Die Flaneuse

[Snoopz]

Sie betrat die neue Welt, die Erde Nr. 2013, ihr neues Leben als Flaneuse. Flanieren war ihr schon immer auf den Leib, den Geist, die Psyche geschneidert gewesen, sie hatte bisher nur das Wort nicht gehabt, um davon zu berichten. Es gab Flaneure damals, keine Frage;  sonst gab es nichts in diesem Metier. Logisch. Wer wäre denn auf die Idee gekommen, dass im korrekten Genderspeech von Flaneuren und Flaneurinnen schon seit langem die Rede hätte sein müssen.

Sie war keine Flaneurin. Sie war Flaneuse. Wie Friseuse und Friteuse. Ihre zu jener Zeit ernsthafteste Beschäftigungen waren Flanieren und die Schriftstellerei – letzteres eine ernste, existentielle Angelegenheit. Flaneure hatten ja häufig Ambitionen in dieser Sparte, warum nicht auch sie?

Sie war gerade dabei, ihren ersten Agenten- und Agentinnen-Roman auszuformulieren.
Zuvor hatte sie schon einmal versucht, einen Bauarbeiter- und Bauarbeiterinnen-Plot zusammenzuzimmern, war aber an dem Schmutz gescheitert, der mit den Vorarbeiten verbunden gewesen war. Auch herrschte an exemplarischen Bauarbeiterinnen unzulässiger Mangel; so konnte die Story nicht ausreichend unterfüttert werden.
Selbst ein einfacher Kriminalroman kam nicht zustande, weil die Quoten-Hackerinnen für die Attacke auf das Intranet des Pentagon dann doch schnell zu Pressesprecherinnen der Crazy Computer Cloud mutierten. Pressekonferenzen in einem Kriminalroman? Das wäre denn doch eine zu große Herausforderung gewesen, der die Flaneuse sich damals nicht stellen wollte.

Beim knieschonenden Flanieren durch Straßen und Gassen begegneten ihr zwar Kaufhausdiebinnen und -diebe, Taschendiebe und -diebinnen, welche Rentner und Rentnerinnen um ihre Portemonnaies erleichterten, aber es gab damals keinen einzigen spektakulären Einbruch mit Tunnelgraben und allem übrigen Schnickschnack durch Bankräuber und Bankräuberinnen zu besichtigen. Einzig ein Juwelier- und Juwelieringeschäft wurde einmal während eines Spaziergangs ausgeraubt, doch auch hier waren im wesentlichen wieder die Einbrecherinnen abwesend.

Nullquote! Das geht doch nicht, raunte man in ihrer Umgebung.

Die Flaneuse in ihrer Verzweiflung beschloss nun, diese neue Welt zu schleunigst wieder zu verlassen und in das Märchen zurückzukehren, aus dem sie ausgebrochen war, weil sie einfach mal etwas anderes erleben wollte als immer nur die altbekannten Märchenplots, die die Gebrüder Grimm schon ganz genau festgeschrieben hatten.  
Nun aber würde sie zurückkehren und mit ein paar Sterntalern durch die weite Welt der Phantasie wandern, Gebrüder Grimm hin oder her, über Stock und Stein, mit Stock und Wanderstiefeln.
Nur der Meniskus würde sie noch manchmal daran erinnern, dass auch das Leben als Flaneuse auf der Erde Nr. 2013 so seine guten Seiten hatte.

[Lupo]

