widesea Schneckenpost
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20.08.2013 13:16 Kapitel 1 meines ersten Romanversuchs. Mülltonne, oder Potenzial? von widesea
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Vier Stunden Fahrt lagen bereits hinter mir. Vier Stunden die mich ab jetzt von meinem alten Leben trennen würden.
Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, es war unglaublich warm. Ich ließ die Scheiben meines schon etwas in die Jahre gekommenen VW-Busses herunter, so dass der lasche Fahrtwind durch mein Haar fuhr. Ich hatte ein Sommerkleid an, weiß mit breiteren Trägern in denen feine Spitze eingearbeitet war. Dazu trug ich flache Riemchensandalen aus Leder und eine Sonnenbrille. Mein gesamtes Gepäck, was mich in meinen neuen Lebensabschnitt begleiten sollte, bestand aus zwei Koffern voller Kleidung und Schuhen, drei Kartons die voll mit Büchern waren, meinem großen roten Lieblingsteppich und ein paar Möbelstücken.
Mein neues Zuhause, das Haus in Herton, eine kleine Stadt, circa zwei Fahrstunden von London entfernt, gehörte meinen Eltern. Sie hatten es bis vor ein paar Monaten an ein junges Pärchen vermietet. Allerdings schien das Glück nicht von langer Dauer gewesen zu sein und so stand das Haus recht schnell wieder frei. Doch nun wo ich das unglaubliche Glück hatte mit 24 Jahren, den Job als Marketingleiterin bei einem recht ansehbaren Finanzkonzern in Boltham zu bekommen, brauchte ich eine Bleibe und so bot sich das Haus am besten dazu an. Es ist größtenteils möbliert, so dass es nichts ausmacht, wenn ich bloß das ein oder andere Möbel mitbringe.
Ich mochte mein altes Zuhause, jedoch hielt mich dort nichts wofür es sich gelohnt hätte zu bleiben und so wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich den Job annehmen würde und den Schritt in eine neue Stadt zu ziehen, in der ich niemanden kenne wagen würde. Vor einigen Jahren hatte ich das Haus zuletzt gesehen. Es befindet sich ziemlich am Ortsende, in einer ruhigen Straße nahe am Wald, in der es nicht mehr als sechs Häuser gibt. Mit dem Auto nach Boltham und somit zu meinem künftigen Arbeitsplatz würde es circa fünfzehn Minuten brauchen. Das gefiel mir, denn der ständige Trubel und die Hektik der Großstadt waren noch nie was für mich, zumindest nicht dauerhaft. Boltham ist eine größere Stadt mit circa 40.000 Einwohnern, einer Menge Firmen,vielen Läden und Bars. Somit war ich froh in Herton zu wohnen, das wohl nichtmal 10.000 Einwohner hatte und wo es weitaus ruhiger zuging. Ich mochte es schon immer, einen Ort der Ruhe zu haben, einen Platz an den ich mich zurückziehen kann.
Nach weiteren 20 Minuten Fahrt hatte ich mein Ziel erreicht. Auf einem Schild aus Holz prangte der Ortsname „Herton“. Viele kleine Backstein- und vereinzelt auch Holzhäuser, versteckt hinter hohen Tannen und enge Gassen aus Kopfsteinpflaster, verliehen der Kleinstadt etwas gemütliches. Es gab nur eine Hauptstraße, die quer durch die Stadt verlief, ansonsten dominierte viel Grün das Stadtbild.
Ich bog ich in die Straße ein, die ab jetzt meine neue Anschrift sein würde. Mein Orientierungssinn war für gewöhnlich nicht der beste, so dass es mich verwundert hatte, den Weg sofort gefunden zu haben. Es war noch fast wie ich es von den seltenen Besuchen, als ich klein war in Erinnerung hatte. Ein paar Bäume die hin und wieder am Wegrand standen und deren Blätterdächer, Schatten auf den Asphalt fielen ließen. Jedes Haus hatte einen mehr oder weniger großen Garten und alle hatten genügend Abstand zu einander, so dass jeder reichlich Platz für sich hatte und niemand irgendwem in den Weg kommen konnte. Das letzte Haus am Ende der Straße war meins, es grenzte beinahe direkt an den Waldrand. Ich war froh, endlich da zu sein. Schnell stieg ich aus dem Auto und rekelte meine Arme in die Höhe, die lange Fahrt blieb nicht ganz unbemerkt für meine Knochen, hier und da knackte es. Du wirst alt, dachte ich mir.
