18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Aufhören, so banal zu sein (Arbeitstitel)


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
nilswundertsich
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 32
Beiträge: 101

Ei 7


Beitrag18.11.2013 18:33
Aufhören, so banal zu sein (Arbeitstitel)
von nilswundertsich
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Das hier ist einer meiner wenigen Versuche, linear zu erzählen. Genau das möchte ich langsam lernen, um sozusagen von Handwerkszeug ausgehen zu können, wenn ich an anderen Texten schreibe.
An der Geschichte und ihren Formulierungen arbeite ich jetzt schon seit Monaten. Ist das bei solchen Kurztexten "normal", bzw. wie lange arbeitet ihr "normalerweise" an Geschichten? Freue mich schon auf eure Antworten. Viel Spaß beim Lesen!


Aufhören, so banal zu sein


„Guck mal, der Pekinese von David Copperfield kommt aus so nem chinesischen Hundehäuschen. Der schaut echt so als gäbe es nur ihn und dieses scheiß Hundehaus. Jetzt guck doch.“
„Ich kann jetzt nich“, ruft Sandra aus dem Badezimmer. Das ist wohl das, was man den Post Orgasmic Chill nennt. Zu meinem 18. Geburtstag habe ich mir nun meinen ersten geglückten Geschlechtsverkehr gegönnt. Sie stand da, ich wollte sie, und los ging's. Da liege ich auf einem geschmacklos bezogenen Bett und bin total entspannt, während mir der Fernseher die Welt alter Kostümfilme vorsetzt.
„Ach komm schon, wir haben gerade gebumst, da kannste doch mal eben raus kommen. Biste halt nackt, egal. Das hier is so krass banal, dass es wieder schön is.“
„Nee, das is jetzt was anderes“, sagt Sandra gereizt, „Psychohygiene!“
Ein paar Sekunden später tapst sie hektisch wieder ins „Arbeitszimmer“, wo sie sich ein langes T-Shirt überstreift. Danach setzt sie sich vor einen kleinen Schminktisch und betrachtet sich im Spiegel. Hübsch ist sie, beinahe schön. Sie hat was intelligentes in ihrer Art, und das vermisst man bei vielen, die man nur in der Bahn sieht. Manchmal sehnt man sich nach spannenden Menschen, aber man findet sie so selten.
„Wie lange willstn eigentlich bleiben?“, fragt Sandra.
„Solange du mich lässt.“ Sie sieht mich kurz kritisch an, macht aber keine Anstalten, mich raus zu werfen. Also wende ich mich wieder dem Fernsehbild zu, das mich irgendwie erleichtert. Ich muss lachen.
„Guck mal, David Copperfields Frau fährt grade mit dem Finger die Stirnrunzeln ihres Mannes entlang. So ne Pseudo-Geste.“
Sandra dreht sich um. „Is das jetzt besonders oder so?“
Ich zwinkere sie an: „Wenn du weiter so schnippisch reagierst, könnt ich gleich nochmal.“
Sie lächelt. „Kostet auch nochmal.“
„Kostet das auch extra, wenn du dich noch ne Weile zu mir legst?“
Sandra reagiert nicht. Als sie zwei Minuten später mit dem Auftragen ihrer Schminke fertig ist, kommt sie einfach her und legt ihr Ohr auf meinen Bauch. Nach einer Weile, in der irgendjemand an der Küste einen Filmtod stirbt und betrauert wird, muss sie kichern.
„Du hast Hunger. Lass uns mal was holen gehen. Ich hab Bock auf ne Pizza.“
Meine linke Augenbraue zieht sich verwundert hoch. Mit der rechten kann ich das nicht. „Ich dachte, ihr Nutten macht das nicht. Also mit nem Kunden danach noch was essen gehen.“
Sandra schnaubt verächtlich. „Wir haben gefickt und ich lieg jetzt immer noch bei dir. Bei dir sind die Grenzen doch eh schon übertreten, also isses doch egal. Mache ich eben jetzt Feierabend. Wie spät?“
Mein Handy sagt: „Kurz nach sieben.“
Sandra richtet sich auf und zieht sich ihre Schuhe an. Ich bin immer noch ein wenig erstaunt und bleibe liegen, während sie die Hand an die Klinke legt. Erst da fällt mir auf, dass ich noch nackt bin.
„Na, was nu, wollen wir los oder nich?“

