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LaUrbanista Schneckenpost
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Beiträge: 11
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L 15.02.2014 20:55 Commis de Rang von LaUrbanista
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Commis de Rang
Die Kabine teilte er sich mit dem Mambomann. Der Mambomann hielt die Arbeit auf dem Kreuzfahrtschiff für ein großes, schimmerndes Abenteuer. Das passte gut, denn so hatte Kramer den kleinen Raum die meiste Zeit für sich. Wenn er den Passagieren ihr Essen brachte oder ihre leer gegessenen Teller von den Tischen holte, machte er das mit Konzentration. Kramer war schnell und schweigsam. Er wusste an den richtigen Stellen zu lächeln. Man bemerkte ihn nicht.
Wenn Kramer frei hatte und ein paar Tage an Land war, fütterte er die Enten im Teich, löste ein paar Kreuzworträtsel und besuchte hin und wieder seine Bekannte in einer anderen Straße des gleichen Viertels.
Kramers Vater war im Krieg geblieben und verlangte seiner Frau damit einiges ab. Sie hatte die Augen zusammengekniffen und sich an die Aufgabe gemacht, die drei Kinder großzuziehen und ihren Unterhalt zu verdienen. An seinem 14. Geburtstag bekam Kramer eine Geldbörse geschenkt. Seine Mutter überreichte sie ihm mit den Worten „Da kannst du rein tun, was von deinem Gehalt übrig bleibt.“. Zwei Monate später entließ ihn die Schule mit einem durchschnittlichen Zeugnis. Kramer heuerte als Küchenjunge auf einem Passagierschiff der Amerikalinie an. So war er die enge Wohnung los und musste sich keine Gedanken um eine andere Bleibe machen. Die Geldbörse füllte sich mit der Zeit, aber das meiste gab er seiner Mutter. Was sollte er schon auf den Schiffen mit dem Geld? Kramer arbeitete und war zurückhaltend. Als sich einer der Servierer auf halber Strecke das Handgelenk brach, schickte man kurzerhand Kramer zu den Gästen. Da blieb er 39 Jahre lang.
Fast schon hätte er sich Gedanken über seine Rente machen können. Aber dann ging es der Reederei schlecht, sehr schlecht. Man konnte es im Fernsehen sehen. Alle wurden sehr aufgeregt und versuchten den Schein vor den Gästen zu wahren. Kramer machte beharrlich seine Arbeit. Dann wurde das Schiff verkauft. Nur ein paar jüngere Kollegen durften bleiben. Kramer ging an Land, setzte seinen Koffer auf dem Linoleumboden seiner Wohnung ab und zog die Jacke aus.
Jeden Morgen um sechs stellte er den Wecker aus, stand auf, ging in Hose und Unterhemd in die Küche und frühstückte eine Scheibe Brot mit Leberwurst. Dann machte er sich auf den Weg zum Arbeitsamt. Dort ließ Kramer sich vom Wachmann erklären, wie man Stellen an Computern suchen konnte. Zuhause setzte er sich hin und schrieb mit einem alten Füller auf Blanko-Papier Bewerbungen.
An diesem Morgen war Kramer früher aufgestanden, schon um fünf. Er zog sich ein Hemd an, eine Anzughose und eine Weste, die fast dazu passte. Dann kämmte er sich sorgfältig Pomade ins Haar und ging zu seiner neuen Arbeit. Eine große Kaffeekanne an einem Henkel in der Hand, schwankend und funkelnd wie eine Schiffslaterne, ließ sich Kramer nicht von der Bewegung um sich herum aus dem Tritt bringen. Flink bewegte er sich durch den 7.53-Uhr-Regionalexpress. „Frisch gebrühter Kaffee. Kaffee und andere Heißgetränke. Frischer Kaffee.“ pries er leise seine Ware an.
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Sun Wukong Eselsohr
S Alter: 44 Beiträge: 459
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S 15.02.2014 21:32
von Sun Wukong
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Hallo LaUrbanista,
willkommen im Forum. Ich habe deinen Text gerade gelesen und will dir gerne eine Rückmeldung geben.
Der Text hat für mich einen sehr ruhigen Fluss und wirkt sachlich (aber nicht zu trocken) - also sehr passend zu der Figur, die du uns beschreibst.
Hier und dort gesetzte Bilder und Details bringen angenehm Leben in diese ruhige Schilderung: der "Mambomann", die Geldbörse, der Füller und das Blanko-Papier - die verraten alle sehr "minimalistisch" etwas über Kramer, das finde ich interessant gemacht.
