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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 10/2013
Schokoladenleben


 
 
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Babella
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 61
Beiträge: 889

Das goldene Aufbruchstück Der bronzene Roboter


Beitrag24.09.2013 20:00
Schokoladenleben
von Babella
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Wäre Jan Küppers ermordet worden und hätte die Kriminalpolizei sein privates und berufliches Umfeld befragt, wäre das Bild, das die Ermittler aus den Aussagen zusammengesetzt hätten, wohl recht eindeutig gewesen. Man hätte ihn als einen ruhigen, unauffälligen und ausgeglichenen Menschen beschrieben, der wenig von lauten Auseinandersetzungen hielt und sich leicht einmal die Butter vom Brot nehmen ließ, mit sich und der Welt aber zufrieden war. Darüber hätten sich die Ermittler vermutlich gewundert. Nachbarn in dem hübschen Stadtteil Krefelds, in dem Familie Küppers wohnte, würden von lautstarken häuslichen Auseinandersetzungen berichten, die von seiner Frau dominiert wurden. Und die Ermittler würden sich insgeheim vermutlich rasch auf die Seite des Ehemanns schlagen, denn die Frau wäre auch ihnen gegenüber laut und rechthaberisch aufgetreten und hätte sich über den Tod ihres Gatten nicht betroffen gezeigt, sondern persönlich beleidigt darüber, dass er sie mit all den Lasten allein ließ. Denn der Sohn hatte keinen Schulabschluss und keinen Arbeitsplatz und brachte kaum einen zusammenhängenden Satz ohne Fäkalausdrücke zustande, und die Tochter war zwar mit mehr Intelligenz und einem Arbeitsplatz gesegnet, hatte aber offenbar das fehlende Händchen des Vaters bei der Partnersuche geerbt, lebte sie doch mit einem zu Gewalt neigenden Alkoholiker zusammen und flüchtete regelmäßig in ihr Elternhaus zurück, um sich auszuweinen und sich Ratschläge anzuhören, zu denen sie ergeben nickte, bevor sie wieder zu ihrem therapieresistenten Gatten zurückzukehrte.
In der Firma des Ermordeten aber, einem mittelgroßen Betrieb in Troisdorf, in dem Kunststoffe entwickelt und hergestellt wurden, wäre dem Ermittlerteam rasch das kühle, fast unfreundliche Klima aufgefallen, man hätte sich über Küppers‘ schäbiges Büro gewundert, und darüber gewitzelt, dass das Stuhlbein angesägt sein müsse. Denn auch dem dickfelligsten Detektiv wäre rasch klar geworden, dass Jan Küppers von  jungen, geschliffenen Karrieristen, die fließend Powerpoint sprachen und sich auch so verhielten, abgedrängt und auf eine Art Altenteil geschoben worden war.
Dazwischen gab es nicht viel zu fragen. Jan Küppers war seit über zwanzig Jahren täglich zwischen Krefeld und Troisdorf mit der Bahn gependelt. Vermutlich hätte man im Falle seiner Ermordung nach anderen Pendlern gesucht, die Küppers kannte und die vielleicht mehr wüssten über ihn; aber es hätten wohl nur einige regelmäßig in Kölner Bahnhöfen verkehrende Obdachlose ausgesagt, dass er ihnen ab und zu eine Münze zugesteckt hatte und auch diese hätten nichts Persönliches über ihn zu sagen gehabt.
Hätte man ihn selbst zu Lebzeiten nach dem Geheimnis seiner Ausgeglichenheit gefragt, hätte er fein gelächelt und vermutlich geschwiegen, weil es ihm unangenehm gewesen wäre, seine Gedanken preiszugeben, aber es war auch niemand auf die Idee gekommen, ausgerechnet Jan Küppers um einen Rat zur Lebensführung zu bitten. Dabei wäre es überaus lehrreich gewesen, die Antwort zu hören.
Küppers stieg in Köln-Deutz um, wechselte von Gleis 11 auf Gleis 9 und zurück von Gleis 9 auf Gleis 11, jedenfalls meistens. Mit dem Strom der anderen Reisenden strebte er die Stufen vom Gleis hinunter, ging ein Stück durch die Gleisunterführung und ließ sich wenig später wieder nach oben treiben. Dort stand er meist in der Nähe des Kiosks und schaute gemeinsam mit den anderen die Gleise entlang dem Zug entgegen.
Was dann geschah, entzog sich jeder Kenntnis durch Außenstehende und auch Jan Küppers hätte es niemandem erklären können, weshalb es wohl besser war, dass ihn ohnehin niemand fragte.
