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Kalter Valentin auf Gleis 3


 
 
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sinuhe
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 62
Beiträge: 68
Wohnort: Rheinland


Beitrag17.02.2013 17:38
Kalter Valentin auf Gleis 3
von sinuhe
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Kalter Valentin auf Gleis 3

Ich fühlte mich steif und kalt, denn ich war ein Bahnsteig, der zwischen zwei Gleisen lag. Gepflastert aus tausenden mausgrauer Verbundsteine in der Form rechteckiger Hundeknochen, die jede Nacht von betrunkenen Fahrgästen besudelt und am Morgen danach von ukrainischen Reinigungsfrauen mit Hochdruckgeräten gesäubert wurden. An vielen Stellen bröckelte der poröse Beton. In den breiten Nähten krallten sich blassgrünes Moos und spinnwebendürre Flechten krampfartig fest und ließen sich einzig mit spitzen Messern und Pinzetten entfernen. Der Zement der Umrandung schwang bei jeder leichten Erschütterung beängstigend locker hin und her und drohte, binnen weniger Tage auf die Schienen zu fallen. Der Lack der Holzbänke auf meinem Bauch platzte ab, quer über das Glas der Bahnhofsuhr verlief ein breiter Sprung. Der Sekundenzeiger zuckte seit Monaten fahrig, schaffte es kaum noch, die Zwölf zu überqueren, um  dann wie von wilden Bestien gehetzt sofort auf die Drei zuzustürmen, die Eins und Zwei dabei im Eiltempo hinter sich lassend. Die Ansagen, die per Funk aus der Kreisstadt zu uns geschickt wurden, erklangen nur noch knarzend und kaum verständlich aus den verrosteten Lautsprechern, die am Abend vollends verstummten.

Unsere Station befand sich einige Kilometer hinter der Grenze zwischen Baden und Württemberg auf hohenzollerischem Gebiet. Der Vorsteher hielt sich viel darauf zugute, dass die Züge pünktlich ein- und auspendelten. »Hier bei uns auf der protestantischen Seite ist Akkuratesse sozusagen das elfte Gebot«, pflegte er stolz zu erklären, wenn ihn Touristen oder gar Journalisten auf diesen für Landesfremde erstaunlichen Umstand ansprachen. »In Baden, Bayern oder im erzkatholischen Rheinland mag das unterschiedlich aussehen. Dort nehmen sie es mit der Exaktheit nicht so genau. Aber wir hier in Württemberg achten penibel auf Sekunden und Minuten.« Trotz des mitunter hochmütigen Tons in seiner Stimme gaben seine Worte in diesem Fall nichts anderes als die reine Wahrheit wieder. Denn als Verspätungsfaktor hatte die Obere Bahndirektion, die am Zentralplatz in Stuttgart in einem chromglänzenden Glaspalast residierte, den Zielwert Nullkommanull ausgegeben. Eine Zahl, die wir jedes Jahr aufs Neue mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit erreichten. Das war nicht unbedingt selbstverständlich und führte mitunter zu Verwunderung bei den Experten, weil die Züge, die bei uns hielten, ja nicht ausschließlich auf innerschwäbischen Routen verkehrten, sondern ebenfalls im grenzüberschreitenden Verkehr zu uns gelangten. Niemand konnte in überzeugender Weise verständlich machen, weshalb beispielsweise R5127 mit bereits fünfminütiger Verzögerung in Karlsruhe HBF losfuhr, die Verspätung beim Erklimmen der ersten Steigungen des Schwarzwalds auf eine Viertelstunde anwuchs, um dann mit Passieren von Höhenmeter 253 in der Gemarkung Vaihingen auf württembergischem Gebiet wie von Zauberhand innerhalb weniger Kilometer die verlorengegangene Zeit wieder einzuholen. Bis er auf die Sekunde genau mit laut kreischenden Bremsen bei mir an Gleis 3 stoppte. Beschleunigten die Lokomotivführer die Reise, indem sie bei Eintritt ins Hohenzollerische vehement aufs Gaspedal traten, existierten weniger rote Signale in unserer Region, wurden die Uhren mit Einfahrt der badischen Regionalzüge fünfzehn Minuten  zurückgedreht? Es entstanden zahlreiche Theorien und unglaubliche Spekulationen, die mitunter an Aberglauben und Hexenspuk grenzten.  Bisher war es aber noch niemandem gelungen,  eine überzeugende Erklärung für das Phänomen der schwäbischen Pünktlichkeit aufzustellen.

An diesem kalten Valentinstag hatten viele eilige Menschen auf mir herumgetrampelt. Auf meinem Bauch hatte sich trotz der welken Rosenblättern, die von den Sträußen der Verliebten heruntergeweht waren, eine Gänsehaut gebildet. Über die Beine fegten die Sportseiten der lokalen Zeitung, auf meiner Brust hockten drei lungenkranke Tauben. Nach der mittäglichen Heimkehr der Jugendlichen aus den Schulen und dem frühabendlichen Ansturm der Pendler, die aus den großen Fabriken und steil in den Himmel ragenden  Bürotürmen der Metropole zurückströmten, war es zunehmend ruhig in unserem beschaulichen Bahnhof geworden. Noch zwei späte Züge, dann war der Arbeitstag für heute beendet. Der D7349 hielt auf die Sekunde genau an Gleis 2. Sechs Personen stiegen aus, vier Fahrgäste kletterten hinein. Exakt eine Minute danach setzte sich der Regionalexpress wieder in Bewegung und verließ in bedächtigem Tempo die Station, bevor ihn hinter einer langgestreckten Linkskurve die Dunkelheit der Nacht verschluckte.

Um 23.47 Uhr würde RB2467 an der Außenseite meines rechten Oberschenkels einfahren. Der letzte Zug an diesem Abend. Von Bietigheim her kommend, um nach kurzem Aufenthalt gen Zuffenhausen weiterzurattern. Eine rein innerschwäbische Strecke. Mithin bloße Routineangelegenheit. Ich gähnte und bereitete mich gedanklich auf meine wohlverdiente Nachtruhe vor.

Ein alter Mann in zerschlissener Kleidung schälte sich aus dem flackernden Neonlicht der Unterführung heraus, wankte in schwerem Schritt die Treppe hinauf und betrat den Bahnsteig. Mit der rechten Hand umklammerte er eine Pulle billigen Weinbrand. Ein struppiger Dreitagebart umrahmte sein Kinn, die wulstigen Lippen wirkten spröde und waren in den Mundwinkeln aufgeplatzt. Hellblaue, wässrige Augen saßen unter einer kantigen Stirn. Die plattgedrückte Nase erweckte den Eindruck, als ob der Alte früher im Boxring gestanden hätte. Neben dem Fahrplan, der hinter blindem Glas baumelte, hielt er an und nahm einen gierigen Schluck. Dann drehte er die Flasche um und ließ die letzten Tropfen traurig in meinen Bauchnabel perlen. Von jäher Wut erfasst, schleuderte er den Schnaps mit der ganzen Kraft seines ausgemergelten Körpers in das Kiesbett des Schienenstrangs. Schwer ließ er sich auf eine morsche Bank fallen und zog ein uraltes Transistorradio aus der Innenseite seines speckigen Ledermantels hervor. Der sichtlich Verwahrloste fummelte einige Sekunden lang an den abgewetzten Plastikknöpfen herum, um einen zu Uhrzeit und seiner melancholischen Stimmung passenden Sender zu finden, entdeckte den Klassikkanal SWR2 und lehnte sich anschließend entspannt zurück.

