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Ein falsches Leben, überflüssig


 
 
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 942
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag18.10.2016 14:18
Ein falsches Leben, überflüssig
von Christof Lais Sperl
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

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Ein falsches Leben
Für begangene Dummheiten sollte er sich noch nach Jahrzehntenen schämen: Allzu gut kannte er das beklemmende Gefühl, dass sich regelmäßig wie eine Glut den Hals hinaufschlich,  unterhalb des Kinns Verzweigungen bildete, den gesamten Kopf in Griff nahm, ihn erhitzte, den Schweiß auf die Stirn trieb. Dummheiten, wie sie seine Seele lautstark nannte, konnten unüberlegte Wörter, Fehlschlüsse, nicht bestandene Prüfungen, Enttäuschungen von Freunden, verlorene Freundschaften, nicht bestandene Prüfungen, Irrtümer und falsche Schlüsse, Böcke die abgeschossen worden waren, wunde Punkte, Fehltritte, Inkorrektheiten und Schnitzer sein, die ihn, jede für sich selbst und als Gemeinschaft wie eine bissige Meute aus der Erinnerung von Zeit zu Zeit verfolgten und all dem Zweifel, den er ohnehin schon in sich trug, neue Kraft gaben, Schwachstellen und darunter liegende Wunden neu aufrissen und ihm den Tag, der noch kaum begonnen hatte, aufs gründlichste verdarben.
Besah er sich im Spiegel, mochte er kaum hinsehen. Nein, der ewiggleiche Bekannte ließ sich nicht abschütteln. An den war man ein Leben lang gefesselt. Nun war er schon alt, mit scharf geschnittem Gesicht blickt er ihm entgegen. Am liebsten würde er ihm aufs Maul hauen, immer drauf. Doch um den Spiegel nicht zu zertrümmern, gab er sich selbst schallende Ohrfeigen. Links und rechts, Bewegungen, die man zur Not noch dem Beobachter als das etwas übertrieben heftige Aufbringen von Rasierwasser vortäuschen konnte, was stets gelang, wenn jemand zufällig das Badezimmer betrat. Es war gar nicht schwer, eine solche Finte zu bewerkstelligen. Welcher vernünftige Mensch konnte schon damit rechnen, einem zu begegnen, der sich selbst eine knallt?

Der Blick der anderen schmerzte. So mied er sie und ihre Augen. Und kam mal eine lächelnd auf ihn zu, dann meinte sie stets denjenigen, der ihm weiter hinten folgte. Erst in der Nähe ließ sich beobachten, wie die Blickrichtung der Entgegenkommenden an seinem Kopf vorbeizugleiten begann. Doch nun war auch das seltener geworden. Gesichter starrten tief versunken und blaß auf ihre Handys, die Nacken scharf vom Thorax abgeknickt: Orgelpfeifen. Schräg abgesägte Baumstümpfe. Gekrümmte Pfosten, die durch Innenstädte wankten.

Mal war es die Erinnerung an ein Mädchen, dessen Zuneigung er nicht begriffen hatte. Viel zu spät und ganz verwundert hatte er alles begriffen als der Zug längst abgefahren war. Mal war es die ans Lesen, als ihm wieder nicht der Unterschied zwischen hoax und coax, limbo oder lingo einfiel und als ihm auf  ein Do you mind keine Antwort zur Seite sprang. Als er mit der bildhübschen Suse Schluß gemacht hatte,  die, durch den Tod beider Elternteile schwer angeschlagen (er hatte dies als vorgeblicher Helfer und wirklicher Ausbeuter bösartig ausgenutzt) nicht den Sex geben konnte, wen er mit seinen siebzehn als Dank erwartet hatte. Als er bei Petersen eine Zweierprüfung machte, wo er doch bei Teichert die Einsbekommen hätte, aus reinem Schiß vor dem, der ihm wohlgesonnen war. Als er bei seiner halb blinden Oma im Wohnzimmer einen Joint durchgezogen hatte, die es nicht bemerkte, er deshalb auch noch stolz war und jedem davon erzählte. Als er mit einem Schulbuchvorwand bei seinem Vater Geld herausleierte. Als er einem half, eine Gitarre zu klauen. Als ihm in der Schule nicht einfiel, was eine Monografie war. Als er jahrelang nicht zurückrief und wegen kleinlichen Kinkerlitzchen Freundschaften scheitern ließ. Als er die Prüfung wegen Zuspätkommens fast nicht bestanden hatte.