Wir laufen gefühlte drei Meter von ihrem Neubau weg, um bei einer kleinen Dönerbude mit zwei Bänken und nem Tisch an der nächsten Straßenecke zu landen. „Irgendwie wie für uns gemacht“, denke ich mir, ermahne mich aber, nicht der ersten in der ich mal gekommen bin, zu verfallen.
Sie bestellt und ich bezahle. Habe ja gespart. „So sind wir quitt“, sagt sie mit einem Zwinkern und verliert dabei immer mehr Verruchtheit. Wir nehmen die Pizzen – eine mit Pilzen für mich und eine mit Schinken für sie, dazu je eine Dose Bier –, laufen zu einer Brücke, die über die Hauptstraße führt, die an die Häuserfront angrenzent. Dort setzen wir uns ans Geländer und machen uns über das Essen her. Es fängt schon an zu dämmern, der Wind bläst uns immer wieder die Kartons zu.
„Sag mal, wie alt bistn du eigentlich?“, fragt Sandra mich zwischen zwei Bissen.Ich lüge. „Zwanzig.“ Kann ja auch so durchgehen mit meinem Bart. Sandra betrachtet  kritisch ihr Stück Pizza, als wäre ein Haar darauf.
„Bist wesentlich jünger als die anderen...“
Ich antworte nicht und esse weiter. Frage mich nur, warum sie bei mir bleibt. Auf der Straße wird es laut. Der Berufsverkehr ist jetzt schon größtenteils durch, nur ab und an fahren ein paar Autos vorbei, um dann wieder der Stille Platz zu machen, die nie so lange währt, dass man sich an sie gewöhnt.
„John Cage hat mal gesagt, dass er lieber den Straßenlärm hören würde als Mozart. Der Straßenlärm is nich vorhersehbar, Mozart schon.“ Sandra stellt den Karton, in dem noch die Hälfte der Pizza liegt, neben sich und steckt sich eine Kippe an. Danach blickt sie in meinen Karton und lacht. „Weißte, was der auch mochte? Pilze. Hat er geliebt und gesammelt wie n Blöder.“
„Findest du ihn denn schön? Also den Straßenlärm“, sage ich, mache mein Bier auf, nehme einen Schluck, esse weiter.
„Ich sitze schon oft hier. Und ich habe ihn auch vor meinem Fenster, wenn ich schlafen möchte... Hab mich einfach dran gewöhnen müssen... Wenn meine Arbeit gut läuft, leiste ich mir ab und an mal ne Konzertkarte. Ich mag das, so in der Masse zu verschwimmen und mich nur auf Musik konzentrieren zu können. Kennst du Mogwai?“
Ich nicke. Sie lacht.
„Ha, bei denen war ich vor ner Woche aufm Konzert.“
Ich verschlucke mich fast. „Da war ich auch. Hätt ich jetzt nich gedacht.“
„Klar, denkt man ja auch nich von ner Nutte...“, sagt sie, ihr Lächeln ebbt wieder ab. „Dass sie nen Musikgeschmack hat.“
Ich erwidere nichts. Ehrlich, ich habe das nicht von ihr erwartet. Mir wird bewusst, dass ich eine Persönlichkeit neben mir sitzen habe. Nicht wegen der Musik, die sie hört. Einfach so, das spürt man. Ich fühle mich ein wenig schlecht dafür, mit ihr einfach so geschlafen zu haben.
„Sag mal, warum machst du den Job? Hast du nen Zuhälter, der dich abhängig macht? Oder machts dir einfach Spaß?“
„Hm...“ Sie blickt mich an. „Alles und nichts. Ich bin Nutte, weils nicht anders geht. Ich bin nich dumm oder so. Habe nur nix gepackt.“ Sie belässt ihre Antwort dabei und trinkt einen Schluck aus der Dose. „Ich mag dich irgendwie. Du bist so... unschuldig, unbedarft, keine Ahnung. Ich mag es, mit dir hier zu sitzen.“ Ein ungläubiger, fast trauriger Blick über die Schulter.
Eine Gruppe asiatischer Touristen in Abendgarderobe geht an uns vorbei Richtung Hotel, das auf der anderen Seite der Brücke liegt, in dem andere kleine Touristen von überall her aus den viereckigen Übernachtungskästen gucken oder sich in der Bar betrinken. Auf der Straße fahren wieder einige Karren mit austauschbaren Fahrern die Straße rauf und runter. Ich verstehe.
„Es gibt einfach zu viele Menschen für dich, habe ich recht? Zu viele Einheitsgesichter, weil ja Gleichheit auf Französisch 'Égalité' heißt, und das wieder nah an 'egal' ist. Und du bist eine von diesen, die egal sind?“
„Jetzt geht’s aber mit dir durch ne?“ Sie zieht an meinem Ohr und lacht mich an. „Du Denker. Wir sind ja so intellektuell und machen trotzdem voll einen auf Ghetto! Wie gut! Schreib n Buch drüber, haha!“ Einen Moment später geht ihr auf, dass ich das ernst gemeint habe. Sie sieht lächelnd auf den Boden vor ihren Füßen und schnippt ihre Zigarette die Brücke runter.
„Ja, okay, vielleicht... Vielleicht ist das so. Is doch alles irgendwie egal. Die Brücke is egal, du bist egal, ich bin egal, was ich mache ist total egal. Also kann ich mich ja auch verkaufen, hätt ich ja sowieso gemacht. Ob für Sex oder Bildung is doch egaaaaal.
Ich weiß nicht genau, ob ich sie interessiere oder ob sie nur froh ist, mit jemandem reden zu können. Menschen treffen sich und gehen wieder auseinander. Sie schenken sich gegenseitig ihre geheimsten Gedanken und Pläne, Träume und Ziele, und sind dann wieder getrennt. Es ist doch letztlich gleich, mit wem man spricht. Ich bilde mir nichts darauf ein.

