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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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02.06.2012 22:17 Vorsicht, zerbrechlich von Enfant Terrible
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Ein Leben zu verpacken war nicht leicht. Vor allem, wenn man einhändig war.
Ihre Einhändigkeit war selbstverordnet: Während sie durch das viel zu große Zimmer hetzte, hielt sie in der Linken ohne Unterlass ihr Handy umklammert. Als würde die schwitzige Wärme ihrer Finger den Kontakt aufrecht erhalten, die Verbindung beschleunigen.
Sie hielt Wache. Was, wenn er anrief und sie hatte ihr Handy, wie immer, in irgendeine Ecke gepfeffert? Das schwache Vibrieren würde ungehört verstummen und ihr den Triumph verweigern, es bewusst zu ignorieren. Und er, er würde es als Schmollen missverstehen und von weiteren Versuchen ablassen. Dabei würde sie vielleicht sogar annehmen, irgendwann. Dass ihm Hören und Sehen verging, wenn sie ihm die Meinung sagte.
Karton oder Tüte? Ersteres war klassischer, lehrten sie Filme wie „Kramer gegen Kramer“. Vorsicht, zerbrechlich. Aber damit durch die halbe Stadt gondeln? Unbequem. Sie nahm seinetwegen ohnehin zu viel auf sich. Was musste er auch so weit weg wohnen…
„Komm am Freitag deine Sachen abholen, sonst werfe ich sie in den Müll. Und glaub ja nicht, was von mir zu bunkern.“
Also eine Tüte, aber bloß nicht in der schäbigen Anonymität ihrer Plastikform. Kantige Würde und ein Loden-Frey-Logo, das hatte Stil – und würde ein für alle Mal ihren Status festigen, als was auch immer, aber auf jeden Fall nicht die arme Kirchenmaus, die von seiner Gnade lebte, ihn ausnahm, wie er ihr vorgeworfen hatte… Endlich kam auch die Gelegenheit, ihr Kleid für den Abschlussball aus der Tüte im Kleiderschrank zu verstauen. Sie drehte den schimmernden Stoff kurz in den Händen. Darin wollte sie glänzen, mit ihm glänzen… Wen sollte sie jetzt bloß mitnehmen? Die Karten waren gekauft. Hatte er das nicht bedacht?
Nein, alles, woran er dachte, war sein Krimskrams. Ihr Zimmer als Abstellkammer zu missbrauchen unter dem Vorwand, ihr Geschenke zu machen – nun, jetzt durfte er zusehen, wo er den Krempel lagerte. Wahrscheinlich bei der Nächsten, der er den Tand als einzigartiges Präsent unterjubelte.
Sein Mantel, den er ihr bei einem Ausgehabend lässig um die Schulter geworfen hatte mit dem ebenso lässigen Satz „Jetzt gehört er dir“ – nun, das war vielleicht etwas Persönliches. Wie oft hatte sie sich in einsamen Momenten darin eingewickelt, als könnte er sie vor allem um sie beschützen. Und was für eine Plackerei, den Mantel in den Tiefen ihres Kleiderschranks zu verstecken, genau wie alles andere. So leicht war es nicht, alles zusammen zu suchen, was er ihr geschenkt hatte. Sie durfte diese Dinge gar nicht haben. Ihre Eltern wussten nichts von seiner Existenz, er wäre in ihren Augen alles andere als eine gute Partie gewesen – nun, das machte es vielleicht einfacher. So zu tun, als hätte es ihn nie in ihrem Leben gegeben. Als wäre sie all die Male, wo sie für die Treffen mit ihm Alibis gebaut hatte wie Kartenhäuser, tatsächlich bei Freundinnen gewesen.
In der Schublade welkten Schiebbudenrosen vom Oktoberfest. Zwei pinke, eine schwarze – ihr Liebling. Billiger Kitsch, ein Inbegriff für alles, was gewesen war. Kaum zu fassen, dass dies mal ihre Schätze waren, geheime Reliquien. In ihrem Schreibtischfach der größte von allen: Einer von diesen 3D-Kristallwürfeln mit einer darin eingravierten Rose und dem Schriftzug „I love you“. Ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk. Zu ihrer Geburtstagsfeier war er drei Stunden zu spät gekommen, weil er einkaufen gewesen war – Outfits für sich. Und den Kristall, hatte er später zugegeben, hatte er auch nicht extra für sie gekauft. „Ich habs geholt und aufbewahrt, bis die Frau kommt, an der ich wirklich hänge“ – oder, übersetzt, ein Staubfänger, den ihm die weiß Gott wievielte um die Ohren geworfen hatte.