Überhaupt, all das was fast gescheitert war, war sogar noch schlimmer, als was im wirklichen Leben verloren ging. Schleifen katastrophaler Ereignisse, die selbst nie eingetreten waren, drehten sich in seiner Seele und brüllten darin wie Soldaten herum.

Als er wie ein Blöder zu einem Blinden, der nach dem Wag fragte, sprach: "Sehen Sie die Ampel dort?" Als er schwächere Kinder mit dem Vorwand verprügelt hatte, die seinen schwach und aus der Nachbarstadt. Als er in der Firma Geheimnisse preisgab, die er als Argument zu seiner  Verteidigung benötigte, aber niemals hätte erwähnen dürfen. Als er dem Hotelpagen die Geschichte glaubte, die Mitarbeiter dürften sich vom Bier zapfen, und zwei Minuten später, vom Pagen denunziert, vorm Schreibtisch des Direktors stand. Als er Steine auf Züge warf und seine Mutter ihn heulend bei der Bahnpolizei abholen musste. Als er die Einladung zu einem Familienessen vergaß und dicht bekifft mit hennarotem Haar und enensolchen Augen unter all den Omas und Opas erschien, die ihn über ihren Kaffekranztisch mit bösen Blicken durchbohrten. Als er hinter seiner Gardine die hübsche Tante beobachtete, die es sich in Bikini und Liegestuhl bequem gemacht hatte. Als er für fünfzig Gulden einem Afrikaner in Amsterdam ein kleines  Stück alten Gummireifen abkaufte und sich danach betrank.  Als er den verriet, die ihm noch kurz zuvor geholfen hatte.  Als er dem halbblinden Englischlehrer eine Französischaufgabe vorzeigte, und diese von ihm abzeichnen ließ. Als er sich in einer Kneipe angetrunken mit einer volltrunkenen Dicken einließ, einem Umstand, der ihm den mißratensten Fick beschert hatte, der je einem Menschen im Leben passiert war. All das fiel ihm ein, wenn er über sich selbst nachdachte. Gutes war in all dem polternden Gedankenmüll nicht dabei. Das Leben schien aus einer ununterbrochenen Abfolge idiotischer Katastrophen zu bestehen, von denen er selbst die größte war.
Manche Tage waren erträglich. Vor allem, wenn viel zu tun war. Da blieb keine Zeit zum Denken. Und an den Wochenenden konnte wenigstens gelesen werden.

Freitag. Nun war er auf dem Heimweg, noch schnell tanken, der Sprit war am Abend wieder günstiger. Vierzig Liter, ein Mister Tom. Die stets übertrieben gut gelaunte Grinsebacke hinterm Tresen bediente noch eine Frau mit ihrem kleinen, vielleicht vierjährigen Sohn, der vorm Quengelregal stand und Schokoriegel betrachtete. Seine Mutter validierte den PIN-Code ("Mit grün bestätigen"). Der hellgelbe Hoodie wölbte sich als Riesenbauch, der Junge schien einen Basketball darunter verborgen zu haben, so wie es Kinder gern tun, um Spaß zu machen. "Du mit deinem schönen, dicken Bauch, willst du noch mehr Schokolade essen?", fragte er den Kleinen. "Das Kind ist sehr schwer erkrankt", antwortete seine Mutter.



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Lais
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Fion
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Alter: 59
Beiträge: 34



F
Beitrag19.10.2016 10:26

von Fion
Antworten mit Zitat

Moin Christof

Ich las, stutzte, kam raus, scrollte etwas, las weiter.

Hhhmmm...?

Noch mal von Vorne!

Mit Schrecken festgestellt, ich bin hier in der Werkstatt und nicht im Feedback. Ich könnte mich davonschleichen?
Ne, mach ich nicht!
Also, erst mal den roten Faden extrahieren, feste daran ziehen und die Aussage nach oben befördern.
:Jemand schlägt sich täglich, weil er sich in seinem Leben und den Situationen nicht erträgt.
Ok, ist ne Story.
Aber dann ist schon Freitag und das Kind ist schwer erkrankt?
Nochmal ein langes, "hhmmm".

