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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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15.02.2015 12:37 Alès und die Oberschichtproleten von Christof Lais Sperl
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Alès und die Oberschichtproleten
Durch dauerhaften Mangel an Leistungsbereitschaft war ein Schulwechsel auf die von Garten’sche angesagt - denn auch die Fünf in Franze war trotz Hängenbleibens, Lycéeaufenthalts in Südfrankreich sowie etwas Talents nicht zu entfernen. Im Lycée hatte man nicht nur im Café des Palmiers das Rauchen der fünf Sorten Gauloises gelernt, sondern auch erfahren, dass aus einem je ne sais pas umgangssprachlich ein mit rundem Mund hervorgestoßenes schba werden muss, bei dessen Anwendung am besten noch die Augenbrauen hochzuziehen sind, was dem Arrangement einen überraschten Ausdruck verleiht und damit dem allfälligen bof ganz ähnlich ist, welches auch ohne Brauenziehen auskommen kann. An besagter Mimik erkennt man immer den Franzosen. Die Mimik wird zu einem jener Zeichen, an denen Zugehörige zu bestimmten Kulturkreisen immer erkennbar sind und an denen beispielsweise auch die Italiener mit ihren spitz nach oben zusammen gelegten Fingerspitzen zu erkennen sind, selbst wenn man sie nicht hören und nur sehen kann. So ist es für aufmerksame Abholer am Flughafen hinter der Trennwand am Ausgang zu beobachten.
Der dem Leser schon vertraute Zerberus war als präskriptiver Möchtegern-Linguist allerdings der Ansicht, dass ein schba oder auch ein bof nichts im altdeutschen Französischunterricht verloren hätten, somit zahlte sich die erworbene Routine in der Fremdsprache bei der Schulnote überhaupt nicht aus, sondern trug noch weiter zum schlechten Gesamtbild des ungebührlichen Jungen bei, der wegen sich zu drehen beginnender Hormonstrudels ohnehin keine Lust mehr auf irgendetwas, nicht mal Freunde, hatte.
Alès war noch mit Kiever. Stets traurig und schön war er mit von der Partie gewesen, und danach mit sechzehn an einem Hirntumor gestorben. In Alès hatte er sich noch in ein französisches Blümchen malendes, drogenabhängiges und Vélosolex fahrendes Späthippiegeschöpf namens Katchy, also eine Catherine, verliebt. Wir saßen im Park in der Sommerhitze. Katchy malte Blümchen. Alle Jungen hatten ihr T-Shirt ausgezogen, ein Polizist, oder war es bloß einer der Parkwächter mit ihren Kabuffs und Képis naht, salutiert, bestimmter Ton. Im Park unerwünscht. Kein Strand. Shirt wieder anziehen. Ganz die enge französische Republik der Siebziger, mit ihrem Zwang zum Militärdienst, den brutalen Polizisten und der noch bis Mitterrand regelmäßig verhängten Todesstrafe und dem unregierbaren Volk.
Irgendwann im Herbst waren die Franzosen auch zu uns gekommen, die Nachricht von ihrer Ankunft hatte sich schnell auch unter denen herumgesprochen, die mit Französisch gar nichts zu tun hatten. Kiever lebte schon nicht mehr. Die naiven deutschen Mädchen flogen auf den nie gehörten französischen Akzent. Nachmittag Schulausflug in irgendein Kuhdorf. Ich bat zusammen mit ein paar deutschen Kumpeln die Landeier mit nachgemachtem Akzent um Raucherhilfe: Ast du ainmahl Föi-öhr führ misch? Dongké. Willst du einö-aur? Lauter offene, glucksende und kichernde Herzen. Wie billig sie sich doch manchmal kriegen lassen! Leider musste ich wieder zeitig zu Hause sein und den Regionalzug nehmen. Ich hatte mir schon erhofft, da könnte was gehen. Na ja, Termine, Termine. Aber rumgeknutscht haben wir schon noch ein wenig am bunten Waldrand.
