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madrilena
Klammeraffe

Alter: 88
Beiträge: 647



Beitrag02.10.2013 20:02

von madrilena
Antworten mit Zitat

Darf ich noch einmal das 27. Kapitel reinstellen, obgleich mittlerweile ja schon wesentlich mehr geschehen ist? Aber ich musste diese Selbstpsychologie, wo Lisa über ihre Kunst spricht und dass sie doch letztlich Philipp mit ihr verbunden hätte, rausmachen. So spricht man in einem solchen Augenblick nicht. Das muss einfach natürlicher, direkter rüberkommen. Vielleicht ist es mir jetzt besser gelungen. Danke für eventuelle feedbacks.
LG madrilena


27
Sie klopfte an Lukas Tür, wie sie es immer tat. Nicht nur aus Respekt ihrem Mann gegenüber, sie wollte einfach nicht ungefragt und jederzeit und so selbstverständlich seinen Raum betreten, auch wenn keine Antwort zu erwarten war. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Das Zimmer war von kalter Februarluft durchflutet, alle sonst geschlossenen Fenster standen weit offen, so, als ob Schwester Gertrud oder war es Elke von ihrem heute ganz besonderen Kommen gewusst hätten. Wegen der einströmenden Kälte schloss Lisa die Fenster, bevor sie an das Bett ihres Mannes trat.
„Lukas -“ sie beugte sich über die reglose Gestalt, strich übers Gesicht. Wie kalt sich seine Haut anfühlte! War es die Februarkälte, die im Zimmer herrschte oder ...? Zärtlich griff sie nach seiner Hand. Wo sollte sie nur anfangen, was sollte sie sagen? Sie entschloss sich für den ihr am meisten gerecht werdenden, den direkten Weg. Leise sprach sie auf ihn ein: „Lukas, bitte verzeih mir, aber ... es geht einfach nicht mehr anders. Ich kann nicht weiterleben mit dieser Lüge, Lüge dir, aber auch Philipp gegenüber“. Sie schluckte. 'Und wenn er sie hörte? Wenn er vielleicht sogar ein wenig von dem begriff, was sie ihm sagen wollte, sagen musste'? Immer die gleichen Fragen, immer die Unsicherheit, ohne zu wissen, noch nicht mal zu ahnen, ob er es irgendwo in seinem Inneren doch mitbekam?
„Lukas, Philipp ist hier. Ich habe manchmal versucht, dir von ihm zu erzählen. Du wirst dich nicht daran erinnern - du bist zu weit fort“!
Sie wandte sich um, Philipp war kreidebleich an der Tür stehen geblieben. Vielleicht empfand er ihren Blick als Aufforderung, zögernd machte er ein paar Schritte ins Zimmer hinein. Als er neben Lisa stand, stammelte er erregt: „Warum – warum hast du mir das so lange verschwiegen?“ Seine flüsternde Stimme brach, als könnte er keine Worte mehr finden.
Sie schaute ihn angsterfüllt an - würde er sie verstehen oder wäre ihr Schweigen in seinen Augen ein Vertrauensbruch?
„Warum? Ach Philipp. Da war der schreckliche Unfall und - und Caroline. Ich war nur noch hier, keine Sekunde wollte ich Lukas allein lassen. So viel Hoffnung, jeden Tag, jeden Tag. Irgendwann die Gewissheit - er wird nicht zurückkehren. Er lebt und er lebt nicht. Ich habe es nicht akzeptiert, ich wartete. Wochenlang, monatelang, jahrelang. Und dann - “ sie wischte sich mit dem Jackenärmel über die Augen, sprach leise weiter: „Dann lernte ich dich kennen. Vom ersten Augenblick an schwang etwas nicht wirklich Greifbares, aber  wunderbar Erregendes  zwischen uns. Es war viel  mehr als Sympathie - es war wie ein Ruf zurück ins Leben, in mein Leben. Ich habe mich dagegen gewehrt. Wie konnte ich an mich denken, da war doch Lukas! Mein Leben war nicht mehr wichtig. da war doch Lukas. Lukas, immer nur Lukas und natürlich Caroline. Bis ich spürte, das konnte es einfach nicht gewesen sein. Ich war ja nicht verunglückt. Ich atmete, fühlte, sehnte mich, hasste die einsamen Stunden, wollte - ja, ich wollte leben".
Sie spürte tröstlich Philipps Gegenwart und starrte gleichzeitig auf die fast reglose Gestalt von Lukas. Nur der Brustkorb hob und senkte sich in einem mechanischen Rhythmus.
Lisa schluckte, einen Augenblick war es ihr unmöglich, weiter zu sprechen. Nach einer kleinen Pause und einigen tiefen Atemzügen fuhr sie fort: „Plötzlich begriff ich, dass ich diese  Hoffnungslosigkeit nicht mehr ertragen konnte, nicht mehr aushalten wollte. Und da geschah das bisher Undenkbare: Ich begann, mich innerlich von meinem Mann zu trennen. Philipp - es war grauenhaft, denn da warst du, meine Sehnsucht nach Dir und da waren meine Schuldgefühle. Immer die anklagende Stimme in mir: Du verrätst Lukas. Er ist so wehrlos. Ich stand an seinem Bett, starrte auf den Menschen, der einst alles für mich gewesen war und ich sah nur noch einen Mann, ausgesetzt einer schrecklichen Hilflosigkeit, eingeschlossen in sein Nichtsein. Und trotzdem wusste, weiß ich bis heute nicht,  ob nicht doch noch Empfindungen da sind. Das macht mich fast wahnsinnig“.
Philipp antwortete nicht. Sie spürte, dass er versuchte, sie zu verstehen. Lisa wandte sich ab, ging ruhelos  im Zimmer hin und her. „Und mir wurde klar, dass ich sie überschreiten musste, die Grenze zwischen meiner sinnlosen Hoffnung und der Wirklichkeit. Dass ich mit dieser inneren Zerrissenheit nicht weiter leben konnte“.
Sie blieb am Fenster stehen, sah hinab auf die parkenden Autos, auf die wenigen Fußgänger, die um diese Zeit die Straße bevölkerten, und sah doch nichts. Philipp verstand sie kaum, als sie wieder anfing zu sprechen: „Und dann noch Caroline. Meine Gefühle für dich - nein, sie würde sie nie verstehen. Sie kann ja schon nicht akzeptieren, dass Lukas hier im Marienstift liegt, statt bei mir zu Hause.“
Es war, als erwachte Philipp aus der Starre, in die ihn die Gegenwart von Lukas versetzt hatte. „Aber das wäre doch Wahnsinn! Du könntest doch gar nicht so für deinen Mann da sein, wie er es braucht.“
„Philipp, was nutzen alle verstandesmäßigen Erklärungen? Nicht nur für mich, auch für Caroline ist eine Welt untergegangen - die Welt ihrer Kindheit, ihrer Jugend. Sie kann meinen Schritt einfach nicht verstehen.  Und wenn ich ihr jetzt auch noch von dir sprechen würde, hätte ich sie wahrscheinlich für immer verloren.“
Lisas Stimme hatte immer verzweifelter geklungen. „Aber das Schicksal kann doch von mir nicht verlangen, dass ich meine Gegenwart und Zukunft, meine Wünsche ans Leben ihretwegen aufgebe? Ich wusste einfach nicht, wie ich mich entscheiden sollte. Ich war hin und her gerissen zwischen meinen Empfindungen für dich, meinen Schuldgefühlen meinem Mann gegenüber und dem Verlangen Carolines, für alle beide da sein zu sollen!“ Sie schluchzte auf: „Für alle, nur nicht für mich.  Da bin ich zu dir gefahren. Und - ich  bereue es nicht,  auch hier am Bett von Lukas nicht.“
„Lisa, ich wusste nichts, gar nichts von dir. Nur dass ich vom ersten Augenblick unserer Begegnung an entdeckte, dass ich nach den langen, einsamen Jahren nach dem Tod meiner Frau doch wieder lieben konnte. Du hast es so schwer gehabt und ich habe nichts davon gewusst. Ja - vielleicht habe ich geahnt, dass du mir etwas dir unendlich Wichtiges verschweigst. Aber das,“ eine Handbewegung umfasste das Zimmer, das Bett, den reglosen Mann, die flackernden Schirme der Maschinen, „nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich war so glücklich darüber, dass du nach Konstanz gekommen warst - für mich der erste Schritt in eine Zukunft, die wir vielleicht doch haben könnten. Und jetzt?“
„Was meinst du mit ‘und jetzt’.“  Sie schwieg - was wollte er ihr sagen mit diesem „und jetzt“? Waren seine Gefühle für sie plötzlich erloschen? Konnte er ihre Situation nicht ertragen? Flüchtete er vor der Ungewissheit, vor der Zwiespältigkeit ihrer künftigen Beziehung? Einer Beziehung zwischen Liebe und Schuld.
Fast hätten sie das zaghafte Klopfen an der Tür überhört. Schwester Gertrud öffnete nur einen schmalen Spalt, streckte den Kopf herein und sagte aufgeregt: „Frau Lohmann, eben haben sie vom Empfang angerufen. Ihre Tochter wird gleich hier sein.“


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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madrilena
Klammeraffe

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Beitrag03.10.2013 17:19

von madrilena
Antworten mit Zitat

So, nun habe ich mein "Fett" abgekriegt. Und das ist manchmal eben wichtig und geschieht ja auch hier in den Foren.
Was los war? Wir hatten heute Schreibwerkstatt und da stellte ich dieses Kapitel vor und bekam sehr viel faire, aber vor allem berechtigte Kritik. Jetzt muss ich 26, 27 und 28 noch einmal neu angehen. Da muss man schon mal schlucken, wenn man selbst einfach überzeugt davon ist , JETZT ist es gut, jetzt gibt es nichts mehr zu ändern und dann einsieht, einsehen muss, he, so geht es aber nicht. Deshalb liebe ich Schreibwerkstätten - da sind Menschen, die man zwar schon lange kennt, wie unsere Gruppe 95 (gegründet 1995) , und doch sind wir alle nicht miteinander verwandt (was vielleicht Rücksicht auf den Plan rufen würde) und selbst wenn Freundschaften bestehen, bleibt die ehrliche Kritik. Und das finde ich einfach gut.
Also, an die Arbeit.
LG Hilde


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10:3934136303
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madrilena
Klammeraffe

Alter: 88
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Beitrag07.11.2013 14:40

von madrilena
Antworten mit Zitat

Jetzt habe ich das Kapitel, das moniert worden ist, in zwei geteilt. Es hat mir dann doch eingeleuchtet, dass man ein solches Gespräch nicht am Bett des Patienten führt. Also mal sehen, ob es so besser ist.
Immer dankbar für Kritik
madrilena

.... 27
Philipp stand drei Tage später vor ihrer Tür.
„Ich bin schon seit vorgestern in der Stadt, aber ich wusste nicht, was ich machen sollte. Wolltest du mich sehen? Warum dieser wortlose Abschied?  Ich stand ziemlich blöd ein paar Stunden später in der Pension Gretel“. Seine Stimme klang zwar leicht verärgert, dennoch hatte Lisa das Empfinden, dass auch ein gewisses fragendes Verständnis darin schwang.
„Das tut mir so Leid, Philipp. Ich konnte einfach nicht anders, dabei weiß ich gar nicht wirklich, warum ich so unvermittelt gegangen bin. Feigheit? Vielleicht. Angst dich zu verlieren? Vielleicht!“
„Aber wovor Angst - muss ich das jetzt verstehen?“
„Nein, aber du wirst es verstehen. Komm, wir gehen.“
„Und wohin?“ Widerstrebend sah er sie an.
„Vertrau mir, bitte! Es geht einfach nicht anders - bitte, komm einfach mit!“
Sie rief ein Taxi, sagte dem Taxifahrer als Adresse den Straßennamen und nicht das Stift … vielleicht um sich noch ein wenig Gnadenfrist zu gewähren, um den Augenblick der Wirklichkeit hinauszuzögern.
Sie wollte so gern nach Philipps Hand greifen, seine Wärme spüren. Und sagte sich gleichzeitig:  „Das darf ich jetzt nicht. Keine körperliche Nähe zu Philipp auf dem Weg zu Lukas.“ Und plötzlich das Gefühl einer alles überschwemmenden Panik, wenn sie sich die nächsten Minuten vorstellte. Eine abgrundtiefe Traurigkeit, die zu dem grauen, lichtlosen Tag passte.
Als der Taxifahrer sie absetzte, blickte Philipp sich suchend um. „Und jetzt? Was sollen wir hier“? Er steckte die Hände tief in seine Anoraktaschen. Gewiss nicht nur wegen der Kälte. Es bedeutete auch Abwehr, Unsicherheit. Durfte sie ihn wirklich so im Ungewissen lassen? ‘Ich weiß keinen anderen Weg - irgendwelche Erklärungen wären einfach zu armselig’.
Sie antwortete nicht, ging ihm nur voraus auf das Stift zu. Sie hörte seine fragende, zögernde Stimme: „Lisa...“, aber jetzt gab es kein Zurück mehr, sie verhielt nicht den Schritt, bemüht, die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Sie wusste, sie ging in diesem Augenblick entweder in eine Zukunft mit Philipp oder in das Ende ihrer Beziehung.
Im Marienstift begrüßte man sie wie immer sehr herzlich, während Philipp neugierig gemustert wurde. Er blieb stehen. „Lisa, was soll das? Warum sind wir hier? Erklär es mir endlich“.
Verzweifelt schaute sie ihn an: „Bitte Philipp, es ist der einzige Weg. Danach - danach wirst du verstehen, wirst dich entscheiden oder... einfach gehen.“
Widerstrebend folgte Philipp Lisa, als sie jetzt den Aufzug betrat und auf den Knopf des letzten Stockes drückte. Oben angekommen, gingen sie den mit Teppichboden ausgelegten Flur entlang, bis Lisa bei der Zimmernummer 17 stehenblieb.
Entschlossen klopfte sie, wie sie es immer tat, an Lukas Tür. Sie wollte nicht einfach jederzeit und ungefragt eintreten, auch wenn natürlich nie eine Antwort kam. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Das Zimmer war von kalter Februarluft durchflutet, alle sonst geschlossenen Fenster standen weit offen, so, als ob Schwester Gertrud oder war es Elke von ihrem heute ganz besonderen Kommen gewusst hätten. Wegen der einströmenden Kälte schloss Lisa die Fenster, dann wandte sie sich an Philipp, der kreidebleich an der Tür stehen geblieben war. „Philipp, das ist mein Mann.“
Philipp näherte sich dem Bett - starrte auf die reglose Gestalt, drehte sich um und verließ das Zimmer.










