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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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23.02.2013 19:27 schattenzeit von menetekel
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es gibt maler
die tief im innern schlangen züchten
den augen entstürzt nur noch wüste -
die hände vernäht im leder der vipern
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt -
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz
mir
bleiben nur schlangen
viel sand und das leder
Weitere Werke von menetekel:
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lilli.vostry Wortschmiedin
Beiträge: 1219 Wohnort: Dresden
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23.02.2013 21:40 aw:schattenzeit von lilli.vostry
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Hallo Menetekel,
ich hab Dein Gedicht nun mehrmals gelesen, rätsele immer noch an den Bildern - wie den Schlangen tief im Inneren (fehlt es den Bildern an Biss, dem Maler am Mut?) ... Mir gefällt daran, dass es sich eindeutiger Deutung entzieht, die Bilder lassen mich nicht los.
Ich sehe ein LI in einer schöpferischen Sinn-Krise vor mir, um innere Bilder, Ideen, Wünsche die warum auch immer nicht auf die Leinwand gelangen; äußeren Schein und Wirklichkeit, Zeigen oder Übertünchen von "Schattenzeit", Sichtbarmachen der Schatten-Farben...
Mir gefällt besonders die Zeile: "die Hände vernäht im Leder der Vipern" - sind sie gebunden oder versteckt, hart geworden oder verkümmert, nur noch gebraucht als Werkzeuge anderer...
Nur die Zeile nach dem Bindestrich klingt irgendwie nicht schlüssig,es fehlt ein Bezug wer da so denkt oder sieht... Evt. ein Wort wie "Während" o.ä. einbauen, denn es ist doch ein Perspektivwechsel da.
Auch beim Schluss bin ich noch hin und her gerissen, er greift zwar noch mal das Anfangsbild auf, doch es wird nicht recht deutlich worauf LI letztlich hinaus will.
Dennoch gerne gelesen.
Lilli
_________________ Wer schreibt, bleibt und lebt intensiver |
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Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
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24.02.2013 20:46 Re: schattenzeit von Mardii
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Hi menetekel,
die Sprachbilder an sich finde ich sehr stark. Besonders die erste Strophe ist sehr dicht und braucht schon viel Raum, um sie wirken zu lassen. Dazu die Zeilen der dritten Strophe machen schon viel her an inhaltlichen Assoziationen. Das ist sehr gut.
menetekel hat Folgendes geschrieben: | es gibt maler
die tief im innern schlangen züchten
den augen entstürzt nur noch wüste -
die hände vernäht im leder der vipern
...
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz
...
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Bei den folgenden Zeilen fehlt mir das vorgestellte die, um den Nebensatz zu komplettieren. Ich kann es zwar gedanklich nachvollziehen, aber für mein Gefühl braucht es der Rhythmus, um rund zu werden. Aber du könntest die Zeilen auch weglassen, sie malen eher aus, fügen hinzu, zum bereits Gesagten. Ist Geschmackssache.
menetekel hat Folgendes geschrieben: | grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt - |
Den Schluss würde ich überdenken. Er bringt zwar eine eindeutige Perspektive des LI, aber so wird der ganze Text zum inneren Monolog und beschreibt für mich ziemlich eindeutig die Krise eines Malers. Ausserdem ist mir das Wiederaufgreifen der Schlange zu viel.
menetekel hat Folgendes geschrieben: | mir
bleiben nur schlangen
viel sand und das leder |
Ansonsten: Gerne gelesen.
LG
Mardii
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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25.02.2013 10:05
von menetekel
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Hallo Lilli,
es freut mich sehr, dass du dich mit meinem Gedicht beschäftigt hast:
Zitat: | ich hab Dein Gedicht nun mehrmals gelesen, rätsele immer noch an den Bildern - wie den Schlangen tief im Inneren (fehlt es den Bildern an Biss, dem Maler am Mut?) ... Mir gefällt daran, dass es sich eindeutiger Deutung entzieht, die Bilder lassen mich nicht los.
Ich sehe ein LI in einer schöpferischen Sinn-Krise vor mir, um innere Bilder, Ideen, Wünsche die warum auch immer nicht auf die Leinwand gelangen; äußeren Schein und Wirklichkeit, Zeigen oder Übertünchen von "Schattenzeit", Sichtbarmachen der Schatten-Farben... |
Das ist eine sehr schöne Deutung, die in etwa meiner Intention entspricht.
- Was sich bei Schriftstellern "Schreibblockade" nennt, gibt es natürlich auch bei Malern, eine Zeit, in der das Hirn abgelenkt und die Hände ungeschickt arbeiten, eine Zeit der Angst vor auf ewig anhaltender Unfähigkeit, die Schattenseite jedweder Kunst.
Zitat: | Mir gefällt besonders die Zeile: "die Hände vernäht im Leder der Vipern" - sind sie gebunden oder versteckt, hart geworden oder verkümmert, nur noch gebraucht als Werkzeuge anderer... |
Damit meine ich das, was ich weiter oben anführte.
