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Kara Eselsohr
K Alter: 46 Beiträge: 293
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K 24.09.2013 20:00 Der rosa Planet von Kara
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Montag morgens, halb sieben.
Meine Frau gibt mir einen Abschiedskuss, ich winke der kleinen Hand, die meinem Sohn gehört, der noch im Pyjama zwischen ihren Beinen steht. Ich merke, wie sich meine Lungen mit Luft füllen bei diesem allmorgendlichen Ritual, ohne dieses ich es nicht einmal bis zum Bahnhof schaffen würde. Ich nenne es Luftpumpen. Luftpumpen eines defekten Fahrradschlauches. Ich ahne, dass dies keine Lösung auf Dauer ist. Aber Pflicht ist, dem Druck stand zu halten, bis man wieder zu Hause ist. Also mache ich mich zu Fuß auf den Weg durch das morgendliche Gewimmel, vorbei an den Heimkehrern der Nachtschicht, den Kostüm- und Schlipsträger-Strich-innen. Allesamt nicht nur aufgrund der Kleidung uniformiert, uns alle eint der fahle Blick, den wir nur zu gerne Müdigkeit nennen.
Ich stehe an Jedermanns Bahnhof. Während ich auf meinen Zug warte, sehe ich flüchtig die von Tempo in die Sitze Gepressten. Blitze, kaum wahrgenommen, schon wieder vergessen. Nur der Bahnhof als Bauwerk, eine fette Spinne, die gemächlich in ihrem Netzwerk aus Schienen und Knotenpunkten thront, hinterlässt Eindruck. Kinder ängstigen sich hier. Doch irgendwann arrangiert man sich mit dem Anblick und der hiesigen Atmosphäre. Man gewöhnt sich schnell. Auch an fette Spinnen.
Mein Zug verspätet sich, ich versuche, meinen Blick auf die verwaisten Gleise zu richten. Es gelingt mir nicht, den Zug mit Kraft meiner Gedanken her zu zwingen. Zugegeben, ein halbherziger Versuch, eher Routine als Bedürfnis. Um mir die Wartezeit zu verkürzen, überlege ich was man tun muss, um diesen verdammten Fahrradreifen zu reparieren. Schon mehrmals hatte ich es fast verzweifelt schon versucht. Mir sogar fachlichen Rat geholt. Aber genützt hatte es nichts. Nach ein, zwei Wochen ließ die Luft wieder nach. Vielleicht wäre es besser, meine Frau würde sich ein neues Rad zulegen. Hat sie nicht genug gepumpt in letzter Zeit? Ihre Kraft und ihre Motivation schwinden aufgrund der trostlosen Aussichten.
Ich bewege mich nicht, keinen Zentimeter. Eine Starre kriecht mir die Hosenbeine hinauf, sie fühlt sich klamm an, spätestens jetzt werde ich wütend. Ich werde definitiv zu spät zur Arbeit kommen. Das sehen die Kollegen in der Bank nicht gerne. Ich habe Termine. Ich versuche, die Atmung flach zu halten, um unnötige Anstrengungen zu reduzieren.
Ich schicke meine Gedanken wieder zu meinem Sohn, zu meiner Frau. Sicher ahnt sie, dass es bald knapp wird. Es kündigt sich an, es gibt Signale auf der ganzen Strecke. Die Anzeigentafel zeigt zwanzig Minuten Verspätung. Die Spinne lauert auf ihre Beute. Ihr Gift wirkt bereits.
Doch bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter zu warten. Hier, in Mitten einer müden trüben Traube aus Pendlern, Getrieben, Rastlosen. Aus Dus und Ichs. Vielleicht ist dieser Bahnhof das Letzte, was ich von dieser Welt sehen werde. Ich hebe meinen Blick und sehe mir meine Leidgenossen an. Jeder einzelne umhüllt von einer gummiartigen Blase, elastisch zwar, aber von fester Konsistenz. Einigen wölbt sich beim Einatmen die welke Oberfläche verdächtig entgegen. Ihnen wird, wie mir, langsam der Sauerstoff knapp. Manchen wird auch der Druck von außen zu groß, deren Blasen sehen aus wie gequetschte Luftballons. Es geht vielen so, irgendwann allen.
