18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Arbeitstitel Wüste - Zweites Kapitel


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
wayne
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
W


Beiträge: 47



W
Beitrag05.02.2013 17:25
Arbeitstitel Wüste - Zweites Kapitel
von wayne
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

hallo leute.

vielleicht hat ja schon jemand den ersten teil meiner geschichte gelesen?! habe jedenfalls weitergemacht und brauche jetzt wieder einmal ein bisschen ehrliche kritik.

freue mich über jeden kommentar  Very Happy

mfg,
wayne



Wüste

Sein schweißnasser Körper hing immer noch vorn übergebeugt, als Wayne erwachte und der Sicherheitsgurt schnürte sich schmerzhaft tief in seine Brust. Mit zittrigen Händen versuchte er den Gurt zu lösen, während sein Blick kurz zu Chuck schweifte. Chuck saß zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen in seinem Sitz. Als Wayne sich endlich befreit hatte, sah er, dass Chuck noch atmete.
„Chuck, geht´s ihnen gut?“, keuchte Wayne und löste auch ihn aus seinem Sicherheitsgurt.
„Ich glaube schon.“, antwortete Chuck. Sein Blick wirkte glasig, als er die Augen öffnete.
Wayne lehnte sich erst einmal zurück und entspannte seine schmerzenden Glieder.
„Ich dachte wir sterben.“
Chuck richtete sich auf und sah mit immer noch kleinen Augen durch die Frontscheibe vor ihnen, die einen querverlaufenden Sprung abbekommen hatte.
Wayne folgte Chucks Blick. Der Rotor, der so schwer vor sich hin gearbeitet hatte, war vollends abgebrochen und davor erstreckte sich der Sand. Endloser, rotbrauner Sand. Am Himmel stand die gleißende Sonne, die erbarmungslos auf dieses staubige Meer herunterbrannte und in der Ferne zeichneten sich einzelne Grasbüschel ab, die in dieser trostlosen Gegend die letzten Wasserreserven in ihren Wurzeln speicherten. Von dem Regenschauer, den sie mitmachen mussten, war nicht das Geringste zu sehen.
„Es hat doch geregnet, oder?“, fragte Wayne.
„Oh ja, das hat es.“, antwortete Chuck, der genau so erstaunt klang, wie Wayne sich fühlte.
Wayne öffnete die Tür der rotweißen Cessna und kletterte heraus. Sofort stach die glühende Sonne auf ihn ein. Er ging zur Vorderseite der Maschine und betrachtete den kaputten Rotor, der rauchend im Sand lag. Durch die Frontscheibe sah Wayne, wie Chuck bereits das Satellitentelefon in der Hand hielt und wohl gerade den Notruf betätigte. Er drehte sich herum und sah mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne. Die dürren Grasbüschel tanzten ruhig im leichten Wind, der die staubige Erde in feinen Körnern durch die Luft trug. Er konnte sich nicht erklären, wie das Regenwasser so schnell verschwinden hatte können.
„Ich hab kein Signal.“, sagte Chuck hinter ihm, der mittlerweile ebenfalls aus dem Flugzeug gestiegen war.
„Ist das Telefon kaputt?“
„Ich denke es funktioniert noch, nur gibt es hier seltsamerweise kein Netz.“, antwortete Chuck mit einer beinahe schuldbewussten Stimme.
Wayne kramte sein eigenes Handy aus der Tasche, das natürlich eben so wenig Empfang hatte.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Wayne.
„Ich versuche es noch einmal.“
Während Chuck vergebliche zehn Minuten damit verbracht hatte, doch noch ein Netz zu bekommen, waren Wayne Fußspuren im Sand aufgefallen, die eindeutig von dem Flugzeug weg führten. Wayne ging in die Knie, um die Spuren genauer betrachten zu können.
„Das bringt nichts“, fluchte Chuck hinter ihm und kletterte wieder aus dem Flugzeug. Erst jetzt bemerkte auch er die Fußabdrücke.
„Es muss jemand hier gewesen sein.“
„Ja“, antwortete Wayne, “ich hoffe er holt Hilfe.“
Noch während er diese Worte aussprach, überkam ihn eine enorme Übelkeit und er beugte sich nach vorne. Sein Brustkorb tat an den Druckstellen, die der Sicherheitsgurt hinterlassen hatte, immer noch verdammt weh. Seine Knie fühlten sich weich an und er wäre beinahe in den Wüstensand gesunken, hätte Chuck ihn nicht gestützt. Mit wackeligen Schritten ging er zurück zum Flugzeug und setzte sich hinein.
„Es geht schon wieder.“, sagte er.
„Trinken Sie erst einmal etwas.“, sagt Chuck und kramte die schwarze Sporttasche hervor. Er legte Wayne die bereits auf Zimmertemperatur aufgewärmte Wasserflasche in die Hand. Wayne nahm einen Schluck und versuchte einfach nur ruhig zu atmen.
„Das darf doch alles nicht wahr sein.“
Nach einigen Minuten, in denen Wayne einfach nur da gesessen hatte und die kühlenden Windböen auf seiner schweißnassen Stirn genossen hatte, war sein plötzlicher Schwindelanfall auf ein erträgliches Maß abgeklungen. Sein Herz schlug jedoch immer noch lautstark in seiner Brust.
„Es gibt also kein Netz hier draußen?“, fragte er Chuck, der schon wieder auf das Satellitentelefon sah.
„Nein.“
„Vor einer halben Stunde hat es doch noch funktioniert.“
„Ich weiß“, antwortete Chuck, dem außer einem kurzen Achselzucken auch nichts weiteres mehr einfiel.
„Und was machen wir jetzt?“
„Es war doch scheinbar jemand hier“, sagte Chuck und deutete auf die Fußspuren, die bereits wieder im Begriff waren, von dem rotbraunen Wüstensand verschluckt zu werden, “also sollten wir warten bis Hilfe kommt. Vielleicht bekommen wir ja auch noch ein Netz.“
„Wieso ist der nicht hier geblieben?“, fragte Wayne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Zu seinem hämmernden Herzschlag gesellten sich jetzt auch beginnende Kopfschmerzen. Er nahm noch einen Schluck aus der lauwarmen Wasserflasche und sah hinaus in die Wüste. Die Sonne stand nicht mehr auf ihrem höchsten Punkt und sollte nach Waynes Schätzung auch in wenigen Stunden vom Horizont verschwunden sein.
„Wir sollten also einfach hier bleiben und warten?“, fragte er.
„Ja“, antwortete Chuck, ging um das Flugzeug herum und setzte sich wieder neben Wayne in den Pilotensitz, “ich denke das ist die beste Strategie in solchen Situationen.“ Das Gehirn des Bankers funktionierte auf einer rein logischen Basis.
„Und wie sieht Plan B aus?“, fragte Wayne.

