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Jin Teil 1


 
 
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Buryoku
Erklärbär


Beiträge: 3



Beitrag10.06.2012 18:33
Jin Teil 1
von Buryoku
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Auszug aus meinem derzeitigen Projekt.


1. Ärgernisse

Behutsam streifte die Welt ihr, mit dunkelblauen Spitzen besetztes Nachtkleid ab.
Sehr behutsam.
Der Tag hatte das flammenbereifte Haupt noch nicht aus seinem öligen Grab erhoben und doch zeichneten sich die ersten Konturen seines erwachenden Körpers über den gezackten Wipfeln des Wäldchens ab. Die Lider in festem Schlummer verschlossen, regte er nur vorsichtig seine feinen Glieder und tastete sich mit kindlichen, hellen Fingerspitzen in das Grau, der kalt daliegenden Landschaft hinein. Dort, wo er die Erde berührte, hinterließ er bunte Flecken die beständig, wie vergossene Farbe an Größe zunahmen und das  Zwielicht von der Schattierung des Meeresgrundes immer weiter verdrängten.
Dies war die Stunde der Stille.
Die Stunde der Jäger.

Vor der ersten Helligkeit flüchtend, trieben sie ihre Pferde, in wildem Galopp auf die moosbewachsenen Stämme, zwischen denen der massive Wall der Nacht noch keinen Stein verloren hatte zu und preschten in den dunkle Forst hinein- auf ihren Schultern, die letzte Fetzten der nächtlichen Schwärze tragend, gleich schattengefiederten Raubvögeln. Der nadelübersäte Boden des dämmrigen Hains erzitterte unter dem brutalen Getrampel der eisenbeschlagenen Hufe, als sie sich mit der Erbarmungslosigkeit eines stählernen Schnabels einen Weg, durch das blattlose Gestrüpp bahnten und die jungfräuliche Stille des Morgens zerschlugen, gleich dem zerbrechlichen Antlitz einer wertvollen Büste.
Ihnen, in der losen Formation eines wogenden Federkleides folgend, schwärmte ein pulsierender Korpus  an bewaffnetem Fußvolk hernach. Dieser wogende Moloch entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als eine laute Bande aus rauen, unrasierten Männern, gekleidet in schmutzigen Waffenröcken oder ledernes Rüstzeug und mit verbeultem Eisen behelmt. Bis an die Zähne gewappnet mit sperrigen Lanzen und Hellebarden, Musketen und primitiven Faustfeuerwaffen hasteten sie in einer Wolke aus, zu Luft gemachten Unmut und stinkendem Atem ihren berittenen Herren hinterher, begleitet von einigen stummen Förstern, welche von ihren schnüffelnden Bracken gezogen in das vertraute Unterholz hasteten. Die Uniformen dieser Männer waren teilweise, nicht mehr als abgetragene Fetzen, auf denen das blaugelbe Schachbrettmuster der Technokratischen Union nur mehr wage zu erahnen, war.
Einst der kämpferische Stolz der Kruzianer Monarchie, waren sie nun, nur mehr ein Rudel Köter- die, von der Leine gelassenen Hetzhunde der Union- der blaugelbe Wappenfalke der Partei, welcher sich mit grellem Pfiff vom Arm seines Meisters stieß um ergiebige Beute zu schlagen.

Partei hin, Monarchie her.
Diese Männer kümmerten, die Farben auf ihrer Brust einen feuchten Dreck. Ihre Aufgabe hingegen, schon mehr stellte sie doch ein Ärgernis in vollkommener Ausführung dar- und das wiederum bedeutete für die Mitglieder der Meute entweder, ihre allabendlichen Sauftouren zu früh abbrechen, oder schlimmer, ihre warmen Ärsche aus den verwanzten Lacken einer bezahlten Dirne schwingen zu müssen. Alles in allem brachte es nur Ärger mit sich, zu diesen zeitigen Stunden seine kalten Glieder über Stock und Stein zu treiben, nur um sich  Tag für Tag mit einem armseligen Sold über Wasser halten zu können.
Das einstige Soldatenleben, welches sich, in den Zeiten des Krieges über Heroismus und blinden Tatendrang definiert hatte, war zu einer einzigen Aneinanderreihung von Ärgernissen verkommen. Doch die Infanteristen hatten dazugelernt.
Hatten gelernt aus dem Elend und dem Ärger Motivation zu schöpfen.
Hatten gelernt diesen ganzen Mist zu kanalisieren und in blanke Münzen zu transformieren.
Nur darum- und wirklich nur darum war diese Jagd ein Kinderspiel.

Und eben darum wurde das aufgestöberte Vieh zur schnellen Beute für die einfallende Jagdgesellschaft.
Das bedrohliche Knallen von ledernen Peitschen und das aufgebrachte Wiehern der Pferde trieben die Beute, welche nur von der frühlingsschwachen Flora und der morgendlichen Finsternis geschützt war, aus ihrer primitiven Behausung.
Sie hatte keine Chance. Die Reiter hielten das Wild mit halsbrecherischen Umkreisungen im Zaum bis die Nachhut mit dem gefräßigen Enthusiasmus eines Fangeisens über sie herfiel. Dem seelischen Verdruss durch das Ventil der oralen Flatulenz raumschaffend, machten sich die Jagdsoldaten ans Werk und trotz ihres heruntergekommenen Auftretens, sowie der nicht vorhandenen Manieren zeigten sich die einfachen Landsknechte routiniert und geschickt, bei ihrem frühzeitigen Vorhaben. Innerhalb kürzester Zeit überwältigten sie die überraschte Herde, ohne ihr die winzigste Möglichkeit der Flucht oder schlimmer, der Gegenwehr zu ermöglichen.

Dem Bharten schien es, als würde er aus einem tiefen, traumlosen Schlaf erwachen.
Wo war er?
Krähenmoor, antwortete seine innere Stimme.
Und er verstand.
Bin ich es gewesen oder der Lenker?
»Du, Javed. « sagte er sich mit fester Stimme.
Kein Kopfschmerz. Keine trockene Zunge. Kein Nasenbluten.
Nein, es war nicht der Lenker gewesen.
Es war er.
Der Weg?
Ein rasanter Ritt. Schneidende Kälte. Efeubewachsene Marmorpfeiler die den Hohlweg von der Landstraße trennten. Harter Waldboden, voller hellbrauner Nadeln. Ein aufgescheuchter Tausendfüßler.
Harziger Geruch der Bäume und der kühle Duft verborgenen Schnees tief im lichtlosen Unterlaub. Der süßliche Gestank von faulendem Geäst. Der einsame Ruf eines Uhus. Der Geschmack von wässrigem Chai auf der Zunge.
Er fühlte, hörte, roch und schmeckte die vergangenen Minuten in allen Zügen.
Ja, er war es gewesen. Nun war er sicher.
Irrsinnige Gedanken voller Zwang und Wahn, die nur einem Zweck dienten.
Die Realität und ihre blass gewordenen Grenzen abzustecken.
Ja, er war sich sicher. Es war nicht der Parasit gewesen.
Er musste der Beobachter sein, um dem Lenker zu entfliehen.
Er Javed.
Seine unbefleckte Klinge, welche im schwachen Schein des Mondes glühte, fuhr, wie der abstürzende Schweif eines Kometen in die leicht geschwungene Schwertscheide. Obwohl die Treibjagd kurz und unblutig gewesen war, verspürte er doch diese nagende Unruhe, welche sich vibrierend durch seine Organe schwang.
Er fühlte sich durch und durch unwohl. Unsicher nahm er die Hand von der Waffe und stützte sich auf dem Sattelknauf ab.
Er hasste diese Waffe. Er hasste auch das Pferd. Es war nichts Persönliches, aber er fühlte sich nicht wohl auf dem Rücken dieses großen, schnaubenden Viehs. Er konnte nicht einmal reiten.
Er hasste also das Schwert und das Pferd und diese lächerliche Kleidung in die man ihn gezwängt hatte.
Er fühlte sich unecht. Nicht wie er selbst. Dies war nicht sein Leben. Es war alles auf "ihn" ausgerichtet.
Dafür hasste er "ihn".
Der Seelenfresser ruhte. Ruhte und wachte zugleich.
Schaudernd wurde ihm die schimmernde Präsenz des nicht begreifbaren Wesens bewusst, welches parasitär auf den Grenzwegen von Körper und Geist sein Heim errichtet hatte und nun Javeds Seele für sich beanspruchte, wie es die "Veti" mit den lebensspendenden Früchten von Mutter Flora taten.  