Zitat: | Nur die Zeile nach dem Bindestrich klingt irgendwie nicht schlüssig,es fehlt ein Bezug wer da so denkt oder sieht... Evt. ein Wort wie "Während" o.ä. einbauen, denn es ist doch ein Perspektivwechsel da. |
Ich arbeite im Gedicht durchgängig mit Enjambements, die auch nach dem Bindestrich greifen und den nachfolgenden Perspektivwechsel in den Endversen einleiten.
Zitat: | Auch beim Schluss bin ich noch hin und her gerissen, er greift zwar noch mal das Anfangsbild auf, doch es wird nicht recht deutlich worauf LI letztlich hinaus will. |
Erst jetzt erfolgt der Auftritt des LyrIs. Das ist mir hier Stilmittel, um den Prozess des temporär Arbeitsunfähigen nachzustellen: Natürlich wusste der Maler schon immer, dass es Blockaden gibt, Unfähigkeiten anderer, die bei ihm selbst wohl kaum eintreffen könnten.
Erst in seiner eigenen Krise wird ihm klar, dass er sich (auch?) in dieser Hinsicht kein bisschen von anderen Freischaffenden unterscheidet.
Dir einen schönen Gruß
menetekel
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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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25.02.2013 10:42
von menetekel
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Hallo mardii,
eigentlich wollte ich die Antwort an dich gleich an mein Statement zu Lillis Kommentar anhängen. Wegen seiner Länge gestaltet sich dies aber zu stressig.
Auch dir ein für deine Arbeit am Text.
Zitat: | ... die Sprachbilder an sich finde ich sehr stark. Besonders die erste Strophe ist sehr dicht und braucht schon viel Raum, um sie wirken zu lassen. Dazu die Zeilen der dritten Strophe machen schon viel her an inhaltlichen Assoziationen. Das ist sehr gut. |
Danke schön.
Zitat: | es gibt maler
die tief im innern schlangen züchten
den augen entstürzt nur noch wüste -
die hände vernäht im leder der vipern
...
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz
...
Bei den folgenden Zeilen fehlt mir das vorgestellte die, um den Nebensatz zu komplettieren. Ich kann es zwar gedanklich nachvollziehen, aber für mein Gefühl braucht es der Rhythmus, um rund zu werden. Aber du könntest die Zeilen auch weglassen, sie malen eher aus, fügen hinzu, zum bereits Gesagten. Ist Geschmackssache. |
Mmmh. Wo möchtest du das "die" denn eingefügt wissen? Oder meinst du etwas anderes? - Am Rhythmus finde ich selber nix zu mäkeln.
Weglassen möchte ich die Verse nicht, weil (leichter) Neid und Verzweiflung zentrale Punkte dieses fiktiven Selbstgesprächs sind: "Alle können arbeiten, nur ich nicht!"
Zitat: | Den Schluss würde ich überdenken. Er bringt zwar eine eindeutige Perspektive des LI, aber so wird der ganze Text zum inneren Monolog und beschreibt für mich ziemlich eindeutig die Krise eines Malers. |
Letztendlich handelt es sich um einen Monolog.
Der Maler stellt erst in seiner eigenen längeren Schaffenskrise fest, dass er sich (auch) darin nicht von seinen "Kollegen" unterscheidet, kommt also in seinen Schlussfolgerungen vom Allgemeinen zum Besonderen.
Zitat: | Ausserdem ist mir das Wiederaufgreifen der Schlange zu viel. |
Warum? Hier schließt sich doch der Kreis. Durch den vermeintlichen Perspektivwechsel und die Enjambements erhalten die Leser genügend Stoff zum Nachdenken, so dass m. E. Abrundung am Ende gut tut.
Manches ist einfach Geschmackssache. - Ich arbeite gern mit kleinen Brüchen, weil ich Fertigkost im lyrischen Bereich nicht mag.
Deine Stellungnahme hat ihren Sinn aber nicht verfehlt. Es ist immer gut, kritischen Anmerkungen nachzugehen. Nur das bringt uns alle auf Dauer weiter.
Dir einen schönen Tag
menetekel
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Gast
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25.02.2013 17:31
von Gast
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hi menetekel,
von mir ein herzliches willkommen. mir hat es dieser teil des gedichts Zitat: | erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz | besonders angetan. die frage, die ich mir stelle ist, warum du, statt der form folgend nicht "das schwarz der nacht" benutzt hast. dabei könnte man evtl. auch das "und" in ein "oder", weil man ja nicht alles zugleich sehen kann. ergebnis: Zitat: | erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends oder das schwarz der nacht |
gerne gelesen und kommentiert!
lg w.
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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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25.02.2013 18:15
von menetekel
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Hallo Walther,
lieben Dank für deinen Willkommensgruß in der Fremde.
Es freut mich natürlich, dass du Gefallen an meinen Versen findest und dich mit deren Inhalt und Sprachgebrauch beschäftigt hast. ---
Von deiner Seite her gibt es folgenden Einwand:
Zitat: | ...