Gute drei Stunden später war von einer erhofften Rettung jedenfalls immer noch nichts zu sehen.
Wayne und Chuck standen etwa fünfzig Meter von ihrem zerstörten Fluggerät entfernt und betrachteten die kaum noch erkennbaren Fußspuren.
„Ich hole noch schnell das Handy aus dem Flugzeug, dann gehen wir los.“, sagte Wayne und lief mit großen Schritten zurück. Sie hatten sich doch entschlossen, den Fußspuren einfach einmal zu folgen. Hilfe würde wahrscheinlich aus dieser Richtung kommen.
Wayne schnappte sich das Handy und die lauwarme Flasche Wasser und lief zurück zu Chuck. Der Wüstenwind trieb ihm winzige rotbraune Sandkörner in die Augen.
„Gehen wir.“, keuchte er.
Chuck McEvans musterte Wayne, der von seinen Sprints völlig erschöpft war, kurz und ging nach einem kurzen brummenden Laut, weiter in die entgegengesetzte Richtung der Fußspuren im Sand.
„Können Sie weiter gehen?“, fragte er, ohne sich nach Wayne umzudrehen.
„Ja.“
Wayne folgte Chuck mit einigen schnellen Schritten. Seine Beine fühlten sich schon jetzt schwer und träge an. Er sah noch einmal zurück zu dem abgestürzten Flugzeug, das mitten im Nirgendwo lag.
„Was meinen Sie, wie weit die nächste Farm entfernt ist?“, fragte er.
„Könnten schon ein paar Kilometer sein.“, antwortete Chuck.
Wayne kramte noch einmal das Handy aus seiner Tasche und wählte Debbys Nummer. Es gab tatsächlich ein Freizeichen, allerdings landete er nur auf der Mailbox.
„Hey Debby, du musst die Rettung alarmieren. Chuck McEvans und ich sind mit dem Flugzeug abgestürzt und sitzen jetzt irgendwo in der Wüste fest.“
„Etwa 300 Kilometer südlich von Alice Springs, schätze ich. Sagen Sie ihr das, Mister Farland.“, meinte Chuck mit einer auffordernden Geste.
„Mister McEvans meint, wir müssten uns rund 300 Kilometer südlich von Alice Springs befinden. Ruf am besten einmal beim Flughafen dort an und erklär ihnen die Situation. Uns ist so weit nichts passiert, aber es ist eine einsame Gegend hier. Wir werden beim Flugzeug warten.“
Für den letzten Satz hatte Wayne einen überraschten Blick von Chuck geerntet.
„Sie möchten doch nicht wirklich beim Flugzeug warten, oder? Diese Fußspuren könnten uns zu einer Farm führen. Da haben wir wenigstens ein Dach über dem Kopf.“, sagte der Banker.
„Das haben wir im Flugzeug auch.“
Chuck war stehen geblieben und blickte Wayne jetzt durch die dunklen Gläser der Pilotensonnenbrille an.
„Also ich gehe weiter. Wir haben kein Netz, nicht mehr viel zu trinken“, er deutete auf die fast leere Wasserflasche in Waynes Hand, “und die Farmen hier haben immer auch ein Funkgerät. Damit kommen wir wahrscheinlich zum Flughafen durch und geben ihnen die richtigen Koordinaten. Dann sollten wir bald wieder hier heraus sei. Was sagen Sie dazu?“
„Sie haben ja Recht.“, antwortete Wayne und folgte Chuck, der sich mittlerweile wieder in Bewegung gesetzt hatte.

