Morgens um halb zwei

[Claudia]

Morgens um halb zwei


Die Uhr schlägt morgens um halb zwei.
Ach, wäre sie doch schon vorbei,
die Nacht, in der ich atemlos,
horche, meine Augen groß!
Nebenan hört man es scharren,
Füße wollen nicht verharren,
aufgeregt, in wirrem Takt,
wie von Hysterie gepackt.
Dazu das Klicken alter Tasten,
Finger hasten, hasten, hasten,
und mein Herz rast laut dazu.

Eine Pause, kurze Ruh.

Hölzern Schuhe schöpfen Kraft,
und danach, mit neuer Macht,
kratzen, huschen, treten, klacken,
sie, als wollten sie mich packen,
an der Kehle eisern eng.
Ach, könnte ich nur einfach sterben,
hier erlöst und friedlich werden!
Plötzlich will ich nichts mehr wissen,
grabe meinen Kopf ins Kissen,
schlafe endlich bleiern ein.

Gott, wie spät mag es wohl sein?
Grelles Licht in meinen Augen,
die noch nicht zum Sehen taugen,
und im Rahmen meiner Tür,
Mutter, Mutter, kommt zur Kür.
„Ich bin Deine blöde Kuh“,
grollt sie mir, ich sitz im nu,
aufrecht hier in diesem Bette.
„Wenn ich Geld im Säckel hätte“,
schreit sie mir von weiten her,
„Ja, dann liebtest Du mir sehr.
Du sollst meine Tochter sein?
Gottverdammt, was bist Du klein.
Kannst ja mich nicht einmal lieben!“
Mir wird schlecht bei diesen Hieben,
ich sage ihr, das sei nicht wahr,
doch für sie ist alles klar.
„Lüge mich hier nicht so an!“,
gibt sie raus, und höhnisch dann:
„Du brauchst jetzt gar nicht zu weinen,
ich lasse mich von Dir nicht leimen.“
Wie ich flehe, wie ich schwöre,
dass ich immer ihr gehöre!

Türe knallt, und sie ist raus,
doch ich weiß, dass dieser Graus,
gerade erst am Anfang steht,
weil sie noch nicht weiter geht.

Vorhang auf, wie abgehackt,
und es folgt der zweite Akt:
„Sage mir, wo ist der Sinn?
Gehe doch zum Vater hin!
Ganz bestimmt wird er sich freuen,
keine Mühe bei dir scheuen,
denn Du hältst mich nur für Dreck,
wünscht Dir doch, dass ich verreck.“
Dieser Vater, der mich fickte,
gierig in meine Augen blickte,
scheint ihr für mich recht zu sein,
denke ich und werde klein.
Warum bringst du mich nicht um,
bettele ich heimlich stumm,
sieh doch mal in mein Gesicht,
kennst Du echte Tränen nicht?
Zitternd bin ich, kann nicht reden,
keinen Einspruch mehr erheben.

Schritte wenden sich nun fort,
und ich sitze einfach dort,
unbeweglich, wie erfroren,
wünschend, wäre nie geboren.
Dreizehn Jahre Mutters Last,
dreizehn Jahre Glück verpasst,
wie nur könnte ich bezahlen,
was ihr dreizehn Jahre stahlen?
Was nur könnte ich ihr schenken?
Denken, denken, denken, denken!

Irgendwo, da bellen Hunde,
die Kirchenuhr schlägt zweite Stunde.
Ich rolle mich im Bett zusammen,
brennend Tränen auf den Wangen,
zieh die Decke ins Gesicht,
Mutter kommt und löscht das Licht,
steht bei mir, hat keine Sprache,
ich tue so, als ob ich schlafe,
und frage mich die Schrecklichkeit:
Morgen wieder? Gleiche Zeit?

[Mana]

[Kryz Lair]

Ich schließe mich der Meinung Manakings an...

Hm...ja...wäre der Inhalt nicht so bedrückend...könnte ich jetzt einfach sagen: sehr ordentlich geschrieben, geradlinieniger -aber fehlerloser- Stil, sehr "bewegend"....

aber der Inhalt geht sehr, sehr tief...und Worte wie "bewegend" scheinen mir albern und unpassend...

[Claudia]

Als albern und unpassend empfinde ich eine solche Wortwahl überhaupt nicht, Kryz Lair. Wie sollte man es sonst formulieren?

[Mana]

[Claudia]

  Okay.  So geht's natürlich auch. Vor allem kann man sich nicht im Ton vergreifen.    

[Mana]

es sollte einfach meine sprachlosigkeit in worte fassen^^

[SylviaB]

Liebe Claudia,

dein Werk gehört für mich eher nach Biografisches als Erzählung.
http://www.dsfo.de/fo/viewforum.php?f=26

Nich alle Reime sind auch ein Gedicht. Es ist wirklich gut und ich beglückwünsche dich dazu. Es erzeugt ein Gefühl wo ich mitschwingen kann. Aber es ist keine Lyrik im eigentlichen Sinn. Es ist eher eine Erzählung.

Ich würde es gern verschieben, wenn ich darf.

Lieben Gruß
Sylvia

[Claudia]

Klar, verschiebe!

[SylviaB]

Super dann verschiebe ich es jetzt. Irgendwie hab ich keine Nachricht hiervon erhalten. hm.... Entschuldige dass das so spät passiert. Wird nicht wieder vorkommen.

Lieben Gruß
Sylvia

[Stuemper]

wahnsinn. da kann man wirklich nichts mehr zu sagen

[Enfant Terrible]

Ich mag zwar solche "alltäglichen" Gedichte von Haus aus nicht besonders, aber ich muss schon sagen, das hier ist ausgesprochen gelungen.  

[Claudia]

Danke für die Anerkennung!

[Hardy-Kern]

Weiß nicht was ich davon halten soll. Die Selbstgeißelungen kommen mir in letzter Zeit zu oft vor. Tut mir leid, aber so denke ich.
Wir sollten doch etwas mehr Optimismus verbreiten, das heißt mehr Stimmung ins Forum bringen! Hardy

Die wesentlichste Form des Geistes ist die Heiterkeit.
(Karl Marx)

[Steffen Garub20072008]

Türe knallt, und sie ist raus,
doch ich weiß, dass dieser Graus,
gerade erst am Anfang steht,
weil sie noch nicht weiter geht.

Claudia, Dein Gedicht gefällt mir super. Daß Du wünschtest, Du wärst nie geboren, kommt zweimal vor. Für mich ist dieses Gedicht aber noch nicht fertig, denn diese Phase hat das Mädchen ja überwunden. Wie geschah das? War es die Liebe anderer Menschen? Ein Studium der Psychologie? Worin steckte der Sinn, Dich diese Erfahrungen sammeln zu lassen?
Liebe Grüße
Steffen
P.S. die Stelle ist für mich nicht ganz rund. Ich würde schreiben: weil es immer weiter geht, das reimt sich auch und ist noch einleuchtender. Oder ist es wichtig, daß die Mutter nicht weiter geht?

[Claudia]