Zum Schütteln war die Vorstellung, wie sie sich daran gewärmt hatte. Im Dunkeln auf dem Bett zusammengerollt, hatte sie den Kristall auf dem Nachttisch platziert, der beleuchtete Untersetzer warf Regenbogenschatten in die Leere. Ihr Altar, auf dem sie gebetet hatte – um einen Anruf, eine SMS, ein Lebenszeichen nach einem wütenden Auflegen.
Wie naiv. Es waren ihre kindischen Fantasien, die sie zu graben trug – gehüllt in seine T-Shirts, behangen mit seinem Schmuck. Der Silberring seiner Mutter – er hatte ihn gefunden und extra für sie mit einer Zahnbürste poliert. Sein Buch und sein Spiel, daran lag ihm wohl am meisten. Diese Dinge waren der Pfand gewesen, der stets ein letztes Treffen garantierte. Großzügig genug war er nie, um diese Dinge einfach ihr zu überlassen.
Ein Vibrieren erweckte ihre verkrampfte Hand zum Leben. Sie musste nicht auf das Display schauen. Sie erkannte Anrufende mit einer Art sechstem Sinn, am Klang der Vibration, an der Länge und dem Impuls des Anrufs. Er war es nicht. Sie drückte weg. Wie lange noch? Irgendetwas musste er doch zu sagen haben. Und sei es auch nur, sich zu vergewissern, ob sie wirklich kam.
Sie erinnerte sich an die Weckrufe, mit denen er sie aus grauen, verworrenen Dämmerträumen zu reißen pflegte. Es waren lange Gespräche unter Stummen: sie noch nicht wach genug, sich zu artikulieren, er in der S-Bahn auf dem Weg zu Arbeit, den Mund beschäftigt mit Kaffee oder seinem Frühstück. Ihm war langweilig.
Sein Nietenarmband. Durch ihr Ungeschick hatte es einige Stacheln eingebüßt. Einen Augenblick lang überlegte sie, neue Nieten zu kaufen und anzuschrauben. Sie wollte ihm alles in dem Zustand zurückgeben, in dem sie es bekommen hatte. So, als hätten diese Dinge ihr nie gehört, auch nicht zeitweise. So, als wäre nichts gewesen. Und damit er den Tand gleich an die Nächste weiterverschenken konnte.
Die Tüte war voll mit acht Monaten. Acht Monaten Himmel und Hölle. Wie ein Ermittler, der einen Tatort sichert, suchte sie noch ein letztes Mal ihr Zimmer ab, vergewisserte sich, dass sich nirgends eine Spur von ihm versteckt hatte. Von seinen letzten Worten beim letzten Gespräch inspiriert, riss sie ein Stück Papier aus einem Heft und kritzelte ein „Lebewohl“ darauf.
Ihr wurde klar, dass sie nicht über seine Türschwelle treten konnte – zu riskant, zu verlockend war der Gedanke, ihm um den Hals zu fallen und ihn um eine zweite Chance anzuflehen. Sie würde die Dinge seinem besten Freund überlassen. Er kampierte fast täglich bei ihm. Die Strecke war die gleiche, sie wohnten beinahe Tür an Tür. Ein weiterer Grund, warum sie die Freundschaft zu ihrem gemeinsamen Kumpel abbrechen würde. Die Vorstellung, in derselben verrauchten Wohnung zu setzen, in denen sie zusammen gesessen waren oder er alleine, in die er Frauen vor ihr gebracht hatte und bringen würde, unabhängig, was sein Freund darüber dachte …
Sie machte sich auf den Weg.
Er hatte ihr nie ihre Geschenke zurückgegeben.