Wir gehen wieder zurück zur Wohnung, sie bittet mich nochmal rein. Ich versteh nicht ganz, warum, aber folge ihr. Wir setzen uns auf ihr Bett, das mir jetzt noch viel kitschiger vorkommt, nachdem mein Druck für die nächsten Tage erstmal kein Thema mehr ist.
Nachdem wir uns lange in die Augen gesehen haben, schmeißt sie wieder den Fernseher an. Vom dritten Reich wandern wir zu Bud Spencer in einem Helikopter, der uns zwei Lacher entlockt und uns dann bei der Tagesschau wieder ausspuckt. Wir werden ein Teil der Millionen stillen Zeugen eines weiteren Bombenanschlags irgendwo im nahen Osten. Nach einer Weile frage ich sie, mit wie vielen sie es denn heute gemacht hat.
„Waren mit dir drei heute. Is gut, kann man nich meckern.“
Sie lächelt mich an. Keine Ahnung, wie ich das alles deuten soll. Ihr Blick wird wieder abwesend. Die Situation um uns herum wird immer greifbarer und irrealer. Ich muss sprechen.

„Ich habe letztens geträumt, ich bin in nem Auto und n Kumpel von mir fährt. Auf dem Weg sehe ich ein großes Wesen, in so ne Mönchskutte gehüllt. Ich hab telefoniert, als ich es gesehen hab. Dann dreht sich dieses Ding um. Es hat ne Maske aufgehabt, sah irgendwie japanisch aus. Aber sein Auge, das war das Krasse an der Sache. Sein Auge hatte noch ewig weit gestrahlt. Das war so stechend blau, mit ner wirklich kleinen Pupille. Und das hat mich durchbohrt, mein Gehirn hat sich verkrampft. Ich hab nen Anfall gekriegt, also nen epileptischen. Hab mein Telefon fallen lassen und geschrien. Dann bin ich in meinem Zelt aufgewacht, um mich herum alles stockfinster. Bin dann noch zwei Stunden draußen gesessen und hab gezittert... Garnich so lange her, war ein Zelturlaub, man soll ja angeblich entspannt sein, wenn man wegfährt. Irgendwie wusste ich beim Aufwachen, der in der Mönchskutte, das war der leibhaftige Satan. Is mir dauernd durch den Kopf geschossen. 'Der leibhaftige Satan'...“
Sandra hat den Fernseher inzwischen wieder ausgemacht. Sie blickt apathisch in Richtung ihrer Zehen. Mit zitternder Stimme sagt sie: „Und jetzt, wo es uns zu schwierig ist, schlagen wir drei mal unsere Hacken zusammen und sagen: 'There is no place like home'... Ist es nicht so?“
„Ja... wäre es.“
Eine Ära der Stille, die laut sein will und dabei nichts ist. Auch dann noch, als Sandra laut wird.
„Können wir mal aufhören, so banal zu sein!? Ich bin kein Hündchen, das sorglos aus so nem chinesischen Hundehäuschen guckt!“
Die Schminke um Sandras Augen ist verlaufen. Sie hat geweint, ich habe es nicht bemerkt. Sie zieht eine Knarre unter ihrem Kopfkissen hervor und schießt sich in den Kopf. Nein, das tut sie nicht. Ich gehe, weil ich allein sein möchte. Das passiert.
Bevor ich die Tür zu mache, fragt sie aus ihrer letzten Ecke:
