Lichter am Fluss

[versgerber]

Wir tragen den Sommer schon auf der Haut,
die leichten Hemden
mit Kaffeeflecken aus der Weinmeisterstraße.

Abends verschanzen wir uns wieder auf den Terassen,
auf den Hügeln über der Stadt.
Wir schreiben offene Briefe, zünden sie an und rollen sie
als Molotow - Flaschenpost die abschüssigen Straßen hinab,
aufgetaute Wut,
wer sie findet kann uns etwas Geld zurück schicken
mit viel Schwung den Hügel hinauf.

Wenn wir uns geschmeichelt genug fühlen,
schwappen wir selbst hinunter,
die gleichen abschüssigen Straßen entlang,
mit der Nacht durch die Stadt.
Dann sind wir Getriebene,
lassen uns von Wellen tragen,
in die verrauchten Bars und lauten Clubs schleudern,
um auf den Moment zu warten, an dem wir wieder gehen  
und alle andern Feinde werden.

Dann ist Berlin ein Meer
Inseln Sommerregen auf Asphalt,
die schönen Mädchen an offenen Fenstern,
der Fliederbusch hinter dem Haus
und das Verlangen zu stranden.

[Enfant Terrible]

So trashig finde ich dieses - im Übrigen gelungene! - Gedicht gar nicht. Es beschreibt die typischen Vorgänge mit Augenzwinkern bzw leichter Ironie, man merkt jedoch, dass Denken dahinter steckt. Eine ebenso utnerhaltsame wie kritische kleine Gesellschaftsstudie, die sich nicht zu verstecken braucht.

[versgerber]

Hallo, vielen Dank für deinen Eindruck.
So trashig hab ichs auch nicht gemeint, aber es ist auf jeden fall fertig, daher gehörts nicht in die Schmiede und  im richtigen Bord weinen die Autoren zur Zeit irgendwie immer gleich ganz doll, wenn was schlechtes gesagt wird und sind ganz intellektuell.
Und da das hier nicht so intellektuell, aber fertig ist und ich das Trashboard allgemein gar nicht unbedingt so trashig finde, passt das ganz gut.
Auch hier freut es mich, wenns jemand liest und vielleicht ein bisschen "ja so in etwa" denkt.

Gruß

[versgerber]

Lichter am Fluss II

Die Spree hat immer noch nicht aufgehört zu fließen
und an ihren Ufern
fallen die Betrunkenen von Bordsteinkanten.

Unter der Oberbaumbrücke
soll ein Ballsaal sein -
voll schöner Mädchen in langen Kleidern,
goldenen Kronleuchtern, Tänzen zur langsamen Musik
und mit Fischen vor den Fenstern.

Davor husten wir uns gegenseitig
den Teer der Nacht in die geöffneten Münder
und versuchen uns die getrockneten Flecken
vom Hemdkragen zu reiben.

Ein Schritt nach drinnen
und wir rutschen auf schrägem Boden durch den Saal
bis unsere Köpfe an den Tresen schlagen
und uns teure Bierflaschen auf den Krawatten stehen.

Rückenfreie Kleider wirbeln in der Luft.
Das ist nicht unsere Feier,
es war nie unser Glanz.

[Mr. Curiosity]

Was ich an deinen Texten sehr mag sind diese Zeilen, die einem einfach im Gedächtnis bleiben.

[versgerber]

[Mr. Curiosity]

[versgerber]

Lichter am Fluss III

Wir sind dazu übergegangen
uns mehr Geschichten anzuhören
von den alten Männern in den Ubahnschächten,
von denen viele einmal
eine große Idee gewesen sein wollen.

Wie der Frühsommerregen
dringen ihre Worte auf unsere Haut
und machen uns die Kleider schwerer.
Wir tragen sie in die Stadt hinaus
und werfen sie gegen Altbaufassaden – zurück
kommt allerlei Sonderbares

Spitzt eure Fingernägel
und kratzt das Gras von den Motorhauben,
sammelt Kronkorken aus Rauch
und dreht euch ihr Muster in die Haut
nur wer sich Regen in die Augen träufelt sieht
die Lichter am Fluss

wohl alles nur,
damit die Atemzüge hier
ein wenig tiefer werden
und der Sog der Ubahnschächte
aufhört an unseren Händen zu ziehen.