Sie folgten den Spuren im Sand für etwa eine Stunde, während die beginnende Dämmerung den Platz der glühenden Wüstensonne eingenommen hatte, als Chuck völlig unvermittelt stehen blieb.
„Hm?“, brummte Wayne, der noch zwei oder drei Schritte gegangen war, bevor er auf Chucks plötzliche Starre reagieren konnte.
„Was ist los?“
Chuck deutete wortlos auf einen Punkt vor ihnen und Waynes Blick folgte dieser Geste. Er musste erst die Augen zusammenkneifen, um bei den diffusen Lichtverhältnissen die mittlerweile herrschten überhaupt etwas zu erkennen.
„Das gibt’s doch nicht.“
Etwa 250 Meter vor ihnen lag eine ziemlich mitgenommen aussehende rote Cessna mit weißen Seitenstreifen seelenruhig im Sand.
„Sind wir etwa im Kreis gelaufen?“, fragte Wayne.
„Sieht wohl so aus.“, antwortete Chuck, der seine eigene Verwunderung mit logischem Verstand zu überspielen versuchte, “wenn man auf offenem Gelände keinen Orientierungspunkt hat, neigt der Mensch dazu einen Rechtsdrall einzuschlagen.“
„Aha.“
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Wayne.
„Es wird bald dunkel“, antwortete Chuck und setzte sich wieder in Bewegung „und wahrscheinlich auch empfindlich kalt. Ich würde sagen wir verbringen diese Nacht im Flugzeug und versuchen noch einmal den Flughafen oder Ihre Frau zu erreichen. Ich glaube weitere Optionen gibt es nicht.“
Chucks rational zu denken gewohntes Gehirn funktionierte. Es konnte gar nicht anders und Wayne war froh nicht alleine hier draußen zu sein.
 
