18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Publikationen
leben

 
 
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3  Weiter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Alien78
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 46
Beiträge: 1456
Wohnort: Portugal


Beitrag21.04.2013 13:46

von Alien78
Antworten mit Zitat

Liebe Madrilena, dein Text hat mich zu Tränen gerührt. So ergreifend und realitätsgetreu ... Mein Kopfkino ist sofort angesprungen, ich konnte fast die Wärme der Sonnenstrahlen spüren, die Unbeschwertheit des Tages, bevor die unheilvolle Wendung des Schicksals für immer euer / dein Leben verändert hat.

Zugegeben, ich bin kein Fan von Ich-Erzählungen, aber dein Stil liest sich so wunderbar, dass ich mich absolut nicht daran gestört habe.

Lesen würde ich den Roman vermutlich nicht, denn ich bin ziemlich nah am Wasser gebaut und nachdem ich mir jetzt schon die Tränen von den Wangen wischen musste, hab ich Angst vor dem, was noch kommt. Aber ich hoffe trotzdem, dass sich viele Leser finden, die emotionsgeladene Geschichten mögen!


_________________
"Brennende Träume" - Kann eine Liebe Jahrhunderte überdauern? Jetzt bei dotbooks und allen eBook-Händlern erhältlich

"So nah, so fern" (Neuauflage "Gänseblümchen aus dem Jenseits") - Jetzt bei dotbooks und allen eBook-Händlern erhältlich


Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen Skype Name
hypnobader
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 63
Beiträge: 420
Wohnort: Voralpen
Podcast-Sonderpreis


Beitrag21.04.2013 15:46

von hypnobader
Antworten mit Zitat

Hallo Madrilena,

ehrlich gesagt, ich hab deine Buchvorstellung jetzt wegen Alinas Kommentar gelesen. Gut so.
Beeindruckend. Erstaunlich, dass es sich nur um ein Leben handelt. Auch die Leseprobe vom Tod deines Mannes. Unheimlich. Wie aus heiterem Himmel hat selten besser gepasst. Und auch ergreifend geschrieben. Den Titel klein geschrieben finde ich gut gewählt und auch das Cover ansprechend.
Auch von mir die besten Wünsche für dich und dein Buch.

Herzliche Grüße
Michael


_________________
Es gilt das gebrochene Wort
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Loewe
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 47
Beiträge: 47
Wohnort: Frankfurt


Beitrag23.04.2013 14:21

von Loewe
Antworten mit Zitat

Ich hab Gänsehaut und Pipi in den Augen. Das ist nicht einfach nur schön geschrieben, das ist berührend, mitreißend, fesselnd.

Ich kann dich gern mit mehr Adjektiven bombadieren.  Laughing

Glückwunsch zu dieser Leistung.
& einen Lieben Gruß


_________________
• Wenn du das Fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet. Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen.
Leonardo da Vinci (1452 - 1519), italienisches Universalgenie, Maler, Bildhauer, Baumeister, Zeichner und Naturforscher
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag27.04.2013 17:29

von madrilena
Antworten mit Zitat

Hallo Alien - hypnobader und Loewe - ich bin ganz gerührt von Eurem feedback, vielen lieben Dank dafür. Aber das Buch lässt einen nicht nur weinen, in so ein Leben passt halt sehr viel.

Ich hatte eine Lesung in Essen und werde im August in Wiesbaden lesen. Ich muss halt nach wie vor sagen, am besten sind Werbungen durch Lesungen - wenn es auch schwer ist, an welche zu kommen.

Vielleicht treffen wir uns einmal bei irgendeiner Lesung - das wäre toll.
Ich wünsche Euch ein frohes und stressfreies Wochenende.
Herzlichst madrilena


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag10.05.2013 23:21

von madrilena
Antworten mit Zitat

Liebe Kolleginnen und Kollegen - Wie gestalte ich Werbungen für meine Bücher? Eigentlich nur durch Lesungen, da der Verlag nicht das Geld hat, richtige Werbung zu machen. Und wer schon einmal auf meiner homepage hillaseven.de gewesen ist, wird sehen, dass ich schon sehr viele Lesungen deutschlandweit gehalten habe.
Und jetzt habe ich mir gedacht, ich mache hier in diesem Forum, wo wir ja nach "Herzenslust "Werbung machen dürfen,   einfach "schriftlich" diese Lesung, die ich sonst in Buchhandlungen, Rathäusern, Kulturkreisen und Seniorenresidenzen halte. Vielleicht interessiert das ja, nachdem die Resonanz auf das erste Kapitel
meines Buches "leben" ISBN 978-3-934136-65-6,
das ich hier reinstellte, gut gewesen war. Also nach und nach bringe ich den Text, der normalerweise eine Stunde Lesung beinhaltet.
Danke fürs Zuhören und natürlich auch für Kommentare. Ich habe übrigens in letzter Zeit in Mainz, Essen und Wiesbaden gelesen und werde am 17. 8. wieder in Wiesbaden und zwar in der Seniorenresidenz Hildastift lesen. Vielleicht hat jemand, der in der Nähe wohnt, Lust, hinzukommen?
Herzlichen Gruß Hilde Möller


Erstes Kapitel siehe vorheriger Ausschnitt
Und so geht die Lesung weiter.

1957
„He Hannah, weißt du, dass du ausgesprochen gebärfreudige Hüften hast?“ Vorsichtig legten sich zwei Hände um die Taille der jungen Frau, die gerade die Schwingtür des Restaurants aufstieß. Empört drehte sie sich um und blickte in das lachende Gesicht von Georg Jantzen.
‚Na klar, typisch Mann. Bestimmt der Frauenheld hier, und er selbst findet sich sicher unwiderstehlich“.
Hannah sagte es nicht laut, seine Freunde umstanden ihn und lachten sie übermütig an. Sie warf die langen dunklen Haare zurück, wollte, wie immer in solchen Situationen, abweisend und kühl reagieren, dachte aber: ‚Besser, du lachst zurück, sonst bist du bei denen gleich unten durch’.

Sie war erst wenige Tage an der Hotelfachschule in Bad Wiessee, und schon jetzt kam es ihr manchmal vor, als hätte es das letzte Jahr, die Ehe mit Harald und den Aufenthalt in Isfahan nie gegeben.
Jetzt lachte Georg sie an und meinte:
„Nimm’s nicht so ernst, war nur ein Scherz“.
Tagelang ging sie ihm aus dem Weg, doch ihr Ärger über seine blöde Bemerkung legte sich, und bald fand sie ihn auch nicht mehr so eingebildet wie am Anfang.
Immer wieder versuchte er, mit ihr zusammen zu sein. Die Gespräche wurden intensiver, wurden ein gegenseitiges vorsichtiges Herantasten und Suchen nach Gemeinsamkeiten.
Nach einigen Tagen gab sie seinem Drängen nach und verabredete sich mit ihm für einen Spaziergang am See.
„Erzähl doch mal von dir!“, forderte Georg die junge Frau auf, nachdem sie schon eine Weile stumm nebeneinander über die Promenade geschlendert waren.
Ein wenig erschrocken und doch auch amüsiert, fragte sich Hannah, ‚warum kann ich mir vorstellen, ihm wirklich etwas von mir zu erzählen? Da ist anscheinend doch mehr als nur Sympathie, eher so etwas wie Vertrauen?’
In Gedanken kehrte sie zu den letzten Monaten zurück, erklärte kurz, dass Harald ihr Mann war, von dem sie aber jetzt in Scheidung lebte.
Georg musste sich sehr anstrengen, Hannah zu verstehen, sie schien seine Gegenwart vergessen zu haben, sprach so leise, als gälten ihre Worte gar nicht ihm:
„Harald war... tja.., was war er mir eigentlich wirklich? Der Ausbruch aus Ordnung und Disziplin, war Verliebtheit und das Versprechen von Freiheit. Er arbeitete im Hotelfach, träumte von fremden Ländern, die Welt schien uns allein zu gehören und nur deshalb, weil er daran glaubte! Das Leben wurde mit ihm plötzlich aufregend, prickelnd und neu. Vor allem, als er sich für ein Stellenangebot in Persien interessierte. “
Sie lachte, doch es klang keineswegs lustig, eher… unsicher: „Für diese Stelle musste er verheiratet sein, das war eine der Bedingungen. Wir waren verliebt, wir suchten beide das Abenteuer, was lag näher, als zu heiraten? Eigentlich wollte ich Germanistik und Literatur studieren, aber in der Obersekunda wurde ich krank. Herzmuskelentzündung. Monatelanger Krankenhausaufenthalt und dann die Worte des Arztes: ‚Sie dürfen nie arbeiten, nie heiraten und nie Kinder bekommen.“
Sie schwieg, fragte sich: ‚Warum bin ich Georg gegenüber nur so offen? Oder spielt es im Augenblick gar keine Rolle, wer und ob mir jemand zuhört? Vielleicht muss ich nur einmal aussprechen, was ich in den letzten Monaten selbst nicht verstanden habe!’
Nach einer Weile fing sie wieder an zu sprechen:
„Da tauchte Harald auf und die Beziehung zu ihm war Auflehnung pur gegen dieses Verbot von Lebendürfen“.
Abrupt blieb sie stehen und blickte Georg erstaunt an:
„Warum erzähl ich dir das alles?“
Er schien ihre zuvor gedachten Gedanken erraten zu haben und meinte: „Möglich, dass es gar nicht wichtig ist, wer dir zuhört, auch möglich, dass du einfach einmal sprechen musst, dich… von etwas befreien willst.“
Georg hatte nach ihrer Hand gegriffen, doch Hannah entzog sie ihm fast grob. Sie wollte keine körperliche Nähe, sondern nur einen Zuhörer, auch wenn sie spürte, dass es das nicht allein war. Sie überging seinen Einwurf, sagte: „Wir waren so neugierig aufs Leben. Und plötzlich also Persien! Das Angebot, in Isfahan ein neu eröffnetes Hotel zu leiten. Kannst du ermessen, was das für uns hieß? Persien – Isfahan… Fremde Welten, Abenteuer versprechende Namen! Wir nahmen das Angebot an und machten uns mit unserem alten gebrauchten Ford Taunus auf die lange Reise von 6000 km“.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag22.06.2013 15:03

von madrilena
Antworten mit Zitat

So, nun soll es endlich hier weitergehen. Nachdem ich meinen Lesetext aus meinem Buch "und die Zeit stand still" fertig reingestellt habe, würde ich Euch gern meine Autobiographie vorstellen, von der schon zwei Kapitel hier stehen. Ich habe in dieser Biographie nur die Namen geändert, weil ich nicht allein entscheiden kann, meine sieben Kinder hatten auch ein Recht der Wahrung ihrer Persönlichkeiten. Daher habe ich auch recht wenig nur von ihnen erzählt, dafzu fühlte ich mich nicht berechtigt.

Ich wünsche gute Stunden mit meinem Buch

"leben" (absicht klein geschrieben, weil es eine Aktivität beschreiben sollte)
ISBN 978-3-934136-65-6
erschienen im Alkyon Irmgard Keil Verlag
erhältlich in allen Buchhandlungen, allerdings muss man auf das VlB (Verzeichnis lieferbarer Bücher) hinweisen, weil der Verlag nicht über Großhändler anbietet. Außerdem bei Amazon durch Peter Reimer und auch bei mir persönlich und zwar ohne Porto

So, nun zum Text der dritten ausgesuchten Szene:
Szenenwechsel: Wochen später…

Um dem Text flüssig folgen zu können, gebe ich vor den Kapiteln immer kurze Erklärungen: Hannah und Georg hatten längst gespürt, dass sie mehr, viel mehr füreinander empfanden, als sie sich jemals hätten vorstellen können.