Direkt gegenüber von mir, auf der anderen Straßenseite stand ein weiteres Haus. Es war ein wenig größer als meines, aber ebenso sehr aus Holz und einem süßen Vorgarten mit einigen Blumen. Wahrscheinlich das Haus einer kleinen Familie. Als ich mich einmal im Kreis drehte musste ich feststellen, dass die Bewohner dieses Hauses meine einzigen direkten Nachbarn sein würden, alle anderen Häuser waren gute 15 Meter von meinem entfernt.
Doch nun überkam mich die Neugier und ich beschloss zuerst einmal mein Haus zu erkunden, bevor ich anschließend anfangen würde, sämtliche Sachen rein zu schleppen. Die weiße Holztür quietschte ein wenig, als ich sie aufschloss, doch schon beim ersten Schritt in mein neues Heim fühlte ich mich wohl. Die weißen Holzwände, der knarrende Dielenboden, die hohen Decken mit den schönen Lampen aus buntem Glas, selbst die cremefarbenen Spitzengardinen die vor den Fenstern hingen gefielen mir. Ich fing an sämtliche Räume zu durchstöbern. Es gab eine kleine Küche, die gerade groß genug war, dass zwei Personen in ihr kochen könnten. Außerdem entdeckte ich ein Wohnzimmer mit einem schweren Holztisch und einem kleinen Fernseher drin, wobei ich nicht sonderlich viel Wert auf Fernsehen lag, lieber war es mir ein gutes Buch in den Händen zu halten. Das Haus hatte zwei Etagen, in der oberen Etage würde ich mir mein Schlafzimmer einrichten. Der Raum war beinahe vollkommen leer. Eine helle Blümchentapete klebte an der Wand, sie gab dem Raum noch etwas Farbe und gefiel mir außerdem noch recht gut, was mir sehr gelegen kam, da ich keine Ahnung vom Tapezieren hatte. Ich war froh mein Bett mitgenommen zu haben, denn ansonsten hätte ich wohl auf dem Boden schlafen müssen. Zumindest aber gab es einen Kleiderschrank der mehr Platz bot als für mich nötig war. Das Schafzimmer lag zur Straße hin, was mich aber nicht stören müsste, da diese Straße kaum befahren wird, außer von den Anwohnern. Ein länglicher schmaler Flur zog sich durch die gesamte obere Etage, wobei es dort nur das Schlafzimmer gab und schräg gegenüber ein Bad mit einer Dusche und sogar einer Badewanne drin. Das Bad war recht groß für eine Person, überhaupt war dieses Haus wohl eher für zwei Personen gedacht. Eine Familie würde hier keinen Platz finden, aber ein Pärchen, wie es drin gelebt hatte, durchaus.
Schon seit 2 Jahren gab es für mich keinen Mann mehr. Ich bin nicht der Typ Frau, die sich schnell verliebt und auch nicht so ein naives Ding was man durch ein nettes Lächeln, oder einen vermeintlich charmanten Anmachspruch rumkriegt. Überhaupt gab es bis jetzt kaum Männer, die mir wirklich gefallen haben. Natürlich hatte ich schon meine Erlebnisse und auch eine längere Beziehung, aber seit ich mich vor 2 Jahren von John getrennt hatte, gab es einfach keinen Mann mehr, der mich auch nur ansatzweise reizen konnte. Vielleicht habe ich zu hohe Erwartungen an die Männerwelt, oder ich bin ein zu großer Dickkopf um jemanden eine Chance zu geben, denn Männer die Interesse an mir hatten, gab es zu genüge. Doch im Endeffekt war wirklich nie der Richtige dabei und irgendwelche Affären waren nie mein Ding. Wie andere Frauen, panisch auf der Suche bin ich nicht. Um ehrlich zu sein dreh ich mich noch nicht mal für einen Mann um, was wohl erklärt wieso ich alleine bin. Jedoch kann ich nicht behaupten, dass ich mich sonderlich nach einer Beziehung sehne. Auf der Jagd, bin ich jedenfalls nicht. Um es auf den Punkt zu bringen: Es stört mich nicht allein zu sein.