Debby Farland sah auf die Uhr. 18.52Uhr. Vor zehn Minuten hatte sie die elektronisch verzerrte Stimme ihres Mannes auf ihrer Mailbox gehört und hing bei Sunshine Airlines jetzt in der Warteschleife.
„Hallo?“, meldete sich schließlich eine brummende Männerstimme.
„Sie müssen uns helfen“, platzte es aus Debby heraus, “mein Mann sitzt irgendwo in der Wüste fest. Er ist mit dem Flugzeug abgestürzt.“
„Können Sie mir die Koordinaten nennen?“, fragte die Stimme am anderen Ende, die diese monotone Frage scheinbar schon oft gestellt hatte.
„Sie schätzen, dass sie sich rund 300 Kilometer südlich von Alice Springs befinden.“
„Sie schätzen?“, es entstand eine kurze Pause, ehe der Flughafenpolizist, oder was auch immer er war, fortfuhr, “das ist ein ganz schön großes Gebiet, aber ich werde eine Suchmannschaft alarmieren, die sich dort einmal umsieht.“
In die Ohnmacht, die Debby in diesem Moment empfand, mischte sich jetzt zwar ein leises Gefühl der Hoffnung, weil Hilfe immerhin auf dem Weg war. Die dunklen Gedanken, die in ihrem Gehirn herumspukten, wurde sie trotzdem nicht los.
Ein Absturz? Wayne hatte bis jetzt nicht einmal einen Autounfall gehabt.
Während Debby die metallverstärkte Jalousie elektronisch schließen lies, wählte sie die Nummer ihrer Schwester.
„Hey Klein-Debby“, meldete sich …, mit jener übertrieben höflichen Art, die sie nur Debby gegenüber anbrachte. Entweder so, oder einfach nur grenzenlos desinteressiert. Sie konnte einfach nicht wie mit einem normalen Menschen mit ihr reden. Trotzdem musste Debby jetzt mit irgendjemandem sprechen.
„Hallo …. Wie geht’s dir denn so?“
Ein Knistern ging durch die Leitung.
„Mir geht es gut. Wie geht’s dir denn, Süße? Du klingst ja gar nicht gut.“
Im Hintergrund hörte Debby … Mann und das Gekicher der beiden Kinder ihrer Schwester.
„Wayne ist mit dem Flugzeug abgestürzt und sitzt jetzt irgendwo in der Wüste fest. Ich habe echt Angst.“
Auf Debbys Haut breitete sich wieder Kälte aus.
„Hör mal, kann ich dich später zurückrufen. Ich bin gerade mit Brian und den Kindern beim Tennis.“ sagte …. Das anschließende Geflüster deutete Debby als Zeichen eines fehlgeschlagenen Versuchs ihrer Schwester, die ihrem Mann wohl nur mit Lippenbewegungen andeuten wollte, dass sie sowieso gleich wieder auflegen würde.
„Ja klar. Bis später.“, seufzte Debby.
Die sprichwörtlichen tausend Nadeln, die sie fühlte, als sie das Telefon wieder auf den Couchtisch legte, schienen sich bis in ihre Knochen zu bohren. Die eisige Kälte, die sie umgab, erinnerte sie an ihre Vergangenheit; vor ziemlich genau zehn Jahren hatte sie sie zum ersten Mal gespürt.