28
Lisa schaute ihm entsetzt hinterher, dann ging sie ihm nach. Er stand noch am Aufzug, schweigend trat sie neben ihn. Er vermied es, sie anzuschauen. Erst als sie in den Garten, der zum Stift gehörte,  hinaustraten, wandte er sich ihr zu. Seine Stimme klang nicht ärgerlich oder enttäuscht, nur unendlich traurig. „Lisa, warum - um Himmels Willen - warum hast du mir das so lange verschwiegen. Ich wollte nicht am Bett  deines Mannes sprechen, aber jetzt bitte, erklär es mir.“
„Warum? Ach Philipp. Da war vor fünf Jahren der schreckliche Unfall und der Kampf um sein Leben. Es gab nichts anderes, als bei ihm zu sein, keine Sekunde wollte ich Lukas allein lassen. So viel Hoffnung, jeden Tag - jeden Tag. Irgendwann die Gewissheit - er wird nicht zurückkehren. Er lebt und er lebt nicht. Ich habe es nicht akzeptiert, ich wartete. Wochenlang, monatelang, jahrelang. Bis ich aufgab, bis ich einsah, einsehen musste, dass unser gemeinsames Leben zerstört war - für immer. Ich suchte lange nach einem Ort, der ein Zuhause für ihn sein könnte. Ich selbst hatte weder die Kraft noch das Wissen, ihn nach Hause zu nehmen und so entschied ich mich für das Marienstift.“
Sie schwieg, wischte sich mit dem Ärmel ihres Mantels übers Gesicht - sie wollte jetzt nicht weinen. Als Philipp nichts sagte,  sprach sie leise weiter: „Aber das war ja nicht alles - da war noch Caroline. Sie konnte es lange nicht fassen, dass ihr Vater nicht mehr für sie da war. Sie hatten ein so inniges Verhältnis zueinander, immer war er für sie da gewesen. Und jetzt stand sie am Bett eines Mannes, der sie nicht mehr erkannte, mit dem sie nicht mehr sprechen konnte, der nicht mehr für sie erreichbar war. Nicht nur für mich, auch für sie war eine Welt untergegangen.“
Sie holte tief Luft, waren das nicht viel zu viel Erklärungen? Aber sie wollte doch, dass er sie verstand, dass er nachempfinden konnte, warum sie ihm ihre ganze Situation verschwiegen hatte. Sie gingen schweigend nebeneinander, sich nah und doch weit voneinander entfernt.
Sie fing wieder an zu sprechen: „Dennoch kam für mich der Augenblick, dass ich entschied, weiterleben zu wollen. Auch für mich gab es noch das Lachen und die Freude, gab es all das, was das tägliche Leben ausmacht.. Nur die vielen Zweifel, die konnte ich nicht zum Schweigen bringen. Dieses ständige Hinterfragen all meiner Wünsche. Durfte ich mich wirklich noch so wichtig nehmen? War es nicht meine Bestimmung, für Caroline da zu sein und ins Marienstift zu gehen. Ich hatte zwar meine Reisen wieder aufgenommen, aber immer begleitet von schlechtem Gewissen“.  
Sie blieb stehen, hob den Ball auf, der auf den Weg gerollt war, sah sich suchend um und warf ihn dem kleinen Jungen zu, der auf sie zugerannt kam.
Plötzlich spürte sie, wie Philipp nach ihrem Arm griff. Das gab ihr Mut, weiter zu sprechen: “Und dann lernte ich dich kennen. Weißt du noch, damals vor der Spanienreise? Vom ersten Augenblick an schwang etwas  zwischen uns, das viel mehr war als Sympathie. - es war wie ein Ruf zurück ins Leben, in mein Leben. Ich habe mich dagegen gewehrt. Wie konnte ich an mich denken, da war doch Lukas! Vor allem aber auch noch Caroline. Vor einiger Zeit hat sie erfahren, dass ich Lukas hätte nach Hause holen können - seither existiere ich für sie nicht mehr. Sie kann es einfach nicht verstehen, dass ich nicht 24 Stunden am Tag für ihn da bin.“
Es war, als erwachte Philipp aus der Starre, in die ihn das Wissen um Lukas versetzt hatte. „Aber das wäre doch Wahnsinn! Du könntest doch gar nicht so für deinen Mann da sein, wie er es braucht.“
Mit mutloser Stimme antwortete sie: „Philipp, was nutzen alle verstandesmäßigen Erklärungen? Die Welt ihrer Kindheit, ihrer Jugend ist von einem Tag, von einer Stunde auf die andere kaputt gegangen. Sie kann meinen Schritt einfach nicht verstehen. Und wenn ich ihr jetzt auch noch von dir sprechen würde, hätte ich sie wahrscheinlich für immer verloren.“
Lisa schluckte, einen Augenblick war es ihr unmöglich, weiter zu sprechen. Nach einer kleinen Pause und einigen tiefen Atemzügen fuhr sie fort: „Dennoch begriff ich plötzlich, dass ich so nicht weiterleben wollte. Und da geschah das bisher Undenkbare: ich begann, mich innerlich von meinem Mann zu trennen. Philipp - es war grauenhaft, denn da warst du, meine Sehnsucht nach Dir und da waren meine Schuldgefühle. Immer die anklagende Stimme in mir: du verrätst Lukas. Er ist so wehrlos. Ich stand an seinem Bett, starrte auf den Menschen, der einst alles für mich gewesen war und ich sah nur noch einen Mann, ausgesetzt einer schrecklichen Wehrlosigkeit, eingeschlossen in sein Nichtsein. Das ist aber noch nicht alles - ich weiß doch gar nicht, ob er mich nicht doch hört, ob er versteht, was ich sage, ob nicht doch noch Empfindungen da sind. Das macht mich fast wahnsinnig“.
Lisas Stimme hatte immer verzweifelter geklungen. „Aber das Schicksal kann doch von mir nicht verlangen, dass ich meine Gegenwart und Zukunft, meine Wünsche ans Leben einfach aufgebe? Dauernd bin ich hin und her gerissen zwischen meinen Empfindungen für dich, meinen Schuldgefühlen meinem Mann gegenüber und dem Verlangen Carolines, nur noch für Lukas und sie da zu sein.“ Sie schluchzte auf: „Für alle da sein, nur nicht für mich.  Da bin ich zu dir gefahren. Und - ich  bereue es nicht,  auch nicht am Bett meines Mannes.“
Philipp legte den Arm um Lisa, sie fühlte sich geborgen in seiner Wärme, als er jetzt leise sagte: „Ich wusste nichts, gar nichts von dir. Nur dass ich vom ersten Augenblick unserer Begegnung an entdeckte, dass ich nach den langen, einsamen Jahren nach dem Tod meiner Frau doch wieder lieben konnte. Du hast es so schwer gehabt und ich habe nichts davon gewusst. Ja - vielleicht habe ich geahnt, dass du mir etwas dir unendlich Wichtiges verschweigst. Aber all das, was du jetzt gesagt hast, nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich war so glücklich darüber, dass du nach Konstanz gekommen warst - für mich der erste Schritt in eine Zukunft, die wir vielleicht doch haben könnten. Und jetzt?“
„Was meinst du mit ‘und jetzt’.“  Sie schwieg - was wollte er ihr sagen mit diesem „und jetzt“? Waren seine Gefühle für sie plötzlich erloschen? Konnte er ihre Situation nicht ertragen? Flüchtete er vor der Ungewissheit, vor der Zwiespältigkeit ihrer künftigen Beziehung? Einer Beziehung zwischen Liebe und Schuld.
In diesem Augenblick sah sie, wie Caroline den Garten betrat, zu ihr hinüber schaute und erstarrt stehen blieb....


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Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
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Beitrag12.11.2013 16:32

von Gamone
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Hallo meine Liebe!
 27 gefällt mir so sehr gut. Ich finde die Reaktion von Phillip auch nachvollziehbarer.
Eine Erbse hab ich dennoch:
Zitat:
Oben angekommen, gingen sie den mit Teppichboden ausgelegten Flur entlang, bis Lisa bei der Zimmernummer 17 stehenblieb.
Dieser Satz ist holperig. Durch den Einschub fühle ich mich im Lesefluss gestört.
Der Teppichboden dämpfte ihre Schritte, als Lisa den Flur entlang ging und erst vor Zimmer 17 stehen blieb. oder so ähnlich fände ich es besser.

Zu 28:
Nur eine Frage für mich: Warum rechtfertig sie sich vor Phillip?
Zitat:
Nicht nur für mich, auch für sie war eine Welt untergegangen zerbrochen

Vielleicht ersetzt du ein paar "sie" durch Lisa?! Sind ein bisschen viele geworden.

Wuuuh! Das Ende ist super! Da warte ich jetzt ganz hibbelig auf die Fortsetzung! Daumen hoch Daumen hoch Daumen hoch

Liebe Grüße
Simone


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Beitrag12.11.2013 20:38

von madrilena
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Wie schön, endlich wieder von Dir zu hören, liebe Gamone. Manchmal lese ich Dich in facebook, aber offensichtlich bist Du im Augenblick sehr beschäftigt. Mit den kleinen Terroristen???? Was macht Deine Geschichte? Wie kommst Du mit dem Schreiben weiter?
Für Dein feedback lieben Dank - ich werde mir Deine Vorschläge zu Herzen nehmen. Auch am Sonntag in der Schreibwerkstatt kamen diese beiden Kapitel jetzt endlich gut an. Im Augenblick habe ich direkt wieder Lust, weiter zu schreiben - das war lange Zeit nicht der Fall.
Lieben Gruß madrilena


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Beitrag13.11.2013 16:31

von Gamone
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Du liest mich in Facebook? Irgendwie klingt das gruselig Wink
Mit meinen Terroristen ist alles in Ordnung. Na, sagen wir ich hatte eine persönlich-problematische Zeit, aber jetzt bin ich wieder hier!


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madrilena
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Beitrag14.11.2013 10:20

von madrilena
Antworten mit Zitat

Guten Morgen - hier ist die Auseinandersetzung mit Caroline - hoffentlich ist sie mir endlich gut gelungen. Kritik unbedingt erwünscht.