Am anderen Ende des Bahnsteigs tauchte eine Gruppe junger Männer auf. Fünf an der Zahl; von einer Kneipentour zurückkehrend, in unterschiedlichen Zungenschlägen miteinander scherzend und lärmend. Ein strohblonder Hüne wurde von den anderen untergehakt und gestützt. Er riss sich plötzlich los, torkelte zu einem Laternenmast, umarmte den wie eine Geliebte und übergab sich in  ruckartigen Stößen über meinen Kehlkopf. Wie ich diese grundlose Kotzerei hasste. Bis morgen früh sechs Uhr würde die ekelhafte Brühe nun auf mir kleben, langsam erstarren und mich wie ein stinkender Toilettenvorhang einhüllen, bis der Reinigungstrupp mich endlich davon befreite.   
»Ey Sergey, kasachisches Wodkagrab. Hättest weniger trinken sollen«, schrie ein rothaariger Fettwanst und klatschte dabei lachend in die Hände.
»Lass mich in Ruhe, Kevin! Du schwäbische Missgeburt!«, schnaubte der Russe und ließ einen weiteren Schwall aus seinem weit geöffneten Mund hervorschießen.
»Was müsst ihr auch immer so viel saufen? Macht’s wie ich und bleibt nüchtern. Dann habt ihr mehr vom Abend.«
»Mustafa hält sich jederzeit an die Regeln des Propheten«, grinste ein kahlrasierter Schlägertyp, den sie Michael nannten.

23.47 und von RB2467 war weit und breit nichts zu sehen. So lange ich mich erinnern konnte – und ich ruhte einzementiert hier seit den frühen 70-er Jahren – geschah dies zum ersten Mal. Ein Zug mit Verspätung in Württemberg. Das kann nicht sein, schoss es mir durch den Kopf. Eine dunkle Vorahnung beschlich mich, so als ob ich das alles in fernen Zeiten schon einmal erlebt hatte.

Der Alte erhob sich behutsam von der Bank und schlurfte zum Papierkorb hinter dem kleinen Kiosk. Dort öffnete er die Knöpfe seiner vor Schmutz starrenden Hose, ließ die Rechte in die Leistengegend hinabgleiten und onanierte. Anfangs vorsichtig und leise, um zunehmend schneller zu werden und dabei Laute der Wollust auszustoßen. Von den Geräuschen angelockt, wandte sich die Gruppe der Jugendlichen nun dem Heimatlosen zu.
»Ich glaube es nicht. Der Penner holt sich über den Coladosen einen runter«, kreischte der Schwabe.
»Lasst uns hingehen und noch ein bisschen Spaß haben«, feixte ein Pickelgesicht mit ölig glänzendem Haar, das bisher nichts gesagt hatte.
»Gute Idee, hoffentlich werde ich mich danach besser fühlen.« Der Kasache stieß sauer auf und rülpste vernehmlich.

»Ey du Penner, wichst du in den Müll hinein. Das ist ja eine ziemliche Sauerei.«
Der Alte, der sich gerade erleichtert hatte, befestigte die Schnalle seines Gürtels im vierten Loch und antwortete ungerührt: »Verpisst euch, ihr Rotzlümmel!«
»Bist du größenwahnsinnig oder vollkommen zugedröhnt? Weißt du nicht, mit wem du es zu tun hast?«
»Ich sehe bloß fünf kleine Schwachköpfe, die bis vor kurzem noch heulend an der Brust ihrer Mutter hingen.«
»Du willst es nicht anders haben. Behaupte nachher bloß nicht, wir hätten dich nicht rechtzeitig gewarnt.«
»Wenn er in drei Minuten überhaupt noch reden kann«, lächelte Sergey böse.
»Was ist das für eine Scheißmusik, die aus dem Klapperkasten dudelt? Unerträglich!« Der rothaarige Fettwanst packte das beigefarbene Transistorgerät und warf es schwungvoll gegen die Außenwand des Wartesaals zweiter Klasse, wo es in dutzende winziger Plastik- und Blechteile zersplitterte. Beim Kyrie des Lux aeterna luceat eis…. erstarben die Klänge des Requiems.

Seine vier Kumpanen zerrten den alten Mann in die Mitte des Bahnsteigs, zwei hielten seine Arme wie in einem Schraubstock eingeklemmt , während Sergey und Michael abwechselnd Bauch und Nieren des Obdachlosen mit harten Faustschlägen traktierten. Der Mann stöhnte leise, jammerte jedoch nicht, sondern ließ die Prozedur klaglos über sich ergehen.
»Du bist einer der ganz Mutigen; oder? Binnen Kurzem wirst du darum betteln, dass wir dich verschonen. Das kostet dich aber einen Hunderter, du perverser Dreckskerl.« Kevin spuckte dem Unbekannten mitten ins Gesicht.
Die Jungen stießen den Alten zu Boden, wo er ausgestreckt auf dem Rücken vor ihnen lag. Jetzt bearbeiteten sie ihn mit Tritten in Unterleib und Brust. »Wenn wir mit dir fertig sind, wirst du nie mehr wichsen, du geiler Bock.«
Mustafa löste den Papierkorb aus der Verankerung und leerte den Inhalt über dem Kopf des Penners aus. Eine kleine – noch halbgefüllte – Flasche Chantré kullerte über die Betonsteine. Mit sehnsüchtigem Flackern stierte der Alte auf die für ihn in diesem Moment unerreichbare Flüssigkeit.
»Lasst es uns zu Ende bringen. Gleich läuft der Zug ein, und ich will heute nicht zu spät nach Hause kommen. Meine Mutter macht mir ansonsten die Hölle heiß.« Der Glatzkopf holte zu einem mörderischem Schlag aus.
»Wo ist der verdammte Regionalexpress überhaupt? Der hätte doch bereits vor fünf Minuten abfahren sollen?« Kevin schaute nervös auf seine giftgrüne Armbanduhr.

Das sanfte Klacken einer im stürmischen Februarwind hin- und herschwingenden Tür ließ die Augen der Jungen in Richtung Gleiskörper wandern. Dort stand RB2467: menschenleer und völlig abgedunkelt. Von den Achsen emporkriechend quoll dichter Nebel nach oben und wölbte sich wie ein feuchter Wattebausch über die Station.  
»Was ist das? Richtig gruselig«, lachte Sergey nervös.

»Hat jemand der Herren vielleicht mal Feuer für mich?« Mit einer Hand lässig den metallenen Pfahl umspielend, lehnte eine wasserstoffblonde Frau, die ich auf Mitte dreißig taxierte, an der Laterne. Ihr wohlgeformter schneeweißer Körper steckte eingezwängt in einem knielangen schwarzen Kleid, das mit seinem großzügig ausgeschnittenen Dekolleté tiefe Blicke auf ihre prallen Brüste gewährte.  
Um ihre kilometerlangen Beine, die auf kirschroten Pumps balancierten,  wieselte ein anthrazitfarbener Cockerspaniel herum.
Das Licht schien hell und beleuchtete grell den nächtlichen Auftritt.

»Wo kommt die Braut auf einmal her?« Der Pickelgesichtige zupfte sich fragend am Ohr.
»Ist doch egal. Sie ist hier und will uns kennenlernen.«
»Der Dame kann geholfen werden.« Der dicke Kevin wieherte wie ein brünstiges Pferd.