„Kommst du wieder?“



_________________
Du, Hase?, sagte der Bär. Bist du auch so müde?
Ja, sagte der Hase. Lass uns schlafen gehen.
Und Hase und Bär schliefen bis an ihr Lebensende.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Cartan
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 26
Wohnort: Anderswelt


Beitrag18.11.2013 18:48

von Cartan
Antworten mit Zitat

Wow...
Sry dass ich grad nicht mehr sagen kann aber bin nen bissl geplättet...
Wenn mir Verbesserungsvorschläge einfallen werd ichs schreiben
aber bisher nur Wow Shocked


_________________
Lesen gefährdet die Dummheit
(Das deutsche Kulturministerium)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Kristin B. Sword
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 41
Beiträge: 225
Wohnort: Bielefeld


Beitrag18.11.2013 18:51

von Kristin B. Sword
Antworten mit Zitat

So dann will ich mal, ich hoffe, du siehst es mir nach - ist meine erste Bewertung hier.

Ich habe folgende Tipps:
- Die Einführung des Protagonisten würde ich vielleicht anders machen. Im Moment hat man allein seinen Dialog, bevor die Prostituierte das erste Mal zu Wort kommt. Vielleicht fällt dir da noch irgendein interessanter Beat ein, der deinen Protagonisten charakterisiert.
- was Interessantes hast du versehentlich klein geschrieben
- Das "Ich lüge." vor der Altersmitteilung kann weg. Der Leser weiß zu dem Zeitpunkt schon, wie alt der Protagonist ist. Abgesehen davon machen seine Gedanken nach der Dialogzeile deutlich genug, dass es eine Lüge war.

Deine Kurzgeschichte gefällt mir jedenfalls gut. Ich mag Kurzgeschichten sowieso gerne. Dein Schreibstil gefällt mir auch.

Schreibst du auch manchmal längere Sachen? Kurzgeschichten finden ja leider nur sehr schwer einen Verleger.

Zu deiner Frage noch: Eine monatelange Überarbeitungsphase ist jedenfalls nicht unnormal. Ich persönlich überarbeite auch viel. Man sieht ja auch bei dir, dass der Text gewinnt, wenn er nicht einfach nur runtergeschrieben und dann mit "Fertig" abgestempelt wird.

Kristin


_________________
Taranee: Zeiten des Zweifels (Roman/März 2014)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
MrPink
Geschlecht:männlichLyromane

Alter: 53
Beiträge: 2431
Wohnort: Oberbayern
Der Bronzene Wegweiser


Beitrag18.11.2013 19:02

von MrPink
Antworten mit Zitat

Hallo Nils,
du hast ne locker-flockige Schreibe und deine Geschichte war jetzt genau das, was mir zum Feierabend gefehlt hat. Ich war einfach drin, in dieser Story und die beiden haben mir gefallen, die Bilder, alles irgendwie. Ich hol jetzt meinen Fisch aus dem Ofen, mach mir´n Bier auf und bin erstmal zufrieden und deine Story hat dazu erheblich beigetragen. Danke.