Die Veti,  - das Jagdvieh- diese seltsamen, bipeden Hybriden stellten der Natur einen Spiegel vor, in welchem sich ihre kreativen Launen wild und unzivilisiert in einer Fusion aus Mensch und Tier wiederfanden.
Wild ja, aber unzivilisiert?
Javed zweifelte an dieser plumpen Hinterwäldlerpropaganda mit welcher Offiziere und Rittmeister den Feind, vor ihren Untergeordneten denunzierten. Der Bharte verwettete seinen letzten Hauch an Seele darauf, dass die Heerführer der Kruzianer die hoch entwickelten Kulturen der karpalischen Wüsten ebenfalls als barbarisch und unzivilisiert deklariert hatten um ihnen dadurch jeden Funken an Lebensberechtigung zu entziehen. Eine simple Taktik, gleich einem minderen mathematischen Spiel, welches für den Einfachgestrickten jedoch voller tiefgründiger Plausibilität steckte. Der durchschnittliche Soldat lebte in Friedenszeiten ein koordiniertes Garnisonsleben voll von anstrengendem  Drill, auf der Einen und verruchter Freizeitgestaltung, auf der anderen Seite. Eine ausgewogene Mischung, deren konstantes Gleichgewicht immer nur von einer bedrohlichen Unbekannten, am Rande dieser feinfühligen Aufstellung überschattet wurde.
Diese Unbekannte stellte, seit jeher das machtschaffende Werkzeug der geschickten Generäle und Politiker dar. Ohne sie wäre es unmöglich das empfindliche Equilibrium des Soldaten zu stören und würde ihn verdammen, seinen ewigen Hamstertrott im Laufrad des Lebens abzustottern bis er an einem übertrainierten Herzen oder, realistischer betrachtet an einer überfetteten Leber zugrunde gehen würde.
Ein durch und durch unbefriedigendes Ergebnis für Befehlenden und Befehlsempfangenden.
Um diesem unglücklichen Zustand ein  zufriedenstellende Ergebnis zu entlocken, musste man aus der Unbekannten ein Ärgernis erschaffen, welches gewichtig genug war, um der Soldateska einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Dieses Ärgernis- sei es nun eine ethnische Gruppe, fremde Ländereien, unzufriedene Aufwiegler oder nützliche Waldbewohner- musste einen giftigen Dorn im kollektiven Soldatenbewusstsein erschaffen. Es musste ihm stets das Gefühl vermitteln, dass sein, bis jetzt unbeschwertes Leben voller Einklang auf dem Spiel stand und die Rückkehr zur Normalität nur durch die Beseitigung des Ärgernisses möglich sei. War dieses beseitigt, konnte der simple Landsknecht wieder zu seinem sinnentleerten Alltag voller Weib, Wein und lächerlicher Fechtlektionen zurückkehren, bis sich am Horizont des Hedonismus erneut die ewige Unbekannte, in Form von Ärgernis-gefüllter-Wolkenscharen auftürmte.

Javed hatte bei der morgendlichen Ansprache des Jagdführers genau zugehört. Dieser Mann war ein Sha`ir, ein Zungenmeister, wie man in Bharta, seiner Heimat die eloquenten Sprachrohre der Stämme nannte. Dieser adrette Recke verstand sich darauf Ärgernisse zu erschaffen, wie kein Zweiter. In ihm steckten ein geborenes Alphatier und dazu ein geschickter Manipulator.
Der Bharte hatte sich die Worte des jagdführenden Rittmeisters genau eingeprägt und versucht, die kleinen Finten und Tricks seiner geschickten Sprachführung zu durchschauen.
Es war aussichtslos gewesen.
Zu schnell hatte er sich in der glühenden Rede verloren- sich treiben lassen auf dem wogenden Silben und den sacht brandenden Nuancen zwischen einfacher Hetze und feurigem Aufruf zur Tat. Die verschlafene, verkaterte Meute war plötzlich berauscht, wie vom roten Mohn und noch bevor die ersten Jagdhörner den Spießrutenlauf eröffnen konnten, eilten die Landsknechte, ihren Befehlen Obacht zu gebieten.  
Träge zwinkernd, fegte der Bharte die Erinnerung hinfort und lenkte seine Konzentration auf das Geschehen vor ihm.

Die nachgerückten Fußsoldaten hatten damit begonnen die umstellten Zweibeiner, es waren ungefähr ein Dutzend, in Ketten zu legen und das funkensprühende Schlagen, von schweren Hämmern auf dicken Stahlbolzen hallte, wie ein tödlicher Marsch bis hinauf zu den, sacht rauschenden Wipfeln der dunklen Fichten.
Javed beobachtete zwei, der heruntergekommen Landser, welche mit grobem Hantieren und widerlichen Flüchen, auf den spröden Lippen einen der hünenhaften Tiermenschen in die Eisen zwangen. Sein ruhig, schweifender Blick traf den Ungestümen, des graubeharrten Wesens, gleich dem präzisen Streich eines Stiletts, welcher den plumpen Schlag eines Streitkolbens kreuzte. Im erweiterten Zentrum des rotgeäderten Auges kochte eine, vor Hass sprühende Esse, in welcher rußige Hände  den glühenden Stahl des Aufbegehrens zu einer Klinge des Widerstandes formten. Jeder gemeine Fußsoldat der Nation hätte bei diesem, vor gezügelter Wut überschäumenden Anblick sein  leibliches Wohl in der Flucht gesucht und jeden noch so treuen Schwur auf Partei oder Vaterland den bodenlosen Schlünden der suranischen Lavawüsten überlassen.
Sanft tätschelte Javed, der nervös tänzelnden Stute den Hals, den Blick mit ausdrucksloser Miene erwidernd.
Er hasste dieses Pferd.

Der Jin regte sich ...

zaghaft.
Ein fröstelndes Gefühl, gleich leisen nackten Sohlen auf kaltem Marmor zog sich, wie morgendlicher Raureif an Javeds Wirbelsäule empor und schoss in seine schwarzen Nackenhaare, welche sich widerspenstig zum Spalier anordneten. Dem Geistwesen, welches er Lenker nannte, missfiel die Sympathie, welche Javed für das "Wild" empfand, welches soeben seine Freiheit an die Häscher der Union verloren, hatte. Den Frosthauch auf seiner befleckten Seele ignorierend, atmete er tief durch und konzentrierte sich auf die kleinen, zitternden Getiere, welche unsicher hinter der angeketteten Kolone standen. Mit gehetzt, herumirrenden Augäpfeln schnupperten die Jungtiere voller Aufregung vor ihren notdürftigen Hütten, aus Lehm, Geäst und Laub in der morgendlichen Luft herum. Geradeso als würden sie Kraft all ihrer Sinne einen vermeintlichen Fluchtweg, aus diesem Alptraum suchen. Der stechende Geruch von nassem Fell und frischem Urin legte sich sauer auf der Zunge des dunkelhäutigen Reiters nieder.
» Primitiv und wild…«, flüsterte der Bharte den Blick nicht von den Jungtieren nehmend.
» Natürlich..« Ein schwaches Lächeln.
Es war für den Großteil der Kruzianer einfach, den Veti, wie sich die Tiermenschen in ihrer indigenen Sprache nannten, jegliche Gefühlsregung und Intelligenz, welche über das primitive Herdenbewusstsein hinausging, abzusprechen. Doch wie- wenn nicht aus reiner elterlicher Fürsorge heraus- erklärten sich diese zivilisierten Barbaren dann die vollständige Abwesenheit von körperlicher Widerwehr seitens der Halbmenschen? Für den aufmerksamen Bharten, war es eine glasklare Tatsache. Hätte es diesen glücklichen Zufall nicht gegeben, wäre der nadelige Waldboden nun schon übersät mit den zertrümmerten Leichen der Landsknechte und seine eigene Klinge würde sich an dem sehnigen Fleisch der Vetikrieger laben.
Möglicherweise hatten die Späher des Rittmeisters diesen Umstand schon im Vorfeld erkannt und der schlaue Truppenführer hatte in taktischer Voraussicht bewusst einen Nutzen daraus  geschlagen.
Die  Sklaventreibermeute der Technokraten, hatte keine Toten zu beklagen. Einzig, einer der verschlafenen Landsknechte hatte sich, in all seiner geistlosen Unfähigkeit einen Knöchel gestaucht und wurde von den helfenden Armen eines treuen Kameraden bereits aus dem Wäldchen geleitet um einen zweiwöchigen Freischein, für die Verletzung im  Felddienst einzufordern.
Seit die monarchistische Armee Kruzias finanziert mit den Ressourcen der wohlhabenden Technokratischen Union ihren, von einem fürchterlichen Blutzoll begleiteten, Sieg über die Saphiren Emirate verbuchen konnte und der fast zehnjährige Kriegszustand zwischen den Ländereien Karpaliens und Kruzias ein Ende gefunden hatte, verkümmerten die unterforderten Soldaten zu gemeinen, fettbäuchigen Wachmännern und verloren Schritt für Schritt die hochgepriesene Heldenform, welche sie auf dem Schlachtfeld zum Triumph geführt, hatte.

