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Schmuddelkind Schneckenpost
S Alter: 38 Beiträge: 14 Wohnort: Berlin
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jim-knopf Dichter und Trinker
Alter: 35 Beiträge: 3974 Wohnort: München
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25.08.2012 15:48
von jim-knopf
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guten tag schmuddelkind
was ich auf den ersten blick sehen kann ist, dass die strophen metrisch gesehen zueinander einheitlich aufgebaut sind, was dem rythmus einen passenden klang gibt. metrisch ist daran also gar nichts auszusetzen, rythmisch interessant finde ich auch den letzten vers jeder zeile, der sich von den anderen zeilen abhebt, indem er (durch einen scheinbaren bruch) mit einer hebung beginnt. das finde ich schön gemacht.
was mir dann nicht so gut gefällt, sind die teilweise doch sehr phrasenhaften und altbackenen formulierungen, die du benutzt. das problem an dieser "romantisch" angehauchten poesie ist gar nicht so sehr die thematik, die man auch in dem von dir angeschlagenen ton sehr gut rüber bringen. das problem daran ist, dass sich die scheinbar aus der romantik geliehene sprache und formulierkunst bei näherer betrachtung also pseudo-romantik herausstellt. ein gedicht wird nicht gekonnt romantisch, wenn man die vermeintlich "romantischsten" aspekte dieser epoche zusammenklaubt und miteinander vermischt. was dabei rauskommt, wenn man es doch tut, wirkt dann oft wie eine überzeichnete parodie auf das ganze, obwohl das vom autor keineswegs so beabsichtigt ist. so geht es mir auch mit deinem text. er arbeitet sehr stark mit klischees und die konsequenz daraus ist, dass das gedicht nicht mehr wirklich dir gehört. es wirkt mehr wie ein sammelsurium aus textstellen, die man in der art schon oft zu lesen bekommen hat. und verliert dadurch seinen reiz. ich würde versuchen, in zukunft mehr mit deinen eigenen worten zu sagen. mit deinen unverwechselbaren, eigenen worten. viele deiner formulierungen im gedicht sind austauschbar, beliebig. ohne individualität. dass du metrisch einwandfrei arbeiten kannst, hast du ja schon bewiesen. ich würde mich freuen, etwas zu lesen, was wirklich in deinen worten geschrieben ist.
ich hoffe, du kannst mit meinen überlegungen etwas anfangen.
einen schönen tag wünsche ich
roman
_________________ Ich habe heute leider keine Signatur für dich. |
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Angst Scheinheiliger
A Alter: 33 Beiträge: 1571
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A 25.08.2012 16:01 Re: Briefe eines Wanderers von Angst
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Hi Schmuddelkind
Romantik, huh? Ist nicht so meine Sache. Ich hab mich trotzdem mal eingelesen und ein paar Hinweise und Fragen formuliert.
Schmuddelkind hat Folgendes geschrieben: | Die Morgenröte streift das Tal so sacht,
nimmt Abschied ganz auf ihre Weise
von einer zauberhaften Frühlingsnacht
und wünscht mir Glück für meine Reise.
Der Anblick ist so wonniglich
und ich denke viel an dich. |
Ich weiss, "Weise" reimt sich auf "Reise". Aber ich würde das anders zu lösen versuchen. "ganz auf ihre Weise" ist eine arg leere Formulierung. Ja, was ist denn diese Weise? Ich finde, das bräuchte eine genauere Erklärung. „Leise“ böte sich als Reim-Wort an. Eine leise Verabschiedung, das passte doch.
Mit dem Adjektiv "wonniglich" habe ich so meine Probleme. Das ist mir entschieden zu süsslich.
Schmuddelkind hat Folgendes geschrieben: | Der Mond küsst fast des Berges silbern Haupt.
Den wollte ich zum Bett erwählen.
Hat etwa Luna mich des Schlafs beraubt,
ach, oder war es doch dein Fehlen?
Die Nacht ist klar; die Luft ist frisch
und ich denke viel an dich. |
Ich würde "fast" im ersten und "etwa" im dritten Vers streichen. Liest sich flüssiger. Sagt die Nicht-Metrik-Expertin.