_________________
„Das Schreiben wird nicht von Schmerzen besorgt, sondern von einem Autor.“
(Buk)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Gast







Beitrag21.11.2013 15:20

von Gast
Antworten mit Zitat

nilswundertsich?

Wenn ich Gelegenheit habe, so etwas zu lesen, von einem, der noch nicht lange da ist, dann freue ich mich (wieder mal) über dieses Forum.
Das ist so eine Geschichte, da fange ich an zu lesen, werde einfach so mit gezogen, bevor ich ouf sagen kann, ist sie schon zu Ende und ... ja, und jetzt? Gut, dass du mit deinen Fragen Gelegenheit gibst, konkret zu antworten, denn das, was ich unter einem "Werkstatt"-Text verstehe, habe ich nicht vor mir.

nilswundertsich hat Folgendes geschrieben:
An der Geschichte und ihren Formulierungen arbeite ich jetzt schon seit Monaten. Ist das bei solchen Kurztexten "normal", bzw. wie lange arbeitet ihr "normalerweise" an Geschichten?


Einerseits wirkt der Stil, den du hier hast, sehr spontan, mühelos, es ist alles lebendig erzählt, so nah ist man dran, dass man nicht darüber nachdenkt, wie das genau gemacht ist, warum es so berührt, warum man sich nicht langweilt, warum man nirgends hängenbleibt - na ja, warum sollte man, klar stellt man sich sehr viel öfter die gegenteilige Fragen, wenn es eben nicht so funktioniert.
Und die "Früchte" deiner Arbeit sind wohl genau hier versteckt: Mein (persönlicher) Eindruck der Mühelosigkeit kommt daher, dass du die Mühe in den Text gesteckt hast, ihm die Zeit gelassen hast, die er brauchte und die du genutzt hast, ihn zu gestalten.
Und wenn man ihn dann ein zweites oder drittes Mal liest, dann kann man sich über Vieles freuen.

Zum Beispiel über den Einstieg, der so selbstverständlich daher kommt, der die Überraschung darüber, dass es sich bei der Frau um eine Prostituierte handelt, nicht künstlich und umständlich vorbereitet, indem etwas verborgen oder vorenthalten wird. Es wird einfach ... erzählt. Klar hätte man stutzen können, bei "gegönnt", aber das ist es, da klang etwas an, eigentlich fast offensichtlich, aber es wird nicht unterstrichen, ich finde, dass das sehr gut gemacht ist.
Die Selbstverständlichkeit, mit der das Ganze daherkommt, ist entwaffnend, und ingesamt will ich eigentlich nur sagen: Herausgekommen ist eine Geschichte, die so viel in einen halben Tag Leben zweier Menschen packt, dass ich noch gar nicht alles habe verarbeiten können. Der Schluss ist dann auch noch richtig, richtig gut, und das ist bestimmt (für mich) das Schwierigste ... das bei kurzen Texten hinzukriegen, ist nicht einfach.
Hat mich gefreut, die Bekanntschaft deiner Schreibe zu machen,

Lorraine(wundertsichauch)
Nach oben
Jack Burns
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 54
Beiträge: 1444



Beitrag21.11.2013 16:36

von Jack Burns
Antworten mit Zitat

Hallo Nils

Dein zweiter Prosatext bestätigt meinen ersten Eindruck:
Du wirst von der Schreiberei leben können, wenn Du es richtig  angehst.

eine Unklarheit für mich:
Zitat:
Die Situation um uns herum wird immer greifbarer und irrealer.

widerspricht sich das nicht?

Zu Deiner Frage:
Ja, es ist ganz normal, dass man eine Kurzgeschichte so lange bearbeitet, bis sie das aussagt was man beabsichtigt.
Vor allem, wenn sie dann so gut wie Dein Text sein soll.