Wenn er müde und abgekämpft nach einem ebenso langen wie unerfreulichen Tag aus dem Zug von Troisdorf gestiegen war und sich in Gedanken darauf eingestellt hatte, dass ihn auch zu Hause nichts Gutes erwartete, wechselte er seine Identität, während er vom einen Gleis hinunter und auf das andere Gleis nach oben stieg; dann ließ er seinen Blick auf das Gleis schweifen, auf dem er zuletzt gewesen war, sah sich dort selbst stehen und bewunderte sich grenzenlos.
Er sah einen schlanken, wendigen Mann, einen reichen Mitteleuropäer in der Blüte seiner Jahre. Dieser Mann hatte nicht nur ein Zuhause, er hatte auch eine Frau und zwei Kinder und einen sicheren Job. Als Kind einer Friseurin und eines Briefträgers hatte er gegen viele Widerstände den Sprung ins Gymnasium geschafft, mit einer Traumnote sein Abitur abgelegt und ein bekannt schweres Studium bewältigt. Für seine Anstrengungen wurde er mit einem unbefristeten Arbeitsverhältnis und einem eigenen Büro belohnt. Er besaß Niere, Leber und Galle und alle seine Organe waren unbeschädigt. Er müsste keine finanziellen Erwägungen anstellen, wenn er sich jetzt ein Schnitzelbrötchen oder eine Flasche Rotwein zu überhöhtem Preis kaufen wollte. Er besaß ein Klavier und konnte es bedienen. Niemand verfolgte ihn, niemand wollte ihn töten und das Wasser, zu dem er Zugang hatte, war kontrolliert und klar. Er war frei und könnte auf der Stelle in einen Zug steigen, der ihn nach Paris oder Mailand brachte, oder nach Wolfenbüttel. Aber das wollte er ja gar nicht. Er würde sich heute Abend wieder an sein Klavier setzen und sich davontragen lassen von den zarten Klängen, die er selbst erzeugte, nur er allein.
Wie Menschen aus der Zeit fallen, wenn sie sich beim Klassentreffen nach Jahrzehnten selbst zu begegnen scheinen, wenn sie sich in einem Kind wiedererkennen oder ihre erste Liebe mit einem Sommerduft von Flieder und Vanilleeis aufzuerstehen scheint, so fiel Küppers von einer Wahrheit in die andere, glitt durch ein Wurmloch in ein Paralleluniversum, in dem es sich mühelos und ohne Not leben ließ. Dort angekommen, atmete er Wärme und Wohlbefinden und das Leben fühlte sich an wie Schokolade.
Aber jener Mann, den er bewunderte und um seinen Reichtum beneidete, war zwei Treppen von ihm entfernt und verpasste ebenso vorhersehbar wie unausweichlich immer den Zug, in den Jan Küppers einstieg. Es war nur eine kleine Verzögerung auf Grund eines Versehens, eines kurzen, aber folgenreichen Verweilens auf dem Gleis gegenüber, das ihn und jenen Mann, den er bewunderte und beneidete, trennte. Die Sicht auf ihn musste genügen, um ihm jeden Tag aufs Neue Halt zu gewähren, zum Weiterleben zu motivieren und das schlaffe Schnitzelbrötchen zu genießen, das er sich unterwegs besorgt hatte. Denn er konnte niemals eins werden mit dem Mann, den er bewunderte und beneidete. Es trennte sie immer ein Gleis. Der glückliche Mensch war ihm auf den Fersen und erreichte ihn nie. Zu nah waren die Kränkungen, die er täglich erfuhr und gegen die er sich nicht zu wehren vermochte. Und doch ließ er auch den gekränkten, alternden Mann täglich auf dem Bahnsteig stehen, während er sein Schokoladenbad nahm. Wenn er aus den Zügen stieg und die Gleise querte, wuchs ihm die Kraft zu, sein Leben weiter zu führen und zu genießen. Es war ja alles, was er brauchte, zum Greifen nah.
Aber wie bei einer Kippfigur, in der eine Vase plötzlich als der Schatten zwischen zwei Gesichtern erschien, so kippte auch seine Sicht an einigen wenigen Tagen im Jahr, wenn ihn seine jungen Kollegen oder seine Familie allzu sehr geplagt hatten. Dann wurde er mit einem Male wütend auf den feigen Mann, dessen Leben von anderen bestimmt wurde, der sich in Tagträume und Musik flüchtete und der im Strom von Reisenden gesichtslos mitschwimmen würde, bis er das Zeitliche segnete.
Ein solcher Tag war es auch, als er unvermittelt auf dem Bahnsteig zusammenbrach. Der Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen, und auf Fremdeinwirkung gab es keinen Hinweis. So unterblieb jegliche Ermittlung, und niemand machte sich die Mühe herauszufinden, ob Jan Küppers ein glücklicher Mensch gewesen war.

