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Wolfsrachen-Saga


 
 
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magmater
Geschlecht:weiblichErklärbär

Alter: 90
Beiträge: 2
Wohnort: 10719 Berlin, Fasanenstr. 44


Beitrag30.10.2013 15:55
Wolfsrachen-Saga
von magmater
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat


WOLFSRACHEN                                                Band 1
Phantastisches Abenteuer                    


Kapitel 1
Mondlicht zitterte mit langen Silberfingern durch die Bäume und malte grellweiße Tupfen auf den verschneiten Waldboden. Die Nacht war schwarz und eisig kalt. Sterne glitzerten wie winzige Kristalle. Der Wald war erstarrt, kein Lüftchen wehte und bewegte die Äste der Bäume, die wie schlafende, riesige Ungeheuer wirkten.
Es war ein Schatten, der Hauch einer Bewegung, der Dampf eines lautlosen Atems, der Andino aus seiner leicht schläfrigen Haltung aufschrecken ließ. Für Sekunden sah er leuchtende Augen, Zähne scharf und hell im Mondlicht aufblitzen. Tanzende Schatten entfernten sich von ihm, ein Knacken war zu hören, ein leichtes Rascheln, dann war der Spuk vorbei.
Das waren sie! – Die Wölfe, auf die er schon seit ein paar Nächten gewartet hatte. Andino wollte sie beobachten, wissen, wie viele zum Rudel gehörten und ob sie Junge führten. Aber wo waren sie geblieben? Er strengte seine Augen an, sah vor sich den kleinen Hügel, vor dem sie sich eben noch bewegt hatten. Die kleine Anhöhe lag im vollen Mondlicht, doch wo vor einigen Augenblicken  noch Bewegung herrschte, war jetzt nichts zu sehen. Er konnte seine Augen noch so sehr anstrengen und mit seinem Fernglas das Terrain immer wieder nach einer Bewegung absuchen.
Nichts! Absolut nichts. Er schlich näher, um sie vielleicht aufzuscheuchen, aber da war nur der Hügel mit Gras, Ästen, Laub und  Steinen unter  einer  teilweise vorhandenen  Schneedecke und den schwarzen Schatten der Bäume. Er wartete weiter, aber nichts war zu hören, keine Bewegung zu spüren und doch hatte er das Gefühl, dass etwas dort war und ihn mit Macht zum Hügel  hinzog
Andino war vor einer Woche eingetroffen. Seine Eltern besaßen hier ein Wochenendhaus, eher eine Kate am Rande des Dorfes, unmittelbar vor dem Wald. Er hatte schon oft die Ferien und Wochenenden mit seinem Vater in dieser Gegend  verbracht, der ein leidenschaftlicher Naturfotograf war. Den Sechzehnjährigen interessierten aber mehr die biologischen Abläufe und die Verhaltensweisen der Wildtiere. Jetzt waren es die Wölfe. Traurig dachte er an die gute Zeit mit seinem Vater, der vor einem halben Jahr durch einen Unfall ums Leben gekommen war. Andino hatte durch ihn viel über die Natur und wie man mit ihr umgeht, erfahren. Geduld  Ausdauer und eine gute Ausrüstung im Sommer wie im Winter waren notwendig, wenn man Erfolg haben wollte. Er war gut ausgerüstet dafür, in der winterlichen Kälte nachts stundenlang im Wald auszuharren und geduldig auf die Tiere, die er beobachten wollte, und über die er lange Listen und Tagebücher führte, zu warten. Andino wusste, dass nur unendliche Geduld zum Ziel führen könnte. Vielleicht würde es noch Wochen dauern bis er endlich Glück hatte. Vielleicht sah er die Wölfe erst im nächsten Jahr oder niemals. Er war hartnäckig und stur gegen sich selbst, aber auch ein Optimist und darum immer voller Hoffnung.
Der Himmel im Osten verlor langsam sein tiefes Schwarz und ein leichter Grauschimmer war über dem Waldrand zu sehen. Die Nacht war vorbei. Sie werden nicht mehr kommen, dachte er. Seine Beine waren etwas steif, er streckte sich, gähnte müde und stand auf. Erst mal nachhause und schlafen. Seine Gedanken kreisten dabei um den Hügel, wo die Wölfe so plötzlich spurlos verschwunden waren. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Es war das einzige Geräusch, das ihn begleitete als er müde zur Hütte zurück marschierte.