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Rufina Klammeraffe
Beiträge: 693
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04.06.2012 00:28
von Rufina
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Hallo I.,
puh ... ganz schön anstrengend, ein langer innerer Monolog eben. Ich bin hier irgendwie zwiegspalten. Einerseits mag ich den Stil: locker, flott und ansatzweise frech. Andererseits fällt es mir unglaublich schwer, dranzubleiben und nicht abzuschalten. Ich kann dir leider nicht beantworten, woran es liegt. Vielleicht passiert einfach zu wenig. Und was mir definitv fehlt, ist Struktur: zu viele Auslassungspunkte (Leerzeichen davor), zu viele Gedankenstriche. Ich nehme an, dass das Absicht ist und du triffst auch den "Ton des Denkens" sehr gut, allerdings ist das nicht wirklich leserfreundlich .
Am besten gefiel mir die Stelle, wo du dann kurzzeitig über Wiederholungen Struktur reingebracht hast (oberes Drittel):
Zitat: |
– nun, jetzt durfte er zusehen, wo er den Krempel lagerte.
– nun, das war vielleicht etwas Persönliches.
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Erbsen:
Zitat: | Während sie durch das viel zu große Zimmer hetzte, hielt sie in (mit) der Linken ohne Unterlass ihr Handy umklammert. |
Zitat: | „Ich habs geholt und aufbewahrt, bis die Frau kommt, an der ich wirklich hänge“ – oder, übersetzt, ein Staubfänger, den ihm die weiß Gott wievielte (?) um die Ohren geworfen hatte. |
Viele Grüße
Rufina
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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06.06.2012 09:04
von Enfant Terrible
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Vielen Dank für deinen Kommentar, liebe Rufina, und dass du dich trotz der Hürden durch den Text gequält hast. Die chaotische Form, ebenso wie das Hin und Her im Erzählen war, wie du bereits schon erkannt hast, über weite Strecken Intention, um die innere Agonie darzustellen. Aber ob das so gelungen ist... Für mich war es ein Experiment
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Karin Leseratte
Alter: 46 Beiträge: 193
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06.06.2012 10:09
von Karin
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Schöner Text, auch wenn ich den Mittelteil streckenweise nur überflogen habe.
Der Ton der Geschichte erinnert mich (trotz des ganz anderen Themas) streckenweise sehr an 'den Gassenläufer' vom Sibirier. Das kannst du als Kompliment sehen, der Gassenläufer ist wirklich nicht schlecht. (Allerdings hätte der Sibirier wahrscheinlich nicht so viele Fehler eingebaut. Da solltest du noch mal drüber schaun.)
Worin die Gemeinsamkeiten bestehen, kann ich gar nicht so genau festmachen. Es kommt in deinem Text auch so eine Art Melancholie rüber, die ihn trotz der stinknormalen "Chic-Lit"-Situation zu etwas besonderem macht.
Allerdings würde ich so eine "Grundstimmung" nicht einen ganzen Roman lang lesen wollen. Als Einstieg für einen Roman hätte ich den Mittelteil um die Hälfte gekürzt, als abgeschlossene Kurzgeschichte könnte man es so stehen lassen.
LG Karin
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Grendel Eselsohr
G Alter: 60 Beiträge: 243
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G 13.06.2012 21:41
von Grendel
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Hallo Inko,
Deine Geschichte hat was. Der innere Monolog eignet sich sehr gut um das Auf und Ab in der Seele des enttäuschten Mädchens darzustellen. Streckenweise ist mir das allerdings sprachlich nicht genügend ausgearbeitet, das ermüdet mich beim Lesen.
Was mir auch nicht wirklich klar wird, ist der Grund für das Ende der Beziehung. War es nur seine Bemerkung, dass sie ihn ausnutzen würde? Oder habe ich etwas überlesen? Der letzte Satz irritiert mich. Warum Plusquamperfekt? Das lässt darauf schließen, dass da schon einmal eine Beziehung war, bei der damals die Geschenke nicht zurückgegeben wurden.
Insgesamt vermisse ich etwas Tiefe in den Reflexionen. Dabei kannst Du offensichtlich erzählen. Auch etwas weniger "überlegen", "sich klar werden" und Ähnliches würde dem Text meiner Meinung nach gut tun. Wenn Du mal Lust und Zeit hast, könntest Du Dir mal Artur Schnitzlers Leutnant Gustl vornehmen. Da gibt es zwar Unterschiede zur heutigen Schreibweise, aber gerade in Bezug auf inneren Monolog kann man viel aus der Novelle lernen.
Fürs Erbsenzählen bin ich heute schon zu unkonzentriert.
Gruß
Grendel
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