Sergey nestelte ein gelbes Plastikfeuerzeug aus der Brusttasche seiner Jeansjacke heraus und zündete damit den schmalen Zigarillo der Blondinne an.
»Ihr seid aber nette Jungs. Su aufmerksame Männer treffe ich nicht an jedem Bahnhof.«
»Wir sind von unseren Müttern gut erzogen worden.«
»Natürlich, das sieht man sofort. Wie kann ich mich bei euch bedanken?«
»Vielleicht ziehst du dein Kleid etwas runter und lässt uns deine fulminanten Möpse bewundern.« Kevin gaffte unverfroren in den Ausschnitt der Fremden hinein.
»Nur anschauen oder auch anfassen?«
»Du geile Schlampe willst sicher, dass wir es dir gleich ordentlich besorgen?« Der Kahlschädel trommelte vergnügt mit den Fäusten auf das Treppengeländer.
»Wenn ihr euch das zutraut.«
Die Frau streifte die Schulterspangen über die Oberarme, woraufhin das Kleid bis auf ihren Bauchnabel hinabglitt und sie mit nacktem Busen vor den Männern stand.
»Ich will euch aber alle Fünf spüren. Einer ist mir zu wenig.«

Die Gruppe umringte die schwarzgekleidete Frau, Sergey packte mit festem Griff nach ihren rosigen Knospen, was sie schmerzerfüllt stöhnen ließ. Mustafa griff ihr beherzt unter den Rock und suchte dort nach ihrem Schlüpfer.
»Jungs, die Hure hat untenrum gar nichts an. Fett!«
»Sag ich’s doch die ganze Zeit, sie will heute Nacht von richtigen Kerlen rangenommen werden.«
»Ihr seid sicher, dass das Ganze nicht eine Nummer zu groß für euch ist?«
»Wer wenn nicht wir?« Kevin lief bereits der Speichel der Geilheit aus den Mundwinkeln heraus.
»Ihr habt es so gewollt.«
Der Nebel hatte nun einen beißenden Geruch angenommen und stach unangenehm in den Nasen.
In diesem Moment verwandelte sich die Totenblasse in einen furchterregenden Dämon mit grauenhaft anzusehender Maske. Aus den Brüsten schossen Tentakel hervor, mit denen er die Hälse der Jungen in eisernem Griff umklammerte. Der drollige Cockerspaniel mutierte zu einer grimmig fletschenden Dogge, die mit messerscharfen Zähnen große Fleischstücke aus den Schenkeln der Männer herausriss. Die waren verstummt und glotzten mit schreckgeweiteten Pupillen auf ihre Peiniger.

Der Alte hatte sich in der Zwischenzeit aufgerappelt und erneut auf der angefaulten Bank Platz genommen. Er betrachtete abwechselnd den Chantré in seiner Linken und die Szene, die sich vor ihm abspielte.
»Heinrich, hast du es mal wieder geschafft, deinen Hals aus der Schlinge zu ziehen.« Der bocksbeinige Geist begrüßte den Heimatlosen wie einen alten Freund.
»Ich bin noch nicht bereit, dich zu begleiten«, erwiderte der missmutig.
»Das erzählst du mir seit über fünfhundert Jahren. Wie lange willst du weiterhin auf der Erde herumirren und den Rest deines Verstandes versaufen?«
»Margarete fehlt mir. Ohne sie werde ich die von Gott verdammte Welt nicht verlassen.«
»Vielleicht befindet sie sich bereits bei mir in der Hölle und wartet dort auf dich?« Der Teufel lächelte spitzbübisch.
»Tut sie nicht. Sie ist irgendwo in der Stadt, das spüre ich.« Der Alte leerte den Weinbrand in einem Schluck.
»Nun gut, du hast dich an unsere Vereinbarung gehalten. Jedes Jahr am Valentinstag fordere ich entweder deine oder fünf andere Seelen. Um die einfältigen Hooligans ist es nicht schade. Die wird außer ihren Müttern niemand großartig vermissen. Fünf Idioten weniger in Hohenzollern.«
»So sei es, Mephisto. Wir sehen uns wieder im nächsten Februar.«

Die Dogge schleifte derweil die Jugendlichen in den nun taghell erleuchteten RB2467 hinein, der sich gemächlich zur Abfahrt bereit machte. Der Teufel schwang sich auf das Trittbrett und winkte dem zerlumpten Mann zum Abschied freundlich zu. »Heinrich, hast du eigentlich schon daran gedacht, deine Verlobte im nahen Umkreis zu suchen? Manchmal sind die geliebten Dinge dichter an einem dran, als man es vermutet.« Mit einem gutturalen Lachen Mephistos, das dem zeitlosen Wanderer durch Mark und Bein fuhr, verließ der Zug um Punkt Mitternacht die idyllische Station und dampfte schnaubend in die Schwärze Württembergs hinein.

Der Alte stand indessen minutenlang unbeweglich auf meiner Brust und dachte über die Worte des Satans nach. Unvermutet rannen zwei Tränen aus seinen rotgeäderten Augen und tropften vom Kinn auf meine Wangen herunter. Mit einem Mal durchzuckten Stromschläge die tausend Verbundsteine, die ich für meine zweite Haut hielt. Die Betondecke, die mich lebendig unter sich beerdigt hatte, zerbarst und ich entstieg dem Grab, in dem mich der Teufel zur Strafe für meine unerschütterliche Liebe vierzig Jahre lang gefangen hielt.
»Margarete, da bist du ja wieder. Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?«
Ich legte ihm den Finger auf die Lippen: »Rede nicht so viel. Küss mich!«
»Du schmeckst nach alter Erde«, nuschelte Heinrich.
»Und du nach Schnaps«, kicherte ich.

Aus den stummen Lautsprechern an der Bahnhofsdecke erschallte plötzlich in D-Moll Libera me, Domine, de morte aeterna….. Das Requiem war an sein Ende gelangt,



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Locard
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Beitrag18.02.2013 19:10

von Locard
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N'abend Sinuhe,

vorweg: Dein Schreibstil ist wirklich aller erste Sahne.
Allerdings hadere ich auf inhaltlicher Seite mit deiner Erzählung. Sie weiß mir nicht so recht zu gefallen. Möglicherweise ist das Ende hier ausschlaggebend. Einerseits recht kitschig, andererseits herrscht hier im Gegensatz zum Anfang D-Zug-Tempo.


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sinuhe
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Beitrag18.02.2013 22:54

von sinuhe
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Hi Locard,

im dsfo herrscht ja eher die Kultur des Kurzkommentars vor. Da muss ich mich noch dran gewöhnen.

Zitat:
    Allerdings hadere ich auf inhaltlicher Seite mit deiner Erzählung. Sie weiß mir nicht so recht zu gefallen.    

Diese Einschätzung hängt natürlich immer stark von Geschlecht, Alter, Sternzeichen und Hobbies des Lesers ab.

Zitat:
    Möglicherweise ist das Ende hier ausschlaggebend. Einerseits recht kitschig,  …  

Weil Margarete nach 40 (100, 500?) Jahren aus ihrem Grab aufersteht? Oder weil sich die Verlobten zum Schluss küssen?

mMn sind sowohl Traumschiff als auch Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen kitschiger als diese Story. Und verfügen beide über hohe Einschaltquoten.
Soll heißen: ein nicht unerheblicher Teil der Leser & Zuschauer mag es gerne schmachtend und herzzerreißend.

Ist halt ebenfalls eine Sache des individuellen Geschmacks.

Zitat:
   … andererseits herrscht hier im Gegensatz zum Anfang D-Zug-Tempo.    

Die Erzählung zerfällt in drei Teile:
(1) Reflektionen über die Pünktlichkeit der schwäbischen (genauer gesagt: württembergischen) Eisenbahn, die mich als Rheinländer jedes Mal aufs Neue erstaunt
(2) der einsame Trinker und die fünf mit schwachem Verstand ausgestatteten Hooligans
(3) Ankunft des Teufels und die Befreiung Margaretes.

Nun habe ich (1) sicherlich im Bummelzugtempo erzählt. Bei (2) evtl. mit der Geschwindigkeit eines Regionalexpresses und (3) dann mit IC(E)-Speed. Das lag vermutlich daran, dass ich am späten Sonntagnachmittag ans Ende der Story gelangen wollte, um draußen bei Tageslicht noch eine Runde spazierenzugehen.