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz
besonders angetan. die frage, die ich mir stelle ist, warum du, statt der form folgend nicht "das schwarz der nacht" benutzt hast. dabei könnte man evtl. auch das "und" in ein "oder", weil man ja nicht alles zugleich sehen kann. ergebnis:
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends oder das schwarz der nacht |
Die Antwort wird dir sicherlich ölfarbentechnisch einleuchten.
Schwarz und Weiß sind keine Primärfarben, sondern aufwändige Mischungen, die es in unzähligen Variationen gibt. Ein Beispiel: Elfenbeinschwarz (obwohl Elfenbein ja eigentlich weiß ist). Außer den offiziellen Farben der Tabellen, den Mischungen der Händler etc., geben manche Künstler ihren Kreationen gern eigene Namen (Beispiel: Mondrot)
"Nächtliches Schwarz" ist nun eines, das (für mich) einen starken Blaustich zeigt.
Formal wollte ich das Gedicht nicht zu ebenmäßig gestalten, hätte es aber ein "strenger" Kubist geschrieben, wäre der deinem Vorschlag sicherlich gern gefolgt.
Und dann gibt es da noch das Klangpaar "spähen" und "nächtlich" ... solchen kleinen Spielereien kann ich nur in den seltensten Fällen widerstehen. Gerade auch, wenn ein Gedicht schon oft überarbeitet worden ist.
Dir einen schönen Gruß in den Resttag
menetekel
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Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
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25.02.2013 20:37 Re: schattenzeit von Mardii
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Hi menetekel,
menetekel hat Folgendes geschrieben: | Mmmh. Wo möchtest du das "die" denn eingefügt wissen? Oder meinst du etwas anderes? - Am Rhythmus finde ich selber nix zu mäkeln. |
Ich meinte die zweite Strophe. Hatte etwas irritierend zitiert. Meine Idee sieht so aus:
menetekel hat Folgendes geschrieben: | es gibt maler
die tief im innern schlangen züchten
den augen entstürzt nur noch wüste -
die hände vernäht im leder der vipern
maler
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt -
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz
mir
bleiben nur schlangen
viel sand und das leder |
LG
Mardii
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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27.02.2013 18:09
von menetekel
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Hallo mardii,
vielen Dank für dein erneutes Feedback. Nun verstehe ich besser, was du meinst.
Deine Version hat einiges für sich, noch mehr ginge mir persönlich aber verloren. - Denn es dreht sich ja gerade um die Gegenüberstellung der Maler im Allgemeinen und der plötzlichen Erkenntnis Lyris, "nur" einer von vielen zu sein, jedenfalls was seine Blockaden betrifft. Zudem bliebe der erste Absatz lückenhaft.
Käme es mir auf eine andere Aussage an, fände ich eine vergleichbare Verdichtung aber ausgesprochen dienlich.
Dir einen herzlichen Gruß
m.
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Perry Exposéadler
P Alter: 71 Beiträge: 2509
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P 01.03.2013 13:36 Hallo menetekel, von Perry
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Dichter sind Maler mit Worten, heißt es ja gelegentlich.
Sogesehen haben beide das Problem ihre vorgegebene Zutaten künstlerisch anspruchsvoll zu kombinieren bzw. zu mischen.
Was mich als erstes etwas gestört hat, ist die Verallgemeinerung "es gibt maler", die Du zwar laut deines Komms bewusst gewählt hast, mir aber den Einstieg etwas verwässert.
Ansprechend finde ich das Bild der Schlangen als innere Zwänge, die die Kreativität hemmen, gut auch deren Fortführung als Leder.
Während des Lesen bin ich an Bezügen hängengeblieben, wie
"die hände vernäht im leder der vipern
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht"
Wer ist mit sie gemeint? Die Hände können nicht sprechen, die Vipern als Lederhaut auch nicht mehr. Im übertragenen Sinn könnten es natürlich die Hände sein.
Konkrete Vorschläge will ich Dir nicht machen, da du anscheinend den Text bereits sehr durchdacht gestaltet hast.
LG
Perry
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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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01.03.2013 17:10
von menetekel
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Lieber Perry,
nett von dir, dass du dich mit diesem Gedicht beschäftigt hast.
Und du hast natürlich Recht: Hier handelt es sich um ein gefeiltes und mehrfach überarbeitetes Teilchen.
Das "Es gibt" ist so allgemein gehalten, weil es tatsächlich so gemeint ist (siehe weiter oben). Ursprünglich war das sogar der Titel des Gedichts.
Zitat: | "die hände vernäht im leder der vipern
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
..."
Wer ist mit sie gemeint? Die Hände können nicht sprechen, die Vipern als Lederhaut auch nicht mehr. Im übertragenen Sinn könnten es natürlich die Hände sein. |
Hiermit meine ich den Dialog des Malers mit seiner (leeren) Leinwand - still oder laut fluchend - wenn du da mal zuhören würdest ...
Vielleicht erinnerst du dich aus früheren Foren, dass ich mich recht häufig mit diesem Thema beschäftige? Das erste Mal wohl im Blauen Salon.
Ach, das waren noch Zeiten ...
Fein, dich hier wiederzutreffen.
