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Wenn die Gerichtsvollzieherin dreimal klingelt


 
 
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sinuhe
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 62
Beiträge: 68
Wohnort: Rheinland


Beitrag01.02.2013 21:03
Wenn die Gerichtsvollzieherin dreimal klingelt
von sinuhe
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Wenn die Gerichtsvollzieherin dreimal klingelt

PALONG … PALONG …
»Was ist das für ein komisches Gebimmel?«, brummte ich verpennt.
»Weiß nicht. Noch nie gehört«, nuschelte Manu und drehte sich auf die andere Seite.
PALONG … PALONG …
»Da, schon wieder.« So langsam erwachte ich und spürte einen bohrenden Schmerz in meinem Kopf.
»Keine Ahnung. Vielleicht der Wecker vom blöden Nachbarn. Der steht immer in aller Herrgottsfrühe auf und nervt entsetzlich.«
»Im Leben nicht.«
»Könnte eventuell die Klingel sein«, wisperte sie schlaftrunken.  
»Du wirst doch die Geräusche in deiner Wohnung kennen?«
»Wozu? Wenn ich bei mir rein will, habe ich einen Schlüssel. Ich drücke nie auf die Klingel.«
PALONG … PALONG …
»Du solltest nachschauen, wer dich so dringend sehen möchte.«
»Warum? Ich erwarte niemanden.«
»Und wenn es wichtig ist?«
»Was kann wichtiger sein, als morgens auszuschlafen? Ich bin total erschöpft, nachdem wir die ganze Nacht gevögelt haben.«
»Deine Ruhe ist echt beneidenswert. Könnte man beinahe schon als völliges Desinteresse bezeichnen.«
»Dann geh du doch hin, wenn du so neugierig bist. Und jetzt lass mich in Frieden!«

Missmutig glitt ich vom Bett auf den flauschigen Teppichboden in Manus Schlafzimmer und rieb mir die pochenden Schläfen. Ich hätte am gestrigen Abend weniger trinken sollen. Es war immer dasselbe Spiel, wenn ich sie besuchte. Anfangs nahm ich mir vor, vorsichtig zu sein und brachte einen Sixpack Karlskrone für uns beide mit, den ich vorher beim Discounter bei mir an der Ecke gekauft hatte.
»Bäh, was ist das für eine eklige Plörre. Die kannst du getrost alleine saufen. Diese Brühe willst du mir doch nicht allen Ernstes anbieten?«, fauchte sie und warf wutentbrannt eine Plastikflasche gegen die Küchenwand.
»Du hattest am Telefon gesagt, dass du heute Abend clean bleiben möchtest.«
»Am Telefon gesagt … gesagt«, äffte sie mich nach. »Das ist Stunden her. Nachmittags hatte ich keinen Durst. Jetzt aber schon. Das ist doch nicht so schwer zu begreifen, oder doch?«
»Okay, hab’s verstanden. Dann gehe ich gleich zum Supermarkt und besorge dir eine Flasche Weißwein.«
»Der hat bereits geschlossen. Ich lebe außerhalb der Stadt. Und nicht bequem wie du im Zentrum. Wo du bloß vom Sofa runterzuplumpsen brauchst, um in den Kiosk im Erdgeschoss hineinzufallen. Hier musst du nach achtzehn Uhr laufen. Und zwar bis zur Tankstelle. Bist selbst Schuld. Wärst du halt weniger geizig gewesen und hättest direkt an den Soave gedacht.« Sie schaute mich spöttisch an.
»Schon gut. Dann unternehme ich jetzt einen kleinen Spaziergang.«
»Bummele aber nicht unnötig rum und bring vorsichtshalber zwei Pullen mit. Die Abende mit dir dauern erfahrungsgemäß lang. Da ist es vernünftig, wenn ich genügend Vorrat im Haus habe.«
Da ich Manu gut kannte, packte ich im ESSO-Shop drei Flaschen Frascati und für mich zusätzlich vier Dosen Holsten ein, legte einen Fünfzig-Euro-Schein auf die Theke, registrierte erstaunt, wie wenig Geld ich zurückerhielt und ärgerte mich über die hohen Preise für Alkoholika auf dem platten Land.
Das muss aber für heute ausreichen, raunte der lästige Mahner mir zu.
Werde mich drum bemühen, beschwichtigte ich ihn.