                                                                                                         

Kapitel 2

Die Sonne schien sehr hell von einem lichten, blauen Himmel, der wolkenlos war. Sie tauchte die verschneite Landschaft in glitzerndes kaltes Weiß, und die Schatten der Bäume und Sträucher schimmerten bläulich. An ihren Ästen hingen lange Eiszapfen, die  in der Sonne glühten, wie frisch geputzte Lüster eines Kronleuchters.
Andino stand vor der Tür der Kate. Seine Mutter legte ihm einen Rucksack, prall gefüllt, vor die Füße, daneben den zusammengerollten Schlafsack.
„Also, vergiss nicht ab und zu etwas zu essen und trink vor allen Dingen den heißen Tee nicht erst wieder, wenn er nur noch lauwarm ist“, bemerkte sie mit einem skeptischen und etwas vorwurfsvollen Seitenblick. Sie war gar nicht froh, dass er sich so ganz allein, ohne die sonstige Zweisamkeit von Vater und Sohn, in die „Wildnis“, wie sie es nannte, begab und dort auch noch bis zum anderen Morgen aushalten wollte. Sie vermisste ihren Mann, und hing nun umso mehr an dem einzigen Menschen, den sie noch hatte. Es war jeden Tag dasselbe. Die Zeit, die er draußen in der Wildnis verbrachte, war für sie immer besorgniserregend. Schließlich gab es da nicht nur die lieben, kleinen Häschen und Mäuse, sondern auch Bären. Die waren unberechenbar. Sie wusste zwar, dass sich ihr Sohn sehr besonnen und vorsichtig, wie er es von seinem Vater gelernt hatte, im Wald bewegte. Aber wusste das auch ein Raubtier?
Andino knurrte freundlich zu den immer wieder gehörten Belehrungen seiner Mutter. Er wusste genau, dass sie sich Sorgen machte, fand es aber überflüssig. Er kniff die Augen zusammen und sah in den Himmel.
„Es weht kein Wind und es gibt auch keinen Schnee, also ist es heute ideal, um auf die Wölfe zu warten. Ich werde erst mal am Hügel suchen, ob sie da einen Unterschlupf haben“, sagte er zu seiner Mutter, nahm das Gepäck auf den Rücken, gab ihr einen leichten Kuss und ging auf den Waldrand zu. Seine Mutter blickte hinter ihm her, noch lange, nachdem er schon im Wald verschwunden war.
Mit langen Schritten stapfte Andino durch den Schnee. Er  folgte einer Schneise, auf der viele Wildtiere ihre Spuren hinterlassen hatten. Es gab eine Menge Trittsiegel von Rehen, ein Fuchs hatte diesen Weg auch benutzt. Und nachdem er über einen fast zugefrorenen, leise vor sich hinglucksenden Bach gesprungen war, sah er auch Spuren von Fischottern und blieb stehen. Vielleicht waren sie hier in der Nähe, dachte er und lachte leise, als er sich die lustigen Kerle vorstellte. Dann erblickte er sie und verharrte, wagte kaum zu atmen. Sie rutschten und kullerten gerade eine Böschung herunter und landeten laut quiekend im Bach. Es knirschte, knisterte und klatschte als das leichte Eis brach und sie im Wasser  verschwanden. Drei Tiere waren es, Halbwüchsige, die sich balgten und in den offenen Wasserstellen planschten. Sie sind so niedlich anzusehen, aber auch so bissig und scheu, dachte Andino und lachte wieder. Dann erklomm er eine Böschung und kam unter den Bäumen an, wo er in der letzten Nacht seine Deckung gefunden hatte, um die Wölfe  zu beobachten. Etwa zwanzig Meter vor sich sah er den Hügel. Er nahm den Rucksack ab, griff nach seinem Fernglas und hockte sich in den Schnee. Dann  suchte er aufmerksam die Erhebung mit den Augen ab.