1957
Samstag vor dem ersten Advent. Tanz in einem kleinen Lokal in Bad Wiessee. Eng umschlungen gaben sich Georg und Hannah dieser lebendigen Leichtigkeit hin. So viel Sehnsucht nach… leben. Und so viel Begehren. Hannah spürte Georgs Körper. Atmete seinen Geruch. Genoss jede Bewegung der Musik, schmiegte zärtlich ihr Gesicht in Georgs warme Hand. Spürte seine Lust...
Es war spät nachts, als sie durch tiefen Schnee zu Hannahs Pension stapften.
„Willst du…?“
Sie nickte. „Hier…? Bei mir…?“
„Wo sonst?“
Sie zögerte nur einen kurzen Augenblick. Dachte, es geht alles viel zu schnell. Aber… war Zeit wirklich wichtig? Vorsichtig schloss sie die Haustür auf.
Das Zimmer war so nüchtern wie immer, und doch erschien es Hannah in dieser Stunde wie der schönste Raum, den sie je gesehen hatte. Sie setzten sich aufs Bett, das Zimmer hatte nur einen Stuhl. Nun waren sie doch verlegen, als Georg zögernd den Arm um sie legte. Seine Nähe - so fremd und doch schon vertraut. Sie sehnte sich nach seinen Händen. Langsam näherte er seine Lippen ihrem Gesicht. Strich über ihre Augen. Und plötzlich war nichts anderes mehr wichtig. Nur noch dieser unsagbare Hunger nach Hingabe. Sie meinten, unzählige Hände gleichzeitig zu haben. Hände, die entkleideten, streichelten, erforschten. erschauernd unter zärtlicher Berührung. Hannah war nur noch Körper und Fühlen, Sehnen und ein Lachen, das aus Tiefen heraufstieg, von deren Existenz sie keine Ahnung gehabt hatte. Es löschte Vergangenes aus, versprach eine berauschende, ganz und gar furchtlose Körpergegenwart.

Es war ein paar Tage später. Georg begleitete Hannah zu ihrer Pension, fasste lachend nach ihrer Hand:  „Weißt du, was unser Freund Uwe heute morgen gesagt hat? Er meinte, ‚mach sie glücklich, bevor sie wieder ins Morgenland zurückkehrt’!“
Sie lachte über die Worte des Freundes, doch plötzlich blieb sie abrupt stehen: „Aber du weißt doch, dass ich gar nicht zurück will, dass längst die Scheidung von Harald läuft.“
„Ich weiß“, er hängte sich bei ihr ein. „Und eigentlich möchte ich dich auch nicht verlieren“.
Sie spürte durch den dicken Anorak hindurch Georgs Arm, hätte so gern irgendeine… Sicherheit empfunden, wollte wissen, ob das jetzt die große Liebe war!
Warum aber mahnte Georg immer wieder: „Wir dürfen auf keinen Fall entdeckt werden. Du weißt, dass man uns dann von der Schule weist. „
Natürlich wusste sie das, dennoch begehrte sie manchmal auf: „Ich seh’ das nicht ein. Wir sind volljährig und wissen, was wir tun“.
Aber er teilte ihren Protest nicht: „Ich weiß nicht, was du vorhast. Ich zieh auf jeden Fall dieses halbe Jahr durch, und danach arbeite ich in Brüssel auf der Weltausstellung im Hotel Atlanta...“
Er merkte nicht, dass Hannah ihn erschrocken anstarrte. Wo war sie in all seinen Plänen? Dachte er etwa… genauso wie Uwe, ‚mach sie glücklich und tschüs!’
Und… unsere Nächte! Bedeuteten sie nicht Zukunft?
‚Sei nicht lächerlich, Hannah’, schalt sie sich. ‚Nichts und niemand gibt dir ein Recht auf irgendetwas’.
Von da an mied sie das Thema Zukunft.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag23.06.2013 17:35

von madrilena
Antworten mit Zitat

Und so geht es weiter in "leben"



Noch blieben ja einige Monate in Bad Wiessee. Sie bereiteten sich auf die Examen vor, übernachteten nicht mehr bei Hannah, sondern verbrachten manches Wochenende in dem Gasthaus von Frau Müller und tanzten in mondhellen Nächten im Schnee.
Es wurde Februar und mit ihm kamen die Abschlussexamen. Montagmorgen – Prüfung im Kochen. Eine Forelle Müllerin Art sollten sie zubereiten. Aber erst mussten sie sie töten. „Das ist ganz einfach“, sagte der Koch und schlug das Genick der Forelle auf die Tischkante. Hannah musste sich übergeben. Das passierte ihr einige Morgen hintereinander. Die Forelle konnte es doch nicht mehr sein!
Die Erkenntnis traf sie wie ein Schock. ‚Ich bin schwanger, ich bekomme ein Kind!’ Sie lag noch im Bett. Im Zimmer war es elend kalt. Sie zog die Decke über den Kopf. Lag regungslos im warmen Dunkel. Unfähig, überhaupt etwas zu denken als ‚ich bin schwanger, ich bekomme ein Kind’.
Sie wusste nicht, zu wem sie es in ihren Gedanken zuerst sagte - zur Mutter, zu Georg oder… nur zu sich selbst.
Die Mutter! In diesem Augenblick erwachte sie aus dem tranceähnlichen Zustand, in den sie wie Schutz suchend geflüchtet war. Die Gedanken und Fragen überstürzten sich. Was würden die Eltern sagen?
Und Georg? Wenn er... wenn er sie einfach allein ließ? Oder… nur des Kindes wegen bei ihr blieb? Beide Vorstellungen gleichermaßen entsetzlich.
‚Ich muss aufstehen, muss raus hier’. Entschlossen schlug sie die Decke zurück. Empfand die Kälte des Zimmers wie einen Schlag, der sie zurückschrecken ließ. Angelte nach den Hausschuhen. Zog über den Schlafanzug eine Jacke. Machte sich daran, den Ofen anzuheizen.
Hörte ihre Wirtin die Treppen hinaufkeuchen und an ihre Zimmertür klopfen. „Lassen Sie nur den Ofen, ich mach das, wenn sie in der Schule sind“.
‚Ich gehe heute nicht in die Schule’, wollte Hannah antworten, aber sie schluckte die Worte hinunter und fing an, sich die Zähne zu putzen. Dabei fiel ihr Blick in den Spiegel: ‚Warum sehe ich noch genauso aus wie gestern, ich bin doch schwanger’!!!
Schwanger! Einen Augenblick lang drehte sich alles um sie. Krampfhaft hielt sie sich am Waschbecken fest, atemlos vor der Unfassbarkeit dieser Tatsache. In ihrem Kopf ein einziger Wirbel immer gleicher Fragen: ‚Was soll jetzt werden? Ich bin noch nicht geschieden. Ich habe keine Arbeit. Georg spricht nicht von Zukunft. Ich weiß noch nicht einmal, ob er mich wirklich liebt. Zu den Eltern möchte ich auf keinen Fall zurück’.
‚Hör auf! Schluss mit dieser Fragerei! Tu was!’ Sie schnappte sich ein Handtuch. Ging ins Bad. Duschte heiß und kalt. Suchte sich danach aus ihrem Kleiderschrank ihren Lieblingsanzug heraus.
‚Heute werde ich mich schminken’. Sie hatte keine Eile, auch wenn es für die erste Stunde in der Schule schon viel zu spät war. Plötzlich fiel ihr ein, dass heute das Examen in Buchführung auf dem Programm stand, vor dem sie so aufgeregt gewesen war und das erst um elf Uhr begann. Sie fing an zu lachen, lachte und lachte und konnte gar nicht mehr damit aufhören. ‚Aufregen wegen einer Prüfung’???? das war gestern, heute war sie schwanger, und alles andere war plötzlich unwichtig.

In der Schule schaute Georg sie erstaunt an: „Du bist spät dran!
Sie schüttelte nur den Kopf, ging an ihm vorbei auf ihren Platz, legte Kugelschreiber und Papier bereit und wartete auf den Beginn der Stunde. Nach drei Stunden Prüfung wusste sie, dass ihr die Buchführungsarbeit gelungen war trotz des Durcheinanders, das in ihrem Kopf tobte. Zerstreut sprach sie mit den Freunden Klaus oder Uwe, vermied es aber, mit Georg allein zu sein. Sie wollte ihm noch nichts sagen, so nicht und hier nicht...
Sie verzichtete aufs Mittagessen. Lief am See entlang, und kehrte langsam in ihre Wirklichkeit zurück. Was sollte sie nur machen? Vor allem -  was würde sich von nun an alles in ihrem Leben ändern? Wo blieben die Träume vom Arbeiten! Von Aufenthalten im Ausland?
Und... Georg. Wie wird er reagieren? Wenn er... wenn er gar eine… Abtreibung verlangte?
‚Nicht mit mir!’ Sie stampfte so fest mit dem Fuß auf, dass ein Vorübergehender erstaunt stehen blieb.
Es war ihr kaum bewusst, dass sie schon seit Stunden am Seeufer entlang im Kreis gelaufen war, als Georg plötzlich vor ihr stand. „Ich habe dich überall gesucht. Du bist einfach verschwunden. Was ist denn los? Und wie ist es dir bei der Prüfung ergangen?“
‚Welche Prüfung?’, wollte Hannah fragen, dann fiel ihr der Morgen wieder ein. Wie weit weg schien alles zu sein.
Er fragte in ihr Stummsein hinein: „Wollen wir zu Frau Müller?“
„Nein, heute nicht. Ich möchte hier am See bleiben“. Sie fegte von einer Bank den Schnee, setzte sich und zog Georg neben sich.
„Das ist doch viel zu kalt. Frierst du nicht?“
Sie schüttelte verneinend den Kopf, lehnte sich an ihn, niemand war mehr unterwegs. In der großen Stille des Winterabends gab es nur das leise Gemurmel der kurzen Wellen des Sees am Uferrand.
„Georg, ich bekomme dein Kind“.
Nun war es gesagt. Niemals mehr würde sie diese Worte zurücknehmen können. Sie hingen in der Luft, breiteten sich aus, hüllten sie ein, bis Georg den Schleier zerriss:
„Was hast du da eben gesagt?“ Er packte sie an den Schultern, hielt sie ein Stück von sich weg, das Licht der Straßenlaterne zeigte ihr ein völlig aufgelöstes, staunendes, ungläubiges Gesicht, bevor er ihren Mund, ihre Augen, ihre Wangen mit kleinen, raschen, zärtlichen Küssen bedeckte, bis sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen.
„Freust du dich denn?“ keuchte sie
„Ich? Mein Gott, Hannah, ich will Kinder, ich wollte schon immer Kinder. Ich freu mich, ich freu mich so sehr. Ich werde Vater! Das gibt es doch gar nicht! Ich…ich kann es kaum glauben!“
Wie hatte sie nur einen Augenblick lang zweifeln können. Und doch… – was, wenn sie nicht schwanger geworden wäre? Gab es jetzt eine Zukunft nur wegen des Kindes? Sie legte ihren Kopf an seine Schulter, er roch nach Winterwind und frisch gefallenem Schnee.
Er unterbrach ihre Gedanken: „Machst du die Schule zu Ende?“
„Klar doch, so habe ich doch wenigstens ein Zeugnis. Allerdings… in Brüssel werde ich nicht mehr angenommen“!
„Das macht nichts, wir gehen zusammen, ich meine, wenn du geschieden bist, kommst du nach“.
Da waren sie wieder - diese leisen bohrenden Zweifel. Warum sagte Georg das jetzt erst? Wollte er das… wirklich? Oder… hielt er wegen der Schwangerschaft zu ihr?
In ihren Ohren dröhnten schon wieder die Worte der Mutter, als Georg in den Weihnachtsferien bei ihnen war. „Kind, wenn ihr zusammenbleibt, das wäre toll, denn mit dem Mann hast du ganz großes Glück“.
Wo war eigentlich sie selbst? Hatte er nicht auch „Glück“ mit ihr? War sie minderwertiger als er? War sie hässlich? Dumm und unbedarft? Aber vielleicht hatte sie ja irgendein Gebrechen, von dem sie nichts wusste?
Nur… – über solche Gedanken konnte sie doch nicht sprechen? Sie wagte ja noch nicht einmal, sie sich selbst gegenüber laut zu äußern. Rasch verdrängte sie diese Erinnerung, stand auf: „Jetzt ist mir doch kalt“.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag29.06.2013 15:51

von madrilena
Antworten mit Zitat

Hallo liebe Schreibgemeinde - da ich mein Buch "leben" jetzt chronologisch mit meinem Lesetext hier einstelle, möchte ich heute das nächste Kapitel aus "leben" bringen. Danke fürs Lesen und eventuelle feedbacks.
LG madrilena

Wie versprochen mache ich immer eine kleine Zusammenfassung, damit man dem Fluss der Handlung folgen kann:
Wir machen jetzt einen gewaltigen zeitlichen Sprung. Hannah und Georg lebten zusammen in Brüssel, kehrten dann nach Frankfurt zurück, Georg bewarb sich für eine Stellung als wirtschaftlicher Leiter im Nato-Offizierclub in Ankara in der Türkei, und wurde angenommen. Obgleich Hannah wenige Tage vor ihrer Abreise feststellte, dass sie wieder schwanger war, machte sie sich mit Georg, mit ihrer vier Monate alten Tochter und schwanger in die Türkei auf, wo sie fast zwei Jahre in Ankara lebten.