Ich war vier Wochen lang in Alès gewesen. Bei meiner französischen Familie, auf einem echten lyceé. In der kleinen Pause wurde gemeinsam mit den Lehrern im Klassenraum geraucht. Palmen, Hitze, Oliven, traversins, kurze Röcke, überhaupt Röcke, und ich in der Pubertät, zwanzig Frühstücksmarmeladen, la sieste, Essen bis 22 Uhr, Bouillabaisse, Spaghetti, Salat, Käse, Dessert, Kaffee, dem einen oder anderen Cognac, dem so genannten Kaffeeschieber, einem halben dutzend Wörtern für die Darstellung des Sättigungsgrades, täglicher Monde-Lektüre (soweit es ging), Gauloises und Graven A sans filtre. Ich lernte peu à peu mein erstes substanzielles Französisch mit Tintin und Haddocks Mille sabords, hatte während des Aufenthalts nie ein deutsches Wort gesprochen. bis sich dann die französische Madamein der letzten Minute auf dem Bahnsteig als Deutschlehrerin aus dem Elsass entzauberte und mich grinsend in perfektem Deutsch verabschiedete.
Ich aber. Trotz Alès nicht nur die Fünf in Französisch, sondern in mehreren Fächern mangelhaft, fuhr zu dieser verhängnisvollen Zeit wie jeden Tag mit Drotlauf in der heulenden Linie 8, zog laut über die Lehrer her, Drotlauf lachte sich kaputt, ich drehte immer mehr auf, stieg an der Teichstraße aus, Drotlaufs knallenge, gebleichte Jeans vor Lachen schon sichtbar bepisst, es zeichnete sich ein dunkler Fleck ab, Drotlauf eigte auf das Straßenbahnfenster und ich erkannte, daß hinter dem Vierersitz, den wir zuvor eingenommen hatten, gegen die Fahrtrichtung der Direktor saß, der mitleidig und schlau über den schleuen Lesebrillenrand blickte. Zwar war er ein eher sanftmütiger Mensch, doch wollte oder konnte auch er mich nicht mehr vor der Umsiedlung auf eine andere Anstalt schützen, die für mich genau die richtige war.
Das Publikum der von Garten’schen bestand aufgrund der Schulgeldpflicht - es handelte sich um eine staatlich genehmigte Privatschule - aus nur wenigen für die Zeit typischen linksbürgerlichen Freaks mit den Hörgewohnheiten Kraftwerk, Supertramp, The Human League, Roxy, Reed, und Dépêche Mode, dafür aber um so mehr Jungkonservativen mit den üblichen Verhaltensauffälligkeiten der Plutokratie, schwarzen Schafen aus der Klasse der Parvenü-Folgegeneration vom Brasselsberg, den unvermeidlichen Poppern, die mit ihren gewellten Frisuren meist im schwarzen VW oder im dicken Merser vorfuhren. Die Diplomatenkofferverteilung hatte bereits unmittelbar nach Uterusaustritt eingesetzt, und die Hebammen hatten offenbar den Mitgliedsausweis von der Jungen Union gleich beigelegt. Golf GTI mit kopulierendem Rabbitaufkleber, Cabrio oder Scirocco, darin saftig klingende Clarion-Anlagen und Cassetten von Diana Ross und den Commodores standen als neue Familien-Drittwagen in der Garage oder auf dem Schulparkplatz. Wer keinen neuen Wagen hatte, fuhr einen älteren, aber dafür großen BMW. Auf alkoholgeschwängerten Poolpartys besprang so mancher die eigenen, sturzbetrunkenen, geilen, alten und feisten Tanten oder andere traurig kreischende Figuren aus der weiteren Verwandtschaft und ihrem versoffenen Gefolge. Ich war dabei und habe es mit eigenen Augen gesehen: Man war schließlich christlich orientiert und das alkoholisierte Clanvögeln war wahrscheinlich die höchste Form der Nächstenliebe. Rechts war Standard, aber nur CDU, das reichte nicht. Der weißblaugoldene und rhombenförmige CSU-Aufkleber musste am Auto prangen, denn man stand ganz weit außen: bei FJS. Manche Mütter waren vom täglichen Suff und den vielen Psychopharmaka zu triebgesteuerten Zombies geworden, und eine von solchen war auf einer Klassenfahrt mit dem unfreiwilligen Franzosen nach Straßburg als Begleitung mit ihrem feuchtglänzendem Schmollmund nach ein paar Gläsern Champagner im Tourbus ganz heiß auf die aus der Zwölften geworden. Beim Ausstieg vorne wartete sie mit ihrem speckigen Körper beim Fahrer und wollte jedem der einen naßgeleckten Knutsch verpassen. Zum Glück nicht mir, denn manchmal können Unattraktivität und ein Notausstieg in der Mitte Formen wahren Segens sein.
