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Zeitegel

 
 
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Nihil
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Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag03.12.2012 01:00
Zeitegel
von Nihil
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Seine nasse Zunge dachte für ihn. Als evolutionär primitives Organ beherrschte sie keine grammatikalischen Rafinessen und selbst mehrsilbige Wörter überstiegen schon ihr Vermögen. Umso beachtlicher war es, dass sie an Essen in mehr als fünf Sprachen denken konnte (Steak, Pizza, Quiche, Kartoffelauflauf, Döner). Dafür haperte es bei ihr an der Entscheidungsfähigkeit. Sie suhlte sich in ihrem eigenem Speichel wie verspielte Ferkel im Schlamm, rieb sich erregt am Gaumen wund, nur um zu versuchen, ihre gustatorische Genialität anzubohren.
Im Gegensatz zu Hermanns Zunge war sein Magen ein Ding, das Quantität vor Qualität setzte. Seit Stunden stand Hermann hinter der Plexiglasscheibe und dachte an die Dokumentation vom Vorabend zurück, die die Zustände Gefangener in einem russischen Hochsicherheitsgefängnis gezeigt hatte. Um gehorsam zu bleiben, wurden sie psychisch gebrochen und gequält. Die Hände an Lampen oder Röhren an der Decke gebunden, mussten sie stundenlang auf einem Hocker stehen und darauf warten, dass ihr Kreislauf kollabierte. Schlimme Zustände waren das.
Gegen einen Kreislaufkollaps hätte Hermann allerdings wenig einzuwenden gehabt, solange wenigstens irgendetwas passierte. Er hatte bereits vier Stunden konzentriertes Nichts überstanden, das für manchen hyperaktiven Menschen schädlicher sein mochte als Arsen. Sein Vater jedenfalls war tot und das bereits seit knapp vierzehn Jahren und dieses Schicksal wurde ihm jeden Tag aufs Neue bewusst, wenn er durch die Fußgängerzone ging, den Schlüssel in das elektrische Schloss steckte und den Rollladen zum Pfandleihhaus hochfahren ließ.
Aber die Vergangenheit lag hinter einem und wenn man ständig an die Zukunft dachte, machte man sich nur verrückt. Im Grunde beherrschen nur zwei Dinge Hermanns Leben: Gegenwart und Gegenwert. Er hatte immer Mathe studieren wollen, schien das Vorhaben aber interessanter zu finden als die Umsetzung. Er hatte auch immer eine Familie haben wollen, aber in beides hätte man viel Mühe und Zeit investieren müssen. Seine Wünsche bildeten das Gewicht auf der anderen Seite der Waage, das sein trostloses Leben in Einklang hielt.
Er stöhnte und rieb sich die Augen. Die fünfte Stunde des Ausharrens hatte seit einer Viertelstunde angefangen. Immer redeten die Leute nur von Wirtschaftskrise, Wirtschaftskrise! Aber wann kam davon denn mal was beim kleinen Mann an? Nichts als leere Versprechungen aus der Politik, aber das war man ja bereits gewöhnt. Würden die Leute wirklich um ihr Überleben bangen, würde Hermanns Laden wenigstens brummen. Aber das einzige, was in diesen Hallen brummte, war der leere Kühlschrank, der sich mit einem ewigen Omm ins Nichts versenkt hatte.
Hinter ihm fraßen sich die langen Reihen der Regale ins Leere, nur auf einigen von ihnen befand sich solcher Krimskrams wie halbzerstückelte Porzellanpuppen, alter, oxidierter Metallschmuck oder Fahrräder ohne Licht und Bremse. Die standen aber auf dem Boden. Das einzige, wovon er wirklich genug hatte (außer vom Warten) war Staub. Wenn die Leute auch nichts bei ihm veräußerten, die graue Präsenz des Staubes war allgegenwärtig. In einem besonders lyrischen Moment dachte Hermann einmal, Staub sei doch nichts als sichtbar gemachte Zeit.

