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Ein betrüblicher Anblick


 
 
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ricochet
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 68
Beiträge: 398
Wohnort: Graz


Beitrag16.10.2012 11:49
Ein betrüblicher Anblick
von ricochet
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Es war ein betrüblicher Anblick. Keine Bäume mehr, alles gefällt. Ich stand auf dem Berghang und sah in das Tal hinunter. Nicht in irgendein Tal, das Tal meiner Kindheit, als Weihnachten noch heilig war. Hier hatte ich meinen ersten Frosch gefangen. Das Tal meiner Jugendzeit. Hier hatte ich mich später immer an derselben Buche mit Siegrid, meiner Jugendliebe schlechthin, getroffen. Was aus ihr geworden sein mochte? Keine der Studentinnen an der Wiener Uni konnten ihr das Wasser reichen. Als Zeichen meiner Wertschätzung hatte ich ihr damals eine Rune in den Stamm geritzt.
Nun aber waren sämtliche Bäume beiderseits des Flusses gefällt. Selbst die Büsche am Flussufer schienen arg in Mitleidenschaft geraten. Zerrupft, geknickt und ausgedünnt boten sie ein jämmerliches Bild, das ich völlig anders in Erinnerung hatte. Eine freudlose Gegend, in die erst im Laufe der Jahre wieder das gewohnte Leben kommen musste.
„Ja, der Sturm letztes Frühjahr ...“; sagte der Förster neben mir. „Wir sind immer noch nicht fertig mit den Aufräumarbeiten; wird wohl noch eine Weile dauern. Aber Ihr Vater darf sich nicht beschweren. Er hat damals sein Holz so billig gekriegt wie noch nie.“
Niedergeschlagen begab ich mich in das Sägewerk meines Vaters zurück. Er hatte gemeint, er beabsichtige mir das Unternehmen in einigen Jahren zu übergeben und ich solle mich in der Zwischenzeit einarbeiten. Wozu sonst hätte er mich wohl in der Fremde Betriebswirtschaftslehre studieren lassen?
Indes, die Sekretärin meines Vaters informierte mich, dass unser Chef noch mit einem dringenden Telefonat beschäftigt sei und sich daher momentan mir nicht widmen kann. Ich möge mich im Schauraum umsehen, bis mein Vater frei sei.
Der Schauraum unweit des Betriebseinganges beherbergte für Besucher des Werkes ein paar besonders ausgefallene Bäume, Wurzeln und sonstige Exponate. Auch die üblichen vergilbten Fotos zur Firmengeschichte hingen in Augenhöhe an der Wand. Großvater mit Holzaxt! Das waren noch Zeiten, als der Chef selbst mit Hand anlegte.
Plötzlich sah ich sie – die Buche meiner Jugendzeit! Zumindest ihre untersten eineinhalb Meter, als Beispiel für typischen Baumbewuchs in unserer Gegend und qualitativ hochwertiges Brennholz. Unverkennbar war Laf, die Liebesrune aus der Futhark-Reihe, ein langer, senkrechter Strich, von dessen oberen Ende ein kurzer Strich nach rechts unten führte.
Als ich schon nähertreten wollte, bemerkte ich eine Frau meines Alters, die sich von der Seite näherte. Sie kam mir seltsam bekannt vor. An ihrer linken Hand zog sie ein kleines Mädchen, die rechte hatte sie bei einem vierschrötigen Mann eingehakt.
„Ha, das ist aber witzig“, sagte sie lachend und deutete auf das Stück Buche. „An diesem Baum habe ich mich vor über zehn Jahren regelmäßig mit meinem Jugendfreund getroffen.“
Ich drehte mich unauffällig im rechten Winkel weg, hielt mich aber weiterhin in der Nähe auf, um alles verstehen zu können. Den Kragen meines Sakkos stellte ich vorsichtshalber auf.
Der Vierschrötige fragte unverblümt: „Du hast mir noch nie davon erzählt. Wie war es mit ihm?“
„Was gibt es schon über einen total verliebten jungen Gockel zu erzählen? Als halbwüchsiges Mädchen hat mir das natürlich sehr geschmeichelt. Die Kathi habe ich immer damit geärgert, die hatte nämlich keinen Freund. Irgendwie wollte ich ihm seine Illusionen nicht nehmen. Zuletzt war ich froh, als er nach Wien studieren ging.“
In diesem Augenblick trat der Werkstättenleiter an mich heran. Mein Vater lasse mir ausrichten, ich möge mich von ihm ein wenig durch das Werk führen lassen. Liebend gerne tat ich das.
An einer der wenigen Schneidemaschinen, die noch von Hand zu betätigen waren, ließ ich mir die Bedienung erklären. Dann sagte ich: „Und nun will ich ausprobieren, ob ich damit umgehen kann. Bleiben Sie bitte hier, ich komme gleich.“
Bald war ich zusammen mit einem anderen Arbeiter wieder zurück, denn alleine wäre mir das Holz zu schwer gewesen. Ich legte den Buchenstamm in die Zuführung, schaltete die Maschine ein und stellte den Abstand auf 25 Zentimeter ein. Das durchdringende, grimmige Geräusch, mit dem sich das Gerät an die Arbeit machte, passte bestens. Es zersägte in einem Tempo, das mich erstaunen ließ, meine Buche in sechs gleich lange Teile, schnitt die Liebesrune in zwei Hälften. Und das war's.
In meiner Fantasie allerdings stand ich am Fluss meiner Jugendzeit. Ich sah das Holz, die Rune nach oben, gemächlich flussabwärts treiben, in abendliches Dunkel hinein, bis es die Finsternis der Vergangenheit verschluckt hatte ...
Plötzlich stellte ich Hunger fest. Ich ließ mir also vom Werkleiter die Kantine zeigen. Dort saß ich vor Wiener Schnitzel mit meinen geliebten Petersilkartoffeln, frischem Vogerlsalat und reichlich Kürbiskernöl. Und das war weiß Gott kein betrüblicher Anblick.