Kurz vor Mitternacht befand ich mich erneut auf dem Weg zur Tankstelle. Dieses Mal mit ordentlicher Schlagseite, weshalb sich der Marsch in die Länge zog wie ein ausgelutschter Zimtkaugummi. Mit Kindergetränken wie Bier und Wein hielt ich mich gar nicht erst auf, sondern angelte mir stattdessen zwei Moskovskaya aus dem Regal. Zum Eintippen der Geheimzahl meiner EC-Karte fühlte ich mich nicht mehr imstande. Also blätterte ich wiederum einen Schein auf den leicht verklebten Tresen.
»Es reicht nicht«, lächelte der pickelübersäte Kassierer.
»Was??? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Das sind zwanzig Piepen für zwei Pullen billigen Fusel.«
»Dann müssen Sie halt woanders nachtanken. Die ARAL liegt nur drei Kilometer von hier entfernt. Für Sie sicherlich ein Kinderspiel.« Der Kerl feixte über seine eigene Bemerkung, die er wahrscheinlich als geistreich empfand. Du dummer Bauerntölpel kannst nichts für deine Blödheit, denn die ist dir angeboren, überlegte ich und zählte schweren Herzens acht weitere Euro in seine gierig ausgestreckte Hand.
 
Du bist verrückt und willst dich heute Nacht umbringen, ermahnte mich das nervöse Gewissen.
Lass mich in Ruhe! Mir stand der Sinn nicht nach einer langweiligen Predigt.
Keinen blassen Dunst, wie ich zurück zu Manu gelangt war. Konnte mich schwach daran erinnern, dass ich am Rande eines abgeernteten Feldes eine kurze Rast einlegte und dort den Schnaps testete. Auf jeden Fall schimpfte sie mit mir, weil ich so getrödelt hatte und schwor hoch und heilig, dass sie sich in Zukunft nie mehr mit mir verabreden würde. Sie kenne genügend andere Idioten. Da bräuchte sie sich nicht noch mit einem armen Tropf wie mir rumzuärgern. Kurz darauf setzte mein Erinnerungsvermögen aus.

Und nun hatte sie gerade was von ausgiebigem Vögeln gemurmelt. Dazu war es also doch noch gekommen? Was nützte mir jedoch der beste Sex, wenn ich mich am Morgen danach nicht mehr an ihn erinnern konnte?
»Welch ein Elend mit diesem Miststück«, fluchte ich.
»Was meinten Sie?« Vor mir stand eine adrett gekleidete vierzigjährige Frau in kurzem grauen Rock, dunkelblauem Blazer und balancierte auf hohen Pumps. Sorgfältig zurechtgemachte Frisur, professionelles Make-up. Aus dem Bauch heraus tippte ich auf ambulante Kosmetikverkäuferin. Ich taxierte sie mit müden Augen auf einssiebzig und sechsundfünfzig Kilogramm. An und für sich mein Beuteschema, wenn ich mich an diesem Morgen nicht dermaßen zerschlagen gefühlt hätte.
»Meine Verlobte liegt noch im Bett. Sie ist heute nicht ganz auf der Höhe. Wenn Sie freundlicherweise nächste Woche vorbeikommen möchten. Ihren Katalog können Sie natürlich dalassen. Sie meldet sich dann bei Ihnen, sobald sie sich das Passende ausgesucht hat.« Ich nickte ihr aufmunternd zu und war im Begriff, die Tür wieder zu schließen.
»Ich vermute, hier liegt ein Missverständnis vor«, unterbrach sie mich.
»Sie suchen jemand anderen?«
»Nein. Ich befinde mich schon an der richtigen Haustür. Bin auch nicht zum ersten Mal hier.« Die Dame tippte mit dem Finger auf das Namensschild, das unter der Schelle angebracht war.
»Was wollen Sie denn von Frau Olejnik?«
»Gestatten Sie, dass ich mich kurz vorstelle: Marion Wagenknecht. Gerichtsvollzieherin in diesem Bezirk. Wahrscheinlich ist es sinnvoll, wenn Sie mich kurz herein lassen, damit wir kein unnötiges Aufsehen bei den Nachbarn erregen.« Sie warf mir einen verschwörerischen Blick zu.
»Weiß nicht.« Ich kratzte mich unschlüssig am Ohr.
»Ist es Ihnen vielleicht lieber, wenn ich nachher in Begleitung der Polizei zurückkehre?«
»Schon gut. Sie haben mich überzeugt. Warten Sie bitte einen Moment im Wohnzimmer. Ich schaue nach Frau Olejnik. Die ist heute nicht so gut drauf. Hat sich gestern eine eklige Erkältung eingefangen.«
Frau Wagenknecht machte es sich auf der roten Ledercouch bequem, nicht ohne vorher einen prüfenden Blick auf das Möbel zu werfen.
Wahrscheinlich befürchtet sie, sich in ein benutztes Kondom zu setzen, ging es mir durch den Kopf, während ich eilig die leeren Dosen und Flaschen mit dem Fuß aus dem Raum kegelte.