Klar Gamone, lese ich in facebook, bin doch selbst angemeldet und wer nicht, könnte man schon fast fragen. Dir danke ich übrigens ganz besonders für Deine feedbacks. LG madrilena


28
Philipp spürte Lisas plötzliches Erschrecken, er sah zu der jungen Frau, die gerade den Garten des Stiftes betreten hatte und jetzt zu ihnen hinüber schaute und wusste, das konnte nur Caroline sein. Rasch nahm er den Arm von Lisas Schultern, murmelte ratlos:  „Noch ist Zeit, soll ich gehen?“ Lisa hätte am liebsten ‘nein’ ge- schrien! Schließlich musste Caroline  einmal von Philipp erfahren.
Aber so? Und hier? Unvermutet überkam sie eine große Müdigkeit: ‘Ich will nicht mehr - ich kann nicht mehr. Immer wieder reden! Immer wieder erklären! Ich weiß, ich muss mit Caro sprechen, aber doch nicht hier, nicht in der Nähe von Lukas. Wusste gleichzeitig, jetzt gab es kein Ausweichen mehr, deshalb sagte sie laut:: „Philipp, geh. Bitte, das hat nichts mit dir, nichts mit uns zu tun. Aber im Augenblick fehlt mir die Kraft, mich auch noch dieser Situation zu stellen. Versteh mich, bitte versteh mich. Ich rufe dich gleich nachher an.“
Philipp warf ihr einen traurigen Blick zu, bevor er mit großen Schritten den Weg weiter ging, der zu einem anderen Tor führte, ein direktes Zusammentreffen mit Caroline vermeidend.
Lisa wusste, sie konnte jetzt nichts anderes mehr tun als auf Carolines Reaktion warten. Dass sie Philipp gesehen hatte, war klar und auf ihre Fragen würde sie antworten.
Caroline kam zögernd auf die Mutter zu. Lisa fürchtete, ihr könnte die Stimme versagen, wunderte sich im gleichen Augenblick, dass sie eher gelassen klang, auch wenn sie selbst sich nicht so fühlte, als sie sagte: „Hallo Caroline.“
„Wer war der Mann eben?“ Auch wenn Carolines Frage kaum hörbar zu ihr drang, spürte Lisa den unbändigen Zorn, der die paar Worte begleitete.
Sie ging auf die Frage nicht ein, sagte nur: „Ich wusste nicht, dass das heute dein Besuchstag bei Papa ist. Ich wollte keine Begegnung erzwingen.“
Caroline hatte immer noch starr den Blick auf Lisa geheftet. „Wer war der Mann?“
„Der Mann heißt Philipp und ich möchte nicht hier von ihm sprechen.“
Die Stimme ihrer Tochter wurde immer hysterischer: „Was wollte der hier? Ist er der Grund, dass Papa ins Marienstift abgeschoben wurde?“
„Caroline - bitte. Glaubst du, dass das Marienstift der geeignete Ort für eine solche Auseinandersetzung ist? Noch dazu, nachdem wir uns wochenlang nicht gesehen haben. Und nachdem du mir nie eine wirkliche Chance gegeben hast, dir meine Situation, vor allem aber die Situation deines Vaters zu erklären?“
„Wo gibt es einen besseren Ort für deine Erklärungen als in der Nähe von Papa?“
„Gut, wie du willst. Dann eben hier“, sie wandte sich, scheinbar ruhig, in Richtung Marienstift. Sie hatte halbwegs erwartet, dass Caroline ihr vielleicht doch nicht folgen würde, aber dem war nicht so. Sie gingen nebeneinander und doch hatte Lisa das Empfinden, als lägen Kilometer zwischen ihnen. Und wusste, dass der Augenblick gekommen war, vor dem sie sich insgeheim gefürchtet hatte. Es gab kein Ausweichen und Davonlaufen mehr, wobei sie sich gleich verbesserte, denn sie war ja nicht vor einer Auseinandersetzung geflohen.
„Du möchtest etwas über Philipp wissen, wozu du selbstverständlich jedes Recht hast. Aber du hast kein Recht zu behaupten, dass er der Grund dafür war, dass ich das Marienstift für deinen Vater besser fand als meine unkundige Pflege zu Hause.“
„Unkundige Pflege“, warf Caroline wütend ein. „Es gibt genügend Pflegepersonal, und du hättest dir das beste leisten können.“
„Darüber haben wir schon einmal diskutiert, ich glaube, zu diesem Thema ist alles gesagt. Mein Leben spielt sich nach wie vor mehr im Stift ab als sonstwo, aber ich habe noch ein Dasein außerhalb des Krankenzimmers deines Vaters, der noch nicht mal weiß, dass ich da bin.“
„Woher willst du das wissen?“
„Glaubst du nicht, dass ich mich das schon tausendmal gefragt habe? Dass dieses Nichtwissen ein ganz schrecklicher Zustand ist? Aber trotz aller Zweifel - ich möchte wieder ein normales Leben führen, mein Leben. Es wäre“, sie unterbrach sich, hatte Angst, die Stimme würde ihr versagen, fuhr dann aber fort: „Es wäre so schön, wenn du wenigstens versuchen würdest, mich zu verstehen.“
„Nein! Aber das ist auch nicht wichtig. Ich möchte nur wissen, ob der Mann, der eben so überaus liebevoll den Arm um dich gelegt hatte, Papas  Nachfolger ist?“ Carolines Stimme triefte vor Hohn, aber auch vor unterdrückter Angst vor der Antwort.
Lisa spürte, wie sie wütend wurde und ermahnte sich: ‘Bleib ruhig, bleib ganz ruhig. Sie legt es darauf an, dich zu provozieren. Erlaub ihr das nicht.’ Laut meinte sie: „Ich wollte dir schon länger von Philipp erzählen, aber... na ja, du hast es nicht erlaubt.“
Da von Caroline kein Widerspruch kam, wobei Lisa nicht wusste, ob aus Gleichgültigkeit oder weil sie sich vielleicht doch für das Leben der Mutter ein wenig interessierte, fuhr sie fort: “Philipp und ich haben uns vor drei Jahren bei der Spanienreise kennen gelernt.“  Ein wenig atemlos hielt sie inne. Sie hatte gewusst, dass es ihr schwer fallen würde, Caroline von Philipp zu sprechen. Aber so schwierig hatte sie es sich doch nicht vorgestellt. Sie blickte an der Fassade des Marienstifts hoch und dachte: ‘Im Schatten dieses Hauses und was es für uns bedeutet, wie könnte ein solches Gespräch dann nicht schwierig sein?“
Caroline sagte nichts, sie war stumm neben der Mutter einher gegangen, bemüht, keinerlei körperlichen Kontakt zwischen ihnen zuzulassen. Lisa war erstaunt, wie scheinbar ruhig Caroline ihr zuhörte. ‘Ob sie vielleicht doch...? Was? Dich verstehen wird? Lisa, du kennst doch deine Tochter. Selbst wenn sie wollte, würde sie nicht so schnell nachgeben.’ Trotzdem kam eine leise Hoffnung auf, vielleicht doch Verständnis zu finden. Die zerstob aber in dem Moment, als Caroline  abrupt stehenblieb: „Und ich dachte, ihr würdet euch lieben. Ich dachte, nach Papa gäbe es keinen Mann mehr in deinem Leben.“
Lisa blieb ebenfalls stehen: Ihre Stimme flehte geradezu um Verständnis: „Caroline, ich war 47 als Papa diesen entsetzlichen Unfall hatte. Er war mit dir zusammen das Ein und Alles in meinem Leben. Aber heute ist alles anders! Es gibt keine Verbindung mehr zwischen uns. Merkst du nicht, wie entsetzlich das ist nach all dem, was Lukas mir, was dein Vater dir bedeutet hat?“ Sie ging langsam weiter: „Caro, du und ich, wir leben. Du gehst nach Berlin, in deine Zukunft und ich bin stolz darauf, wie du das bewältigst. Und ich- ich muss in meine Zukunft gehen. Und die kann nicht aus Erinnern und Alleinsein bestehen. Ich glaube auch nicht, dass du mir das wünschst. Einsame Tage, leben in der Vergangenheit. Das ist es doch nicht, was du von mir verlangen kannst.“
Caroline drehte sich dem Ausgang zu „Und in dem Augenblick, als du das entschieden hast, ist Philipp aufgetaucht, ja? Wie praktisch.“ Sie schob Lisa, als sich diese ihr in den Weg stellte, ungeduldig zur Seite. „Lass mich durch. An meiner Meinung bist du eh nicht interessiert, machst ja doch, was du willst.“
Lisa sah ihre Tochter entgeistert an: „Das ist nicht dein Ernst. Deine Vorwürfe sind absurd. Über uns, über dich und mich hat das Schicksal entschieden. Ich wäre froh, wenn der Unfall nicht passiert wäre, wenn ich mit meinem Mann hätte alt werden können. Aber das wurde mir, von wem oder welcher Macht auch immer, nicht erlaubt. Wir hatten wundervolle Pläne, wir wollten reisen, irgendwann gemeinsam die Länder kennen lernen, die ich beruflich besucht hatte. Wir wollten vor allem erleben, was du aus deinem Leben machst. Aber so  ist es nicht gekommen. Ich wollte es lange nicht glauben, nicht wahrhaben, dass all das gemeinsame Leben, dass die Träume und Pläne vorbei waren, für immer vorbei.  Aber mein Leben ist noch nicht zu Ende, ich bin erst 52.“
„Du sprichst dein Alter an“, fauchte Caroline. „Du bist nicht erst, sondern schon 52, und du hast noch so viel. Z. B. deine Kunst, du hast mich und noch lebt dein Mann. Genügt dir das nicht? Ist das nicht genug Leben“?
Lisa brauchte all ihre Beherrschung, um nicht auszurasten. „Machst du es dir nicht sehr bequem?  Wann ich genug gelebt habe, entscheidet der Tod. Habe ich mit 52 Jahren kein Recht mehr auf Liebe?“
„Du meinst auf Sex oder?“
Lisa verschlug es einen Augenblick lang den Atem. Sie ballte die Hände zu Fäusten und antwortete sehr ruhig, obgleich sie diese Ruhe bei Gott nicht empfand:
„Du gehst zu weit und du weißt das. Ich habe dir von Philipp gesprochen, mit dem mich bis vor wenigen Tagen nur eine wunderbare Freundschaft verband. Ich bin dir wahrlich keine Rechenschaft schuldig, aber du kannst mir glauben, wenn mir – wie du es ausdrückst – lediglich Sex wichtig wäre, dann wäre erstens Philipp nicht der geeignete Mann dafür, und zweitens hätte ich dir nichts von ihm erzählt.“
Caroline stürmte an Lisa vorbei zum Gartentor, riss es auf und stieß wütend hervor: „Ich verstehe dich nicht, aber das wird dich wahrscheinlich nicht davon abhalten, weiter mit deinem Philipp zusammen zu bleiben. Gott sei Dank, bin ich in einigen Wochen eh nicht mehr da.“
Die Tür schloss mit einem quietschenden Geräusch.  
Lisa blieb wie betäubt zurück. Suchte Halt, hatte das Empfinden, als wäre in diesem Moment wie nach einem Erdbeben ihre ganze Welt auseinander gebrochen. Dachte ‘Und ich wollte ihr doch von der bevorstehenden Reise berichten, ich wollte so viel mit ihr besprechen und jetzt scheint alles zu Ende zwischen uns. Sie wird nach Berlin gehen, Brücken abbrechen und irgendwann - irgendwann würden sie sich wieder begegnen - als Fremde.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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Gamone
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Beitrag21.11.2013 16:30

von Gamone
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Hallo meine Stalkerin Wink

Caroline finde ich grad richtig unsympathisch! Halleluja, da hast du dir ein Ekelpaket geschaffen Very Happy
Ein paar Erbsen hab ich gefunden, sonst: Daumen hoch
Weitermachen!

madrilena hat Folgendes geschrieben:

