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Dieses Werk wurde für den kleinen Literaten nominiert Die Muschel der Nacht


 
 
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Aranka
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Beitrag16.06.2012 08:42

von Aranka
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Hallo David,

da mich diese Geschichte interessiert und beeindruckt hat, habe ich ein wenig die Diskussionen verfolgt und melde mich noch einmal. Bei meiner ersten Rückmeldung, habe ich eher meinen positiven und begeisterten Eindruck weitergegeben, ohne auf  Details einzugehen. Das will ich nun wenigstens was den Erzähler betrifft nachholen.

Du wählst einen Ich-Erzähler, was ich für diese Geschichte eine angemessene Entscheidung halte. Dieser sensible Stoff erhält dadurch vom ersten Satz an eine große Glaubhaftigkeit und auch Nähe für den Leser.
Es ist kein teilnehmender Erzähler, er bleibt als beobachtender und anteilnehmender Erzähler im Hintergrund. Finde ich auch angenehm und passend. Ich schaue mit den Augen dieses Erzählers, er öffnet mir seine Gedanken und dadurch erhält die Geschichte ihre Färbung und Wertung. Ich folge als Leser gerne einem souveränen Erzähler, aber wüsste gerne ein wenig, wem ich da so bedingungslos in diese Begegnung oder Geschichte folge.

Für mich kam dann der Satz mit den Eltern und auch, das er auf einer Durchreise ist, fast erlösend. Gut, die Eltern hätten nicht auftauchen müssen. Was ich jedoch aus dieser knappen Info für mich entnommen habe war folgendes:

Ein junger Erzähler, mit den Eltern unterwegs, Bildungselternhaus, solide, wenn nicht gehobene Verhältnisse, solides Eltern-Kind-Verhältnis. Also: das andere Ende der sozialen Erfahrungen und Bedingungen als unser Prota. Dass sich dieser junge Mann nun auf diese Begegnung einlässt, dass sie ihm überhaupt geschieht, (statt Sehenswürdigkeiten/Stranderlebnisse) spricht auch eine Sprache für sich und lässt mich so etwas wie einen besonders sensiblen und wachen Blick auf diese Welt vermuten. Alles wichtig für mich als Leser, der sich ja einlassen muss auf einen Erzähler.

Ob nun mit oder ohne Eltern (eigentlich blenden sie für mich einen nicht unwichtigen Hintergrund auf, den du sonst irgendwie anders liefern solltest), ich hätte diese Infos, es sind ja nur wenige, aber sie reichen, gerne etwas früher im Text gehabt. Nur Alter wäre mir zu wenig. Ein wenig Herkunft, damit ich den Gegensatz spüre zwischen Erzähler und Prota trug bei mir dazu bei, so Sätzen, wie der mit der Kreuzung die richtige Dimension zuzuordnen.

Auch wenn du bestimmt das Thema Ich-Erzähler schon intensiv durchdiskutiert hast, wollte ich dir meine Gedanken noch oben drauf packen.

Gruß Aranka


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Mr. Curiosity
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Beitrag16.06.2012 12:26

von Mr. Curiosity
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@Dummbold: Auch hier danke für deine nützliche, umfangreiche und konstruktive Kritik.

@Aranka: Das stimmt, die Info hätte ich früher bringen können. Guter Hinweis. Wenn ich die Geschichte nochmal überarbeite, werde ich das sicherlich in irgendeiner Weise berücksichtigen.
Danke für deine weiteren Anmerkungen smile

LG David


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"Wenn du Schriftsteller sein willst, dann sag, dass du der Beste bist ...
Aber nicht, solange es mich gibt, kapiert?! Es sei denn, du willst das draußen austragen."

(Ernest Hemingway in "Midnight in Paris")
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Akiragirl
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Beitrag16.06.2012 20:34

von Akiragirl
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Mr. Curiosity hat Folgendes geschrieben:
@Dummbold: Auch hier danke für deine nützliche, umfangreiche und konstruktive Kritik.

 Laughing  Laughing  Laughing


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toltec-head
Eselsohr
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Beitrag18.06.2012 08:12

von toltec-head
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Ich weiß nicht warum ich beim Lesen daran denken mußte, dass wir als Kinder immer unsere Big-Jim-Figuren "Jack" oder "Tom" oder so nannten. "Jack" ist ja nicht ein Name wie Fritz oder Klaus, es gibt Leute in Ami-Land, die heissen auch heute noch wirklich so. Hm... Vielleicht liegt es an der holzschnittartigen Charakterzeichnung des Autors, der seine Figur aus lauter Versatzstücken zusammenstellt, wie Kleinfritzchen sich einen "coolen" Ami vorstellt.

