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[Der erste Satz] Gefühle, Gefühle!

 
 
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skyskewz
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
S

Alter: 34
Beiträge: 30
Wohnort: Aspelt


S
Beitrag25.02.2013 23:05
[Der erste Satz] Gefühle, Gefühle!
von skyskewz
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Als ich das Haus verließ, ahnte ich noch nicht, welchen schrecklichen Fehler ich begangen hatte.

Ich lief geduckt, die Kapuze meines Friesennerzes tief in die Stirn gezogen, über das was sich Gehweg schimpft, derzeit jedoch mehr von Kanalisation hatte. Ich verlangsamte meinen Schritt als der Laden näherkam, rutschte trotzdem fast aus, und machte es schliesslich doch unbeschadet zur Tür hinein. Während ich auf der Schwelle meinen Mantel auszog, ordnete ich meine Gedanken die scheinbar etwas länger brauchten und sich träge in meinem Kopf breitmachten.
Ich sah mich um. Sybille war schon da, sie musterte mich von oben bis unten bis ihr Blick an meinen Füssen kleben blieb. Ich blickte an mir herunter und sah den Grund. Ich selbst klebte ja fast fest in dieser riesigen Pfütze aus Schlamm und Wasser. Ich sah wieder zu Sybille und als ich mich in Bewegung setzte um meinen Regenmantel aufzuhängen begann sie ausladend mit den Armen zu rudern, unterstrich ihren Unmut noch mit einem lauten „NEIN!“ und verschwand in dem kleinen Raum hinter der Theke.
Es dauerte nicht lange da kam sie wieder, bewaffnet mit einem Mob, einem Eimer Wasser und meinen Hausschuhen. Sie drückte mir alles in die Hand, und ich fühlte mich wie ein Ritter der von seinem Knappen Schwert und Schild erhält und tätschelte ihr verträumt den Kopf. Sie sah mich an und was eben noch Knappe war wurde zu Drache und ich duckte mich und hielt den Mob verteidigend vor mich. Sie drehte sich um und ging kopfschüttelnd weg, während ich meine Stiefel auszog und begann den Boden sauber zu wischen.
„Mal wieder feiern gewesen, was?“, fragte sie leicht spöttisch.
„Mhm...“, antwortete ich.
„Ich werd's nie versteh'n. Freitags und Samstags sitzt du die ganze Nacht zuhause, aber Sonntags musst du ausgehn. Du hast s'e echt nicht alle.“
Ich grinste und dachte an die vorige Nacht. Dabei verging mir das lachen schnell wieder denn ich konnte mich kaum erinnern. Während ich in meine Pantoffeln schlüpfte – von den Bodenfliesen hätte man mittlerweile wieder essen können, sofern man ein Hund mit unterdurchschnittlichen Ansprüchen an Hygiene war – kramte ich weiter in meinem Kopf nach Erinnerungsfetzen.
Sybille schnippte mit den Fingern.
„Mir reicht's langsam. Komm in die Gänge! Haaaallooo!“
Ich schüttelte meine Nachdenklichkeit ab, hängte meinen Mantel an den Haken, schlurfte hinter die Theke und gab Sybille einen Kuss.
„Jaja, und jetzt auf, hopp.“

Sybille und ich haben den Antiquitätenladen vor zwei Jahren aufgemacht. Es läuft ganz gut, das heisst, wir haben jeden Tag mindestens einen kaufenden Kunden. Es genügt jedenfalls um davon zu leben, und wir sind eigentlich glücklich. Eigentlich. Wir haben, zu meinem Leiden, eine unterschiedliche Auffassung des Begriffes „Beziehung“, jedenfalls will sie noch nicht mit mir zusammenziehen, geschweigedenn über das Thema Kinder reden. Wir sind einander treu, und wir lieben uns, zanken uns nur sehr selten und versöhnen uns schnell wieder, doch es reicht mir nicht.

So grübelte ich vor mich hin während ich den Laden umdekorierte. Ich legte das Silberbesteck das wir am vorigen Freitag günstig erstanden hatten auf ein bordeauxfarbenes Seidenkissen im Schaufenster und hängte die Kuckucksuhr aus den frühen zwanziger Jahren in den Eingangsbereich. Ich liebe Antiquitäten. Jedesmal wenn ich ein Stück alter Handwerkskunst in den Händen halte kommt es mir vor als spüre ich eine besondere Aura die das Werkstück umgibt. Die heutige Massenproduktion löst das nicht aus.