Szenenwechsel
1960 nach knapp 2 Jahren Ankara


Es war acht Tage vor Kens erstem Geburtstag. Noch ließ der Wintereinbruch auf sich warten. Hannah stellte sich den trüben deutschen November vor und genoss die noch immer wärmende Sonne Ankaras.
Ungewöhnlich früh am Nachmittag kam Georg nach Hause. Er war in Begleitung von Major Henry Jones, dem verantwortlichen Offizier des Natoclubs. Georg legte den Arm um Hannah, und in seinem Gebaren lag ein solcher Ernst, dass sie ängstlich von ihrem Mann zum Major sah:
„Schatz…“ Georg zögerte, das Sprechen schien ihm schwer zu fallen. Was war nur los… so kannte sie ihren Mann gar nicht. „Georg, was ist denn? Henry, ist etwas passiert?“
Georg schien sich ein wenig zu fassen. „Nein, nein, du brauchst nicht zu erschrecken, es ist... Henry wird es dir gleich erklären, ja?“
„Hannah, hören Sie mir zu!“ Gott sei Dank, Henrys Stimme klang einigermaßen normal.
„Lassen Sie es mich kurz machen. Ja, es ist etwas geschehen, und Sie müssen…“, seine Stimme stockte, doch dann sagte er rasch, als wollte er die Worte so schnell als möglich loswerden, „Sie müssen morgen früh mit ihrem Mann und den beiden Kindern die Türkei… verlassen“.
Hannah starrte den Amerikaner fassungslos an. Was hatte er da gesagt? Die Türkei verlassen! Von einer Stunde zur andern? Unmöglich!
Doch der Major sprach schon weiter: „Sie dürfen leider nichts, hören Sie, nichts mitnehmen. Ihre persönlichen Dinge werden Ihnen von der Army nach Deutschland nachgeschickt. Niemand, wirklich niemand darf etwas von Ihrer Abreise erfahren, selbst nicht einmal Ihre Vermieter“.
„Herrje, so sagen Sie doch endlich, was los ist! Warum so viel Geheimniskrämerei? Von einer Minute zur andern das Land, die Wohnung, so einfach alles aufgeben! Fast zwei Jahre leben wir hier! Und plötzlich..“. Sie stockte. „Sagen Sie doch endlich, warum, was ist geschehen?“….


Wie schon zuvor, schreibe ich jetzt nicht, warum die kleine Familie fliehen musste, um die Spannung beim Weiterlesen nicht zu nehmen.. Allerdings ist mir noch einmal bei den jetzigen Unruhen in der Türkei sehr klar geworden, dass es keinen anderen Weg als Flucht gegeben hat.

Szenenwechsel und eine kurze Zusammenfassung:
Hannah und Georg lebten mit ihren Kindern 1960 bis 1964 wieder in Deutschland. Georg hatte in der Zwischenzeit den Beruf gewechselt, hatte angefangen, Betriebswirtschaft zu studieren und auf Grund seiner Ausbildung und Sprachkenntnisse eine Stellung in einer amerikanischen Firma in Frankfurt bekommen.


1964
Es war im April. Der Frühling kam dieses Jahr besonders früh und Hannah saß mit ihren fünf spielenden Kindern in ihrem kleinen Gartenstück, als Georg erstaunlich zeitig aus der Firma kam. Er holte sich und Hannah etwas zu trinken aus dem Kühlschrank, setzte sich zu ihr auf die gepflasterte Terrasse und meinte nachdenklich: „Mr. Grossman kam heute mit einem tollen Angebot zu mir“.
Hannah schaute zärtlich zu ihrem Mann. Eine Welle von Glück stieg in ihrem Innern auf, ein Gefühl, das im Magen anfing, ihr die Luft abpressen wollte und sie zu überschwemmen drohte.
Sie stand auf, stellte sich hinter ihren Mann, legte ihm die Arme um den Hals, fragte. „Was wollte er denn von dir, dein Amerikaner“.
„Er hat mir angeboten, weltweit die Produktion unserer Statistiken zu übernehmen“.
„Weltweit?!“
„Hm, schon!“
„Mensch Georg, großartig!“.
Warum zögerte er so? Da… gab es doch noch etwas, das er sich nicht getraute, zu sagen. „Nun sag schon, Georg, wo ist der Wermutstropfen in dieser Nachricht“.
„Er möchte…, nun, er möchte die Produktion nach Madrid, also nach Spanien verlegen“.
„Nein! Georg, nein - das… das geht doch nicht. Wir haben Kinder, wir haben endlich eine eigene Wohnung und... und“, sie wusste überhaupt nicht mehr, was sie sagen sollte.
„Ich hab mir schon gedacht, dass du nicht damit einverstanden sein wirst. Nun gut, ich spreche mit ihm“.
Sie unterhielten sich noch stundenlang über Spanien, über ein Leben in Madrid. Hannah spürte Georgs Wunsch, das Angebot anzunehmen, konnte sich aber einen nochmaligen Umzug einfach nicht mehr vorstellen. Andererseits… wie konnte sie Georgs Karriere im Weg stehen?
In der Nacht lag sie noch lange wach. Spanien, ein Niemandsland hinter den Pyrenäen, mit dem sie nichts, aber auch gar nichts verband.
‚Wo ist denn all meine Abenteuerlust geblieben? Persien, Isfahan – wie hatte sie sich von den Gedanken an goldene Kuppeln und Minarette, an den Gesang des Muezzins und den blauen Himmel über dem Morgenland verführen lassen, ohne Furcht vor Unbekanntem. Wie sehr hatte sie Georg zum Arbeiten in der Türkei überredet, Istanbul, Ankara – Namen, die so viel geheimnisvolle Fremdheit in sich trugen und sie dennoch nicht erschreckt hatten.
Spanien – Madrid – warum hatte sie ausgerechnet hier dieses bedrängende Gefühl von Unsicherheit?
‚Warum wohl?’, meldete sich die andere, die vernünftige Stimme in ihr, ‚weil ich damals entweder für mich allein verantwortlich war oder wir nur ein Kind, na gut, anderthalb Kinder hatten’.
Sie wälzte sich hin und her. Plötzlich bekamen nüchterne Überlegungen die Oberhand. Vielleicht… könnte sie in Madrid Personal bekommen…
‚Und außerdem…. Georg bekommt eine Chance. die sich ihm so wohl nie mehr bieten wird.
Die Nacht wollte kein Ende nehmen. Georgs Atemzüge neben ihr klangen ruhig und tief: ‚Ob er das Thema bereits für erledigt ansieht? Ob er sehr enttäuscht von mir ist?’, war der letzte Gedanke, an den sie sich klar erinnerte.
Als um fünf Uhr der Wecker klingelte – nutzte Hannah heute die Zeit dafür, schon den Frühstückstisch zu decken. Und da Ulrike noch nicht nach ihrer Sechsuhrflasche verlangte, weckte sie diesmal Georg vor den Kindern.
Erstaunt über die frühe Uhrzeit setzte sich Georg zu seiner Frau an den Tisch.
Sie schaute ihn herausfordernd an: „Du… du möchtest gern nach Spanien?“
„Nun… es wäre ein enormer Aufstieg für mich“.
„Verste! Und - wann soll das sein?“
Er schaute sie entgeistert an: „Was, wie ... wie meinst du das‚ wann soll das sein“.
„Du, das ist gar nicht so schwer zu verstehen. Ich meine, wann sollen wir nach Madrid ziehen?“
„Soll das heißen -  Hannah, du willst wirklich... du machst mit?“
„Na ja, allein lass ich dich gewiss nicht gehen“, meinte sie lachend.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag29.06.2013 16:02

von madrilena
Antworten mit Zitat

Die nächsten Kapitel spiegeln deutlich das fehlende Selbstvertrauen der Prota wider, das sie dank ihrer Erziehung nur in sehr geringem Maß besessen hatte. Es gab eine Hierarchie in der Familie, in der der Mann den Ton angab. Daher war mir dieses Buch auch so wichtig, weil es den Kampf einer Frau, die nach diesen Maßstäben erzogen worden war, um Gleichberechtigiung, um eine echte Partnerschaft aufzeigen soll.  Hannah musste sich freimachen davon, dass bisher Männer ihr Leben bestimmt hatten, war es der Vater, der Arzt, der Papst, oder eben auch der eigene Mann.


1965
„Georg, ich werde Dr. Carasco bitten, bei dieser Geburt einen Kaiserschnitt zu machen!“
Georg setzte sich abrupt im Sessel auf: „Aber warum denn das?“
„Ich habe mir gedacht, er soll mich dabei gleich sterilisieren.“
„Hannah!“ Georg war ehrlich entsetzt, gleichzeitig aber auch beschämt. Vor Jahren hatte er einen solchen Schritt für sich abgelehnt, weil ein Frankfurter Arzt damals meinte, das könne man einem Mann seelisch nicht zumuten und nun - nun wollte seine Frau…
„Liebes, warum musst du diese Entscheidung jetzt treffen?“
„Weil ich nicht auf eine weitere Schwangerschaft warten möchte. Weil beim Kaiserschnitt die Sterilisation gleichzeitig gemacht werden kann. Weil ich keine Geburt, keine Wehen und einfach nichts mehr aushalte. Sind das genügend Gründe!? Und um ehrlich zu sein, ich habe schon mit ihm gesprochen, und er hat mir zugesagt.“
Georg ließ sich nicht anmerken, dass er enttäuscht war, weil Hannah diesen Schritt entschieden hatte, ohne ihn zu fragen. Er fühlte sich erbärmlich, und bedrückt ließ er den Kopf auf seine aufgestützten Arme sinken. Dachte: 'Dabei kann ich sie so gut verstehen. Warum war ich vor Jahren für eine Sterilisation zu feige? Warum habe ich auf den Arzt gehört? Bei mir wäre es ein leichter Eingriff, bei ihr - bei ihr wird es eine Operation!

Doch hier irrte sich Georg! Denn 4 Wochen vor dem angenommenen Geburtstermin bekam sie einen Anruf ihres Frauenarztes Dr. Carasco.
„Sie müssen mich verstehen, Señora! Eine solch weit reichende Entscheidung kann ich einfach nicht allein tragen. Deshalb habe ich an den Papst geschrieben. Und der heilige Vater hat mir eine Sterilisation bei Ihnen verboten!“
Hannah rastete regelrecht aus. ‚Das gibt es doch nicht! Die bekommen die Kinder ja nicht! Mütter sind denen vollkommen gleichgültig, sind ja bloß Frauen! Hauptsache, es kommen Kinder auf die Welt. Und bei einer wie mir kann er obendrein noch sicher sein, dass nach dem sechsten das siebte, das achte usw. kommt, bis die Mutter eben krepiert. Das glaub ich nicht…, das glaub ich einfach nicht’. Sie rannte durch den Garten, so gut es der dicke Bauch erlaubte, weil sie nicht wusste, wie sie sonst mit ihrer Wut fertig werden sollte. ‚Eine Gebärmaschine bin ich, nichts weiter als eine Gebärmaschine!’ tobte sie.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag01.07.2013 17:15

von madrilena
Antworten mit Zitat

Und so geht es weiter in meinem Lesetext aus meinem Buch "leben".