Nun überlege ich, wo ich Geschwindigkeit rausnehmen bzw. Passagen verlängern könnte. Bspw.:
( )  das Massaker zw. Dämon u. Jugendlichen plakativer darstellen
( ) die Unterhaltung Heinrich mit Mephisto tiefsinniger gestalten
( ) die Auferstehung Margaretes detaillierter schildern.
Ich überleg mir was.

Locard, vielen Dank fürs Drüberlesen!

Vg sinuhe


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Lupo
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Wohnort: Pegnesien


Beitrag19.02.2013 07:09
Eindringliche Szenen,
von Lupo
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lieber Sinuhe, fügen sich mir abgeklärtem Bahnhofsbenutzer zu einer plakativen Collage.
Im wesentlichen erzählt der  Bahnsteig über sich selbst, gibt seine Stimme gelegentlich an den Autor ab und wechselt wie zufällig vom Beobachter zum Kommentator des Geschehens.
Die eingangs gewählte Perspektive stellt das Signal für mich auf Märchen.
Also nehme ich auch fantastische Sachverhalte hin.
Dennoch missfällt mir die Struktur des Bahnsteigs:
Er hat einen Bauch, Gänsehaut, einen Kopf,  Oberschenkel, eine Brust und endlich Handlungsgewalt samt Stimme, entpuppt sich mithin als ein Wesen mit feenhaften Eigenschaften, das sogar Gestalten aus der Gespensterwelt abspaltet.
Da Du, lieber Sinuhe, Dein Werk lediglich als Erzählung klassifizierst, erwarte ich auch eine solche, und zwar mit eindeutigen Zuordnungen. Ich fühle mich unbehaglich, wenn ich rätseln muss, woher gerade die Informationen auf mich eindringen.
Die Vorstellung einer uralten Existenz, die hier als Mini-Solaris in Form eines maroden Bahnsteigs auftritt, sagt mit grundsätzlich zu.
Dafür möchte ich aber Sprech- und Verhaltensweisen der Nebenfiguren weniger grell beleuchtet haben, schon gar nicht derart hart an der Zensurgrenze. Zahlen, Etiketten und Produktbeschreibungen halte ich für überflüssig.
Erscheint mir schon die ungewöhnliche Zugverspätung als ein deutlicher Hinweis auf den seltsamen Hintergrund, so sehe ich noch mehr Möglichkeiten, das Überwesen eingreifen zu lassen:
die merkwürdige Uhr, nebelnde Wasserrohre, oszillierende Beleuchtung, beschwörende Worte aus den Lautsprechern, schwingende Stromdrähte, tanzende Geländer ...
Lieber Sinuhe, für meinen Geschmack sind hier zuviele Elemente aus anderen Erzählsträngen eingezwängt. Pünktliche Eisenbahnen sind eine Sache, das Penner- und Brutalo- Milieu eine andere, und Fantasy - nun ja.

Verdrossen, Lupo
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sinuhe
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Alter: 62
Beiträge: 68
Wohnort: Rheinland


Beitrag19.02.2013 10:54

von sinuhe
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Hi Lupo,

du hast dich ja zu nachtschlafender Zeit mit meiner kleinen Geschichte beschäftigt. Da habe ich gerade Mal mit Mühe die erste Tasse Kaffee in der Hand gehalten. Respekt!

Ich lese deinen Kommentar, bin mir aber nicht sicher, ob ich dich an jedem Punkt richtig verstehe bzw. dir immerzu folgen kann. Ich versuch’s mal.

Zitat:
   Die eingangs gewählte Perspektive stellt das Signal für mich auf Märchen.
Also nehme ich auch fantastische Sachverhalte hin.  

An Märchen hatte ich zwar nicht explizit gedacht. Aber von mir aus. Ist ja letztlich nur ein Etikett.

Es gibt eine nette Story von Kafka, in der aus der Sicht eine Brücke erzählt wird. Hat mir – auf die Streckenlänge einer Kurzgeschichte hin – gut gefallen.

Zitat:
   Dennoch missfällt mir die Struktur des Bahnsteigs:
Er hat einen Bauch, Gänsehaut, einen Kopf, Oberschenkel, eine Brust und endlich Handlungsgewalt samt Stimme, entpuppt sich mithin als ein Wesen mit feenhaften Eigenschaften, das sogar Gestalten aus der Gespensterwelt abspaltet.   

Wenn ich einem Bahnsteig (Brücke, Eisschrank, Toaster, Rasierpinsel, Klodeckel, Dildo etc.) eine Erzählstimme verleihe: weshalb sollte er dann nicht ebenfalls über Bauch und Beine verfügen oder sich ekeln, wenn er bekotzt wird? Leuchtet mir als Contra-Argument nicht ein.

Die Idee der lebendig beerdigten Frau, die nach einer Woche ihrem Sarg entsteigt, habe ich mir bei E.A. Poe ausgeborgt: Der Untergang des Hauses Usher.

Zitat:
    Da Du, lieber Sinuhe, Dein Werk lediglich als Erzählung klassifizierst, erwarte ich auch eine solche, und zwar mit eindeutigen Zuordnungen. Ich fühle mich unbehaglich, wenn ich rätseln muss, woher gerade die Informationen auf mich eindringen.
 

Nun halte ich persönlich nicht allzu viel davon, eine kurze Geschichte mit fünf verschiedenen Klassifikationen zu überfrachten. mMn reichen ein/ zwei angeklickte Kategorien völlig aus. Ich selbst erachtete es am Sonntagnachmittag eben als eine Erzählung. Und bin ein erklärter Gegner der mitteleuropäischen Sucht, alles mit einer DIN-Norm zu versehen. Was – um Himmelswillen – ist eine Erzählung mit eindeutigen Zuordnungen?? Klingt ähnlich wie „Durchführungsverordnung“. Eher nicht so meins.

Zitat:
    Die Vorstellung einer uralten Existenz, die hier als Mini-Solaris in Form eines maroden Bahnsteigs auftritt, sagt mit grundsätzlich zu.
 

Ein hervorragender Roman von S. Lem, an den ich beim Verfassen des Textes jedoch nicht gedacht hatte. Da der lebende Planet bei Lem ja nicht in der Ich-Form erzählt, sondern ein Kosmonaut über ihn berichtet.

Zitat:
   Dafür möchte ich aber Sprech- und Verhaltensweisen der Nebenfiguren weniger grell beleuchtet haben, schon gar nicht derart hart an der Zensurgrenze. Zahlen, Etiketten und Produktbeschreibungen halte ich für überflüssig.   

Das ist ja nun eine Frage des individuellen Geschmacks. Ich schreibe oft situativ. Sprich: ich stehe am SA-Abend in einem zugigen Bahnhof, beobachte fünf Hooligans auf dem Nachbargleis (OHNE brutale Schlägerei), sehe wie ein Betrunkener auf den Boden kotzt, frage mich in diesem Moment, wie sich der Bahnsteig dabei fühlt und bringe die Idee am nächsten Morgen zu Papier. Diese Vorgehensweise geht dann mitunter zu Lasten der Logik; ist mir aber nicht so wichtig, weil eine Schreibwerkstatt m.E. primär dem Zweck der Verbesserung von Formulierkunst u. Schreibtechnik dient. Hier wird von den Kritikern viel zu oft auf angeblich falsche Kategorien u. unlogischen Inhalt hingewiesen. Diese beiden Punkte sind bedeutsam, ohne Zweifel. Aber mMn in einer Werkstatt eher zweitrangig.

Hart an der Zensurgrenze: na ja. Was ich hier hochlade, sind Versionen, die dem JSchu entsprechen. Ansonsten würde ich in den Redlight District hinüberwechseln.