»Das ist doch wahrlich ein Ärgernis. «
Mühselig hievte sich Javed aus der stürmischen Gedankensee zurück an die Landzunge der Gegenwart.
Die Quelle der Worte war ihm mittlerweile bekannt. Er hasste diese latent raue Stimme. Zu weiblich für einen gemeine Dirne und doch so  fröstelnd, erregend wie der erste Sonnenstrahl an einem frühen Wintermorgen.
Livia hatte unbemerkt ihren sehnigen Rappen an ihn herangeführt und musterte mit fast widerlicher Faszination seine glatten kupferbraunen Züge.
» Davon gibt es hierorts massig. « murmelte der Bharte mit einem weiteren Anflug geistiger Abwesenheit.
» Ich meinte, es ist doch ein Ärgernis, eine solch perfekt geformte Klinge, wie du sie führst nicht am Fleisch dieser Missgeburten zu erproben. « schnurrte sie, die vollen Lippen kaum öffnend. Das laszive Blitzen weißer Schneidezähne.
Javed hob ignorant die Schultern.
Er fühlte sich diesen "Missgeburten" näher, als ihr und ihrem Pack.
» Ach ja, ich vergaß. Ihr Bharten seit nicht bekannt für eure Gesprächigkeit. Eure Qualitäten stecken ja meistens in den Taschen anderer. Ich entschuldige mich für dieses weitere Ärgernis mein seelenloser Mitstreiter. « fügte sie mit einem neckischem Lächeln hinzu.
» Nenn mich nie wieder so! « knurrte Javed.  Zwanghaft erwiderte er das süffisante Lächeln und folgte sogleich ihrem plötzlich abgelenkten Blick. In dem smaragdenen Augenpaar schimmerte eine aufregende Mischung aus feurigem Begehr und freudiger Erwartung.

Kerzengerade im Sattel sitzend, trabte ein einzelner Reiter mit steinerner Miene auf sie zu.
Das schmale, eingefallen Gesicht des Neuankömmlings ähnelte einem religiösen Asketen. Alles an ihm strahlte eine gewisse militärische Strenge aus, einzig der strohblonde Haarschopf des Mannes minderte die verplattete Bedrohlichkeit seiner mattschwarzen gepanzerten Erscheinung. Eine hinterhältige Finte der Natur, welche schon so mancher unvorsichtiger Duellant mit, nicht weniger als dem eigenen Leben bezahlt hatte.
Dieser Blondschopf war niemand weniger, als der berüchtigte Logan Kastellan, selbst.
Rittmeister der Virmischen Dragoner und Hauptmann der Virmischen Hunde.
Herr über diese Jagd und Verlobter Livias.
Und nicht zuletzt, ein Sha´ir,  ein Zungenmeister.
Ginge die Liste der nennenswerten Eigenschaften nach Javeds Ermessen.  
Der blasse Ritter führte sein heißblütiges Schlachtross, welches von einer Schabracke in den Unionsfarben bedeckt war, an sie heran.
Als Javeds harsche Antwort silbenweise zu Livia durchdrang, legte sich ein ernster Schatten auf ihre, eben noch verspielte Miene. Raubtierartige Augenschlitze bildend, schoss ihr Blick auf ihn nieder.
» Wie du meinst, Bharte. Ich werde mich hüten. « Ein verzeihendes Lächeln, welches wohl geübt war, zerbrach den seriös, schuldigen Ausdruck. Javeds Zunge  fuhr bedächtig die Innenwand seiner oberen Zahnreihe ab. Diese, mit unleugbarer Schönheit gesegnete Furie war schlimmer als jedes Katzenvieh. Unberechenbar, verspielt, fast schon zutraulich das samtene Fell nach einer zarten Berührung streckend und doch so voller spitzer Krallen und scharfer Zähne. Er hasste diese glatte gefährliche, gläserne Unantastbarkeit an ihr.
» Livia! «, hallte es laut über das lärmende Getümmel auf der kleinen Lichtung. Und etwas gemäßigter.
» Meine Liebe, halte deine spitze Zunge im Zaum, es wäre ein Ärgernis ohne Gleichen, wenn der Bharte sie aus deinem schönen Mund schneiden würde. «, Logans Gesicht zeigte keine nennenswerte Emotion.
»Außerdem genieße ich seine Gegenwart umso mehr, wenn er seinen Kopf auf den Schultern behält. « Die Rüge Kastellans war mit der Härte seiner Panzerhandschuhe gesprochen, aber dennoch lag eine pervers anmutende Brüderlichkeit darin. Der lange Ruf eines Uhus mischte sich unter das monotone Schlagen der  versklavenden Hämmer und ein kühler Hauch zog rauschend durch die Wipfel ober ihnen. Livias  lockige Pracht wogte verspielt in der gespenstischen Brise.

Ein unsichtbares Schmunzeln ließ Javeds Mundwinkel spastisch zucken.
Brüderlichkeit? Zwischen Ihnen?  
Nur der bloße Gedanke allein, hinterließ einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge. Die bisherigen Lebenswege dieser beiden Männer konnten nicht unterschiedlicher sein. Logan, der Sohn aus Virmiens adeligem Geschlecht, ein Aushängeschild für die Tadellosigkeit der kruzianischen Ritterschaft, sowie auf Seiten der unumstrittenen Kriegsgewinner. Die schmachvolle Seite der Verlierer prägte der übelgelaunte Javed, Sohn eines kranken Dattelbauers, Taschendieb und Maulheld, dem zu guter Letzt auch noch von den eigenen Leuten der Dolch in den Rücken gestoßen worden war. Und doch hatten die stürmischen Wirren des Elementkrieges ihre Schicksalsfäden ineinander verwoben.
Aber Brüder…Brüder würden sie nie sein.
Die Wenigen, welche der Bharte Brüder genannt hatte, waren fast zur Gänze ermordet, vertrieben oder zur Zwangsarbeit verdonnert worden. Wie kam es also, dass er so etwas, von Grund auf emotionales, wie die Brüderlichkeit in den Worten dieses fremden Bastards verspürte? Dieser Mistkerl mit der goldenen Zunge.  Genau in diesen Momenten offenbarte sich Javed, Kastellans wunderbare Gabe. Diese gefinkelte Fähigkeit, Männer zu führen, mit einer gewählt, gewaltigen Stimmpracht, die sprühte vor jugendlicher Verwegenheit und doch so voll von heldenhaft, maskulinem Charisma, dass sie jeden kämpferischen Scheiterhaufen im  Herzen eines Kriegers zu entflammen wusste.
Nur einem entmannten Eunuchen oder einem verhärmten Weibsstück, würde es Gelingen diesem geborenen Anführer die Brüderlichkeit abzusprechen. Javed vermerkte sich vor Logan in Acht nehmen zu müssen.
Er hatte von den geschwätzigen Waschweibersoldaten der niederen Ränge so einiges über den jungen Hauptmann gehört. Und nicht alles davon entsprang einem Soldatenhirn auf der Suche nach verlorener Schlachtenromantik während der ruhmlosen Nachkriegszeiten. Logan Kastellan hatte sich in den letzten Jahren des Elementkrieges, wie ein ruhmessüchtiger Gossenschläger aus dem trostlosen Bodensatz der monarchistischen Truppen, durch das dornige Dickicht der Ränke, bis hin zu einem der dünngesäten Sonnenplätze an der Führungsspitze empor gehauen.
Wenn die versoffenen Lagerfeuermärchen der Landsknechte nur einige Prozent mehr Wahrheit als Alkohol enthielten, hatte dieser junge Hauptmann, sein persönliches Regiment, die Virmischen Hunde als eines der Ersten an die goldenen Stufen von "Tel ad Din", der "Schwebenden Stadt von Hisham" geführt. Ohne Vorwarnung...