Szenenwechsel
Die Gegenwart hatte jetzt verschiedene Schichten. Hannah bewegte sich nun oft in einer grauen Welt, einer Welt ohne Sonne und Licht. Sie fing an, dieses innere Dasein ohne Schatten zu lieben, sich hinein gleiten zu lassen in das farblose Vorsichhinleben zwischen Müdigkeit und ständigem Gefordertsein. Sie entschied nicht mehr, sie wurde entschieden.
Am 5. Dezember kam Tanja auf die Welt, und zum ersten Mal war Georg bei einer Geburt dabei, aber es interessierte Hannah nicht wirklich. Wo war nur die Aufregung zwischen ihnen geblieben? Dieser Glanz, der ihr all die Jahre über die Kraft gegeben hatte, jede Entscheidung mit ihrem Mann zu teilen. Ein Gefühl, das stärker war als jede Zukunftsangst. Was sollte schon geschehen, so lange sie zusammen waren?
Nun aber hatte sie oft das Empfinden, sich in einem geschlossenen Raum zu bewegen, immer gemeinsam mit dem Kleinsten ihrer Kinder und dem seltsamen Gedanken, nichts weiter mehr zu sein als Verantwortung. Sie war nur noch erschöpft, und… manchmal kam es ihr so vor, als wäre es wie ein Wettlauf zwischen den an sie gestellten Anforderungen und ihrer Kraft. Was würde zuerst nachgeben? Sie wusste es nicht.
Und sie wollte nicht mehr mit Georg schlafen. Auch hier die bangen Fragen ‚wo war dieses alles überglänzende Begehren geblieben?’ Schweigend lagen sie im Dunkeln – das Haus erfüllt vom Atem der Kinder. In die beklemmende Stille hinein sagte Georg leise:
„Du liebst mich nicht mehr!“ Aus seiner Stimme klang so viel Enttäuschung, dass Hannah schreien möchte: ‚Doch‚ doch… ich liebe dich, aber irgendetwas geschieht in mir, das ich selbst nicht verstehe. Ich möchte mich nach dir sehnen, dich spüren, aber es ist nicht mehr da – dieses Wesentliche zwischen uns. Es gibt keine wirklichen Gespräche mehr, es gibt überhaupt kaum mehr etwas anderes, als das Geplapper der Kinder. Und jetzt habe ich kein Gefühl mehr, nur noch Gedanken’. Aber sie schwieg.
Er nahm ihr Schweigen als Zustimmung. „Hannah, bitte, nicht so. Das kann es doch nicht gewesen sein! Wir haben noch so viel Zeit vor uns – ich liebe dich, ich begehre dich, es gibt kein Leben ohne dich. Was geschieht mit dir?“
Es war ihr unmöglich darüber zu sprechen – auch das ein völlig neues Empfinden. ‚Ich hab kein Vertrauen mehr zu dir’, aber sie sagte es nicht laut. Im Nebenzimmer weinte Tanja im Schlaf.
„Bleib hier, sie hat gewiss nur geträumt“, und er umarmte sie. Sie spürte, diesmal ging es nur um den Besitz, er musste sich beweisen, dass er sie nicht verloren hatte. Da gab sie nach und ihr war zum Weinen zumute.
Neun Monate später, an einem kalten, grauen Februarmorgen kam Jakob auf die Welt, nur 14 Monate nach Tanja.
Noch im Kreißsaal weigerte sich Hannah vehement, das Kind auf die Welt zu bringen. Die Hebamme fuhr sie an: „Es ist rein gekommen, also muss es auch wieder raus!“
Erst im Augenblick der Geburt nahm Hannah dieses Kind, ihren jüngsten Sohn an, nun aber mit einer so bedingungslosen Hingabe, die sie selbst am meisten erstaunte. Waren es Schuldgefühle, weil sie sich während der neun Monate so sehr gegen diese Schwangerschaft gewehrt hatte, dass sie jetzt eine Zärtlichkeit für diesen kleinen Kerl empfand, wie sie es sich zuvor niemals hätte vorstellen können? Sie spürte sein Körperchen in ihren Armen, auf ihrem Leib, an ihrem Herzen, sie umklammerte ihn mit ihrer Wärme und wusste mit jeder Faser ihres Seins, ‚du bist das letzte Kind, das ich bekommen habe. Ich werde nicht mehr schwanger!’
Sie empfand diese Entscheidung als unumstößlich – nichts und niemand würde sie davon wieder abbringen können. War auch das ein Grund dafür, dass sie sich von diesem Winzling Jakob am liebsten keine Sekunde getrennt hätte? Sie spürte plötzlich eine Stärke, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie dazu überhaupt fähig wäre.

Im Mai flog Hannah nach Frankfurt, um sich sterilisieren zu lassen. Sie hatte irgendwelche Einwände Georgs überhaupt nicht mehr angehört, für sie gab es nur noch diesen Weg. Sie war gerade 31 Jahre alt, und wusste, wenn sie nicht diesen Eingriff machen ließe, wäre Jakob noch lange nicht ihr letztes Kind.
Aber alles wurde noch einmal völlig anders, als sie es erwartet hatte. Als sie aus der Narkose erwachte, war nicht Erleichterung ihr erstes Gefühl, sondern Entsetzen. ‚Ich bin keine richtige Frau mehr’, weinte sie nachts in die Krankenhauskissen. Da half es auch nicht, dass sie sich immer wieder vorsagte, dass ihr Frausein schließlich nichts mit ihren inneren Organen zu tun hätte, sie fühlte sich amputiert und entmündigt.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag02.07.2013 09:10

von madrilena
Antworten mit Zitat

Einen recht schönen Sommermorgen wünsche ich allen.
Ich würde mich über einige Leser/innen dieses Kapitels sehr freuen.
Hannah bin ich - und wer bin ich?
www.hillaseven.de
LG madrilena

SZENENWECHSEL Einige Wochen später
1967

Wieder einmal saß Hannah am Esszimmertisch, auf dem sich das schmutzige Geschirr des Frühstücks stapelte. Sie sollte aufstehen…, sollte mit der Hausarbeit beginnen…. Wozu? Es war, als hätten die Stühle, als hätten die Bänke, die sie gekauft hatten, weil nur so alle am Esstisch Platz fanden, als hätten die achtlos auf dem Tisch zurückgelassenen grünen Tassen, Teller, Löffel ihre Bedeutung verloren. Ihr Blick strich in lähmender Stille darüber, einer Stille, die undurchdringbar geworden war.
Gedankenlos zerkrümelte sie eine angebissene Scheibe Weißbrot, versuchte, ihre wirren Gefühle in Worte zu fassen, sagte sich: ‚ Was vermisst du eigentlich? Georg ist doch nur für uns, für seine Familie da, ist deshalb so viel unterwegs, arbeitet bis spät abends – Hannah - auch für dich’.
Eine innere Stimme spottete: ‚Nicht nur für uns oder für mich. Auch für sich und… oft genug dürfte ihm das Büro wie eine Insel vorkommen, auf die er vor dem Umtrieb daheim flüchten konnte. Außerdem… hat er auch viel interessanten Geschäftsbesuch, geht aus, lernt teure Lokale kennen, besucht abends mit den Gästen Varietés und genießt das Madrider Nachtleben. Er reist viel, lernt Länder kennen’.
‚Bist du etwa… neidisch?’
‚Und wenn?!!! Er hat doch alles, Familie, Karriere, Reisen, fremde Menschen...’
‚Und was machst du?’, fragte diese eiskalte Stimme in ihrem Innern mit ihrer grausamen Unerbittlichkeit.
‚Ich? Ja… was mache ich eigentlich? Meine Arbeit ist so... so unsichtbar’.
Ihr Leben war... morgens die schmutzige Wäsche einsammeln, rein in die Waschmaschine, raus aus der Waschmaschine, voller Korb nasser Wäsche die Treppen hoch in die Küche und die Treppen hinunter in den Garten schleppen, war Unterwäsche, Schlafanzüge, Hemden, Blusen und Jeans, Betttücher und Tischdecken an der Leine zwischen Apfel- und Feigenbaum in der frischen Luft trocknen. Mittags bügeln und wenn die Kinder oder Georg am nächsten Morgen eine saubere Jeans, ein frisches Hemd anziehen wollten, lag alles gewaschen und gebügelt im Schrank und keiner hatte etwas gemerkt.
Und ihr Leben war… Einkaufen. Nein, nicht Bücher in der einzigen deutschen Bücherei, hier langte es nur immer für die vielen Schulbücher der Kinder. Auch keine neuen Kleider in eleganten Boutiquen. Es war… Einkaufen im Markt – beladen mit Taschen und Beuteln, jeden Tag. Im Markt roch es nach Fisch und nach Fleisch und frisch gebackenem Brot, es roch nach Blumen und Erdbeeren oder nach verfaulten Orangen, je nach Jahreszeit. Und sie kaufte ein, gelbes, grünes und rotes Gemüse, 5 Kilo Kartoffeln, die täglich notwendige Menge, frischen Salat, Hackfleisch gemischt, Schwein und Rind – das war preiswerter – viel Obst, acht oder zehn ofenfrische Baguettes, der normale Tagesbedarf.
Auf dem Heimweg vom Markt weinte sie manchmal, weil die Taschen so schwer waren. ‚Ich komme damit nie nach Hause, das schaff ich einfach nicht!’ Sie schaffte es doch...

Es gab sie aber auch, die glücklichen Momente. Wenn sie mit den Kindern zum Stausee fuhren, mit ihrem schwerfälligen Landrover im unwegsamen Gelände einen Weg suchend. Wenn die Schar laut und lärmend aus der hinteren Autotür zum Spielen stürmte und…wenn nach ein paar Minuten ihr Jüngster, ihr Jakob angerannt kam, hochrot im kleinen Gesicht, strahlend vor Freude und in der Bubenfaust einen zerdrückten Blumenstrauß „da Mama, für dich“ und erst danach zum Spielen losrannte. Wenn sie die Zelte aufbauten, unter einem leuchtenden Sternenhimmel übernachteten. Gemeinsam Lieder sangen, Hannah erinnerte sich an ihr Lieblingskinderlied „weißt du wie viel Sternlein stehen“ und wenn später das ruhige Atmen der vom Spielen, Toben und Baden erschöpften Kinder zu ihr drang, und sie Georgs warme Finger spürte, die nach ihrer Hand tasteten, versuchte sie, die Sterne über ihnen zu zählen. Nein, sie wusste nicht, wie viel Sterne stehen, aber sie spürte, dass sie in diesen sternhellen Nächten, umgeben von ihrer Familie glücklich war, einfach nur glücklich.

Aber dann… wieder die anderen Augenblicke, Stunden, Tage: Wenn Vergangenheit und Zukunft auseinander gerissen schienen, und sie sich irgendwo dazwischen befand, in verschiedenen Wirklichkeiten lebte, die sie nicht miteinander verbinden konnte.
Und sie trank zu viel, erst ab und an schon morgens die ersten Gläser, später immer öfter morgens die ersten Gläser. Sie bildete sich ein, dass es einen anderen Menschen aus ihr machte, einen Menschen, dem nichts etwas anhaben konnte. Nur wenn sie trank, war sie stark. Sie hasste den herb-säuerlichen Geschmack des billigen Rotweins, schüttelte sich vor Ekel und… schenkte sich das nächste Glas ein. Und manchmal ließ der Alkohol die Gegenwärtigkeit ihres immer gleichen Alltags verschwimmen, dann wurde sie sich der Lebendigkeit ihres Körpers bewusst, wurde das Lachen einfacher und sie selbst federleicht.