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lady-in-black
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Beiträge: 1474
Wohnort: Killer Förde
Der goldene Käfig Extrem Süßes!


Beitrag25.09.2013 12:40

von lady-in-black
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Moin,  smile

dies ist ein Ichwillerstmalnurdiebewertungsfedernfreischaltenkommentar.

Später vielleicht noch einmal mehr. Pfiffig Blinzeln


_________________
- Ich würde mich gerne geistig mit Dir duellieren ... aber ich sehe Du bist leider unbewaffnet.
- Nein, Stil ist nicht das Ende vom Besen.
- Ich spreche fließend ironisch, auch im sarkastischen Dialekt.
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ash_p
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 36
Beiträge: 51
Wohnort: Berlin


Beitrag26.09.2013 21:49

von ash_p
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"Wäre er ermordet worden..." Guter Anfang, erzeugt spannung, die sich durch die ganze Geschichte zieht, bis am Ende die vermeintliche Aufklärung kommt, die vielleiccht auch gar keine ist.

_________________
Im Herzen haben wir alle unsere eigene kleine Welt.
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KeTam
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Alter: 49
Beiträge: 4952

Das goldene Gleis Ei 1
Ei 10 Ei 8
Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag27.09.2013 16:18

von KeTam
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Mir gefällt der Titel deiner Geschichte und auch die Geschichte selbst.
Die Idee, dass der Protagonist erkennt, dass es verschiedene Wahrheiten, also verschiedenen Blickwinkel gibt.
Nur leider ist es ihm nicht möglich, zu "reframen".
Auch eine tröstliche Geschichte, trotz des plötzlichen Todes am Ende.
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Lupo
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 364
Wohnort: Pegnesien