Als die Glocken über der Eingangstür bimmelten, glich das einer Reizüberflutung. Eine Frau trat in den Laden, das Relief ihres Gesichtes wurde von der schieren Masse an Schminke nahezu eingeebnet, und hielt einen kleinen jungen mit blonden Haaren an der Hand. Ihre hohen Absätze klackerten auf den Fliesen und ihr Parfüm füllte den Raum. Hermann streckte den Rücken durch und stellte sich aufrecht hin. Die Frau lehnte sich vor und lugte durch die kleine Auskerbung im Fenster, durch die Hermann den Kunden das Geld reichte.
„Guten Tag“, flüsterte sie lasziv. Man merkte sofort, dass sie ihr Möglichstes tat, um für eine femme fatale zu gelten. Ihre Absicht schwebte wie ein Reklameschild über ihr. „Ich hoffe, ich falle Ihnen mittlerweile nicht schon zur Last?“
„Keineswegs, gute Frau. Ich freue mich immer sehr, Sie zu sehen“, antwortete Hermann mit höflichem Lächeln. „Wie viel darf es denn heute sein?“
„Dass es Ihnen immer gleich um Zahlen geht. Genießen Sie doch mal den Moment.“
„So sehr ich Ihren Besuch auch schätze“, sagte Hermann, „aber es nützt nichts, mich verführen zu wollen. Die Maschine erkennt genau, wie alt sie noch sind. Auf mein Urteil kommt es nicht an.“
Die Frau löste sich von der Theke und ihr Gesicht verhärtete sich. Sie holte eine Schachtel Zigaretten hervor, fischte eine davon mit dem Mund heraus und fragte Hermann mit den Augen nach seinem Einverständnis. Er schüttelte den Kopf. Daraufhin steckte sie die Schachtel zurück, aber behielt die trockene Zigarette im Mund.
„Nur damit Sie es wissen, heute bezahle ich meine Schulden. Ich habe Gordon extra von der Schule geholt. Permanent.“
Hermann schluckte.
„Nur, dass ich Sie richtig verstehe: Sie wollen … ihren Sohn …?“
„Ob er nun seine Zeit mit iPhones verdaddelt oder wie die Dinger alle heißen oder zu ihnen kommt, das ist ja wohl auch egal. Obendrein hilft er damit seiner Mutter.“
Er verfluchte sich dafür, kein Mindestalter angegeben zu haben. Wenn er sich jetzt gegen einen Kunden wehrte, auch wenn er erst – (Hermann sah den kleinen Gordon an.) – neun oder zehn Jahre alt wäre, würde sich das rumsprechen. Und sein Laden wäre ruiniert. Mit angespanntem Kiefer holte er das Formular hervor und fragte die Frau:
„Wie viele Jahre soll ich denn verpfänden?“
„Machen wir zehn für den Anfang. Oder halt, besser gleich fünfzehn. Können wir das dann so machen, dass mir zehn Jahre von den eigenen Schulden gutgeschrieben werden und ich die restlichen fünf in Geld ausgezahlt bekomme?“
Hermann schob die Zunge unter die Oberlippe und schmatzte. Er sah nicht auf, als er antwortete.
„Können wir machen, aber da ihr Sohn minderjährig ist, darf er keine Geschäfte abschließen. Ich brauche ihre Unterschrift als Einverständniserklärung.“
Die nötigen Formalitäten waren schnell geklärt. Hermann trug die Geburtsdaten auf das Formular, heftete es ab, entriegelte mit einem Schalter elektronisch die Tür am Ende des Ganges und forderte die beiden auf, in den Umwandlungsraum dahinter zu gehen.
„Sie wissen ja, wo's lang geht. Ihren Sohn bitte zuerst, das macht den Transfer für mich einfacher.“
Er schloss die Tür zum Computerraum auf und sah durch ein Fenster, wie der Junge von der Mutter in den Nebenraum gedrängt wurde. Durch das Mikrofon sagte er ihm, dass er keine Angst zu haben und nichts Besonderes machen brauche, als einfach nur dazustehen und zu warten. Der Rest würde ganz von alleine funktionieren. Hermann zögerte. Er rang sich dazu durch, ihm zu raten, wenigstens den Pulli auszuziehen und den obersten Knopf der Hose aufzumachen.
Schweren Herzens riss erden Schalter nach unten. Der Raum verdunkelte sich, nur um von einer Kaskade von Blitzen erhellt zu werden und sich anschließend wieder zu verdunkeln. Als das Licht wieder aufdimmte, stand ein junger Mann im Nebenraum, die Klamotten alt, rissig und viel zu klein für seinen großen und schnell gealterten Körper. Als er merkte, was mit sich geschehen war, begann der Junge zu weinen, an die Tür zu hämmern, nach seiner Mama zu schreien. Hermann fuhr sich nervös mit der Hand über die Lippen. Er hätte das niemals machen dürfen. Oh Gott, er hätte das wirklich niemals machen dürfen!
Die Tür öffnete sich und seine Mutter umarmte den Jungen. Sie schickte ihn nach draußen, trat in die Mitte des Umwandlungsraumes und grinste Hermann erwartungsvoll an.
Sein Blut raste ihm durch die Adern. Dieses kokette Grinsen war nicht zum Aushalten. Er musste daran denken, wie er sich als Vater gefühlt hätte, wenn sein Sohn plötzlich um fünfzehn Jahre gealtert nach Hause kommen würde, seiner Kindheit beraubt, völlig verstört, von seinen Freunden losgerissen und hilflos.
Er tippte eine Summe ein. Die Summe, um die sich das Alter der Frau verändern würde. Seine Schläfen pochten und er legte den Schalter um.