Herzliche Grüße
m.
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Perry Exposéadler
P Alter: 71 Beiträge: 2509
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Tr1ckSh0t Wortedrechsler
Alter: 23 Beiträge: 81 Wohnort: NRW
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06.05.2018 19:10 Re: schattenzeit von Tr1ckSh0t
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menetekel hat Folgendes geschrieben: | es gibt maler
die tief im innern schlangen züchten
den augen entstürzt nur noch wüste -
die hände vernäht im leder der vipern
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt -
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz
mir
bleiben nur schlangen
viel sand und das leder |
Hey Menetekel
Ich finde dein Gedicht echt stark. Du arbeitest viel mit Bildern und an der Deutung kann man sich die Zähne ausbeissen, da stehe ich irgendwie drauf.
Es geht um eine Schaffenskriese, und um einen Künstler der sich zwischen den anderen sieht, was sind die Schlangen?
Hat er Probleme? Schmerzen? Oder fühlt er sich selbst wie eine Schlange?
Die Fragen bleiben, und das mag ich. als hätte der Text wiederhaken in meinem Geist geschlagen.
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt -
diesen Teil mag ich am liebsten und er ist auch am besten zu deuten.
Auch den Titel finde ich hammer, sehr gelungen!
LG
Trickshot
_________________ NVRMND |
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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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08.05.2018 17:13 Re: schattenzeit von menetekel
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Tr1ckSh0t hat Folgendes geschrieben: | menetekel hat Folgendes geschrieben: | es gibt maler
die tief im innern schlangen züchten
den augen entstürzt nur noch wüste -
die hände vernäht im leder der vipern
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt -
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz
mir
bleiben nur schlangen
viel sand und das leder |
Hey Menetekel
Ich finde dein Gedicht echt stark. Du arbeitest viel mit Bildern und an der Deutung kann man sich die Zähne ausbeissen, da stehe ich irgendwie drauf.
Es geht um eine Schaffenskriese, und um einen Künstler der sich zwischen den anderen sieht, was sind die Schlangen?
Hat er Probleme? Schmerzen? Oder fühlt er sich selbst wie eine Schlange?
Die Fragen bleiben, und das mag ich. als hätte der Text wiederhaken in meinem Geist geschlagen.
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt -
diesen Teil mag ich am liebsten und er ist auch am besten zu deuten.
Auch den Titel finde ich hammer, sehr gelungen!
LG
Trickshot |
Hallo Trickshot,
beinahe hätte ich deinen freundlichen Kommentar überlesen, weil ich so gar nicht auf eine "Ausgrabung" vorbereitet war.
Die Schlangen stehen für die Krise selbst, sind sich windende Ideen und Inspirationen, die nicht herausbrechen können. Nicht von Ungefähr sind die Hände in Schlangenleder genäht (das Leder der Vipern), das sie steif und unbrauchbar macht.
Dein Wohlgefallen am Gedicht freut mich aufgrund deines jugendlichen Alters ganz besonders. Das stützt nämlich meine (unbelegbare) These, dass vorwiegend ganz junge und alte Menschen Sinn für starke Bilder und Symbole haben.
In der mittleren Lebensphase hat "man" es vermutlich lieber sachlicher.
Ich selber mag und mochte die Expressionisten und Symbolisten stets am meisten, weil das emotionale Anrühren der Leser für mich die zentrale Aufgabe von Lyrik ist.
Aber natürlich weiß ich auch Schlichte(re)s durchaus zu schätzen, Handwerk, Kunstfertigkeit u. v. a. m., was uns hier und anderswo kredenzt wird.
Dir einen herzlichen Gruß
m.
_________________ Alles Amok! (Anita Augustin) |
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Tr1ckSh0t Wortedrechsler
Alter: 23 Beiträge: 81 Wohnort: NRW
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08.05.2018 20:45 Re: schattenzeit von Tr1ckSh0t
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menetekel hat Folgendes geschrieben: | Tr1ckSh0t hat Folgendes geschrieben: | menetekel hat Folgendes geschrieben: | es gibt maler
die tief im innern schlangen züchten
den augen entstürzt nur noch wüste -
die hände vernäht im leder der vipern
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt -
erspähen die andren das azur des himmels
magenta des abends und nächtliches schwarz
mir
bleiben nur schlangen
viel sand und das leder |
Hey Menetekel
Ich finde dein Gedicht echt stark. Du arbeitest viel mit Bildern und an der Deutung kann man sich die Zähne ausbeissen, da stehe ich irgendwie drauf.
Es geht um eine Schaffenskriese, und um einen Künstler der sich zwischen den anderen sieht, was sind die Schlangen?
Hat er Probleme? Schmerzen? Oder fühlt er sich selbst wie eine Schlange?
Die Fragen bleiben, und das mag ich. als hätte der Text wiederhaken in meinem Geist geschlagen.
grundieren die leinwand
sie antwortet nicht
weder mit ja
und schon gar nicht mit jetzt -
diesen Teil mag ich am liebsten und er ist auch am besten zu deuten.