[versgerber]

Lichter am Fluss IV

Wir haben neue Wege gefunden -
auf die Dächer über der Stadt,
wo der Landwehrkanal nicht hinreicht,
um uns mit der letzten Schwäche
auch die letzte Ausrede
vom Hals zu spülen.

Zu unseren Füßen
hacken sich die baumlosen Alleen
durch Häusermeere und Nagelbetten
bis wir sie von unseren Knöcheln schlagen
mit Laternenmasten deren Lampen
komischerweise immer genau dann erlöschen,
wenn wir vorüber gehen.

Und weil der Rauch im Lichterkegel
nie versprochen hat,
dass es ihn im Dunkel nicht mehr gibt,
haben wir uns alle an den Händen gefasst,
sind an Regenrinnen getreten
und haben kurz geglaubt
in grünen Hinterhöfen wieder aufzuwachen.

[jim-knopf]

sehnsucht ist wie krieg führen in einem land
voller greise und wie frieden zwischen
den zeitaltern und das zeitalter beugt sich
unter mir

kreist

sehnsucht ist wie kreise malen kornkreise
auf brückenunterseiten sehn
sucht ist wie krieg und frieden
zur gleichen zeit am gleichen ort

sehnsucht ist wie krieg und frieden
zur selben zeit am selben ort

[jim-knopf]

sorry ... musste mal  

[versgerber]

fühle dich eingeladen.

[versgerber]

Lichter am Fluss V

Was rund ist wird rollen
- ob es nun will oder nicht – hast du gesagt
und dir den Kopf
an der Bordsteinkante angeschlagen.

Blut und Raureif in deinen Haaren -
und der glücklichste ist dieser Tage schon,
wer sich an der Lippe ein Streichholz anreißen kann,
um das anzuzünden, was
sich in den letzten hellen Momenten
unter unseren Fingernägeln gesammelt hat.

Dann stinkt das Zeug nicht beim Verfaulen
und macht keinen schlechten Eindruck – langsam
muss man schließlich irgendwo unterkommen.
(Eile ist geboten, denn)

bevor sich der erste Schnee
aus den Straßenlaternen erbricht,
müssen die Badehosen abgegeben sein.
Von den Garderobenmarken
ziehen wir Eiskristalle,
die uns als letzter Geruch
in der Nase hängen bleiben.

[versgerber]

Lichter am Fluss VI

Seht euch das alles noch einmal an:
die Straßen, die Stadt, den Fluss;
solange sie noch ein bisschen Farbe haben,
die sich zu dieser Stunde

mit dem Gefühl von Händen auf deiner Haut
auf den Friedhof der Märzgefallenen legt.

Bedenkt, dass alles was Ihr jetzt anfangt,
vorbei ist sobald die Tage heller werden.
Wir halten uns bereits zurück,
empfehlen den alten Frauen auf ihrer Straßenseite zu bleiben
und vergraben Bier und Zigarettenschachteln.

Eine Krähe macht noch keinen Winter sagen sie -
dann sind es wohl all die,
die nach der zweiten Ausschau halten und
auf ihre Weise Resümee ziehen:

Betrunken hauchen Freunde sich
ihre Versäumnisse auf die Fensterscheiben:
Deine einzigen Liebesgedichte
Für eine Stadt?

[jim-knopf]

[Patax]

Vielleicht sollten die guten Gedichte alle hier stehen, ich hab gerade nur das erste gelesen und das ist tatsächlich mal ein Gedicht und kein "lobmichichhabeinwichtigesgedichtgeschrieben"

[versgerber]

Hey Jim, schön, dass du noch da bist.

Danke fürs Lob Patax, hier stehen öfter mal spannende Sachen und man kann machen, was man will.

[versgerber]

Lichter am Fluss VII

Der Turm mit der großen Kugel
liegt hinter weißem Störbild.
Alle
sind sie weggezogen.

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