Wie wäre es,
-wenn du die Story richtig vor dem Spiegel beginnst
-keine Erwähnung von einem zufällig Hereinkommenden
-sondern sich das Rasierwasser absichtlich hart ins Gesicht einarbeitet
-bewusst
-sich dabei in die Augen schaut, was er verabscheut:
WEIL!
-das Gefühl aus dem Bauch in den Hals hochsteigt
-dann die Erinnerungen/Missgriffe aus seinem Leben (hier die echt negativen)

-jetzt eine Szene draußen
-vor dem Spiegel kann er sich noch in die Augen schauen, anderen gegenüber nicht
-vielleicht empfindet er es auch als tröstlich, dass sie sich ihren Handys widmen - und noch ein vielleicht, ihn vermuten lassen, dass deren nicht-schauen genau den gleichen Grund hat

-ob nun eine ganze Woche vergehen muss? Weiß nicht?
-ich würde aber ein Päckchen von guten/lausbübischen Erinnerungen reinsetzen. (Die stehen auch da drin. Das mit dem Blinden + dem Lehrer)
Einen Ausgleich in ihm schaffen, sonst geht dir dein Prota kaputt. Oder willst du das?

Das Ende ist mir schleierhaft.
Und ich weiß absolut nicht, wohin du willst.

Lieben Gruß
Fion
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Muskat
Eselsohr


Beiträge: 343



Beitrag19.10.2016 14:33
Ein falsches Leben
von Muskat
Antworten mit Zitat

Hallo Christof Lais Sperl,

mich hat die Geschichte beschäftigt. Da leidet jemand wegen Dummheiten, die er begangen hat, die aber, wie ich finde, keineswegs dramatisch sind und sein Leid kaum begründen. Dann aber erfährt er am Ende, was wirkliches Leid bedeutet. Jedenfalls lese ich die Geschichte auf die Weise.

Wie mein Vroredner ließe ich den ersten Absatz unbedingt weg. Das sind vorgezogene Erklärungen zur Geschichte, die unnötig sind. Jeder Leser sollte auch ohne sie, die Geschichte begreifen.

Davon ab erwähnst du die nichtbestandenen Prüfungen doppelt.

Ich meine, dass du eben an der Stelle die Geschichte beginnen solltest:

Zitat:
Besah er sich im Spiegel, mochte er kaum hinsehen. Nein, der ewiggleiche Bekannte ließ sich nicht abschütteln. An den war man ein Leben lang gefesselt. Nun war er schon alt, mit scharf geschnittem Gesicht blickt er ihm entgegen. Am liebsten würde er ihm aufs Maul hauen, immer drauf.


...

Weitere Hinweise:

Zitat:
Viel zu spät und ganz verwundert hatte er alles begriffen als der Zug längst abgefahren war.


Den Satz kannst du streichen, das sagst du bereits in dem davor.


Zitat:
Sex geben konnte, wen den ... er mit seinen siebzehn als Dank erwartet hatte.


Zitat:
Überhaupt, all das Komma was fast gescheitert war, war sogar noch schlimmer, als was im wirklichen Leben verloren ging. Schleifen katastrophaler Ereignisse, die selbst nie eingetreten waren, drehten sich in seiner Seele und brüllten darin wie Soldaten herum.


Die folgenden Beispiele würde ich zuerst erzählen und dann die, die eben nur fast gescheitert sind, weil der Prota sie als schlimmer empfindet.

Zitat:
Als er dem halbblinden Englischlehrer eine Französischaufgabe vorzeigte, und diese von ihm abzeichnen ließ.


Den letzten Satz ließ ich auch weg, da oben bereits ein Beispiel mit einem blinden Menschen steht.

 
Zitat:
Manche Tage waren erträglich. Vor allem, wenn viel zu tun war. Da blieb keine Zeit zum Denken. Und an den Wochenenden konnte wenigstens gelesen werden.


Dass der Prota sich auf das Wochenende freut oder es eben erträglich findet, ist meiner Meinung nach nicht gut, um den Schluss einzuleiten. Wirkungsvoller wäre doch, wenn er sich für den Menschen hielte, der das größte Leid auf seinen Schultern trägt. Dann aber erlebt er eben das Folgende wirklich Leid des Kindes.


Ich hoffe, es ist etwas Hilfreiches dabei.

Liebe Grüße

Muskat
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 942
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag19.10.2016 14:54
Muskat und Fion
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank für die Tipps. Ich werde das beherzigen.