Es gab nichts Besonderes zu sehen. Gebüsch, Steine, eine Grasfläche, Sand, Laub und Äste schauten aus dem Schnee, aber keine Mulde, keine Vertiefung, in der man eine Höhle hätte vermuten können. „Ich muss das näher untersuchen“, murmelte er vor sich hin und erhob sich, griff nach dem Rucksack und schwang ihn sich über die Schulter. “Mal sehen...“. Damit schlich er auch schon etwas gebückt auf die Erhebung zu. Es war sehr still, nur ein paar Meisen schwatzten über ihm in einer Tanne und unter seinen Füßen knirschte der Schnee. Er erreichte den Hügel. Vor sich sah er ein dichtes Gestrüpp. Er hob die Äste an und schnaufte überrascht. Da war ein Höhleneingang, ungefähr einen Meter hoch und einen Halben breit. Vorsichtig schnüffelte er, ob er eventuell einen Raubtiergeruch wahrnehmen könnte, aber nichts war zu riechen, auch nichts zu hören oder zu spüren.
Andino überlegte und dachte daran, was sein Vater ihm immer wieder von unbekannten Höhlen gesagt hatte. Man sollte sehr vorsichtig sein. Nicht nur Wölfe, auch Bären, Vielfraße, sogar Dachse und Iltisse sind gefährlich, wenn sie in die Enge getrieben werden.
Er holte seine Taschenlampe heraus und machte Lärm, indem er laut redete und schrie. Nichts rührte sich.  „Wollen mal sehen, was da drin ist“, sagte er mutig zu sich und drückte die Äste des Gestrüpps auseinander.  Sehr widerwillig gaben sie den Eingang frei, sodass er sich, auf den Knien rutschend, durch die Öffnung zwängen konnte. wieder machte er Lärm um sich bemerkbar zu machen.
Es war stockfinster, nur das Tageslicht hinter ihm zeichnete ein paar schwache, helle Stellen an die vor ihm liegende Wand. Er schaltete die Taschenlampe ein und betrachtete in ihrem Lichtkegel die Höhle. Sie war wirklich nicht sehr groß, kahle Erde ringsum, keine Spur von irgendwelchen Tieren, nichts, was auf Wölfe oder andere Raubtiere hinweisen würde. Andino leuchtete die Wände an und entdeckte plötzlich, dass nach rechts eine Nische ging, und kroch darauf zu. Im Lichtschein der Lampe sah er, dass es ein Gang war, der sich in der Dunkelheit verlor. Seine Neugier war geweckt.   
Kriechend setzte er sich in Bewegung. Es war schwierig, mit der Taschenlampe in der Hand, auf allen Vieren vorwärts zu kommen.
Als er die Lampe nach oben richtete, sah zu seiner Erleichterung, dass der Gang hoch genug war, um sich aufzurichten. Langsam stand er auf und betrachtete aufmerksam prüfend die Wände. Es schien so, als wären sie stabil und der Gang schon sehr alt. Decke und Wände waren mit Wurzelwerk durchwebt wie ein Teppich. Andino betastete sie und war erstaunt, wie warm sie waren. Überhaupt merkte er jetzt, dass ihm ziemlich warm war. Die Luft war nicht stickig und abgestanden, sondern roch erdig trocken, und er hatte den Eindruck, dass es ein wenig zog. "Vielleicht", so dachte er, halblaut vor sich hinmurmelnd, “vielleicht hat der Tunnel am anderen Ende einen Ausgang und ist ein Fluchtweg der Wölfe. "Er nahm sein Gepäck vom Rücken, ließ es auf den Höhlenboden gleiten und zog seinen dicken Anorak aus. "Ich werde die Sachen hier mal liegenlassen", redete er mit sich selbst, "und versuchen, den Ausgang zu finden". Aus seinem Rucksack nahm er eine Tüte Popcorn, nicht weil er hungrig war, sondern als Wegmarkierung. Mit Popcorn und Taschenlampe bewaffnet,  setzte er den Weg fort und ließ alle paar Meter ein Maiskorn fallen. Sollte er Pech haben, würden Tiere das zusätzliche Futter gern annehmen und er wäre der Dumme, aber damit musste er zurechtkommen.