Beitrag27.09.2013 22:26
Bauz
von Lupo
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Auf einen nicht ablehnbaren Auftrag hin Kommentare schreiben zu müssen, bewirkt in mir die Verlegenheit, wie ich die Verrisse in möglichst schmeichelnde Worte kleide. Nicht so bei diesem Text.
Der Trick, im Konjunktiv das banale Leben der Hauptfigur auszubreiten, sagt mir zu. Im Kontrast zum Sachverhalt, den sich der beschriebene Mensch schön zurecht lügt, bleibe ich gespannt auf die Pointe. Den Todesfall hätte ich mir aber spektakulärer gewünscht. Im Umfeld von Bahnhofsgleisen sind ja viele Unfälle möglich, die durchaus nicht von einem Zug rühren müssen. Angenehm, die fehlerlose Orthographie und Grammatik! In der Zehn-Tage-Frist konnten die gewählten Haupt- und Tätigkeitswörter natürlich nicht perfekt gefeilt werden. Dennoch empfinde ich bei dem Autor eine bemerkenswerte Trittsicherheit.
Sehr angetan!
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hobbes
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Beiträge: 4292

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
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Beitrag28.09.2013 00:18
Re: Schokoladenleben
von hobbes
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Zitat:
(...) aber es war auch niemand auf die Idee gekommen, ausgerechnet Jan Küppers um einen Rat zur Lebensführung zu bitten. Dabei wäre es überaus lehrreich gewesen, die Antwort zu hören.

Warum (wäre es lehrreich gewesen)?
Eine Frage, die für mich aus dem Text heraus leider unbeantwortet bleibt.
Etwa um zu hören, wie man es besser nicht macht? So auf die Art: träumst du noch oder lebst du schon oder: wie schnell kann alles vorbei sein?

Oder ist die eigentliche Frage: Wer (oder wie?) ist Jan Küppers wirklich? Was ist die Wahrheit über Jan Küppers?

Irgendwie erscheint mir diese Geschichte so seltsam belanglos. Vielleicht ist das ja gerade der Witz daran, so auf die Art: Auch das Laben von Jan Küppers war irgendwie belanglos und es gibt bestimmt Millionen Jan Küppers' (für die sich kein Schwein interessiert) auf der Welt - ist das nicht fürchterlich traurig?

Oder aber (entliehen aus "Exit Marrakech"): Manchmal ist die Fantasie spannender als die Realität?
Bzw.: Wenn aus Fantasie Realität wird, stellt man dann irgendwann fest, dass auch die beste Schokolade auf Dauer nicht schmeckt?

Immerhin: Es ist ein Text, bei dem es mir nicht schwerfällt, ihm weitere (Lese)Chancen zu geben.
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gold
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Beitrag29.09.2013 18:21

von gold
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hallo Inko,

hach, wäre das schön, wenn sich eine Transformation in eine von mir bewunderte Person so ohne Weiteres bewerkstelligen ließe.
Die Beschreibung der gegensätzlichen Charaktere gefällt mir.

Lg gold


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firstoffertio
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Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
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Beitrag29.09.2013 23:00

von firstoffertio
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Mir gefällt der Aufbau dieses Textes, und auch, wie er mit dem Gleisthema spielt. Aber, aber, mir fehlt trotzdem etwas. Könnte ich es nur festmachen. Vielleicht bleibt die Geschichte doch zu konstruiert für mich? Vielleicht zu sehr auf ein Individuum bezogen? Vielleicht bricht sie zu wenig aus den üblichen Gleisen?
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Kara
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K

Alter: 46
Beiträge: 293



K
Beitrag01.10.2013 09:55

von Kara
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Hi Inko!
Ein solider Text, ich habe eigentlich gar nichts zu meckern, deshalb tue ich es auch nicht. Da ich echt viele Texte gut finde, muss ich irgendwie Abstufungen finden. Kurz gesagt, es gibt hier in diesem Wettbewerb Texte, die mir besser gefallen. Rein subjektiv. Sorry, ich kann es nicht anders begründen. LG, Kara


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...nur wer sich bewegt, bewegt auch was...
... Gras wächst auch nicht schneller, wenn man dran zieht...
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finis
Klammeraffe
F


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Die lange Johanne in Bronze


F
Beitrag01.10.2013 18:12

von finis
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Hallo,

Wenn mal jemand fragt, wie auktoriale Perspektive funktioniert: So.