„Wir sollten sparsam damit umgehen.“
Chuck rügte Wayne, der gerade einen großen Schluck aus der ihnen verbliebenen Wasserflasche genommen hatte, mit einem strengen Blick.
„Wer weiß wie lange wir noch hier draußen warten müssen. Wenn überhaupt schon jemand angefangen hat nach uns zu suchen, wird er wohl erst wieder morgen früh weiter machen. Bis dahin müssen wir rationieren.“, fügte er hinzu und sah dabei aus, wie ein strenger Lehrer, dessen Schüler gerade Mist gebaut hatte und jetzt dafür eine Standpauke von ihm kassierte.
Schuldbewusst verschloss Wayne die Flasche wieder, stellte sie zwischen ihnen ab und lehnte sich in dem zusehends unbequemer werdenden Flugzeugsitz zurück. Draußen war es mittlerweile stockdunkel geworden und das einzige, das Wayne noch vor sich sah, war sein halbdurchsichtiges Spiegelbild auf der Cockpitscheibe. Er war müde.
„Wie geht’s eigentlich ihren Kindern?“, fragte er Chuck mit geschlossenen Augen und wartete die kurze Stille ab, in der Chuck wohl erst diese so überhaupt nicht zu ihrer Situation passende Frage registrieren musste.
„Ähm, ganz gut. Mark arbeitet immer noch bei der West Star und David…naja…den hält es eben nicht lange an einem Ort. Ich weiß gar nicht genau wo er sich gerade herumtreibt. Südamerika glaube ich.“
„Mhm“, brummt Wayne, der bereits in Halbschlaf versunken war und nur noch mit einem Ohr zuhörte.
„Für Sie hat sich ja doch noch alles zum Guten gewendet, nicht wahr?“, sagte Chuck, „ich meine nach der Fehlgeburt, muss ihnen Isabelle jetzt wohl wie ein Geschenk vorkommen.“
Wayne hörte die Worte, aber er antwortete nicht. Er tat so als würde er bereits schlafen.

Es war immer noch stockdunkel, als Wayne wieder erwachte. Er musste pinkeln.
Sein Blick wanderte kurz zu Chuck, der mit zur Seite geneigtem Kopf in seinem Pilotensitz lehnte und offensichtlich tief und fest schlief. Auf seinem Gesicht lag jedoch ein Ausdruck, den Wayne wohl am ehesten als besorgte Anspannung deuten konnte. Es sah jedenfalls nicht so aus, als würde Chuck einen sanften Schlaf genießen.
Wayne öffnete so leise wie möglich die Tür der Cessna und kletterte aus dem Cockpit. Es war merklich kühler geworden und die Dunkelheit hatte ihren schwarzblauen Schleier über die karge Vegetation um sie herum gelegt. Er sah kurz auf die Uhr; die Sonne würde nach seiner Schätzung wohl in zwei oder drei Stunden wieder am Horizont erscheinen.
Keine zehn Meter von der rotweißen Cessna entfernt, öffnete Wayne schließlich seinen Hosenstall und pinkelte ungeniert in den Wüstensand. Während sich vor seinen Füßen eine schäumende Lacke bildete und der pochende Druck in seiner Blase langsam nachließ, streifte Waynes Blick über die karge Landschaft die ihn umgab. Die dunklen Schatten der dürren Grasbüschel, die es mit aller Mühe geschafft hatten, gerade einmal kniehoch aus dem Boden zu wachsen, bewegten sich geräuschlos in einer kaum spürbaren Brise und erweckten den Eindruck, als würden sie jeden Augenblick zum Leben erwachen.
Es sah aus, als ob diese staubige Einöde, die in ihrer scheinbaren Endlosigkeit aus Hitze und Sand wie eine glühende, unüberwindbare Mauer zwischen Wayne und dem Rest der Welt lag, die seltsame Angewohnheit hatte, ab und zu ihr Eigenleben zu entwickeln.   
Waynes Gedanken schweiften ab. Er dachte an tausend verschiedene Dinge, die ihm in rasender Geschwindigkeit durch den Kopf schossen, aber allesamt dermaßen belanglos waren, dass sie im Moment des Denkens auch schon wieder im leeren Raum der Vergessenheit verpufft waren. Ohne sein bewusstes Zutun, hatten Waynes Augen inzwischen einen mannshohen Felsen fixiert, der unweit von ihm reglos aus dem Sand ragte. Sie hatten daneben eine Bewegung registriert, die Waynes überlastetes Gehirn erst mit träger Verzögerung verarbeiten konnte, aber jetzt, ob der Gewissheit, dass es sich nicht nur um einen der knochigen Schatten ringsum handelte, um so heftiger reagierte.
Neben dem Felsen stand George. Er trug einen schwarzen Anzug, mit weißem Hemd und Fliege. Dazu das rote Einstecktuch; genau wie am Tag seiner eigenen Beerdigung.
Waynes Schwanz, der seine Tätigkeit der Blasenentleerung längst eingestellt hatte, zog sich unweigerlich einige Zentimeter zurück, ganz so als würde er sich genau wie der restliche Körper an dem er hing, vor dem toten Jungen, der eindeutig viel zu nahe vor ihnen stand, verstecken wollen. Hätte der Schwanz Beine gehabt, wäre er vermutlich in diesem Moment ohne sich umzudrehen, davongerannt.
Wayne konnte sich nicht rühren. Er hatte eigentlich gehofft, er hätte George aus seinem Leben verschwinden lassen, aber er hatte sich selbst belogen, als er dachte, es auch geschafft zu haben. Seit zehn Jahren schleppte er George jetzt schon mit sich herum; wohin er auch ging, George war bereits da.

