Verfremdung IV

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Professor Schmidt beugt sich über die Brüstung vor dem Affenkäfig und hält eine Banane ans Gitter.
„Hallo, Herr Professor! Endlich …“
Schmidt dreht sich um und erblickt Fräulein Plüsch.
„Herr Professor. Ich wollte Ihnen kurz die Inventurliste zeigen.“
„Inventur? Ach ja, stimmt.“ Er greift in seine Jacketttasche. „Lesen Sie mir lieber vor, ich hab die falsche Brille eingesteckt.“
Fräulein Plüsch stellt sich neben ihn an die Brüstung und blättert in dem Zettelstapel auf ihrem Klemmbrett.
„Wir sind fast durch. Hasen und Hasenartige: drei Todesfälle. Huftiere: vollständig.“
Professor Schmidt schält seine Banane. „Fabelhaft.“
„Elefanten haben wir insgesamt – drei“, Fräulein Plüsch kritzelt etwas auf einen Zettel, „… nein, vier.“
„Sind Sie sicher?“
„Wir klären das gleich.“
Professor Schmidt mustert Fräulein Plüsch. “Wissen Sie, was der Unterschied ist zwischen einem Dromedar und einem Trampeltier?“
Auf ihren Wangen zeigt sich leichtes Rot. „Unterschied? Äh, … beide kommen aus der Wüste, stehen im gleichen Gatter, beide fressen gleiches Futter …“
„Ein Trampeltier hat zwei Höcker. Genau zwei Stück, Fräulein Plüsch.“
„Herr Professor, ich habe ja auch nicht Medizin studiert.“
„Veterinärmedizin, meine Liebe! Denken Sie nur mal an die großen Unterschiede im Tierreich. Oder wollen Sie etwa einen Elefanten mit einer Termite vergleichen?“
„Keinesfalls, Herr Professor.“ Fräulein Plüsch blättert hastig durch ihren Zettelblock. „Bei den Termiten sind es viereinhalb Kilo geworden.“
„Viereinhalb Kilo? Sie wissen doch, dass ich Wert auf absolute Korrektheit lege! Termiten sind Schabenartige, Dictyoptera … Aber wozu erkläre ich Ihnen das alles. Zählen Sie die Krabbler!“
„Zählen?“
„Ja, zählen und markieren. Zum Beispiel am Hinterteil.“
Seine Fingerspitzen tasten nach ihrem Po.
Sie schiebt seine Hand vorsichtig zurück „Gut. Ich werde es anweisen.“
„Und was machen die Pinguine?“
„Haben wir nie gehabt.“
„Hm.“ Professor Schmidt beißt an seine Banane. „Wirklich? Aber Tiger.“
„Tiger, hatten wir. Drei sogar. Mein Bestand zeigt null.“
„Zählen sie noch mal in Ruhe durch.“
„Ist bereits veranlasst, Herr Professor.“
„Ich hätte wetten können, dass wir Pinguine haben …“
Das Handy von Fräulein Plüsch klingelt, sie geht drei Schritte seitwärts. Professor Schmidt wendet sich wieder dem Affenkäfig zu, steckt die Zunge raus, hält die gespreizten Hände an seine Ohren und macht Grimassen.
Fräulein Plüsch klappt ihr Handy zu: „Herr Professor, alles in Ordnung! Die Tiger sind da. Vollständig.“
„Na bitte!“
Sie blättert nervös durch ihre Zettel. “Bei den Mitarbeitern muss ich zwei streichen.“
„Gut. Tun Sie das.“ … „Sagen Sie, Fräulein, wo sind die ganzen Schimpansen?“
„Die haben sich ins Affenhaus zurückgezogen.“
„Und der eine dort, ist mit dem was nicht in Ordnung? Reagiert gar nicht.“
„Ich wollte es Ihnen schon vorhin sagen. Im Rahmen einer Verhaltensstudie über Optimaten …“
„Primaten, Fräulein Plüsch. Und halten Sie sich bitte komplett aus der wissenschaftlichen Forschung raus! Sie sind hier nur für die Organisation zuständig.“
„Jawohl, Herr Professor.“
Er wirft den Rest der Banane durch die Gitterstäbe. „Ich bekomme langsam Hunger. Darf ich Sie in die Cafeteria einladen?“
Fräulein Plüsch schaut unsicher zum Affenkäfig und nickt.
„Na, Fräulein, dann lassen Sie uns heute mal richtig einen drauf machen! Kommen Sie.“


Vor dem Affenkäfig erscheint ein Mitarbeiter im grünen Overall und beugt sich zu den Gitterstäben: „Soll ich das Mittagessen warm halten oder bleiben Sie über Nacht im Käfig, Frau Doktor Schmidt?“

[Simon]

Ein interessantes Ende für den Text.
Vielleicht eine Gegenüberstellung? Das Wesen des Tieres/die Natur gegenüber der kalten Dokumentation von Fakten, bzw. der Bürokratie?

Beste Grüße

Simon

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Hallo Simon,

mich hatte deine Deutung überrascht.

Aber mit etwas Abstand ließ ich die Geschichten zu diesem Thema noch einmal vor
meinem inneren Auge vorbeiströmen – und vielleicht hast du insofern recht, als wir bei
solch einer Aufgabenstellung (Verfremdung) vielleicht etwas mehr von uns preisgeben.
Mehr als üblich und uns bewusst ist.


Gruß,
Carsten

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[KeTam]

seitenlinie, ich musste sooo lachen über das. Ich kann nicht viel darüber sagen, hab keine Lust und sehe auch keinen Sinn da was reinzudeuten, außer vielleicht ne Anspielung auf den PoKaPro. Naja, ist ja nicht so schwer, bei dem Títel.
Der Dialog ist köstlich!  

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Wo du schon alles verraten hast, KeTam,

 

es handelt sich tatsächlich um Humohooor!

 

(Nur die Pointe behalte ich für mich.)

[KeTam]

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Und weißt du auch, warum sie bei den Mitarbeitern zwei streichen muss?

[KeTam]

Öhm, weil Frau Doktor und der Herr Professor im Affenkäfig leben?

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Nee, weil sie die Tiger gefunden haben.
 

(Und die Pointe stimmt noch nicht. Ist aber auch nicht schlecht.)

[KeTam]

Aha, dann waren die Mitarbeiter eigentlich Tiger ... ?

Oh mensch, seitenlinie, ich frag mich, was ich hier grad tu.

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[KeTam]

[Ruth]

Ich hab aber gedacht, von den zwei gestrichenen Mitarbeitern hat einer die Tiger gefunden und der andere ist der Professor.

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[Ruth]

Na, es wird doch Inventur gemacht, und der Professor taucht jetzt nicht mehr bei den Mitarbeitern auf, sondern bei den Primaten.

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[Ruth]

Ah. Egal, fand's so oder so lustig.
Wenn sich noch mehr Autoren finden, die Tierpark-Geschichten schreiben, bekommen wir vielleicht eine eigene Kategorie, hier im DSFZoo ...