Auch den Titel finde ich hammer, sehr gelungen!
LG
Trickshot |
Hallo Trickshot,
beinahe hätte ich deinen freundlichen Kommentar überlesen, weil ich so gar nicht auf eine "Ausgrabung" vorbereitet war.
Die Schlangen stehen für die Krise selbst, sind sich windende Ideen und Inspirationen, die nicht herausbrechen können. Nicht von Ungefähr sind die Hände in Schlangenleder genäht (das Leder der Vipern), das sie steif und unbrauchbar macht.
Dein Wohlgefallen am Gedicht freut mich aufgrund deines jugendlichen Alters ganz besonders. Das stützt nämlich meine (unbelegbare) These, dass vorwiegend ganz junge und alte Menschen Sinn für starke Bilder und Symbole haben.
In der mittleren Lebensphase hat "man" es vermutlich lieber sachlicher.
Ich selber mag und mochte die Expressionisten und Symbolisten stets am meisten, weil das emotionale Anrühren der Leser für mich die zentrale Aufgabe von Lyrik ist.
Aber natürlich weiß ich auch Schlichte(re)s durchaus zu schätzen, Handwerk, Kunstfertigkeit u. v. a. m., was uns hier und anderswo kredenzt wird.
Dir einen herzlichen Gruß
m. |
Aaaaaahhh
Ja, das leuchtet ein^^
Ja ich finde auch dass man mit Bildern in lyrischen Texten am meisten sagen kann ohne wirklich etwas zu sagen.... ob das hauptsächlich bei Jungen und Alten der Fall ist weiss ich nicht...
Ps: Du hattest vor längerer Zeit mal auf mein erstes veröffentliches Gedicht (Schwarznacht) geantwortet.
Ich habe es anhand der Kritik in den Kommentaren überarbeitet und als zweite Seite angeheftet, wenn du willst kannst du es ja mal lesen^^
LG
Trickshot
_________________ NVRMND |
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Pnin Gänsefüßchen
Alter: 69 Beiträge: 22 Wohnort: Wien
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19.12.2018 20:13 Re: schattenzeit von Pnin
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Kaum erspähe ich mit den andren das himmlische Azur des Gedichts, Magenta des Abends und nächtliches Schwarz, schon taucht vor meinem inneren Auge ein geliebtes Picasso-Bild auf: La Sombra sobre la mujer. Das ist „mitschuld“ an meiner vielleicht zu eigenwilligen Interpretation dieser gelungenen Verse über das Scheitern.
Wie immer bei menetekels Gedichten, von denen ich erst wenige kenne, zogen mich Bilder, Klang und Rhythmus sofort rein ins Wort-Labyrinth. Anfangs überwiegt stets der Rätselcharakter. Dann lese ich den Thread, nein, ich überfliege ihn eher, denn die Aufregung treibt mich vorwärts, und mit den klugen Kommentaren der Leser und den luziden Erläuterungen der Autorin klärt sich mehr und mehr. Die Gier nach Auflösung ist gestillt. Ausatmen. Ja, genau! Dann treibt mich wieder was zurück zum Gedicht. Da war doch noch was. Weil die Kunst, wenn sie Kunst ist, immer ihren Erzeuger übertrifft, außerdem ein treuloses Luder ist, macht auch dieses Gedicht mir beim Wiederlesen schöne Augen und tut so, als könnte gerade ich sein Wesen erfassen. Zwar sollte ich längst alt genug sein, aber ich mache mich trotzdem zum Narren:
Wie mittels Röntgentechnik Bilder unter der Grundierung Alter Meister sichtbar werden, meine ich eine Geschlechterproblematik mitabgehandelt zu sehen, von der in der Sicht auf die künstlerische Schaffenskrise „des“ Malers, also eines Mannes, nicht die Rede war. Vielleicht ist es Überinterpretation, vielleicht hat sie sich aber doch objektivierbar eingeschrieben, womöglich sogar hinter dem Rücken der Dichterin. Dies ist ja nicht Wissenschaft, also darf ich mal den Gedanken öffentlich anprobieren.
Was bringt mich darauf? Da wäre einmal mein erster Eindruck bei der ersten Lesebegegnung. Der ist viel wichtiger, als wir Kopftiere glauben. Für mich war das LI bei seinem späten Auftauchen unzweifelhaft weiblich. (Dumme Gleichsetzung mit der Autorin, ändert aber nichts an der Autorität des Gefühls.) Damit bekam das Hintanstellen des LI augenblicklich eine machtpolitische, gesellschaftliche Dimension. Ich las es als ein spätes und karges Zu-Wort-Kommen der Frau in einer Männerwelt, des stummen Models in der Malerwelt. Gewiss kennt auch der Maler die inneren Abgründe und Selbstzweifel, aber er ist ein Tätiger, ein Homo faber, macht sich die Hände schmutzig.