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Lais
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 942
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag19.10.2016 16:10
Ein lalsches Leben 2,0
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ein falsches Leben

Besah er sich im Spiegel, mochte er kaum hinsehen. Nein, der ewiggleiche Bekannte ließ sich nicht abschütteln. An den war man ein Leben lang gefesselt. Nun aber waren beide schon alt, mit scharf geschnittenem Gesicht blickte sein Spiegelbild entgegen. Am liebsten würde er dem Abbild aufs Maul geben, immer wieder drauf. Doch um den Spiegel nicht versehentlich zu zertrümmern, gab er sich schallende Ohrfeigen. Mit Härte klatschte er das Rasierwasser auf die Wangen, rieb es heftig ein.
 
Dummheiten. Die schmerzten noch nach Jahrzehnte und die Erinnerung daran tat weh. Allzu gut kannte er das beklemmende Gefühl, dass im Bauch begann, sich wie eine Glut den Hals hinaufschlich,  unterhalb des Kinns Verzweigungen bildete, den gesamten Kopf in Griff nahm, ihn erhitzte, den Schweiß auf die Stirn trieb.

Dummheiten, wie sie seine Seele lautstark nannte, konnten unüberlegte Wörter, Fehlschlüsse, nicht bestandene Prüfungen, Enttäuschungen von Freunden, Irrtümer und falsche Schlüsse, Böcke die abgeschossen worden waren, wunde Punkte, Fehltritte, Inkorrektheiten und Schnitzer sein, die ihn, jede für sich selbst und als Gemeinschaft wie eine bissige Meute aus der Erinnerung von Zeit zu Zeit verfolgten und all dem Zweifel, den er ohnehin schon in sich trug, neue Kraft gaben, Schwachstellen und darunter liegende Wunden neu aufrissen und ihm den Tag, der noch kaum begonnen hatte, aufs gründlichste verdarben. Am schlimmsten aber war all das falsch Gesagte.

Auch das Draußen war so schwierig, der Blick der anderen schmerzte. So mied er ihn und deren Augen. Und kam mal eine lächelnd auf ihn zu, dann meinte sie immer nur denjenigen, der ihm weiter hinten folgte. Erst in der Nähe ließ sich beobachten, wie die Blickrichtung der Entgegenkommenden an seinem Kopf vorbeizugleiten begann. Doch nun war auch das seltener geworden. Gesichter starrten tief versunken und blaß auf ihre Handys, die Nacken scharf vom Thorax abgeknickt: Orgelpfeifen. Schräg abgesägte Baumstümpfe. Gekrümmte Pfosten, die durch Innenstädte wankten.


Auf einsamen Gängen war es die Erinnerung an ein Mädchen, dessen Zuneigung er nicht begriffen hatte, oder als er mit der bildhübschen Suse Schluss gemacht hatte,  die, durch den Tod beider Elternteile schwer angeschlagen (er hatte dies als vorgeblicher Helfer und wirklicher Ausbeuter bösartig ausgenutzt) nicht das Körperliche geben konnte, das er mit seinen siebzehn als Dank erwartet hatte. Als er bei seiner halb blinden Oma im Wohnzimmer einen Joint durchgezogen hatte, die es nicht bemerkt hatte, er darob auch noch stolz war, sich damit brüstete und jedem davon erzählte. Als er mit einem Schulbuchvorwand beim Vater Geld herausleierte. Als er einem half, zu stehlen. Als ihm in der Schule nichts einzuwenden einfiel,  als der Lehrer zum pechschwarzen Traummädchen gesagt hatte: Geh doch zurück dorthin, wo du hergekommen bist.  Als er dem halbblinden Englischlehrer eine Französischaufgabe vorzeigte, und diese von ihm abzeichnen ließ.

Überhaupt, all das, was fast gescheitert war, wurde mit der Zeit noch schlimmer, als was im wirklichen Leben verloren gegangen war. Schleifen katastrophaler Ereignisse, die selbst nie eingetreten waren, drehten sich in seiner Seele und brüllten darin wie Befehlshaber herum: Nicht bestandene Prüfungen, allerlei Peinlichkeiten und wie in Alpträumen: das Ringen um Wörter, die sich nicht aussprechen lassen wollten, das Fallen aus großen Höhen, von Hausdächern und Felsklippen.

Manchmal blieb das Fahrwasser ruhig, denn es gab Zeiten besserer Träume und leuchtenderer Farben. Im Frühling, bei Amselgesängen. Und doch blieb für ihn das, was er auf den Schultern trug, das schlimmste aller Leiden.