Zitat:
   Erscheint mir schon die ungewöhnliche Zugverspätung als ein deutlicher Hinweis auf den seltsamen Hintergrund, so sehe ich noch mehr Möglichkeiten, das Überwesen eingreifen zu lassen:
die merkwürdige Uhr, nebelnde Wasserrohre, oszillierende Beleuchtung, beschwörende Worte aus den Lautsprechern, schwingende Stromdrähte, tanzende Geländer ...   

Da könnte ich selbstredend mehr rausholen. Völlig d’accord. Die Geschichte ist jedoch für ein Online-Forum bereits recht lang (2.500 Wörter). Es gibt Schreibplattformen, bei denen ist nach 1000w Schluss. Ein größeres Volumen akzeptiert deren System nicht. Deshalb wollte ich – vermutlich zu schnell – irgendwann ans Ende der Geschichte gelangen.

Zitat:
    Lieber Sinuhe, für meinen Geschmack sind hier zuviele Elemente aus anderen Erzählsträngen eingezwängt. Pünktliche Eisenbahnen sind eine Sache, das Penner- und Brutalo- Milieu eine andere, und Fantasy - nun ja.
 

Mag sein. Empfinde ich persönlich jetzt aber nicht als so dramatisch.
Es handelt sich um eine Fingerübung. Halt in der Form – wie du es bezeichnest – einer Collage.
Fantasy?? Es tauchen KEINE Kobolde, Trolle, Einhörner oder Hobbits in der Geschichte auf!

Zitat:
    Im wesentlichen erzählt der Bahnsteig über sich selbst, gibt seine Stimme gelegentlich an den Autor ab und wechselt wie zufällig vom Beobachter zum Kommentator des Geschehens.  

Puristen des eindeutigen Blickwinkels würden mir das als Perspektivfehler ankreiden. Schon klar.

Zitat:
   Verdrossen, Lupo  

Eine harte Schlussformel.
Da ich die Meinung vertrete, dass man mit seinen Geschichten den Geschmacksnerv von max. 1% der Leser trifft, gehörst du in diesem Fall eben den restlichen 99% an. Auch nicht weiter tragisch. Es kommen neue Stories von mir, mit denen ich dich evtl besser erreichen werde.


Lupo, vielen Dank für deinen Kommentar in der frühen Morgenstunde!

Vg sinuhe


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Nihil
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Beitrag19.02.2013 11:22

von Nihil
Antworten mit Zitat

Moin sinuhe.

Das ist für mich so eine typische Geschichte, für die wir den Trash-Bereich hier haben. Trash bedeutet nicht, dass eine Geschichte schlecht ist, aber wenn man so ganz und gar nur das macht, worauf man gerade Bock hat, vermeidet man als Autor, dass Leser wie ich am Ende der Geschichte völlig ahnungslos dastehen. Die eigentliche Geschichte bildet der Mittelteil, in dem die Jugendlichen den alten Mann belästigen. Dem voraus geht aber eine viel zu lange Beschreibung der Pünktlichkeit des Zuges. Einen wirklich sowas von alten Kalauer über etliche Paragraphen auszudehnen, hat mich am Anfang schon abgeschreckt und nur der ausgefeilte, wenn auch etwas altmodische (was nichts Schlechtes sein muss) Schreibstil hat mich weiterlesen lassen. Am Ende schließt du dann mit der Auferstehung der Verfluchten, die mit dem ganzen Vorspann überhaupt gar nichts zu tun hatten. Das wirklich einzig Positive an diesem Ende ist die Tatsache, dass wenigstens nicht die Gleise personifiziert und mit Gliedmaßen versehen wurden, wie etwa dem Kehlkopf. Leider bleibt der Text dennoch auf einem lächerlichen Niveau durch diesen Schluss. Ich habe versucht, einen Sinn auszumachen, irgendeine Art von Bedingtheit, die es nötig macht, dass das so kommen muss, aber ich habe keine gefunden. Daher bleibt es Trash für mich, ein Spiel, bei dem ich am liebsten vorher gewusst hätte, dass ich mich nicht ganz darauf einlassen muss. Denn ich fühle ich ein bisschen betrogen, wenn eine eigentlich realistische, wenn auch schrullige Geschichte unvermittelt so ins Esoterische abgleitet.

Vielleicht noch ein paar praktische Tipps: Du könntest kürzen. Nicht nur, in dem du kürzere Fragmente pro Beitrag einstellst (und etwa die Fortsetzungsfunktion benutzt – viele fühlen sich von allzu großen Massen auf einmal etwas abgeschreckt, zumindest am Monitor). Auch inhaltlich. Den seeeehr gestreckten Anfang habe ich schon erwähnt, aber auch der Mittelteil braucht verhältnismäßig lange, bis er in Fahrt kommt, und ist mit Informationen zu voll, die er gar nicht nötig hat. Die Schlägertruppe spricht mir darüber hinaus noch etwas zu gestelzt, woran auch die eingefügten Schimpf- und Fäkalwörter nichts ändern. Hier hast du den Erzählerton, den ich, wie gesagt, gelungen und ausgefeilt finde, auf die Charaktere übertragen, was meiner Meinung nach nicht passt.

Sorry, viel harte Kritik, wenig Lob. Aber mein Leseeindruck bleibt, dass das hier leider keine allzu gelungene Geschichte geworden ist.
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sinuhe
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Beitrag19.02.2013 12:49

von sinuhe
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Hi Nihil,

an die Kategorie Trash hatte ich bei dieser Geschichte zugegebenermaßen gar nicht gedacht. Vermutlich, weil ich was anders unter diesem Etikett verstehe.

Hinsichtlich deiner Ausführungen zum Inhalt gilt das bereits weiter oben an Lupo Geantwortete: solche Aspekte sind für mich in einer Werkstatt zweitrangig. Mich interessieren (sehr) viel mehr Hinweise und Anmerkungen zu Stil, Grammatik und Formulierkunst. Ob ein Bahnsteig einen Bauch besitzt oder denken kann, ist in einer (Werkstatt-) Erzählung nicht wichtig. Es handelt sich um Fiktion und nicht um einen Tatsachenbericht. .
Zitat:
  aber wenn man so ganz und gar nur das macht, worauf man gerade Bock hat,  

Was sonst soll ein Autor tun, wenn er eine Kurzgeschichte schreibt? Sich an irgendwelche Vorgaben halten? Wer formuliert die? Eine oberste Literaturbehörde? In der Form einer DIN für Belletristik? Au weia.

Natürlich verbringe ich meinen Sonntag am Schreibtisch mit einer Story, auf die ich in diesem Moment Lust verspüre. Ob ich dafür beim nächsten Mal Trash anklicken werde, ist eine andere Sache. Überlege ich mir.

Zitat:
  wenn auch etwas altmodische (was nichts Schlechtes sein muss) Schreibstil hat mich weiterlesen lassen.

Ich bin (leider) bereits 50 – und keine 23 –, was evtl den altmodischen Schreibstil erklärt.

Zitat:
  Am Ende schließt du dann mit der Auferstehung der Verfluchten, die mit dem ganzen Vorspann überhaupt gar nichts zu tun hatten

Die zweite Hälfte von From Dusk till dawn hat mit den ersten 50% des Handlungsfadens überhaupt nichts zu tun (bis auf die Tatsache, dass die Protas dieselben bleiben) und ist trotzdem ein guter u. vergnüglicher Film.

Zitat:
  Leider bleibt der Text dennoch auf einem lächerlichen Niveau durch diesen Schluss.  

„Lächerlich“ ist kein nettes Adjektiv. Ich nehm’s aber mal so hin.

Zitat:
  Ich habe versucht, einen Sinn auszumachen, irgendeine Art von Bedingtheit, die es nötig macht, dass das so kommen muss, aber ich habe keine gefunden.

Die Suche nach Kausalitäten und dem Sinn dahinter überlasse ich Philosophen und Theologen. Die betreiben diese Art der Grundlagenrecherche von Berufs wegen und verstehen davon mehr als ich.