menetekel hat Folgendes geschrieben: |
die hände vernäht im leder der vipern
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Meine erste Assoziation waren Hände, Unterarme, die mit dicker grauer Farbschicht bedeckt sind; Zeichen des Schaffens selbst in der Krise. Etwas tun zu können in der künstlerischen Lähmung, das hält die Möglichkeit am Leben, ist unvergleichlich mehr als die „ihr“, dem LI, zugedachten
menetekel hat Folgendes geschrieben: | schlangen
viel sand und das leder |
Nicht nur der tätige gequälte Künstler, der sich von der Frau, dem Model, dem „Weiblichen“ abwendet, mit seiner Kunst und seinen Ansprüchen hadert, nicht nur der Mann steht (als Ursache) in Opposition zum verwüsteten weiblichen Dasein, auch all die andren, die außerhalb der Maler-Model-Mann-Frau-Beziehung stehen. Sie können sich der Kontemplation und dem Kunstgenuss wie natürlich hingeben. Diese Freiheit haben weder der Maler noch das LI. Ein winziger Trost könnte im letzten Wort des Gedichtes wohnen. Leder. Es könnte die getrocknete Farbe auf der Leinwand bedeuten, das Weiterleben des LI als Abbild, geformt vom Mann, entkommen in Kunst. Es könnte aber auch ein Fetischisieren der vermissten Hand sein, die das Model nicht berührt, so wie man in der Kleidung von Verlorenen noch den Geruch sucht.
Eine zweite Fährte für den Verdacht, dass es unterhalb der erklärten Welt noch weitere Themenkreise gibt, bot der Titel. Eine poeta docta vom Schlage menetekels wirft uns keinen Schatten hin, ohne mit ihm ein kleines Scherenschnitttheater aufzuführen.
Peter Schlemihls wundersame Geschichte kommt einen in den Sinn. Bekanntlich verkauft in Chamissos Erzählung Peter Schlemihl den eigenen Schlagschatten. Diesen muss man sich als eine Art Kunstwerk vorstellen. Der graue Mann (schon hier sind Mann und Teufel identisch) kniet vor Schlemihl nieder und löst mit einer „bewundernswerten Geschicklichkeit“ den Schatten vom Gras, ehe er ihn zusammengefaltet bzw. gerollt einsteckt. Den Schatten muss man sich also aus Papier, Leder oder Stoff vorstellen. Folgerichtig ist der graue Mann in Sorge, dass Motten den Schatten beschädigen könnten. Schlemihl empfindet bald den Verkauf des Schattens als Verlust und lässt einen Maler kommen. Der sieht sich jedoch außer Stande, einen mitwandernden Schlagschatten anzufertigen, denn bei der „leisesten Bewegung“ würde er ihn verlieren. Der natürliche ist also nicht nur ein Abbild des Eigenen, sondern ein Partner. Schlemihl gewinnt ihn zurück, indem er den Teufel betrügt und sich mit seinem letzten Geld Lederstiefel machen lässt, die ihn auf der Flucht vor dem Teufel ins Außenseiterdasein tragen.
Der Schatten kommt im Gedicht selbst nicht mehr vor. Er ist kein individuelles Phänomen mehr. Die Zeit ist nach ihm benannt, aber er ist anhanglos geworden. Doch es gibt eine materielle Verbindung: die Leinwand. Die Frau wäre der Schatten wäre die Leinwand. Sie wird bis zur Sprachlosigkeit grundiert vom Mann. Sie hat keinen Text, kein Ja, kein Jetzt. Auch das wird ihr als Vorwurf vom Schlangenlederhandschuhmann ums Maul gewischt: Vom Weib wieder mal keine Antworten auf die drängenden Fragen dieser unserer Schattenzeit. Ich bin mir ziemlich sicher, dass menetekel bei der Wahl des Titels einen grauen Einflüsterer hatte. Den gibt es, gibt es, gibt es!
Das in etwa wären die Konturen, die mein Bauchröntgengerät unter der Grundierung abfotografiert hat, eine weitere Schicht, die von der Dichterin übermalt wurde und im gleißenden Licht der Interpretationen von hellen Köpfen natürlich nicht zu sehen war. Kann aber auch sein, dass all das vor allem ein Schlaglicht wirft auf einen auf allen Wegen mit mir ziehenden Gefährten: das Blackout. Bevor es intellektuell ganz finster wird, möchte ich gestehen, dass mich dieses Gedicht hellauf begeistert. Es verrät sogar in der Negation (Adorno, schau owa!), worauf es ankommt in der Kunst, im Leben, in der Liebe: auf ein zweckfreies Ja und immer, immer auf das Jetzt.
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SannyB Leseratte
S
Beiträge: 174 Wohnort: BaWü
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S 20.12.2018 21:05
von SannyB
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Hallo Menetekel,
ich bin froh, dass jemand dieses alte Stück von Dir ausgegraben hat. Es gefällt mir sehr.
Als jemand, der früher viel und gerne gemalt hat, aber nun nicht die Zeit und Muse dazu findet, finde ich: es trifft diesen Punkt genau.