Nun war er auf dem Heimweg, noch schnell tanken, der Sprit war am Abend wieder günstiger  geworden. Vierzig Liter, ein Snickers oder Mister Tom. Die stets ein wenig zu gut gelaunte, dynamische Grinsebacke hinterm Tresen bediente eine Frau mit ihrem kleinen, vielleicht vierjährigen Sohn, der vorm Quengelregal stand und Schokoriegel betrachtete. Seine Mutter gab gerade den PIN-Code ein. Der hellgelbe Hoodie des Jungen  wölbte sich als Riesenbauch, der Kleine schien einen Basketball darunter verborgen zu haben, so wie es Kinder gern tun, um Spaß zu machen.

"Du mit deinem schönen, dicken Bauch, willst du noch mehr Schokolade essen?", fragte er aus Clownerie den Kleinen.

 "Das Kind ist sehr schwer erkrankt", antwortete die Mutter.


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Lais
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Steky
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
S


Beiträge: 33



S
Beitrag19.10.2016 17:21

von Steky
Antworten mit Zitat

Hallo, Christof!

Hier ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind während des Lesens:

Zitat:
Für begangene Dummheiten sollte er sich noch nach Jahrzehntenen schämen


Korrekt heißt es: nach Jahrzehnten.

Zitat:
Allzu gut kannte er das beklemmende Gefühl, dass sich regelmäßig wie eine Glut den Hals hinaufschlich,  unterhalb des Kinns Verzweigungen bildete, den gesamten Kopf in Griff nahm, ihn erhitzte, den Schweiß auf die Stirn trieb. Dummheiten, wie sie seine Seele lautstark nannte, konnten unüberlegte Wörter, Fehlschlüsse, nicht bestandene Prüfungen, Enttäuschungen von Freunden, verlorene Freundschaften, nicht bestandene Prüfungen, Irrtümer und falsche Schlüsse, Böcke die abgeschossen worden waren, wunde Punkte, Fehltritte, Inkorrektheiten und Schnitzer sein, die ihn, jede für sich selbst und als Gemeinschaft wie eine bissige Meute aus der Erinnerung von Zeit zu Zeit verfolgten und all dem Zweifel, den er ohnehin schon in sich trug, neue Kraft gaben, Schwachstellen und darunter liegende Wunden neu aufrissen und ihm den Tag, der noch kaum begonnen hatte, aufs gründlichste verdarben.


Dieser Teil liest sich unheimlich schwierig, weil er keine Pausen - zum Beispiel durch ein Semikolon, Doppelpunkt - enthält. Das ist insofern schade, weil sich gerade darin ein Großteil der Information befindet.  Außerdem eignet sich dieser Stil meiner Meinung nach nicht für die kurze Form. Aber das sei mal dahingestellt.

Zitat:
Links und rechts, Bewegungen, die man zur Not noch dem Beobachter als das etwas übertrieben heftige Aufbringen von Rasierwasser vortäuschen konnte, was stets gelang, wenn jemand zufällig das Badezimmer betrat.


Da ist sie schon wieder, diese künstliche Satz-Verlängerung, die unstimmigen Bilder. Das zerstört leider das Leservergnügen.

Zitat:
Der Blick der anderen schmerzte. So mied er sie und ihre Augen.


Die zwei Sätze kannst du ruhig miteinander vereinen, denke ich. So z.B.:

"Der Blick der anderen schmerzte; so mied er sie und ihre Augen."

Ich breche hier ab, weil mir da einfach viel zu viel passiert in dieser kurzen Geschichte, als dass ich noch einen Überblick hätte. Dabei finde ich die Idee gar nicht mal so schlecht. Ich rate dir, eine reine Spiegel-Szene daraus zu machen, ohne irgendwelche Ausflüge, die den Leser irritieren, sondern vielmehr jedes Wort auf die Waagschale zu legen.

Wenn dir das gelingt, besteht dein Text fast zu 100 Prozent aus Handlung, und er wird ein stimmiges Bild ergeben.

Ich hoffe, du nimmst mir meine Ehrlichkeit nicht übel!

PS: Mein Kommentar bezog sich auf die erste Version! Die zweite Version sieht schon besser aus!

Alles Gute

Steky
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Muskat
Eselsohr


Beiträge: 343



Beitrag19.10.2016 17:32
Ein falsches Leben
von Muskat
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Hallo Christof,

das ist nun richtig schön erzählt. Du hast nicht einfach umgestellt, sondern ausgebaut, umformuliert. Ich meine: Nun kommt der Ton des verzweifelten Protas um Versäumtes und Verpasstes stärker heraus und doch ist es leise erzählt. Das gefällt mir gut.
Ebenso wirkt der Schluss nun wie ein Schlag in den Magen, gerade weil der Protagonist trübsinnig ist und nur in dem Moment einmal witzig sein möchte.