28
Philipp spürte Lisas plötzliches Erschrecken, er sah zu der jungen Frau, die gerade den Garten des Stiftes betreten hatte und jetzt zu ihnen hinüber schaute und wusste, das konnte nur Caroline sein. Rasch nahm er den Arm von Lisas Schultern, murmelte ratlos:  „Noch ist Zeit, soll ich gehen?“ Lisa hätte am liebsten ‘nein’ ge- schrien! Schließlich musste Caroline  einmal von Philipp erfahren.
Aber so? Und hier? Unvermutet überkam sie eine große Müdigkeit: ‘Ich will nicht mehr - ich kann nicht mehr. Immer wieder reden! Immer wieder erklären! Ich weiß, ich muss mit Caro sprechen, aber doch nicht hier, nicht in der Nähe von Lukas.( hier fehlt dann so was->[color=green] '[/color]) Wusste gleichzeitig, jetzt gab es kein Ausweichen mehr, deshalb sagte sie laut:: „Philipp, geh. Bitte, das hat nichts mit dir, nichts mit uns zu tun. Aber im Augenblick fehlt mir die Kraft, mich auch noch dieser Situation zu stellen. Versteh mich, bitte versteh mich. Ich rufe dich gleich nachher an.“
Philipp warf ihr einen traurigen Blick zu, bevor er mit großen Schritten den Weg weiter ging, der zu einem anderen Tor führte, ein direktes Zusammentreffen mit Caroline vermeidend.
Lisa wusste, sie konnte jetzt nichts anderes mehr tun als auf Carolines Reaktion warten. Dass sie Philipp gesehen hatte, war klar und auf ihre Fragen würde sie antworten.
Caroline kam zögernd auf die Mutter zu. Lisa fürchtete, ihr könnte die Stimme versagen, wunderte sich im gleichen Augenblick, dass sie eher gelassen klang, auch wenn sie selbst sich nicht so fühlte, als sie sagte: „Hallo Caroline.“
„Wer war der Mann eben?“ Auch wenn Carolines Frage kaum hörbar zu ihr drang, spürte Lisa den unbändigen Zorn, der die paar Worte begleitete.
Sie ging auf die Frage nicht ein, sagte nur: „Ich wusste nicht, dass das heute dein Besuchstag bei Papa ist. Ich wollte keine Begegnung erzwingen.“
Caroline hatte immer noch starr den Blick auf Lisa geheftet. „Wer war der Mann?“
„Der Mann heißt Philipp und ich möchte nicht hier von ihm sprechen.“
Die Stimme ihrer Tochter wurde immer hysterischer: „Was wollte der hier? Ist er der Grund, dass Papa ins Marienstift abgeschoben wurde?“
„Caroline - bitte. Glaubst du, dass das Marienstift der geeignete Ort für eine solche Auseinandersetzung ist? Noch dazu, nachdem wir uns wochenlang nicht gesehen haben. Und nachdem du mir nie eine wirkliche Chance gegeben hast, dir meine Situation, vor allem aber die Situation deines Vaters zu erklären?“
„Wo gibt es einen besseren Ort für deine Erklärungen als in der Nähe von Papa?“
„Gut, wie du willst. Dann eben hier“, sie wandte sich, scheinbar ruhig, in Richtung Marienstift. Sie hatte halbwegs erwartet, dass Caroline ihr vielleicht doch nicht folgen würde, aber dem war nicht so. Sie gingen nebeneinander und doch hatte Lisa das Empfinden, als lägen Kilometer zwischen ihnen. Und wusste, dass der Augenblick gekommen war, vor dem sie sich insgeheim gefürchtet hatte. Es gab kein Ausweichen und Davonlaufen mehr, wobei sie sich gleich verbesserte, denn sie war ja nicht vor einer Auseinandersetzung geflohen.
„Du möchtest etwas über Philipp wissen, wozu du selbstverständlich jedes Recht hast. Aber du hast kein Recht zu behaupten, dass er der Grund dafür war, dass ich das Marienstift für deinen Vater besser fand als meine unkundige Pflege zu Hause.“
„Unkundige Pflege“, warf Caroline wütend ein. „Es gibt genügend Pflegepersonal, und du hättest dir das beste leisten können.“
„Darüber haben wir schon einmal diskutiert, ich glaube, zu diesem Thema ist alles gesagt. Mein Leben spielt sich nach wie vor mehr im Stift ab als sonstwo, aber ich habe noch ein Dasein außerhalb des Krankenzimmers deines Vaters, der noch nicht mal weiß, dass ich da bin.“
„Woher willst du das wissen?“
„Glaubst du nicht, dass ich mich das schon tausendmal gefragt habe? Dass dieses Nichtwissen ein ganz schrecklicher Zustand ist? Aber trotz aller Zweifel - ich möchte wieder ein normales Leben führen, mein Leben. Es wäre“, sie unterbrach sich, hatte Angst, die Stimme würde ihr versagen, fuhr dann aber fort: „Es wäre so schön, wenn du wenigstens versuchen würdest, mich zu verstehen.“
„Nein! Aber das ist auch nicht wichtig. Ich möchte nur wissen, ob der Mann, der eben so überaus liebevoll den Arm um dich gelegt hatte, Papas  Nachfolger ist?“ Carolines Stimme triefte vor Hohn, aber auch vor unterdrückter Angst vor der Antwort.
Lisa spürte, wie sie wütend wurde und ermahnte sich: ‘Bleib ruhig, bleib ganz ruhig. Sie legt es darauf an, dich zu provozieren. Erlaub ihr das nicht.’ Laut meinte sie: „Ich wollte dir schon länger von Philipp erzählen, aber... na ja, du hast es nicht erlaubt.“
Da von Caroline kein Widerspruch kam, wobei Lisa nicht wusste, ob aus Gleichgültigkeit oder weil sie sich vielleicht doch für das Leben der Mutter ein wenig interessierte, fuhr sie fort: “Philipp und ich haben uns vor drei Jahren bei der Spanienreise kennen gelernt.“  Ein wenig atemlos hielt sie inne. Sie hatte gewusst, dass es ihr schwer fallen würde, Caroline von Philipp zu sprechen. Aber so schwierig hatte sie es sich doch nicht vorgestellt. Sie blickte an der Fassade des Marienstifts hoch und dachte: ‘Im Schatten dieses Hauses und was es für uns bedeutet, wie könnte ein solches Gespräch dann nicht schwierig sein?“   nur sowas -> ' und nein, ich weiß grad nicht, wie das heißt ... Apostroph? (Kopf kaputt sad )
Caroline sagte nichts, sie war stumm neben der Mutter einher gegangen, bemüht, keinerlei körperlichen Kontakt zwischen ihnen zuzulassen. Lisa war erstaunt, wie scheinbar ruhig Caroline ihr zuhörte. ‘Ob sie vielleicht doch...? Was? Dich verstehen wird? Lisa, du kennst doch deine Tochter. Selbst wenn sie wollte, würde sie nicht so schnell nachgeben.’ Trotzdem kam eine leise Hoffnung auf, vielleicht doch Verständnis zu finden. Die zerstob aber in dem Moment, als Caroline  abrupt stehenblieb: „Und ich dachte, ihr würdet euch lieben. Ich dachte, nach Papa gäbe es keinen Mann mehr in deinem Leben.“
Lisa blieb ebenfalls stehen: Ihre Stimme flehte geradezu um Verständnis: „Caroline, ich war 47 als Papa diesen entsetzlichen Unfall hatte. Er war mit dir zusammen das Ein und Alles in meinem Leben. Aber heute ist alles anders! Es gibt keine Verbindung mehr zwischen uns. Merkst du nicht, wie entsetzlich das ist nach all dem, was Lukas mir, was dein Vater dir bedeutet hat?“ Sie ging langsam weiter: „Caro, du und ich, wir leben. Du gehst nach Berlin, in deine Zukunft und ich bin stolz darauf, wie du das bewältigst. Und ich- ich muss in meine Zukunft gehen. Und die kann nicht aus Erinnern und Alleinsein bestehen. Ich glaube auch nicht, dass du mir das wünschst. Einsame Tage, leben in der Vergangenheit. Das ist es doch nicht, was du von mir verlangen kannst.“
Caroline drehte sich dem Ausgang zu „Und in dem Augenblick, als du das entschieden hast, ist Philipp aufgetaucht, ja? Wie praktisch.“ Sie schob Lisa, als sich diese ihr in den Weg stellte, ungeduldig zur Seite. „Lass mich durch. An meiner Meinung bist du eh nicht interessiert, machst ja doch, was du willst.“
Lisa sah ihre Tochter entgeistert an: „Das ist nicht dein Ernst. Deine Vorwürfe sind absurd. Über uns, über dich und mich hat das Schicksal entschieden. Ich wäre froh, wenn der Unfall nicht passiert wäre, wenn ich mit meinem Mann hätte alt werden können. Aber das wurde mir, von wem oder welcher Macht auch immer, nicht erlaubt. Wir hatten wundervolle Pläne, wir wollten reisen, irgendwann gemeinsam die Länder kennen lernen, die ich beruflich besucht hatte. Wir wollten vor allem erleben, was du aus deinem Leben machst. Aber so  ist es nicht gekommen. Ich wollte es lange nicht glauben, nicht wahrhaben, dass all das gemeinsame Leben, dass die Träume und Pläne vorbei waren, für immer vorbei.  Aber mein Leben ist noch nicht zu Ende, ich bin erst 52.“
„Du sprichst dein Alter an“, fauchte Caroline. „Du bist nicht erst, sondern schon 52, und du hast noch so viel. Z. B. deine Kunst, du hast mich und noch lebt dein Mann. Genügt dir das nicht? Ist das nicht genug Leben“?
Lisa brauchte all ihre Beherrschung, um nicht auszurasten. „Machst du es dir nicht sehr bequem?  Wann ich genug gelebt habe, entscheidet der Tod. Habe ich mit 52 Jahren kein Recht mehr auf Liebe?“
„Du meinst auf Sex oder?“
Lisa verschlug es einen Augenblick lang den Atem. Sie ballte die Hände zu Fäusten und antwortete sehr ruhig, obgleich sie diese Ruhe bei Gott nicht empfand:
„Du gehst zu weit und du weißt das. Ich habe dir von Philipp gesprochen, mit dem mich bis vor wenigen Tagen nur eine wunderbare Freundschaft verband. Ich bin dir wahrlich keine Rechenschaft schuldig, aber du kannst mir glauben, wenn mir – wie du es ausdrückst – lediglich Sex wichtig wäre, dann wäre erstens Philipp nicht der geeignete Mann dafür, und zweitens hätte ich dir nichts von ihm erzählt.“
Caroline stürmte an Lisa vorbei zum Gartentor, riss es auf und stieß wütend hervor: „Ich verstehe dich nicht, aber das wird dich wahrscheinlich nicht davon abhalten, weiter mit deinem Philipp zusammen zu bleiben. Gott sei Dank, bin ich in einigen Wochen eh nicht mehr da.“
Die Tür schloss mit einem quietschenden Geräusch.  
Lisa blieb wie betäubt zurück. Suchte Halt, hatte das Empfinden, als wäre in diesem Moment wie nach einem Erdbeben ihre ganze Welt auseinander gebrochen. Dachte ‘Und ich wollte ihr doch von der bevorstehenden Reise berichten, ich wollte so viel mit ihr besprechen und jetzt scheint alles zu Ende zwischen uns. Sie wird nach Berlin gehen, Brücken abbrechen und irgendwann - irgendwann würden sie sich wieder begegnen - als Fremde.


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madrilena
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Beitrag22.11.2013 14:06

von madrilena
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Hallo Gamone- ja und nein - Caroline ist der Situation nicht gewachsen. Ich glaube, das wäre völlig anders, wenn Lukas tot wäre. Aber sie macht  sich ja nach wie vor die Hoffnung, dass er wieder aufwacht und der Gleiche wie vorher ist. Als Außenstehender weiß man, dass diese Hoffnung fast 100%ig enttäuscht werden wird, aber sie - die in Kindheit und Jugend vor allem mit dem Vater verbunden war.?! Ich möchte nicht, dass sie unsympathisch rüberkommt, sondern einfach total hilflos, überfordert und die Situation ihrer Mutter nicht einsehen kann. Aber keine Angst, sie wird Philipp treffen und dann ändert sich die Lage.
Danke für Deine Verbesserungsvorschläge, werde gleich mal nachschauen. Ich stelle gleich die Fortsetzung rein und wäre sehr interessiert, ob dieser Fortgang logisch sein kann. Du bist ja meine beste (und einzige) DSF-Beraterin. Noch habe ich es nicht aufgegeben, meinen Text hier reinzustellen.
Ich wünsche Dir und Deinen ganz sicher  "liebenswerten Terroristen" ein schönes WE.
LG. Hilde


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1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
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madrilena
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Beitrag22.11.2013 14:32