»Manu, steh auf! Draußen hockt Frau Wagenknecht  und wartet auf dich.« Ich riss die Vorhänge zur Seite, und helles Tageslicht durchflutete das Schlafzimmer.
»Wer soll das sein? Noch nie gehört. Wer hat dir übrigens erlaubt, wildfremde Leute in meine Wohnung reinzulassen?«
»Sie arbeitet als Gerichtsvollzieherin in dieser Gegend und sagt, dass ihr euch bereits kennengelernt habt.«
»Die gottverdammte Schlampe? Auf die habe ich Null Bock. Richte ihr aus, dass sie sich zum Teufel scheren soll.«
»Ich hatte bereits angeregt, dass sie ein anderes Mal wiederkommt. Sie meinte daraufhin, das würde sie tun. Allerdings schon heute Nachmittag und in Begleitung der Polizei.«
»Mit den Bullen? Das muss nicht sein. Die waren vorgestern Abend schon hier.«
»Weshalb?«
»Wegen Ruhestörung. Ich hatte die Musik ein bisschen zu laut aufgedreht. Meine Nachbarn sind empfindlich. Morgen werde ich Kopfhörer kaufen.«
»Manu, was geschieht nun mit der Dame auf deinem Sofa?«
 Ich rede mit der nervigen Alten und erkläre ihr, dass wir die Unterhaltung auf nächste Woche verschieben. Dafür wird sie sicher Verständnis aufbringen.«
»Es ist deine Gerichtsvollzieherin, nicht meine.«

Manu begleitete mich leicht torkelnd ins Wohnzimmer, drehte einen Stuhl um und grätschte breitbeinig gegenüber von Frau Wagenknecht, während sie die Arme auf der Lehne verschränkte. Die Gerichtsvollzieherin schaute einen kurzen Moment lang irritiert, da Manu in der Eile des Aufstehens vergessen hatte, sich was anzuziehen. Daraufhin räusperte sie sich und kam sofort zur Sache: »Frau Olejnik, ich statte Ihnen heute bereits den fünften Besuch ab, werde jedes Mal vertröstet und verliere so langsam die Geduld mit Ihnen.«
»Das kann ich voll und ganz verstehen«, flötete Manu ohne vor Scham zu erröten.
»Wie sieht es also aus: sind Sie willens, eine erste Rate zu zahlen?« Frau Wagenknecht breitete rund ein Dutzend Mahnbescheide und Pfändungsbeschlüsse auf dem Tisch aus.
»Worum handelt es sich?«
»Am meisten drängt Ihre Krankenkasse. Da stehen mittlerweile knapp dreitausend Euro aus.«
»Und wie viel müsste ich davon heute begleichen?«
»Mit fünfhundert wäre ich fürs Erste zufrieden.«
»Das ist höllenmäßig viel Geld für eine miserabel verdienende Frau wie mich.«
»Alternativ können Sie eine eidesstattliche Versicherung ablegen. Dann hätten Sie für drei Jahre Ruhe vor mir, und ich bräuchte hier nicht mehr zu klingeln. In der Zeit ließe sich prima ein Insolvenzplan aufstellen. Damit Sie in Zukunft monatlich geregelte Raten überweisen.«  
»Eidesstattliche Versicherung, Insolvenzplan: sind Sie noch bei Trost? Das werde ich nie und nimmer tun. Eher lasse ich mich einsperren. Eine Krankenversicherung brauche ich ohnehin nicht. Ich fühle mich pudelgesund.«
»Ob sie eine Police benötigen oder nicht, steht hier nicht zur Debatte. Es handelt sich um jahrelange Schulden, für die gerichtliche Mahnbescheide existieren. Also gibt also heute nur die zwei Möglichkeiten der Ratenzahlung oder eben die EV. Es liegt bei Ihnen, wofür Sie sich jetzt entscheiden.«
 