Wozu dann allerdings die holzschnittartige Koulisseninszenierung recht gut passt:

Zitat:
Vor dem "Ocean side walk café", dem einzigen Lokal inmitten der bunten Meile, spielte eine Band „Riders on the storm“ von „The Doors“. Eine Gruppe Alt-Hippies tanzte taumelnd davor, mit allen Farben gekleidet, die sich finden ließen, mit Hemden, weit genug, dass der Wind hindurchgreifen konnte.


Dies (und andere Stellen) haben mit der Realität von Obama-Amerika etwa so viel zu tun wie Brad Pitt mit Achilleus.

Statt "Muschel der Nacht" wäre "Szenen aus einer total-gleichgeschalteten Welt" im Übrigen der viel angemessnere Titel gewesen.

Zitat:
„Ich dacht‘ mir zu ihrem Geburtstag, reisen wir doch einfach mal hin, nach San Francisco zur ,Quelle‘ und geh‘n ihre Tante besuchen. Später ging’s an den Hafen. Wir sah’n uns vom Fisherman’s Wharf den Sonnenuntergang an. War einer der besten Momente meines Lebens. Irgendwann meinte sie zu mir, wenn es jemals ‘nen Krieg oder sowas gäb, was uns trennen würde, dann sollte der von uns, der es zuerst nach San Francisco schafft, am Fisherman’s Wharf auf den anderen warten, jeden Abend um sechs Uhr.“


So reden Menschen, die jeglichen Realitätsbezug verloren haben und denken, sie müssten 24 Stunden am Tag irgendwelche Hollywood-Filme oder Soaps nachspielen.
 
Zitat:
Kurz blieb ich noch, ließ den Blick in Richtung Meer schweifen. „Drüben“ am anderen Ende der Welt explodierte vielleicht gerade eine Bombe. Hätte Jack nicht seine Muschel, ich glaube, er könnte den Knall hören, die Erschütterung in jeder Faser seines Körpers spüren.
Ich steckte das Bild in die Brusttasche von Jacks Jacke und ließ ihn schlafen.
Am nächsten Morgen ging mein Flug zurück nach Hause.


Diese Geschichte lässt einen ähnlich unberührt zurück wie die explodierende Bombe am anderen Ende der Welt.

Und am nächsten Morgen hat man Lust endlich mal wieder ein Stück richtige Literatur zu lesen!
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Mr. Curiosity
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Beitrag18.06.2012 09:32

von Mr. Curiosity
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Nur zu deiner Information: Diese Kurzgeschichte ist biographisch. Und wer schon einmal in Venice Beach war, wird bestätigen können, dass der ganze Ort so etwas wie eine Hippie-Enklave ist.

Zitat:
Vielleicht liegt es an der holzschnittartigen Charakterzeichnung des Autors, der seine Figur aus lauter Versatzstücken zusammenstellt, wie Kleinfritzchen sich einen "coolen" Ami vorstellt.


Da kann ich echt nur den Kopf schütteln.

Ich finde deinen Kommentar völlig unreflektiert und unverschämt. Unterlasse es bitte in Zukunft, meine Texte zu kommentieren, ja?

David


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jim-knopf
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Beitrag18.06.2012 10:19

von jim-knopf
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hallo tolec head hallo mr curiosity

ihr habt beide eine pn von mir wink

gruß
roman


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Ich habe heute leider keine Signatur für dich.
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Molly Mahagonny
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Beitrag20.06.2012 02:09
hm ...
von Molly Mahagonny
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naja, sooo "unreflektiert" und "unverschämt" finde ich den toltec-kommentar gar nicht.
er lobhymnelt nicht: das ist wohl vor allem der point of knax.

ist natürlich immer schwierig (also: schwierig im sinne von riskant), zu werken was zu sagen, die "biografisch" sind. da gerät man schnell in gefahr, einem autor auf oder in's eingemachte zu treten beim kritisieren des elaborates und muss dann mit auktorialen schmerzreflexen rechnen, wenn man beispielsweise schreibt, die "biografische" "kurzgeschichte" stecke im klischeehaft bemüht pubertären phrasenmodus fest.

lg,
molly m.


_________________
We have lingered in the chambers of the sea
By sea-girls wreathed with seaweed red and brown
Till human voices wake us, and we drown.

(aus: T.S. Eliot, The Love Song of J. Alfred Prufrock)
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Aranka
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Beitrag20.06.2012 10:08

von Aranka
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Hallo David, hallo Toltec-head,

ich habe meine Meinung zur Geschichte schon kundgetan, hier möchte ich mich eher zu toltecs Kommentar und der Antwort dazu äußern.