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firstoffertio
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Beitrag16.10.2012 22:21

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Ich finde die Idee gut. Über den Stil können andere sicher besser urteilen als ich.

Ich wollte aber anmerken, dass es mich irritiert, dass die Jugend erst etwas mehr als zehn Jahre her ist. Wenn jemand von seiner Jugend spricht, denke ich mir ihn/sie um einiges älter.
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hobbes
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Beitrag17.10.2012 01:12

von hobbes
Antworten mit Zitat

Nö, mir gefällt das nicht.

Desillusion einer Jugendliebe. Nebenbei noch ein bisschen Vater-Sohn plus "mein Leben".
Bisschen viel für den kurzen Text.
Noch dazu ist die Vater-Sohn-Betriebsübernahme-Geschichte ziemlich verwirrend geschildert.
Der Sohn kehrt zum Sägewerk zurück, dass er später einmal übernehmen soll. Aber nein, zuerst schaut er sich den Wald an. Mit dem Förster. Was ja irgendwie darauf hinweist, dass er das im Auftrag des Vaters bzw. Sägewerks tut. Obwohl er doch noch gar nicht dort war. Aber vielleicht war er es ja auch. Oder er hat telefoniert. Wie auch immer. Dann landet er doch im Sägewerk, aber der Vater hat keine Zeit. Der Sohn soll das Werk besichtigen. Warum eigentlich? Müsste er das nicht kennen? Aber nun, er war lange weg, könnte ja sein. Dann will er auch noch Holz zersägen. Womit die anderen überhaupt kein Problem haben. Nun ja, er ist ja der Sohn. Ließe sich auch noch erklären. Aber was ist mit Schutzkleidung, Sicherheitsvorschriften?
Na ja.
Kommt mir irgendwie so vor, als hättest Du zuerst die Idee mit den Baumstamm-Runen und der Desillusion gehabt und dann verzweifelt eine Geschichte drum herum gebaut.