von madrilena
Antworten mit Zitat

29
Lisa irrte durch den Volkspark, hoffend, auf Philipp zu stoßen. Wartete er irgendwo auf sie? War er über alles, was heute auf ihn eingestürmt war, so entsetzt, dass er gleich nach Konstanz zurückgefahren war?  Nur noch zwei Wochen bis zur Abreise - vielleicht wäre es am besten, jedes klärende Gespräch auf den Aufenthalt in der Wüste zu verschieben. Die Losgelöstheit von allem, was ihr Leben heute ausmachte, wäre vielleicht für jede Argumentation besser geeignet als ein kurzer Aufenthalt hier oder in Konstanz.
Gerade als sie nach der Bushaltestelle Ausschau hielt, sah sie Philipp - trotz der Kälte saß er auf einer der vielen Bänke, den Kopf in beide Hände gestützt.. Wie verloren er wirkte und  wie unendlich traurig. Still setzte sie sich neben ihn, wartete, wusste nicht, ob sie das Schweigen zwischen ihnen brechen durfte. Nach einer langen Weile griff er nach ihrer Hand: „Lisa, ich fahre heute nach Konstanz zurück. Ich muss erst einmal allein sein - all die Fragen,die jetzt zwischen uns stehen, all das Furchtbare, das Neue was an diesem Morgen geschehen ist - ich brauche ein wenig Zeit. Kannst Du das verstehen?“ Obgleich Lisa ein tiefes Gefühl der Verlassenheit überkam, nickte sie. Vielleicht war es ihre Schuld, dass sie einfach zu lange verschwiegen hatte, was ihr Dasein seit fast fünf Jahren ausgemacht hat. Dass sie einfach nur hatte lieben wollen, dass sie zurückkehren wollte in ein ganz normales Leben. Sie spürte, dass Philipp jetzt nicht bereit war, all ihre Erklärungen anzuhören, dass er keine Auseinandersetzung wollte, dass er sich erst einmal über seine eigenen Gefühle klar werden musste.
Es war wie ein Abschied, als er jetzt sehr liebevoll den Arm um Lisa legte: „Ich liebe dich, Lisa.“ Er stand auf, wandte sich um und verließ mit großen Schritten den Park, hielt ein gerade vorbei fahrendes Taxi an, stieg ein und drehte sich nicht mehr um.
Plötzlich wurde sich Lisa der beißenden Kälte bewusst, die nicht nur von außen kam. Auch sie stand auf, fühlte sich völlig allein gelassen und hatte nur noch den einen Gedanken: „In vierzehn Tagen sind wir in Marokko, in vierzehn Tagen haben wir alle Zeit der Welt, um zu sprechen, um zu versuchen, den gemeinsamen, den so sehr ersehnten Weg in unser zukünftiges Dasein zu finden.“ Warum tröstete sie diese Vorstellung nicht, warum gab es nur dieses innerliche und äußerliche Frieren, die Kälte, die versuchte sie auszulöschen.
Die nächsten Tage vergingen zwischen Unwirklichkeit, die alles einzuhüllen schien  und den Vorbereitungen für die Reise.
Es gab so vieles, was dieses Unternehmen schon rein äußerlich von anderen Reisen unterschied. Da war kein Koffer zu packen, ein großer Rucksack langte. Jedes Stück, das sie einpackte, wurde mindestens zwei- oder dreimal gegen etwas Bequemeres, Notwendigeres umgetauscht. Sie packte nur das absolut Wichtigste ein - keine Cremetöpfchen, keine Schminke, keine Kleider - Hosen, Pullis, T-shirts. „Am besten Kleidung, die Sie in Zwiebelmanier an- und ausziehen könnte“, hatte Frau Ayadi geraten. Außerdem feste Schuhe - der zusammengerollte Schlafsack. Sonnencreme.
Dazwischen weilte sie stundenlang in ihrem Atelier, sprach mit ihren Figuren, fühlte sich getröstet, wenn sie den schwarzen Leib ihrer knienden Frauenfigur berührte. Blieb vor dem Macael stehen und stellte sich vor, wie aus diesem Stein langsam die Trilogie emporsteigen würde, die ihr seit dem Besuch in Schloss Sayn in solcher Klarheit vor Augen schwebte, als hätte sie sie schon geschaffen.
Zwei Tage vor ihrer Abreise setzte sie sich an ihren kleinen Schreibtisch, um an Caroline zu schreiben. Keine langen Erklärungen, keine Bitten um Verständnis, sie sollte nur wissen, wo ihre Mutter sich aufhielt, falls sie - wider jedes Erwarten - doch noch einmal ein Zusammensein suchen würde. ‘Wenn ich nur all meine Gefühle, die ich für sie empfinde, mit in diesen Umschlag packen könnte“, und sie konnte nicht vermeiden, dass sie, während sie ihn zuklebte, wieder, wie so oft in den letzten Tagen, anfing zu weinen. Es war so unvorstellbar, was zwischen ihr und Caroline in den letzten Wochen geschehen war - sie konnte, sie wollte es nicht akzeptieren. Und wusste doch, dass es im Augenblick nichts gab, was es möglich gemacht hätte, einen Weg zu ihrer Tochter zu finden.
‘Gott sei Dank, dass es bald übermorgen ist, dass ich Philipp wieder sehe, dass wir sprechen können.’ Noch immer klangen seine Worte ‘ich liebe dich, Lisa’ wie ein Versprechen in ihr nach - das Versprechen, dass doch noch alles gut würde.
Das Handy hielt sie lange nachdenklich in der Hand –  einen Augenblick doch noch einmal  die verführerische Phantasie, damit vielleicht die Möglichkeit einer Verbindung mit Caroline herstellen zu können. Dann legte sie es entschlossen neben den Brief an Caro.
Am nächsten Morgen ging sie noch einmal ins Marienstift - seit der Auseinandersetzung mit Caro war sie nicht mehr dort gewesen. Die täglichen Anrufe bei einer der Schwestern hatten sie davon unterrichtet, dass es bei Lukas keinerlei Veränderungen gab. Das Gleichmaß der alltäglichen Gewohnheit rein physischer Versorgung war schon seit langer Zeit in sein Dasein eingezogen. Und ab morgen gäbe es auch für eine ganze Weile nicht mehr ihre Besuche bei ihm. Doch was würde das ändern? Nichts. Sie blieb lange an seinem Bett sitzen, lauschte auf die von Apparaten geregelten Atemzüge, strich scheu über sein Gesicht, legte ihre warme Hand auf seine auf der Bettdecke wie leblos ruhenden Hand und wehrte sich vehement gegen aufsteigende Verzweiflung.
Als sie nach Hause  kam, ging sie, wie gewohnt, an ihren Briefkasten. In den nächsten Tagen hatte sich eine Nachbarin bereit erklärt, das für sie zu tun und auch ihre vielen Blumen zu gießen. Jetzt hielt sie erstaunt einen Umschlag mit Philipps Schrift in Händen. Was war geschehen? Warum schrieb er ihr? ‘Wir sehen uns doch morgen! Ist etwas passiert?’ In ihrer Wohnung angekommen, öffnete sie mit klopfendem Herzen den Umschlag.
‘Nein, nein - das kann nicht sein, dass kann er doch nicht Ernst meinen’, stammelte sie immer wieder, während die Schrift vor ihren Augen  verschwamm. Dennoch las sie wieder und wieder die wenigen Sätze:
„Liebste Lisa , ich weiß, ich werde dich jetzt unendlich enttäuschen und das schmerzt mich vielleicht genauso wie dich. Ich liebe dich, du bist der Mensch, mit dem ich irgendwann leben möchte. Ohne dich wäre mein Leben leer, das merke ich mit jeder Minute, die ich ohne dich verbringen muss.
Dennoch - ich bin überzeugt davon, dass wir jetzt eine Trennung brauchen, dass du Zeit benötigst, aber ich auch. Und um Dir gerade bei dieser so ganz besonderen Reise die Möglichkeit zu geben, zu Dir  zurückzukehren, fahre ich nicht mit. Ich hatte schon seit längerem das Gefühl, dass Du ständig versuchst, Dich selbst zu annullieren und die letzten Tage haben mich die Gründe erkennen lassen, warum Du das tust. Eine Entscheidung kann Dir niemand abnehmen, Du brauchst jetzt das völlige Alleinsein, keine ausführlichen Gespräche und Diskussionen. Kehr zu mir zurück als Du selbst - ich warte auf Dich, ich warte so sehr auf Dich.“
Es war Lisa, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. ‘Er lässt mich im Stich, er lässt mich im Stich’ war das Einzige, was sich wie etwas Unfassbares in ihrem Kopf, in ihrem Körper ausbreitete.


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Beitrag16.12.2013 17:21

von Gamone
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Juhuuu!
Bin wieder dahaaa!
Wenn auch sporadisch und teilweise schleppend, aber ich bleibe dreist und klebrig wir kalter Griespuddig an dir dran Wink
Angestrichen habe ich nur ein paar Formatierungsfehler und ein der, das ich da schöner finde.

Zum Inhalt, meine Liebe, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet! Bleibt er jetzt wirklich zu Hause? Kann er doch nicht machen? Ich fühle mich grad wie im Kino, wenn es eine Fortsetzung gibt!
Also, richtig gute Arbeit von dir!

Und schau beizeiten mal bei Facebook in deine Nachrichten!

♥ Grüße
Simone

madrilena hat Folgendes geschrieben:
29
Lisa irrte durch den Volkspark, hoffend, auf Philipp zu stoßen. Wartete er irgendwo auf sie? War er über alles, was heute auf ihn eingestürmt war, so entsetzt, dass er gleich nach Konstanz zurückgefahren war?  Nur noch zwei Wochen bis zur Abreise - vielleicht wäre es am besten, jedes klärende Gespräch auf den Aufenthalt in der Wüste zu verschieben. Die Losgelöstheit von allem, was ihr Leben heute ausmachte, wäre vielleicht für jede Argumentation besser geeignet als ein kurzer Aufenthalt hier oder in Konstanz.
Gerade als sie nach der Bushaltestelle Ausschau hielt, sah sie Philipp - trotz der Kälte saß er auf einer der vielen Bänke, den Kopf in beide Hände gestützt.. Wie verloren er wirkte und  wie unendlich traurig. Still setzte sie sich neben ihn, wartete, wusste nicht, ob sie das Schweigen zwischen ihnen brechen durfte. Nach einer langen Weile griff er nach ihrer Hand: „Lisa, ich fahre heute nach Konstanz zurück. Ich muss erst einmal allein sein - all die Fragen,die jetzt zwischen uns stehen, all das Furchtbare, das Neue was an diesem Morgen geschehen ist - ich brauche ein wenig Zeit. Kannst Du das verstehen?“ Obgleich Lisa ein tiefes Gefühl der Verlassenheit überkam, nickte sie. Vielleicht war es ihre Schuld, dass sie einfach zu lange verschwiegen hatte, was ihr Dasein seit fast fünf Jahren ausgemacht hat. Dass sie einfach nur hatte lieben wollen, dass sie zurückkehren wollte in ein ganz normales Leben. Sie spürte, dass Philipp jetzt nicht bereit war, all ihre Erklärungen anzuhören, dass er keine Auseinandersetzung wollte, dass er sich erst einmal über seine eigenen Gefühle klar werden musste.
Es war wie ein Abschied, als er jetzt sehr liebevoll den Arm um Lisa legte: „Ich liebe dich, Lisa.“ Er stand auf, wandte sich um und verließ mit großen Schritten den Park, hielt ein gerade vorbei fahrendes Taxi an, stieg ein und drehte sich nicht mehr um.
Plötzlich wurde sich Lisa der beißenden Kälte bewusst, die nicht nur von außen kam. Auch sie stand auf, fühlte sich völlig allein gelassen und hatte nur noch den einen Gedanken: „In vierzehn Tagen sind wir in Marokko, in vierzehn Tagen haben wir alle Zeit der Welt, um zu sprechen, um zu versuchen, den gemeinsamen, den so sehr ersehnten Weg in unser zukünftiges Dasein zu finden.“ Warum tröstete sie diese Vorstellung nicht, warum gab es nur dieses innerliche und äußerliche Frieren, die Kälte, die versuchte sie auszulöschen.
Die nächsten Tage vergingen zwischen der Unwirklichkeit, die alles einzuhüllen schien  und den Vorbereitungen für die Reise.
Es gab so vieles, was dieses Unternehmen schon rein äußerlich von anderen Reisen unterschied. Da war kein Koffer zu packen, ein großer Rucksack langte. Jedes Stück, das sie einpackte, wurde mindestens zwei- oder dreimal gegen etwas Bequemeres, Notwendigeres umgetauscht. Sie packte nur das absolut Wichtigste ein - keine Cremetöpfchen, keine Schminke, keine Kleider - Hosen, Pullis, T-shirts. „Am besten Kleidung, die Sie in Zwiebelmanier an- und ausziehen könnte“, hatte Frau Ayadi geraten. Außerdem feste Schuhe - der zusammengerollte Schlafsack. Sonnencreme.
Dazwischen weilte sie stundenlang in ihrem Atelier, sprach mit ihren Figuren, fühlte sich getröstet, wenn sie den schwarzen Leib ihrer knienden Frauenfigur berührte. Blieb vor dem Macael stehen und stellte sich vor, wie aus diesem Stein langsam die Trilogie emporsteigen würde, die ihr seit dem Besuch in Schloss Sayn in solcher Klarheit vor Augen schwebte, als hätte sie sie schon geschaffen.
Zwei Tage vor ihrer Abreise setzte sie sich an ihren kleinen Schreibtisch, um an Caroline zu schreiben. Keine langen Erklärungen, keine Bitten um Verständnis, sie sollte nur wissen, wo ihre Mutter sich aufhielt, falls sie - wider jedes Erwarten - doch noch einmal ein Zusammensein suchen würde. ‘Wenn ich nur all meine Gefühle, die ich für sie empfinde, mit in diesen Umschlag packen könnte“, und sie konnte nicht vermeiden, dass sie, während sie ihn zuklebte, wieder, wie so oft in den letzten Tagen, anfing zu weinen. Es war so unvorstellbar, was zwischen ihr und Caroline in den letzten Wochen geschehen war - sie konnte, sie wollte es nicht akzeptieren. Und wusste doch, dass es im Augenblick nichts gab, was es möglich gemacht hätte, einen Weg zu ihrer Tochter zu finden.
‘Gott sei Dank, dass es bald übermorgen ist, dass ich Philipp wieder sehe, dass wir sprechen können.’ Noch immer klangen seine Worte ‘ich liebe dich, Lisa’ wie ein Versprechen in ihr nach - das Versprechen, dass doch noch alles gut würde.
Das Handy hielt sie lange nachdenklich in der Hand –  einen Augenblick doch noch einmal  die verführerische Phantasie, damit vielleicht die Möglichkeit einer Verbindung mit Caroline herstellen zu können. Dann legte sie es entschlossen neben den Brief an Caro.
Am nächsten Morgen ging sie noch einmal ins Marienstift - seit der Auseinandersetzung mit Caro war sie nicht mehr dort gewesen. Die täglichen Anrufe bei einer der Schwestern hatten sie davon unterrichtet, dass es bei Lukas keinerlei Veränderungen gab. Das Gleichmaß der alltäglichen Gewohnheit rein physischer Versorgung war schon seit langer Zeit in sein Dasein eingezogen. Und ab morgen gäbe es auch für eine ganze Weile nicht mehr ihre Besuche bei ihm. Doch was würde das ändern? Nichts. Sie blieb lange an seinem Bett sitzen, lauschte auf die von Apparaten geregelten Atemzüge, strich scheu über sein Gesicht, legte ihre warme Hand auf seine auf der Bettdecke wie leblos ruhenden Hand und wehrte sich vehement gegen aufsteigende Verzweiflung.
Als sie nach Hause  kam, ging sie, wie gewohnt, an ihren Briefkasten. In den nächsten Tagen hatte sich eine Nachbarin bereit erklärt, das für sie zu tun und auch ihre vielen Blumen zu gießen. Jetzt hielt sie erstaunt einen Umschlag mit Philipps Schrift in Händen. Was war geschehen? Warum schrieb er ihr? ‘Wir sehen uns doch morgen! Ist etwas passiert?’ In ihrer Wohnung angekommen, öffnete sie mit klopfendem Herzen den Umschlag.
‘Nein, nein - das kann nicht sein, dass kann er doch nicht Ernst meinen’, stammelte sie immer wieder, während die Schrift vor ihren Augen  verschwamm. Dennoch las sie wieder und wieder die wenigen Sätze:
„Liebste Lisa , ich weiß, ich werde dich jetzt unendlich enttäuschen und das schmerzt mich vielleicht genauso wie dich. Ich liebe dich, du bist der Mensch, mit dem ich irgendwann leben möchte. Ohne dich wäre mein Leben leer, das merke ich mit jeder Minute, die ich ohne dich verbringen muss.
Dennoch - ich bin überzeugt davon, dass wir jetzt eine Trennung brauchen, dass du Zeit benötigst, aber ich auch. Und um Dir gerade bei dieser so ganz besonderen Reise die Möglichkeit zu geben, zu Dir  zurückzukehren, fahre ich nicht mit. Ich hatte schon seit längerem das Gefühl, dass Du ständig versuchst, Dich selbst zu annullieren und die letzten Tage haben mich die Gründe erkennen lassen, warum Du das tust. Eine Entscheidung kann Dir niemand abnehmen, Du brauchst jetzt das völlige Alleinsein, keine ausführlichen Gespräche und Diskussionen. Kehr zu mir zurück als Du selbst - ich warte auf Dich, ich warte so sehr auf Dich.“
Es war Lisa, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. ‘Er lässt mich im Stich, er lässt mich im Stich’ war das Einzige, was sich wie etwas Unfassbares in ihrem Kopf, in ihrem Körper ausbreitete.