zeigt sprachspielend ineinander greifende  Gedankenketten.
Liebe Snoopz, mit Den Anstößen Deiner Wiedergängerin offenbarst Du Zusammenhänge, die mir lohnend erscheinen, weiter zu durchdenken.  
Woher kommt sie denn, die Flaneuse, als sie die Erde 2013 betritt? Von der Erde 2012? Vom Mars? Aus einer anderen Dimension?
Ich frage eine Sinneuse aus meinem Umfeld, die mir erklärt, in der Welt der Spioneusen, Betoneusen, Abalieneusen und Depeculeusen gälten ausgemachte Quoten für jedes durchgezählte Jahresexemplar der Erden.
Das klingt beruhigend, denn die Besorgnisse der Grimmbrüder, die ein Ungleichgewicht zwischen Maleficeusen und Diaboli weit über 2033 hinaus prognostizierten, relativieren sich angesichts der Flut von Kriminal-Plots von Spintiseusen.
Demnach erscheint es mir zwar unerheblich, aber schade, dass die Sterntalerremoveuse, bedacht auf Schonung der angeknacksten Knie, erneut ihr Glück in den Märchenwelten sucht.
Denn gerne nähme ich sie bei der Hand, um meniskusschonend eine gut erhaltene Kulisse des Mittelalters, etwa Nr. 1413 zu durchstreifen.
City-besneakert, Lupo.

[Snoopz]

Lieber Lupo,
Dank für deine ziselierte Kommenatorenarbeit. Die Frage nach dem Woher der Flaneuse erweitert gleich den Horizont und eröffnet mir die Möglichkeit, das Hineinstolpern der Protagonistin in gewisse Hirnrissigkeiten des Jahres 2013 plastischer und drastischer auszuformulieren, ihr ein ausgefeilteres Profil zu geben, ohne dem Leser zu ausgiebig auf den Nerven herumzuwandern – mit  Nerveusen und so weiter.

[adelbo]

Hallo Snoopz,

mit hat deine Flaneuse auf Anhieb sehr gut gefallen. Ich wagte mich nicht zu antworten, weil ich befürchtete nicht alles verstanden zu haben und wollte mich nicht blamieren.  

Alles habe ich sehr wahrscheinlich auch nicht verstanden, aber was ich verstehe und die Wortwahl gefällt mir ausnehmend gut. Auch das Tempo des Textes, die Bilder sind genau meins. Ich habe das Gefühl ich kenne deine Flaneuse irgendwoher.  

Gerne gelesen und Spaß gehabt, bei diesem phantasievollen Text.

LG
adelbo

[Snoopz]

Danke Adelbo. Vielleicht ist der Text einfach noch eine zu konfuse Aneinanderreihung von Gedanken aller Art. Ich werde auf jeden Fall eine überarbeitete Fassung einstellen. Würde mich freuen, dann von dir zu erfahren, ob du etwas klarer sehen kannst.

Gruß, Snoopz

[Lupo]

Die Entfremdung vom soziologischen Umfeld, die Abalienation, stelle ich mir vor als bewusstes Hinarbeiten, um die Phänomene der Nr. 2013 als virtuelle Erscheinungen von ihrer Wirkung zu trennen. Das Verb dazu erfinde ich als abalienieren und die Ausführende als Abalieneuse. Desgleichen unternimmt eine Depeculeuse gegen ihr Opfer das, was der Betroffene als Beraubung oder Betrug empfindet, depeculierend eben. Sicherlich findet sich solche soziologisch-philosophische Terminologie im täglichen Sprachgebrauch eher selten, doch wollte ich anhand ihrer Verwendung das auf die Spitze treiben, was die Katalogisierung von Ausübenden weiblichen Geschlechts mit politisch korrekten -euse-Bezeichnungen bereits an abstrusen Begriffen hervor gebracht hat. Du selbst hast durch Nennung einer Frittierenden als Fritteuse dieses Verfahren ad absurdum geführt. Eine frierende Frau wäre demnach eine Freuse (korrekt Frörin), eine sich Zierende eine Zeuse (korrekt Zörin) und eine Funktionsträgerin während sie fungiert eine Fungeuse (korrekt Fungörin).
Cachinnateur Lupo

[Fleur de Sol]

Sehr, sehr gern gelesen, da mir die Themen Gender und Quotenfrau auch mächtig auf den "Zeiger" gehen!

[Snoopz]

Ich hab mich sehr über deinen Kommentar gefreut. Danke.

@ Meniskus : Meniska? Meniskusine? Meniskeurin? Menisköse? Menisküsserin? Kniekrankheit? Wer weiß das schon?

[Fleur de Sol]

Meniskusine, eindeutig!