»Manu, sei vernünftig! Eine Vorführung durch die Polizei wirst du doch nicht wollen«, gab ich zu bedenken.
»Du hast leicht reden, Herr Oberschlaumeier. Dann leg du doch die fünfhundert Piepen für mich auf den Tisch. So eine Geste stünde dir ohnehin gut zu Gesicht. Frisst und säufst dich seit Monaten auf meine Kosten durch. Kein Wunder, dass ich komplett verarmt bin.«
»Das ist eine Menge Holz.«
»Können Sie nicht ihn statt meiner mitnehmen? Der Kerl ist ein übler Schmarotzer und selber bis über beide Ohren verschuldet. Dann hätten sie zumindest einen, der Ihnen heute Nachmittag in Ihrem Büro Gesellschaft leistet.«
»Ich schlage vor, dass Sie kurz bilateral diskutieren, wie wir das kleine Problem lösen.« Frau Wagenknecht trommelte ungeduldig auf ihre Uhr, um anzudeuten, dass ihre Zeit nicht endlos war.
Manu verstand den Hinweis und schwankte ins Schlafzimmer.

»Herr …?«
»… Keller.«
»Herr Keller, wenn Sie bitte Ihrer Verlobten erklären könnten, sich einen Bademantel überzuwerfen. Freier Oberkörper und ungeduscht wie Sie ist okay für mich; aber völlig nackt und neben der Spur wie Frau Olejnik ist dann doch einen Deut zu heftig.«
»Der Drecksack ist überhaupt nicht mein Verlobter. Kommt hier einzig aus dem Grund vorbei, meinen Kühlschrank leerzutrinken und mit mir zu vögeln«, rief Manu aus dem Nachbarraum. Ich zuckte mit den Schultern und Frau Wagenknecht blickte peinlich berührt nach oben an die Decke.

Mit der dunklen Vorahnung, dass der Schwarze Peter an mir kleben bleiben würde, schlurfte ich Manu hinterher, um die unangenehme Angelegenheit mit ihr zu bereden.
»Was ist nun? Hilfst du mir aus der Bredouille oder nicht?« Sie zerrte an meinen Schultern und zerkratze mir die Oberarme.
»Äh, gerne tue ich es nicht. Denn die Kohle fehlt mir dann nächste Woche, um meinen Gerichtsvollzieher zu bezahlen.«
»Bis dahin fließt noch viel Wasser den Rhein hinunter. Dir wird schon was einfallen, wie du den Blutsauger besänftigst. Bist doch immer sehr erfindungsreich, wenn es um Ausflüchte geht.«
»Okay, ich spring dir bei.«
»Tim, du bist ein Schatz. Habe ich doch gleich gewusst, dass du ein großes Herz besitzt.«
»Du musst dich aber die nächsten zwanzig Minuten alleine mit Frau Wagenknecht unterhalten. Ich marschiere jetzt zum nächsten Geldautomaten; das dauert eine Weile. Und zieh dir was an. Die Dame ist nervös, weil du komplett nackt durch die Wohnung turnst.«
»Die soll sich nicht so spießig anstellen. Ist ohnehin eine Lesbe. Habe ich sofort geschnallt.«
»Dann müsstest du ihr eigentlich gefallen; oder?«
»Ich bin der zu hübsch und feminin. Die steht eher auf muskulöse Mannweiber.«
»Aha.«

Als ich zurückkehrte, war Manu gerade damit beschäftigt, sich die Nägel zu lackieren und Frau Wagenknecht telefonierte. Ich blätterte fünf Riesen auf den Wohnzimmertisch, ließ mir von der Gerichtsvollzieherin eine Quittung aushändigen und steckte die in meine Hosentasche.  
»Ich komme dann in vierzehn Tagen wieder, um die nächste Rate zu kassieren.«
»Aber bitte nicht so zeitig wie heute.« Manu wirkte erholt und wurde deshalb vorlaut.
»Es war zwölf Uhr, als ich bei Ihnen klingelte. Von früh kann also keine Rede sein.«
»Ich hatte gestern eine harte Nacht«, erklärte Manu und schlug die Tür hinter Frau Wagenknecht zu.
»Endlich ist die dusselige Kuh weg. Die verpestete mit ihrem billigen Parfüm meine schöne Wohnung.«