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Beitrag16.12.2013 18:57

von madrilena
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Liebe Simone - danke, dass Du wieder reingeschaut hast. Wenn ich mal fertig bin mit dem Buch, bekommst Du eine riesengroße Widmung rein und natürlich wirst Du im Anhang erwähnt. Denn ich finde es ehrlich sehr lieb von Dir, dass Du den Fortgang von "Worauf noch warten" so aufmerksam verfolgst. Also nochmals - danke. Wie es weiter geht? Bin selbst gespannt!
LG Hilde


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Beitrag09.02.2014 13:15

von madrilena
Antworten mit Zitat

Lange ist es her - aber ich habe dennoch weiter geschrieben, wenn auch nur sehr langsam. Ich habe mir überlegt, dass ich diejenige, die mit nach Marokko fahren, näher vorstellen möchte. Aus Werner habe ich Felix gemacht, und mitfahren werden Christa, Felix, Birgitta, Lisa natürlich, und Gudrun.


Hier die Vorstellung von Christa:

10. Christa
Es war eigentlich wie immer! Warum stört es sie heute nicht mehr wirklich? Christa beobachtete vom Flur aus ihren Mann, der am Esszimmertisch saß. Wie immer in die Zeitung vertieft. Kein Guten Morgen! Kein Lächeln! Zeitung. Gleich wird er murmeln: ‘Wo bleibt denn der Kaffee heute?’
Sie ging in die Küche, zog den Rollladen hoch, es regnete. Sie machte die Kaffeemaschine an. Auf dem Bord über dem Ofen stand die Tasse, die ihr Jonathan vor langer Zeit geschenkt hatte. „Der besten Mama der Welt“. Da war er noch so klein gewesen. Hatte die Tasse mit Sonja zusammen von seinem ersparten Geld gekauft.
War sie die beste Mama der Welt? Sie wusste es nicht. Vermisste nur jeden Tag ein bisschen mehr ihre Kinder. Jonathan war in eine WG gezogen. Als sein Vater erfuhr, dass sein Sohn schwul war, hatte es nur noch Streit und Spott gegeben.
Sie selbst hatte es schon lange gewusst. Gewusst? Nein, gespürt! Nur ein einziges Mal hatte sie mit ihm darüber gesprochen - da war er erst 15. Sie erinnerte sich an seine Wärme, als sie ihn in den Arm genommen hatte: „Jo, sei  ehrlich zu dir selbst. Leb dein Leben, nicht das, welches andere dir aufdrängen wollen. Ich bitte dich nur um eines, vertrau mir.“ Danach hatten sie lange schweigend in dieser Umarmung verharrt, bis er sich sanft von ihr losgemacht hatte. „Danke Mama“.
Nach dem Abitur war er zu seinem Freund gezogen. Beide studierten, Jonathan Psychologie, Bastian wollte Arzt werden. Sie träumten von einer gemeinsamen Praxis. Christa versuchte, Jonathan geldlich zu unterstützen - er lehnte es ab. Er wollte nicht das Geld seines Vaters. Arbeitete als Disque jokey, fuhr Pizzas aus, nahm in der Ferienzeit einen Halbtagsjob in einem Altenheim an. Auch Bastian suchte sich Nebenjobs - beide wollten unabhängig sein, innerlich und äußerlich.
Nach Jonathans Auszug war ein Stückchen Liebe zu ihrem Mann erloschen.
Und Sonja? Auch sie lebte nicht mehr bei den Eltern. Mit 13 wollte sie Tänzerin werden, gab aber den Ballettunterricht auf, als sie für sich die Bücher von Doris Lessing entdeckte. „Mama, wenn ich Schriftstellerin bin, zieh ich in eine ganz kleine Wohnung, hoch über Prag.“
„Prag? Warum denn gerade dorthin?“
Dann erinnerte sie sich. Sonja war mit der Klasse in Prag gewesen. Kehrte von der Goldenen Stadt betört zurück, erzählte vom Café Arco, wo sich einst die berühmtesten Dichter und Schriftsteller getroffen hatten. Früher. Was für Namen tauchten in den Erzählungen ihres Lehrers auf, als sie gerade dort Pause machten, wo die Erinnerungen noch so lebendig in der Luft hingen wie Zigarettenrauch und der warme Duft nach frischem Kaffee. Kafka, Rilke, Werfel, Max Brod. „Mama, Prag, warum gerade Prag? Kannst du dir die Atmosphäre dort vorstellen, damals, vor hundert Jahren? Prag war die Hauptstadt der Literaten. Es muss doch toll sein, in dieser Atmosphäre zu leben, zu schreiben!“ Geduldig hatte sie ihrer Tochter zugehört - glücklich über die strahlenden Augen, die ansteckende   Begeisterungsfähigkeit. Aber es blieb Sonjas Sehnsucht - zur Schriftstellerin hatte es nicht gereicht, sie studierte Journalistik, hatte sich ein kleines Zimmer in Frankfurt gemietet, hoch über der Stadt in einem der modernen Hochhäuser und träumte nach wie vor von Prag.
Das Sprudeln des Wassers weckte sie aus den Erinnerungen. Sie überbrühte den Kaffee, trug die volle Kanne zum gedeckten Frühstückstisch, schenkte Martin ein, setzte sich auf ihren Platz, die Zeitung nah vor ihrem Gesicht.
Früher war ihr das Frühstück zur wichtigsten Mahlzeit des Tages geworden. Die Vorstellung, ihren Mann, ihre Kinder mit einem Stück Brot in der Hand, schlürfend ein paar Schlucke des heißen Kaffees hinunterstürzend in den neuen Tag zu entlassen, war unvorstellbar. Sie liebte das aufgeregte Plappern der Kinder, ihr Lachen oder die Diskussionen über irgend ein Thema, das in der Schule gerade akut war. Auch Martin hatte sich an den Gesprächen beteiligt, hatte wie sie diese Frühstücke geliebt. Damals genügte ein rascher Blick, um tausend zärtliche Erinnerungen zu wecken.
Wann wurden diese Blicke seltener? Wann breitete sich immer mehr Fremdheit zwischen ihnen aus? Damals, als er entlassen und zum Frührentnerdasein gezwungen wurde. Oder als sie, dank des Erbes, dass ihr der Bruder ihrer Mutter hinterlassen hatte, anfing, für die Familie zu sorgen? Ertrug er das nicht? Gesprächen wich er aus oder wurde laut und wütend. Da gab sie es auf.
Und sehnte sich - nach zärtlichen Händen, nach innigen Küssen, nach Streicheln und dem Erschauern leidenschaftlicher Hingabe. Sie war doch noch nicht so alt, dass sie ganz darauf verzichten könnte. Aber mit Martin waren solche Gefühle nicht mehr möglich. Das Nebeneinander wurde immer intensiver und zerstörte alles. Was geblieben war? Gleichgültigkeit. Ungeduld.  Manchmal fragte sie sich, warum sie sich nicht trennten. War es Gewohnheit? Der Kinder wegen konnte es ja nicht mehr sein. Sie wusste es nicht, dachte auch eigentlich überhaupt nicht mehr über Zukunft nach.
Martin versteckte sich hinter Zeitungen und Büchern und sie hatte Lisas Reisegruppe  kennen gelernt. Sie freute sich auf das gemeinsame Abenteuer Marokko, wunderte sich nicht mehr darüber, wie gelassen Martin es hingenommen hatte, als sie ihm von der wochenlangen Trennung gesprochen hatte.
Und irgendwo in ihren Gedanken tauchte immer wieder die Gestalt von Samir auf. Sein Lächeln. Seine Stimme.  


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
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Gamone
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Beitrag13.02.2014 11:26

von Gamone
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madrilena hat Folgendes geschrieben:
Lange ist es her - aber ich habe dennoch weiter geschrieben, wenn auch nur sehr langsam. Ich habe mir überlegt, dass ich diejenige, die mit nach Marokko fahren, näher vorstellen möchte. Aus Werner habe ich Felix gemacht, und mitfahren werden Christa, Felix, Birgitta, Lisa natürlich, und Gudrun. Und wo zur Hölle ist Phillip???


Hier die Vorstellung von Christa:

10. Christa
Es war eigentlich wie immer! Warum stört es sie heute nicht mehr wirklich? Christa beobachtete vom Flur aus ihren Mann, der am Esszimmertisch saß. Wie immer in die Zeitung vertieft. Kein Guten Morgen! Kein Lächeln! Zeitung. Gleich wird er murmeln: ‘Wo bleibt denn der Kaffee heute?’
Sie ging in die Küche, zog den Rollladen hoch, es regnete. Sie machte die Kaffeemaschine an. Auf dem Bord über dem Ofen stand die Tasse, die ihr Jonathan vor langer Zeit geschenkt hatte. „Der besten Mama der Welt“. Da war er noch so klein gewesen. Hatte die Tasse mit Sonja zusammen von seinem ersparten Geld gekauft.
War sie die beste Mama der Welt? Sie wusste es nicht. Vermisste nur jeden Tag ein bisschen mehr ihre Kinder. Jonathan war in eine WG gezogen. Als sein Vater erfuhr, dass sein Sohn schwul war, hatte es nur noch Streit und Spott gegeben.
Sie selbst hatte es schon lange gewusst. Gewusst? Nein, gespürt! Nur ein einziges Mal hatte sie mit ihm darüber gesprochen - da war er erst 15. Sie erinnerte sich an seine Wärme, als sie ihn in den Arm genommen hatte: „Jo, sei  ehrlich zu dir selbst. Leb dein Leben, nicht das, welches andere dir aufdrängen wollen. Ich bitte dich nur um eines, vertrau mir.“ Danach hatten sie lange schweigend in dieser Umarmung verharrt, bis er sich sanft von ihr losgemacht hatte. „Danke Mama“.
Nach dem Abitur war er zu seinem Freund gezogen. Beide studierten, Jonathan Psychologie, Bastian wollte Arzt werden. Sie träumten von einer gemeinsamen Praxis. Christa versuchte, Jonathan geldlich finanziell  zu unterstützen - er lehnte es ab. Er wollte nicht das Geld seines Vaters. Arbeitete als Disque jokey DJ oder Disc Jockey , fuhr Pizzas aus, nahm in der Ferienzeit einen Halbtagsjob in einem Altenheim an. Auch Bastian suchte sich Nebenjobs - beide wollten unabhängig sein, innerlich und äußerlich.
Nach Jonathans Auszug war ein Stückchen Liebe zu ihrem Mann erloschen.
Und Sonja? Auch sie lebte nicht mehr bei den Eltern. Mit 13 wollte sie Tänzerin werden, gab aber den Ballettunterricht auf, als sie für sich die Bücher von Doris Lessing entdeckte. „Mama, wenn ich Schriftstellerin bin, zieh ich in eine ganz kleine Wohnung, hoch über Prag.“
„Prag? Warum denn gerade dorthin?“
Dann erinnerte sie sich. Sonja war mit der Klasse in Prag gewesen. Kehrte von der Goldenen Stadt betört zurück, erzählte vom Café Arco, wo sich einst die berühmtesten Dichter und Schriftsteller getroffen hatten. Früher. Was für Namen tauchten in den Erzählungen ihres Lehrers auf, als sie gerade dort Pause machten, wo die Erinnerungen noch so lebendig in der Luft hingen wie Zigarettenrauch und der warme Duft nach frischem Kaffee. Kafka, Rilke, Werfel, Max Brod. „Mama, Prag, warum gerade Prag? Kannst du dir die Atmosphäre dort vorstellen, damals, vor hundert Jahren? Prag war die Hauptstadt der Literaten. Es muss doch toll sein, in dieser Atmosphäre zu leben, zu schreiben!“ Geduldig hatte sie ihrer Tochter zugehört - glücklich über die strahlenden Augen, die ansteckende   Begeisterungsfähigkeit. Aber es blieb Sonjas Sehnsucht - zur Schriftstellerin hatte es nicht gereicht, sie studierte Journalistik, hatte sich ein kleines Zimmer in Frankfurt gemietet, hoch über der Stadt in einem der modernen Hochhäuser und träumte nach wie vor von Prag.
Das Sprudeln des Wassers weckte sie aus den Erinnerungen. Sie überbrühte den Kaffee, trug die volle Kanne zum gedeckten Frühstückstisch, schenkte Martin ein, setzte sich auf ihren Platz, die Zeitung nah vor ihrem Gesicht.
Früher war ihr das Frühstück zur wichtigsten Mahlzeit des Tages geworden. Die Vorstellung, ihren Mann, ihre Kinder mit einem Stück Brot in der Hand, schlürfend ein paar Schlucke des heißen Kaffees hinunterstürzend in den neuen Tag zu entlassen, war unvorstellbar. Sie liebte das aufgeregte Plappern der Kinder, ihr Lachen oder die Diskussionen über irgend ein Thema, das in der Schule gerade akut war. Auch Martin hatte sich an den Gesprächen beteiligt, hatte wie sie diese Frühstücke geliebt. Damals genügte ein rascher Blick, um tausend zärtliche Erinnerungen zu wecken.
Wann wurden diese Blicke seltener? Wann breitete sich immer mehr Fremdheit zwischen ihnen aus? Damals, als er entlassen und zum Frührentnerdasein gezwungen wurde. Oder als sie, dank des Erbes, dass ihr der Bruder ihrer Mutter hinterlassen hatte, anfing, für die Familie zu sorgen? Ertrug er das nicht? Gesprächen wich er aus oder wurde laut und wütend. Da gab sie es auf.
Und sehnte sich - nach zärtlichen Händen, nach innigen Küssen, nach Streicheln und dem Erschauern leidenschaftlicher Hingabe. Sie war doch noch nicht so alt, dass sie ganz darauf verzichten könnte. Aber mit Martin waren solche Gefühle nicht mehr möglich. Das Nebeneinander wurde immer intensiver und zerstörte alles. Was geblieben war? Gleichgültigkeit. Ungeduld.  Manchmal fragte sie sich, warum sie sich nicht trennten. War es Gewohnheit? Der Kinder wegen konnte es ja nicht mehr sein. Sie wusste es nicht, dachte auch eigentlich überhaupt nicht mehr über Zukunft nach.
Martin versteckte sich hinter Zeitungen und Büchern und sie hatte Lisas Reisegruppe  kennen gelernt. Sie freute sich auf das gemeinsame Abenteuer Marokko, wunderte sich nicht mehr darüber, wie gelassen Martin es hingenommen hatte, als sie ihm von der wochenlangen Trennung gesprochen hatte.
Und irgendwo in ihren Gedanken tauchte immer wieder die Gestalt von Samir auf. Sein Lächeln. Seine Stimme.  


