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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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27.02.2013 18:02 Grünschnabel von Heribert
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Grünschnabel
Vor dem Waffengang hatte der Obrist über die Köpfe der Kämpfer hinweggewettert, dass niemand versuchen solle, die Kanonenkugeln mit den Füßen aufzuhalten; er rief, dass die ausrollenden Geschosse sehr wohl noch in der Lage dazu wären, einem Kameraden den Fuß zu zerfetzen. Dann sprach er noch einige Worte über Tapferkeit, darüber, dass der Feind ein Eindringling sei, den es zu vernichten gelte, und schließlich rief er Angriff und auf in den Kampf und unser Bataillon setzte sich unter Trommelschlägen in Bewegung.
„Wir schlagen sie!“, rief unser Schwätzer, unser Grünschnabel eifrig - bei Gott, er marschierte genau neben mir!
„Wir werden sie doch schlagen?“, fragte er die Kameraden an seiner Seite und erntete nur eisernes Schweigen dafür. Niemand sprach. Man marschierte. Man sah geradeaus.
Wir erreichten das Plateau. In der Niederung und in den grünen Hängen gegenüber waberten die französischen Regimenter; im Norden stieg donnernd Pulverdampf auf – Artillerie!
„Wo bleiben sie denn“, fragte der Schwätzer, „Wo bleiben denn die Kugeln“, plärrte er aufgestachelt, „Ich kann keine Kugeln sehen. Könnt ihr schon etwas sehen?“ Ein Veteran, ein knochiger Hüne mit blauschwarzem Bartschatten, gab dem Rekruten einen Stoß mit dem Gewehrkolben und drohte, dass er ihm gleich das Bajonett in die Kniekehle zu stecken würde.
Die ersten Kugeln rollten an. Sie kamen den Hügel heraufgefahren und sausten in die Leute. Die Kompanien begannen schweigend zu hüpfen. Einige der Kugeln kullerten über kleine Schanzen und Buckel, stießen sich ab, sprangen empor und zerschlugen den Kerls die Knochen.
Plötzlich Grünschnabel: „Hier, seht her! Seht her!“.
Ich fasste es nicht, niemand begriff es, aber dieser Idiot blieb tatsächlich im Marsch stehen und deutete auf den Boden unter sich - das dumme Schwein hatte mit dem Stiefel eine Kugel aufgehalten! Der Kamerad hinter ihm versetzte dem Schwätzer einen ordentlichen Tritt, denn schon drei Reihen hinter uns, begannen die Männer zu fluchen: „Was ist! Weiter!“ Ein anderer forderte Grünschnabels sofortigen Tod.
Wir näherten uns der Talmulde, sahen unsere Hauptmacht im Osten kämpfen. Aus den Infanteriekolonnen blies immer wieder Dampf hervor und allmählich erreichte uns der Schlachtenlärm.
Nun kamen sie nicht mehr gerollt, nein, jetzt kamen sie geflogen. Bopf, wbom, bupf, tat es, wenn die in die Erde schlugen; einige brachen über die Truppe herein; namenlose Schreie kamen über uns und unser Regiments-Dummkopf wollte ausbrechen, als er sah, dass seinen Nebenmann von einem Geschoss der Oberkörper abgerissen wurde.
Nun gab es auch Kartätschen; sie explodierten über uns oder unter uns, Köpfe flogen, Arme, Beine... – und Grünschnabel schrie nach seiner Mutter. Er wollte nach hinten ausweichen, hatte sich schon gedreht, doch da schlug die Granate ein und er wurde nach vorn gescheucht, und als er so ohne klaren Befehl in den Laufschritt überging, schubste er seine Vordermänner und brachte sie zu Fall.
Franzose von Nordost!, schrie ein Offizier und schon im nächsten Augenblick kamen Gewehrkugeln angezischt, angepfiffen; sie durchschnitten die pulverisierte Luft und durchschlugen Köpfe, öffneten Bauchdecken und prallten dann und wann an unseren Gewehren, Uniformknöpfen und Tabakdosen ab.
Kehrt links zum Angriff!, schrie der Obrist; seine Stimme überschlug sich; die Offiziere riefen ihre Kompanien zusammen. In der Kehrtwendung nahm ich wahr, dass unserer Haufen auf ein Minimum geschrumpft war; unsere Reihen wurden lichter und hinter unserer Linie türmten sich Berge von Toten auf – von etwa achthundert Soldaten konnten, so kam es mir vor, nicht mehr als eine Handvoll übrig sein!
Überall Staub, Erde flog uns um die Köpfe; hier schrie einer nach vorn, dort einer Rückzug, wieder andere baten zu Gott oder riefen nach Mutter und Vater; nach jeder Explosion Korken in den Ohren, Blutduschen, das Schreien der Verwundeten, Pulvergestank, verbranntes Haar, verkohlte Haut, Exkremente, Kartätschen, Musketenblei.