Das Klingeln des Glocken-mobiles das Kunden ankündigt riss mich aus meinen Gedanken. In der Tür stand ein älterer Mann mit einem freundlichen Gesicht und gekämmten weissen Haaren. Er trug einen langen schwarzen Mantel und hatte seinen Regenschirm um den Arm gehängt. Er lächelte.

„Hallo!“, grüsste er mit französischem Akzent, das „h“ grösstenteils verschluckt.
Wir grüssten zurück und Sybille nahm sich seiner an. Ich hörte noch wie er sich Wörter zurechtbastelte um sich nach einem Geschenk für seine Frau zu erkunden, als ich mich schon wieder in meinen eigenen Gedanken wiederfand. Ich dachte angestrengt darüber nach was am Abend davor alles gelaufen war, und ich fing an mich bruckstückhaft zu erinnern. Ich war mit Peter und Markus unterwegs gewesen doch irgendwann hatte ich sie verloren, oder sie waren gegangen, und ich war geblieben, in unserm Stammcafé, allein. Allein? Ich rieb mir die Stirn, als würde es etwas helfen und sah auf einmal das Bild einer Frau vor mir. Wie war ihr Name nochmal? Irgendwas mit C...
 
Gedankenverloren räumte ich weiter um, schleppte wie in Trance Zeug von einem Regal ins andere, bis ich einen goldenen Anhänger in der Hand hatte. Ich betrachtete ihn lange, öffnete ihn, drehte ihn herum und strich über die glänzende Oberfläche. Ich musste lächeln und fragte mich was dieses kleine Schmuckstück wohl für eine Geschichte erzählen könnte, wenn es denn könnte.

Irene. Genau, ihr Name war Irene. Ich erinnerte mich weiter, und je länger ich mich erinnerte umso mehr wollte ich mich nicht erinnern, denn es wurde mir schmerzhaft klar worauf das hinauslaufen würde. Es war wie ein grausamer Film in meinem Kopf den ich mit ansehen musste weil irgendein Teil meines Ichs einem anderen Teil meines Ichs Zahnstocher zwischen die Augen geklemmt hatte und dabei sadistische Befriedigung empfand. Ich sah wie ich Irene küsste, und es war kein Abschiedskuss.

Mir wurde warm. Ich sah mich verstohlen um, als hätte das ganze nicht in meinem Kopf sondern auf einer riesigen Leinwand stattgefunden, fand Sybille mit meinem Blick und musste mir selbst noch einmal sagen dass sie nichts wusste. Dass sie nichts wissen konnte, und niemals etwas davon wissen dürfe. Der Franzose zahlte gerade, ich konnte nicht sehen was er gekauft hatte. Dann drehte er sich um, sah mich an und zwinkerte mir zu und ich schauderte: er wusste alles!
Der Mann verabschiedete sich freundlich und ging.
Natürlich wusste er nichts, es war ein alter Mann und alte Männer zwinkern nunmal jungen Leuten zu.
Ich sah wieder Sybille an und unsere Blicke kreuzten sich. Sie lächelte, und ich legte alles daran das auch zu tun.
„'Ne Spieluhr, eine von den teuren, heute gibt's wieder was zu essen!“, witzelte sie. Sie macht immerzu den gleichen Witz nach dem ersten Verkauf des Tages, und ich liebe das an ihr.
„Super!“ antwortete ich mit etwas übersteigerter Freude, meine Stimme überschlug sich.
„Sag' 'mal, was is'n los mit dir heute? Du bis' total abwesend, ich mein' du bis' ja oft ma'n bisschen durch'n Wind aber heut' isses echt schlimm.“ Sie blickte suchend in meine Augen, sah abwechselnd in das rechte dann wieder in das linke.
„Mh, nichts, ich... Es wurde nur ein bisschen spät gestern abend.“ ich schaute verlegen weg, und schalt mich innerlich dafür das Lügen nie geübt zu haben.
„Jaja, erzähl mir nich'. Was' los, sag!“, tiefe Furchen gruben sich in ihre Stirn und in ihren Augen lag ein Anflug von Wut, der jedoch, je länger ich nicht antwortete, immer mehr Besorgnis wich.
„Bist du krank ? Hast du Schmerzen?“ fragte sie mütterlich.
„Nein, Blödsinn, mir geht es blendend, mach dir keinen Kopf. Nimm's mir nicht übel, es war wirklich nur eine harte Nacht.“, log ich. Sie verzog den Mund, sagte aber nichts mehr, legte den Erlös der Spieluhr in die Kasse und lies diese dann mit dem üblichen Scheppern zufallen.