Der Gang senkte sich jetzt etwas, und Andino hatte den Eindruck, als würde es heller werden. Er schaltete die Lampe aus. "Du musst sparsam mit ihr umgehen", sagte er, "sonst sind die Batterien leer". Er ärgerte sich, dass er nicht daran gedacht hatte, aus seinem Rucksack die zwei Reservebatterien mitzunehmen. "Ach Quatsch, wird schon schief gehen ", beruhigte er sich selbst. In die Dunkelheit lauschend, strengte er seine Augen an. Aber es wurde nicht heller und es war auch nichts zu hören. Im Gegenteil, die Stille war so schwer, dass er sie förmlich greifen konnte, so dicht, dass er plötzlich Panik bekam. Sein Atem ging stoßweise. Schnell schaltete er die Taschenlampe wieder ein. Alles war wie vorher und er beruhigte sich langsam. „Das darf mir nicht wieder passieren", sagte er zu sich, " Angst muss ich hier nicht haben". Wie zur Bestätigung wurde es plötzlich ein bisschen heller und er sah im schummrigen Licht, dass vor ihm der Gang eine Biegung machte. Schnell lief er darauf zu und blieb abrupt stehen. Der  Gang teilte sich unmittelbar vor ihm. Links ging er ins Dunkle weiter, rechter Hand wurde es heller, so dass er die Taschenlampe ausmachen konnte. "Wenn das so ist, brauch’ ich nicht lange zu überlegen. Wo es hell ist, geh ich weiter.“ Neugierig bog er in den hellen Gang ein.  . Das Licht kam von nirgendwo. Es war nicht vor ihm oder über ihm, es war einfach da. Die Wände des Ganges sahen auch nicht mehr so aus wie am Anfang der Höhle. Sie wirkten glatt, samtig und das Licht schien aus ihnen zu kommen. Andino ließ seine Finger über die Wand neben sich gleiten. Er fuhr erschreckt zurück. Es war merkwürdig. Sie fühlte sich an wie die Haut eines Lebewesens, weich und warm. Er hatte den Eindruck, einen Pulsschlag zu spüren. Wieder legte er seine Hand ganz sanft auf die Wand und streichelte darüber. Es war wunderbar. Er spürte den Pulsschlag wie ein Vibrieren und das Heben und Senken unter seiner Hand, als ob jemand im Schlaf atmete. Und dann war da noch etwas - ein Ton, als seufzte irgendwer wohlig im Schlaf. "Mein Gott, was ist das hier", flüsterte er fassungslos, „wo bin ich nur hingeraten?" Er bekam keine Antwort, dafür hörte er aber plötzlich das gleichmäßige Atmen eines lebendigen Wesens. Allmählich wurde ihm unheimlich zumute, denn es war niemand zu sehen. Nur das Atmen war zu hören.
Der Gang wurde weiter und breitete sich hallenartig vor ihm aus. Die Höhle war hoch wie ein Dom, der an seiner höchsten Stelle eine Öffnung hatte, durch die ein unwirkliches Licht und eine Kaskade hellgrünen Wassers strömte, das sich am Höhlenboden in einem Becken sammelte. Andino stand still und sah sich bewundernd um. Dass es so etwas Schönes und Großartiges in seiner nächsten Umgebung geben würde, hatte er nicht geahnt. Er starrte auf die bizarre Welt der Stalagmiten und Stalaktiten, die sich durch überall herabhängende und aufwachsende Formen gebildet hatten. Türme schraubten sich beängstigend dünn und steil zur Höhlendecke hinauf. Andere hingen wie Ranken und Blütengebilde herab. Überall glitzerte und tropfte es vom herabströmenden Wasser. Die Wände schillerten in Regenbogenfarben und die Luft war feuchtwarm. Nichts war hier wie noch vor,...... war es eine Stunde her oder länger? Andino sah auf seine Uhr. Sie war stehen geblieben. Auch etwas, dass vor diesem Abenteuer noch nie geschehen war. Er klopfte mit der Uhr gegen seine Hand, aber sie bewegte keinen Zeiger. "Na, dann nicht", meinte er, "Zeit ist im Moment nicht wichtig". Seine Welt da draußen mit Eis, Schnee, Wald und Stille war so weit weg, als hätte er sie schon vor  langer Zeit verlassen. "Mama", dachte er ein bisschen traurig, "Mama, mach’ dir bloß keine Sorgen um mich.