Wie immer, sehr gerne gelesen!
Stellst du jetzt alle Teilnehmer vor, oder kommen wir auch noch mal in Marokko an? Wink

Liebe Grüße
Miss Ungeduldig


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Gut ist besser als schlecht!
*H.S.*

***

... du solltest öfters vom Dach springen ...
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madrilena
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Beitrag17.02.2014 19:01

von madrilena
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Liebe Simone - vielen lieben Dank, dass Du Dich wieder einmal meiner "Lisa" angenommen hast. Ich habe Dir eine pn geschickt und Dir einiges von mir erklärt. Was jetzt "worauf noch warten" angeht, habe ich die wenigen Teilnehmer (3 plus Philipp  haben sich ja zurückgezogen), in verschiedenen, natürlich nicht langweilig aufeinander folgenden Kapiteln vorgestellt - das erschien mir für ein solches Abenteuer, das sie gemeinsam geplant haben, einfach notwendig. Es dürfen nicht einfach Namen sein - sie müssen mit Schicksalen etc. erfüllt werden. Hier habe ich jetzt Birgitta eingeschoben, mal sehen, was Du dazu sagst. Übrigens habe ich schon Deine Tipps zum vorherigen eingearbeitet. Nochmals vielen lieben Dank. Und nach Marokko kommen wir auch noch!!!!
LG Hilde


13. Birgitta
Birgitta saß - wie immer - allein in ihrer Penthousewohnung, blätterte, ohne den Inhalt wirklich wahr zu nehmen, in ihrem Bildband über Marokko, den sie sich gekauft hatte, nachdem Lisa ihnen im Cafe Dell Arte von ihren Plänen erzählt hatte.
Wie sehr hatte die Diagnose ihr Leben verändert. Seitdem hatte sich ihr Dasein für ein Vorher und ein Nachher entschieden. So war sie über Lisas Vorschlag erst einmal nur erschrocken gewesen, hatte vergebens auf ein Gefühl der Freude und des Abenteuers gewartet.
Vorher - das war die Scheidung von Stefan. Die hatte aber nicht mehr geschmerzt.
Natürlich, zuerst der Schock, als sie ihn überraschend auf der Straße entdeckte. Arm in Arm mit einer viel Jüngeren. Ihre Gesichter spiegelten sich in den Scheiben der Boutique, vor der sie lachend stehen geblieben waren. Sollte sie die Straße überqueren? Sich neben sie stellen. Freundlich grüßen? Diese Selbstbeherrschung traute sie sich nicht zu. Versteckte sich hinter einem Zeitungskiosk, wollte nicht glauben, was sie mit eigenen Augen sah. Die Frau drehte ihr Gesicht Stefan zu. Lächelte. Küsste ihn. Flüchtig nur. Aber mit einer schmerzlichen Selbstverständlichkeit. Er strich ihr zärtlich die Haare aus dem lachenden Gesicht.
Ihr Stefan!
Warum hatte sie nichts gemerkt?
Er ... er war doch immer da.
Immer? Und die vielen Abende, die er angeblich noch Sitzungen gehabt hatte - die häufigen Geschäftsreisen? Sie vertraute ihm. Jedes Wort, jedes Argument geglaubt.  In der, wenn auch knapp bemessenen gemeinsamen Zeit, war er ein liebevoller, aufmerksamer, noch immer sehr zärtlicher Ehemann.
Sie hatten keine Kinder. Als sie anfingen, mit dem Gedanken an Familie zu spielen, war es zu spät - sie hatten ihrem Beruf gelebt. Stefan war Jurist, sie Architektin und beiden war ihre Karriere  sehr wichtig. Wenn sie ehrlich war, hatte sie es nie wirklich bereut, keine Kinder gehabt zu haben - ihr Leben war ausgefüllt, abwechslungsreich und - sie gestand es sich nach einiger Zeit ein - auch frei gewesen. Wollten sie verreisen, wer hinderte sie daran? Verpflichtete ihr Beruf sie dazu, sich wochenlang intensiv den einzelnen Aufgaben hinzugeben, mussten sie sich keine Sorgen und auch keine Vorwürfe machen, irgendjemanden zu vernachlässigen.
Und jetzt das? An diesem Morgen hatte ihre heile Welt einen tiefen Sprung bekommen. Lange konnte sie ihr Wissen nicht für sich behalten. Sie wollte kein Vertrauen heucheln, wenn sie in Wirklichkeit keinem seiner Schritte mehr glaubte. Es war ein Donnerstagabend vor vier Jahren. Sie hatten Feuer im Kamin gemacht, Stefan saß im Sessel  und las. Sie hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und beobachtete ihn, ohne dass er es merkte. In die warme, knisternde Stille hinein dann ihre Stimme: „Stefan, ich lass mich scheiden.“ Sie sah die Szene vor sich, als wäre es gestern gewesen. Ganz langsam hatte er das Buch sinken gelassen. Leise gefragt: „Seit wann weißt du...“ Ein brennender Schmerz breitete sich in diesem Augenblick in ihrem Innern aus, heißer als das rotglühende Feuer im Kamin - er leugnete nicht, er beteuerte nichts, nur diese vier Worte ‘seit wann weißt du’.
Schlimmer hätte er sie nicht demütigen können. Erst jetzt fühlte sie sich hintergangen.
Nach einer dunklen Zeit, die ihr schier endlos erschienen war, wurde das Vorher wieder strahlend, vielversprechend und unbeschwert. Sie hatte nur noch das Gefühl „ich bin frei“ - Niemand redete ihr in ihre Entscheidungen rein. Niemand versuchte sie zu beeinflussen. Niemand konnte ihr irgendetwas vorschreiben. Sie lernte die Reisegruppe von Lisa kennen und plötzlich fand sie neben ihrem Beruf Zeit, Neues zu erleben. Anderes zu entdecken.
Bis vor anderthalb Jahren. Es war ein ganz normaler Morgen gewesen. Aufstehen. Duschen - da bemerkte sie den Knoten. Vorsichtig tastete sie ihre Brust ab. Der Knoten blieb.
An diesem Morgen begann das Nachher. Röntgen, Ultraschall, Mammographie. Diagnose: bösartig.
Sie wusste nicht, woher sie die Gefasstheit nahm, zu fragen: „Wielange noch?“
„Das wissen wir nicht. Bei intensiver Behandlung sind die Heilungsaussichten gut..“
Der Weg, den sie in diesem „Nachher“ gehen musste, war lang und das Alleinsein oft unerträglich. Sollte sie Stefan von ihrer Krankheit berichten? Nein - sie wollte keinen Kontakt und schon gar keinen vom Mitleid diktierten. Sie merkte, wie wenig Menschen sie in ihr Leben gelassen hatte - nur Margit, ihre Freundin, die versuchte, sie in all dem Geschehen, dass sie überrollte, zu begleiten.
Operation, Bestrahlung, Chemo, Medikamente - bei der Reisegruppe hatte sie sich wegen starker beruflicher Belastung für eine Zeitlang abgemeldet. Bis vor ein paar Wochen die Einladung von Lisa zum Treffen ins Cafe Dell Arte kam. Sie fühlte sich stark genug, ihr altes und doch ganz neues Leben wieder aufzunehmen. Neu - weil sie jeden Tag, jede Stunde mit einer nie gespürten Intensität lebte, immer überschattet von der bangen Frage: Wie lange noch? Ihre Aussichten stünden gut. Hatten die  Ärzte behauptet.
14.


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Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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madrilena
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Beitrag22.04.2014 09:06

von madrilena
Antworten mit Zitat

Nach langer Zeit mal wieder - dabei war ich sehr fleißig und habe viel geschrieben, vor allem aber die ersten 180 Seiten ausführlich lektorieren lassen und verbessert. Hier also nochmals das Kapitel über Birgitta, eine der Teilnehmerinnen des Wüstenabenteuers. Über Rückmeldungen würde ich mich freuen. Eine schöne und kreative Woche wünsche ich Hilde

