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Mara Leseratte
Beiträge: 140 Wohnort: Linz/Donau
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24.11.2013 21:07 Bastians Spiegeltüren (Außer Konkurrenz) von Mara
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Endlich war Bastian allein im Badezimmer. Seine Schwester, die kleine Rotzgöre, wurde gerade von der Mutter ins Bett gesteckt und Moritz, sein großer Bruder, hatte auch seine stets endlos dauernde Toilette beendet. Schnell schloss er die Türe ab, bevor sich noch jemand in den Raum drängen konnte. Dann holte er tief Luft, stellte sich vor den verspiegelten Hochschrank, ging schnurstracks auf diesen zu und durch diesen hindurch. Ein kühler Hauch streifte ihn, er öffnete die Augen, die er wie stets unwillkürlich geschlossen hatte, und befand sich in der Welt hinter den Spiegeln.
Heute schien der „Geometrie-Tag“ zu sein, wie ein erster Blick erkennen ließ. Große dunkelrote Pyramiden, blaumelierte, langgestreckte Quader und eine endlos lange hellgelbe Gerade auf der ständige orangefarben aufblitzende Punkte dahin schossen. Vorsichtig umrundete er eine türkisfarbene, hausgroße Halbkugel. Man konnte nie wissen, was sich hinter den Objekten befand. Noch wirkte alles sehr unbelebt. Aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass sich das jederzeit ändern konnte. Hinter dem Halbkugelhaus befand sich ein weiter Platz, ausgelegt mit sechseckigen, silbern blinkenden Pflastersteinen. Sein Fuß passte genau darauf. Leicht sank der Stein in den Boden und färbte sich golden. Vorsichtig stieg er auf den nächsten Stein. Auch dieser versank sanft. Als ob Sprungfedern unter den Steinen montiert wären. Mutiger geworden sprang Bastian von einem Fuß auf den anderen, dann hüpfte er eine ganze Reihe vorwärts und schließlich voller Übermut kreuz und quer. Am anderen Ende des nicht gerade kleinen Platzes sprang er mit beiden Beinen gleichzeitig in die Luft. Schon etwas außer Atem drehte er sich noch im Sprung und landet wieder sicher. Er sah, dass alle Steine, die er berührt, hatte nun golden glänzten. Da kam ihm eine Idee: Er würde sich hier verewigen. Und schon sprang er wieder los und schrieb seinen Namen auf den Platz. Zufrieden mit sich selbst strich er sich eine Strähne seines dunkelbraunen Haares aus der Stirn, das ihm bei der wilden Hüpferei in die Stirn gefallen war.
Da fiel sein Blick auf ein weiter entfernt liegendes Objekt. Was war das Eigentlich war er recht gut in Mathe und Geometrie, aber dieses Unding sah doch zu abwegig aus. Er näherte sich diesem Oktaeder? Dodekaeder? Vorsichtig, um nur ja nicht an die in alle Richtungen verlaufenden Geraden, mit ihre dahinsausenden Punkte zu stoßen, ging er auf das Ding zu. Als er davor stand und es von oben bis unten aufmerksam musterte – es war ungefähr einen Meter größer als er selbst – war klar: Fünfecke, umrahmt von Dreiecken – ein Dodekaeder. Bastian war stolz, dass er sich dieses schwierige Wort gemerkt hatte. Aber immerhin hatte er so etwas schon aus Papier gebastelt. Irgendwie schien dieser „Dodo“ durchsichtig zu sein. Bastian piekste ihn vorsichtig mit dem Finger an. Sein Finger ging durch die Hülle durch! Schwups und schon stand er in dem Dodo drinnen. Auf einmal war die Hülle fest. Bastian zog erschrocken die Luft ein. Er würde doch hier nicht gefangen sein!
Doch als er eingrün schimmernde Dreieck antippte, atmete er erleichtert auf – dies schien der Ausgang zu sein! Aber zunächst wollte er ganz was anderes probieren! Er stemmte sich mit Händen und Füßen ab und brachte durch Vor- und Rückwärtsbewegungen den Dodo zum Wanken. Schließlich rollte er los, den leichten Abhang, an dessen Kante er gestanden war, hinunter. Bastian lachte erschrocken und danach begeistert auf. An das Ende des Hanges schmiegte sich ein in Brauntönen schimmerndes Hyperboloid, welches das Dodo sanft abbremste. Bastian ließ seinen Blick suchend durch das Innere seiner Riesenkugel schweifen, bis er sein Ausstiegsdreieck entdeckte und krabbelte aus seinem Gefährt. Er schüttelte Arme und Beine aus, die sich bei der rasanten Talfahrt verkrampft hatten. Direkt neben ihm schon wieder eine gelbe Gerade mit orangefarbenen vorbeisausenden Punkten. Ob er einen davon fangen konnte? Beim nächsten, der vorbeisauste, packte er zu. Das hätte er besser nicht getan.
Es rieß ihm die Füße vom Boden und fast waagrecht in der Luft hängend sauste er mit dem Punkt davon. Über einem blau schimmernden Kreis ließ er aus – er konnte sich einfach nicht länger halten. Glück gehabt! Intuitiv hatte er Wasser vermutet, doch es war eine geleeartige Masse – aber auch die federte seinen Sturz ab. Gut so! Blaue Flecken und Blessuren, die er bei seinen anderen Ausflügen hinter den Spiegel des öfteren davontrug, waren seiner Mutter immer so schwer zu erklären.