Sie setzte sich auf die Küchentreppe, schaute über den Garten. Sommermorgen! Das erste Licht, geheimnisvoll glitzern in ihm noch letzte Sterne, ein verblassender Mond. Doch… wo war der blaue Himmel über Madrid geblieben, in den sie sich einst voller Freude und Kraft auf der Schaukel ihrer Kinder emporgeschwungen hatte? Wo die Sonnen getränkten Schatten zwischen den Bäumen? Wo dieses knisternde Lebensgefühl, mit dem sie so lange alles Neue und alles Schwere, alles Gewohnte und jede Erinnerung gelebt hatte? Wo war überhaupt das Leuchten geblieben?
Und dann war es ihr, als hätte jemand mit groben Pinselstrichen über alles, was sie umgab, einen Grauschleier geschmiert.
Wenn sie von solch dunklen Tagen völlig erschöpft war, legte sie sich auf ihr Bett, holte Jakob zu sich, spürte den kleinen Körper schlafwarm und satt in ihren Armen, war zwar nicht getröstet, fand aber irgendwie Kraft in diesem Zusammensein. ‚Wenn ich auch keine Frau mehr bin, so bin ich vielleicht doch wenigstens eine gute Mutter’, dachte sie, und es war nicht mehr wichtig, ob sie sich noch begehrenswert fühlte oder nicht.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag02.07.2013 20:43

von madrilena
Antworten mit Zitat

Szenenwechsel
Hannah fühlte sich „nur“ noch als Mutter. Sie war 32 Jahre alt und hatte nicht erwartet, dass sich in ihren Gefühlen noch einmal etwas ändern würde. Bis - ja bis Tomás auftauchte:
Vorletztes Kapitel meiner Lesung aus meinem Buch „leben“ ISBN 978-3-934136-65-6: Das nächste Kapitel spielt dann noch einmal im 2002, dann ist meine Lesung beendet.
Gruß madrilena


1968

„Hannah, das ist Dr. Tomás Olmedo“. Hannah hatte spontan entschieden, heute wieder einmal ihre Freundin Susanne zu besuchen. Sie wusste, dass Dr. Olmedo Kinderarzt war und erschrocken fragte sie: „Ist bei Euch jemand krank?“
„Nein, nein“, wehrte Susanne lachend ab, „Tomás kommt gern ab und zu zwischen seinen Hausbesuchen für einen chato vorbei. Trinkst du auch einen?“
Hannah begrüßte Tomás Olmedo, setzte sich auf ihren Lieblingsplatz auf Susannes Terrasse, von wo sie einen weiten Blick über die Stadt hatte. Sie merkte, dass Tomás Olmedo sie nachdenklich über den Rand seines Glases beobachtete.
‚Na, wann kommen die üblichen Fragen’, spottete Hannah innerlich. Immer das gleiche: ‚Wie gefällt Ihnen Madrid! Haben Sie sich schon eingelebt’ – und das, obgleich sie schon vier Jahre hier lebten. ‚Ihr Spanisch ist ja großartig’ – da lag es ihr immer auf der Zunge zu antworten ‚Ihrs auch’. Und anschließend: ‚Was... sieben Kinder haben Sie’, als wäre sie nur noch über ihre Kinder identifizierbar. Und wenn obendrein noch der Nachsatz kam ‚dafür sehen Sie aber phantastisch aus’, war sie wirklich beleidigt, so verändert hatte sie sich schließlich nicht,
Aber… diesmal kamen keine Fragen – nur dieser aufmerksame Blick, fast…. umarmend, so dass sie schnell zu ihrem Glas griff. Das Gespräch kam nur stockend in Gang, etwas… Ungreifbares schwang in der Luft, und Hannah war es, als wäre ihr Tomás schon seit undenklichen Zeiten vertraut.
Sie sprachen vom Meer, und zögernd fragte er : „Kennen Sie Nordspanien?“
„Tomás, ich glaube, Hannah hat sich schon daran gewöhnt, dass wir hier in Spanien alle von Anfang an per Du sind“.
Das stimmte so nicht, sie hatte sich überhaupt nicht an dieses sofortige Du gewöhnt. So antwortete sie etwas zaudernd: „Nein, ich kenne den Norden Spaniens eigentlich nicht. Wir sind nur einmal durchgefahren und haben einen Nachmittag in San Sebastian verbracht“, sie bemühte sich sorgsam, eine Anrede zu umgehen.
Tomás lächelte und sie fühlte sich durchschaut. Während sich das Gespräch um den Norden Spaniens, um Laredo drehte, wo Tomás geboren war und jedes Jahr die Ferien mit der Familie verbrachte, dachte Hannah:
‚Was ist nur los mit mir?’ Sie spürte, wie sie vor Nervosität feuchte Hände bekam. Das war ihr bisher noch nie passiert und je mehr sie sich ihrer Verwirrung bewusst wurde, desto unsicherer wurde sie. Was ging nur von diesem Mann aus, dass er sie in einen solchen Zustand versetzen konnte? Ihr fielen seine dunklen Augen auf, die Iris so schwarz wie die Pupillen. Und… wie er sich bewegte, mit einer fast unbedenklichen Leichtigkeit, als seien seinen Bewegungen durch nichts und niemanden Grenzen gesetzt. Die Sonnenbräune stand ihm auch gut, aber am meisten gefielen ihr seine Hände. Schmale Hände. Zärtliche Hände? Sie erschrak – noch nie hatte sie einen Menschen, den sie gerade erst kennen gelernt hatte, so intensiv betrachtet.
Und schließlich - Typen wie ihn gab es doch wirklich genügend in Spanien. Nein…, das war es auch nicht!
Doch plötzlich überstürzten sich ihre Gefühle. Das war es! Sie fühlte sich in seiner Gegenwart begehrenswert, wieder als Frau! Ein Gefühl, von dem sie nach ihrer Operation, geglaubt hatte, es nie mehr empfinden zu können. Und jetzt lag Flirt in der Luft, Begehren, Hitze und wilde Versprechungen.
Abrupt stand sie auf. Susanne sah sie erstaunt an, offensichtlich hatte sie nichts von dieser seltsamen Erregung gespürt, die greifbar in der Luft zu flirren schien. „Du gehst schon?“
„Ich – ich will noch etwas einkaufen“, Gott sei Dank, dass sie ihre Stimme einigermaßen unter Kontrolle hatte.
Auch Tomás hatte sich erhoben: „Susannita, ich muss mich auch verabschieden, die Kranken warten“,
Hannah schaute sich nicht mehr um, spürte, dass Tomás dicht hinter ihr die Treppen hinunterging, sein Atem streifte ihren Hals.
Leise fragte er: „Wollen wir uns irgendwann für eine Tasse Kaffee treffen?“
Wie verführerisch seine Stimme klang. Und… wann war „irgendwann“? Etwas in ihr warnte sie ‚pass auf, du willst das doch gar nicht’.
Und dann wieder: ‚Was ist denn schon dabei, einen Kaffee gemeinsam zu trinken’, aber sie wusste, dass ihr hier ihre Sachlichkeit einen Streich spielte.
„Warum nicht? Hast du denn bei den vielen Hausbesuchen dafür noch Zeit?“ Wie leicht ihr plötzlich das „Du“ über die Lippen ging.
Er öffnete ihr die Haustür, sie standen sich einen Augenblick sehr nah gegenüber. Sie könnte sein Lächeln berühren, mit den Fingerspitzen über seine Lippen streichen...
Sie gaben sich nicht die Hand, doch bevor Tomás sich umdrehte, um zu seinem Wagen zu gehen, sagte er sehr leise, sehr zögernd: „Was ist uns geschehen, Hannah? Ich…ich bin völlig... verwirrt“.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag04.07.2013 09:05

von madrilena
Antworten mit Zitat

Guten Morgen an alle: Hier nun der letzte Beitrag aus meiner Lesung meines Buches "leben".

Wir machen noch einmal einen Szenenwechsel, lassen über 30 Jahre vergehen und sind im Jahr 2002. Georg ist vor einem halben Jahr gestorben. Hannah macht sich mit Jakob auf die lange Reise nach den Philippinen, wo Jakob jetzt lebt.