Ich war kaum in den kleinen Nebenraum verschwunden wo Kaffeemaschine und Kühlschrank stehen – man könnte ihn Küche nennen aber damit würde man ihm unrecht tun. Er ist viel mehr als das, zum Beispiel Esszimmer, Leseecke, Schlafraum einmal war er sogar Liebeshöhle – da ertönten schon wieder die Glöckchen an der Tür. Ich machte mir einen Kaffee. Dass die Nacht davor hart gewesen war war nämlich keine Lüge. Ich war müde, und hatte am morgen nicht einmal Zeit für eine Tasse Kaffee gehabt. Ich sah der braunen Suppe zu wie sie in die Kanne tropfte.
Es dauerte nicht lange da rief mich Sybille:
„Frank, hier fragt jemand nach dir, kommst du mal kurz?“
Ich erhob mich und war in Gedanken immernoch bei meinem Kaffee. Ich trat durch den Türrahmen und sah über die Theke. Da stand eine Frau, und zu meinem Entsetzen musste ich nicht lange überlegen wer sie war. Meine Kehle schnürte sich zu. Mir wurde wieder heiss und ich stöhnte kaum hörbar. Ich presste die Lippen zusammen, öffnete den Mund nur um ihn dann wieder zu schliessen.
„Hi Irene“, ich hustete mehr als dass ich sprach.
„Hallo Frank“ sagte sie breit lächelnd. Ihre perfekten weisse Zähne wurden zu Fängen die meine gesamte heile Welt zu zerreissen drohten und ihre Augen funkelten wie die einer Raubkatze. Ich spürte wie sich meine gesamte Männlichkeit in die hinterste Ecke meines Körpers verzog, im Schatten dieses Monsters kauerte und leise vor sich hin wimmerte.
„Du hattest gestern erwähnt dass du hier arbeitest, und da dachte ich, schau' ich 'mal vorbei! Schön habt ihr's hier!“, sie nahm eine Puppe in die Hand und untersuchte sie ausgiebig.
In mir spie ein Vulkan. Brodelnden Lava floss durch meine Adern und ich schnappte nach Luft, hielt mir dabei aber die Hand vor den Mund sodass Sybille es nicht sehen konnte. Ein Schweisstropfen rann meine Wirbelsäule entlang und liess mich erschauern.
„Nun ich brauch' im Grunde aber nix. Ausser, doch, wir hatten gestern vergessen Nummern zu tauschen, Markus und ich, du hast die nicht zufällig oder?“
Ich wurde hellhörig.
„Was?“, ich hob eine Augenbraue.
„Ja, na Markus! Nun lass mich hier nicht drum betteln, komm schon!“,
in mir jubelte es. Ich spürte wie sich mein Körper wieder langsam aber sicher entspannte, sogar meine Männlichkeit breitete sich triumphierend in mir aus und sang dabei „We are the Champions!“. Ich legte meine Hand auf meinen Nacken und massierte die letzte Steifheit heraus.
„Äh, klar hab ich die, Sekunde.“, ich ging zu meinem Mantel und holte mein Handy heraus, suchte die Nummer und gab sie Irene.
„Danke, du bist ein Schatz.“, sagte sie zwinkernd und zu Sybille sagte sie noch: „Pass bloß gut auf den auf! Ein Schatz ist das.“
Sie gab mir noch ein Küsschen auf die Wange, verabschiedete sich, und ich sah ihr nach wie sie aus dem Laden ging.
„Na, wieder wach, Kleiner?“ spottete Sybille „wirste hier vor deiner Freundin abgeknutscht!“.
Ich sah sie an, grinste breit und dachte: „Na wenn du wüsstest...“.


_________________
Martje Flor
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