schaf!“ lachte sie und fuhr fort. „Aber es stimmt wirklich. Akash liebt mich und Dev duldet es. Aber auch hierfür gibt es eine Erklärung.“
„Ich wußte es! Ich hab es immer gewußt! Lilly, warum tust du mir das an? Ich liebe ihn mehr als mein Leben. Und du?“ weiter kam ich mit meinen Anklagen nicht, da sich meine Stimme erstickend in einem Wall von Tränen nicht zu wehren wußte.
„Karo, noch einmal mußt du mir zuhören. Das was ich dir jetzt erzähle, müssen wir auch erst einmal verdauen. Akash liebt mich nicht, wie du denkst. Er liebt dich, wie ein Mann eine Frau nur lieben kann. Er liebt mich, weil ich seine Schwester bin. Na ja, seine Halbschwester.“ Meine Tränen stoppten sofort und ich glotzte sie an.
„Das ist ja die idiotischste Ausrede, die ich je gehört habe. Ich gehe hier an meinen Gefühlen zu Grunde und du? Du erzählst mir hier was von Geschwistern. Ich glaub, ihr hab sie nicht mehr alle.“ gab ich jetzt wütend zum Ausdruck. Als ich jedoch in Lillys Augen blickte, überkam mich ein Gefühl, daß sie nicht lügt. Unsicher über den weitern Verlauf der Erklärungen schaute ich Akash an und jetzt erkannte ich, warum mir eine Augen so vertraut vorkamen. Ich hatte in diese Augen geblickt, an dem Tag, an dem Lilly und ich befreundet waren. Verwirrt schaute ich Lilly in die Augen und dann Akash. Und in diesem Moment wurde mir bewußt, Lilly lügt nicht. Sie bemerkte, daß ich auf weitere Erklärungen wartete. Akash ergriff das Wort.
„Ja, Karo, es stimmt, Lilly und ich sind Halbgeschwister. Mein Vater studierte in den frühen 70zigern ein halbes Semester in Deutschland und lernte eine junge Frau kennen. Da er aber hier in Indien schon verheiratet war und einen Sohn hatte, durfte niemand von dieser kurzen Liebe wissen. Eines Nachts auf einer Feier kamen sich Lillys Mutter und mein Vater näher. Dieses eine Mal blieb nicht ohne Folgen. Bevor Lilly geboren wurde, war mein Vater wieder in Indien. Der Kontakt brach ab, bis auf einen letzten Brief, den Lillys Mutter geschrieben hatte. Darin gestand sie die Existenz von Lilly und das sie aus Liebe zu ihm und seiner Familie den Kontakt abbrechen würde. Und somit blieb das Geheimnis meines Vaters verschlossen, bis ich bei einem Umzug diesen Brief fand. Ich wollte ihn nicht lesen, aber er rutschte aus einer Mappe und blieb mit der Schrift zu mir liegen. Die ersten Sätze und ich mußte weiterlesen. Als ich fertig war, kam mein Vater zu Tür, erkannte die Lage und erzählte mir, von diesem Sommer in Deutschland. Ich versprach ihm, daß dieses Geheimnis nun auch bei mir sicher wäre. Ich suchte nie nach Lilly, denn ich wollte die Sache nicht verkomplizieren. Aber wie das Schicksal so wollte. Wie saßen im gleichen Flieger und in der Flughafenhalle in Bombay, als mir Lilly böse auf die Brust tippte, spürte ich, es verbindet mich etwas mit ihr. Und auf Goa wurde mir bewußt, das etwas sehr inniges ist, was uns verbindet. Ich konnte es aber nicht greifen. Als sie dann mit den Koffern vor unsere Hütte stand und ich diese wegräumen wollte, rutschten ihre Papiere aus dem Brustbeutel und ich laß ihren vollen Namen und die Stadt, in der mein Vater studiert hatte. Ich kombinierte, bat Lilly um Hilfe und als sich bei meinen Fragen Lillys Schwester ihre Mutter zu Hilfe holte, war klar, wie die Dinge lagen. Lillys Mutter bestätigte alle meine Vermutungen. Lillys Mutter ist die Sommerliebe meines Vaters in Deutschland.“ Mit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an und glotze dann Lilly an, die der Geschichte noch ein wenig Unterstützung gab.
„Ich konnte es selber nicht glauben, was mir Akash da erzählte, aber als ich dann von meiner Mutter die Fragen, die Akash ihr stellte, verinnerlichte, lagen alle meine Fragen meines Lebens leserlich vor mir. Karo, warum werde ich wohl so schnell braun? Warum habe ich nicht wie meine anderen beiden Schwestern blaue Augen und blonde Haare? Und warum habe ich nicht den gleichen Nachnamen wie sie, sondern den Mädchennamen meiner Mutter? Warum kam ich mir immer fehl am Platz in meiner Familie vor? Weil ich einen indischen Vater habe und meine Mutter zum Zeitpunkt meiner Geburt noch nicht verheiratet war. Deswegen der andere Name. Ich habe bloß nie danach gefragt, weil ich es nicht anders gewohnt war. Es ist wahr, Karo. Akash und ich haben denselben Vater. Nur war er schon geboren, als ich gezeugt wurde. Deswegen liebt er mich, weil er spürte, daß uns etwas verbindet. Aber richtig lieben, Karo, das tut er nur dich.“
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Lyrika
Leseratte
L


