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aiscare Schneckenpost
A Alter: 55 Beiträge: 8 Wohnort: Bornheim-Hersel
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A 07.05.2013 22:16 Apfel (Mikronovelle) von aiscare
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Er stand am Grab und dachte nach. Er hatte das alles nicht gewollt, er hatte es nicht vorhergesehen, es war einfach passiert.
Er kannte sie schon so lange, daß er sich nicht vorstellen konnte, wie ein Leben ohne sie sein könnte. Ihr Chef war ein Idiot und ihre zumeist weiblichen Kollegen bösartig und dumm. Tausendmal hatte er ihr gesagt, sie solle sich eine andere Stelle suchen, doch sie mochte ihre Arbeit. Irgendetwas war dann vorgefallen, man suchte einen Sündenbock und fand sie. Tagelang hielt es vor ihm verborgen und knabberte ganz allein daran, bis sie schließlich aufgab und sich das Leben nahm. In einer Notiz an ihn erklärte sie alles. Er drehte fast durch vor Wut. Als die Beerdigung beginnen sollte, stellte er ihre Arbeitskollegen zur Rede und verbot ihnen die Teilnahme an der Trauerfeier. Er tobte solange, er machte ihnen solange Vorwürfe, bis sie tatsächlich mit hängenden Köpfen den Friedhof verließen. Er brüllte ihnen hinterher, daß er sie alle in den Tod mobben würde. Sie würden das gleiche Schicksal erleiden wie seine tote Freundin. Er würde nicht aufgeben, bis er jedem Einzelnen den Lebensmut genommen habe, bis jeder Einzelne sich das Leben nehmen würde.
Er ging langsam um das Grab herum, betrachtete den Stein mit der Inschrift und die frischen Blumen. Was mit Wut begann, setzte sich fort in Hass und Verachtung.
Es war leicht, fast schon zu einfach, sie einzuschüchtern. Er lauerte ihnen auf, drohte ihnen, verprügelte einige, beschädigte ihre Fahrzeuge, brach in Wohnungen und in die Arbeitsstelle ein. Längst war er untergetaucht, was den Horror nur verstärkte. Sie konnten sich auf nichts mehr verlassen. Ein geregeltes Leben war unmöglich geworden. Er beobachtete sie, weidete sich daran, wie es ihnen tagtäglich schlechter ging. Mittlerweile hatten sie Polizeischutz und auch die Medien berichteten von dem Rachefeldzug. Nicht alle waren wirklich dagegen, denn auch der Grund für seinen Hass war jetzt bekannt. Das öffentliche Interesse belastete nicht nur die ehemaligen Kollegen, sondern auch die Polizisten, die ihre Aufgaben schnell nur noch mürrisch und nachlässig erfüllten.
Er stand nun wieder vor dem Grab und setzte sich einfach auf den Weg davor. Bald würde es dunkel werden. Er würde auch diese Nacht vor dem Grab ausharren. Er dachte zurück an das tiefe Gefühl des Triumphes, als die ersten sich tatsächlich das Leben nahmen.
Die Überschriften in den Zeitungen wurden immer größer, er bekam seinen eigenen Spitznamen und er konnte den Übriggebliebenen ansehen, daß sie jede Hoffnung aufgegeben hatten. Er war fast am Ziel. Dann kam der größte Moment in seinem Leben. Er hatte mit einem geklauten Wagen einen saublöden Unfall gebaut. Mit Schmerzen hatte er sich in sein Versteck geschleppt und starb dort. Doch kein Licht erschien, er bekam keine Flügel und er schwebte auch nicht gen Himmel. Er stand in dem Raum und betrachtete seine eigene Leiche, die schmutzig und blutverschmiert auf der Matratze lag. Er war immer noch da. Er begriff, daß er als Geist nicht mehr aufgehalten werden konnte. Er steigerte den Terror nun soweit es nur ging. Auch jenen, die sich vor ihm ins Ausland flüchteten, konnte er Tag und Nacht das Leben schwer machen. Und das tat er dann auch. Einer nach dem anderen flüchtete schließlich in den Freitod, bis keiner mehr übrig blieb. Nicht einmal sechs Wochen nach dem Tod seiner alles geliebten Freundin waren alle, die daran Schuld hatten, genauso gebrochen und lebensmüde aus dem Leben geschieden.