Danke für das Lesevergnügen
Martin


_________________
Monster.
How should I feel?
Creatures lie here, looking through the windows.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Bananenfischin
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant

Moderatorin

Beiträge: 5339
Wohnort: NRW
Goldene Feder Prosa Pokapro IV & Lezepo II
Silberne Harfe



Beitrag22.11.2013 01:08

von Bananenfischin
Antworten mit Zitat

Hallo Nils,

dieser Text gefällt mir sehr gut, ich finde ihn noch um Längen besser als den Slam-Text, den du eingestellt hast.
Ich würde sagen, die lange Arbeit daran hat sich gelohnt. smile

Eine Sache: Ich überlege, ob der Einstieg
Zitat:
„Guck mal, der Pekinese von David Copperfield kommt aus so nem chinesischen Hundehäuschen. Der schaut echt so als gäbe es nur ihn und dieses scheiß Hundehaus. Jetzt guck doch.“
nicht im Nachhinein unglaubwürdig -weil einfach zu vertraut klingend - ist. Er trägt wesentlich dazu bei, dass man zunächst glaubt, dass es sich um ein eingespieltes Pärchen handelt und man das "gegönnt" übersieht, wie schon Lorraine anmerkte. Diese Irreführung finde ich an sich nicht schlecht, frage mich aber eben, ob der Ton der Rede wirklich realistisch für ein Danach von Bezahlsex ist.

Liebe Grüße
Bananenfischin


_________________
Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge

Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft

I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Poolshark
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 42
Beiträge: 827
NaNoWriMo: 8384
Wohnort: Berlin


Beitrag22.11.2013 01:39

von Poolshark
Antworten mit Zitat

Du schreibst unglaublich lebendig. Deine Charaktere sind echt, greifbar und symphatisch. Verbesserungsvorschläge habe ich da so gut wie keine, außer vielleicht Kleinigkeiten wie die hier:

Zitat:
Eine Gruppe asiatischer Touristen in Abendgarderobe geht an uns vorbei Richtung Hotel, das auf der anderen Seite der Brücke liegt, in dem andere kleine Touristen von überall her aus den viereckigen Übernachtungskästen gucken.


Diese Verschachtelungen find ich immer nich so schön, vor allem wenn der Satz danach sogar noch weitergeht. Das Haus, das der Oma gehört, die neulich mit dem Hans gefrühstückt hat, der bei Mutti manchmal die Hecke schneidet. Verstehste?

So gut wie mir der Text und deine Schreibe gefällt, muss ich aber sagen, dass der letzte Absatz für mich nicht ganz so gut funktioniert hat. Irgendwie bin ich da als Leser ein bisschen ausgestiegen. Aber das kann auch nur mein persönliches Empfinden sein. Da ich aber großen Respekt vor Kurzgeschichten hab - ich kann selbst nicht vor 100.000 Wörter aufhören, eine Geschichte zu erzählen, selbst wenn es um mein Leben ging - im Zweifel für den Angeklagten.

Freu mich auf jeden Fall schon darauf mehr von dir zu lesen. smile


_________________
"But in the end, stories are about one person saying to another: This is the way it feels to me. Can you understand what I'm saying? Does it also feel this way to you?"
-Sir Kazuo Ishiguro
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Piezke
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 37
Beiträge: 132



Beitrag22.11.2013 02:29

von Piezke
Antworten mit Zitat

Ich bin auch begeistert. Ein Abschnitt und ich war voll drin.
Ich stürze mich mal nacheinander auf die wenigen Schreibfehler die ich gefunden habe, und lasse ein paar inhaltliche Anmerkungen folgen (nur Gedanken, keine Hinweise auf Fehler):
Zitat:
da kannste doch mal eben raus kommen <- rauskommen

Zitat:
mich raus zu werfen <- rauszuwerfen

Zitat:
die an die Häuserfront angrenzent <- angrenzt


Zitat:
wir haben gerade gebumst

Dafür, dass der Protagonist gerade zum ersten mal (geglückten?) Sex hatte, ist er ziemlich forsch. Wenn ich mich in seine Situation versetze, ich hätte ihr nichts vom "Bumsen" erzählt.
Zitat:
Ich zwinkere sie an: „Wenn du weiter so schnippisch reagierst, könnt ich gleich nochmal.“
Sie lächelt. „Kostet auch nochmal.“
Toller Übergang. Ich weiß gar nicht, ob es den Verweis auf ihr "Arbeitszimmer" davor überhaupt braucht.
Zitat:
Kennst du Mogwai?
Razz
Zitat:
Auf der Straße fahren wieder einige Karren mit austauschbaren Fahrern die Straße rauf und runter. Ich verstehe.
Ist das ein Verweis auf den Traum? Die austauschbaren Fahrer, der verhüllte Satan; Scheinwerfer, strahlende blaue Augen? So liest es sich jedenfalls sehr schön.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
nilswundertsich
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 32
Beiträge: 101