Aber man sieht es nur, wenn man hinsieht.
Herzrasen, Ohrenpiepen, erste ignorierte Botschaften, dann kommen die Grautöne. Welche sich in unterschiedlichen Schattierungen über die porös gewordenen Hüllen legen wie ein Hauch feingesiebter Asche. Man sieht dann nicht mehr sonderlich gut. Aber klare Sicht ist nicht das Ziel, solange die Züge fahren. Bereit halten, Einsteigen, Weiterfahren. Nach Feierabend die Blase putzen. Der Kinder oder des Partners wegen. Morgen wird sie wieder grau. Ganz von selbst.
Der Planet, auf dem ich ohne Blase existieren kann, ist rosa. Wäre er grün, rot, meinetwegen auch bunt gepunktet, hätte er irgendeine andere Farbe, wäre ich schon längst dort. Ich hätte meinen Sohn und meine Frau mitnehmen können, vielleicht hätten wir ihn uns teilen können. Aber er ist rosa. Und so bin ich bis heute hier. Bis heute. Heute hat der Zug Verspätung und vor mir sind die Gleise. Einen Schritt nur.
Vor den Gleisen, neben ihnen. Neben den Gleisen, neben dem Weg. Bin ich vom Weg abgekommen? Geschah das erst jetzt, heute, weil der Zug nicht kommt? Wenn man den Eisenschienen folgt, kommt man immer zu einem Bahnhof, wo einen das vermeintlich wahre Leben umarmt und sofort in seinen Fängen hat. Ich folge dem Netz, wie alle. Vor mir ein Menschenpulk, hinter mir. Sie alle folgen den festgelegten Wegen, den fixen Schienen, wie einst die Orientierungslosen einem Flußlauf. Wie die Blinden dem Stock. In Hoffnung auf... was? Eine andere Welt? Gemeinsam einsam voneinander abgekapselt, schauen wir zum Innehalten verdonnert zu, wie ein ICE auf dem Nachbargleis anhält und sich eine Menschentraube durch die Türen zwängt. Es quietscht, wenn die Gummihäute aneinander reiben. Der Zug fährt los in drei, zwei, eins... Zisch - mit dem Schließen ertönt eine monotone Frauenstimme durch die Lautsprecher.
„Meine Damen und Herren, der Zug auf Gleis 3 wird ist gestrichen. Auf Gleis 2a trifft in Kürze… “ Weiter höre ich nicht zu, nun ist es amtlich, was wir alle befürchteten. Der Zug, unser Zug, wird nicht mehr kommen. Ratlose Gesichter in sich verdunkelnden Blasen. Die Hamster unter uns, meist die unerfahrenen und naiven, bewegen sich laufradähnlich mit ihren noch prallen Plastikkugeln davon, in der Hoffnung, eine andere Anschlussmöglichkeit zu bekommen. Auf den Gleisen bleiben bedeutet im Spiel zu bleiben. Die meisten von ihnen sind noch jung, ahnen noch nicht, dass sie keine Steine sind, die immer weiter rollen und rollen.
Die Schienen. Einen Schritt nur und ich bin meine Blase los. Könnte wieder frei atmen. Jede einzelne Zelle mit Energie auftanken, denn da drüben existiert mein persönliches Wunderland. Ein einziger Schritt. Wie früher.
Ich war acht sieben Jahre alt, als ich das erste Mal über die Gleise schritt. Die längst nicht mehr bespielte Holzeisenbahn, teilte unser Geschwisterzimmer wie eine Grenzlinie. Unerlaubter Übertritt wurde bestraft. Ich lebte in dem grauen Bereich.
Ritterburgen, Rennautos, Raumschiffe.
Ruhten, rasteten und rosteten.
Gegenüber die märchenhafte Rosawelt meiner Schwester. Mit all ihrem Mädchenkram, dem Glitzer, den Rüschenkleidern und Prinzessinnenbildchen. Dienstags und freitags ging sie immer zum Ballett, meine Schwester. Übte, sich den Rücken zu verbiegen. Das hätte ich auch gerne trainiert. Weich und geschmeidig zu sein, um nicht zu brechen. Aber Jungs spielen Fußball, bei Wind und Wetter, zum Abhärten.