Wayne und Debby waren bereits zusammen, als George Francis, ein sportlich aussehender junger Mann, mit einem bemerkenswert guten Kleidungsstil, in Waynes Studentenheimwohnung stand und sich als sein neuer Mitbewohner vorstellte. Es war eine ungezwungene und angenehme Begrüßung gewesen und hätte man Wayne an jenem Tag erzählt, dass George nicht einmal zwei Jahre später mit gespaltenem Schädel auf dem asphaltierten Parkplatz unter seinem Zimmerfenster liegen würde, hätte er vermutlich kein Wort davon geglaubt.
Wayne fuchtelte hektisch mit beiden Händen durch die Luft, um den Marihuanageruch, der seine Wohnung erfüllte, ein wenig zu verdünnen, als George ihm den Rücken zuwandte, um die Tür zu schließen. Seine zwanzig Quadratmeter große Studentenwohnung war bereits seit Monaten mit einem feinen blaugrauen Rauch eingenebelt worden, der ein verdächtig süßliches Aroma verbreitete; seit Debby bei ihm ein und aus ging, hatte Wayne zunehmend die Freuden des Rausches kennen gelernt.
Entweder nahm George den eindeutigen Geruch nicht wahr oder er war einfach nur verdammt gut darin, mehr als offensichtliche Dinge gekonnt zu überspielen; er sah sich nur kurz um und nickte wissend.
„Schläfst du etwa auf einer Couch?“, fragte George, nachdem er überrascht festgestellt hatte, dass Wayne kein Bett besaß.
„Na ja, wenn Debby hier ist, dann wird daraus ein Bett.“
Wayne demonstrierte kurz die wenigen Handgriffe, die nötig waren, um die Couch in ein bestenfalls provisorisch wirkendes Bett zu verwandeln, doch George zeigte sich wenig beeindruckt.
„Debby ist deine Freundin, nehme ich an,“ fragte er, während Wayne noch wie ein erfolgloser Bettwarenvertreter vor seinem billigen Schlafmöbel stand und versuchte es mit gekünstelten Gesten optisch etwas aufzubessern.
„Ähm, ja…ja sie ist meine Freundin. Wir sind jetzt ein halber Jahr zusammen. Läuft gut.“, antwortete Wayne.
Georges Frage hatte ihn ein wenig aus dem Konzept gebracht, denn „Läuft gut“ war wohl eine eher unpassende Beschreibung ihrer Beziehung. Wayne liebte Debby, daran bestand kein Zweifel; ihre rotblonden, gelockten Haare, die Sommersprossen, die sich neckisch über Nase und Wangen verteilten und das mädchenhafte Lachen, wenn sie sich über irgendetwas amüsierte, waren Dinge, die Wayne in dieser Form noch bei keiner anderen Frau in seinem Leben so nachhaltig beeindruckt hatten. Doch all das konnte auch furchtbar schnell verblassen, wenn Debby mit verquollenen Augen träge vor dem Fernseher lag und auf unappetitliche Weise Süßzeug in sich hineinstopfte; vor ihr standen dann meistens entweder ein voller Aschenbecher oder in selteneren Fällen die Überreste eines weißen Pulvers, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Backpulver aufwies.
„Das freut mich für dich“, sagte George.