Ich war sofort einer der Besten der Klasse. Nicht, weil die anderen dumm gewesen wären. Die Wohlstandsverwahrlosten taten meistens nur blöde und waren zu faul zum denken. Außer ein paar weichgezeichneten Fakten zu Helmut Kohl hatten sie an Allgemeinbildung nicht viel im Gehirn und redeten in einem Möchtegern-Unterschichtslang, den sie selbst sich zurechtgelegt hatten. Luxus bezeichnete man als ethe, Tätigkeiten wie Hausaufgaben und das Sich-Melden waren Malore. Da glaubte man, nur weil man XY hieß und Arzttochter war, käme das Abi ohne eigenes Zutun wie eine gebratene Taube im Schlaraffenland herangeflogen. Die haben sich später noch gewundert, als sie massenweise trotz Anwalt beim Abi durchgerasselt sind, diese hübschen, blonden Kinder, die es nie nötig hatten, etwas zu ihrem Fortkommen beizutragen! Bester Lehrer war der Franzose Claude Pascal, der bei Aufregung Morpheme separabler Verben vergaß: Karjes, setz disch ´ier! rief er, wenn mal wieder jemand mit dem Moped ins Barackenklassenzimmer geknattert kam oder die Porno-Sonnenbrille nicht absetzen wollte. Ein Kopf mit übergekämmtem schwarzem Haar und Dickglasbrille krönte den Kurzhals, es war ein französisch-Lafontaine’scher Breitschädel, der im ständigen Captagon-Rausch (´Att mihr mein Arzt empfohlöhn, stärkt die concentration) intellektuell fortwährend auf Hochtouren lief. Das Lampiongesicht machte im stinkenden Jungenklo grinsende Raucherrazzien, dabei selbst ohne Ablass gesalzten Caporal-Tabak paffend, die allerdings ohne besondere disziplinarische Folgen blieben. Auch im Unterricht war der mit Supair-Papier umwickelte erkaltete Tabakstummel im Mundwinkel befindlich, nur um zu Pausenbeginn wieder angezündet zu werden, das aber gefälligst nur mit Streichholz. Als ihm der Caporal einmal ausgegangen war, kaufte er eine Stange Gauloises Bleues, leckte das Papier an, riß die Zigaretten auf und drehte den Tabak in sein heiliges Supair-Papier. Doch das bittere Raucherlebnis mit den umgebauten Zigaretten von der Stange konnte seine Genußsucht nicht befriedigen. Einer unter uns durfte das Mondgesicht sogar beim Vornamen nennen, beziehungsweise hatte der Schüler dies ohne viel Federlesens einfach getan und Pascal hatte diese verbale Annäherung hinfort ohne Widerspruch geduldet. Monsieur beherrschte das Deutsche so gut, dass er Muttersprachlern die Sprache der Mutter beibringen und unsere Aufsätze korrigieren konnte. Als Bewunderer der Deutschen hatte er Frankreich, das er aus damals noch unerfindlichen Gründen zutiefst ablehnte, verlassen. Einer unter den Schülern konnte wie Büchner schreiben, war aber stinkfaul, und es ist trotz Pascals Förderung wohl nichts aus ihm geworden. Ich habe vergessen, wie er hieß, die Erinnerung klingt nach Heindrich oder Heinrich, man hat nie wieder etwas von ihm gehört, weiß aber, dass von den wirklich Hochintelligenten nicht allzu viele im Leben erfolgreich werden, denn entscheidend sind immer auch Umfeld und psychische Disposition, Elemente, welche fördern und ersticken können.
Der 25er-Bus fuhr vom Kirchweg bis zur Schule hoch, und seit zwanzig Jahren war Pascal mit der Buslinie den Berg hinauf gefahren. Eines Morgens kam jedoch ein Kontrolleur. Der einzige im Bus ohne Fahrkarte natürlich Pascal, und da der gerammelt volle Bus fünf Stationen lang gefeixt und gejohlt hatte, kam Pascal hochrot und wütend in den Klassenraum, vergaß noch mehr Präfixe, Suffixe, Infixe, und was weiß ich noch alles und war so wütend, dass eine spontane Lernkontrolle geschrieben werden musste. Wir arbeiteten schweigend, doch am nächsten Tag war alles wieder längst vergessen.