Es kam also nur zweimal in der Woche vor, dass ich allein in unserem Zimmer war. Nur dann, wenn alle anderen Seelen ausgeflogen waren, konnte ich sie spüren. Die Zauberwelt der anderen Seite. So wie ich die Tür hinter mir schloss, meldete sie sich mit einem leichten Bauchkribbeln in mein Bewusstsein zurück.
Kribbelte,klingelte,klopfte an .
Ich bekam feuchte Hände, mein Körper gehorchte nicht mehr mir, nur noch dem Rufen der Sirenen jenseits der Gleise. Ich konnte es nicht verhindern, dass mein Bein sich ohne mein Zutun anhob und zum Schritt ansetzte. Über die Gleise. Dann saß ich plötzlich auf ihrem Bett, wie von Zauberhand. In ihren Kleidern, dazu noch ordentlich gekämmt, mit einer zarten Haarspange im Haar. In der Hand ihre Lieblingspuppe. Im Bauch ein wohliges Gefühl.
Das ruckartige Öffnen der Haustür katapultierte mich jedes Mal unsanft in meinen grauen Bereich zurück. Vom hektischen Wirbel erst einmal erfasst, verwandelte er mich in Sekundenschnelle zurück. In den Jungen, der ich nun einmal war.
Ich erzählte niemandem von meinem geheimen rosa Wunderland, welches täglich direkt vor meiner Nase auf mich wartete und mich im Geheimen glücklich sein ließ. Wenn auch nur für einige Augenblicke. Bis das Poltern der Haustür, der Wächter meiner geheimen Welt, mich mahnend zum Aufbruch drängte. Mit der schützenden Hülle in der Hand. Ich holte tief Luft, stieg hinein in meine Tarnkapsel, um mich wieder in meine Umgebung einzufügen.
Anpassen, einfügen, tarnen.
Doch nun, dreißig Jahre später, geht mir hier drinnen die Luft aus. Ich stehe am Bahnhof, warte auf meinen Zug, der nicht kommen wird und blicke auf die Gleise, die mich locken. Davonrennen, drübersteigen, drauflegen.
Mein Mobiltelefon klingelt und mein Sohn erzählt mir aufgeregt von seiner Hauptrolle im Kindergartentheater. Sie spielen Dornröschen. Er wird die Hauptrolle spielen. Mir wird warm ums Herz, die Sauerstoffdosis hatte ich dringend nötig.
„Papa, Du mußt unbedingt zuschauen, wenn wir am nächsten Freitag das Stück spielen. Du musst Dir Urlaub nehmen! Alle Eltern sollen kommen. Papa, Biiiiiitteee! Ich spiele doch das Dornröschen.“
Meine Frau nimmt ihm den Hörer aus der Hand, ich höre sie leise atmen. Ich presse meine Lippen zusammen, so groß ist der Druck meiner rosa Wahrheit. Jedes ausgesprochene Wort wäre falsch. Sie ist nicht ich. Sie lebt auf ihrem eigenen Planeten. Hört anders, atmet andere Luft. Jeder lebt auf seinem eigenen Planeten! Und alle haben verdammt nochmal eine andere Farbe!
„Mach Dir keine Sorgen, ich weiß es doch längst. Rosa ist ok.“ Sie lächelt durchs Telefon, ich spüre es genau.
Ich atme tief durch und steige mit einem großen Schritt über die zerfetzten Ballonrückstände zu meinen Füssen. Plötzlich stehe ich, ohne mein Zutun, auf der anderen Seite der Gleise. Ich kehre der Spinne den Rücken zu und gehe nach Hause. Die Adresse : Milchstrasse 3.
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Luvinia Wortedrechsler
L Alter: 29 Beiträge: 71
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lady-in-black Bitte nicht füttern
Beiträge: 1474 Wohnort: Killer Förde
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25.09.2013 12:58
von lady-in-black
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Moin,
dies ist ein Ichwillerstmalnurdiebewertungsfedernfreischaltenkommentar.
Später vielleicht noch einmal mehr.