Viele Grüße,
Sanny
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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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21.12.2018 11:00 Re: schattenzeit von menetekel
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Pnin hat Folgendes geschrieben: | Kaum erspähe ich mit den andren das himmlische Azur des Gedichts, Magenta des Abends und nächtliches Schwarz, schon taucht vor meinem inneren Auge ein geliebtes Picasso-Bild auf: La Sombra sobre la mujer. Das ist „mitschuld“ an meiner vielleicht zu eigenwilligen Interpretation dieser gelungenen Verse über das Scheitern.
Wie immer bei menetekels Gedichten, von denen ich erst wenige kenne, zogen mich Bilder, Klang und Rhythmus sofort rein ins Wort-Labyrinth. Anfangs überwiegt stets der Rätselcharakter. Dann lese ich den Thread, nein, ich überfliege ihn eher, denn die Aufregung treibt mich vorwärts, und mit den klugen Kommentaren der Leser und den luziden Erläuterungen der Autorin klärt sich mehr und mehr. Die Gier nach Auflösung ist gestillt. Ausatmen. Ja, genau! Dann treibt mich wieder was zurück zum Gedicht. Da war doch noch was. Weil die Kunst, wenn sie Kunst ist, immer ihren Erzeuger übertrifft, außerdem ein treuloses Luder ist, macht auch dieses Gedicht mir beim Wiederlesen schöne Augen und tut so, als könnte gerade ich sein Wesen erfassen. Zwar sollte ich längst alt genug sein, aber ich mache mich trotzdem zum Narren:
Wie mittels Röntgentechnik Bilder unter der Grundierung Alter Meister sichtbar werden, meine ich eine Geschlechterproblematik mitabgehandelt zu sehen, von der in der Sicht auf die künstlerische Schaffenskrise „des“ Malers, also eines Mannes, nicht die Rede war. Vielleicht ist es Überinterpretation, vielleicht hat sie sich aber doch objektivierbar eingeschrieben, womöglich sogar hinter dem Rücken der Dichterin. Dies ist ja nicht Wissenschaft, also darf ich mal den Gedanken öffentlich anprobieren.
Was bringt mich darauf? Da wäre einmal mein erster Eindruck bei der ersten Lesebegegnung. Der ist viel wichtiger, als wir Kopftiere glauben. Für mich war das LI bei seinem späten Auftauchen unzweifelhaft weiblich. (Dumme Gleichsetzung mit der Autorin, ändert aber nichts an der Autorität des Gefühls.) Damit bekam das Hintanstellen des LI augenblicklich eine machtpolitische, gesellschaftliche Dimension. Ich las es als ein spätes und karges Zu-Wort-Kommen der Frau in einer Männerwelt, des stummen Models in der Malerwelt. Gewiss kennt auch der Maler die inneren Abgründe und Selbstzweifel, aber er ist ein Tätiger, ein Homo faber, macht sich die Hände schmutzig.
menetekel hat Folgendes geschrieben: |
die hände vernäht im leder der vipern
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Meine erste Assoziation waren Hände, Unterarme, die mit dicker grauer Farbschicht bedeckt sind; Zeichen des Schaffens selbst in der Krise. Etwas tun zu können in der künstlerischen Lähmung, das hält die Möglichkeit am Leben, ist unvergleichlich mehr als die „ihr“, dem LI, zugedachten
menetekel hat Folgendes geschrieben: | schlangen
viel sand und das leder |
Nicht nur der tätige gequälte Künstler, der sich von der Frau, dem Model, dem „Weiblichen“ abwendet, mit seiner Kunst und seinen Ansprüchen hadert, nicht nur der Mann steht (als Ursache) in Opposition zum verwüsteten weiblichen Dasein, auch all die andren, die außerhalb der Maler-Model-Mann-Frau-Beziehung stehen. Sie können sich der Kontemplation und dem Kunstgenuss wie natürlich hingeben. Diese Freiheit haben weder der Maler noch das LI. Ein winziger Trost könnte im letzten Wort des Gedichtes wohnen. Leder. Es könnte die getrocknete Farbe auf der Leinwand bedeuten, das Weiterleben des LI als Abbild, geformt vom Mann, entkommen in Kunst. Es könnte aber auch ein Fetischisieren der vermissten Hand sein, die das Model nicht berührt, so wie man in der Kleidung von Verlorenen noch den Geruch sucht.
Eine zweite Fährte für den Verdacht, dass es unterhalb der erklärten Welt noch weitere Themenkreise gibt, bot der Titel. Eine poeta docta vom Schlage menetekels wirft uns keinen Schatten hin, ohne mit ihm ein kleines Scherenschnitttheater aufzuführen.