Zitat:
  Denn ich fühle ich ein bisschen betrogen, wenn eine eigentlich realistische, wenn auch schrullige Geschichte unvermittelt so ins Esoterische abgleitet.
 

Das klingt ja geradezu, als hätte ich dir vorgestern einen ungedeckten Scheck untergejubelt. Ganz so schlimm ist es ja nicht, wenn eine Geschichte ein anderes Ende nimmt, als es der Leser am Anfang vermutet.
Wenn frühere Autoren vorhergesehen hätten, dass das Auftauchen des Teufels heutzutage in die Rubrik "Esoterik" fällt, würde es vermutlich (deutlich) weniger Hexen, Zauberer u. Gespenster in alten Geschichten geben. Gut, dass sie damals dieses neumodische Etikett nicht kannten.

Zitat:
  Vielleicht noch ein paar praktische Tipps:

DAS sind die Hinweise, die mir weiterhelfen!!

Zitat:
  Nicht nur, in dem du kürzere Fragmente pro Beitrag einstellst (und etwa die Fortsetzungsfunktion benutzt – viele fühlen sich von allzu großen Massen auf einmal etwas abgeschreckt, zumindest am Monitor).  

Lesen ist ein urdemokratischer Prozess. Man kann – muss es aber nicht – auch einen längeren Text durchgehen. Wer darauf keine Lust verspürt, lässt es eben bleiben.

Zitat:
  Auch inhaltlich. Den seeeehr gestreckten Anfang habe ich schon erwähnt, aber auch der Mittelteil braucht verhältnismäßig lange, bis er in Fahrt kommt, und ist mit Informationen zu voll, die er gar nicht nötig hat.

Das ist alles eine Sache des individuellen Geschmacks. Vermutlich lese ich andere Romane – die mitunter sehr langsam Fahrt aufnehmen – als du und lasse mich hin u. wieder von deren (altmodischem) Stil animieren. Wenn ich es schnell-schnell haben möchte, nehme ich einen Comic zur Hand o. schaue mir einen 3Min-Clip auf MTV an.

Zitat:
  Die Schlägertruppe spricht mir darüber hinaus noch etwas zu gestelzt, woran auch die eingefügten Schimpf- und Fäkalwörter nichts ändern.  

Ich bin kein Freund davon, die Anti-Helden mutwillig dumm formulieren zu lassen. Nicht jeder Schläger ist blödsinnig oder leidet an linguistischen Blockaden.

Zitat:
  Sorry, viel harte Kritik, wenig Lob. Aber mein Leseeindruck bleibt, dass das hier leider keine allzu gelungene Geschichte geworden ist.
 

Kein Thema. Nur durch Kritik lernen wir (bzw. ich). Deshalb kann sie ruhig hart ausfallen. Ich muss mir ja nicht jeden Schuh anziehen, der mir gereicht wird. Auch Kommentatoren sind Menschen mit ihren persönlichen Vorlieben und Animositäten. Von daher geht das schon in Ordnung.

Ich persönlich hatte Freude beim Schreiben. Und bei Kurzgeschichten kommt es mir ebenfalls auf den Spaßfaktor an. Ob das, was mir gefällt, dann wiederum auf die Gegenliebe der Kritiker stößt, steht auf einem anderen Blatt.  


Nihil, danke für deinen Kommentar! In einen solchen steckt man Zeit u. Arbeit, was ich zu schätzen weiß. Wiewohl ich persönlich es lieber hätte, wenn mir die sprachlichen Schwächen im Rahmen einer Textanalyse an konkreten Stellen aufgezeigt würden. Hier im dsfo wird mMn zu viel Augenmerk auf den Inhalt u. die Kategorie, in die man eine Story einsortiert, gelegt.   

Vg sinuhe


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Nihil
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Beitrag19.02.2013 14:03

von Nihil
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Nochmal Hallo.
Zunächst einmal: Wenn du Spaß am Schreiben hattest, ist das erstmal die Hauptsache, so hat's bei mir auch angefangen. Aber ganz so verkehrt ist es nicht, wenn man im zweiten Schritt darauf achtet, dass auch der Leser Spaß hat. wink Zumindest eine Zielgruppe, die man vorher angepeilt hat. Dementsprechend würde ich gerne noch auf einiges aus deinem letzten Kommentar antworten.

sinuhe hat Folgendes geschrieben:

Hinsichtlich deiner Ausführungen zum Inhalt gilt das bereits weiter oben an Lupo Geantwortete: solche Aspekte sind für mich in einer Werkstatt zweitrangig. Mich interessieren (sehr) viel mehr Hinweise und Anmerkungen zu Stil, Grammatik und Formulierkunst. Ob ein Bahnsteig einen Bauch besitzt oder denken kann, ist in einer (Werkstatt-) Erzählung nicht wichtig. Es handelt sich um Fiktion und nicht um einen Tatsachenbericht.

Natürlich kannst du Metaphern und Personifikationen verwenden, wie du willst. Aber angenommen, es hätte die Auflösung mit der infernalisch Eingesperrten nicht gegeben, wäre es mir doch sehr seltsam und vor allem: bildlich schief vorgekommen, dass ein Bahnsteig, der überall gleich aussieht, Kehlkopf, Bauch und Beine hat. Niemand verlangt von dir, dass du nur naturalistische Nacherzählungen des Lebens abgeben sollst.

Zitat:
Zitat:
  aber wenn man so ganz und gar nur das macht, worauf man gerade Bock hat,  

Was sonst soll ein Autor tun, wenn er eine Kurzgeschichte schreibt? Sich an irgendwelche Vorgaben halten? Wer formuliert die? Eine oberste Literaturbehörde? In der Form einer DIN für Belletristik? Au weia.


Du scheinst sehr große Angst davor zu haben, in irgendeine Schublade gesteckt zu werden. Selbstverständlich gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Aber gleichzeitig kann man alles kategorisieren, jede Idee war schon mal da und nichts ist mehr originell. Wäre es heutzutage noch ein Tabubruch, die Geschichte ganz anders ändern zu lassen, wäre das vielleicht was anderes.
Wenn du es schaffst, ab der Mitte der Geschichte in eine ganz andere Richtung zu gehen und es liest sich befriedigend, Glückwunsch. Ich glaube, das ist schwer bis unmöglich und einfacher zu erreichen, wenn das Ende aus den Mitteln gemacht wird, die man am Anfang vorgestellt hat. Ein soziales Thema wie das Verprügeln eines Wehrlosen und dann der Teufel samt Dämonen ... mir zu krass.

Zitat:
„Lächerlich“ ist kein nettes Adjektiv. Ich nehm’s aber mal so hin.

Das war tatsächlich nicht böse gemeint. Ich benutze das Wort gerne und auch neutral. Ich mag das Groteske, das auch oft lächerlich ist. Hier wirkt das Ende aber nicht bewusst vom Autor lächerlich gestaltet, sondern eben etwas ... banal.


Zitat:
Zitat:
  Denn ich fühle ich ein bisschen betrogen, wenn eine eigentlich realistische, wenn auch schrullige Geschichte unvermittelt so ins Esoterische abgleitet.
 

Das klingt ja geradezu, als hätte ich dir vorgestern einen ungedeckten Scheck untergejubelt. Ganz so schlimm ist es ja nicht, wenn eine Geschichte ein anderes Ende nimmt, als es der Leser am Anfang vermutet.

Wir begegnen uns jetzt zum ersten Mal. Ich bin auch überhaupt nicht der Typ, der Genre-Literatur schreibt und sich an die Regeln einer bestimmten Konvention hält, nur damit sich das Buch verkauft. Aber einige Regeln machen Sinn. Willst du denn hauptsächlich für dich selbst schreiben oder/und deinen Stil verbessern?