Ei 7


Beitrag23.11.2013 02:45

von nilswundertsich
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Uff, jetzt bin ich aber geplättet... Viiiiiielen Dank für die Ratschläge, das Lob, einfach alles smile Ihr macht mich glücklich! Jeder einzelne!

Da bin ich doch einfach froh, mich hier angemeldet zu haben. So viele talentierte Menschen, die auch noch die Kunst der konstruktiven Kritik beherrschen. Genau die vermisst man manchmal in diesem komischen Kulturbetrieb da draußen, da scheint es oft nur noch den Daumen hoch oder den Daumen runter zu geben. Nicht so in diesen Gefilden, das ist schön. Ich werde mir die Story nochmal zusammen mit euren Ratschlägen vorknöpfen, darauf freu ich mich jetzt schon smile


_________________
Du, Hase?, sagte der Bär. Bist du auch so müde?
Ja, sagte der Hase. Lass uns schlafen gehen.
Und Hase und Bär schliefen bis an ihr Lebensende.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Biggi
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 52
Beiträge: 782
Wohnort: BY



Beitrag23.11.2013 17:44
Re: Aufhören, so banal zu sein (Arbeitstitel)
von Biggi
Antworten mit Zitat

Hallo nils(wundertsich),

dann möchte ich auch mal und nicht nur Daumen hoch oder runter.
Zuallererst: es war nicht anstrengend, Deine Geschichte zu lesen, d.h. für mich bist Du ein Schreiberling, der die Sache ernst nimmt. Das habe ich aber schon in der Ankündigung vor dem Text gelesen, weil auch meiner Ansicht nach die wenigsten (eigenen) Geschichten jemals "fertig" sind im Sinne von "ich lese es durch und würde kein einziges Wort mehr verändern". Soll schon Siegfried Lenz gesagt haben, dass er selbst seine gedruckten Bücher immer wieder überarbeiten könnte. Will sagen: mach Dir keine Sorgen, das ist wohl "normal".

Nun aber zu Deiner Geschichte. Einige Rechtschreibfehler bzw. Wörter, die auch ich vom Gefühl her eher zusammenschreiben würde (selbst wenn beides "erlaubt" ist), wurden schon erwähnt. Über die bin ich gestolpert.
Ansonsten neige ich eher zu strengen Fragen und Anmerkungen, die ich aber nicht machen würde, wenn ich insgesamt nicht durch den Text gekommen wäre.
Der erste Satz ist mir - ganz ehrlich - zu lang. Ich stelle mir die Situation vor und wenn jemand nicht ganz sicher ist, ob der andere gerade zuhört, wäre mir das schon zu viel. Allerdings befindet er sich vermutlich auch gerade im genannten Chill. Dann wäre es plausibel, wenn Du ein paar Dehnungspünktchen einfügst oder ihn Kringel blasen lässt (die Zigarette sagt dann traditionell auch gleich alles).
Ich höre meine Lektorin: "Was ist bitte ein 'geglückter' GV?" Laughing Aber da gehen wir nicht ins Detail, welche Adjektive sich noch eignen würden.

nilswundertsich hat Folgendes geschrieben:
Sie stand da, ich wollte sie, und los ging's. Da liege ich auf einem geschmacklos bezogenen Bett und bin total entspannt, während mir der Fernseher die Welt alter Kostümfilme vorsetzt.
An sich ja. Der Übergang vom ersten zum zweiten Satz klappt für mich noch nicht. Der Zeitsprung würde für mich erst durch ein "Jetzt liege ich ..." glatt. Gib mir ein Bild vom "geschmacklos". Das zeigt mir als Leser gleich, wie er in der Richtung denkt. Dass es sein Urteil ist, okay, aber ich möchte es auch sehen, um es für mich zu bewerten.