Eine Frage:

Magst du nicht, die doppelten  nicht bestandenen Prüfungen herausnehmen? Du zählst sie oben und gegen Ende nochmal auf.

Liebe Grüße

Muskat
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MoL
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Das bronzene Stundenglas


Beitrag20.10.2016 10:46

von MoL
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Lieber Christof!

Oh Mann, hab ich gelacht! Dein Protagonist ist aber auch ...! lol2

Eine Frage: Warum so viele Absätze? Oft täte es auch ein einfacher
Zeilenumbruch
wie der hier. Einfach Pfeiltaste nach Oben und zeitgleich Enter drücken dann kannst du
mitten im Satz
eine neue Zeile beginnen.
Oder eben für einen neuen Satz.

Ich finde deine Geschichte in beiden Versionen klasse. Bevor ich mehr anmerken kann stellt sich mir die Frage, wofür du die Geschichte brauchst bzw. welchen Zweck sie erfüllen soll?

Liebe Grüße, MoL
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Fion
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Beiträge: 34



F
Beitrag20.10.2016 10:58

von Fion
Antworten mit Zitat

Mensch bin ich Kopf an die Wand

Danke Muskat.
Das Ende habe ich nicht verstanden.

Sorry Christof
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Christof Lais Sperl
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Beitrag20.10.2016 11:56
Mol und Fion
von Christof Lais Sperl
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Nun ja, ich mache eine Sammlung kurzer Geschichten. Ich hoffe, damit irgendwann mal bei einem Verlag ankommen und ein kleiner Schriftsteller werden zu können. Das Ende bedeutet: Prota handelt unüberlegt und ungeschickt, gerade geht es ihm ganz gut, als er mit der Bemerkung über den Bauch schon wieder einen Fauxpas landet... VLG, c

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MoL
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Beitrag20.10.2016 12:57
Re: Mol und Fion
von MoL
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Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Nun ja, ich mache eine Sammlung kurzer Geschichten.


Oh, ich bin großer Fan von Kurzgeschichtensammlungen. Am besten gefallen mir die von Ernst W. Heine!
Hast du denn ein generelles Thema oder so etwas wie einen roten Faden, der deine Geschichten irgendwie zusammenhält?

Fand ich nicht schonmal eine Geschichte von dir so gut? Moment ... Finde ich grad nicht wieder, aber da war definitiv was! smile

LG, MoL


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gemeinsam mit Leveret Pale:
"Menschen und andere seltsame Wesen"
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Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
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Jacaranda
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Beitrag23.10.2016 21:36

von Jacaranda
Antworten mit Zitat

Ich finde sowohl den überarbeiteten (weil dichter und glatter erzählt) als auch den ersten Text reizvoll - der erste ist eindringlicher, noch näher am Prota dran, obwohl mir ein paar Formulierungen nicht so gefallen (ist aber Geschmackssache).
Du beschreibst diesen Typ Mensch, der es bis zur bewußten Selbstreflektion geschafft hat und der sich selbst nicht passt, der aber den Schritt, sich dann auch zu ändern, nicht packt - weil er nicht weiß, wie, zu faul ist, zu dumm oder was auch immer. Das ist ein trauriger Typ Mensch.
Manche bleiben auch eine Stufe vorher hängen und sind mit sich und ihrer Umwelt, die sie immer wieder zurückstoßen und von der sie immer wieder abgewiesen werden, unzufrieden und verstehen gar nicht, warum das geschieht. Ist auch ein bisschen RTL wink
Deine Geschichte läßt einen mit diesem 'Mensch, dann tu halt doch was daran'- Gefühl zurück, und man denkt ein wenig über seine eigenen zweifelhaften Handlungen nach (und die von Mitmenschen), denn ein paar von diesen Situationen kennt in der einen oder anderen Form jeder - das ergibt einen interessanten Blickpunkt. Vor 15 Jahren hätte ich mich teilweise wiedergefunden (sozial inkompetent, weil trottelig in Kombination mit mangelndem Einfühlungsvermögen lt. einem Assessmentcenter Training - habe seitdem zum Glück dazugelernt).
Gerne gelesen.


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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag24.10.2016 06:57
Jacaranda
von Christof Lais Sperl
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Das hast du aber gut auf den Ounkt gebracht! Danke für die Kritik. LG, c

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