13 Birgitta
Birgitta spürte, wie sie immer ungeduldiger auf Lisas Anruf wartete. Die Zeit verging so schnell! Hatte sie davon denn überhaupt noch so viel, um warten zu können?
Sie saß - wie meistens - allein in ihrer Penthousewohnung, blätterte  in ihrem Bildband über Marokko von Uwe George, den sie sich gekauft hatte, nachdem Lisa ihnen im Cafe Dell’ Arte von ihren Plänen erzählt hatte.
„Sie hat doch versprochen, gleich anzurufen, wenn es Neuigkeiten gäbe. Ihr Blick blieb an den Worten von Uwe George hängen, die er über seine Expeditionen in die Sahara vermerkt hatte:
 „Aber auch voller Irrlichter ist die Sahara, Luftspiegelungen, in denen Schein und Realität, Traum und Wirklichkeit verschwimmen.“
‘Traum und Wirklichkeit verschwimmen’, war es das, was sie suchte?  Wie lange noch?
Wie sehr hatte sich ihr Leben in den letzten Jahren verändert. Es hatte sich geteilt in ein Vorher und Nachher.
Vorher - das war zuerst die Scheidung von Stefan gewesen. Die hatte aber nicht mehr geschmerzt. Das war nicht gleich so gewesen. Zuerst der Schock, als sie ihn überraschend auf der Straße entdeckte. Arm in Arm mit einer viel Jüngeren. Ihre Gesichter spiegelten sich in den Scheiben der Boutique, vor der sie lachend stehen geblieben waren. Sollte sie die Straße überqueren? Sich neben sie stellen. Freundlich grüßen? Diese Selbstbeherrschung traute sie sich nicht zu. Sie versteckte sich hinter einem Zeitungskiosk, wollte nicht glauben, was sie mit eigenen Augen sah. Die Frau drehte ihr Gesicht Stefan zu. Lächelte. Küsste ihn. Flüchtig nur. Aber mit einer schmerzlichen Selbstverständlichkeit. Er strich ihr zärtlich die Haare aus dem lachenden Gesicht.
Mit den gleichen Händen, mit denen er sie streichelt!? Ihr Stefan!  Warum hatte sie nur nichts gemerkt? Er ... er war doch immer da.
Immer? Und die vielen Abende, die er angeblich noch Sitzungen gehabt hatte - die häufigen Geschäftsreisen? Sie vertraute ihm. Jedes Wort, jedes Argument hatte sie geglaubt.  In der, wenn auch knapp bemessenen gemeinsamen Zeit, war er ein liebevoller, aufmerksamer, noch immer sehr zärtlicher Ehemann.
Sie hatten keine Kinder. Als sie anfingen, mit dem Gedanken an Familie zu spielen, war es zu spät - sie hatten ihrem Beruf gelebt. Stefan war Jurist, sie Architektin und beiden war ihre Karriere  sehr wichtig. Wenn sie ehrlich war, hatte sie es nie wirklich bereut, keine Kinder zu haben - ihr Leben war ausgefüllt, abwechslungsreich und - sie gestand es sich nach einiger Zeit ein - auch frei gewesen. Wollten sie verreisen, wer hinderte sie daran? Verpflichtete ihr Beruf sie dazu, sich wochenlang intensiv den einzelnen Aufgaben hinzugeben, mussten sie sich keine Sorgen und auch keine Vorwürfe machen, irgendjemanden zu vernachlässigen.
Und jetzt das? An jenem Morgen hatte ihre heile Welt einen tiefen Sprung bekommen. Lange konnte sie ihr Wissen nicht für sich behalten. Sie wollte kein Vertrauen heucheln, wenn sie in Wirklichkeit keinem seiner Schritte mehr glaubte. Es war ein Donnerstagabend vor drei Jahren. Sie hatten Feuer im Kamin gemacht, Stefan saß im Sessel  und las. Sie hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und beobachtete ihn, ohne dass er es merkte. In die warme, knisternde Stille hinein dann ihre Stimme: „Stefan, ich lass mich scheiden.“ Sie sah die Szene noch immer vor sich, als wäre es gestern gewesen. Ganz langsam hatte er das Buch sinken gelassen. Leise gefragt: „Seit wann weißt du...“ Ein brennender Schmerz hatte sich in diesem Augenblick in ihrem Innern ausgebreitet, heißer als das rotglühende Feuer im Kamin - er leugnete nicht, er beteuerte nichts, nur diese vier Worte ‘seit wann weißt du’.
Schlimmer hätte er sie nicht demütigen können.
Nach einer dunklen Zeit, die ihr schier endlos erschienen war, wurde das Vorher wieder strahlend, vielversprechend und unbeschwert. Sie hatte nur noch das Gefühl „ich bin frei“ - Niemand redete ihr in ihre Entscheidungen rein. Niemand versuchte sie zu beeinflussen. Niemand konnte ihr irgendetwas vorschreiben. Sie lernte die Reisegruppe von Lisa kennen und fand neben ihrem Beruf Zeit, Neues zu erleben. Anderes zu entdecken.
Bis vor zwei Jahren. Es war ein ganz normaler Morgen gewesen. Aufstehen. Duschen - da bemerkte sie den Knoten. Vorsichtig tastete sie ihre Brust ab. Der Knoten blieb.
An diesem Morgen begann das Nachher. Röntgen, Ultraschall, Mammographie. Diagnose: bösartig.
Sie wusste nicht, woher sie die Gefasstheit nahm, zu fragen: „Wie lange noch?“
„Das wissen wir nicht. Aber Sie haben es Gott sei Dank frühzeitig gemerkt. Da sind die Heilungsaussichten gut..“
Der Weg, den sie in diesem „Nachher“ gehen musste, war lang und das Alleinsein oft unerträglich. Sollte sie Stefan von ihrer Krankheit berichten? Nein - sie wollte keinen Kontakt und schon gar keinen vom Mitleid diktierten. Sie merkte, wie wenig Menschen sie in ihr Leben gelassen hatte - nur Margit, ihre Freundin, die versuchte, sie in all dem Geschehen, dass sie überrollte, zu begleiten. Bei Lisas Reisegruppe hatte sie sich wegen starker beruflicher Belastung für eine Zeitlang abgemeldet. Jetzt gab es nur noch wenige Wichtigkeiten in ihrem Leben: Operation, Bestrahlung, Chemotherapie, Medikamente. Nach langen Monaten der Angst die Worte des Arztes: „Ich glaube, ich kann sagen, ihre Heilungsaussichten sind sehr gut.“
Und dann kam vor ein paar Wochen die Einladung von Lisa zum Treffen ins Cafe Dell’ Arte. Sie fühlte sich tatsächlich stark genug, ihr altes und doch ganz neues Leben wieder aufzunehmen. Neu - weil sie jeden Tag, jede Stunde mit einer nie gespürten Intensität lebte, immer irgendwo im Innern überschattet von der  Frage: Wie lange noch?
Dieses Wüstenabenteuer - die Vorfreude auf Weite, auf das Erlebnis, das wiederum Uwe George mit so wunderbaren Worten schilderte:
„Es spielt auch ein ewiges Orchester leiser Töne: das Brausen des Windes, das seltsame Rauschen von Sandfällen, dort, wo Wanderdünen sich über die Kante eines Plateaus in die Tiefe ergießen, das feine Prasseln der Sandkörnen gegen das in Äonen zermürbte Gestein, welches in seinem zerrissenen und geschliffenen Gefüge dem Wind zu allerlei Instrumenten wird.“
‘Äonen - nicht mehr nachvollziehbare Zeitbegriffe - da verlor die  bedrohliche Frage  „wie lange noch“ ihre Bedeutung.  Was blieb waren Erwartungen und das Empfinden, mit dieser Reise die richtige Entscheidung für sich getroffen zu haben.


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1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
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Beitrag30.04.2014 12:16

von Gamone
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Ich komme mit! Diese Reise ist so verlockend!
Hast du selbst schon mal so eine Wüstentour gemacht?

Am Text hab ich nichts auszusetzen. Hättest dich ja ruhig mal verschreiben können Wink
Von Chili möchte ich übrigens noch mehr lesen Very Happy

LG
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Beitrag30.04.2014 13:11

von madrilena
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Hallo Simone - ich war zwar schon ein paarmal in der Wüste, aber eine Wanderung habe ich noch nicht gemacht. Schade dass ich nicht jünger bin, sonst würde ich sie mit Dir machen! Danke fürs feedback. LG Hilde

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madrilena
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Beitrag30.04.2014 13:50

von madrilena
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Vielleicht sind hier auch keine Fehler zu finden. Ich stelle zwar im Augenblick alle Porträts auf einmal ein, aber im Buch sind sie natürlich verteilt, sonst wäre es einfach zu langweilig. Jetzt ist Gudrun dran und danach noch Felix und dann geht es endlich in die Wüste selbst. Es ist eine Riesenarbeit mit der Recherche, weil man  ja glaubwürdig rüberkommen möchte und es immer Leser gibt, die dann sagen, ne, die Düne war nicht dort, die war da! Deshalb habe ich unzählige Bücher, habe Verbindung mit Leuten, die so was gemacht haben, recherchiere endlose Reiseberichte, trotzdem - es macht Spaß und dabei soll die Wüstenwanderung noch nicht mal das Wichtigste sein. Am Anfang dachte ich sie nur als eine Art Nachdenken, als Meditation, da war das Erlebnis der Wanderung als solches wichtig, aber jetzt, nach der Absage von Philipp drängt sich doch die Notwendigkeit auf, daraus Wichtigeres zu machen. Na ja, ich werde mal sehen. Wie gesagt, hier ist die dritte Teilnehmerin, Gudrun. Für feedbacks bin ich wie immer sehr dankbar.

15. Gudrun
„Was für ein tolles Gefühl, nicht in eine leere Wohnung zu kommen.“ Gudrun hängte ihren Mantel auf, streifte wie immer sofort ihre Schuhe ab und rief „Simone, ich bin wieder da.“
Die Freundin trat auf den kleinen Flur ihrer gemeinsamen Wohnung und begrüßte Gudrun mit einem zärtlichen Kuss auf den Mund.
„Schön, dass heute keine Überstunden fällig waren.“
„Nein, es war auch so anstrengend genug. Ich hätte nie gedacht, dass es so viele verschiedene Temperamente auf so kleinem Raum geben kann.“
„Na, du bist gut - kleinem Raum. In der Gutenbergresidenz leben immerhin 120 alte Menschen, da stürmt doch jeden Tag unheimlich viel auf dich ein. Ich sag dir ja immer wieder, such dir einen anderen Job. Mit deiner Ausbildung bekommst du jederzeit Arbeit.“
„Mag ja sein und klar, es ist anstrengend, zu versuchen, auf alle Wünsche und Beschwerden einzugehen, aber ich bekomme doch auch sehr viel Anerkennung. Natürlich könnte ich eine psychotherapeutische  Praxis aufmachen“...
Simone lachte laut auf: „Glaubst du, mit seelisch geschädigten Menschen zu arbeiten, wäre weniger anstrengend?“
Gudrun hielt einen Augenblick erschreckt den Atem an - das Gespräch nahm keine so gute Wendung, wenn sie daran dachte, dass...
Schnell antwortete sie: „Ich weiß es nicht - mir macht es einfach Freude, zu spüren, dass oft einfach nur meine  Anwesenheit oder  eine simple Berührung manchmal ein Lächeln auf das Gesicht eines Menschen zaubert, der im Nebel von Alzheimer über den Gang schleicht.“   Während die beiden Frauen eng umschlungen ins Wohnzimmer gingen, meinte sie: „Ich habe dir doch von dieser Frau Heinz erzählt, die vor einiger Zeit mit ihren 97 Jahren meinte, ich solle ihr doch einmal ein paar anspruchsvolle Bücher bringen - sie hätte die Liebesromane in der Bibliothek der Residenz so satt. Sie hat mir heute einen irischen Segensspruch zugesteckt.“ Gudrun kramte in ihrer Hosentasche, zog einen gelben Zettel heraus und las vor:  „Mögen die Grenzen, an die man stößt, einen Weg für Träume offen lassen.“
Erstaunt fragte Simone: „Warum hat sie das getan und warum gerade einen solchen Spruch?“
„Das hab ich sie auch gefragt und sie antwortete, sie hätte den Eindruck, ich sei im Augenblick überfordert.“
„Hast du ihr von deinem bevorstehenden Abenteuer erzählt?“
Klang da ein bisschen Spott aus Simones Stimme? Gudrun nahm sich vor, das zu überhören und meinte: „Natürlich, sie hat sich auch gleich Bildbände von Marokko bringen lassen und fragt mir ein Loch in den Bauch, wohin in Marokko und wie viel wir in der Gruppe wären und warum wir keine Städte besuchen. Das geht mir manchmal schon auf die Nerven. Andererseits finde ich es wirklich lieb von ihr, sich so viel Gedanken um mich zu machen und der Spruch ist doch sehr schön.“
„Stößt du an deine Grenzen? Auch in unsrer Beziehung?“
Simone sah die Freundin eindringlich an.
„Quatsch, ich weiß nicht, wieso die Frau überhaupt auf solche Gedanken kommt. Mit dir,“ zärtlich berührte sie Simones Gesicht, zeichnete mit ihren Fingern eine Linie von den Augen über die Wangenknochen bis zu ihrem Mund nach, „mit dir bin ich einfach nur glücklich. Mach dir nicht immer so viele Gedanken. Ich wollte nicht mehr ohne dich sein, mehr noch, ich kann mir ein Leben ohne dich gar nicht mehr vorstellen.“
Simone griff mit beiden Händen in Gudruns braune Lockenpracht: „Mit geht es genauso. Es ist einfach nur schön, dass es dich gibt. Und jetzt essen wir erst mal, ich habe nämlich dein Lieblingsessen gekocht. Anspruchsvoll bist du ja wirklich nicht - Spinat mit Spiegeleier - da braucht man nicht viel zu kochen. Und dann hast du vielleicht Lust, an deinem Buch weiter zu schreiben?“
„Du meinst mein Kinderbuch über unser kleines Kuscheltier?“ Sie trat ans Sofa, hob eine  kleine Ente mit gelbem Schnabel und grünem Kopf hoch und meinte: „Na Espi, hattest du auch einen anstrengenden Tag?“
Simone lachte: „Wenn dich jemand hören würde! Und obendrein noch mitbekäm, dass du einem Kuscheltier den Namen deines Lieblingsgemüses gegeben hast.“
„Mich hört aber niemand und außerdem, was ist dabei, ich hab ihn ja nicht espinaca genannt, sondern nur Espi. Warum muss man eigentlich immer so ernst sein. Ich weiß z. B. dass Lisa ganz fest damit gerechnet hat, mich von ihren Wüstenplänen zu überzeugen, weil dann die andern viel eher mitmachen würden. Warum eigentlich?“
„Warum? Du bist vielleicht gut - du strahlst einfach Autorität aus und vielleicht auch viel Verantwortungsgefühl, da hat sie doch vollkommen Recht, wenn sie auf dich zählt und vor allem auf deine Zustimmung.“
Als Simone in die Küche ging, um das Essen zu holen, trat Gudrun ans Fenster ihrer Penthouse Wohnung. Während sie wieder wie schon so oft die Spiegelung eines etwas matten Sonnenuntergangs in den Scheiben der gegenüberliegenden Bank bewunderte, dachte sie: „Manchmal habe ich Angst -  Glück war etwas so Zerbrechliches.“
Wie sehr wünschte sie sich, Simone würde die Reise nach Marokko mitmachen, wusste aber gleichzeitig, dass es für so ein Unternehmen für die Freundin noch zu früh war. So genoss sie es, dass Simone durch Beschreibungen und Bilder aus den Büchern, die Gudrun sich angeschafft hatte, doch an der Reise teilnehmen konnte. Und dann träumten sie davon,  sich nach einem langen, anstrengenden Wandern über endlose Weiten,  auf die noch warme Erde zu legen und mit dem Sternenhimmel zuzudecken, umgeben von den  mannigfaltigen Geräuschen der Nacht.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
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Gamone
Geschlecht:weiblichEselsohr
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Alter: 46
Beiträge: 360
Wohnort: NRW


G
Beitrag30.04.2014 15:23

von Gamone
Antworten mit Zitat

Hahaha! Super!
Aber so hatte ich das nicht gemeint Wink

Der Textausschnitt ist auch gut Daumen hoch


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Gut ist besser als schlecht!
*H.S.*

***

... du solltest öfters vom Dach springen ...
*Lapidar*
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madrilena
Klammeraffe

Alter: 88
Beiträge: 647



Beitrag30.04.2014 20:11

von madrilena
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Und wo ist Deiner????? Du hast doch nicht etwa aufgegeben?

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Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
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