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Es ist spät


 
 
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Myrtana222
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 30
Beiträge: 50
Wohnort: Biberach an der Riss, Baden-Württemberg


Beitrag28.08.2013 00:34
Es ist spät
von Myrtana222
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Es ist spät


Es ist spät. Das leise Ticken der Uhr verrät mir jede Sekunde, die verstreicht. Ich wälze mich auf die Seite, ich ertrage es nicht länger, auf dem Rücken zu liegen, er schmerzt. Neben mir liegt eine Tote.
„Kannst du wieder nicht schlafen?“, fragt sie mich aus ihrem staubtrockenen Maul, ein klaffendes Loch in ihrem Gesicht, in dem die meisten Zähne nicht einmal echt sind, verschimmelt mit den vielen Jahren.
„Nein“, antworte ich. Ich schalte das Licht ein. Im Dunkeln merkt man ihr das Alter nicht an, erst, wenn das Licht angeht. Ansonsten kann man nur ihre Haut unter der Decke spüren, alt, kalt und klebrig, zerfurcht wie eine Kiefer.
„Ich muss etwas lesen.“ Ich richte mich stöhnend auf, jeder Knochen knack in meinem Körper, die Beine schmerzen unter meinem Gewicht. Hinter mir schließe ich leise die Tür und taste nach dem Lichtschalter, muss ein Husten unterdrücken. Es ist doch wirklich eine Qual so alt zu sein.
Ich setze mich in den abgewetzten Ledersessel, nehme ein Buch, irgendeins. Meine Lesebrille liegt auf dem kleinen Tisch. Die Uhr zeigt zwei Uhr morgens, tickt, als hätte ich noch Zeit zu verlieren. Vor meinen Augen verschwimmen die Buchstaben, es ist schwer, so spät noch etwas zu lesen, es strengt an.
Ich schließe das Buch, massiere meine Augen. Diese alten Dinger, die schon lange nicht mehr richtig sehen. An der Wand hängt unser Hochzeitsfoto, verschwommen kann ich mich darauf erkennen, jung, schön und aufrecht wie eine Kerze. Wäre ich doch wieder wie damals. Wäre ich doch wenigstens zehn Jahre jünger.
Ich greife nach der Fernbedienung, vielleicht hat das Fernsehen etwas für mich zu bieten. Seit einiger Zeit kommen doch nur noch diese Sendungen für Jugendliche, inhaltsleer und sodomitisch, selbstverliebt, als müssen sie nie altern.
Ich will gerade eine Taste drücken, als ich etwas vorbeihuschen sehe.
„Hallo, Jack!“
Vor Schreck lasse ich die Fernbedienung fallen. Das kleine Wesen verkriecht sich unter den Kaffeetisch, hebt die Arme über den Kopf.
„Mann, ich will dir doch gar nichts tun!“ Es ist rot, Nüstern sitzen auf seiner langen Schnauze, ein langer, gezackter Schwanz sprießt oberhalb seines Hinterteils, die kleinen Flügel hat es angelegt. Ganz pummelig ist es.
„Was… Was zur Hölle bist du?“
„Bist du blind? Ich bin ein Drache!“
„Was will denn ein Drache unter meinem Kaffeetisch?“
„Vielleicht wäre ich auch auf dem Tisch, wenn du nicht mit Sachen nach mir werfen würdest.“
„Es tut mir leid. Das war ein Versehen.“
„Dann will ich dir doch noch einmal verzeihen.“
Mit ein paar Flügelschlägen flog der Drache unter seinem Versteck hervor und landet sanft auf dem Kaffeetisch. Seine Krallen geben dabei leise Klickgeräusche.
„Also, Jack…“
„Ich heiße nicht Jack.“
„Was tut dein Name auch zur Sache. Also, Jack, ich habe gehört, du hast Angst.“
„Angst hab ich keine. Wovor sollte ich auch Angst haben, in meinem Alter!“
„Ich höre dich doch den lieben langen Tag ächzen, fluchen und stöhnen.“
„Das ist doch nicht, weil ich Angst habe. Mein Rücken tut weh, meine Beine tun weh, und das Alter. Nicht einmal mehr richtig verdauen kann ich, nur ein alter Sack bin ich, voller gärender Nahrung und kalter Füße.“
„Also hast du Angst vor dem Alter!“
„Nein, Kleiner, ich hab keine Angst vor dem Alter. Ich verabscheue es bloß. Dieses ewige Einerlei, ein Tag ist wie der andere. Meine Freunde sind fast alle tot, meine Enkel sehe ich so gut wie nie und das Geld wird immer knapper. Und der Einzige, mit dem ich mich unterhalten kann, ist ein kleiner, pummeliger Drache.“
Entrüstet pustet der Drache seine Nüstern auf und verschränkt die kurzen Arme vor der Brust. Ich muss fast ein Lachen unterdrücken.
„Tut mir Leid, Drache. Ich bin nur verzweifelt.“
„Aber wieso? Schau, sogar ich altere!“ Damit hob der Drache seinen Kopf an, sodass ich die Schuppen in seinem Nacken sehen kann, von denen ein paar etwas grauer waren als die anderen.
„Das tut mir Leid, Drache. Ich will ja nicht jammern. Aber manchmal fühle ich mich, als wären wir nur wie ein Computer. Wir fühlen uns gut, wenn alles stimmt, wenn nichts weh tut und die Verdauung gut läuft. Wir tun, was wir für richtig halten, und wir lernen schon als Kinder, was das Richtige ist. Unser Kopf nimmt auf, was wir sehen, und verarbeitet es, wie ein Programm. Wenn mit unserem Kopf etwas nicht stimmt, wenn etwas fehlt oder kaputt ist, dann sind auch wir kaputt oder tot.“
„Aber Jack! Wir sind doch so viel mehr als das! Ja, wir sind auf unser Gehirn beschränkt, doch können wir auch fühlen! Wir sind so komplex, nicht der beste Computer kann uns das Wasser reichen. Wir spüren Schmerz, auch wenn er eine Illusion unseres Gehirns ist, wir fühlen Ärger und wir lieben.“
„Im Moment fühle ich mich einfach bloß alt. Ich wäre lieber tot als alt.“
„Oh Jack, da lügst du. Wir alle wählen, ob wir hier sein wollen. Es ist einfach zu sterben, Jack. Wir wählen genau jetzt, ob wir sein wollen, genau hier, jede Sekunde, andernfalls sterben wir, töten uns, wenn wir keinen anderen Ausweg sehen. Doch bis dahin wollen wir sein, egal was ist, wir entscheiden, dass unser Leben zu wertvoll ist, um zu sterben, ob wir Angst vor dem Tod oder vor Schmerzen haben, oder ob wir noch etwas wichtiges besitzen; es ist einerlei, wir wollen Leben!“
Ich denke nach. Ich fühle mich auf einmal besser.
„Du hast Recht, kleiner Drache. Doch was soll ich jetzt machen?“
„Finde raus, was dir so wertvoll ist und genieße es. Sterben müssen die meisten nämlich, ohne es gewählt zu haben.“
„Das werde ich tun! Ich werde finden, was mir wertvoll ist!“
„Ach ja, und, Jack…“
„Ja?“
„Du blutest aus der Nase.“
Ich fühle, wie ich in die Ohnmacht falle, wie der Schlaf, der mich nicht ereilen wollte, wie eine Faust auf mich eindrischt. Es ist dunkel. Das nächste Licht, das ich sehe, ist grell.
Ein junger Mann in Arztkittel steht vor mir, freundlich lächelnd, ein jeder Zahn so weiß wie neue Küchenfließen.
„Guten Tag! Sie sind endlich wach. Ich bin Fuchs, Dr. Michael Fuchs. Ich bin ihr leitender Arzt.“
„Wo bin ich? Was ist hier los?“
Auf einmal verschwindet das Lächeln aus diesem lügenden, aalglatten, jungen, selbstverliebten Gesicht.“
„Es muss ein Schock für Sie sein. Ihre Frau hat Sie ohnmächtig gefunden und den Krankenwagen gerufen. Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie einen Tumor haben, der auf ihrem Hirn sitzt und auf ihre Schädeldecke drückt. Es ist ein Wunder, dass sie noch sprechen können.“
„Was… Was soll das bedeuten?“
„Sie müssen operiert werden. Sonst sterben Sie in wenigen Wochen. Es kann sein, dass Sie die Fähigkeit zu sprechen für immer verlieren werden, doch der Eingriff könnte Ihr Leben retten. Wollen Sie sich gleich entscheiden?“
„Ich… Ich will leben!“