2002
Ich sitze tatsächlich im Flugzeug nach Manila mit Zwischenstopp in Bangkok. Irgendwie kann ich es immer noch nicht fassen, dass ich diesen Schritt ohne dich mache. Andererseits… freue ich mich so darauf, mit Jakob einige Wochen verbringen zu können. Er sitzt neben mir, versucht, seine langen Beine in der engen Sitzreihe unterzubringen. Sein lockiges rotblondes Haar trägt er kurz geschnitten, seine blaugrünen Augen strahlen mich gerade in diesem Augenblick an: „Freust du dich?“
„Ja, Jakob, ich freue mich“, sage ich laut und denke an unsere jahrelangen gemeinsamen Segeltörns mit ihm, dir und mir. Jetzt meint er zögernd: „Ich weiß nicht, in welchem Hotel meine Sekretärin Zimmer gebucht hat, sie hat mir nur gemailt, dass alle guten Hotels in Bangkok besetzt seien. Ich hab’s trotzdem gewagt und für drei Tage gebucht. Mutsch, die Stadt ist so schön, du wirst bestimmt genauso begeistert sein  wie ich“.
„Na ich glaube, das mit dem Hotel wird schon nicht so schlimm sein. Ich freu mich einfach darauf, etwas von deinem Leben, etwas dir Wichtiges kennen zu lernen“. Sanft nimmt er meine Hand, eine beschützende und gleichzeitig sehr innige Geste.
Ich bin müde, rolle mich, so gut es geht, in meinem Sitz zusammen, lehne meinen Kopf gegen Jakobs Schulter und versuche, ein wenig zu schlafen.
Ruhig verläuft der Flug – gegen drei Uhr unserer Zeit ziehe ich das kleine Rollo vor dem Fenster hoch – was für eine Morgenstimmung! Nie zuvor habe ich ein solch gleißendes Leuchten erlebt, eine Farbigkeit, die mit ihrer Schönheit blendet und atemlos macht. Ob du irgendwo in diesem Licht bist, mir nah und doch aufgegangen in einer fernen, strahlenden Welt? Und... könnte mir ein solches Wissen meine Sehnsucht nach dir leichter machen? Ich weiß es nicht, stumm starre ich in diesen lichttrunkenen Himmel.
Nach unserer Ankunft in Bangkok fahren wir mit dem Taxi vom Flughafen in die Stadt. Smog macht eine Fernsicht fast unmöglich. Ich bin überrascht, neben den unfassbar vielen Fahrzeugen, die sich wie eine Blechlawine durch die Betonschluchten im Schneckentempo auf die Innenstadt zuwälzen, zwischen grauen Hochhäusern, engen Nebenstraßen immer wieder kleine Grünanlagen oder die verschiedenartigsten Tempel zu entdecken, Menschen knien davor, die Luft ist schwer und warm von Düften, die durch die offenen Autofenster dringen.
Das Hotel, an dem uns das Taxi absetzt, macht zuerst einen guten Eindruck, bis… ja bis ich mein Zimmer sehe. Nein, es ist kein Zimmer, es ist  ein dreieckiges Loch – ohne Fenster, mit einer Holztür, gegen die man nur leicht zu drücken braucht, um sie aufzumachen, selbst wenn sie verschlossen ist. Die Wände schmutzig gelb gestrichen. Dem Bett gegenüber – es gibt nichts anderes als ein Bett, einen Stuhl, auf dem ein Telefon steht und ein winziges Waschbecken in dieser dreiseitigen Kammer – ist an die Wand ein krakeliges, schwarzes Kreuz gemalt mit zwei dicken Balken.
Jakobs Zimmer ist so ähnlich, aber ich will nicht zimperlich erscheinen, also sage ich ziemlich unbekümmert „komm, das macht doch nichts. Für zwei Nächte, wir sind doch eh dauernd unterwegs“.
Und das sind  wir zunächst auch.
Als wir uns anschicken, die Stadt zu erkunden, meint Jakob: „Heute lassen wir einfach Bangkok auf uns wirken. Und morgen gehen wir zum Königstempel! So etwas hast du bestimmt noch nicht gesehen“.
Wie sollte ich auch! Es ist ja meine erste Begegnung mit einem buddhistischen Land, und ich bin eh schon fast atemlos  von dem wenigen, das ich bisher bestaunen konnte. Sind es die Wolkenkratzer oder die goldglänzenden kleinen Tempelchen an jeder Straßenecke, vor denen Gläubige ihre Kerzen entzünden? Sind es die eleganten Einkaufszentren oder die lächelnde, immer gleich bleibende Höflichkeit der Menschen? Und erst die bunten Straßenmärkte, wo alles angeboten wird, was käuflich ist. Luxusartikel aus dem Westen in billigen Imitationen, thailändisches Handwerk und... Frauen. Ein drahtiger kleiner Mann läuft neben uns her, preist seine Schwester und seine Cousine an. „Hör gar nicht hin“, rät mir Jakob, als er mein Entsetzen sieht. Nicht hinhören!!! – wie viel Leid bringt  gerade dies über die Schwestern oder Cousinen? Doch… was weiß ich schon wirklich von Armut….???
Ich werde abgelenkt von den vielen Garküchen mit ihrem  Angebot an Merkwürdigkeiten, die ich bestimmt nicht probieren will, doch deren ungeahnte, nie zuvor wahrgenommenen Düfte betörend durch die Straßen ziehen. Es ist ein buntes, ein exotisches und oft auch fremd-erschreckendes Lebensgefühl, das über der Stadt zu liegen scheint.
Und dann wieder der Einbruch der Moderne in diese Welt der Exotik mit lautem Handygeklingel. Auch bei Jakob gibt es viele Anrufe.
 „Machst du das Handy eigentlich nie aus?“
Er schaut mich erstaunt an. „Nein, ich bin nie ohne Handy und habe es eigentlich auch immer an“. Stunden später sind es diese Worte, die mich in einen Taumel der Panik und des Entsetzens stoßen werden.
Spät nach dem Abendessen ziehen wir uns ins Hotel zurück, d. h. ich will schlafen, während Jakob meint, „ich geh noch mal kurz weg“. Piloten, darunter auch sein Freund, machen Zwischenstation in Bangkok, er will sie noch auf einen Drink treffen.
Ich kann nicht schlafen! Das schwarze Kreuz auf der gelbschmutzigen Wand mir gegenüber geistert durch meine Phantasie. Auf den Treppen des Hotels unerträglicher Lärm. Eine seltsame Beklemmung hält mich wach. Gegen drei Uhr nachts schreiende Stimmen direkt vor meiner Tür.
Ob Jakob noch wach ist? Bei diesem Höllenlärm kann er gewiss auch nicht schlafen. Über das Zimmertelefon rufe ich in seinem Zimmer an. Niemand antwortet. Gewiss ist er noch unterwegs, allerdings... es ist ja schon sehr spät.
Eine Stunde später, als sich noch immer niemand in seinem Zimmer meldet, halte ich es nicht mehr aus. Ich ruf ihn über sein Handy an. Es meldet sich… die Mailbox...
 „Nein, ich bin nie ohne Handy und habe es auch immer an!“ Die Worte dröhnen in meinem Kopf – ‚wenn du nie ohne Handy weggehst, wo bist du jetzt? Jakob…, ich habe Angst’.
Jemand schlägt an meine Tür - eine Frau weint, eine besoffene Männerstimme schreit Unverständliches. Wo bin ich nur hingeraten? Und – wo ist Jakob?
Ich versuche es jetzt alle zehn Minuten, aber… entweder Stille beim Zimmertelefon oder Mailbox beim Handy.
Nicht einen Augenblick lang kommt mir der Gedanke, dass er mit seinen Freunden versackt wäre.
‚Nein, ich bin nie ohne Handy und habe es auch immer an!’
Es kann doch nur etwas passiert sein.
Und plötzlich fallen sie mir wieder ein, die Eindrücke in den Straßen und Gassen, die ich versucht habe, zu verdrängen. Ich erinnere mich an die vielen dunklen Gestalten, die uns heute Abend begegnet sind. Ich höre die Stimme des Taxifahrers, als er uns erklärte, dass es Gegenden in Bangkok gibt, wo er nicht hinfahre, weil die Kriminalität dort zu hoch sei. Ich denke an die Armut, die ich bei unserem Gang durch die Stadt übersehen habe, übersehen wollte. Jetzt sind die Bilder wieder da, bedrohlich und beklemmend: die zerlumpten Menschen in Hauseingängen, schlafend auf Altpapier oder Pappe, wälzten sie sich bei der Hitze unruhig hin und her. Ich rieche wieder den stinkenden Abfall in den Straßengräben und denke daran, wie Jakob gesagt hat, ‚bleib lieber auf dem Bürgersteig, in den Rinnsteinen hausen zu viele Ratten’. Ich höre die Stimme des Mannes: „Mister, meine Schwester, meine Cousine, beide sehr jung!!!“.
Und immer der gleiche Refrain in meinem Kopf: ‚Nein, ich bin nie ohne Handy und habe es auch immer an!’  Die Gedanken rasen: ‚Jakob kann nur etwas passiert sein, vielleicht liegt er in irgendeiner dunklen Seitengasse, zusammengeschlagen, niedergestochen, ausgeraubt’. Warum denke ich nicht einen Augenblick lang an einen Unfall?
Dann wieder die andere Stimme in mir, die beruhigen will: ‚Du übertreibst, wahrscheinlich ist er noch mit seinen Freunden zusammen.’
Ich versuche, mich zusammenzunehmen, schaue auf die Uhr. ‚Um diese Zeit? Unmöglich!’
Draußen bricht ein neuer Tag an, sein Licht dringt durch die Türschlitze.
Ich werfe mich aufs Bett: ‚Jakob, nicht auch noch du! Das überlebe ich nicht! Nicht mein Kind, bitte, bitte, lass es nicht zu!’
Ich wusste nicht, wen ich anflehte.
Panik überflutet jeden klaren Gedanken.
Zitternd lasse ich mich aufs Bett fallen. Das schwarze Kreuz!!!! Ich möchte die Augen schließen, kann nicht, wie magisch zieht dieses Geschmier meinen Blick an.

 ‚Jakob, Jakob - wo bist du!’

 

Wie es weiter geht im Leben von Hannah und Georg, liebe Leserinnen und Leser, das... erfahren Sie beim Lesen meines Buches "leben" erschienen im Alkyon Verlag Marbach ISBN 978-3-934136-65-6. Erhältlich über Amazon und in allen Buchhandlungen, wenn man auf das Verzeichnis lieberbarer Bücher, kurz VlB genannt, hinweist. Und auch bei mir privat, denn zu Lesungen nimmt man immer zu viele Exemplare mit, die man dann zu Hause hat.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag08.07.2013 14:45

von madrilena
Antworten mit Zitat

Heute noch einmal eine Rezension meines Buches "leben" ISBN 978-3-93413665-6 erhältlich in jeder Buchhandlung (nach VlB fragen), bei Amazon und bei mir.

Ein Leben wie ein offenes Buch
Hilde Möller spart in ihrer Autobiographie auch Unangenehmes nicht aus

HAHN Im Rahmen einer Veranstaltung des Kulturkreises Taunusstein stellte die Autorin und Musikliebhaberin Hildegard Möller ihr neues Buch „Leben" vor. Bei ihrem vierten Buch handelt es sich um eine Autobiographie.

Von Elena Häffner
„Sehr mutig" nennen es die einen, „bewundernswert offen" die anderen Zuhörer. Hilde Möller dagegen sagt, sie sei vor der Veröffentlichung vor allem aufgeregt gewesen. Und ein bisschen Angst hatte sie auch. Es sei, so erklärt sie weiter, schließlich schon so eine Sache, überhaupt eine Autobiographie zu schreiben. „Teile daraus dann aber in der Öffentlichkeit vorzutragen und das auch noch vor Leuten die man größten Teils kennt, das ist noch mal etwas ganz anderes".
Die Lesung beginnt mit der Szene, in der Möller den plötzlichen Herztod ihres Mannes beschreibt. Diese Passage ist, wie alle Erlebnisse die ihr sehr nahe gehen in der Ich-Form geschrieben. Der Rest der Geschichte wird dagegen in der dritten Person erzählt und die Protagonistin hat Möller in „Hannah" umgetauft. „Das musste ich so machen um ein bisschen Abstand zu bekommen", erklärt sie. Sonst sei das Buch aber durch und durch autobiographisch.
Und so scheut sich Möller auch nicht davor, die unangenehmen Lebensabschnitte zu beschreiben. Ihre Alkoholabhängigkeit wird dabei ebenso thematisiert, wie Depressionen und Ehekrisen. Dabei, so betont sie, habe sie keinen Lebensratgeber schreiben wollen. „Aber natürlich kann es Menschen auch weiter helfen und Mut geben, wenn sie lesen, wie ich mit meinen Problemen fertig geworden bin".
Langweilig wird das Buch dabei sicher nicht. Die Autorin beschreibt die verschiedenen Stationen ihres Lebens, auf denen sie vor allem ihrem Mann Georg folgte. Dabei führt sie ihre Reise von Ankara über Frankfurt bis hin nach Madrid. „Wenn sie mich heute hier stehen sehen, repräsentiere ich wohl nicht mehr die typische untergeordnete Frau von damals", sagt sie. „Aber in den fünfziger und sechziger Jahren bin ich wahrscheinlich genau das gewesen". Deshalb können sich gerade die Frauen, die ebenfalls in dieser Zeit jung waren und versuchten, die Balance zwischen Emanzipation und Abhängigkeit zu finden, besonders gut mit ihr identifizieren.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag23.07.2013 12:41

von madrilena
Antworten mit Zitat

Eine Rezension von Ch. Mertins des Buches "leben", erschienen im Alkyon Verlag und erhältlich in allen Buchhandlungen, so fern man auf das Verzeichnis lieferbarer Bücher hinweist. Außerdem erhältlich bei Amazon.

Schonungslos ehrlich

red. GONSENHEIM Die inzwischen aus verschiedenen Rundfunk- , TV- und Zeitungs­Interviews bekannte Mainzer Schriftstellerin Hilde Möller stellte Anfang Okober nochmals ihren autobiografischen Roman „leben" vor. Dieses Mal im wunderschönen Ambiente des Barocksaales des Gonsenheimer Rathauses. Obwohl sie ihren Namen und den ihrer Kinder geändert habe, sei alles wirklich so passiert, ließ sie das Publikum wissen. Mit viel Enthusiasmus las sie Teile aus ihrem „leben" vor.
Das Buch erzählt von einigen schweren Krankheiten, davon dass die Protagonistin drei Berufe erlernt und dass sie schon von Kindheit an kämpfen und sich immer wieder in einer „Männerwelt" behaupten muss. An vielen Stellen fragt man sich, wie kann ein einzelner Mensch soviel erleben, soviel durchmachen und trotzdem noch so lebensbejahend und neugierig auf das Kommende sein? Möller schildert in dem Buch auch ihren Aufenthalt in vier Ländern und das Leben mit sieben Kindern. Es geht um ein Alkoholproblem, um ihr eintöniges Leben mit viel Arbeit, der sie sich kaum noch gewachsen fühlt und um eine Affäre mit einem anderen Mann obwohl sie eigentlich Georg, ihren Ehemann liebt. Sie will alles ändern, will wieder anerkannt sein, bewundert und als Frau gesehen werden. Sie möchte so manches Mal ausbrechen und ist doch dann genau wieder mit dem glücklich, was sie gerade wegwerfen wollte. Als ihr Georg plötzlich stirbt, weiß sie zunächst.keinen Ausweg und glaubt, nichts geht mehr. Doch dann besinnt sie sich auf das was sie schon immer wollte - schreiben!
Gerade diese Ehrlichkeit, dass sie nichts auslässt, auch an Selbstkritik nicht spart, macht das Buch so lesenswert. Es wurde geschrieben und vorgelesen von einer interessanten Frau und sie gibt allen die Zuversicht - „alles kann man, wenn man es nur wirklich will...!" Ihr Motto: jetzt erst recht!