Jetzt möchte ich auf etwas Grundsätzliches zu sprechen zu kommen. Wenn ich das richtig sehe, sollte es sich hier um ein Sehnsuchts-Gedicht handeln. Also, das Lyrische Ich denkt ständig ans Lyrische Du. Es würde gerne bei ihm sein. (Das legt zumindest die letzte Strophe nahe, vielleicht täusche ich mich.) Aber leider fehlt dem Gedicht die Leidenschaft, um das rüberzubringen. Die Adjektive sind allesamt angenehm und gemütlich: "sacht", "zauberhaft", "verführerisch", "frisch", etc. Das hat den Effekt, dass das Gedicht ohne Höhen und Tiefen ist. Es plätschert vor sich hin, alles ist ruhig und friedlich. Nur am Schluss kommt eine melancholische Note ins Spiel, die dann aber zu schwach ist. Verstehst du, was ich meine? In dieser Form ist der Text nur eine Aufreihung von netten Landschaftsbildern, die fast keinen emotionalen Gehalt in sich tragen. Nichts für Ungut, und wie gesagt: Ich bin unromantisch, hihi.
_________________ »Das Paradox ist die Leidenschaft des Gedankens.«
— Søren Kierkegaard, Philosophische Brosamen,
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 48. |
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Trepmelk Gänsefüßchen
T Alter: 37 Beiträge: 18 Wohnort: Trier
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T 25.08.2012 16:17
von Trepmelk
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Hallo Schmuddelkind,
ich finde dein Gedicht hübsch gemacht. Nicht besonders aufregend zwar, und der romantische Duktus ist auch nicht ganz mein Fall, aber das sind Geschmacksfragen und mit deinem scheinst du mir hier in der Minderheit zu sein. Deshalb mag ich's.
Viele Grüße
Trepmelk
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Schmuddelkind Schneckenpost
S Alter: 38 Beiträge: 14 Wohnort: Berlin
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S 25.08.2012 21:18
von Schmuddelkind
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Vielen Dank für die ausführlichen Betrachtungen, ihr Lieben!
Was mir hier (im Unterschied zu anderen Foren) positiv auffällt, ist die Tiefe, Ausgewogenheit und Textbezogenheit der Kommentare. Da fühle ich mich als Neuling direkt wohl.
@jim-knopf: Freut mich sehr, dass dir der rhythmische "Kniff" mit dem Bruch im jeweils letzten Vers gefällt.
Was die Sprache angeht: ich verstehe deine Kritik und es ist auch nicht so, dass ich sie entkräften oder zurückweisen möchte, denn ich denke ohnehin seit einiger Zeit darüber nach, mich stilistisch weiterzuentwickeln. Aber, auch wenn ich hin und wieder als Romantiker bezeichnet werde (wogegen ich nichts habe), so schreibe ich doch eher intuitiv, versuche mich also nicht bewusst, an einer vorhandenen Form zu orientieren.
Klar, weist dieses Gedicht Bezüge zur Romantik auf und da hast du recht: wenn ein (Schmuddel-) Kind der heutigen Zeit, sich an der Romantik versucht, entsteht dadurch nichts Romantisches. Typisches wird vielleicht zu stark überbetont und es entsteht eine gewisse künstliche Romenatik. Aber genau das kennzeichnet ja wiederum die Romantik, in der man versucht hat, lyrisch die Alltagssprache des "einfachen" Volks nachzuempfinden und dort ebenfalls gewisse Aspekte überbetont hat. Genau dadurch entsteht ja etwas Neues und ich denke, dass das bei solchen Gedichten der Fall ist. Da ist es m.E. nicht förderlich, Labels wie Romantik oder Pseudo-Romantik zu benutzen, denn diese schließen die Betrachtung in Kategorien ein, die dem Wesen vielleicht nicht gerecht werden. Man muss ein Werk immer an seinem Anspruch messen.
Mein Anspruch ist da sehr bescheiden: ich möchte mich einfach zum Ausdruck bringen und da ist es mir wichtig, dass Form, Inhalt und Sprache zueinander passen und eben das ausdrücken, was ich mitteilen möchte. Insofern ist dies sehr wohl meine Sprache. Allerdings ist meine Sprache nicht monolithisch, sondern richtet sich nach meinen momentanen Empfindungen und der Thematik aus. Daher habe ich mit der "Brücke der Seelenlosen" noch einen kleinen Prosatext gepostet, von dem ich hoffe, dass er sprachlich wohl eher deinen Geschmack trifft.
Jedenfalls danke für diese schöne Kritik, die ich sehr zu schätzen weiß, auch wenn das jetzt vielleicht n bisschen nach Verteidigungsrede roch.