Es gibt noch andere Stellen, die zur Verwirrung beitragen.
Hier zum Beispiel:
Zitat:
Auch die üblichen vergilbten Fotos zur Firmengeschichte hingen in Augenhöhe an der Wand. Großvater mit Holzaxt! Das waren noch Zeiten, als der Chef selbst mit Hand anlegte.
Plötzlich sah ich sie – die Buche meiner Jugendzeit!

Er ist im Schauraum und sieht Fotos an. Das legt nahe, dass er "seine" Buche auch auf einem Foto entdeckt. Oder von mir aus auch in einem Schaukasten.
So ist es aber wohl nicht, wie sonst könnte er sie später zersägen?
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ricochet
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Beiträge: 398
Wohnort: Graz


Beitrag17.10.2012 07:29

von ricochet
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo hobbes,

den Förster hat er auf dem Weg zufällig getroffen. Darf er ja, im Wald nicht? Gibt ja dort nicht nur böse Wölfe und dergleichen  Very Happy  Very Happy

"Seine" Buche ist als Exponat ausgestellt, hat mit den Fotos nichts zu tun.

Du hast natürlich recht, das muss ich besser herausarbeiten. Deine anderen Vorbehalte kann ich nicht teilen. Ich habe selbst einmal in einer Firma gearbeitet, in der der Sohn nach seinem BWL-Studium die Geschäftsleitung übernommen hat. Der ist die ersten Monate von einer Abteilung zur anderen geschickt worden um soz. von der Pieke auf das Unternehmen kennenzulernen.
Diese Grundidee habe ich in dieser KG übernommen. Der Sohn kehrt nach x Jahren vom Studium (von der Theorie) zurück und muss in die Praxis erst eingeführt werden. Da der Herr Papa keine Zeit hat, beschäftigt er ihn mit einer einführenden Betriebsbesichtigung.
Und dass die anderen mit dem Zersägen von Holz kein Problem haben, ist schon klar. Aber er, Sohnemann, hat eines, weil er kein Mann der Praxis ist, es aber werden soll.
Selbstverständlich setzt er sich den Schutzhelm  auf, das werde ich auch noch einfügen.

LG


rico


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Rheinsberg
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Beitrag17.10.2012 07:58

von Rheinsberg
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Gern gelesen - und kann Hobbes Kritk tatsächlich nicht teilen.

Worüber ich nachdenke ist die Gewichtung: der Anfang ist sehr gemächlich, lässt eigentlich auf einen größeren Umfang der Geschichte schließen.
Der Teil, in dem der junge Mann seine Jugendliebe belauscht und auch die Opferung des Buchenstammes kommen dagegen eher etwas zu kurz weg, finde ich.


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ricochet
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 68
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Wohnort: Graz


Beitrag20.10.2012 19:59

von ricochet
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Hallo Rheinsberg,


an deinem Einwand ist etwas dran. Selten, dass ich mit so einem "Bug" konfrontiert bin. Weiss jetzt auch gar nicht genau, wie ich das hinbügeln soll, aber ich mache mich in ein paar Monaten an die Überarbeitung des Textes, dann fällt mir hoffentlich was ein.
Einfach jetzt mit unbedeutendem Text aufzufüllen, halte ich ncht für das Gelbe vom Ei. Den Anfang straffen? Tut weh.

LG


rico


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gold
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Beitrag21.10.2012 12:26

von gold
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hallo Ricochet,

ich denke, du müsstest noch explizit erwähnen, dass du das Buchenexponat aus dem Schauraum nimmst, etc und während du es zersägst,siehst du es auf dem Fluss treiben (ein schönes Bild!)

Dein Text nebst Anfang gefällt mir auch. Die Öde, etc. ist gut nachzuvollziehen.

Lg Gold


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