...barst der Jin aus seinem Schlummer empor. Verzerrte Gedankenfetzen voller zerberstender Minarette und einstürzender Moscheen explodierten in grellen Farbtönen vor Javeds innerem Auge.  Der ohrenbetäubende Trommelwirbel von Regenschauern aus kollabierendem Mauerwerk dröhnte in seinem Kopf und die Knochen seines Schädels schienen unter den abertausenden Schreien der Sterbenden zu vibrieren.
Die Zähne knirschend zusammenbeißend, unterdrückte er einen hasserfüllten Aufschrei…

…der tief im stürmisch, wogenden Meer seiner Seele explodierte.
So abrupt wie die Wut des Jins ausgebrochen war, so schnell ebnete sich sein Gemüt wieder hin zur gewohnten Katatonie, in welcher er inmitten seines organischen Gefäßes verharrte. Zurück blieb nur ein dumpf, pochender Schmerz in den Schläfen, welche ebenfalls versiegte.
Ein finsterer Blick streifte Logan. Doch war sich Javed nicht bewusst ob der Jin seinen Zorn über ihn in die Außenwelt projizierte oder ob in den Scherben seiner Seele doch ein Unzen Hass für die Eroberer seiner Heimat zu finden, war. Die apokalyptischen Erinnerungen an die zerfallende Hauptstadt verblassten mit langsamer Beständigkeit.
Diese Erinnerungen waren nicht die seinen.
Zu diesem geschichtsträchtigem Zeitpunkt, als die Saphiren Emirate in den körnigen Wüstenstaub der hischamer Region getreten wurden und die tausenden Mitrailleusen  und Mörserlafetten den endgültigen Kataklysmus ihrer, in meisterlicher Perfektion erbauten "Schwebenden Stadt" besiegelten, saß er schon längst hinter Schloss und Riegel. Betrogen und verraten- verkauft an den inneren Feind.



»Danke Kastellan, aber es ist nicht der Rede wert. Sie hat es sicher nicht so gemeint «, antwortete er knapp.
Ich bin nicht euer Mitstreiter, dachte er verbittert. Livia sah ihn durchdringend an. Ein bohrender Blick indem ein, nicht deutbareres Schimmern aufblitzte, geradeso als würde sie seine wahren Gedanken nur zu gut erahnen.
Die Kolonne setzte sich in Bewegung. Harsch gebrüllte Befehle, untermalten den klirrenden Trott der Angeketteten, auf ihrem Weg in die Arbeitssklaverei. Ohne sich von dem Marsch abzuwenden, richtete Logan sein Wort an den Bharten.
» Du wirst heute in der diplomatischen Botschaft der Union erwartet. Der Unionist, Duke Wellesley wünscht die Anwesenheit, deines...hm...Herrn. « Der hochgewachsene Rittersmann sah ihn an, als hätte ihm jemand eine offene Zitrone zwischen die Kiefer geschoben.
Javed seufzte verdrossen. » Auf ein Ärgernis folgt das Nächste. «
Stirnrunzelnd zog Kastellan die Brauen zusammen. Doch noch bevor ihm eine passende Frage einfiel, war der Bharte auf und davon. Die Lippen nachdenklich zusammengekniffen, blickte ihm der Ritter nach, bis er im grauen Schleier des bodennahen Nebels zu einem schummrigen Schemen verschwamm.

Ein sarkastisch, resignierendes Lächeln auf den dunklen Zügen, gab Javed seinem hörbar, atmenden Reittier die Sporen und ritt an der kleinen Kolonne entlang in Richtung der sich lichtenden Baumreihen. Die Stute zu einem mörderischen Galopp treibend, flog er über einen ausgetretenen Waldweg, stob zwischen den, von knorrigem Unterholz eingewachsenen Tannen hindurch und stürmte auf das, von grauen Grasbüscheln überwucherte Kopfsteinpflaster der Feldstraße hinaus. Zu beiden Seiten des Reiters flogen kahle Äcker, auf denen mit lichtem Stroh bedeckte Katten hockten vorbei. Finster dreinblickende Bauern in notdürftiger Kleidung und mit ungewaschenen Gesichtern plagten ihre von der Hungersnot des Krieges gezeichneten Zugtiere über den harten Boden der Felder. Väterchen Frosts langlebiger Atem hatte den, ohnehin armen Landwirten die letzten Vorräte aus den Kornkammern gefroren. Und als wäre das harte Los durch die unbarmherzigen Launen der Natur nicht schon Geißel genug gewesen, hatten die Regierenden in Gralsburg alles daran gesetzt, um ihnen mit zusätzlich eingeforderten Kriegsfonds auch noch das letzte Hemd vom Körper zu zehren. Der Krieg gegen die seelenlosen Magister und ihre besessenen Vasallen hatte ein Ende gefunden.
Der gnadenlose Überlebenskampf war geblieben.
Allem voran außerhalb der Städte.
Ebenso darin.

Der siedende Kochtopf des Elementkrieges hatte die Bevölkerungszahlen; insbesondere die, der arbeitsfähigen Männer dahin schmelzen lassen, wie ein heißes Stück Butter. Der Korpus der Nation war übersät von den letalen Wunden, der schwerwiegenden Verluste und taumelte bereits unter dem nahenden Staatsbankrott, welcher trotz der blutsaugenden Fänge auch nicht mehr vom Volke kompensiert werden konnte.
Anstatt des endlosen Jubels, übergeworfener Blumenkränze und stattliche Entlohnung drohte den angeschlagenen Regimentern der Heimkehrer plötzlich die Auflösung. Panik breitete sich in den Führungsriegen der Kruzianer aus, zerfiel ihre siegreiche Nation unaufhaltsam zu demselben wertlosen Staub in welchen sie eben noch ihren Feind verscharrt hatten.
Guter Rat war unbezahlbar geworden, wog mehr als Gold es jemals konnte. Es bedurfte einer umgehenden Lösung um Industrie und die Manufakturen vor dem Untergang zu bewahren. Diese fortschrittlichen Errungenschaften waren das Herz der Nation gewesen und ohne sie würde der schwache Puls des Landes vollends zum Erliegen kommen. Sich die landesweite Not zum Eigennutz machend, trat der Parteivorsitzende der Technokratischen Union, Gottfried Feder aus den, von Zigarrenrauch geschwängerten Salons der Gralsburger Oberschicht und präsentierte der schwer angeschlagenen Monarchie einen passablen Fluchtweg aus der Misere. Die Bankrotte Staatskasse und das wütende Volk auf den Straßen zwangen König Dorian Kostadin IV zu schnellem Handeln und angesichts des vorherrschenden Notstands willigte er ein das Manifest von Gottfried Feder anzunehmen.
Das Ansehen der Technokratischen Union, als Erretter der, dem Untergang geweihten Nation stieg immens. Dreißig Prozent der Militärstreitkräfte wurden aufgelöst und weitere zwanzig Prozent unter den Befehl der Partei gestellt. Die restliche Armee blieb vorläufig im Dienste der Monarchie. Umgehend wurde der zunehmende Einfluss der parteitreuen Ingenieure und Forscher spürbar. Weitere Manufakturen und Fabriken wurden  in jeder Stadt Kruzias errichtet und die wenigen erwirtschafteten Erträge in den maschinellen Fortschritt investiert.
Den "neuen" Regimentern der Union war so der Weiterbestand gesichert. In all ihrer Herrlichkeit, Uniformen und Bewaffnung inklusive. Die Aufgabe, das Ärgernis unterlief jedoch einer drastischen Metamorphose. Dort wo zuvor die Herrscharen der Saphiren Emirate mit ihren seelenlosen Führern das komplizierte Gleichgewicht der kampfesmüden Truppen aus dem Ruder laufen ließ, standen nun plötzlich haarige Halbmenschen, die es galt zu jagen.
Aus den Soldaten wurden Jäger. So schlug Feder zwei Probleme mit einer Klatsche. Die Armee hatte wieder eine Aufgabe und die Beute, wenn sie erst abgerichtet war, konnte die geschwundene Produktionskraft des Reiches ankurbeln. Dies war ein klarer Punkt in Feders Manifest. Neue Arbeitskräfte aus den niederen Kreaturen Kruzias zu rekrutieren um die eigene Bevölkerung zu schonen, beziehungsweise anderweitig einzusetzen.