Zitat:
Das ist alles eine Sache des individuellen Geschmacks. Vermutlich lese ich andere Romane – die mitunter sehr langsam Fahrt aufnehmen – als du und lasse mich hin u. wieder von deren (altmodischem) Stil animieren. Wenn ich es schnell-schnell haben möchte, nehme ich einen Comic zur Hand o. schaue mir einen 3Min-Clip auf MTV an.

Naja. Da sind drei nicht gerade kurze Absätze, deren einziger Inhalt der Witz mit der Zeit ist. Inhaltlich gibt's da nicht viel Neues. Ich will ja gar nicht von der ersten Zeile an Blut sehen, aber das ist mir zu viel Wiederholung.

Zitat:
Wiewohl ich persönlich es lieber hätte, wenn mir die sprachlichen Schwächen im Rahmen einer Textanalyse an konkreten Stellen aufgezeigt würden. Hier im dsfo wird mMn zu viel Augenmerk auf den Inhalt u. die Kategorie, in die man eine Story einsortiert, gelegt.   

Schon wieder Sortierung. wink So schlimm sehe ich das hier nun wirklich nicht. Sprache ist auch wichtig, aber sicher nicht wichtiger als der Inhalt. Alles andere ist für mich Sprache nur um der Sprache willen. Darin sehe ich keinen Sinn und deshalb gefällts mir nicht.

So, jetzt geh ich ins Bett. Ist schon spät.  Schlafen
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sinuhe
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Beitrag20.02.2013 06:09

von sinuhe
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Hi Nihil,

du hattest gestern Mittag noch ein paar Anmerkungen ergänzt, auf die ich gerne eingehe:

Zitat:
    Zunächst einmal: Wenn du Spaß am Schreiben hattest, ist das erstmal die Hauptsache, so hat's bei mir auch angefangen. Aber ganz so verkehrt ist es nicht, wenn man im zweiten Schritt darauf achtet, dass auch der Leser Spaß hat.    

Da ich die – vermutlich realistische – Auffassung vertrete, dass ein Autor max. 1% der potenziellen Leser anspricht (denen die Texte dann auch tatsächlich Freude bereiten), ist es mMn müßig, mir über den Spaßfaktor der restlichen 99% den Kopf zu zerbrechen; denn die werde ich ohnehin nicht erreichen.

Zitat:
    Zumindest eine Zielgruppe, die man vorher angepeilt hat.   

Ich beschäftige mich beruflich (Marktforschung) hin u. wieder mit ZG-Analysen. Ab und an verfasse ich selbst welche. Das lohnt sich aber nur für bestimmte Produkte und für die erst ab einem gewissen Verkaufsvolumen. Auf den Literaturmarkt übertragen soll das heißen, dass sich ein Autor beim Schreiben eines Romans, der nachher publiziert u. vermarktet werden soll, durchaus Gedanken über seine potenzielle Leserschaft machen kann/ soll/ muss. Denn hierbei handelt es sich – zumindest aus Sicht des Verlags – um ein kommerzielles Produkt, das interessante Absatzzahlen erzielen soll.

Mir jedoch beim Tippen einer Kurzgeschichte vorab Gedanken über die Aufnahmebereitschaft der o.g. 99% machen: weiß nicht. Wozu soll das gut sein? In dem – zugegebenermaßen utopischen – Fall, dass ich mit Gleis 3 zufälligerweise deinen Geschmack getroffen hätte, würden mir dennoch 99 andere Kritiker schreiben, dass ihnen die Geschichte aus zig anderen Gründen nicht gefällt. Von daher schiele ich beim Schreiben überhaupt nicht auf die Resonanz des Publikums, sondern lege – wenn mir danach ist – einfach los.

Zitat:
     Natürlich kannst du Metaphern und Personifikationen verwenden, wie du willst. Aber angenommen, es hätte die Auflösung mit der infernalisch Eingesperrten nicht gegeben, wäre es mir doch sehr seltsam und vor allem: bildlich schief vorgekommen, dass ein Bahnsteig, der überall gleich aussieht, Kehlkopf, Bauch und Beine hat. Niemand verlangt von dir, dass du nur naturalistische Nacherzählungen des Lebens abgeben sollst.   

Warum darf ein Bahnsteig – in Fiktion – nicht über Beine, einen (hoffentlich knackigen) Hintern und einen Kehlkopf verfügen? Das ist doch letztlich nur eine Frage der Fantasie von Autor und Leser. Wenn ich auf einem zugigen – und im Winter kalten – Gleis stehe, dort auf den verspäteten Zug warte und beobachte, wie ein Mann an einen Papierkorb gelehnt, die Steine vollkotzt, überlege ich mir eben, wie sich der Bahnsteig – würde er denn leben – in diesem Moment fühlt.

Zitat:
     Du scheinst sehr große Angst davor zu haben, in irgendeine Schublade gesteckt zu werden.   

idR. schreibe ich Geschichten übers Saufen und habe kein Problem damit, in die Trinkerschublade gesteckt zu werden. Letztlich sind das Etiketten, die ab und an zutreffen und in vielen Fällen wiederum nicht passen.

Zitat:
     Aber gleichzeitig kann man alles kategorisieren, jede Idee war schon mal da und nichts ist mehr originell.   

Das ist ein sehr kluger Einwand, denn auch ich behaupte, dass seit der Steinzeit nichts wesentlich Neues mehr gedacht wurde. Auf die Literatur übertragen würde das bedeuten, dass wir seit hunderten von Jahren nur noch Variationen von längst bekannten Themen zu Papier bringen. Da ist schon was dran. Allerdings würde ich das nicht apodiktisch sehen. Hin und wieder erscheint ja doch was Neues bzw. in dieser Art noch nicht Dargestelltes. Das muss nicht zwangsläufig ein Tabubruch sein. Es reicht eine ungewohnte/ neue Sicht auf altvertraute Dinge.

Das soll nicht bedeuten, dass ein emotionaler Bahnsteig originell ist. Die nachdenkliche Brücke über einen Gebirgsbach kannte bereits Kafka vor hundert Jahren.

Zitat:
     Ein soziales Thema wie das Verprügeln eines Wehrlosen und dann der Teufel samt Dämonen ... mir zu krass.   

Zum einen hatte ich beim Schreiben gar nicht an das Etikett Soziales Thema gedacht. Zum anderen ist es in der geschilderten Gemengelage ja gar nicht so einfach, Täter u. Opfer fein säuberlich voneinander zu trennen. Heinrich muss dem Teufel jedes Jahr pünktlich am Valentinstag bis spätestens Mitternacht fünf Seelen liefern; andernfalls fährt er selbst in die Hölle. Von daher ist er genauso Täter wie die jugendlichen Hooligans.

Weshalb kann man ein – von dir so bezeichnetes – soziales Thema bzw. eine Prügelei nicht durch das nächtliche Erscheinen Mephistos auflösen? Mag dir persönlich zu krass erscheinen. Für mich war es – zumindest im Moment des Tippens – eine geradezu logische Konsequenz der vorher beschriebenen Handlung.

Zitat:
     Hier wirkt das Ende aber nicht bewusst vom Autor lächerlich gestaltet, sondern eben etwas ... banal.   

Weil sie sich küssen?
Würde ich sie sterben lassen, hätten andere Kritiker gemeckert, dass meine Geschichten so oft traurig enden.
Die Schlussszene ist aber zu kurz geraten. Weil ich halt irgendwann den finalen Punkt setzen wollte. Das Sich-aus-dem-Grab-befreien werde ich plastischer schildern. Dazu muss ich mich jedoch in der richtigen Stimmung befinden. Am besten vorher in der abendlichen Dämmerung und bei Nebel über den Zentralfriedhof unserer Stadt schlendern.