Sauber, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Das "lehrreich" gefällt mir nicht wirklich, es klingt so, ja: belehrend, als wolltest Du mich mit diesem Text belehren, hör zu, so macht man das. Wäre subtiler netter, dann kann man es dem Leser überlassen, was er mitnimmt... Wink

Lieben Gruß
finis


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"Mir fehlt ein Wort." (Kurt Tucholsky)
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Lapidar
Geschlecht:weiblichExposéadler

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Beiträge: 2701
Wohnort: in der Diaspora


Beitrag01.10.2013 21:39

von Lapidar
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Grau in Grau, sehr film noire.

_________________
"Dem Bruder des Schwagers seine Schwester und von der der Onkel dessen Nichte Bogenschützin Lapidar" Kiara
If you can't say something nice... don't say anything at all. Anonym.
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Kateli
Geschlecht:weiblichEselsohr

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Beiträge: 256
Wohnort: D-Süd
Das goldene Gleis


Beitrag02.10.2013 09:47

von Kateli
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Interessante Idee. Sehr nachdenkenswert, viel Tiefe, die durch verschiedene Dinge zustande kommt. Einmal ist der große Schritt zurück, die Erkenntnis, dass wir hier (genau genommen) allesamt im Paradies leben, verglichen mit anderen Regionen der Welt, wo es zum Teil am Lebensnotwendigsten wie z.B. sauberem Trinkwasser mangelt. Dazu kommen schöne Bilder wie das Schokoladenbad und das Schnitzelbrötchen (hattest du Hunger beim Schreiben?), und die Idee vom glücklichen Pendant, das immer nur eine Armlänge respektive Gleisbreite entfernt ist.
Auch der Einfall mit dem hypothetischen "Wenn er ermordet worden wäre" hat seinen Reiz, denn natürlich macht das zunächst mal neugierig auf das, was denn nun tatsächlich der Fall war, wenn er nun offenbar nicht ermordet wurde.
Leider kommt diese Auflösung für mich zu spät, die Spannung hält sich nicht solange (ich weiß, Pointen-Dilemma, aber so finde ich's nicht ideal gelöst), und außerdem wechselst du mittendrin übergangslos vom Konjunktiv "hätte-wäre-wenn" in einen Tatsachenbericht, da ist ein Bruch drin, denn man entweder bewusst als solchen hervorheben sollte, oder so subtil machen, wenn er denn einen tieferen Sinn hat, dass ich am Schluss quasi ein Aha-Erlebnis habe oder so.
Fazit: Durchaus was zum Nachdenken, schöne Bilder, aber von der Umsetzung her noch ausbaufähig.

LG
Nina


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Zombies just want hugs
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Gast







Beitrag02.10.2013 11:23

von Gast
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Hallo smile

Auch eine von den Geschichten, die sich langsam erschließen, was ihre Qualitäten betrifft.
Formal gut gelöst, im Irrealis geschrieben, zu Beginn; fast unmerklich geht es logisch ins  Präteritum über bis zum Ende hin; du hast einen beeindruckenden Schlusssatz geschrieben.

Du hast geschafft, was nicht einfach ist: Ein durchschnittlich unglückliches Leben zu erzählen, ohne nennenswerte Aufregungen, nichts Reißerisches und doch ziehst du mich durch - das hat viel zu tun mit der sehr guten Beherrschung deines Instruments: der Sprache.

Du verstehst es, nachdenklich zu machen ohne mit einem moralischen Zeigezaunpfahl zu winken.

Lorraine
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Bawali
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 80
Beiträge: 538
Wohnort: Wettingen, Schweiz


Beitrag02.10.2013 11:34

von Bawali
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Nachdem ich alle Beiträge aufmerksam durchgelesen habe, gibt es nun zu jedem eine kurze Anmerkung und eine erste vorläufige Einstufung. Aus meiner natürlich subjektiven Sicht stützt sich meine Einschätzung auf Aussage, Verständlichkeit, Schreibstil und das Handwerkliche des Textes sowie natürlich darauf, ob und wie gut Thema und Zitat umgesetzt wurden.