So auch in Krähenmoor.
Seitdem Beschluss der Partei hatte die Hetze auf die, in den Grenzwäldern beheimateten Veti ihren blutigen Höhepunkt erreicht. Ganze Kolonien, der zumeist friedliebenden Waldmenschen wurden versklavt um mit Blut und Schweiß für das Wohl des abgemagerten Staates zu sorgen. Die neuen Sklavenarbeiter wurden, entgegen aller Versprechen seitens der Partei ausschließlich in den Dienst der staatlichen Unionswerke gestellt und bildeten, neben verschleppten Kriegsgefangenen die Hauptarbeitskräfte in den umliegenden Bergwerken und  den bedrohlich, qualmenden Manufakturen, welche mit der Rasanz von Schimmelpilz und stinkend wie der Humus auf dem er wuchs, zwischen den mittelalterlichen Bauten von Krähenmoor aus dem ehrwürdigen Stadtboden sprossen.  
Die Stadt Krähenmoor hatte sich im Krieg gegen die Saphiren Emirate als zuverlässiger Lieferant von essentiellem Nachschub und furchtlosen Frontkämpfern einen Namen, und im Laufe des Sieges eine goldene Nase verdient. Im Zuge der partiellen Machtübergabe des verzweifelten Königs an die Partei Feders, entlohnte diese, die Stadtverwaltung von Krähenmoor mit ausreichend Barem und anderen nützlichen Gütern, welche aber wiederum für den Ausbau der Unionswerke benutzt wurden. So wurde gewährleistet, dass der, von der fortlaufenden Industrialisierung, angekratzte Geldbeutel der Kruzianer Magnaten erneut mit neuem moralischem Goldglanz behaftet wurde und das echte, harte Gold in der eigenen Tasche blieb.
Die eisenbeschlagenen Hufe, der getriebenen Stute sprengten mit ohrenbetäubendem Knallen über ein kleines moosbewachsenes Steinbrückchen hinweg, unter dem ein eisblauer Bach mit leisem Plätschern hindurch lief. Ungestüm riss der Bharte an den ledernen Zügeln seines Reittiers, welches umgehend mit einem überrascht, erleichterten Wiehern in einen langsamen Trab verfiel.
Direkt an dem Übergang lag die Karawanserei  "Zur Hölle“. Eine, aus blassem Stein gehauene Sonnenuhr, an deren gemeißelten Fuß wildes Gras wucherte, stand den Witterungen trotzend einen guten Meter neben der geschlossenen Eingangstür und wartete geduldig bis sich der krumme, blattlose Schatten einer weit übergebeugten Eiche endlich aus ihrer zeitweisenden Tafel verzog. Der  Rahmen des nahen Einlasses war mit unzähligen Scharten übersät, welche von vergangen Wettbewerben des Messerwerfens kündeten. Einsam, an unsichtbaren Fäden befestigt schunkelte eine, aus rotem Stoff geschneiderte Handpuppe mit geschnitzter Teufelsfratze unter dem Türbalken. Schwache Rauchgeysire trieben gemächlich aus einem schiefen Kaminrohr an der Seite des Gebäudes. Jahrzehnte bevor die, aus dem Herzen des Nordrings herabstürzenden Gewässer durch einen massiven Felssturz gebändigt und erstickt wurden, hatte das geräumige Holzhaus dem ansässigen Landvolk als Getreidemühle und Kornspeicher gedient. Doch von diesen, fast schon goldenen Zeiten kündete nur mehr das morsche Gerippe des Wasserrades, welches lustlos über dem schwächlichen Rinnsal, hing. Nachdem die Produktion eingestellt wurde, hatte sich der einfache Bauersmann, Gerald Eichenruhm, welcher das Bauernleben satt hatte, der verwaisten Bruchbude angenommen und sie notdürftig restauriert um sich seinen Lebensunterhalt weiterhin als Wirt zu verdingen. Mittlerweile jedoch war Eichenruhm schon weit in die Jahre gekommen und sein ganzer Stolz, der einstige Rastplatz für durchziehende Händler und dergleichen, immer mehr zu einer Spelunke für die örtlichen Säufer und allerlei Vagabunden verkommen.

Aus dem Augenwinkel beobachtete der Vorbeireitende den tanzenden Schattenreigen welcher sich, im wild flackernden Kerzenlicht, wie ein infernales Theaterstück auf den staubig, beschlagenen Fensterscheiben abzeichnete. Es war keine Seltenheit, dass die Bevölkerung trotz der vorherrschenden Armut ihr weniges Kleingeld lieber versoff als es in Nahrungsmittel zu investieren.  Es war immer noch besser der tristen Realität einige Stunden  zu entfliehen, als den leeren Magen mit wenigen Lebensmitteln zu belästigen- ein betrunkener Hund empfand eben keinen Hunger, ein halbhungriger Hund jedoch, empfand nur Ärger.
So war es Gang und Gebe, dass diese Exzesse sich bis weithin in den nächsten Tag hineinzogen und oft auch diesen noch überdauerten. Zeit war Geld. Und da es kein Geld zu machen gab, galt Zeit auch nichts mehr. Die standhafte Sonnenuhr, welche früher im Dienst der Reisenden gestanden hatte, war nun zum einem paradoxen Hohnobjekt dieser Einkehr verkümmert.
Auch einige der Landsknechte, welche den morgendlichen Jagdausflug begleitet hatten, waren mit großer Wahrscheinlichkeit direkt aus einer dieser verruchten Örtlichkeiten zum Dienstantritt getorkelt.  
Ein Fakt, der von den jagdführenden Offizieren mit großem Argwohn beäugt wurde, neigten diese enthemmten Schergen doch oft genug, zur übermäßigem Gewaltanwendung gegenüber dem "Jagdgut". Nicht, dass dessen körperliche Integrität  den Ranghöheren  so sehr am Herzen lagen, doch die Vorarbeiter der Unionswerke bezahlten ausschließlich für arbeitsfähige Ware.

Sklaven waren sie, zur Ware degradierte Wesen.
Javeds Hass war facettenreicher als der edelste Kristall aus den unterirdischen Schatzkammern von Khost.
Er verachtete den Lenker und dessen Herren, ebenso hasste er die Schergen der Kruzianer Nation, für das entwürdigende Schicksal, welches sie den Bewohner der Grenzwälder aufbürdeten. Für einen wahren  Sohn der karpalischen Steppen gab es kaum etwas Grausameres als den Raub der Freiheit. Und dies galt vor allem für die heißblütigen Sprösslinge Bhartas- einem Landstrich an der Grenze Kruzias, welcher von umherziehenden Nomadenstämmen bevölkert wurde. Eingepfercht zwischen den gepanzerten Imperialisten  der Kruzianer Nation und dem Sklavenheer der Jin welches die Wüstenprovinzen im Westen kontrollierte, war Bharta immer wieder zum Schlachtvieh beider Tyrannen geworden. Obwohl die bhartanischen Staubsteppen so unfruchtbar waren, wie der Schoss einer alten Kurtisane überliefen prestigegeile Feldherren beider Seiten immer wieder die losen Grenzen um zu Morden, zu Plündern und zu Vergewaltigen oder sich schlicht und einfach das ganze verdammte Fleckchen Erde unter den Nagel zu reißen.

Zuletzt gelang, dieses widerliche Unterfangen dem furchtlosen Prinzen Kral Burak welcher sein Heer aus dem goldenen Osten Hishams über die Grenzen Arams und Bhartas führte um sich seinen Jin- Herren, den Marid erkenntlich zu zeigen.
Kral Burak, dessen Körper von einem kriegerischen Ifrit besessen war, marschierte an der Spitze einer stark gerüsteten Hundertschaft an Kavallerie und Fußsoldaten gen Bhartas "Hauptstadt", Asadabad und unterwarf auf seinem blutigen Feldzug die umherstreifenden Nomadenstämme der Steppe. Asadabad, halb Metropole, halb Nomadendorf sollte ein leichtes Spiel für Kral Buraks Streitkräfte werden.
Die Verteidiger jedoch hielten die ockerfarbenen Mauern ihrer Stadt und hätten Kral Buraks wütender Belagerung mit Leichtigkeit standgehalten, hätte der brutale Wüstenprinz nicht damit begonnen ganze Familien der versklavten Nomaden vor den Toren der Stadt hinzurichten. Zermürbt von den nicht endenden  Todesschreien ihrer Landesmänner  und angesichts des drohenden Genozids an ihrem Volk entschlossen sich die Stadtfürsten zu einem Waffenstillstand und beugten sich den erbarmungslosen Invasoren.
Im endlosen Schatten des Manats, des schwarzen Steins schwuren die Bharten, ihren neuen Herren aus Hisham die Waffentreue. Vieh wurde geopfert und der Vertrag mit Blut besiegelt. Ein widerspenstiger Kompromiss. Doch die Stammesführer sahen sich genötigt ihr eigenes Volk vor dem Massaker zu schützen und den, mit knirschenden Zähnen ausgesprochenen Eid bei der erstbesten Gelegenheit zu brechen um Kral Burak einen vergifteten Dolch in den Rücken zu rammen.
Doch der Tag der Abrechnung und Rache kam nicht. Nicht so.
Der machttrunkene Ifrit in Kral Burak hetzte dessen blutgeiferndes Heer weiter über die Grenzen der Kruzianer Nation um an den berghohen Wällen der "Ewigen Wacht" zu branden, wie das wogende Frostmeer an den gläsernen Kliffen Suras. Dieser Grenzübertritt, brachte das brüchige Siegel des Friedens zum Zerbersten und öffnete das Tor zum allesverschlingenden Schlund des Elementkrieges in welchem, neben Kral Burak selbst, tausenden Bharten, welche Eidgebunden an seiner Seite marschiert waren, das Leben ließen.   
Trotz des wilden Ansturms, auf Kruzias Pforten erschlugen die dort stationierten Elitewächter Kral Burak und verbrannten seinen seelenlosen Leichnam. Ein heroisches Monument eingemeißelt in den gigantischen Wall erinnert noch heute an die blutige Schlacht und ihren siegreichen Ausgang für die Soldaten der Wacht.