_________________ - Ich würde mich gerne geistig mit Dir duellieren ... aber ich sehe Du bist leider unbewaffnet.
- Nein, Stil ist nicht das Ende vom Besen.
- Ich spreche fließend ironisch, auch im sarkastischen Dialekt. |
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ash_p Wortedrechsler
Alter: 36 Beiträge: 51 Wohnort: Berlin
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25.09.2013 18:47
von ash_p
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Ein sehr metaphorischer Text, desen einzelne Teile fließend ineinander über gehen.
Nur, dass erst von einem schlaffen Fahhradschlauch die Rede ist und dann plötzlich von einer Blase, die den Proagonisten umgibt versteh ich nicht. Dieser Übergang ist mir irgendwie zu abrupt.
Trotzdem ist es passend, irgendwie.
_________________ Im Herzen haben wir alle unsere eigene kleine Welt. |
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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26.09.2013 17:26
von BlueNote
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Milchstraße 3, Rosa ist OK ...
Das mit dem Kinderzimmer und die Gleisteilung hat mir recht gut gefallen. Der Schluss besser als der Anfang. Kapiert habe ich es nicht so recht ... Die Szene am Bahnhof erscheint mir schon arg in die Länge gezogen. Ich habe außerdem immer wieder Schreibfehler entdeckt. Gefällt mir so mittelgut.
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anuphti Trostkeks
Alter: 58 Beiträge: 4320 Wohnort: Isarstrand
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26.09.2013 20:14
von anuphti
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Eine sensibel umgesetzte Geschichte über Anderssein und Akzeptanz.
Sehr schön erzählt.
Einzig die verschwommene Verwendung der Begriffe "Gleis" und "Bahnsteig" lässt mich hin und wieder stolpern.
Das Thema Wahrheit wird eingebracht mir dem Fazit, Wahrheit lässt sich nicht verstecken, sie ist immer wahrnehmbar.
Sehr gerne gelesen.
Im Moment 8 Federn.
Bewertung kann sich noch nach oben oder unten ändern.
LG
Nuff
_________________ Pronomen: sie/ihr
Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)
You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach) |
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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26.09.2013 23:29
von firstoffertio
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Hier gefallen mir einige Aspekte. Die Beschreibung des Wartens. Warten hat tatsächlich eine ganz eigene Relation zu Wirklichkeit und Wahrheit. Immer wenn man wartet, wird Wirklichkeit erwartet, vorausgesetzt, doch ist sie ungewiss, und wird auch bezweifelt.. Dann gefällt mir, wie das verschiedene Wahrnehmen von Menschen beschrieben und reflektiert wird (mitsamt eigener Erinnerungen), und zum Schluss kommt aktuelle Interaktion. Der Text scheint mir in ihre Richtung als wahrheitsunterstuetzend/-definierend zu pendeln, und das finde ich, falls ich mich nicht täusche, gut herausgearbeitet.
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KeTam Ungeduld
Alter: 49 Beiträge: 4947
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27.09.2013 09:47
von KeTam
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Die Geschichte an sich finde ich total süß.
Anders kann ich es jetzt nicht sagen.
Aber mir fehlt da auch ein bisschen die Tiefe. Es ist schön geschrieben aber zu "alltäglich". Halt Menschen, die sich hinter Masken verstecken, nur noch funktionieren müssen.
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4297
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28.09.2013 11:05
von hobbes
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Abgesehen davon, dass man hier noch an sprachlichen Feinheiten feilen könnte, hapert es auch am Handwerk, in dem Fall z.B. der Rechtschreibung. Flüchtigkeitsfehler auch noch. Das reißt mich leider immer wieder aus dem Text heraus.
Die Beschreibung des alltäglichen, ungeliebten Hamsterrads. Könnte man meinen, aber dann kommt doch alles anders / wird alles rosa.
Das Bild mit dem Fahrradschlauch gefällt mir.
Dummerweise kann ich den Erzähler nicht sonderlich gut leiden. Ein Jammerer. Klar, er hat sich da vielleicht nicht das einfachste Leben ausgesucht, angeblich hat er sich zwar sogar Unterstützung geholt (was ich ihm nicht ganz abnehme), aber letztendlich bleibt er bei seinem "bleibt mir nichts anderes übrig" und ergibt sich seinem Schicksal als armes Opfer.