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
kingkaiser
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 49
Beiträge: 123
Wohnort: Bonn


Beitrag05.02.2013 17:32

von kingkaiser
Antworten mit Zitat

Hi Wayne,

ich hab noch nicht die Gelegenheit umfangreiche Gedanken zu deinem Text zu machen (der mir aber grundsätzlich gut gefällt, ist spannend und ich habe Lust weiter zu lesen), aber was mich irgendwie enorm rausgerissen war die Sache mit dem Satellitentelefon und dem Netz:
"Netz" hat man doch nur bei einem normalen Handy, oder? Bei einem Satellitentelefon brauchst du stattdessen, nun ja, Verbindung zu einem Satelliten. Nennt man das dann auch: "Ich habe ein Netz bzw. kein Netz?". Gefühlsmäßig würde ich es besser finden wenn du von "Verbindung haben" schreiben würdest. Du siehst: Ab da sind meine Gedanken irgendwie abgeschweift, vielleicht vertue ich mich aber auch nur.


_________________
"Das Leben ist eine Krankheit, die tödlich endet."

ALF
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
tkunze
Geschlecht:männlichErklärbär
T


Beiträge: 2



T
Beitrag06.02.2013 00:37

von tkunze
Antworten mit Zitat

Hallo Wayne,

anbei ein paar Dinge die mich an dem Text gestört haben.

Anmerkung 1: Aus meiner Sicht zu viele Füllwörter die bei dem dynamischen Text den Fluss bremsen.

Zitat:

Sein schweißnasser Körper hing immer noch vorn übergebeugt, als Wayne erwachte und der Sicherheitsgurt schnürte sich schmerzhaft tief in seine Brust. Mit zittrigen Händen versuchte er den Gurt zu lösen, während sein Blick kurz zu Chuck schweifte. Chuck saß zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen in seinem Sitz. Als Wayne sich endlich befreit hatte, sah er, dass Chuck noch atmete ...

Die Szene ist dynamisch und ich finde die vielen Füllwörter bremsen den Fluss. Habe hier einmal gekürzt und auf die schnelle folgenden Vorschlag:

Sein schweißnasser Körper hing vorn übergebeugt, als Wayne erwachte. Der Sicherheitsgurt schnürte sich schmerzhaft in seine Brust. Seine Hände zitterten, während er versuchte ihn zu lösen.

Dann macht er sich Sorgen um seinen Begleiter. Davon spüre ich aber nichts, da es einfach heruntererzählt wird. Ein einfaches Mittel wäre hier eine Frage einzustreuen.

Plötzlich kam ihm sein Freund in den Sinn. "Hey, Chuck?" Warum antwortete er nicht?

Anmerkung 2: Zu viel Information in einem Satz

Zitat:

Der Rotor, der so schwer vor sich hin gearbeitet hatte, war vollends abgebrochen und davor erstreckte sich der Sand


Diesen Satz habe ich mehrfach lesen müssen. Die Aussage ist dass der Rotor abgebrochen war. Das "davor erstreckte sich der Sand" wirkt hier deplaziert. Aus meiner Sicht ist es kritisch zwei unterschiedliche Gedankengänge/Beobachtungen in einen Satz zu packen. Wenn die Info hier schon rein muss dann in zwei Sätze packen.

Anmerkung 3:


Dialog: (auf Dialogtext gekürzt)
„Chuck, geht´s ihnen gut?“,
„Ich glaube schon.“,

Ein Dialog wie im richtigen Leben. Hat daher aus meiner Sicht nichts in einem Roman verloren.

Wenn Chuck antworten würde: "Seh ich so aus?" oder etwas ähnliches wäre zumindest ein wenig mehr Würze darin.