Ein Offizier rief zurückweichen, ihm fehlte ein Arm; aus dem Stummel hingen Fleisch und Kleidungsfetzen. Ich wandte mich also ab und beschloss zu fliehen, zu rennen, da spürte ich plötzlich ein Brennen in der Schulter, ganz so, als drücke mir einer glühendes Eisen ins Fleisch. Dann blitzte es plötzlich in meinem Kopf.
Weitere Werke von Heribert:
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Anni6p Wortedrechsler
Alter: 37 Beiträge: 64 Wohnort: Dresden
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08.03.2013 15:53
von Anni6p
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Uff, ein grausiges Thema. Man merkt, deine Schreiberei hat einen tieferen Sinn. Ist das lediglich ein Auschnitt aus einem großen Roman, oder soll das völlig losgelöst dastehen?
Die Situation hast du auf jeden Fall gut beschrieben. Teilweise waren mir allerdings die Sätze zu lang, sodass ich mich beim Lesen ziemlich konzentrieren musste, um den Inhalt zu verstehen.
Aber ansonsten: mitreißend.
Grüße
Anni
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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09.03.2013 09:49
von Heribert
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Hallo Anni, danke für Deinen Kommentar.
Ja, tatsächlich mag ich lange Sätze gerne, da bin ich etwas altmodisch, weil heute keine langen Sätze mehr akzeptiert werden. Zum Glück aber untersteht die Literatur nicht ganz der Mode, sondern lediglich etwas dem Zeitgeist.
Nein, etwas längeres steht nicht dahinter, es soll lediglich eine Blitzlichtaufnahme sein - eine Kurzgeschichte eben.
Tschüß!
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Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5336 Wohnort: NRW
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09.03.2013 12:29
von Bananenfischin
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Hallo Heribert,
dein Schreibstil gefällt mir sehr gut, die Eskalation der Schlacht ist gut beschrieben.
Ich denke, mit Ausrufezeichen gehst du ein wenig zu inflationär um; gerade dort, wo es sich eben nicht um Befehle handelt (an anderen Stellen hingegen, wie etwa Auf in den Kampf!, fehlen sie mir eigentlich).
Bei der wörtlichen Rede gibt es drei Varianten:
Zitat: | „Wir schlagen sie!“, rief unser Schwätzer |
Zitat: | Ein Offizier rief zurückweichen |
Zitat: | Franzose von Nordost!, schrie ein Offizier |
Ich denke, einheitlich wäre besser.
Inhaltlich fehlt mir am Schluss etwas, und zwar scheint es in den letzten vier Abschnitten so, als sei die titelgebende Figur plötzlich vergessen worden. Kurz habe ich überlegt, ob er gefallen ist und ich etwas überlesen habe; doch liest es sich für mich nicht so.
Der Ich-Erzähler stirbt am Ende oder wird bewusstlos, aber da der Fokus zuvor auf dem Grünschnabel lag, fehlt für mich einfach noch etwas, das diesen guten Text richtig rund macht.
Liebe Grüße
Bananenfischin
_________________ Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge
Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft
I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf) |
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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09.03.2013 12:51
von Heribert
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Hallo Bananenfischin,
da hast Du eigentlich vollkommen recht. Tatsächlich geht mein Prota irgendwie unter am Schluss.
Ich glaube, da sollte ich mir wohl etwas einfallen lassen.
Dasselbe mit den Ausrufezeichen. Sind wohl etwas viele. Andererseits finde ich die kursiv gesetzten Wörter ganz in Ordnung. Die Masche habe ich von meinem Lieblingsschriftsteller übernommen.
Danke für Deinen Aufwach-Kommentar. Nun muss ich sehen, wohin eigentlich mein Prota verschwunden ist...
Einen schönen Samstag wünsche ich.
Herzlichst,
Heribert
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Scriba Gänsefüßchen
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Beiträge: 16
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S 02.04.2013 15:35
von Scriba
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Hallo Heribert,
ich habe deine Geschichte gelesen obwohl der Titel mich nicht besonders angesprochen hat.
Auch den ersten Absatz fand ich nicht packend. Vielleicht wäre es hier besser, die wörtliche Rede zu verwenden. Meiner Meinung nach liest sich das lebhafter und interessanter. Die Szene hast du aber sehr eindringlich beschrieben und teilweise wollte ich schon gar nicht mehr weiterlesen, weil ich sie mir so gut vorstellen konnte und sie mir sehr nahe ging.
Aber wie schon jemand angemerkt hat, so wäre die Geschichte runder, wenn wir am Ende erfahren würden, was mit dem Grünschnabel passiert. Mir persönlich würde es besser gefallen, wenn anstatt dem Ich-Erzähler der Grünschnabel am Schluss stirbt oder verwundet wird.
Viele Grüße
Scriba
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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15.04.2013 01:28
von Heribert
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Hallo Scriba, ich habe keine Rückmeldung erst jetzt bekommen. Habe wohl den Benachrichtigungs-Button nicht aktiviert. Aber danke für deinen Kommentar. Der Schluss meiner Geschichte ist wohl unausgegoren.
Heribert
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