Der Fokus lag nun jedenfalls ganz klar auf meinem neuen Job. In zwei Tagen würde mein erster Arbeitstag sein. Noch hielt sich die Aufregung in Grenzen, ich war eher gespannt darüber was mich erwartet. Das Schreckliche ist, ich bin ein ziemlicher Tollpatsch. Ich falle Treppen runter und gelegentlich auch mal hoch, oder renne gegen Blumen und Tische. Nichts und niemand ist vor mir sicher. Diese Eigenschaft beunruhigt mich ein wenig, im Hinblick auf den Montag, denn am ersten Arbeitstag das Büro auseinander zu nehmen, oder sich einen Beinbruch zu zuziehen wäre nicht sonderlich förderlich.
Ich sollte unbedingt mein pessimistisches Denken abstellen. „Alles wird gut werden, Blair!“, sprach ich mir selbst zu.
Wenn ich vorhatte, das Haus über das Wochenende wohnlich zu gestalten, und das hatte ich vor, dann müsste ich mich ran halten. Es gab viel zu putzen, da sich der Staub in den letzten Monaten, in denen das Haus unbewohnt war, natürlich gesammelt hatte. Der Boden, die vorhandenen Möbel, alles müsste abgewischt werden. Die Gardinen haben wahrscheinlich auch mal wieder eine Wäsche verdient, dachte ich bei näherer Betrachtung. Mein Bett, was auseinander gebaut wurde, da es ansonsten nicht in den Bus gepasst hätte, müsste ich auch wieder zusammen klopfen und nur Gott weiß, ob es danach auch nur annähernd wieder einem Bett ähnlich sieht.
Ich trank schnell noch einen Schluck aus der Wasserflasche, kramte die Sneakers aus meiner Handtasche und machte mich sofort an die Arbeit. Die Kartons mit den Büchern und dem Kleinkram trug ich als erstes rein, wobei ich sie vorerst in einer Ecke des Flures abstellte, an der sie mich nicht störten. Als ich den letzten Karton, der bis oben hin mit Büchern voll war hineintrug, hatte ich das Gefühl meine Arme würden gleich abreißen. Bei dem Gedanken meine Möbel hinein schleppen zu müssen, die nur darauf warteten ihren Platz im Haus einnehmen zu dürfen, wurde mir ganz anders zumute. Doch von alleine würden sie nicht den Weg aus dem Bus finden.
Es war verdammt heiß und die Luft war drückend. Das ständige hin und her laufen und noch dazu die schwere Sachen zu tragen, ließen mich ziemlich an mein Limit ankommen. Jetzt einen männlichen Helfer zu haben, der tatkräftig mit anpacken würde, wäre sehr wünschenswert, dachte ich mir, als ich erneut auf dem Weg nach draußen zum Bus war. Mit aller Kraft versuchte ich das Bettgestell aus dem Laderaum zu ziehen, was kein leichtes Unterfangen war. Das Einladen war definitiv leichter, als alles wieder heraus zu holen. Schweißperlen standen mir bereits auf der Stirn.
„Hey jo, gibt’s was zu packen hübsche Frau?“ ,fragte plötzlich eine wohl dem Ghettoslang verfallene Jungenstimme hinter mir. Als ich mich umdrehte stand zwar kein Junge vor mir, sondern eher ein junger Mann, der schätzungsweise mein Alter hatte, aber dennoch schien er mit seiner Lakers Mütze, dem übergroßen neonfarbenen T-Shirt, in dem er mit seiner zierlichen Figur und seiner hellen Haut völlig unterging und dem Goldkettchen um den Hals, schrecklich fehl am Platz. Ich lächelte ihn freundlich an: „ Hallo, ja du könntest mir durchaus bei etwas behilflich sein. Ich bekomme das Bettgestell nur schwer heraus, wenn du mal eben ziehen könntest, während ich von innen schiebe?“ „Jo, kein Ding für den King“, er zwinkerte mir breit grinsend zu. Was ein Vollpfosten, dachte ich mit einem unterdrückten Lachen. Aber um ihn nicht gleich zu verscheuchen ging ich auf sein Spiel ein. „Cool von dir!“, ein wohl kläglicher Versuch von mir einen auf Gangster zu machen. „Ich bin übrigens Will, ich wohn' direkt gegenüber von dir. Sind wohl ab jetzt Hüttennachbarn!“ Sein Grinsen wurde immer breiter, während meins in diesem Augenblick einen kurzen Ausflug ins Jenseits machte. „Oh, freut mich. Mein Name ist Blair, schön schon mal Jemanden zu kennen.“ Die Befürchtung, das ich einen aufdringlichen Möchtegern Gangster als Nachbarn zu haben schien, versuchte ich vorerst zu Verdrängen. Ich war nur erst mal froh, überhaupt eine Hilfe zu haben.