Der Charakter des Protagonisten ist auch mir nicht ganz klar, denn wenn einer so cool daherredet, hatte er doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon seit er 13 ist Mordsspaß in der Richtung mit allen, die nicht bei drei auf den umliegenden Bäumen waren? wink Der Punkt ist, dass es für mich stimmig bleiben muss. Einer, der sich so ein Mädl so ganz ohne Papa- oder Patenonkelbegleitung von der Straße weg holt, ist für mich schon ein besonderer Charakter. Langer Rede kurzer Sinn: den "ersten geglückten" kaufe ich ihm nicht ab.

Die motivische Arbeit mit der intelligenten, zum Philosophieren neigenden und sich doch im Grunde ihres Herzens nach wahrer Liebe sehnenden Frau ist kein schlechtes Thema; für mich bleibt es allerdings in dieser Geschichte nicht auf ganzer Strecke erkennbar.

Mit Adverbien bin ich immer vorsichtig: Wie sieht z.B."hektisches Tapsen" aus; vor allem, wenn sie eigentlich gechillt ist? Auch eine Augenbraue, die sich "verwundert" hochzieht, braucht es nicht. Der Leser versteht aus der Situation heraus bzw. aus dem Folgesatz, in welcher Absicht die hochgezogen wird. Du merkst: Die Braue zieht sich nicht selber hoch, er zieht sie hoch. Das darf da auch so stehen, sonst fange ich an, zwischen den Zeilen darüber nachzudenken, was bei ihm noch alles ein Eigenleben hat (überspitzt ausgedrückt).

Die Dialoge sind recht lebensnah und Du hast ein gutes Gleichgewicht zu den Einschüben, die nicht zu lang werden dürfen, damit der Leser den Faden des eigentlichen Gesprächs nicht verliert.
Gedanken schreibe ich ganz gern kursiv, nicht in Anführungszeichen, das bremst sonst.

Hm. Insgesamt kann ich Dir genau sagen, wie sympathisch mir die beiden waren und an welchen Stellen Du die Charaktere in welche Richtung gelenkt hast, aber ich denke, das würde hier zu weit führen.

Das eine Thema hatten wir jetzt mit dieser Geschichte, dann kommt als nächstes Crime? wink Dranbleiben. Du schreibst schon recht selbstbewusst und so soll es sein, wenn Du Dich mit Aussicht auf Erfolg an die "Langstrecke" wagen möchtest.

LG
Biggi
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
U-Banane
Wortedrechsler


Beiträge: 83



Beitrag27.11.2013 11:53

von U-Banane
Antworten mit Zitat

Kann nicht viel sagen (was nicht schon gesagt worden ist), aber: auch ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen. Wink
Die Geschichte wirkt auf jeden Fall ziemlich lebendig. Dass sich der Protagonist anfangs ein wenig "zu cool" verhält, stimmt allerdings ein wenig.

Bananengruß.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Feedback
Sein Lächeln
von Hera Klit
Hera Klit Feedback 0 15.04.2024 15:01 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Literaturtheorie / Kulturwissenschaft / Künstliche Intelligenz / Philosophie des Schreibens
Wie viel Autory darf / soll / muss in...
von Charlie Brokenwood
Charlie Brokenwood Literaturtheorie / Kulturwissenschaft / Künstliche Intelligenz / Philosophie des Schreibens 10 27.02.2024 16:30 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Trash
»Schriftsteller sein« und spätere ...
von nebenfluss
nebenfluss Trash 10 12.02.2024 18:18 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Testleserbörse
Biete und suche Testleser: Doppelgän...
von Grim
Grim Testleserbörse 3 20.01.2024 15:38 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Roter Teppich & Check-In
Ich freue mich hier zu sein! :)
von Irschle
Irschle Roter Teppich & Check-In 3 15.12.2023 00:41 Letzten Beitrag anzeigen

EmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlung

von nebenfluss

von JT

von Constantine

von pna

von JGuy

von Einar Inperson

von Fao

von Minerva

von Einar Inperson

von czil

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!