Pascal war absolut gerecht. Zu Links wie Rechts. Neben den paar Freaks und den Wohlstandsverwahrlosten der ethe- und Malore-Fraktion war sogar ein richtiger Nazi in der Klasse: Er trug, stets überlegen lächelnd, einen Diplomatenkoffer mit daraufgeklebtem Dreggerbild, eine dieser übertrieben glatten, weil zu sehr gepflegten und daher unmodischen Lederjacken und darüber ein verschlagenes Gesicht. Einer der Lederjacken-Nazis also, wie sie aus den verwinkelten Miasmen jeder Generation herauskriechen, der aber, und das war ganz besonders schön, als Ausgleich täglich auf einen Anarchisten namens Riewel mit zackigschwarzem A-Button am Kragen treffen musste. Die Kollision der beiden Extreme (der eine rauchte Marlboro, der andere Samson) ergab immer unterhaltsame Streitereien in den Pausen. Das große A innerhalb eines Kreises stand nur für Anarchie, dasjenige A aber, welches auf Riewels Mantel zackig noch über den weißen Kreis hinausragte, symbolisierte schon Anarchie und gefährlichen Punk zugleich. Ich aber war ganz Salonsozialist und Umweltschützer: Es war der Beginn der Grünen Liste in den Achtzigern, in denen Grünsein noch etwas verhieß. Heute sind die Grünen bereits zu kleinen Schwarzen geworden und haben ihre Seele schon verkauft.
Ich schmiß Kassetten in die Autoanlage, die Bassisten begannen in Slap-Technik zu spielen, man hörte Spliff und die frühen Level 42, fast jedes Taxi fuhr mit schwarzem Stern am Heck, und die Mädchen hatten damit begonnen, schon wieder viel besser auszusehen. Pascal bewertete Aufsätze, wenn sie stilistisch-logisch in Ordnung waren mit gut und bisweilen auch sehr gut, egal wie die politische Ausrichtung war. Alles hatte den Anschein, Pascal wolle Intelligenz fördern und diskutierte auch gern kontrovers. Solang es schlau argumentiert zuging, war Pascal mit allen Standpunkten zufrieden.
Ich musste nach dem Hängenbleiben die mittlere Reife nachholen, also auch in Französisch Prüfung machen, denn im Abschlußzeugnis der ehemaligen Adolf-Hitler-Schule prangte noch die Fünf. Prüfungsthema war das Imparfait: Anwendung und Bedeutung, Tous les jours, je traversais le pont: Études françaises, cours de base. Ein umfassendes Thema, denn das Französische baut eine Menge an Bedeutung über Anwendungsregeln verschiedener Zeitformen. Pascal sagte am Vortag der Prüfung: Du bist um acht dran, da schläft der Beisitzer Knobelspiess noch. Auch Knobelspiess war ein französischer Germanist, gleiche Kategorie wie Pascal, Frankreichhasser, ich um acht in die Prüfung rein, Knobelspiess schnarchte, ich bekam eine Eins. Und nicht weil Knobelspiess schlief, sondern weil ich alles konnte. Die Tatsache, dass Knobelspiess schlief, bekommt im späteren Verlauf der Geschichte zwar noch besondere Würze, Pascal aber konnte nicht glauben, dass die ihm bekannten Schweinehunde an der Adolf-Schule mir eine Fünf verpasst hatten.