Will also, stand draußen und zog. Vielmehr Kraft als ich schien er nicht zu haben, das Gestell bewegte sich bloß um wenige Zentimeter. Also stellte ich mich in den Bus und schob das Gestell mit aller Mühe hinaus, während er weiterhin vorne dran zog. Zuerst tat sich gar nichts, doch dann als ich mich mit aller Kraft dagegen lehnte,gab es einen plötzlichen Ruck und das ganze Teil schoss nach vorne. Dort jedoch stand unglücklicherweise noch Will, der abgesehen von seiner Muskelschwäche, wohl auch nicht die beste Reaktion zu haben schien. Mit voller Wucht knallte der Bettrahmen gegen seinen Bauch. Meine Augen wurden handtellergroß, als ich ihn einfach nach hinten umkippen sah. „Oh Gott, ich bin keine zwei Stunden hier und schon bringe ich jemanden um!“ Panisch sprang ich aus dem Bus und beugte mich über Will, der sich keinen Zentimeter gerührt hatte. Seine Augen waren offen und starr gen Himmel gerichtet. „Will, geht es dir gut, kannst du mich hören?“ Nervös schüttelte ich an seiner Schulter. Er drehte seinen Kopf zu mir. „Man, das war echt krass, hätte mich fast umgehauen.“ Ich war erleichtert, er war bei Bewusstsein und schien keine bleibenden Schäden zu haben, abgesehen von denen, die er vorher schon hatte. Die Tatsache, das es ihn tatsächlich umgehauen hatte, ließ ich außen vor. „Es tut mir so unendlich leid, ich weiß gar nicht wie ich das wieder gutmachen kann!“ Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, breitete sich ein schelmisches Grinsen auf Will´s Gesicht aus und ich wusste sofort, dass der zweite Teil meines Satzes ein Fehler war. „Oh nein, Will, nicht so eine Art von Wiedergutmachung.“ Mit gespielter Traurigkeit verzog er sein Gesicht. Ich gab ihm einen lockeren Klaps auf den Oberarm. „Nun komm, steh auf!“ Er griff nach meiner Hand und ließ sich von mir aufhelfen. „Glaubst du, wir starten mal was zusammen?“ Ich schaute ihn verwirrt an, mir war nicht ganz klar auf was er hinaus wollte. „Naja, Will, das ist schwer zu sagen. Ich meine wir kennen uns ungefähr zehn Minuten.“ Er sank traurig den Kopf. Unwillkürlich bekam ich ein schlechtes Gewissen, er tat mir irgendwie leid. „...Aber das lässt sich ja ändern, wenn du magst koche ich uns nachher etwas, sobald ich den Bus ausgeräumt habe. Seh es als Wiedergutmachung für den kleinen Unfall an.“ Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, fing er an über das ganze Gesicht zu strahlen. „Mega Deal, bin am Start!“ Er kam mir wirklich vor wie ein Teenager, sein ganzes Verhalten entsprach nicht dem eines Mitte zwanzigjährigen. Aber dennoch hatte er irgendetwas an sich, wofür man ihn einfach gern haben musste.
Glücklicherweise half Will mir auch noch den Rest der Möbel ins Haus zu tragen und so nahm diese ganze Aktion deutlich weniger Zeit in Anspruch, als anfangs befürchtet. Er war wirklich voller Arbeitseifer, schleppte Bretter und Tische und machte nicht einmal Pause. Als der Bus endlich leer war, bot Will mir noch an mein Bett zusammen zu bauen, das jedoch lehnte ich mit freundlicher Bestimmung ab. Das letzte was ich wollte war, ihn in meinem Schlafzimmer zu haben. Nein, danke!
Meine zugegebenermaßen einzigartig leckere Pizza hatte er sich aber ganz sicher verdient. Da Will, kein Mensch zu sein schien, der sonderlich viel Wert auf Sitten und Förmlichkeiten lag, drückte ich ihm zwei kühle Bier in die Hand, die ich gleich als ich ankam mit allen anderen Lebensmitteln im Kühlschrank verstaucht hatte. „Hier, setze dich doch schon mal ins Wohnzimmer, ich hol nur noch die Pizza aus dem Ofen.“
„Stehst du auf Football?“ er sah mich ernsthaft interessiert an. | |