Zitat:
    Willst du denn hauptsächlich für dich selbst schreiben oder/und deinen Stil verbessern?    

Natürlich beides. Wobei wir erneut beim Punkt angelangt sind: ohne Textanalyse – die eben auch auf die sprachlichen Mängel eingeht – sind Kommentare nur die Hälfte wert.

Zitat:
    Naja. Da sind drei nicht gerade kurze Absätze, deren einziger Inhalt der Witz mit der Zeit ist. Inhaltlich gibt's da nicht viel Neues. Ich will ja gar nicht von der ersten Zeile an Blut sehen, aber das ist mir zu viel Wiederholung.    

Es geht nicht um den Witz mit der Zeit, sondern um den Versuch der akkuraten Darstellung eines Sachverhalts. Ich könnte mir alternativ die Kommode neben meinem Schreibtisch oder den Hergang des morgendlichen Kaffeekochens vornehmen und die über ein/ zwei Seiten beschreiben. Solche Übungen schulen echt die Beobachtungsgabe. ICH lese solche Situationsschilderungen auch recht gerne bei den altmodischen Autoren. Ist aber zugegebenermaßen nicht jedermanns Sache.

Zitat:
    Schon wieder Sortierung.  So schlimm sehe ich das hier nun wirklich nicht. Sprache ist auch wichtig, aber sicher nicht wichtiger als der Inhalt. Alles andere ist für mich Sprache nur um der Sprache willen. Darin sehe ich keinen Sinn und deshalb gefällts mir nicht.    

Weshalb sortiere ich, wenn ich anmerke, dass in den Kommentaren, die ich überblicke, die Kritik am Inhalt die Beschäftigung mit der Sprache überwiegt? Erfinde ich ja nicht, sondern lese es täglich.

Sprache um der Sprache willen würde in etwa l‘art pour l’art entsprechen. Oder anders ausgedrückt: Manierismus. Dieses Stilmittel taugt sicher nicht für die Wegstrecke eines Romans. Denn in dem will ich als Leser ja was – für mich – Neues erfahren; also sowohl mit Inhalt als auch mit Sprachwitz unterhalten werden.  Aber in einer kurzen Geschichte, die ich zudem bewusst in die Werkstatt einstelle? Weshalb sollte ich an diesem Ort nicht mit Wörtern und Grammatik experimentieren? Speziell dafür ist eine Schreibwerkstatt doch gedacht. Oder etwa nicht?

Nihil, jetzt habe ich am frühen (!!) Morgen viel Text zu deinen Anmerkungen geschrieben. Schien mir aber nicht unwichtig zu sein, die gegenseitigen Standpunkte auszuleuchten. Nun werde ich mir einen starken Kaffee aufsetzen und dann so langsam in den normalen Arbeitsalltag starten.

Wünsche dir einen produktiven Mittwoch u. vg sinuhe


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KeTam
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Beitrag22.02.2013 21:59

von KeTam
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Hallo sinuhe,

mir gefällt deine Geschichte sehr gut.
Seltsam, düster und erdig, die Atmosphäre. Häuser, Orte usw hinterlassen bei mir oft den Eindruck, sie hätten eine Perönlichkeit, die sich aus all dem zusammensetzt, was dort geschehen ist, über die Jahre. Deshalb fand ich es sehr reizvoll, dass du dem Bahnsteig Beine, Bauch usw gibst. Selbst ohne die Auflösung hätte mir das gefallen.
Ein eindringlich-traumhaft-diabolisches Märchen.
Sehr gerne gelesen, auch weil es mir meine Heimat, die mich oft eher nervt, wieder näher bringt.

Lg, KeTam.

Ach ja: Hat mir sehr gut gefallen, wie die Doofiane vom Höllenhund gemetzelt werden.

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sinuhe
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Beitrag23.02.2013 16:43

von sinuhe
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Hallo KeTam,

dir hat meine kleine Geschichte also gefallen. Zumindest eine Leserin (aus 100). Das freut mich!

Zitat:
    Häuser, Orte usw hinterlassen bei mir oft den Eindruck, sie hätten eine Perönlichkeit, die sich aus all dem zusammensetzt, was dort geschehen ist, über die Jahre.    

Davon gehen jedenfalls die Autoren vieler Gruselromane aus.

Zitat:
     Deshalb fand ich es sehr reizvoll, dass du dem Bahnsteig Beine, Bauch usw gibst.  

Der sexy Bahnsteig: warum nicht? Wobei der, auf dem ich stand, als mir die Idee für diese Geschichte in den Kopf schoss, eher verschmutzt aussah. Hinter/ unter mancher dreckigen Schale verbirgt sich jedoch ein hübscher Kern.

Zitat:
    Ein eindringlich-traumhaft-diabolisches Märchen.      

Ein Märchen – von mir aus gerne.

Zitat:
     Ach ja: Hat mir sehr gut gefallen, wie die Doofiane vom Höllenhund gemetzelt werden.   

Mir auch!!

Zitat:
  Sehr gerne gelesen, auch weil es mir meine Heimat, die mich oft eher nervt, wieder näher bringt.      

Deine Heimat:
( ) das Rheinland, dem ich entstamme
( ) oder Württemberg, auf dessen Gleisen ich manchmal friere?


KeTam, vielen Dank für deine Eindrucksschilderung!

Wünsche dir ein schönes – leider weiterhin winterliches – WE!

Lg sinuhe


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Beitrag23.02.2013 17:10

von KeTam
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Hallo sinuhe,

ich komme aus Württemberg, das wo du immer frierst! wink
Ich wünsch dir auch ein schönes Wochenende!

Lg, KeTam.
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Malaga
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Beitrag27.02.2013 17:15

von Malaga
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Hallo sinuhe, nur auf die Kürze:
mir gefällt deine Schreibe auch, gekonnt Spannung hergestellt.
Aber ich fühle mich am Ende als Leser auch beschummelt, wenn die Auflösung an dem spannenden Moment,  (wie wird die Frau das handeln, was hat sie vor,) nur in einer Verwandlung und dem Schritt in die Fantasy besteht. (So kann man jede brenzlige Situation auflösen...  Evil or Very Mad )
LG
Malaga
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sinuhe
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Beitrag28.02.2013 12:03

von sinuhe
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Hallo Malaga,

du hast ebenfalls kurz auf Gleis 3 vorbeigeschaut. Das freut mich.

Zitat:
    Aber ich fühle mich am Ende als Leser auch beschummelt, wenn die Auflösung an dem spannenden Moment, (wie wird die Frau das handeln, was hat sie vor,) nur in einer Verwandlung und dem Schritt in die Fantasy besteht. (So kann man jede brenzlige Situation auflösen...     

Zu Fantasy (Kobolde, Trolle, Elfen, Einhörner, Hobbits etc.) sollte sich die kleine Geschichte eigentlich nicht entwickeln. Denn das ist eher nicht mein Genre.

Inspiriert zur Story wurde ich von Der Untergang des Hauses Usher von E.A. Poe. Kombiniert mit dem einsamen Trinker (eine meiner bevorzugten Figuren in Romanen und Kurzgeschichten). Die Schlägerei auf dem Bahnsteig ist von der Wichtigkeit her der Auferstehung der Frau aus ihrem Grab untergeordnet. Ich müsste also bei einer Überarbeitung detaillierter darstellen, wie Margarete die tonnenschwere Erde abschüttelt und schließlich die Betondecke durchbricht. Ich könnte ihr anfangs ebenfalls ein totes/ kaltes Herz einpflanzen, das im Verlauf der Story wieder zu schlagen beginnt. Zu Beginn langsam, kaum merklich, um dann im Verlauf der Geschichte schneller zu werden.

Werde ich drüber nachdenken.

Malaga, herzlichen Dank für deine Eindrucksschilderung! Hilft mir weiter.

Lg sinuhe


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