„leben" ist Hilde Möllers viertes Buch und im Alkyon Verlag erschienen
.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag29.07.2013 08:20

von madrilena
Antworten mit Zitat

Einen guten Wochenanfang wünsche ich allen. Nachdem die Hitze wenigstens für einige Tage überwunden ist, geht es wahrscheinlich den Meisten wie mir - ich atme erst mal wieder richtig durch.
Dabei kam mir die Idee, ich könnte doch noch - abgesehen von meinem Lesungstext, den Ihr vielleicht gelesen habt,  das dritte Kapitel meiner Autobiographie hier einstellen. Wie ich schon mehrere Male betonte, ist "leben" autobiographisch, nur die Namen habe ich meinen Kindern zuliebe geändert.
Vielleicht macht Euch dieses Kapitel neugierig, mehr von Hannah erfahren zu wollen.
Über einen Besuch auf meiner homepage würde ich mich sehr freuen: www.hillaseven.de
madrilena




1957
Als Hannah an diesem Abend in ihr Zimmer kam – sie wohnte nicht im Internat, sondern war in einem zur Hotelfachschule gehörenden Haus untergebracht, was ihr das Gefühl gab, weniger überwacht zu sein als die anderen Schülerinnen – entschied sie sich plötzlich, das Erlebte niederzuschreiben. Für wen? Sie wusste es nicht, es war ihr auch völlig gleichgültig. Sie hatte im Gespräch mit Georg gemerkt, wie gut es ihr tat, einfach einmal die vergangenen Monate in Worte zu fassen.
Sie knipste die Stehlampe an, ihr Licht warf einen gelben Schein auf den einfachen Holztisch. Sie fachte das fast erloschene Feuer im Eisenofen an, legte einige Scheite Holz nach und atmete tief den harzigen Geruch des brennenden, Funken sprühenden Holzes ein, bevor sie die Ofentür wieder schloss. Sie griff nach einem Schreibblock, suchte sich einen Stift und setzte sich an den Tisch. Mit raschen Bewegungen fing sie an zu schreiben:
‚Es blieb uns nicht viel Zeit, das verwirrende Nebeneinander von Tradition und Moderne Teherans zu erfassen. Teestuben neben Hochhäusern. Gewirr kleiner Gassen im Bazar und die Pracht der Königspaläste. Die Stadt umgeben von den hohen schneebedeckten Bergen des Elbursgebirges.
Mr. Eshragi, der Hotelbesitzer holte uns ab, das Auto mussten wir in Teheran lassen, nur mit dem Flugzeug war die Oase Isfahan zu erreichen.
Unbegreiflich, dass mir überhaupt nicht bange war. Mehr gespannt als ängstlich war ich in diese zweimotorige Maschine eingestiegen - mein allererster Flug! Ich war unterwegs in Asien! Fern von allem, was ich bisher gekannt hatte! Nirgends Straßen von und nach Isfahan, höchstens Karawanenpfade. Außerhalb der Stadt lauerte die Wüste – unwegsam und tödlich, zumindest für mich unerfahrene Europäerin.
Aber ebenso war ich ausgeliefert einer Männergesellschaft! Wie sollte ich hier in die von den Männern verlangte Rolle der Frau schlüpfen? Nirgends allein hingehen. Nie ohne Begleitung das Haus verlassen! Keinen Pfennig Geld zu besitzen! Warum spürte ich nicht die Bedrohung, die von dieser Situation ausging? Woher nahm ich dieses unverständliche Vertrauen in eine Zukunft, in der ich als Frau irgendwo unter den unwichtigsten Dingen des Lebens rangierte, aber niemals gleichberechtigt oder gar gleichwertig neben meinem Mann? Entsprach diese Situation meiner eigenen Selbsteinschätzung?
Und ausgeliefert war ich einer Sprache, die ich weder verstand noch lesen konnte. Ich war nur neugierig, von einer geradezu unschuldigen Neugier. Und gleichzeitig nicht neugierig genug, konnte ich mich diesem Zustand doch nicht offen überlassen. Ich war zu sehr mit uns und unserer Ehe beschäftigt, als dass ich mir all des Neuen, der so anderen Kultur wirklich bewusst geworden wäre.
Wochen später erst habe ich die Vorschrift, niemals ohne Mann, Freundin oder Hund auf die Straße zu gehen, außer Acht gelassen. Ich streifte allein durch den überdachten Bazar und schritt vorsichtig über die wundervollsten Teppiche, die im Gewimmel der unzähligen Gassen die schmalen  Fußgängerwege vor den Läden bedeckten’.
Hannah unterbrach ihr Schreiben. ‚Ich mache daraus ja fast eine Geschichte, als ginge es mich persönlich überhaupt nichts an’, staunte sie. Nachdenklich kaute sie auf dem Kugelschreiber herum, ließ noch einmal die Gespräche des heutigen Abends mit Georg an sich vorbeiziehen. Obgleich es schon ziemlich spät war, wollte sie doch diesen Faden zur Vergangenheit, den sie gemeinsam mit ihm aufgerollt hatte, nicht schon wieder loslassen.
Ob Georg schon schlief? Warum interessierte er sich so sehr für ihre Erfahrungen? Es schien keine Neugier zu sein, sondern echtes Wissenwollen.
Sie sah ihn wieder vor sich. Seine Augen, die Farbe konnte sie nicht bestimmen. Manchmal schienen sie grün und dann wieder braun.
‚Welche Farbe sie wohl hatten, wenn er mit einer Frau schlief?’ Hannah stand auf, trat vor den neben der Tür aufgehängten Spiegel, näherte ihr Gesicht dem Glas, strich mit den Fingerspitzen vorsichtig über die hohe Stirn, zog die Augenbrauen nach, zeichnete die Konturen der Nase nach – wie gut, dass sie nicht die große Nase vom Vater oder der Mutter geerbt hatte. „Du siehst aus wie meine Mutter“, hatte der Vater immer behauptet. Sie hatte diese Großmutter nie kennengelernt, sie war vor Hannahs Geburt gestorben. Auf den Bildern sah man eine fast zerbrechliche, schöne Frau, den Blick nach innen gerichtet, weltabgewandt. ‚Das bin ich gewiss nicht und zerbrechlich auch nicht’, dachte Hannah, als sie auf ihrer Körperreise bei ihrem Mund angelangt war. ‚Schamlos sehnsüchtig würde ich ihn bezeichnen’, Sie lächelte und strich ihren Pulli glatt, ‚schlank bin ich, aber schön?’ Selten hatte sie sich in ihrem Körper wohl gefühlt und verführerisch war sie sich auch noch nie vorgekommen.
‚Auf was für Gedanken mich dieser Georg bringt’. Brüsk wandte sie sich vom Spiegel ab, setzte sich an den Tisch und fing wieder an zu schreiben:
‚Isfahan – Mr. Eshragi übersetzte Harald und mir das persische Sprichwort ‚Esfahan – nesf-e-jahan’ ‚Isfahan ist die Hälfte aller Schönheiten der Welt’. Bei meiner Entdeckung der Stadt dachte ich oft an diese Hälfte aller Schönheiten, wenn ich überwältigt auf dem Kaiserplatz stand, geblendet von der märchenhaften Pracht der türkisfarbenen Kacheln an der Kaisermoschee. Oder wenn ich nichts als staunen konnte über den Reichtum der Paläste, Moscheen und verträumten Gärten. Ich schaute von der Jahrhunderte alten Brücke Pole Khaju in den ‚Ewigen Fluss’, wo sich der zweigeschossige Arkadenbau im Wasser spiegelte.
Isfahan – eine schimmernde, traumähnliche Welt. Ich stand lange auf dem großen Immam-Square. Von den zierlichen Minaretten der beiden Moscheen entlang der breiten Straße klang der Gesang des Muezzin, und ich fühlte mich hineingezogen in das rätselhafte Leben des Morgenlandes. War fasziniert von Wasserbecken, großzügigen Rasenflächen und dem Gefühl von Weite. Nachts wischte das Licht der Scheinwerfer, das die Prachtbauten anstrahlte, über den Himmel. Und ich merkte, dass er nicht überall gleich war, dieser Himmel. Ich dachte an meine Kindheit, wenn Vater uns die Sterne erklärte, die so nah schienen und vielleicht längst erloschen waren, wenn ihr Licht, das wir bewundernd betrachteten, uns erreichte.  Hier empfand ich den Himmel als leuchtendes Wunder und... fremd.
Und dann wieder die Augenblicke, wenn früh am Morgen, im rötlichen Schein der aufgehenden Sonne Kamelkarawanen als unwirkliche Silhouette gegen den beginnenden Tag mit weichem Hufschlag am Hotel vorbeizogen’.
Abermals unterbrach sich Hannah. ‚Über das Entsetzen muss ich schreiben, mein Entsetzen und diese grauenvolle Hilflosigkeit der Armut gegenüber in diesem reichen Land. Wie bei den alten Frauen vor Teheran...’.
Sie sah wieder die Bilder, die sich eingebrannt hatten. 40 Grad im Schatten der Wüstenstadt. Frauen, die im schlammigen Wasser des breiten Straßengrabens ihre Kleider wuschen, daneben verendete gurgelnd ein Hund und ein paar Meter weiter tauchte ein Kind sein erhitztes Gesicht ins schmutzige Nass. In der Stadt war die Ruhr ausgebrochen, jeden Tag rollten Militärkrankenwagen durch die Straßen. Mit Lautsprechern wurden die Menschen aufgefordert, sich gegen die Epidemie impfen zu lassen.
Es gab noch andere Arten des lautlosen Sterbens. Der tote alte Mann unter dem Maulbeerbaum. Verhungert. Nur ein paar lächerliche Meter vom Hotel entfernt, wo es für die vielen ausländischen Gäste fast jede ausgefallene Spezialität gab.
‚Ich muss das alles aufschreiben, auch wenn ich noch nicht weiß, für wen.
Weiß ich es wirklich nicht? Ist es nicht für Georg, einem eher unwirklichen Georg, den ich mir zwar als imaginären Gesprächspartner ausgesucht habe, dem ich den Text aber vielleicht nie geben werde?’
Er hatte sie mit seinen vorsichtigen Fragen überhaupt erst auf den Gedanken gebracht, über alles, was die letzten Monate für sie bedeuteten, zu sprechen oder zu schreiben. Es war leichter, wenn sie sich vorstellen konnte, dass sie an jemand Bestimmten schrieb und noch leichter, wenn dieser Jemand nichts mit ihr zu tun hatte. Sie konnte ehrlich sein, sich selbst und diesem ‚Niemand’ gegenüber.
‚Ich könnte doch auch an meine Mutter schreiben!’
Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte sie diesen Gedanken sofort wieder weg. Sie beschwor das Bild der Mutter: eine energische, alles anpackende schmale Frau, nur wenig kleiner als sie selbst. Nie gab es eine Umarmung, nie Zärtlichkeiten, und doch immer das starke Gefühl, Mutter war für sie da. Solange es Mutter gab, konnte nichts wirklich Schlimmes geschehen. Und manchmal, doch meist nur kurz, sah sie hinter der Mutter die andere Frau, die sie auch war, voller Sehnsucht und Träume. Dann stand Mutter am Fenster und sang Arien aus Madame Butterfly.  „Eines Tages sehen wir“, nur war für sie dieser Tag nie gekommen. Sängerin hatte sie werden wollen. Warum machte sie es sich so unendlich schwer, ihre Gefühle zu zeigen? Warum diese Distanz zu ihren Töchtern?  Nein, an die Mutter konnte sie nicht schreiben, lieber an jemanden, der vor Wochen in ihrem Leben noch nicht existiert hatte? Entschlossen beugte sie sich wieder über die Blätter:
‚Wir wohnten hinter dem Hotel, umgeben von hohen Mauern in einem lang gestreckten, einstöckigen Haus mit vielen einzelnen Zimmern, die alle auf eine Terrasse hinausgingen. Mr. Eshragi hatte Harald und mir drei dieser nebeneinander liegenden Räume gegeben, spartanisch eingerichtet und doch luxuriös durch die edlen Teppiche.
Wir hatten einen alten Diener, Kemal sprach ein paar Worte Englisch und war monatelang einer der wenigen Menschen, mit denen ich sprechen konnte, wenn Harald... ja, wenn Harald wieder einmal seine häufigen Schweigezeiten hatte. Sie setzten völlig unvermutet ein, es ging ihnen kein Streit voraus, keine Diskussion, nichts, er sprach nur einfach tage-, wochenlang kein Wort mit mir. Und ich spürte, dass ich ihm nicht mehr wichtig war.
Wie einfach sich solche Worte hinschreiben ließen, ihre Aussage aber zu erleben, das war nicht einfach gewesen. Morgens, wenn ich aufwachte, wagte ich kaum, die Augen zu öffnen. Ich wollte es nicht wissen, aber natürlich blinzelte ich doch vorsichtig zu Harald hin. Sein Gesichtsausdruck verriet schon, heute würde er nicht sprechen und morgen nicht und eine Woche lang nicht und manchmal auch viel länger... da war eine Mauer, an der meine Fragen, Bitten, mein Flehen um Aufmerksamkeit, um simple Antworten abprallten. Diese endlosen stummen Tage. Manchmal schaute mich Kemal so mitleidig an. Ich glaube, er fühlte mehr, als dass er es wusste, wie einsam ich war.
Und die Frauen? Für sie war ich eine Exotin, außerdem gab es ja keine Verständigungsmöglichkeiten. An manchen Abenden gesellte ich mich zu ihnen, wenn sie sich in einem separaten Teil des Gartens versammelten. Fremd saß ich unter ihnen. Nur zu den unzähligen Kindern, die um uns herum tobten, spürte ich Nähe. Sie begegneten mir noch unbefangen. Die Mütter und Großmütter starrten mich an, rauchten ihre Wasserpfeifen, diskutierten, riefen nach den Kindern, und stopften unentwegt Süßigkeiten in sich hinein. Die alten Frauen hüllten sich, noch schwarz gekleidet, in ihre Schleier, während die jungen, fast triumphierend das Moderne ihrer Gesellschaft verkörperten. Auch der jetzige Schah, Mohammed Reza Pahlewi, verlangte wie sein Vater per Gesetz das Verbot der Schleier. Eine junge Betriebswirtin erzählte mir einmal in einem erstklassigen Englisch, dass den verschleierten Frauen auf den Straßen Teherans die Burka abgenommen und auf rasch errichteten Scheiterhaufen verbrannt wurde. Sie selbst trug Minirock und war geschminkt. Sie lebte leider in Teheran, ich habe sie nach diesem Abend nie mehr gesehen.
Niemand war da, der das Schweigen aufgelöst hätte. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an die zögerlichen Erzählungen der Schwiegermutter. Harald, als ihr Ältester, war verantwortlich für die Familie, er war Beschützer, Vater der beiden Brüder und Sohn in einem. Für ihn war die Mutter der wichtigste Mensch in seinem Leben, danach kam erst einmal nichts und niemand, ich wohl an allerletzter Stelle. Und ich brauchte lange, bis ich das  begriff’.
Wieder unterbrach Hannah das Schreiben. Sie wollte nicht aufschreiben, dass sie sich selbst am allerwenigsten begreifen konnte. Warum wehrte sie sich nicht, begehrte auf, verlangte ihre Rechte? Sie stützte den Kopf in die Hand und starrte auf den runden Lichtfleck, den die Lampe auf ihren Tisch warf. Welche Rechte denn? Bei wem sollte sie sie einklagen? Wem hätte sie davon sprechen können? Und - gestand sie sich denn überhaupt irgendwelche Rechte zu? Woher kam nur diese fatalistische Einstellung, diese Fügsamkeit, die so gar nicht zu ihrer sonstigen Art zu passen schien? Warum war Selbstwert ein Gefühl, das ihr fremd war?
Sie stand auf und trat ans Fenster. Draußen hatte mittlerweile ein kleiner Schneesturm eingesetzt, Straßen und Bürgersteige waren weiß verschneit. Hannah fror, sie kramte nach einem dicken Pulli und legte nochmals Holz auf die Glut.
‚Georg wollte Persönliches von mir wissen? Ob er damit umgehen kann, wenn ich ihm von meiner Einsamkeit spreche? Und dem Heimweh?’ Es war ein so qualvolles Gefühl von Entwurzelung, vom hilflosen Verlassensein in einem luftleeren, dunklen Raum ohne den geringsten Laut, ohne eine menschliche Verbindung, während um sie herum das Leben lärmte.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag12.08.2013 09:02