»Ich fahre jetzt nach Hause.«
»Willst du nicht bei mir bleiben? Ich koche uns was Leckeres.«
»Was denn? In deiner Tiefkühltruhe herrscht gähnende Leere.«
»Na und? Dann gehst du halt vorher einkaufen. Oder ich bestelle uns was beim Chinesen.« Manu hatte sich wieder ausgezogen und stand nackt vor mir.
»Lass gut sein. Mein Schädel brummt noch von der Orgie gestern Nacht, und der Magen revoltiert beim bloßen Gedanken an feste Nahrung.«
»Dann trinken wir eben was auf den Schreck.«
»Ein anderes Mal. Nicht heute.«
»Du bist ein richtiger Schlappschwanz geworden, Tim. Dann rufe ich eben Ritchie an. Der wird mich sofort besuchen. Außerdem ist er nicht so knauserig wie du.«
»Dafür schlägt er dich, wenn er besoffen ist.«
»Mir wurscht. Ich will heute Abend nicht alleine sein. Wirst mich nachher sicherlich am Telefon anwinseln, ob du nicht doch bei mir im Bett schlafen darfst.«
»Für fünfhundert Euro kann ich auch eine ganze Nacht im Puff feiern.«
»Tust du eh nicht«, kicherte sie. »Bist du viel zu geizig für.«
»Ciao Manu. Ich mache mich jetzt auf den Weg. War ein netter Abend mit dir.«
»Wirst du wiederkommen?«
»Mal schau‘n. Auf jeden Fall nicht so bald.«
»Bin ich dir denn absolut egal?«
»Das nicht. Aber gemeinsam mit dir stürze ich immer ab. Das macht meine Bauchspeicheldrüse nicht mehr lange mit.«
»Bauchspeicheldrüse, papperlapapp. Scheiß drauf! Oder bist du etwa ein wehleidiger Hypochonder?«
»Zumindest hänge ich an meiner Gesundheit.«
»Als Alkoholiker. Mach dich doch nicht lächerlich.«
»Ich geh jetzt.« Ich küsste Manu zum Abschied auf den Mund.
»Spätestens übermorgen bist du wieder bei mir.«
»Woher willst du das so genau wissen?«
»Weil du mich liebst, Tim. Das spüre ich.«

In der S-Bahn, die vierzig Minuten von Manus ländlicher Idylle bis zum Hauptbahnhof benötigte, dachte ich nach. Was, wenn ihre Vermutung zutraf, und ich sie tatsächlich in mein Herz geschlossen hatte? Das durfte nicht sein. Zwei Säufer in einer Beziehung bedeutete dasselbe wie ein Todesurteil. Da konnte ich jetzt schon den Notarzt für meinen nächsten Besuch bei ihr reservieren. Ich beschloss spontan, mich nie mehr bei ihr zu melden. Zumindest nicht so schnell. Vielleicht in ein paar Wochen wieder. Besser erst in einigen Monaten. Erleichtert stieg ich an Gleis 7b aus dem Zug und spazierte durch den kleinen Park am Westufer des Flusses zurück in mein Apartment, in dem sich die Flaschen stapelten.

Dass ich noch am selben Abend bei Manu aufkreuzte – dafür konnte ich beim besten Willen nichts. Sie rief mich aufgeregt an und erklärte, dass ein Notfall vorläge. Blödmann Ritchie würde pöbeln und randalieren. Da wäre ihr ein geiziger – jedoch harmloser – Typ wie ich in der Wohnung allemal lieber als der betrunkene Hooligan. Ich könnte gerne bei ihr übernachten, müsste allerdings vorher dafür Sorge tragen, dass ich den Krawallmacher aus dem Haus komplimentierte. Das aber ist eine neue Geschichte, die ich gerne ein anderes Mal erzählen werde.



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Beim Schreiben ist es wie mit der Prostitution. Zuerst macht man es aus Liebe, dann für ein paar Freunde und schließlich für Geld. (Molière)
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madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag02.02.2013 14:18

von madrilena
Antworten mit Zitat

Hallo Sinuhe - bei der Geschichte frag ich mich ernstlich, ob es der gleiche Verfasser ist, den ich in dem anderen Text vom Winter 43 kennen gelernt habe.
Als selbständige Geschichte wäre es mir zu wenig. Kurzgeschichte ist es auch nicht. Da fehlt die Pointe. Als Roman? Na ja...
Die Gerichtsvollzieherin verlangt m.M.n. noch mehr Aufmerksamkeit. Eigentlich wirklich gefallen hat mir der Text nicht - er geht zu ausführlich mit der ganzen Beschreibung des gestrigen Abends um, zu sehr auf die Alkoholexzesse ein und bringt die Manu zu negativ rüber, sowohl sprachlich als auch charakterlich. Allerdings gebe ich zu, dass der Ton sehr gut getroffen ist, d.h. die Sprache  passt zum Milieu.
Soll die Geschichte weitergehen?
LG madrilena


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sinuhe
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 62
Beiträge: 68
Wohnort: Rheinland


Beitrag02.02.2013 15:12

von sinuhe
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Madrilena,

du hast dich in die Welt der Säufer hineingewagt. In der es etwas anders zugeht als im „normalen“ bürgerlichen Leben.