Erneut erwache ich. Alles ist so verschwommen. Das sind die Nachwirkungen der Narkose, dämmert es mir.
„Er ist aufgewacht!“
„Wie geht es ihm?“
„Ich bedaure, ihnen mitteilen zu dürfen, dass die Operation an Ihrem Mann schlecht verlaufen ist. Vielleicht kann er Sie hören, er kann aber sicher nicht mehr sprechen. Er hat zu viel Blut verloren, in seinem Alter ist das fatal. Wäre er nur zehn Jahre jünger! Er wird es mit aller Wahrscheinlichkeit nicht überleben.“
Plötzlich sehe ich meine Frau glasklar vor mir, nicht, wie sie ist, sondern wie sie war, jung und schön und voller Liebe und Leben. Ich dunkelblondes Haar fällt ihr in die Stirn, aus ihren Augen fallen Tränen. Auf ihrer Schulter sitzt der kleine Drache, er schaut traurig zu Boden, seine Nüstern beben.
. Wir alle wählen, ob wir hier sein wollen. Es ist einfach zu sterben, Jack. Wir wählen genau jetzt, ob wir sein wollen, genau hier, jede Sekunde, andernfalls sterben wir, töten uns, wenn wir keinen anderen Ausweg sehen. Doch bis dahin wollen wir sein, egal was ist, wir entscheiden, dass unser Leben zu wertvoll ist, um zu sterben, ob wir Angst vor dem Tod oder vor Schmerzen haben, oder ob wir noch etwas wichtiges besitzen; es ist einerlei, wir wollen Leben!“
„Danke, Jack“, flüstere ich. Dann schlafe ich ein.