Die Mikrowelle piepte. Der Staub lag dicht auf der schmierigen Oberfläche. Hermann nahm die Fertigsuppe heraus und löffelte sie langsam. Keine gute Mahlzeit, aber sie beschäftigte ihn. Die fünfte Stunde Nichtstun näherte sich ihrem Ende, wie wir alle.

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Beobachter
Klammeraffe


Beiträge: 617



Beitrag03.12.2012 08:35

von Beobachter
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Originell! Definitiv originell. Allein schon dein Einstieg mit der nassen Zunge, die für ihn dachte. Das war auf gewisse Art und Weise so ekelhaft-faszinierend, dass ich weitergelesen habe. Schade, dass die Spannung dann nachließ. Auch im Nachhinein finde ich es nicht relevant, dass der Pfandleiher Mathematik studieren wollte oder über die schlimmen Zustände in russischen Gefängnissen sinnierte. Dafür wurde es wieder spannend, als die Frau erschien. Was genau wollte sie? Und vor allem mit ihrem Sohn? Die Lösung war nicht nur originell, sondern geradezu verstörend-faszinierend. Das ist die erste Story, die ich gelesen habe; sie hat mir gefallen, und an ihr müssen sich erst mal alle anderen messen lassen.

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Stil ist die Fähigkeit, komplizierte Dinge einfach zu sagen - nicht umgekehrt.
- Jean Cocteau
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nebenfluss
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Beitrag03.12.2012 16:24

von nebenfluss
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Super geschrieben. Dir ist in den zwei Stunden eine sehr schwarze, skurrile Geschichte eingefallen mit tollen Ideen drin. Und wie viele Wörter du in dieser knappen Zeit in perfekter Rechtschreibung, Grammatik und ohne auffällige Wiederholungen zu PN gebracht hast - allein das beeindruckt mich schon ziemlich.

Natürlich hat die Geschichte Schwächen im Aufbau und der Logik, aber da mag ich - angesichts der widrigen Umstännde - gar nicht drauf eingehen.