Zitat:
     bei der Geschichte frag ich mich ernstlich, ob es der gleiche Verfasser ist, den ich in dem anderen Text vom Winter 43 kennen gelernt habe.   

Ein und derselbe Autor. Mit den Trinkerstories habe ich vor einigen Jahren begonnen, bevor ich zu Kindergeschichten und (seit kurzem) Historie wechselte.

Zitat:
    Als selbständige Geschichte wäre es mir zu wenig. Kurzgeschichte ist es auch nicht. Da fehlt die Pointe. Als Roman? Na ja...   

Soll die Geschichte weitergehen?
 

Es handelt sich um eine – bunt zusammengewürfelte – Serie von Trinkergeschichten. Manche bilden Solitäre, andere wiederum sind miteinander verzahnt. Einige spielen „draußen“ (wie bspw. die vorliegende in Manus Wohnung), viele sind jedoch innerhalb der Mauern der klinischen Psychiatrie angesiedelt.

Die Darsteller sind auf ein knappes Dutzend begrenzt. In jeder Geschichte mit an Bord ist Tim, da er als Erzähler fungiert. Manu stellt eine seiner Freundinnen dar, der er hin u. wieder begegnet.

Kurzgeschichte: ob die immer in sich abgeschlossen sein bzw. eine Pointe enthalten muss, weiß ich nicht. Scheint mir ein deutscher Blickwinkel auf diese Erzählgattung zu sein. Ich kenne zahlreiche Short Stories aus dem angelsächsischen Raum, die ohne geistreiche Bemerkung am Schluss auskommen. Schlichtweg eine Szene schildern ohne mit einem Bonmot oder gar einer Lebensweisheit zu enden.

Zur „Fortsetzung“ dieses kleinen Aufgalopps existiert ein längeres Kapitel im Hauptroman, in dem Tim dem pöbelnden Ritchie begegnet, der im Anschluss an eine heftige Auseinandersetzung mit zugedröhntem Kopf vom Balkon springt.

Wenn man so will, bildet die morgendliche Szene mit der Gerichtsvollzieherin die Ouvertüre für den abendlichen Hauptteil.
Zitat:
     Die Gerichtsvollzieherin verlangt m.M.n. noch mehr Aufmerksamkeit.   

Das ist ein wichtiger Hinweis. Fr. Wagenknecht habe ich also zu blass, konturlos gezeichnet. Vermute, du zielst nicht so sehr auf ihr Äußeres, sondern eher auf fehlenden Dialog in dieser Sequenz. Muss ich überlegen, welche zusätzlichen Sätze ich der Dame in den Mund legen könnte.

Zitat:
    Eigentlich wirklich gefallen hat mir der Text nicht - er geht zu ausführlich mit der ganzen Beschreibung des gestrigen Abends um, zu sehr auf die Alkoholexzesse ein   

Die Geschmäcker in Punkto Literatur sind eben (stark) unterschiedlich ausgeprägt. Ist ja bei Musik und Gemälden genauso.

Von daher weiß ich nun, dass du nicht der Zielgruppe für einen Säuferroman angehörst.

Zitat:
  und bringt die Manu zu negativ rüber, sowohl sprachlich als auch charakterlich.     

Sie ist Trinkerin, die an diesem “frühen” Morgen:
( ) erschöpft ist
( ) keinen Nachschub im Haus hat
( ) unliebsamen Besuch erhält.

Ich habe sie zahm formulieren lassen. In Ü18 würde sie sich plakativer artikulieren.

Zitat:
     die Sprache passt zum Milieu.   

Na immerhin. Zumindest den Pflichtteil habe ich hinbekommen. An der Kür werde ich weiter basteln.


Madrilena, vielen Dank für deine kurze (und prägnante) Einschätzung der Geschichte. Werde darüber nachdenken, ob u. wo ich evtl Veränderungen und/ oder Ergänzungen vornehme.

Lg sinuhe


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