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Iknim
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 27
Beiträge: 77
Wohnort: südlich von München


Beitrag04.09.2013 12:31

von Iknim
Antworten mit Zitat

Hallo Myrtana222,

Was mich zu Beginn der Geschichte gestört hat, waren die vielen ich´s am Satzanfang - da wird es einem schnell langweilig:

Zitat:

Ich setze mich in den abgewetzten Ledersessel, nehme ein Buch, irgend eins. Meine Lesebrille liegt auf dem kleinen Tisch. Die Uhr zeigt zwei Uhr morgens, tickt, als hätte ich noch Zeit zu verlieren. Vor meinen Augen verschwimmen die Buchstaben, es ist schwer, so spät noch etwas zu lesen, es strengt an. Ich schließe das Buch, massiere meine Augen. Diese alten Dinger, die schon lange nicht mehr richtig sehen. An der Wand hängt unser Hochzeitsfoto, verschwommen kann ich mich darauf erkennen, jung, schön und aufrecht wie eine Kerze. Wäre ich doch wieder wie damals. Wäre ich doch wenigstens zehn Jahre jünger.
Ich greife nach der Fernbedienung, vielleicht hat das Fernsehen etwas für mich zu bieten. Seit einiger Zeit kommen doch nur noch diese Sendungen für Jugendliche, inhaltsleer und sodomitisch, selbstverliebt, als müssen sie nie altern.
Ich will gerade eine Taste drücken, als ich etwas vorbeihuschen sehe.


Außerdem musste ich wegen dem Präsenz manche Sätze zweimal lesen. Diese Zeitstufe bin ich einfach nicht gewohnt.

An sich hatte mich die Geschichte am Anfang nicht sehr gefesselt. Aber ich glaube, das die Geschichte Primär zum Nachdenken und als Gesellschaftskritik gedacht ist, oder?

Die Idee mit dem (imaginären) Drachen fand ich allerdings ganz gut - vor allem als er Anfing zu philosophieren Daumen hoch

Eine Logikfrage:
Zitat:
Vielleicht kann er Sie hören, er kann aber sicher nicht mehr sprechen. Er hat zu viel Blut verloren, in seinem Alter ist das fatal.

Die Begründung ist etwas zu weit herbeigezogen, denn wenn man zu viel Blut verloren hat, verliert man normalerweise das Bewusstsein - dann kann man auch nichts mehr hören.
Ein Vorschlag: Warum hat der Arzt nicht bei der Operation ein paar Gehirnareale beschädigt (z.B. das Zentrum für die Sprachsteuerung)? So etwas passiert bei gefährlichen Operationen am Gehirn häufig.


Den vorletzten Satz
Zitat:
„Danke, Jack“, flüstere ich. Dann schlafe ich ein.

habe ich nicht verstanden - ich dachte, der Ich-Erzähler heißt Jack? Habe ich da etwas falsch verstanden?

Liebe Grüße,
Iknim


_________________
"Konfuzius schrieb, mann müsse gegen den Strom schwimmen, um an die Quelle zu gelangen."
Aber wollen wir nicht alle ans Meer?
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Myrtana222
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 30
Beiträge: 50
Wohnort: Biberach an der Riss, Baden-Württemberg


Beitrag04.09.2013 20:10

von Myrtana222
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich wollte gerade dort Interpretationsspielraum lassen- der Dank gilt im selbst. Jack ist sein Hirntumor, durch den er auch den Drachen halluziniert, er tötet ihn, allerdings hat er ihm trotzdem im letzten Moment zeigt, was sein Leben lebenswert gemacht hat. Der Ich-Erzähler heißt eigentlich nicht Jack.
Ich wollte mit der Geschichte auch die Frage aufwerfen, ob der Mensch wirklich nur das Zusammenspiel seiner funktionellen Teile ist, oder ob da doch noch mehr ist, das alles aber im rationalen Sinne. Ich hatte vor, wie du bereits gesagt hast, eher eine Geschichte zum Nackdenken zu schreiben, statt einer interessanten Kurzgeschichte. Vielen Dank für die Korrekturen und Anstöße wink
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