Ein perlweißes, von einem einzigen Goldzahn unterbrochenes Grinsen auf den Lippen, ritt Javed an der Absteige vorbei. Der Gedanke an Kral Buraks Ableben...

 erzürnte den Jin zutiefst

...und dies wiederum erheiterte sein wolkenverhangenes  Gemüt ungemein. Die aufkeimenden Krämpfe in seiner Brust ignorierend, steuerte er die Stute an dem Sündenpfuhl vorbei und schnurstracks auf ein Objekt zu, welches auf der erdig, abfallenden Flussböschung seine Aufmerksamkeit erweckt hatte.
Eigentlich handelte es sich dabei um zwei Objekte.
Genauer, zwei Vagabunden, welche in ungemütlicher Verrenkung erstarrt ihren Rausch ausschliefen. Daliegend, so unberührt und knabenhaft als hätte sie ein unbekannter Gott in endloser Gnade dorthin geboren und doch so verbraucht und ausgedörrt als wollte er sie mit einer einfachen Geste voller Grausamkeit an Platz und Stelle bei lebendigem Leibe verwelken, lassen.
Javed zwang sein Reittier zum vollkommenen Stillstand und glitt leise, wie eine pirschende Natter aus dem ledernen Sattel. Lautlos tauchte er in ein fauliges Miasma aus alkoholischem Atem und gasförmigen Körperausdünstungen, in dem eine bedrohliche Note von altem Schweiß und kaltem Rauch lag ein. Die zwielichten Künste des Taschenraubes waren weitverbreitet unter den Bharten, stellte diese verbrecherische Fähigkeit doch einen essentiellen Überlebensaspekt für viele von ihnen dar. Doch schon nach einem knappen Meter verwarf Javed jegliche Vorsicht. Die beiden Trunkenbolde waren dermaßen hinüber, dass sie nicht einmal der Tritt eines ausgewachsenen Kamels geweckt hätte.
Javed musterte das schlafende Pack. Beides magere Kerle mit knopflosen Leinenhemden, unrasierten, jungen Gesichtern, aus denen die letzte Lebensfarbe akribisch heraus gesoffen, war. Das dröhnende Schnarchen eines schlafenden Berserkers schüttelte einen der Leiber heftig durch und gleich darauf folgte ein fürchterlicher Hustenanfall bei dem der Schlafende mit rotanlaufender Grimasse einige schwarze Bröckchen aus seiner geteerten Lunge zu Tage förderte.
Angespannt hielt Javed inne.
Der Hustenanfall nahm, mit unverständlich gemurmelten Wortfetzen ein Ende und unter weiterem Schnarchen drehte sich der Betrunkene zu seinem Saufkumpan hinüber, legte ihm freundschaftlich den Arm über die blanke Brust und schlief seelenruhig weiter. In Javeds Hirnwindungen ratterten diebische Mechanismen, Strategeme des Ausnehmens und Suren welche von ruhigen Händen und leisen Sohlen kündeten, erfühlten seinen Geist, bedrängten den Jin, welcher träge die potentielle Gefahr witterte, in die sich sein Gefäß mit aller Mutwilligkeit vorwagte. Gleich den todbringenden Giftzähnen eines roten Schlangenmauls stießen Javeds geübte Finger zu. Entleerten erfolglos löchrige Hosentaschen und fanden letzte Reserven, verwahrt in einem Lederbeutel, versteckt zwischen Wade und Stiefel.  Zufrieden lächelnd, stieg er über die Alkoholleichen hinweg und stellte sich an das karg, bewachsene Ufer des seichten Baches. Zu seinen Füßen wiegten einige Sumpfdotterblumen die gelben Köpfchen zum sanften Plätschern, aus dem es kalt nach oben stieg.

Auf der gegenüberliegenden Seite grub sich das stille Gewässer zaghaft in die sumpfig, braunen Ausläufer der "Trauernden Einöde". Dieser trostlose, von violetten Vergissmeinnicht, einigen Weiden und vermoderten Baumleichen durchpflügte Landstrich umschlang die grauen Mauern Krähenmoors und sein Umland, wie die wälzenden Ringe eines Lindwurmes. Vereinzelt pickten einige knopfäugige Raben mit zerzaustem Gefieder lustlos auf dem harten Erdreich herum, bei jedem Schritt die dünnen Beinchen skeptisch hebend, als fühlten sie sich angewidert von dem festen Grund unter ihren Bäuchen.
Von seinem Standpunkt aus überblickte Javed die leblose Weite bis hin zu den schief gereihten Gipfeln des "Nordrings". Die schlafenden Gebirgsriesen lagen Schulter an Schulter, gleich aufgeschütteten Erdhaufen aus deren schroffem Beet langsam das göttliche Blütenblatt der Sonne emporwuchs.  

» Sieh an Tabak- Das Manna des Rauchers. «, flüsterte er, den erbeuteten Beutel mit einem feuchten Funkeln in den Augen öffnend und an dem getrocknetem Kraut schnuppernd.
 » Nicht Mal übel für solche Penner.« Das wonnige Gefühl der Genugtuung im Magen kramte er eine Rolle getrockneten Papyrus aus den Untiefen seiner weiten Gewänder und riss ein Stück davon ab. Gekonnt verwandelte er seine neue Errungenschaft mithilfe des zweckentfremdeten Papiers in ein halbwegs annehmbares Rauchgerät.  Er wollte gerade nach seinen Säckchen mit den Feuersteinen greifen als sich jemand mit einem kratzigen Räuspern hinter ihm bemerkbar, machte.
Eine dumpfe Leere hockte plötzlich dort wo sein Magen sein, sollte. Mit einer schattenlosen Bewegung  verschwand das Diebesgut in einer seiner unzähligen Innentaschen. Den trockenen Glimmstängel, schief zwischen die Lippen geklemmt, drehte er sich herum- eine perfektionierte Maske der Unschuld auf den Zügen.

» Bei Kruzias versifftesten Hurenhäusern! Mein Schädel zerspringt! Jeden Moment!« Einer der Wegelagerer hatte sich mit Müh und Not unter den leblosen Gliedern des Anderen hervor gequält. Die tabakgebräunten Finger in den fettigen Haarwulst verkrallt, als müsste er mit aller Kraft sein leichenblasses Haupt am explodieren hindern, starrte er mit pflaumenblau unterlegten Augen durch den Bharten hindurch.
Fragend zog Javed seine buschigen Augenbrauen  hoch und unterdrückte zugleich das belustige Zucken seiner Mundwinkel.
» Vielleicht hilft dir ein erfrischendes Bad. « mutmaßte er und deutete auf das glasklare Gewässer.
Ungläubiger Schreck hauchte dem aufgedunsenen Teiggesicht seines Gegenübers einen zartrosigen  Lebenshauch ein. Den exotisch gekleideten Javed mit durchdringendem Blick taxierend, als wäre der Bharte aus dem Nichts vor ihm erschienen, ließ er langsam die fleischigen Metzgerhände sinken.
»Respekt. Du bist mir ja ein verdammt schlauer Bursche! Hast du gehört Jürgen! Ganz schön schlau für einen Kriegsverlierer! Hörst du Petar! « Er stieß den Liegenden mit der schmutzigen Stiefelspitze unsanft in die Seite, entlockte ihm aber nur ein rülpsendes Grunzen.
» Ihr seht, mir ja nicht gerade, wie die Gewinner eurer Sache aus! « sagte Javed mit emotionslosem Sarkasmus und untermalte seine Worte mit einer abwertenden Geste, welche die Beiden von oben bis unten abschätzte.
» Willst du Ärger Ratte? «  
» Sehe ich aus als hätte ich mit Ärger etwas am Hut? «
» Keine Gegenfragen! Welcher Hut du Bastard? Jürgen wach auf! Der Tag beginnt mit einem Ärgernis! «Der raue Ton in der kratzigen Stimme des Säufers ...

...weckte den Jin.
Unfreiwillig suchte Javeds Hand nach dem Knauf seiner Waffe.

Trotz seiner, von der Trunksucht geschwollenen Lider blieb seinem Gegenüber die Bewegung nicht verborgen.
» Sachte, Kohlenmann. Ich habe eine bessere Idee. « Mit einem flinken Satz, der seiner heruntergekommenen Erscheinung in allen Qualitäten widersprach, legte er den kurzen Weg zwischen ihnen zurück und seine schwielige Hand flog auf die erstaunt geschürzten Lippen des Bharten zu.

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Beobachter
Klammeraffe


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Beitrag10.06.2012 19:40

von Beobachter
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Buryoku,

ich schlage vor, dass du den Text erst einmal maximal bis zur Hälfte einstellst, eher noch weniger. Um sich ausgiebig damit zu beschäftigen, ist es viel zu viel. Nix für ungut.
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Buryoku
Erklärbär


Beiträge: 3



Beitrag10.06.2012 19:58
Kürzung!!!
von Buryoku
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Danke für den Tipp! Daran hab ich natürlich nicht gedacht!