Nach der Abiprüfung bin ich drei Jahre später für ein Romanistikstudium direkt an die Uni gegangen. Mein leider sehr früh verstorbener Lektor und Sprachpraxislehrer Sylvain Kerabré hatte mich, da ich vergleichsweise gut Französisch, konnte zu Beginn einmal nach meiner Schule gefragt. Ich muss zur Verdeutlichung anmerken, dass manche der vielen Mädels, die sich in Romanistik eingeschrieben hatten, nicht mal korrekt einen Kaffee bestellen konnten. Und er, Kerabré, fragte mich: Und wer war denn dein Lehrer? Als ich die Namen Pascal und auch den von Knobelspiess genannt hatte wurde der Lektor ganz blass und erzählte mir das Folgende: Pascal hatte als Mitglied einer antisemitischen Organisation, die die Herrschaft der Intelligenz über die zu versklavende Dummheit forderte, erfolglos eine Dissertation über französische Schriftsteller der Kollaboration wie Céline und Konsorten eingereicht und war nicht nur in Frankreich als Rechtsaußen und faschistischer Extremist in einschlägigen Kreisen bekannt. Lediglich im Unterricht hatte man davon nichts bemerkt. Ich habe eine lange Zeit gebraucht, mich von der Überraschung Nazi als Mensch zu erholen, Pascal aber aufgrund seiner Humanität, die alles andere als vordergründig war verziehen und seine Einstellung als irreparablen Dachschaden ad acta gelegt. Trotzdem: Welcher Frevel, sein großes Talent für eine faschistische Idee zu verschwenden! Pascal soll irgendwann nach Hamburg geschasst worden sein. Ich habe ihn nie wieder aufgespürt. Der spätere Literaturpabst Reich- Ranitzki beschreibt in seiner Autobiographie ähnlich beklemmende Begegnungen mit Lehrern als überzeugten Nationalsozialisten, die sein Talent erkannt hatten, ihn, den Juden, in ihrer intellektuellen Zerrissenheit und hierarchischen Verstrickung aber nicht fördern konnten und wollten. Pascal hatte uns als Linke erkannt und dennoch aufgebaut. Trotzdem war alles so erbärmlich traurig - und vor der später noch folgenden mit Joseph Beuys meine erste große Lebensenttäuschung.
Der Schulleiter Rudolsch war der menschlichste Lehrer der mir je begegnet ist. Mit meiner Diskalkulie, die ich damals so noch nicht nennen konnte, da es diese griffige Bezeichnung noch nicht gab, und damit nicht in der Art eines Legasthenikers die Einschränkung bequem etikettieren und vorweisen konnte, förderte er mich in Mathe wie es nur ging. Fürs Abi gab er mir das Thema Ellipse, denn das konnte man auswendig lernen, ohne viel zu rechnen und ohne etwas verstanden zu haben. So war ich zu meinem einen Zukunfts-Punkt in Mathe gekommen, der mir das ansonsten gute Abitur absicherte. Rudolsch selber hatte in seiner Vergangenheit mit Deutsch zu kämpfen gehabt und kannte die Leidenswege der Schule. So muss ein Lehrer sein, dachte ich mir, und würde ich selbst einmal ein bösartiger Spießer wie Zubillig, brächte ich mich lieber gleich um.
In der Jugendgruppe wurde weiter gestritten, ob Supertramp, Yes oder Genesis die bessere Band waren, wir wollten bekiffte Prog-Nächte ausladend durchtanzen, mussten aber alle um 10 zu Hause sein. Debattiert wurde grundsätzlich nur im Schneidersitz auf dem Fußboden, selbst wenn die Möglichkeit bestand, auf einem der Sperrmüllsofas Platz zu nehmen, die die Feuermelder verschont hatten. Wir kochten Reisgerichte und tranken Tee oder Kaffee aus Glastassen. Räucherstäbchen, und Palästinensertücher rochen noch immer nach Patchouli und überdeckten zusammen mit dem Grasaroma den scharfsauren Katzenschißgeruch der Jugendstil-WGs. Wer Genesis und Yes hinter sich gelassen hatte, kam auf Reed und Bowie, die in Berlin natürlich jeder schon seit zehn Jahren kannte.
So bin ich auf Umwegen zu meiner Bestimmung gelangt.
Weitere Werke von Christof Lais Sperl:
_________________ Lais |
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tronde Klammeraffe
T
Beiträge: 522
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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19.02.2015 07:45 Kürzen von Christof Lais Sperl
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Danke, Tronde. Ich werde noch kürzen! LG, C
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Rheinsberg écrivaine émigrée
Alter: 64 Beiträge: 2251 NaNoWriMo: 35000 Wohnort: Amman
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19.02.2015 08:19
von Rheinsberg
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Ich mag hier keine Fehler suchen. Auch wenn es bei uns ganz anders zuging, wurde ich eben doch mitgenommen auf einen Ausflug in meine Schulzeit.
Stilistisch - ich lese derzeit Houllebecq - da kann mich fast nichts mehr schrecken. Irgendwie ähnelt sich die Erzählweise sogar ein wenig.