Beiträge: 130
Wohnort: Berlin


Liebe einen Inder
L
Beitrag04.09.2016 21:20

von Lyrika
Antworten mit Zitat

Ich brauchte noch eine ganze Weile, ehe ich alles verarbeitet hatte. Es kam mir alles so unrealistisch vor. Aber in den nächsten Tagen klärte sich alles auf. Bis zu unserer Abreise, unterheilten sich Lilly und ihre Mutter per Internet über den ungewöhnlichen Gang des Schicksals. Es stimmte wirklich und war nicht nur eine Erklärung von Akash und Lilly, heil aus der Sache herauszukommen.
Ich gab Melanie noch ein Foto von uns vieren mit. Ihre Krokodilstränen am Flughafen verursachten mir einen Kloß im Hals. Akash und Dev brachten ihren Auftrag erfolgreich zum Abschluß und Mr. Dutt erhielt eine saftige Geldstrafe. Die beiden Kerle wurden leider nie geschnappt.


„Sei doch nicht so ungeduldig.“ lachte Akash, als die Maschine landete und mir meine liebe Lilly zu mir brachte. Sie kam die Gangway heruntergelaufen, sah mich und lief mir mit offenen Armen entgegen. Beinah schmiß sie mich um, so sehr umarmte sie mich.
„Seid vorsichtig!“ sagte Akash mahnend.
„Ja, entschuldige, aber ich freue mich so. Ich habe euch schrecklich vermißt.“ sagte sie und umarmte jetzt auch Akash.
„Wie ich mich freue! Aber ich hab noch eine Überraschung mitgebracht.“ Sie stellte sich zur Seite und deutete auf ein junges zirka 11jähriges Mädchen, das frech grinsend zu uns schaute. Ich ließ von Lilly ab und ging fragend auf sie zu. Dann erkannte ich, wer es war.
„Melanie!“ entfuhr es mir unter Tränen. „Melanie, wie hübsch du geworden bist. Und so groß!“ stellte ich fest.
„Ach, das ist ja auch kein Wunder. Wir haben uns zwar geschrieben, aber in vier Jahren tu sich so einiges.“ Immer noch so ausgeschlafen, die Kleine, dachte ich mir und umarmte sie stürmisch. Als ich von ihr abließ, streichelte sie meinen Bauch.
„Wann kommt denn das Baby?“ fragte sie mich neugierig.
„In drei Monaten wird es da sein.“ sagte ich und schaute Akash liebvoll an. Er nahm das Gepäck von Lilly und Melanie und wir fuhren ein wenig außerhalb nach Bombay. Im Auto erkündigten wir uns nach Dev.
„Ach, er kommt später nach. Hat noch irgendwas mit meiner Schwester zu bereden, wegen Internet und Medienbranche.“ winkte sie ab.
„Verstehen sich gut die beiden.“ lachte ich, in dem Bewußtsein, daß wir ohne Lillys Schwester niemals alle auf Goa zusammengekommen wären.
„Wann heirate ihr? fragte Melanie Lilly. Bald, war ihre Antwort.
Wir kamen an unserem Häuschen an und Akash holte die Koffer aus dem Kofferraum. Melanie nahm ihm ungeduldig einen der Koffer aus der Hand, öffnete ihn und holte drei Sachen heraus. Jedem von und drückte sie eine Sache in die Hand und wir drehten sie in unseren Händen.
„Es sind Rucksäcke, aber alle drei verschieden, damit ihr sie nicht wieder verwechselt.“ sagte sie und wurde leicht rot.
Lachend nahmen wir sie in den Arm, wo sie doch so recht hatte. Hätten wir damals verschiedene Rucksäcke gehabt, hätte das Schicksal vielleicht einen anderen Weg gefunden uns alle zusammen zu bringen. Wer weiß, dachte ich und wischte mir unbemerkt eine Träne aus dem Auge.

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