LG
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Nordlicht
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Beiträge: 3761



Beitrag03.12.2012 17:17

von Nordlicht
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Deine Idee finde ich originell. So völlig ausgegoren scheint sie mir noch nicht zu sein, aber wie auch, in der Kürze der Zeit?
Es dauert eine Weile, bis du in der Geschichte zum Wesentlichen kommst. Der Anfang ist ein ganz guter Einstieg, aber verliert sich mE in zu viel Einzelheiten und hat letztendlich keine Verbindung zum Rest der Geschichte. Insofern: Wieso erzählst du so detailliert von Zunge, Magen, Gefangenen, diverse Einzelheiten über Hermanns Leben, die in der Geschichte keine Rolle spielen?
Abgesehen davon finde ich es unterhaltsam zu lesen, Beschreibungen und Dialoge funktionieren.


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Aiyra
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Beitrag03.12.2012 20:38

von Aiyra
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Der Anfang der Geschichte wirkt etwas arg erzwungen, die Übergänge sind zu zusammenhanglos.
Gegen Ende wird es aber richtig spannend. Sehr gut!
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Duffydoof
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Beitrag03.12.2012 21:47

von Duffydoof
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Der Sprung zur Science-Fiction kommt nicht zu schnell, nicht zu unbedacht. Man ist eben einfach drin in der Geschichte. Genügend Humor, um nicht als trocken zu gelten, und dann diese Idee. Diese Umsetzung der Vorgabe in Perfektion. Wow. Was soll ich sagen? Eine wortlose Rache an allen egoistischen Menschen, eine unausgesprochene Kritik an Mikrowellen, da diese vielleicht ebenso nur das Essen altern lassen?, und dann dieses schroffe, apodiktische Ende. Ganz einfach tot, noch mit einer Metapher verfeinert: Zu Staub geworden, und noch mit den Worten vorher verbunden: Der "Zeitegel", die böse Frau wurde zu sichtbar gemachter Zeit. All ihre "Schulden" wurden gesühnt.
Brutal aber ehrlich. Ich wollte mir erst alle Geschichten durchlesen, bevor ich diese Befederung vergebe, aber das hier kann nicht mehr getoppt werden.


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Es trägt nicht immer faulende Früchte, wenn man einem zweifelnden Rebellenbaum Sonnenstrahlen schenkt.

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hexsaa
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Beitrag04.12.2012 11:36

von hexsaa
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Sprachlich sehr schön und routiniert. Faszinierende Geschichte, die ich mit Spannung gelesen habe. Den ersten Abschnitt empfand ich als too much, aber der Rest hat das wieder rausgerissen. Gefällt!

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Ich lebe in meiner eigenen Welt.
Das ist okay, man kennt mich dort.
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Stimmgabel
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Bronzener Sturmschaden Der goldene Spiegel - Lyrik (2)



Beitrag05.12.2012 13:52

von Stimmgabel
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-

... ehrlich gesagt, so recht erschließt sich mir der Text nicht.  Embarassed

Es geht also um Zeit, um den Zeitverstrich, wie wir in für uns (Menschen) deuten, wie wir ihr empfinden, wie wir damit umgehen.

Dann diese Hermann Aussage:

"die graue Präsenz des Staubes war allgegenwärtig. In einem besonders lyrischen Moment dachte Hermann einmal, Staub sei doch nichts als sichtbar gemachte Zeit."

und am Ende:

"Die fünfte Stunde Nichtstun näherte sich ihrem Ende, wie wir alle."


Was soll mir das sagen? / Es wäre besser, wenn wir ohne die von uns ummantelte Zeitvorstellung auskämen? / ... oder, dass wir sowieso in einem Zeitentunnel exyistieren, den wir nicht beeinflussen können? / Mir echt nicht klar.

Auch verstehe ich den thematischen Zusammenhang (Pfandhaus, ... leihen, usw ...) des ersten Text-Drittels nicht.