Neben der schwachen Umsetzung des Themas habe ich, trotz mehrfach Lesens, nichts vom Zitat gefunden. Ob das nun meine Unfähigkeit ist oder nicht, lasse ich dahingestellt. Ich lese grundsätzlich nicht zwischen den Zeilen, sondern das, was der Autor artikuliert und mindestens als Gedankenanstöße  geschrieben hat. Hat mich als ganzes nicht sehr überzeugt.

Die Befederung setze ich im mittleren Drittel an. Die endgültige Federnzahl werde ich erst nach einem weiteren Durchgang, quer über alle Texte vergleichend, setzen.


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Ein Freund ist ein Mensch der dich mag, auch wenn er dich kennt. (frei nach Elbert G. Hubbard)
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holg
Geschlecht:männlichExposéadler

Moderator

Beiträge: 2396
Wohnort: knapp rechts von links
Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag02.10.2013 12:12

von holg
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Ich habe deinen Text zweimal bewusst und langsam gelesen und glaubte, ihn zu verstehen. Als ich ihn jetzt gerade nochmal überfliegen wollte, bevor ich kommentiere und befedere, kam er mir unendlich zäh und langatmig vor und ich wollte ihn gar nicht mehr ganz lesen.

Die Idee der Annäherung an den Charakter, an die Person durch Betrachtung wie andere ihn sehen und schließlich die Selbstbetrachtung quer über die Gleise, kommt der Bernhardschen Idee mMn sehr nahe. Sprachlich habe ich nichts auszusetzen. Die Worte sind wohl gesetzt, die Perspektive klar, der Vorgang der Herausarbeitung des Gesamtbildes deutlich. Warum will mir der Text also nicht mehr so recht gefallen?

Vielleicht einfach die inflationäre Menge ähnlicher Geschichten? Dabei finde ich nicht, dass deine ist wie alle anderen.

Verunsichert und außerstande was qualifizierteres zu schreiben ...

holg


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Why so testerical?
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Mardii
Stiefmütterle

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Beiträge: 1774



Beitrag02.10.2013 17:22

von Mardii
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Herr Küppers, eine durchschnittliche und friedliebende Existenz, bricht auf dem Weg zur Arbeit tot auf dem Bahnhof zusammen.
Das anfängliche Gedankenspiel des Erzählers, was wäre, wenn Küppers ermordet werden würde, entlarvt sich sehr schnell als hinfällig, denn niemand hätte ein gesteigertes Interesse daran.
Warum also der Aufwand?
Wird der Protagonist als sinnlose Existenz entlarvt, der, hätte er einmal gegen seine Frau, seine Vorgesetzten aufbegehrt, mehr Aufmerksamkeit – und sei es die, ermordet zu werden – nicht verdient?
Oder soll bewiesen werden, dass auch ein Mensch wie Küppers, seinen Traum – wenn auch von einer ganz ähnlichen, nur problemfreieren und erfolgreicheren Existenz - vom Mann auf dem anderen Gleis hatte?
Vielleicht ist die Antwort, wenn jemand ein glücklicher Mensch gewesen, braucht niemand danach zu fragen.


_________________
`bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully
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adelbo
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1830
Wohnort: Im heiligen Hafen


Beitrag03.10.2013 15:00

von adelbo
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Hallo Inko


Gefällt mir gut, deine Geschichte über ein geträumtes Schokoladenleben.

Das Thema ist vorhanden und die Auseinandersetzung mit den Weisheiten von Thomas Bernhard gefallen mir ausnehmend gut. Die mögliche Wahrheit wenn ...

Gerne gelesen.