Und das ist leider nicht sonderlich nach meinem Geschmack.
Da hilft es mir auch nicht, dass es zwischendurch durchaus ein paar schöne Stellen gibt.
Und der Schluss, der letzte Absatz - was soll der nun? Happy Ending, nur Einbildung oder jetzt doch auf die Gleise? Richtig klar wird mir das nicht (woran hauptsächlich die Milchstrasse schuld ist).
Nein, das ist leider nicht so mein Text.
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Akiragirl Dünnhäuterin
Alter: 33 Beiträge: 3632 Wohnort: Leipzig
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29.09.2013 13:15
von Akiragirl
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Hallo Inko,
ich mag die Idee zu deinem Text sehr gerne. Weil keine Toten drin vorkommen und auch keine gescheiterte Beziehung im eigentlichen Sinn. Etwas an dieser Geschichte hat mich berührt, hat mir ein kleines Lächeln entlockt. Das ist immer ein gutes Zeichen, finde ich.
Du hast das Thema (Quer über die Gleise) gut umgesetzt und auch das Bernhard-Zitat erkennbar verarbeitet. Mir gefällt die Idee mit den Blasen, die alle Menschen umgeben, und in denen irgendwann die Luft knapp wird. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, dieses Bild früher in die Geschichte einzubinden; also gleich am Anfang.
Ein bisschen Probleme hatte ich mit dem Anspruch der Geschichte, E zu sein bzw. dem Versuch, nach E zu klingen. An manchen Stellen hat das ganz gut geklappt, aber an manchen Stellen hatte ich das Gefühl, dass der Autor sich irgendwie verbiegen musste; seine Sprache „anspruchsvoll“ klingen zu lassen und das nicht immer so gut funktioniert hat.
Hier z.B.:
Zitat: | Ich merke, wie sich meine Lungen mit Luft füllen bei diesem allmorgendlichen Ritual, ohne dieses ich es nicht einmal bis zum Bahnhof schaffen würde. |
Mein Sprachgefühl schlägt hier irgendwie massiv an; das „dieses“ passt nicht zum übrigen Stil der Geschichte, ein schlichtes „das“ hätte da stehen müssen. Es fühlt sich falsch an; als ob es eben nur da ist, um zu rufen: Schau, das hier ist E!
Zitat: |
Die Hamster unter uns, meist die unerfahrenen und naiven, bewegen sich laufradähnlich mit ihren noch prallen Plastikkugeln davon, in der Hoffnung, eine andere Anschlussmöglichkeit zu bekommen. |
Wie kann ein Hamster oder ein Mensch sich „laufradähnlich“ bewegen? Laufräder bewegen sich eigentlich immer nur um die eigene Achse. Du meintest sicherlich „wie in einem Laufrad“. Solche Stolpersteine befinden sich einige im Text. Ich denke, es wäre besser gewesen, der Autor hätte hier seinen ganz normalen Stil verfolgt, ganz ohne Krampf.
Mit der Kommasetzung scheinst du auch etwas auf Kriegsfuß zu stehen. Das soll jetzt nicht das Hauptkriterium zur Bewertung sein, aber es hat das Lesen teilweise erschwert, weil mit so völlig falscher Kommasetzung manche Sätze richtig „schief“ wirken.
Alles in Allem also ein guter Text mit Umsetzungsproblemen und der E-Anspruch wird nicht so 100%ig eingelöst in meinen Augen.
Ich vergebe daher 6 Federn
Liebe Grüße
Anne
_________________ "Man bereut nicht, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat." (Mark Aurel) |
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adelbo Reißwolf
Beiträge: 1830 Wohnort: Im heiligen Hafen
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29.09.2013 15:51
von adelbo
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Hallo Inko,
das wäre vom Inhalt her ein wirklich guter Text, wenn er um die Hälfte gekürzt würde. Leider quälte ich mich nach ein paar Minuten durch die Geschichte, weil sie sich immer wiederholte.
Zitat: | Anpassen, einfügen, tarnen.