Mitternacht. Er saß auf dem Weg und lauschte. Um diese Zeit konnte man andere Geister hören, wie sie redeten, schimpften, manche riefen irgendwelche Namen. Es lenkte ihn ein wenig ab von seinem Problem. Er hatte geschworen, nicht zu gehen, bis er sie alle in den Tod getrieben hatte. Sein Schwur und sein Hass waren so stark gewesen, daß er als Geist vollenden konnte, was ihm zu Lebzeiten nicht gelungen war. Sie waren tot, allesamt. Jetzt saß er schon die vierte Nacht vor dem Grab einer der Kolleginnen, die allerdings an einem Stück Apfel erstickt war. Ein Apfel! Er hatte bisher nicht herausgefunden, wie er diese in einen weiteren Tod treiben konnte, um seinen Schwur endgültig zu erfüllen und endlich gehen zu dürfen...
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Iknim Wortedrechsler
Alter: 27 Beiträge: 77 Wohnort: südlich von München
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17.08.2013 10:28
von Iknim
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Hallo aiscare,
Dein Text hat mich bis zum dritten Absatz gefesselt.
Aber als ich dann die Worte "Er lauterte ihnen auf, er drohte ihnen, verprügelte einige,..." las, distanzierte ich mich auch schon wieder genauso schnell von ihm. Ich hatte noch die Frauen vor Augen, wie sie auf dem Friedhof vom Protagonisten zusammen gestaucht wurden. Und dann auf einmal dieser Sprung. Warum schilderst du diese interessanten Szenen nicht ein wenig mehr, zum Beispiel die Reaktionen der Kolleginnen. Stritten sie alles ab? Versuchten sie sich aus dem Staub zu machen? Oder zeigten sie gar Reue? Waren sie vielleicht genauso tränenüberströmt wie der Hauptdarsteller?
Außerdem fehlen mir ein paar innere Monologe, die die Gedanken des Protagonisten wiederspiegeln. Denn so wirkt er durch diesen inhaltlichen Sprung fast wie ein beschränktes, brutales "Monster". Es ist ja nicht so, dass man seine Reaktion nicht verstehen würde, aber es fehlen einfach noch ein paar Einblicke in seine Innenwelt.
"Oh mein Gott! Klischee über Klischee", schoss es mir durch den Kopf, als ich an der Textstelle, bei der der Protagonist starb und ein Geist wurde, ankam. Das wäre der Moment, bei dem ein gekauftes Buch ohne Umschweife im Papierkorb landen würde. Erstens ist es unrealistisch, da es einfach zu trocken berichtet wird, ohne das irgendetwas erklärt wird. Zweitens ist der "rachsüchtige Geist" schon oft genug in etlichen Märchen und Geschichten verwendet worden, wodurch es etwas klischeehaft und fast kitschig wirkt. Warum beschreibst du stattdessen die Verfolgungsjagten auf die Frauen nicht genauer?
Zu deinem Schreibstil: Du verwendest ziemlich häufig das Subjekt (z.B. Er, Es) am Satzanfang. Das kann man vielleicht bei einer Berichterstattung so machen, aber in der Belletristik wirkt es nur teilnahmslos und langweilig.
Darüber hinaus fehlt mir nach dem dritten Absatz die Spannung. Durch die monotone Berichterstattung und den zu raren Szenen- und Gefühlsbeschreibungen (das ist jetzt nur mein Eindruck) geht die Spannung des Hauptkonfliktes flöten.
Die Idee der Geschichte an sich finde ich gut, du müsstest sie nur besser und detaillierter ausformulieren. Der Leser muss sich mit der Hauptperson identifizieren können. Das kannst du erreichen, indem du ihn menschlicher machst (durch innere Monologe; menschliches Verhalten). Außerdem würden noch mehr Konflikte und innere Zwiespälte mehr Spannung erzeugen. Und wegen deinem Schreibstil: üben, üben und experimentieren.
Liebe Grüße und frohes schreiben,
Iknim
_________________ "Konfuzius schrieb, mann müsse gegen den Strom schwimmen, um an die Quelle zu gelangen."
Aber wollen wir nicht alle ans Meer? |
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