Jetzt wurde es aber Zeit, nach einem Ausgang zu suchen, um wieder zurückkehren zu können. Lisa machte zwar immer einen ziemlichen Wirbel beim Schlafen gehen und verlangte von der Mutter immer zwei und noch mehr Gute-Nacht-Geschichten, aber man musste ja nichts riskieren. Sollte er es noch einmal wagen, sich an einen orangenen Flitze-Punkt zu hängen? Lieber nicht. Ein bisschen ungut im Magen war ihm von der letzten Fahrt noch. Plötzlich merkte er, dass an seiner rechten Seiten flache Quader vorbeizogen. Immer zwei nebeneinander, wie Soldaten, auf dem Weg in den Krieg. Er stellte sich vorsichtig auf einen von ihnen. Kein Einsinken. So kam er bequem voran.
Schade, dass er heute nicht auf Atina getroffen war. Oft traf er sie in der Spiegelwelt. Und ehrlich gesagt – so interessant es war jedes Mal eine neue Umgebung zu erforschen – alleine machte es nicht wirklich Spaß! Atina erforschte seine Welt mit der gleichen Neugier, wie er die ihre.
Plötzlich sauste über ihm ein Körper vorbei, der definitiv nicht geometrisch war! Bastian zog den Kopf ein. Wusch! Schon wieder. Die an ein trapetzförmiges, gefedertes Balsaholzgestell geklammerte mädchenhafte Gestalt wendete und sauste schon wieder um Haaresbreite über ihn hinweg. „Atina – das ist nicht lustig!“ rief Bastian empört und sprang von seinem Quader-Gefährt. Das schlanke, kleingewachsene Mädchen ließ sein Fluggerät los und landete, weich in den Knien abfedernd, direkt vor Bastian. „Hallo, Bastian!“
„Wie siehst du den aus?“ Atina war quatschnass. Das lange brünette Haar klebte an ihrem Kopf und es tropfte aus ihrem rosafarbenem Oberteil.
„Ich habe gerade eine neue Tür in deine Welt entdeckt, Bastian! Es war phantastisch.“
„Was war – bist du etwa in einer Badewanne gelandet?“
„Keine Ahnung! Es war absolut farbenprächtig: rot, violett, blau … . Und diese Wesen. So groß - “ Mit ihren Händen zeigte sie Bastian eine Spanne von circa zwanzig Zentimetern „und mit solchen großen runden Glubschaugen“ Ihre Finger formten sich zu Kreisen, die sie vor ihre eigenen blassblauen Augen hielt. „Und ihre Münder bewegten sich immer auf und zu ohne dass ein Ton herauskam!“
Bastian sah wie Atina in ihrer durchscheinenden Haut aufgeregt, um ihn herumschwebte.
„Also, ich würde mal tippen …“, Bastian warf einen Blick auf die immer größer werdende Pfütze zu seinen Füßen, „es hat dich ins Meer verschlagen.“
„Ins Meer ...“ sang Atina. Oh je, dass konnte er gar nicht leiden, wenn sie mit ihrem hohen Gesinge anfing. Als Atina sah, wie Bastian schmerzhaft das Gesicht verzog, verstummte sie. Nun hoffentlich landete sie bei einem ihrer zukünftigen Ausflüge wieder „im Meer“. Dort war es nicht so trostlos grau und laut wie in der Gegend in der sie Bastian zum ersten Mal getroffen hatte.
„Ich hab leider keine Zeit mehr. Meine Mutter muss heute Abend in die Arbeit. Kleinen Tipp, wie ich rasch zurückkomme?“
Atina schaute ihn betrübt an. Diesmal würden sie wohl nichts zusammen unternehmen. Nun ja, in dieser strengen Geometriewelt, die sie im Moment umgab, war ja auch wirklich nicht viel anzufangen. Sie zog Bastian mit sich, bog um den kegelförmigen Riesenturm, erklomm mit ihm zylinderförmige wie eine Leiter übereinander in der Luft schwebende Stäbe, um ihn dann von der obersten Sprosse ohne Vorwarnung hinunterzuschubsen. Bevor er noch protestieren konnte, war er weich in einem ellipsenförmigen Becken gelandet und Atina sanft hinterhergeschwebt. Da sah er auch schon den achteckigen Spiegel, der ihn wieder zurückbringen würde.
Atina blinzelte ihm verschwörerisch zu. Bastian hob die Hand zum Gruß. Einmal würde er es wieder schaffen, sie in seiner Welt zu treffen. Bis dorthin würde er in ihre komme. Mit festen Schritten ging er auf das glänzende Achteck zu. Ohne zu zögern trat er durch. Schon stand er im Vorraum vor dem großen Spiegel. Die Mutter bückte sich gerade, um ihre Schuhe zuzuschnüren, während Moritz mit dem Rücken zu ihm in seine Bomberjacke schlüpfte. Lisa, die doch schon längst im Bett liegen sollte, öffnete, ihren Plüschhasen mit den vielen kahlen Stellen fest an sich gepresst, gerade die Toilettentür. Bastian war wieder zurück, umgeben von allen Familienmitgliedern.
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Einar Inperson Reißwolf
Beiträge: 1675 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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11.12.2013 21:38
von Einar Inperson
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Wunderbar gezeigte kunterbunte, geometrische Welt, mit zwei sympathischen Protagonisten.
6 Federn
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis
si tu n'es pas là, je ne suis plus le même
"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer |
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purpur Klammeraffe
Beiträge: 964
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22.04.2016 14:00
von purpur
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erinnert mich an eine unendliche geschichte
...was sind-bedeuten-Federn?
_________________ .fallen,aufstehen.
TagfürTag
FarbTöneWort
sammeln
nolimetangere
© auf alle Werke |
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Wolfin Leseratte
Beiträge: 120 Wohnort: Duisburg
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22.04.2016 14:36
von Wolfin
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Schön geschrieben. Gefällt mir gut.
_________________ Mir reicht, dass ich weiß, dass ich könnte, wenn ich möchte. |
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