Doch nun, dreißig Jahre später, geht mir hier drinnen die Luft aus. Ich stehe am Bahnhof, warte auf meinen Zug, der nicht kommen wird und blicke auf die Gleise, die mich locken. Davonrennen, drübersteigen, drauflegen. |
Das ist für mich die Quintessenz und dafür gibt es für mich zu viel Drumherum.
Ich finde die Geschichte einfühlsam geschrieben, kann über weite Strecken die Empfindungen mitfühlen.
LG
adelbo
_________________ „Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.“
Bertrand Russell |
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Lapidar Exposéadler
Alter: 61 Beiträge: 2699 Wohnort: in der Diaspora
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29.09.2013 19:30
von Lapidar
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Schön
_________________ "Dem Bruder des Schwagers seine Schwester und von der der Onkel dessen Nichte Bogenschützin Lapidar" Kiara
If you can't say something nice... don't say anything at all. Anonym. |
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gold Papiertiger
Beiträge: 4943 Wohnort: unter Wasser
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29.09.2013 22:08
von gold
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hallo Inko,
dein Text gefällt mir sehr gut. Er ist sehr einfühlsam geschrieben. Zunächst dachte ich, er sei zu konstruiert: die Idee des rosa Planeten ohne Blase war mir zu weit her geholt. Dann aber, nach erneutem Durchlesen war mir klar, warum der Planet für den Protagonisten rosa sein musste. Die aufregende Erfahrung mit der Rosawelt der Schwester
prägte den Prota so sehr, dass er sich ein Dasein in der Rosawelt (ohne Blase) herbei sehnte.
Lg gold
_________________ es sind die Krähen
die zetern
in wogenden Zedern
Make Tofu Not War (Goshka Macuga)
Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso) |
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Kara Eselsohr
K Alter: 46 Beiträge: 293
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K 01.10.2013 12:14
von Kara
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Tja... mannometer, viele Flüchtigkeitsfehler..., Wiederholungen etc... das hagelt Federabzug, aumeiaumei...
Aber an alle, die mir meine unprofessionelle Arbeit persönlich übelnehmen- angesichts der Tatsache, dass ich nur 3 Stunden Schreibzeit hatte.... finde ich es gar nicht soooo schlecht. Das hätte schlimmer kommen können.
Übrigens, mein liebes Ich :
Es heißt der ROSANE Planet- oder der rosafarbene Planet...
aber beides klingt auch irgendwie... blöd.
Egal, wie die Federn fallen- mir hat´s echt Spaß gemacht!
LG an alle, Kara
_________________ ...nur wer sich bewegt, bewegt auch was...
... Gras wächst auch nicht schneller, wenn man dran zieht... |
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Herbert Blaser Eselsohr
Alter: 58 Beiträge: 313 Wohnort: Basel
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01.10.2013 15:55
von Herbert Blaser
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Packender Beitrag. Die Grautöne können verdammt allgegenwärtig sein und kaum jemand weiss, was passiert, wenn Farbe bekennt wird.
_________________ Wie haben wir den Mut in einer Welt zu leben, in der die Liebe durch eine Lüge provoziert wird, die aus dem Bedürfnis besteht, unsere Leiden von denen mildern zu lassen, die uns zum Leiden brachten?
Marcel Proust |
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Kateli Eselsohr
Alter: 47 Beiträge: 256 Wohnort: D-Süd
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02.10.2013 10:35
von Kateli
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Zwei große, vorherrschende Bilder: Die rosa Wunderwelt auf der anderen, unerreichbaren Seite und der Bahnhof des Lebens mit seinen abgesagten Zügen und verkapselten Passagieren und den vorgezeichneten Gleisen.
Und eine Wahrheit, eine Lebenswahrheit, die der Erzähler nicht nach außen tragen kann, weil sie nicht in die Norm passt.
Sehr viele Bilder, das Luftpumpen, die fette Bahnshofs-Gleis-Spinne, die Hamsterräder usw., was ich sonst sehr schätze, aber hier sind es mir fast zu viele, sie nehmen sich gegenseitig die Kontur und die Glaubwürdigkeit. Ich kenne das Problem von meinem eigenen Schreiben, ich zwinge mich dann immer, mich für ein oder zwei Bilder zu entscheiden, auch wenn's wehtut. Generell finde ich, dass diesem Text ein Straffungs-Durchgang gut täte, mehr Prägnanz bringen würde (und vielleicht ein, zwei Erklärungen weniger, das würde die Klarheit eher verbessern).