Also hier die Kurzfassung!

Auszug aus meinem derzeitigen Projekt.


 1. Ärgernisse

 Behutsam streifte die Welt ihr, mit dunkelblauen Spitzen besetztes Nachtkleid ab.
 Sehr behutsam.
 Der Tag hatte das flammenbereifte Haupt noch nicht aus seinem öligen Grab erhoben und doch zeichneten sich die ersten Konturen seines erwachenden Körpers über den gezackten Wipfeln des Wäldchens ab. Die Lider in festem Schlummer verschlossen, regte er nur vorsichtig seine feinen Glieder und tastete sich mit kindlichen, hellen Fingerspitzen in das Grau, der kalt daliegenden Landschaft hinein. Dort, wo er die Erde berührte, hinterließ er bunte Flecken die beständig, wie vergossene Farbe an Größe zunahmen und das Zwielicht von der Schattierung des Meeresgrundes immer weiter verdrängten.
 Dies war die Stunde der Stille.
 Die Stunde der Jäger.

 Vor der ersten Helligkeit flüchtend, trieben sie ihre Pferde, in wildem Galopp auf die moosbewachsenen Stämme, zwischen denen der massive Wall der Nacht noch keinen Stein verloren hatte zu und preschten in den dunkle Forst hinein- auf ihren Schultern, die letzte Fetzten der nächtlichen Schwärze tragend, gleich schattengefiederten Raubvögeln. Der nadelübersäte Boden des dämmrigen Hains erzitterte unter dem brutalen Getrampel der eisenbeschlagenen Hufe, als sie sich mit der Erbarmungslosigkeit eines stählernen Schnabels einen Weg, durch das blattlose Gestrüpp bahnten und die jungfräuliche Stille des Morgens zerschlugen, gleich dem zerbrechlichen Antlitz einer wertvollen Büste.
 Ihnen, in der losen Formation eines wogenden Federkleides folgend, schwärmte ein pulsierender Korpus an bewaffnetem Fußvolk hernach. Dieser wogende Moloch entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als eine laute Bande aus rauen, unrasierten Männern, gekleidet in schmutzigen Waffenröcken oder ledernes Rüstzeug und mit verbeultem Eisen behelmt. Bis an die Zähne gewappnet mit sperrigen Lanzen und Hellebarden, Musketen und primitiven Faustfeuerwaffen hasteten sie in einer Wolke aus, zu Luft gemachten Unmut und stinkendem Atem ihren berittenen Herren hinterher, begleitet von einigen stummen Förstern, welche von ihren schnüffelnden Bracken gezogen in das vertraute Unterholz hasteten. Die Uniformen dieser Männer waren teilweise, nicht mehr als abgetragene Fetzen, auf denen das blaugelbe Schachbrettmuster der Technokratischen Union nur mehr wage zu erahnen, war.
 Einst der kämpferische Stolz der Kruzianer Monarchie, waren sie nun, nur mehr ein Rudel Köter- die, von der Leine gelassenen Hetzhunde der Union- der blaugelbe Wappenfalke der Partei, welcher sich mit grellem Pfiff vom Arm seines Meisters stieß um ergiebige Beute zu schlagen.

 Partei hin, Monarchie her.
 Diese Männer kümmerten, die Farben auf ihrer Brust einen feuchten Dreck. Ihre Aufgabe hingegen, schon mehr stellte sie doch ein Ärgernis in vollkommener Ausführung dar- und das wiederum bedeutete für die Mitglieder der Meute entweder, ihre allabendlichen Sauftouren zu früh abbrechen, oder schlimmer, ihre warmen Ärsche aus den verwanzten Lacken einer bezahlten Dirne schwingen zu müssen. Alles in allem brachte es nur Ärger mit sich, zu diesen zeitigen Stunden seine kalten Glieder über Stock und Stein zu treiben, nur um sich Tag für Tag mit einem armseligen Sold über Wasser halten zu können.
 Das einstige Soldatenleben, welches sich, in den Zeiten des Krieges über Heroismus und blinden Tatendrang definiert hatte, war zu einer einzigen Aneinanderreihung von Ärgernissen verkommen. Doch die Infanteristen hatten dazugelernt.
 Hatten gelernt aus dem Elend und dem Ärger Motivation zu schöpfen.
 Hatten gelernt diesen ganzen Mist zu kanalisieren und in blanke Münzen zu transformieren.
 Nur darum- und wirklich nur darum war diese Jagd ein Kinderspiel.

 Und eben darum wurde das aufgestöberte Vieh zur schnellen Beute für die einfallende Jagdgesellschaft.
 Das bedrohliche Knallen von ledernen Peitschen und das aufgebrachte Wiehern der Pferde trieben die Beute, welche nur von der frühlingsschwachen Flora und der morgendlichen Finsternis geschützt war, aus ihrer primitiven Behausung.
 Sie hatte keine Chance. Die Reiter hielten das Wild mit halsbrecherischen Umkreisungen im Zaum bis die Nachhut mit dem gefräßigen Enthusiasmus eines Fangeisens über sie herfiel. Dem seelischen Verdruss durch das Ventil der oralen Flatulenz raumschaffend, machten sich die Jagdsoldaten ans Werk und trotz ihres heruntergekommenen Auftretens, sowie der nicht vorhandenen Manieren zeigten sich die einfachen Landsknechte routiniert und geschickt, bei ihrem frühzeitigen Vorhaben. Innerhalb kürzester Zeit überwältigten sie die überraschte Herde, ohne ihr die winzigste Möglichkeit der Flucht oder schlimmer, der Gegenwehr zu ermöglichen.

 Dem Bharten schien es, als würde er aus einem tiefen, traumlosen Schlaf erwachen.
 Wo war er?
 Krähenmoor, antwortete seine innere Stimme.
 Und er verstand.
 Bin ich es gewesen oder der Lenker?
 »Du, Javed. « sagte er sich mit fester Stimme.
 Kein Kopfschmerz. Keine trockene Zunge. Kein Nasenbluten.
 Nein, es war nicht der Lenker gewesen.
 Es war er.
 Der Weg?
 Ein rasanter Ritt. Schneidende Kälte. Efeubewachsene Marmorpfeiler die den Hohlweg von der Landstraße trennten. Harter Waldboden, voller hellbrauner Nadeln. Ein aufgescheuchter Tausendfüßler.
 Harziger Geruch der Bäume und der kühle Duft verborgenen Schnees tief im lichtlosen Unterlaub. Der süßliche Gestank von faulendem Geäst. Der einsame Ruf eines Uhus. Der Geschmack von wässrigem Chai auf der Zunge.
 Er fühlte, hörte, roch und schmeckte die vergangenen Minuten in allen Zügen.
 Ja, er war es gewesen. Nun war er sicher.
 Irrsinnige Gedanken voller Zwang und Wahn, die nur einem Zweck dienten.
 Die Realität und ihre blass gewordenen Grenzen abzustecken.
 Ja, er war sich sicher. Es war nicht der Parasit gewesen.
 Er musste der Beobachter sein, um dem Lenker zu entfliehen.
 Er Javed.
 Seine unbefleckte Klinge, welche im schwachen Schein des Mondes glühte, fuhr, wie der abstürzende Schweif eines Kometen in die leicht geschwungene Schwertscheide. Obwohl die Treibjagd kurz und unblutig gewesen war, verspürte er doch diese nagende Unruhe, welche sich vibrierend durch seine Organe schwang.
 Er fühlte sich durch und durch unwohl. Unsicher nahm er die Hand von der Waffe und stützte sich auf dem Sattelknauf ab.
 Er hasste diese Waffe. Er hasste auch das Pferd. Es war nichts Persönliches, aber er fühlte sich nicht wohl auf dem Rücken dieses großen, schnaubenden Viehs. Er konnte nicht einmal reiten.
 Er hasste also das Schwert und das Pferd und diese lächerliche Kleidung in die man ihn gezwängt hatte.
 Er fühlte sich unecht. Nicht wie er selbst. Dies war nicht sein Leben. Es war alles auf "ihn" ausgerichtet.
 Dafür hasste er "ihn".
 Der Seelenfresser ruhte. Ruhte und wachte zugleich.
 Schaudernd wurde ihm die schimmernde Präsenz des nicht begreifbaren Wesens bewusst, welches parasitär auf den Grenzwegen von Körper und Geist sein Heim errichtet hatte und nun Javeds Seele für sich beanspruchte, wie es die "Veti" mit den lebensspendenden Früchten von Mutter Flora taten...

 

Fortsetzung siehe oben.