Merci.
_________________ "Write what should not be forgotten…" Isabel Allende
"Books are written with blood, tears, laughter and kisses. " - Isabel Allende
"Die größte Gefahr ist die Selbstzensur. Dass ich Texte zu bestimmten Themen gar nicht schreibe, weil ich ahnen kann, welche Reaktionen sie hervorrufen." - Ingrid Brodnig |
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Belfort Klammeraffe
Beiträge: 641 Wohnort: tief im Herzen
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19.02.2015 09:52
von Belfort
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Stimmt! Ein bisschen wie Houellebecq!
Gefällt mir sehr gut, der Text.
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Rainer Zufall Klammeraffe
Alter: 70 Beiträge: 801
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19.02.2015 10:36
von Rainer Zufall
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Christof, ich finde das hervorragend.
Ein wunderbares zeitgeschichtliches Perlchen. Man folgt deinem Erzähler durch sein Geplauder und genießt seine Beobachtungen, seine Interpretationen. Ja, da ist eine Menge Wahres dabei, weil es viel Richtiges aus dieser Zeit zeigt, es dabei aber in den Kontext des Heutigen stellt.
Was die langen Sätze betrifft, die passen hier wie der Arsch auf den Eimer. Also perfekt.
Ich hab nichts zu meckern.
Außer: Und jetzt, verdammt nochmal, schreib endlich ein Buch. Ich kauf es dann.
Viele Grüße von Zufall
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lupus Bücherwurm
Alter: 56 Beiträge: 3914 Wohnort: wien
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19.02.2015 11:22
von lupus
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mir schient, das ist das beste, was du bis jetzt hier rein gestellt hast. Und es zählt mMn zum Besten, was das Forum gesehen hat. Das ist inhaltlich rund. In anderen Texten war da bisweilen ein gedankliches Hin und her springen - was ja durchaus charmant ist und der Qualität keinen Abbruch tut - hier gibt es eine eindeutige Linie. Sprachlich wie immer grandios - hier (täusch ich mich?) weniger Adjektive, auf jeden Fall passend. Ein anspruchsvoller Text inhaltlich und sprachlich. Ich denke, man muss einer bestimmten Generation angehörn, um deine Texte richtig zu verstehen, dann aber ziehst du einen rein, so als würde man manche Dinge einfach noch einmal erleben und manche Gedanken noch einmal denken. Und du forderst den Leser, beschreibst nicht lang: wer etwa nicht sofort weiß, wer oder was Alès ist - ich hatte keine Ahnung - hat Pech gehabt und es scheint dir wurscht zu sein - und das ist gut so.
Chapeau! Und ja - schreib ein Buch oder: setzt die Geschichten so zusammen, dass ein Buch daraus wird
lgl
_________________ lg Wolfgang
gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben
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"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi |
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Rainer Zufall Klammeraffe
Alter: 70 Beiträge: 801
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19.02.2015 13:40
von Rainer Zufall
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Ich nochmal, ja lupus, du hast das großartig ausgedrückt, was an Christofs Geschichte so genial ist.
Gut, dass du den Text empfohlen hast, ich hätts auch grad gemacht.
Und ja, manchmal bin ich froh, dass ich so eine alte Knackerin bin.
Tschüs ihr beiden.
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femme-fatale233 Füßchen
Alter: 31 Beiträge: 1913 Wohnort: München
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27.02.2015 10:30
von femme-fatale233
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Das ist einer der besten Texte, den ich hier seit langer Zeit lese. Lass ihn genau so - und wenn ein Buch daraus wird, sag Bescheid.
Chapeau!
Ach ja eine Sache: Den Reich-Ranicki schreibt man mit ck.
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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27.02.2015 17:03 Dank für die einwände von Christof Lais Sperl
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Liebe Kritiker und Leser, vielen Dank für eure Hinweise. Natürlich, der Ranicki mit "ck" , das geht klar. Und: es wird ein dickes Buch werden. Wenn jemand es verlegen will. Und drinnen kommt's auch noch weiter ganz dicke. Momentan allerdings wird nichts geschrieben, da die wohlbekannte Influenza zugeschlagen hat. In diesem Sinne bis bald, lg, xls
_________________ Lais |
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