Ich verstehe, dass die Sache mit der Farbe wichtig ist, klar, die andere Welt schon im Titel, aber dass seine Frau das "Rosa" im letzten Satz benennt, ist nicht nachvollziehbar, denn er erwähnt es vorher nicht, kommt ein bisschen sehr unglaubwürdig daher, dass sie nicht nur weiß, wo der Hase im rosa Pfeffer liegt, sondern auch noch, wie er die Thematik für sich benennt ... wenn er es kurz zuvor, als Antwort auf die Bitte seines Sohnes (die sie dann schon hört, weil Lautsprecher oder so), irgendwie erwähnt hätte, nach dem Motto "dann hast du ja ein rosa Kleid an", irgendwie so, dann wäre es glaubwürdiger.
Mit der "Milchstraße 3" hänge ich allerdings ab - was das sagen soll (außer vielleicht, er fühlt sich wie im Himmel?), kapiere ich nicht.
LG
Nina
_________________ Zombies just want hugs |
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holg Exposéadler
Moderator
Beiträge: 2396 Wohnort: knapp rechts von links
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02.10.2013 10:35
von holg
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Der Rosa Planet - eine Befreiung.
Die Bilder passen für mich, die Entwicklung ist nachvollziehbar, die Geschichte will gelesen werden. Außen- und Innenwelt verweben sich zu einem Knäuel.-dem aber eine erkennbare Ordnung innewohnt - kein Kuddelmuddel.
Einzig ein paar konstruktive Patzer - oder Formulierungen, die mir als solche aufstoßen, schmälern ein wenig das Lesevergnügen. Beispiel: Zitat: | bei diesem allmorgendlichen Ritual, ohne dieses das ich es nicht einmal |
Zitat: | den Kostüm- und Schlipsträger-Strich-innen. | Ich vermute da etwa StricherInnen oder StrichgängerInnen oder ähnliches. Kann aber auch was ganz anderes gemeint sein.
Zur Wahrheit und der Unmöglichkeit, sie zu kommunizieren:
Du nimmst Bilder, um zu beschreiben, was sonst nicht zu beschreiben ist. Das LI nähert sich über Assoziationen dem Kern seiner Geschichte. Das funktioniert gut und ohne große Erklärungen.
In meinen Augen eine der besseren Geschichten im Wettbewerb.
holg
_________________ Why so testerical? |
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Bawali Klammeraffe
Alter: 80 Beiträge: 538 Wohnort: Wettingen, Schweiz
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02.10.2013 12:29
von Bawali
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Nachdem ich alle Beiträge aufmerksam durchgelesen habe, gibt es nun zu jedem eine kurze Anmerkung und eine erste vorläufige Einstufung. Aus meiner natürlich subjektiven Sicht stützt sich meine Einschätzung auf Aussage, Verständlichkeit, Schreibstil und das Handwerkliche des Textes sowie natürlich darauf, ob und wie gut Thema und Zitat umgesetzt wurden.
Thema und vor allem Zitat sind zu wenig umgesetzt. In dieser durch Unzufriedenheit geprägten Geschichte wird das Verschweigen herausgehoben. Verschweigen hat nichts mit Lügen zu tun und damit gibt es keinen wirklichen Bezug zum Zitat.
Die Befederung setze ich im mittleren Drittel an. Die endgültige Federnzahl werde ich erst nach einem weiteren Durchgang, quer über alle Texte vergleichend, setzen.
_________________ Ein Freund ist ein Mensch der dich mag, auch wenn er dich kennt. (frei nach Elbert G. Hubbard) |
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Gast
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02.10.2013 15:22
von Gast
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Hallo
Die Geschichte einer "Lebenslüge", ziemlich gut geschrieben, das Geheimnis teilt sich dem Leser behutsam mit.