“ Doch dieser Gedanke war sehr flüchtig. Die Höhle nahm wieder seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Er nahm auf der ihm gegenüber liegenden Seite etwas wahr, das wie ein Ausgang aussah und ging um das Wasserbecken herum. Als er davor stand, sah er, dass es eine Öffnung war, von der von oben ein Wasserschleier fein wie Dampf hernieder floss. Dahinter war es hell.
Andino trat hindurch und stand stocksteif. Vor ihm und um ihn war das absolute Nichts.
„Nur ruhig jetzt, ruhig – keine Panik. Atme tief durch und warte ab“, redete er stumm auf sich ein.
"Du musst an dich und was du tust glauben, dann wirst du deinen Weg finden". Er wusste nicht, ob er sich verhört hatte. War es das Wispern des Windes oder eine Stimme? "Vertraue nur dir selbst und lass dich durch nichts täuschen", hörte Andino jetzt ganz deutlich eine flüsternde Stimme. "Wer bist du und wo?“, rief er in das Nichts, bekam aber keine Antwort. Um ihn war nur unendliche Stille. Er klatschte in die Hände, um diese schreckliche Stille loszuwerden. Ein Echo, das sich immer weiter fortpflanzte und immer leiser wurde, bis es verstummte, war die Antwort. Andino bewegte sich und wäre beinahe von dem Stein gefallen, auf dem er stand. Er wollte sich festhalten, doch da war nichts.. "Was hatte die Stimme gesagt? Ich soll an mich glauben und nur mir vertrauen? Vertrauen – trauen – ich soll mich trauen? Was trauen?" Andino war in einer verzwickten Lage. Das konnte doch nur ein Traum sein, so was war doch real gar nicht möglich. „Nicht möglich“, dachte er. „Vielleicht doch. Ich werde jetzt diesen Weg, den es nicht gibt einfach weitergehen", sagte er zu sich selbst, "wir werden ja sehen, ob ich ins Bodenlose stürze". Er schloss die Augen und machte einen ersten vorsichtigen Schritt. Er spürte festen Halt unter seinem Fuß, öffnete die Augen und ging weiter. Mit jedem Schritt, den er tat, erschien unter seinen Füßen ein Stein. Er hatte keine Orientierung in welche Richtung er ging, aber das war höchstwahrscheinlich auch ziemlich egal. Allmählich fand er die Sache so skurril, dass sie anfing, ihm Spaß zu machen. Er schaute nach unten, vor ihm war die Leere. Sein linker Fuß stand auf einem Stein, sein rechtes Bein hatte er erhoben. Er trat damit ins Nichts, fühlte im gleichen Moment wie er ihn sah, den Stein unter seinem rechten Fuß. Immer wieder und wieder erschien plötzlich ein Stein und verschwand auch wieder, sowie er einen seiner Füße anhob. Es war grotesk, und er fragte sich, ob er das noch lange so aushalten würde, ohne den Verstand zu verlieren.
Langsam erfasste ihn Müdigkeit. Es gab ja nichts, was ablenkte und Langeweile kam auf. "Wenn ich mich jetzt hinsetze oder fallenlasse, wird auch dann wieder Boden unter mir sein?" Er war so erschöpft, dass er sich einfach fallen ließ. Er spürte den Widerstand und wusste, dass nun alles gut war. Seine Hände tasteten und fühlten festen Boden, erleichtert  schlief er sofort ein.
                                                       