@Scheinheilige: "Ganz auf ihre Weise": Ich sehe das so, dass dieses Bild des Sonnenaufgangs, das ja alltagsnah genug ist, dass es jeder vor dem geistigen Auge sehen kann schon ganz gut erklärt, was ihre Weise ist. Nun könnte man das als Tautologie betrachten. Man könnte aber auch danach suchen, worauf das Bild denn sonst noch verweist, nämlich auf die Abgrenzung zu der zauberhaften Frühlingsnacht (und da der Wanderer diese Briefe offensichtlich an seine Liebste schreibt, muss man ja keine Worte darüber verlieren, was das zu bedeuten hat ). Insofern lese ich dieses "auf ihre Weise" so, dass der Wanderer auf zärtliche Weise das Ereignis zu einem einzigartigen Erlebnis erklärt, das ihn so wehmütig zurückblicken lässt und erklärt damit auch die Ambivalenz der Empfindungen im weiteren Textverlauf.
"Wonniglich" = beseligend; Wonne gewährend
Ist natürlich Geschmackssache.
Zu den beiden Worten, die du streichen würdest: damit würde ich die Metrik brechen, aber ich überlege auch, ob die Worte inhaltlich nicht redundant sind (ist aber schon ne Weile her, als ich das geschrieben habe; also sind meine Assoziationen dazu nicht mehr so frisch). Bei "fast" bin ich fast geneigt, zu sagen, dass es notwendig ist, weil es einen erheblichen Unterschied für das Bild macht. Ob das etwa da stehen muss... hmm... da muss ich nochma drüber nachdenken. Danke, dass du darauf aufmerksam gemacht hast!
@Trepmelk: Vielen Dank für dein Lob, das besonders wertvoll ist, da du dich ja (wie alle hier ) als Nicht-Romantiker "geoutet" hast!
LG
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Erman Eselsohr
Beiträge: 486 Wohnort: Erde
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25.08.2012 22:01
von Erman
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Lieber Schmuddi,
das gefällt mir sehr gut, es ist ein sehr schönes und romantisches Gedicht. Ein durch die Liebe des LI vertieftes Naturerleben.
Die Wiederholung der Strophenendzeile wirkt magisch auf mich.
Romantik pur! Zum Träumen schön!
Gern gelesen.
Lieben Gruß
Erman
_________________ Ein Lächeln zeigt die einzig ungerade Linie,
die viele Dinge gerade biegen kann. - Erman |
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Schmuddelkind Schneckenpost
S Alter: 38 Beiträge: 14 Wohnort: Berlin
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Angst Scheinheiliger
A Alter: 33 Beiträge: 1571
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A 26.08.2012 13:31
von Angst
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Hi Schmuddelkind
Schmuddelkind hat Folgendes geschrieben: | Bei "fast" bin ich fast geneigt, zu sagen, dass es notwendig ist, weil es einen erheblichen Unterschied für das Bild macht. Ob das etwa da stehen muss... hmm... da muss ich nochma drüber nachdenken. Danke, dass du darauf aufmerksam gemacht hast! |
Stimmt, das "fast" ändert natürlich das Bild. Kann man lassen. Das "etwa" halte ich aber nach wie vor für verzichtbar. Eine Gegenüberstellung:
Der Mond küsst fast des Berges silbern Haupt. [10]
Hat etwa Luna mich des Schlafs beraubt [10]
Der Mond küsst fast des Berges silbern Haupt. [10]
Hat Luna mich des Schlafs beraubt [8]
Wie gesagt: Null Plan von Metrik. Aber Variante #2 hört sich in meinen Ohren irgendwie flüssiger an, auch wenn die Silbenzahl nicht aufgeht. Oder weisst du was? "silbern" weg!
Der Mond küsst fast des Berges Haupt. [8]
Hat Luna mich des Schlafs beraubt [8]
"silbern" gibt dem Berg nichts, was man sich nicht auch selbst denken könnte. Es ist nahe dran, redundant zu sein. Meine ich. Sorry, dass ich jetzt so an dieser Stelle rumdoktore. Ich missbrauche sie als kleines Experimentierfeld. Aber vielleicht nützt es dir ja was.
Ich wünsche dir noch einen schönen Sonntag.
_________________ »Das Paradox ist die Leidenschaft des Gedankens.«
— Søren Kierkegaard, Philosophische Brosamen,
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 48. |
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Schmuddelkind Schneckenpost
S Alter: 38 Beiträge: 14 Wohnort: Berlin
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