Schöne Grüße B. Rolling Eyes  Rolling Eyes  Rolling Eyes
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Beobachter
Klammeraffe


Beiträge: 617



Beitrag11.06.2012 14:43

von Beobachter
Antworten mit Zitat

Buryoku,

hier ein Überblick der Sachen, die mir beim Lesen so aufgefallen sind, vielleicht kannst du damit etwas anfangen.

Zuerst einmal: Du lieber Himmel, deine Zeichensetzung! Deine Rechtschreibung ist gut, du weißt auch, was du wie erzählen möchtest, aber deine Kommasetzung ist - entschuldige -, katastrophal und reißt somit beständig aus dem Lesefluss. Ich werde ausnahmsweise in einem Text die Kommas nicht korrigieren, sonst bin ich heute Abend noch nicht fertig, und es bringt dir auch nichts.

Was mir im ersten Absatz bereits regelrecht ins Gesicht sprang, war der inflationäre Gebrauch von Adjektiven und Vergleichen.

Zitat:
Der Tag hatte das flammenbereifte Haupt noch nicht aus seinem öligen Grab erhoben und doch zeichneten sich die ersten Konturen seines erwachenden Körpers über den gezackten Wipfeln des Wäldchens ab. Die Lider in festem Schlummer verschlossen, regte er nur vorsichtig seine feinen Glieder und tastete sich mit kindlichen, hellen Fingerspitzen in das Grau, der kalt daliegenden Landschaft hinein. Dort, wo er die Erde berührte, hinterließ er bunte Flecken die beständig, wie vergossene Farbe an Größe zunahmen und das Zwielicht von der Schattierung des Meeresgrundes immer weiter verdrängten.


Versteh mich nicht falsch. Natürlich soll man etwas so beschreiben, dass sich der Leser etwas darunter vorstellen kann, aber das hier ist ein bisschen overkill und wirkt auch verkrampft, als wolltest du auf Biegen und Brechen etwas Neuartiges schaffen, dabei ist es gerade so etwas Banales wie der Tagesanbruch.

Zitat:
Vor der ersten Helligkeit flüchtend, trieben sie ihre Pferde, in wildem Galopp auf die moosbewachsenen Stämme, zwischen denen der massive Wall der Nacht noch keinen Stein verloren hatte zu und preschten in den dunklen Forst hinein (Leerzeichen) - auf ihren Schultern, die letzte Fetzten Fetzen der nächtlichen Schwärze tragend, gleich schattengefiederten Raubvögeln.


Wieder: Bamm, bamm, bamm - du schlägst uns deine Beschreibungen so um die Ohren, dass man das Bedürfnis hat, zurückzuweichen. Natürlich willst du uns (den Leser, das unbekannte Wesen!) mitreißen, reinziehen in die Geschichte. Aber - und vielleicht ist das nur eine subjektive Einschätzung -, du übertreibst dabei, schießt über dein eigentliches Ziel hinaus.

Zitat:
Dieser wogende Moloch entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als eine laute Bande aus rauen, unrasierten Männern, gekleidet in schmutzigen Waffenröcken oder ledernes Rüstzeug und mit verbeultem Eisen behelmt.


Zitat:
Die Uniformen dieser Männer waren teilweise, nicht mehr als abgetragene Fetzen, auf denen das blaugelbe Schachbrettmuster der Technokratischen Union nur mehr wage vage zu erahnen, war.


Zitat:
Einst der kämpferische Stolz der Kruzianer Monarchie, waren sie nun, nur mehr ein Rudel Köter (Leerzeichen)- die, von der Leine gelassenen Hetzhunde der Union (Leerzeichen) - der blaugelbe Wappenfalke der Partei, welcher sich mit grellem Pfiff vom Arm seines Meisters stieß um ergiebige Beute zu schlagen.



Zitat:

[...]oder schlimmer, ihre warmen Ärsche aus den verwanzten Lacken Laken einer bezahlten Dirne schwingen zu müssen.


Zitat:
Dem seelischen Verdruss durch das Ventil der oralen Flatulenz raumschaffend,[...]


Schön, wenn jemand mit dem Begriff "Flatulenz" etwas anfangen kann. Ich konnte es nicht und habe dementsprechend eine Suchmaschine anwerfen müssen. Nun haben zwar Bücher gewissermaßen einen Lehrauftrag, aber ob das jemand, der Fantasy liest, genauso sieht und ebenso wie ich anfängt, sich schlau zu machen? Ich bezweifle das. Davon abgesehen beschreibst du gerade Söldner in all ihrer heruntergekommenen Herrlichkeit. Also lass sie rülpsen, furzen, was auch immer mit den groben Worten, die ihnen zustehen.

Rumms! Szenenwechsel, ohne Ankündigung, ohne wenigstens eine Abgrenzung. Eben noch trieben wir uns mit den Söldnern frühmorgens im Wald herum, plötzlich werden wir von ihnen weggerissen und einem Typen (?), einem Etwas (?), einem Wem-auch-immer vor die Füße geworfen. Verwirrt scrollt man hoch und runter - nein, stimmt schon. Gut, befassen wir uns mit dem "Bharten". Beim zweiten oder dritten Lesen habe ich begriffen, dass es (wahrscheinlich) ein normaler (oder nicht so normaler) Mann ist, der einen Parasiten in sich trägt, der auch "Lenker" genannt wurde. So weit, so gut, vielleicht wird das später erklärt.

Trotzdem gibt es ein paar unlogische Sachen.

Zitat:
Dem Bharten schien es, als würde er aus einem tiefen, traumlosen Schlaf erwachen.
Wo war er?
Krähenmoor, antwortete seine innere Stimme.
Und er verstand.
Bin ich es gewesen oder der Lenker?


Wenn er versteht, warum muss er nachfragen? Entweder er versteht, dann braucht es keine Fragen. Oder er versteht nicht/ist sich unsicher, dann ergibt die Frage einen Sinn.

Zitat:
»Du, Javed. (Kein Punkt bei Aussagesätzen in Gesprächen.)« sagte er sich mit fester Stimme.


Zitat:
Seine unbefleckte Klinge, welche im schwachen Schein des Mondes glühte, fuhr, wie der abstürzende Schweif eines Kometen in die leicht geschwungene Schwertscheide. Obwohl die Treibjagd kurz und unblutig gewesen war, verspürte er doch diese nagende Unruhe, welche sich vibrierend durch seine Organe schwang.
Er fühlte sich durch und durch unwohl. Unsicher nahm er die Hand von der Waffe und stützte sich auf dem Sattelknauf ab.


Und wieder tauchen Fragen auf. Er hat also an der Treibjagd teilgenommen? Warum "erwacht" er dann? Ist er gestürzt? Geflohen? Was? Und wieso kann der Mond noch glühen, wenn doch bereits bei Beginn der Jagd die Sonne langsam aufging?

Ich denke, der Text braucht noch einiges an Be- und Überarbeitung und wäre in der Werkstatt besser aufgehoben.
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Trearu
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Beiträge: 342
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Beitrag11.06.2012 18:11
Re: Jin Teil 1
von Trearu
Antworten mit Zitat

Buryoku hat Folgendes geschrieben:
Behutsam streifte die Welt ihr, mit dunkelblauen Spitzen besetztes Nachtkleid ab.
Sehr behutsam.
Der Tag hatte das flammenbereifte Haupt noch nicht aus seinem öligen Grab erhoben und doch zeichneten sich die ersten Konturen seines erwachenden Körpers über den gezackten Wipfeln des Wäldchens ab. Die Lider in festem Schlummer verschlossen, regte er nur vorsichtig seine feinen Glieder und tastete sich mit kindlichen, hellen Fingerspitzen in das Grau, der kalt daliegenden Landschaft hinein. Dort, wo er die Erde berührte, hinterließ er bunte Flecken die beständig, wie vergossene Farbe an Größe zunahmen und das  Zwielicht von der Schattierung des Meeresgrundes immer weiter verdrängten.
Dies war die Stunde der Stille.
Die Stunde der Jäger.


Es mag an meiner schwachen irrationalen Gehirnhälfte liegen, aber solch ein Anfang motiviert mich für gewöhnlich nicht zum weiterlesen.

Mit deinen "detailreichen" Schreibstiel, solltest du deinen Text auf jeden Fall Häppchenweise ins Forum stellen. Sonst verschluckt sich noch jemand.
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Buryoku
Erklärbär


Beiträge: 3



Beitrag11.06.2012 20:11

von Buryoku
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Beobachter!
Danke das du keine Mühe gescheut hast dir den Text durchzulesen. Ja das Problem mit der Interpunktion ist mein mitunter schrecklichster Schwachpunkt.
Hast du einen Plan wie man da vorankommen könnte?

Danke für die zahlreichen Tipps.

Schöne Grüße B.
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