 
                                                    






Kapitel 3
Ein Vorhang wehte im grauen Zwielicht. Er wurde von unsichtbarer Hand weggezogen und eine grüne, blühende Landschaft erschien vor Andinos Augen. Er richtete sich langsam auf. Wie lange hatte er geschlafen? Er wusste es nicht oder schlief er immer noch und träumte dies alles nur? Aber er spürte die Erde unter sich, strich sich über die Augen, doch die Landschaft blieb. Er war wach. Andino sah sich um. Die Landschaft war grün und blühte, aber sie wirkte bizarr, sie war anders als er sie aus der Natur kannte. Er wusste nicht, was es war, bis er merkte, es war alles grün. Grün die Erde, auf der er saß, die Stämme der Bäume, die Äste, die Steine, die Blumen, selbst die Schmetterlinge und Käfer; sogar die Vögel hatten grüne Federn. Ihm wurde fast schlecht.
"Was zuviel ist, ist zuviel", stöhnte er und fasste sich an den Kopf. "Bin ich übergeschnappt oder hat die Welt sich wirklich so verändert? Ich will das nicht!" Plötzlich war der Spuk vorbei und die Gegend um ihn wirkte natürlich. Aufatmend ließ er sich zurückfallen und starrte in den Himmel. Der war ein Spiegel, und er sah sich darin auf einer Wiese liegen mit einem verstörten Gesichtsausdruck.
"Himmel noch mal'" schrie er auf und setzte sich kerzengerade hin. "Wo bin ich nur hingeraten?"
"In das Land der Hirngespinste", flüsterte neben ihm eine schon bekannte Stimme. Andino drehte sich langsam zur Seite und sah ein Wesen fein, sehr fein, wie ein Gespinst, durchsichtig und feingliedrig  zart, erkennbar nur durch das Lächeln auf dem Gesicht, das umrahmt wurde von Haaren, die wie lange feine, goldene Seidenfäden bei jeder Bewegung, die der Kopf machte, durch die Luft schwirrten und tanzten. Es trug ein langes, goldiges Etwas als Gewand und das Auffälligste waren seine Augen. Sie strahlten  in irisierenden Goldtönen und waren das Größte an Augen, was er je in einem Gesicht gesehen hatte. Das Wesen gluckste vor Vergnügen über Andinos  Verblüffung.
"Du siehst mich so, wie du mich sehen willst. Hirngespinste sind immer unsere eigenen Fantasien.. Alles was du hier erlebst, kommt aus dir


selbst. Darum sei nicht verstört oder ängstlich. Es ist sehr schön, dass du diese Fantasie in dir trägst. Sie ist kostbar, denn sie geht den Menschen, wie vieles Andere auch, allmählich verloren. Ich bin eine Elfe und mein Name ist Gunicara. Mein Auftrag ist es, dich zu begleiten und so gut wie möglich vor Gefahren zu schützen". Sprach’s und löste sich mit einem winzigen "Plop" in der Luft auf. Andino hörte noch "wir sehen uns" und ein leises Kichern, dann war er allein.