Für mich beginnt (kann es nur) der Text erst ab:

Zitat:
Hinter ihm fraßen sich die langen Reihen der Regale ins Leere, nur auf einigen von ihnen befand sich solcher Krimskrams wie halbzerstückelte Porzellanpuppen, alter, oxidierter Metallschmuck oder Fahrräder ohne Licht und Bremse. Die standen aber auf dem Boden. Das einzige, wovon er wirklich genug hatte (außer vom Warten) war Staub. Wenn die Leute auch nichts bei ihm veräußerten, die graue Präsenz des Staubes war allgegenwärtig. In einem besonders lyrischen Moment dachte Hermann einmal, Staub sei doch nichts als sichtbar gemachte Zeit.

....................


Auch erkenne ich keinerler Konsequenz im Text bzgl dieses Gedankens - was wäre, wenn wir unser Leben, unsere Lebenszeit mit unserem eigenen ICH tatsächlich aktiv befüllen würden??? anstelle nur davon träumen, zeitmaschinend in unser Wünscheland transformiert zu werden - eben, es selbst in die Hand zu nehmen ...

...mmmhhh ???

... und, ok, wir leben in einem realen Zeitverstrich, also in einer mehr und mehr sich füllenden Vergänglichkeit ..., wir alle !!!
Und was ist nun das Pfand in dem Text? /  Wir nehmen uns die Zeit als Lebenspfand, die/das wir nur beliehen haben, und wieder zurückgeben müssen (im Tod endend) ???

Trotz sorgfältigen Lesens - eigentlich sinds nur diese Gedanken zum Text, die mir fragend in den Sinn kommen.

... und bzgl des Titels "Zeitegel" ... so gemeint, als werden wir von der Zeit sowieso aufgefressen???



Gruß Stimmgabel


_________________
Gabel im Mund / nicht so hastig...
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Jenni
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Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag05.12.2012 14:12

von Jenni
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Die Idee, Lebenszeit als zu verpfändendes Gut, finde ich sehr originell.
Mir gefallen auch einige der Ideen in der Anfangssequenz sehr gut (das über die Zunge). Dennoch finde ich diesen ersten Teil zu ausführlich, bzw. hat er mir dann auch zu wenig Bezug zu der folgenden Geschichte. Noch dazu ist mir nicht ganz klar, inwiefern hier die Vorgaben umgesetzt sind, denn es wird über Essen im Allgemeinen philosophiert, aber keine aktuelle Mahlzeit beschrieben.
Die Szene über die Lebenszeit finde ich gut, das Ende etwas abrupt. Als fehlte etwas - nämlich, was mit der Frau passiert (wenigstens ein Hinweis). Vielleicht ist das auch so gewollt, aber mir persönlich zu offen.
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holg
Geschlecht:männlichExposéadler

Moderator

Beiträge: 2395
Wohnort: knapp rechts von links
Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag05.12.2012 17:12

von holg
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Der Anfang ist mir etwas zu lang, aber das ausharren lohnt. Originelle Geschichte.
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Dienstwerk
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Beiträge: 1254
Wohnort: Gera/Markkleeberg
DSFo-Sponsor Goldene Harfe


Beitrag06.12.2012 00:24

von Dienstwerk
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Mit der Lyrik bin ich durch, da waren meine Bewertungen geringfügig detailfreudiger. Bei der Prosa erlaube ich mir einen neutralen Befederungskommentar. Zu den Texten, die mir besonders gut gefallen haben, schreibe ich später evtl. noch ein paar ausführlichere Zeilen.