Es gibt ein Motiv, das hier eingeführt wird
Zitat: | Jeder einzelne umhüllt von einer gummiartigen Blase, elastisch zwar, aber von fester Konsistenz. Einigen wölbt sich beim Einatmen die welke Oberfläche verdächtig entgegen. Ihnen wird, wie mir, langsam der Sauerstoff knapp. Manchen wird auch der Druck von außen zu groß, deren Blasen sehen aus wie gequetschte Luftballons. Es geht vielen so, irgendwann allen.
Aber man sieht es nur, wenn man hinsieht. |
wobei mir hier der letzte Satz nicht gefällt.
Später wird das "Tarnkapsel" genannt. Was mir (aussagemässig) ein wenig widerstrebt, ist die unterschwellige Arroganz, die ich darin sehe, dass sich der Protagonist als einer versteht, der sehen kann, wobei man ja nicht viel sieht, wenn man zwar die Tarnung, die Blasen erkennen kann, aber nicht was sich drinnen verbirgt. Die Tendenz, alle, die um ihn herum sind, über denselben Kamm zu scheren, gefällt mir nicht so gut.
Das ist, wie gesagt, ein inhaltliches Problem, es tut der Qualität der Erzählweise keinen Abbruch.
Ein kleiner Kritikpunkt noch. Das Ende kommt ein wenig zu sehr aus dem gar nicht so heiteren Himmel, die Geschichte macht einen gewaltigen Satz und (ohne sein Zutun?) bekommt der Mann die Lösung seines Problems serviert. Hat dir der Raum gefehlt oder wolltest du das genau so?
Ich versuche mir nun vorzustellen, wie es weitergehen wird, und fühle mich da ein klein wenig allein gelassen, aber da liegen die Schranken wohl eher bei mir, als in deinem Text.
Auf jeden Fall hast du ein eher aussergewöhnliches Thema aufgegriffen, vielleicht finde ich das auch nur, weil ich einer solchen Figur beim Lesen nur selten begegne.
Lorraine
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Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
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02.10.2013 16:50
von Mardii
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Ein sprachlich einigermaßen experimenteller Text. Die Metaphern sind teils in herkömmlicher Weise angelegt: Spinne – Netz – Bahnhof, teils etwas eigenwillig: „Fahrradschlauch“, die „Kostüm-Schlips-innen“-träger (gefallen mir gut). Die Beschreibung des mechanischen Ablaufs des Alltags ist sehr dicht mit dem Gedanken, ausbrechen zu wollen, verwoben. Die Entwicklung vom hektischen, unübersichtlichen Jedermanns-Bahnhof, wo sich der Einzelne in der eigenen Luftblase befindet, hin zum erträumten „rosa Planeten“ des Erzähler-Ichs, vollzieht sich schleichend. Der „Betroffene“ scheint eingewebt in dieses Netz – doch am Schluss ist die Befreiung daraus einfach – wie im Märchen. Daraus folgend wirkt die Rückblende auf mich sehr märchen-klischeehaft. Der Identitätswechsel geht traumhaft von Grau zu Rosa zu Grau über. Ich frage mich: Ist es wirklich so?
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
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Lupo Eselsohr
Beiträge: 364 Wohnort: Pegnesien
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03.10.2013 09:18 Rosa Milch von Lupo
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Planeten, Inseln, Flöße, Kapseln ... alles Transportmittel individueller Einsamkeit. Hier also ein rosa Planet. Warum nicht. Gefällt mir. Die Darstellung des Dilemmas geht mir unmittelbar ein. Seine Auflösung überrascht mich zwar nicht, doch kann ich dem Entschluss der Hauptfigur problemlos folgen.
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finis Klammeraffe
F
Beiträge: 577 Wohnort: zurück
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F 03.10.2013 15:22
von finis
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Hallo,
Das ist vermutlich das intelligenteste, das ich in letzter Zeit zum Thema sexuelle Identität gelesen habe.
Die Fahrradmetapher gefällt mir sehr, auch der Sauerstoffmangel parallel zum Bedürfnis seine Identität auszuleben. Der stete Zweifel, ob das eigene Leben das richtige ist.
Milchstraße 3 als Adresse fand ich zu viel, das nimmt der Planetmetapher etwas Raum.
Gern gelesen.
Lieben Gruß
finis
_________________ "Mir fehlt ein Wort." (Kurt Tucholsky) |
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