LG
adelbo


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„Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.“

Bertrand Russell
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Herbert Blaser
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 58
Beiträge: 313
Wohnort: Basel


Beitrag03.10.2013 16:17

von Herbert Blaser
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Der auktoriale Erzähler ist nicht meine Lieblingsfigur, aber diese Geschichte gefällt mir sehr gut. Eindrückliche Symbolik mit der Sicht auf das "bessere Alter Ego", welches den Zug verpasst.

_________________
Wie haben wir den Mut in einer Welt zu leben, in der die Liebe durch eine Lüge provoziert wird, die aus dem Bedürfnis besteht, unsere Leiden von denen mildern zu lassen, die uns zum Leiden brachten?

Marcel Proust
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Amaryllis
Geschlecht:weiblichForenschmetterling

Alter: 38
Beiträge: 1380

Das goldene Stundenglas Das Silberne Pfand


Beitrag03.10.2013 17:23

von Amaryllis
Antworten mit Zitat

Liebe/r Inko,

vorab noch ein paar Worte: Ich persönlich sehe mich nicht als E-Literatur-Expertin, weder in schreibender noch in lesender Form, also nimm es mir bitte nicht übel, sollte ich nicht alles so verstanden haben, wie es vielleicht gemeint war. Zudem habe ich unter einem relativ hohen Zeitdruck gelesen und kommentiert, meine Obergrenze, einen Text zu lesen, lag also bei zwei Lektüredurchgängen.

So, jetzt aber zum Text:
Ich finde, deiner ist einer der wenigen Texte, in dem beide Themen (gleich) gut umgesetzt worden sind, dafür gibts von mir schon mal ein großes Plus. Auch die Idee, also den Inhalt an sich, finde ich super, die Begegnung mit dem idealen Ich, den Titel finde ich auch passend. Mein einziges Problem bei deinem Text ist der ständige Konjunktiv. Also ich weiß, dass der Text ohne nicht funktioniert und ich glaube auch nicht, dass es funktioniert hätte, hätte man den Text nur mit Konkjunktiv eingerahmt und den Mittelteil im Indikativ geschrieben, aber durch den Konjunktiv kommt kein Rhythmus zusammen, der Text "klingt" nicht rund. Das find ich wirklich sehr schade, dass dieses Experiment für mich nicht ganz so funktioniert hat. Andererseits ist es aber sehr mutig, so ein Experiment überhaupt zu wagen.

Eine Erbse hab ich auch noch für dich:

Zitat:
Man hätte ihn als einen ruhigen, unauffälligen und ausgeglichenen Menschen beschrieben, der wenig von lauten Auseinandersetzungen hielt und sich leicht einmal die Butter vom Brot nehmen ließ, mit sich und der Welt aber zufrieden war. Darüber hätten sich die Ermittler vermutlich gewundert. Nachbarn in dem hübschen Stadtteil Krefelds, in dem Familie Küppers wohnte, würden von lautstarken häuslichen Auseinandersetzungen berichten, die von seiner Frau dominiert wurden.

Ich finde, mit einem Bindewort oder einem entsprechenden Adjektiv wie "nämlich" hätte der Satz runder geklungen.

Alles in allem ist es für mich trotzdem ein Text, der in meiner persönlichen Reihung sicher im oberen Drittel landen wird.

Meine Bewertung erfolgt, sobald ich alle Texte kommentiert habe.
Alles Liebe,
Ama


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Mein Leben ist ein Scherbenhaufen...
Aber ich bin der Fakir.
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Akiragirl
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Beiträge: 3632
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Der goldene Spiegel - Prosa DSFo-Sponsor


Beitrag03.10.2013 18:13

von Akiragirl
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Hallo Inko,

dein Text hat mir gefallen. Zum einen war ich heilfroh, dass Jan am Ende nicht vor einen Zug gesprungen ist (ich weiß nicht, wie oft das jetzt schon vorkam im Wettbewerb …), sondern „nur“ einen Herzinfarkt (?) erlitten hat. Somit ist die Geschichte nicht so melodramatisch, aber genau das lässt sie für mein Empfinden stark nachhallen.