Ein stilles Leben, der Zeitraffer von 39 Jahren, während um Kramer herum das Leben tobt. Dass dein Text ohne Wendungen, ohne Effekthascherei endet, ließ mich mit dem Eindruck zurück, hier wird einem Menschen, den "man nicht bemerkt", eine Bühne gegeben.
Ich hatte kürzlich eine O-Ton-Doku über einen Bananenverkäufer, Jahrgang 1903 gehört, daran erinnert mich dein Text im Nachhinein.
Zwei Dinge fand ich etwas unklar:
"seine Bekannte", was hat es mit der auf sich?
"Man konnte es im Fernsehen sehen", brachte mich kurz aus dem Lesefluss - wie konnte man im TV sehen, dass es der Reederei schlecht geht?
Soviel von mir, grüße
Christian
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LaUrbanista Schneckenpost
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Equik Bouard Gänsefüßchen
E Alter: 59 Beiträge: 18 Wohnort: Österreich
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E 17.02.2014 08:37
von Equik Bouard
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Hallo LaUrbanista,
dein Text hat mich positiv berührt, eine ruhige, lakonische Sprache, die, wie ich finde, gut zu so einem ruhigen, lakonischen Leben passt. Und es ist für mich viel Realität enthalten, weil ich überzeugt bin, dass es Menschen gibt, die ihr Leben so geradlinig führen. Manchmal wünsche ich mir für mich selbst so einiges ausblenden zu können und serpentinenloser durchs Leben zu kommen...
Bei "...schickte man Kramer zu den Gästen. Da blieb er dann 39 Jahre lang.", habe ich schmunzeln müssen.
_________________ Heavy Plastic-Psychochiller-Spleenpunk |
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LaUrbanista Schneckenpost
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Jack Burns Reißwolf
Alter: 54 Beiträge: 1444
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18.02.2014 00:48
von Jack Burns
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Hallo LaUrbaniste,
Zuerst: Willkommen im Forum! Ich wünsche Dir eine gute Zeit.
Du hast eine sehr professionelle Erzählsprache. Wie maßgeschneidert auf den Charakter des Protagonisten. Einige Formulierungen haben mich begeistert.
Beispiele:
Zitat: | Kramers Vater war im Krieg geblieben und verlangte seiner Frau damit einiges ab. | Musste ich zweimal lesen, um zu begreifen, dass es genau so gemeint war. Super.
Zitat: | So war er die enge Wohnung los und musste sich keine Gedanken um eine andere Bleibe machen.
| Besser kann man seine Gleichgültigkeit nicht ausdrücken.
Zitat: | Jeden Morgen um sechs stellte er den Wecker aus, |
auch das gefällt mir sehr.
So sehr mir der Stil bei dieser Kurzgeschichte gefällt, in einer längeren Erzählung oder Novelle würde mich der lakonisch, distanzierte Ton nerven.
Aber das tut hier nichts zur Sache.
Ich habe eine andere Kritik anzubringen.
Du beschreibst das eintönige Leben einen langweiligen, sehr durchschnittlichen Menschen. Entfernt erinnert mich das an "Der Untertan". Aber Deine Geschichte hat keinen satirischen Doppelboden. Oder ich sehe ihn nicht. Ich erkenne keine Aussage, neben der Beschreibung. Das mag realistisch für das Leben vieler Menschen sein, aber was gibt mir diese Geschichte? Ich habe den Eindruck, dass hier die ausgezeichnete Form, den fehlenden Inhalt überdeckt.
Das ist eine persönliche Geschmacksfrage und kein wissenschaftlich fundierte Meinung.
Viele Grüße
Martin
_________________ Monster.
How should I feel?
Creatures lie here, looking through the windows. |
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Sun Wukong Eselsohr
S Alter: 44 Beiträge: 459
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S 18.02.2014 15:09
von Sun Wukong
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LaUrbanista hat Folgendes geschrieben: | Mit "Man konnte es im Fernsehen sehen." meinte ich eine große Firmenpleite, die auch in der Tagesschau Thema sein könnte. Vielleicht wäre "Man konnte es in den Nachrichten sehen." besser verständlich? | Ah, also der ursprüngliche Satz erscheint mir so aus der Perspektive von Kramer geschrieben, so wie er es jemandem erzählen würde. Das zieht sich ja aber nicht durch, zumindest hatte ich beim Rest eher den Eindruck eines distanzierteren (aber nicht anteillosen) Blicks auf die Figur.
Kommt also darauf an, wie nah oder fern der Erzähler/die Erzählstimme deiner Meinung nach an Kramer heran soll.
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LaUrbanista Schneckenpost
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