Quergelesen habe ich bereits - es sind ein paar sehr tolle Geschichten dabei. Wirklich schlechtes Textmaterial habe ich nicht gefunden. Trotzdem werde ich der Fairness halber die Federmöglichkeiten von 1-9 ausschöpfen - der Abgrenzung wegen. Wer also eine 1 von mir bekommt, hat deswegen keine grottenschlechte Geschichte, sie ist halt nur nicht so gut wie die mit einer 9. wink

Daumen hoch für alle, die die Vorgaben begriffen haben und in der kurzen Zeit eine stimmige Geschichte in die Tasten hauen konnten. Ich Depp habe sowohl das Essen als auch das Plakat am Anfang ignoriert und mein Text wurde disqualifiziert.

Aber wenn ihr dann alle eure Federchen habt, dürft ihr meinen geistigen Erguss trotzdem lesen. So lange kann ich auch noch warten. smile

LG, Ana
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Zauberstift
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Alter: 44
Beiträge: 389



Beitrag06.12.2012 08:04

von Zauberstift
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neutraler Kommentar .lg
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lady-in-black
Bitte nicht füttern


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Wohnort: Killer Förde
Der goldene Käfig Extrem Süßes!


Beitrag06.12.2012 11:31

von lady-in-black
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Moin,  smile

ungewöhnliche Idee, gut geschrieben. Einige interessante Formulierungen drin ("Staub sei doch nichts als sichtbar gemachte Zeit.")

So wirklich überzeugt hat mich der Inhalt abschließend aber nicht, weil die sehr futuristische "Pointe" mit dem Transfer bzw. Umwandlungsraum m.E. so gar nicht zum sonstigen Text passen will.


_________________
- Ich würde mich gerne geistig mit Dir duellieren ... aber ich sehe Du bist leider unbewaffnet.
- Nein, Stil ist nicht das Ende vom Besen.
- Ich spreche fließend ironisch, auch im sarkastischen Dialekt.
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nebenfluss
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5988
Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
Podcast-Sonderpreis


Beitrag06.12.2012 20:13

von nebenfluss
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Beim zweiten Lesen habe ich mich nun doch daran gestört, wo dieser Umwandlungsraum auf einmal herkommt. Der Pfandleiher kennt die Frau, er scheint also ansonsten "normale" Pfandgeschäfte mit ihr abzuschließen. Er ist erst überrascht - wenn nicht schockiert - erklärt sich dann aber doch bereit, die Altersverpfändung, oder wie das genau gemeint ist, durchzuführen. Wie sie damit ihre Schulden zu bezahlen gedenkt, habe ich nicht verstanden.

Trotzdem fünf Federn, der ungewöhnlichen Einleitung und des durchgängig schönen Stils wegen.
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mati
Eselsohr
M


Beiträge: 203



M
Beitrag06.12.2012 20:27

von mati
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Plot: Zum Abschluss noch ein kleines Juwel. Wie es funktioniert, bleibt offen, ist auch unwichtig. Einzig, dass der Hermann so schnell zu überreden war, das Unfassbare zu vollziehen und dass noch niemand vorher auf die Idee kam, wo man doch in anderen Ländern eigene Kinder vor Autos schubst, um Geld zu kassieren, macht stutzig.

Stil: tadellos und überzeugende Bilder (Beispiel):
Zitat:
... Staub sei doch nichts als sichtbar gemachte Zeit


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KeTam
Geschlecht:weiblichUngeduld

Alter: 49
Beiträge: 4952

Das goldene Gleis Ei 1
Ei 10 Ei 8
Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag07.12.2012 10:44

von KeTam
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Sehr realistisch, deine Geschichte! lol
Oh jeh, gibt bestimmt einige Mütter, die das tatsächlich machen würden.
Gruselig ...
 Wink
Sprachlich gefällt mir das auch, v.a. der Anfang.
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crim
Geschlecht:männlichsex, crim & rock'n'roll


Beiträge: 1578
Wohnort: München
Die lange Johanne in Gold Lezepo 2015
Pokapro und Lezepo 2014 Pokapro VII & Lezepo V



Beitrag07.12.2012 13:10

von crim
Antworten mit Zitat

Wow, schön, dass mir dieser Text jetzt am Ende des Wettbewerberfeldes begegnet. Da steckt einiges drin. Eine Idee, eine düstere Vision. Sehr originell mit schönen Vergleichen gespickt. Der erste Absatz ließ nicht vermuten, wohin das alles führt und war mir fast ein bisschen zu verworren, aber dann öffnet sich eine hervorragende Geschichte.