Dialog: (auf Dialogtext gekürzt)
„Sind wir etwa im Kreis gelaufen?“,
„Sieht wohl so aus.“,
“wenn man auf offenem Gelände keinen Orientierungspunkt hat, neigt der Mensch dazu einen Rechtsdrall einzuschlagen.“
„Aha.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Es wird bald dunkel“,

So wie jedes Kapitel oder sogar jede Szene sollte auch jeder Dialog einen Konflikt enthalten. Das fehlt in der Abfolge oben. Auch hier könnte Chuck in der Antwort auf Konfrontation gehen z.B.: "Seh ich aus wie ein Pfadfinder?" oder irgendetwas in der Art.

Die Anmerkungen sind meine subjektive Meinung. Aber oben angemerktes erschwert mir das Lesen des Textes. Ich denke er hat an vielen Stellen noch Potential gestrafft und geschliffen zu werden.

In der jetzigen Form fällt es mir persönlich schwer ihn von vorne bis hinten durchzulesen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Stift
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
S

Alter: 65
Beiträge: 29
Wohnort: An der Saale hellem Strande


S
Beitrag06.02.2013 14:11

von Stift
Antworten mit Zitat

Hallo Wayne,

da scheint ja jede Menge drin zu stecken in deiner Geschichte. Die beiden haben ein aktuelles Problem mit dem Absturz, eine außergewöhnliche Zweisamkeit, die die Männer auf sich zurückwirft und jede Menge Altlasten, die du gekonnt einstreust und damit neugierig macht.

Schade nur, dass du den Text mit einer Unmenge Adjektive unnötig aufblähst. Ich habe es probiert, habe einfach alle - ich meine wirklich alle -Adjektive überlesen. Was soll ich sagen, der Text funktionierte immer noch, eher besser. Erstens war er straffer und zweitens wurde meine Fantasie angesprochen. Und genau das möchte ich als Leser.

Noch eine Kleinigkeit, die aber vielleicht einen Hintergrund hat, den ich nicht kenne. Die beiden Männer siezen sich. Das deutet auf Distanz. Und dann fragt der eine den anderen nach der Fehlgeburt seiner Frau. Das ist normalerweise kein Thema, das man mit einem Menschen bespricht, den man mit Sie anspricht. Oder Chuck hat Informationen über Waynes Privatleben, die er nicht von ihm selber hat und spielt sie an dieser Stelle aus. Dazu würde mir allerdings ein Motiv auf der einen Seite und zumindest Verwunderung auf der anderen Seite fehlen.

Jedenfalls bin ich gespannt auf die Fortsetzung.

Gruß Dagmar
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
wayne
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
W


Beiträge: 47



W
Beitrag11.02.2013 23:09

von wayne
pdf-Datei Antworten mit Zitat

danke für eure antworten bzw anregungen.

geb euch recht, dass der text vielleicht ein bisschen aufgebläht ist und werde versuchen ein paar adjektive (von allen kann ich mich vielleicht nicht trennen) zu entfernen. dann wirkt der text wirklich straffer.

bis dahin arbeite ich weiter an der geschichte. die rohfassung ist soweit mal fertig, sie muss nur noch zu papier gebracht werden wink

mfg,
wayne
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Agenten, Verlage und Verleger
Welches Kapitel vom Liebesroman für ...
von MiaMariaMia
MiaMariaMia Agenten, Verlage und Verleger 23 02.04.2024 09:00 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Jesus in der Wüste
von Peter Hort
Peter Hort Werkstatt 5 18.03.2024 15:10 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Testleserbörse
Biete und suche Testleser: Doppelgän...
von Grim
Grim Testleserbörse 3 20.01.2024 15:38 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Trash
Erstickende Clowns [i.B./Kapitel IV]
von Pathetisch3000
Pathetisch3000 Trash 9 11.01.2024 10:42 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Low Budget Gene Kids Kapitel 1
von Rike Charlotte
Rike Charlotte Werkstatt 2 28.12.2023 19:32 Letzten Beitrag anzeigen

EmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungBuch

von Boro

von nicolailevin

von Beobachter

von Papagena

von schollek

von Jenni

von Biggi

von fancy

von MT

von fancy

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!