Im Mittelpunkt steht ein „ganz normaler“ Mann, Jan Küppers, der sich in seinem Alltag gefangen fühlt und immer wieder sich selbst wie ein Außenstehender zu betrachten versucht. Ich finde, du hast diesen Zwiespalt gut dargestellt; ich konnte mich gut in Jan einfühlen. Der Text fließt schön, man kann ihn angenehm lesen und stockt kaum; auch in Sachen Rechtschreibung bist du sicher.
Die beiden Themen hast du, wie ich finde, sehr gut und auch einfallsreich umgesetzt.

Ein kleiner Wermutstropfen: Für meinen persönlichen Geschmack war es zu viel „Telling“; ich weiß, dass wir uns hier im E-Bereich befinden und man deshalb nicht unbedingt die klassischen „Regeln“ anwenden kann, aber z.T. war mir der Text einfach zu stark „dahererzählt“ ; ich denke, er hätte mit etwas mehr Nähe zum Protagonisten noch stärker sein können.

Alles in Allem 7 Federn von mir.

Liebe Grüße
Anne


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"Man bereut nicht, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat." (Mark Aurel)
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anuphti
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Wohnort: Isarstrand
DSFo-Sponsor Pokapro 2015


Beitrag03.10.2013 21:38

von anuphti
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Diese Geschichte hat mich nicht gepackt. es ist alles so, was wäre gewesen wenn ...

Gerne mehr Details nach dem Wettbewerb.

4 Federn

LG
Nuff


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lilli.vostry
Wortschmiedin


Beiträge: 1219
Wohnort: Dresden


Beitrag04.10.2013 02:22
aw:Schololadenleben
von lilli.vostry
Antworten mit Zitat

Hallo,

der Titel "Schokoladenleben" klingt verlockend. Doch schnell wird klar in der Geschichte, dass es alles andere als das ist im Leben des Jan Küppers, dessen rätselhafter Tod hier der Anlass ist zur Frage: Was war er eigentlich für ein Mensch? Was wusste seine Frau, die Kinder, Kollegen in Wirklichkeit über ihn, der nach außen immer so unauffällig, ruhig und freundlich wirkte...
Doch in ihm sah er ganz anders aus; toll die Idee wie er seine Identität zwischen dem Abwährts und Hinaufsteigen der Bahngleise wechselt, (schöne Formulierung: "er fiel von einer Wahrheit in die andere, glitt durch ein Wurmloch in ein Paralleluniversum..."), ohne dass der glückliche Teil seiner selbst ihn je einholt.  
Eine leise tragikomische, mit feinem Humor erzählte Alltags- und Familiengeschichte über die Schwierigkeit mit ungeliebten Wahrheiten zu leben ohne sie ändern zu können oder wollen.
Nur kleine Mängel sprachlich: Manche Sätze sind arg lang geraten, der längste fünf (!) Zeilen lang wo Sohn und Tochter mit ihren Nöten beschrieben werden. Ist nicht so lesefreundlich. Auch die erzählte Möglichkeitsform ist gewöhnungsbedürftig und wird nicht ganz durchgehalten, teils geraten zudem die Zeitformen und der Tatbestand in diesem angeblichen Krimi durcheinander.
(z.B. müsste es doch heißen: "die Ermitter würden sich geschlagen haben...")
Es wird nie behauptet, dass Küppers ermordet wurde, doch in einem Satz heißt es: "In der Firna des Ermordeten" - vermeintlich müsste dann ja wohl davorstehen.

Der Schlussdatz gefällt mir sehr gut.
Einer meiner Favoriten diese Geschichte. Ich gebe 7 Federn.

Viele Grüße,
Lilli


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