Zitat:
Im Gegensatz zu Hermanns Zunge war sein Magen ein Ding, das Quantität vor Qualität setzte.


Das wäre ein toller Einstieg gewesen. Aber nun gut, die Vorgabe wollte erst das Essen.

Eine kleine Auswahl aus richtig starken Sätzen:

Zitat:
Im Grunde beherrschen nur zwei Dinge Hermanns Leben: Gegenwart und Gegenwert.


Zitat:
Seine Wünsche bildeten das Gewicht auf der anderen Seite der Waage, das sein trostloses Leben in Einklang hielt.


Zitat:
In einem besonders lyrischen Moment dachte Hermann einmal, Staub sei doch nichts als sichtbar gemachte Zeit.



Sie sind alle aus einem Part der Geschichte gepickt, die einen guten Rahmen zeichnet, bevor die Handlung einsetzt und die ist sehr originell und gut erzählt. Das Ende dann abrupt, trotzdem irgendwie stimmig. Die Sätze sind nicht mehr ganz so eindrucksvoll wie im ersten Teil, aber hier steht natürlich die Handlung im Vordergrund. Gäbe das Ende noch ein zwei dieser treffenden Vergleiche und Betrachtungen vom Anfang her, vielleicht gäbe ich diesem Text neun Federn. Er kriegt acht von mir. Sehr gerne gelesen.

LG Crim
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Gast







Beitrag07.12.2012 13:25

von Gast
Antworten mit Zitat

Hallo smile

Eine der Geschichten, in dem nicht nur die Idee "verwirklicht" ist, nein, es sind auch sprachlich gute Stellen drin, gelungene Formulierungen, die hinzufeilen nicht jedem in so kurzer Zeit möglich ist. Routine verrät das, aber noch ein wenig mehr ...
Ein gelungener Text. Hut ab.

LG
Lorraine
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OrangeHair
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 53
Beiträge: 108
Wohnort: Wien


Beitrag07.12.2012 14:41

von OrangeHair
Antworten mit Zitat

Uhhhh. Irgendwie unheimlich diese Vorstellung. Du scheinst die Abgründe des Menschen zu kennen und zu lieben. Du schreibst es so, dass man gut mitfühlen kann und die Geschichte hat mich wirklich bewegt. Du hast sicherlich schon einiges an Schreiberfahrung und das merkt man auch!

Nur der letzte Satz ist mir zu sehr Oberlehrerhaft. Das passt nicht zum Rest.

LG Orange
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wunderhuhn
Leseratte


Beiträge: 172

Der bronzene Spiegel - Prosa


Beitrag08.12.2012 01:16

von wunderhuhn
Antworten mit Zitat

Die Exposition weckte mein Interesse durch die zunächst ungewöhnliche Erzählperspektiven der Zunge und des Magens. Leider ist dieser Teil der Geschichte auch ziemlich lang und erzählt tatsächlich nicht viel, was relevant wäre, um den Plot in Gang zu bringen. Kaum etwas aus der Exposition wird später in der Handlung noch einmal wichtig (außer der kleine Rückbezug auf die eigene Familie gegen Ende der Geschichte).