von madrilena
Antworten mit Zitat

Hier ein Kommentar aus der Schweiz zu meinem Buch "leben" - ISBN Nr. 978-3-934136-65-6 erschienen im Alkyon Irmgard Keil Verlag
Gruß madrilena


Kommentar zum Roman "leben" beim Bookcrossing Ring/Ray:
"Nun bin ich fast durch mit dem Buch. Es ist ergreifend geschrieben. Ein bisschen erinnert mich manches an meine Mutter - sie gebar 11 Kinder. Aber das Leben der beiden Frauen ist doch sehr unterschiedlich verlaufen. Diese Unruhe in Hilde Möller, immer irgendwo anders sein zu wollen und alles perfekt machen zu müssen ohne Hilfe - und dann der Kampf um die Gleicberechtigung und das Wachsen ihres Selbstwertgefühls - alles wunderbar wiedergegeben."


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag13.08.2013 13:56

von madrilena
Antworten mit Zitat

Ein neuer Kommentar von gestern in Amazon  zu meinem Buch "leben"

leben - kein Ratgeber, aber dennoch ratgebend 8. August 2013
Von Gamone
Die Tragödie gleich auf den ersten Seiten hat mich ins Buch hineingezogen und nicht mehr losgelassen.
Die Aufs und Abs in ihrem gefüllten Leben sind sehr lebendig beschrieben. Nachvollziehbar, auch wenn ich mir oft gedacht habe: "Warum macht sie das?" Ein so offenes Buch zu schreiben, in dem man selbst oft nicht gut wegkommt, erfordert viel Mut und erhält meinen Respekt!


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag22.08.2013 18:03

von madrilena
Antworten mit Zitat

Dagmar hat in Amazon über mein Buch "leben", erschienen im Alkyon Verlag ISBN 978-3-934136-65-6  geschrieben:


wenn ich ein Buch in die Hand nehme
mache ich mir so meine Gedanken. Über den Titel
was erwartet mich? Und dann
fange ICH an zu lesen...

schonungslos offen und ehrlich,
erscheint mir das Buch

es wird noch nicht einmal der Versuch gemacht,
gelebte schwierige Situationen zum Vorteil zu verschönern

sachlich werden Zweifel, Enttäuschungen und lebensbedrohende Situationen erzählt

die einzelnen Geschehnisse
erlebe ICH hautnah
die Freude, Ohnmacht und Verzweiflung
ICH spüre die Tränen - In MIR ist das Gefühl alles selbst zu durch- bzw erleben.

wirklich spannend und lebensnah
Seite für Seite
ICH war in einer Stille, als ich das Buch zu Ende gelesen habe

Sehnsucht, Liebe,
Wehmut, Ängste, lebensbedrohende Situationen
dies alles in einem kleinen Buch gebündelt
das ist die Kunst zu

l e b e n


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag27.08.2013 16:50

von madrilena
Antworten mit Zitat

"leben" - Hilde Möller liest im Stadtteiltreff Gonsenheim
Lesung und Frauenfrühstück

Die bekannte Autorin Hilde Möller wird am 19.9.2013 im Rahmen des

Internationalen Frauenfrühstücks im Stadtteiltreff aus ihrem Buch „leben" vorlesen. Frau Möller war bereits zweimal im Stadtteiltreff zu Gast.
 „leben" ist ein autobiografischer Roman, in dem Frau Möller ihr Leben mit allen Höhen und Tiefen schildert: „Zwei Ehen, drei Männer, vier Länder, viele Kinder, Glück und Selbstzweifel, Aufbrüche,

Zusammenbrüche, Schicksalsschläge, leben".

Wir laden alle Frauen ganz herzlich ein! Die Veranstaltung beginnt um
9.30 Uhr, nach der Lesung wollen wir gemeinsam frühstücken. Bitte eine Kleinigkeit für das gemeinsame Buffet mitbringen! (Eva Krenz)


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag08.09.2013 10:09

von madrilena
Antworten mit Zitat

Wie oft musste ich hören, "wie kann man nur so viel von sich preisgeben". Dieser Satz bezog sich auf die Autobiographie "leben", erschienen im Alkyon Verlag Marbach. Ich möchte dann immer fragen, wie eine Autobiographie eigentlich ausschauen soll, was sie vermitteln möchte? Ist nicht Ehrlichkeit das oberste Gesetz? Schönmalerei - das ist für mich Feigheit. Ich wollte zu meinen Verfehlungen, zu meinen Verzweiflungen, zu vielen auswegslos erscheinenden Situation nach Tod und Mord, mit einem Wort: einfach zu meinem Leben und zu mir und meinen Erfahrungen stehen. Sie haben mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin und... einen Weg gefunden zu haben, gibt vielleicht den Menschen, vor allem den Frauen, die aufgeben wollen, Mut. Nein, es sollte kein Ratgeber sein, nur die Erfahrung vermitteln: Jetzt erst Recht!


"leben",
Varitante "VaTa" -
Rezension bezieht sich auf: leben: autobiografischer Roman (Taschenbuch)
"leben"
Welch eine Fülle tut sich Dir immer wieder im Erinnern auf!
Gelebt und unvergessen.
Geliebt, geweint und immer wieder gehofft!
Geschaut, gelesen und geschrieben.
Menschen begegnet, flüchtig oder im Gespräch, auch still im Gegenüber.
Geschaut und wieder geschrieben.
Vorgelesen, mitgeteilt.
Dargeboten Klänge aus Heute und Gestern.
Welch eine Fülle!
Erleben, erkennen, einander zuordnen,

"leben"


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag09.09.2013 11:03

von madrilena
Antworten mit Zitat

Helga Weisse schreibt in der Zeitung "Rostfrei" in Form eines Briefes an mich über das Buch "leben", erschienen im Alkyon Verlag:

Ist es Hannahs Schicksal?  „Sprechen wir über Hannah oder über Dich?“
Das hatte ich Dich gefragt in einem unserer Gespräche.
„Lass’ uns von mir sprechen“ hast Du gesagt. „Du weißt ja, es ist mein Leben, es ist eine nahtlos authentische Biografie– natürlich mit der Freiheit niedergeschrieben, Gespräche und Begegnungen sinngemäß wiederzugeben.“
Dass Du die Form des biografischen Romans gewählt hast, war wohl Selbstschutz, war eine Art Krücke, damit Du wieder laufen lernst?  So haben wir es jedenfalls verstanden. Wir wissen, wie schwer es Dir fiel, nach allem was Du erlebt hast Mut zu fassen, dieses Buch  leben  zu schreiben  und tatsächlich wieder zu  leben.

Eine Grenzgängerin ist  Hannah.. Die geografischen Grenzen, die meisten jedenfalls, überschreitet sie mit Georg, ihrem „Lebensmenschen“, der sie liebt,  den sie  liebt, der sie  verletzt, den sie verletzt, mit dem sie das Auf und Ab ihres Lebens teilt und  sieben Kinder großzieht.  Mit ihren inneren Grenzüberschreitungen muss sie alleine fertig werden.  Auch mit  unbarmherzigen Schicksalsschlägen
Atemlos verfolgt die Leserin/der Leser den Lebensweg von Hannah, die nicht aufgibt, die am Ende sagen muss, sagen kann : leben .
Dieser autobiografische Roman ist Hilde Möllers intensivstes Buch.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
Schatten umarmen auch über Libri.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 2 von 3 Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3  Weiter

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Publikationen
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Das Leben im Forum
von Cholyrika
Cholyrika Werkstatt 1 15.04.2024 10:59 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Werkstatt
leben auf einem baum
von Perry
Perry Werkstatt 2 02.03.2024 13:05 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Verlagsveröffentlichung
100 Impulse für ein naturverbundener...
von Wildpflanzenliebe
Wildpflanzenliebe Verlagsveröffentlichung 13 26.02.2024 22:24 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Feedback
Der Geier oder mein Leben mit Kafka
von Cholyrika
Cholyrika Feedback 12 08.02.2024 17:26 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Feedback
Leben ist nur ein Versprechen
von Patrick Schuler
Patrick Schuler Feedback 2 12.12.2023 11:24 Letzten Beitrag anzeigen

BuchEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlung

von fancy

von i-Punkt

von Jocelyn

von Leveret Pale

von V.K.B.

von Akiragirl

von madrilena

von Amarenakirsche

von Magpie

von Fao

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!