Die märchenhafte Spannung wich, und er sah sich um, stand auf, schüttelte sich und versuchte in eine einigermaßen normale Stimmung zu gelangen, was in dieser Umgebung allerdings etwas schwierig war.
„Was ist eigentlich normal, was ist real“, fragte er sich.“ Wenn ich tatsächlich in eine andere Welt gelangt bin, muss das ja einen bestimmten Sinn haben“, grübelte er. Andino glaubte nicht an einen Zufall.
Er war der Auffassung, dass alles im Leben einen Zweck hatte.
"Was wollt Ihr von mir, was soll ich tun, wenn ich schon hier bin" fragte er laut in die Luft. Er bekam keine Antwort. Stattdessen war vor ihm plötzlich eine Wand, eine Spiegelwand, lang – lang – lang zog sie sich hin.
Andino erhob sich. Es wurde Zeit, dass er sich wieder mal bewegte. Über das neue Phänomen war er gar nicht mehr sonderlich erstaunt, nur neugierig. Er ging an der Spiegelwand entlang. Immer sah er sein Spiegelbild und die Landschaft dahinter. Nach etwa zwei Stunden wurde er  langsam ungeduldig. Die Wand nahm kein Ende.
Er ging weiter und weiter. Vielleicht sollte ich mal die Richtung ändern, dachte er und entfernte sich vom Spiegel im rechten Winkel. Aber da war wieder eine Spiegelwand, in der er sich sah. Doch etwas hatte sich verändert. Hinter ihm waren jetzt auch Spiegel, die vom Spiegel vor ihm reflektiert wurden und ihn selbst ins Unendliche gehen ließen. Er trat an die Wand und berührte sie. Da, wo sein Spiegelbild sich vervielfältigte, war ein Durchgang. Er trat ein. Jetzt waren überall Spiegel, und er sah sich immer und immer wieder. Weiter und weiter ging er. Ab und zu schloss er seine Augen. Andino konnte seinen eigenen Anblick nicht mehr ertragen. Plötzlich hörte er Gunicaras Lachen und ihre Stimme flüsterte ihm zu: "Du bist auf dem richtigen Weg. Er ist bald zu Ende". Andino schaute sich um, konnte Gunicara aber nirgendwo entdecken.
Er war allein und noch immer vervielfältigten die Spiegel seine Figur.
Im nächsten Moment stand er wie angewurzelt. Vor ihm war es schwarz. Eine große Tür in tiefstem Schwarz versperrte ihm den Weg. Er war wütend und trat dagegen, woraufhin sein linkes Bein bis zum Knie verschwand, einfach weg. Vorsichtig zog er sein Bein zurück. Es war wieder da, unversehrt. Er tastete mit der Hand und sie verschwand in der Schwärze der Tür. Er wollte es wissen und trat durch diese Schwärze. Um ihn war Nacht, tiefe dunkle Nacht. Nur der  Himmel über ihm glitzerte in einer Sternenpracht, so unnatürlich und geometrisch, wie er es noch nie erlebt hatte. Die Sterne waren wie aufgestickt am samtigen Himmel, und es herrschte Ordnung und Abstand zwischen ihnen.
"Meine Fantasie macht ja wieder mal schöne Sachen" bemerkte Andino grimmig. Er sah sich um. Es sah aus wie in der Nacht, als er die Wölfe erblickt hatte, nur dass es nicht so bitterkalt war. Etwas zupfte plötzlich an seiner Hose. Er schaute nach unten. Da war ein kleiner Kerl, höchstens so lang wie sein Unterarm. Er hatte einen plumpen Körper, fast ohne Hals; kurze Beine, kurze Arme und trug groteskerweise auf seinem kleinen runden Kopf eine Lampe, die ein ziemlich starkes Licht verbreitete. "Ich bin der Kopfleuchter", wisperte der Knirps etwas atemlos, "und soll dich führen. Los, komm!" Er winkte mit einer winzigen Hand und trottete einen kaum erkennbaren Weg entlang. Andino musste lachen.
 „Das ist doch mal wirklich eine komische Figur“, dachte er und lief unsicher hinter dem Lichtschein her. Andino lobte sich: "Der Kopfleuchter ist wirklich ein ausgezeichnetes Hirngespinst, hab ich gut gemacht!" Schwupp! - war es dunkel und Andino erstarrte. Um ihn war Finsternis, doch direkt vor ihm etwas, das hell und phosphorisierend glänzte. Es war eine riesige Spinne, viel, viel größer als er selbst und sie kam langsam auf ihn zu. Ihre Kauwerkzeuge und riesigen Klauen bewegten sich. Andino stand wie angewurzelt, sein Atem ging heftig, und er hatte das Gefühl, zu ersticken.
"Wenn du jetzt nichts dagegen tust, frisst sie dich", dachte er laut und der Schweiß rann ihm den Rücken herunter. Er sah die bösartigen Augen des Tieres auf sich gerichtet und schrie aus vollem Hals: “Lass mich in Ruh’, Dich hab’ ich nicht bestellt! “ Aber die Spinne rückte unablässig näher. Andino versuchte auszuweichen und sah sich nach einem Versteck um. Nichts ging, und die Spinne erhob unmittelbar vor ihm ihre Klauen. Doch plötzlich war da ein "Plop", das Ungeheuer war verschwunden und Gunicara schaute ihm besorgt ins Gesicht. „Geht es dir gut, bist du in Ordnung“, fragte sie leise. „Das war Mysa, leider! Sie ist eine Ausgeburt des Bösen und sehr gefährlich. Verzeih, dass ich so spät gekommen bin. „Plop“ machte es und die Elfe war  verschwunden.