Der Plot ist ungewöhnlich, irgendwie auch ein bisschen unheimlich und so ganz verstanden, was da abgeht, habe ich nicht. Was ich aus dem Vorhandenen geschlossen habe: Die Mutter hat Schulden, offenbar beim Pfandleiher, und verpfändet ihren Sohn augenscheinlich, um selbst ihre Jugend zurückgewinnen zu können, mit einer Maschine, die der Pfandleiher besitzt, vielleicht weil sie sonst nicht lange genug leben würde, um die Schulden abzubezahlen? Ich bin etwas verwirrt darüber.
Irgendwie ist die Geschichte bzw. die Umwandlungsszene dann auch ziemlich abrupt zuende.

Mein Eindruck ist eher durchwachsen, mir fehlt da eine gewisse Auflösung des Ganzen.
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adelbo
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1830
Wohnort: Im heiligen Hafen


Beitrag08.12.2012 22:56

von adelbo
Antworten mit Zitat

Zitat:
Seine Wünsche bildeten das Gewicht auf der anderen Seite der Waage, das sein trostloses Leben in Einklang hielt.


Und was ist die andere Seite der Waage? Sein trostloses Leben? Seine Wünsche und sein trostloses Leben als Sinnbild für eine ausgeglichene Waage.  Rolling Eyes
 
Zitat:
Aber das einzige, was in diesen Hallen brummte, war der leere Kühlschrank, der sich mit einem ewigen Omm ins Nichts versenkt hatte
.
Er ist also leer und kaputt und brummt. Warum zieht da nicht einer den Stecker?
 
Zitat:
Hinter ihm fraßen sich die langen Reihen der Regale ins Leere, Ist der Raum so unendlich groß? nur auf einigen von ihnen befand sich solcher Krimskrams wie halbzerstückelte Porzellanpuppen, alter, oxidierter Metallschmuck oder Fahrräder ohne Licht und Bremse. Die standen aber auf dem Boden. Das einzige, wovon er wirklich genug hatte (außer vom Warten) war Staub. Wenn die Leute auch nichts bei ihm veräußerten, die graue Präsenz des Staubes war allgegenwärtig. In einem besonders lyrischen Moment dachte Hermann einmal, Staub sei doch nichts als sichtbar gemachte Zeit. Das war  wirklich ein sehr lyrischer Moment


Zitat:
Als die Glocken über der Eingangstür bimmelten, glich das einer Reizüberflutung.

Den Satz kann ich überhaupt nicht verstehen. Was glich einer Reizüberflutung? Das könnte eine Reizüberflutung sein oder?

Ich habe einmal ein paar Beispiele herausgesucht, die mich den Text als sehr viele effektvolle Worte, ohne viel Sinn empfinden lassen.

Die Idee, dass jemand Jahre seines Lebens verpfändet fand ich zunächst gut, bis ich vergeblich nach dem Gegenwert gesucht habe. Was hat der Pfandleiher davon? Bekommt er die Jahre? Dann müsste er doch längst in minus Jahren gelandet sein.
Die Geschichte ist für mich unlogisch, aber vielleicht liegt es an mir.
Für die zwei Stunden Zeit sind viele klug klingende Worte zu Papier gekommen, aber so ganz erschließen sie sich mir noch nicht.

freundliche Grüße
adelbo


_________________
„Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.“

Bertrand Russell
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halcyonzocalo
Geschlecht:männlichEinsamer Trancer

Alter: 34
Beiträge: 1202
Wohnort: Irgendwo im Nirgendwo


Beitrag09.12.2012 19:35

von halcyonzocalo
Antworten mit Zitat

Eine weitere ziemlich originelle Idee. Einen Alterstransformator - an eine solch futuristische Interpretation der Vorgabe hätte ich niemals gedacht. Das Ganze lässt sich auch locker-flockig lesen. Lediglich den letzten Abschnitt finde ich etwas seltsam, insbesondere find ich den Schlusssatz ein wenig merkwürdig. Für solide 6 Federn reicht es aber dennoch.

_________________
Die minimaldeterministische Metaphernstruktur mit ihrer mytophoben Phrasierung spiegelt den ideeimmanent abwesenden Bedeutungsraum.
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