Peter Schlemihls wundersame Geschichte kommt einen in den Sinn. Bekanntlich verkauft in Chamissos Erzählung Peter Schlemihl den eigenen Schlagschatten. Diesen muss man sich als eine Art Kunstwerk vorstellen. Der graue Mann (schon hier sind Mann und Teufel identisch) kniet vor Schlemihl nieder und löst mit einer „bewundernswerten Geschicklichkeit“ den Schatten vom Gras, ehe er ihn zusammengefaltet bzw. gerollt einsteckt. Den Schatten muss man sich also aus Papier, Leder oder Stoff vorstellen. Folgerichtig ist der graue Mann in Sorge, dass Motten den Schatten beschädigen könnten. Schlemihl empfindet bald den Verkauf des Schattens als Verlust und lässt einen Maler kommen. Der sieht sich jedoch außer Stande, einen mitwandernden Schlagschatten anzufertigen, denn bei der „leisesten Bewegung“ würde er ihn verlieren. Der natürliche ist also nicht nur ein Abbild des Eigenen, sondern ein Partner. Schlemihl gewinnt ihn zurück, indem er den Teufel betrügt und sich mit seinem letzten Geld Lederstiefel machen lässt, die ihn auf der Flucht vor dem Teufel ins Außenseiterdasein tragen.
Der Schatten kommt im Gedicht selbst nicht mehr vor. Er ist kein individuelles Phänomen mehr. Die Zeit ist nach ihm benannt, aber er ist anhanglos geworden. Doch es gibt eine materielle Verbindung: die Leinwand. Die Frau wäre der Schatten wäre die Leinwand. Sie wird bis zur Sprachlosigkeit grundiert vom Mann. Sie hat keinen Text, kein Ja, kein Jetzt. Auch das wird ihr als Vorwurf vom Schlangenlederhandschuhmann ums Maul gewischt: Vom Weib wieder mal keine Antworten auf die drängenden Fragen dieser unserer Schattenzeit. Ich bin mir ziemlich sicher, dass menetekel bei der Wahl des Titels einen grauen Einflüsterer hatte. Den gibt es, gibt es, gibt es!
Das in etwa wären die Konturen, die mein Bauchröntgengerät unter der Grundierung abfotografiert hat, eine weitere Schicht, die von der Dichterin übermalt wurde und im gleißenden Licht der Interpretationen von hellen Köpfen natürlich nicht zu sehen war. Kann aber auch sein, dass all das vor allem ein Schlaglicht wirft auf einen auf allen Wegen mit mir ziehenden Gefährten: das Blackout. Bevor es intellektuell ganz finster wird, möchte ich gestehen, dass mich dieses Gedicht hellauf begeistert. Es verrät sogar in der Negation (Adorno, schau owa!), worauf es ankommt in der Kunst, im Leben, in der Liebe: auf ein zweckfreies Ja und immer, immer auf das Jetzt. |
Hallo Pnin,
ein Kommentar mit so viel Tiefgang ist selten und deshalb für mich ein besonderes Geschenk.
Vorab, Picasso, Chamissos Schlemihl und nicht zuletzt Adorno gehör(t)en zu meinen erklärten Lieblingsbeschäftigungen.
Den Schlemihl führte ich über Jahre mit mir herum, wenn auch, weil mir über ihn seinerzeit marxistische Theoriean (Geld, Mehrwert etc.) ins Verständliche(re) rückten.
Leider war La sombra sobre la mujer nicht Quelle meines Gedichts. Allerdings bekenne ich gern, dass es vortrefflich dazu passt. Angefangen von der Wahl der Primärfarben, die sich mit meiner expressiven Sprache decken, bis hin zu den Motiven. - Bleiben wir bei Picasso fallen mir (im Nachhinein) zahlreiche Bilder ein, die die Beziehung des Malers und seines jeweiligen Models thematisieren ...
Andererseits beschämt es mich zutiefst, all diese großen Künstler und einen Vordenker im Zusammenhang mit meinem Gedicht genannt zu wissen ...
Zitat: | ... Es verrät sogar in der Negation (Adorno, schau owa!), worauf es ankommt in der Kunst, im Leben, in der Liebe: auf ein zweckfreies Ja und immer, immer auf das Jetzt. |
Dem stimme ich voll und ganz zu. - Der Künstler muss und wird sich im Zweifelsfall von seinem Modell (dem Weiblichen? Dem Menschen an sich?) "abwenden" und seinem Werk widmen. Wenn er denn kann.
Ansonsten "droht" er, ähnlich dem Schlemihl, in der Mittelmäßigkeit zu ersticken.
Ich danke dir aus vollem Herzen für deinen Kommentar. - Im günstigen Fall ist es ja so, dass die Lyrikerin über solche Denkansätze einen Zugewinn erhält, selbst bzgl. der eigenen Schreibmotive.
Liebe Grüße
m.
_________________ Alles Amok! (Anita Augustin) |
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menetekel Exposéadler
Alter: 104 Beiträge: 2452 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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21.12.2018 11:08
von menetekel
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Hallo Sanny,
auch dir meinen Dank für die freundliche Zustimmung.
Ich verstehe gut, dass du dich als ehemalige Malerin besonders angesprochen fühlst.
Nicht nur die ganz großen Künstler leiden an ihrem Unvermögen, an der Unfähigkeit, das "perfekte" Bild zu schaffen. Oder wenigstens eines, das den eigenen Ansprüchen genügt.
Dein Werk möchte ich damit natürlich nicht schmähen; das kenne ich ja gar nicht.
Dir einen herzlichen Gruß
m.
_________________ Alles Amok! (Anita Augustin) |
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