Andino ließ sich nieder. Ihm schlotterten die Knie. Er streckte seine Beine aus. „Für heute ist es genug“, bemerkte er,  fiel nach hinten  und war im nächsten Moment eingeschlafen.

Weitere Werke von magmater:


_________________
Die Spiele der Fantasie gebären Ideen.
Ich wünsche Euch viele

magmater
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Ithanea
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 34
Beiträge: 1062

Ei 3 Pokapro 2017


Beitrag02.11.2013 15:25

von Ithanea
Antworten mit Zitat

Hallo magmater,

ich habe nur das erste Kapitel deines Textes gelesen. Um sich genauer mit dem Text zu beschäftigen, ist es etwas viel. Vielleicht hat bisher aus diesem Grund noch keiner kommentiert. Eine Möglichkeit wäre, beim nächsten Mal mit einem kürzerern Stück anzufangen und nach und nach was dranzuhängen.

Der Teil, den ich gelesen habe, gefällt mir sehr gut. Ausführliche Beschreibungen, lange Sätze. Das ist, glaube ich, nicht jedermanns Sache, aber mir gefällt es hier. Die stille schaurige Nachtatmosphäre, das stundenlange gespannte Warten auf die Wölfe ... - kommt gut rüber, finde ich.

Allerdings finde ich den beiläufigen Satz über den toten Vater zu kurz. Ein 16-jähriger Junge denkt an seinen Vater, den er erst von einem halben Jahr verloren hat und ist traurig? Trifft ihn das nicht jedes Mal wieder mit voller Wucht, wenn er dran denkt, versetzt ihm keinen Stich, macht ihn das nicht verzweifelt, hoffnungslos, ... ?
Man merkt leider an meinen Vorschlägen, dass ich das mit dem Show bzw. anderen Umschreibungen für einen Zustand auch nicht wirklich gut kann. Aber ich merke, dass es da bei dir irgendwie zu wenig ist.

Ich habe gesehen, dass du schon einen anderen Thread erstellt hast, wo du einen Satz zum Inhalt deiner Geschichte sagst. Vielleicht wäre es ganz gut, das hier noch mal zu schreiben, und auch, was daraus einmal werden soll oder was der Stand der Dinge ist. Du hast ja, wie ich sehe, schon ein Cover. Ist die Geschichte schon fertig?

Wenn du noch Hilfe zu Funktionen des Forums o.ä. brauchst - weil im anderen Thread steht, dass du dich noch nicht so zurecht findest - kannst du mir (und bestimmt auch den Admins) gerne eine PN schreiben.
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