David, ich denke du musst deinen Text nicht verteidigen. Auch ist die Aussage, er ist autobiographisch ein schwaches Argument, das du und die Geschichte nicht nötig hat. Selbst wenn sie autobiographisch ist oder zumindest im Kern autobiographisch ist, so hast du sie sprachlich gestaltet, neu geordnet, Gewichtungen im Weglassen und Hinzufügen gesetzt und es ist eine „Textwirklichkeit“ entstanden. Und nur in die trete ich als Leser ein und nur die kommentiere ich. Und das haben eine Reihe Leser getan und dir ihre Leseeindrücke vermittelt. Nun hat toltec einen ganz anderen Eindruck und teilt ihn mit. Registriere ihn als seine Lesermeinung, und die beruht auf seiner „Weltsicht“.

Toltek, und da bin ich jetzt bei dir. Du liest die Geschichte auf der Folie deiner Biographie, deiner Erfahrungen und wertest die Geschichte auf eben dieser Folie. Das mache ich natürlich auch so, und es wäre auch nicht ehrlich, wenn du im Kommentar etwas anderes schreiben würdest, als deine Einschätzung. Aber es wäre sehr wohltuend, wenn du dir bewusst wärest, dass es deine Sicht ist und das diese Sichtweise ihre Hintergründe hat und dass sie nicht richtiger ist, als jede andere Sicht auch. Du kommst nun zu diesem Schluss:

Zitat:
Diese Geschichte lässt einen ähnlich unberührt zurück wie die explodierende Bombe am anderen Ende der Welt.
Und am nächsten Morgen hat man Lust endlich mal wieder ein Stück richtige Literatur zu lesen!


Wie viel anders würde es sich anhören, wenn da stünde:

Diese Geschichte lässt MICH ähnlich unberührt zurück wie die explodierende Bombe am anderen Ende der Welt.
Und am nächsten Morgen habe ICH Lust endlich mal wieder ein Stück richtige Literatur zu lesen!

Das wäre annehmbar! Das sagt dann etwas über dich aus und was dich berührt oder nicht. Du kannst nur für DICH sprechen und nicht für MAN. Oder gibt es da eine Autorität hinter dir, die ich nicht kenne, einen Reich Ranicki hinter Toltec Maske?

Als deine ganz persönliche Meinung kann ich deinen Kommentar sehr gut nachvollziehen. Er zeigt mir eine Menge über den, der sich hinter toltec verbirgt. Du willst es sicher gar nicht alles wissen, was ich so aus dem und deinen anderen Kommentare heraus lese, aber eines sehe ich deutlich. Du versuchst sehr gerne die Welt in Schachteln zu packen. Und manchmal sind deine Schachteln mit recht verallgemeinernden Etiketten versehen und das Innenleben ist wenig „feinjustiert“.


Zitat:
Ich weiß nicht warum ich beim Lesen daran denken mußte, dass wir als Kinder immer unsere Big-Jim-Figuren "Jack" oder "Tom" oder so nannten.

Statt "Muschel der Nacht" wäre "Szenen aus einer total-gleichgeschalteten Welt" im Übrigen der viel angemessnere Titel gewesen.


Warum öffnest du bei „Jack“ deine Schachtel und lässt dich nicht einfach auf den Jack ein, den David uns vorstellt? Ich jedenfalls bin immer erst einmal bereit, dem Autor in die Welt zu folgen, die er mir eröffnet. Automatisch tritt sie in eine Korrespondenz zu meiner Welt und je nach Toleranz und Offenheit lehrt er mich vielleicht zu staunen, die Stirn zu runzeln, zu zweifeln, jedenfalls erhoffe ich mie auch immer ein wenig Erweiterung meiner Welt.

Zitat:
Zitat:„Ich dacht‘ mir zu ihrem Geburtstag, reisen wir doch einfach mal hin, nach San Francisco zur ,Quelle‘ und geh‘n ihre Tante besuchen. Später ging’s an den Hafen. Wir sah’n uns vom Fisherman’s Wharf den Sonnenuntergang an. War einer der besten Momente meines Lebens. Irgendwann meinte sie zu mir, wenn es jemals ‘nen Krieg oder sowas gäb, was uns trennen würde, dann sollte der von uns, der es zuerst nach San Francisco schafft, am Fisherman’s Wharf auf den anderen warten, jeden Abend um sechs Uhr.“

So reden Menschen, die jeglichen Realitätsbezug verloren haben und denken, sie müssten 24 Stunden am Tag irgendwelche Hollywood-Filme oder Soaps nachspielen.


Für dich ist es unvorstellbar, das Menschen und wahrscheinlich speziell „Männer“ so reden. Das glaube ich dir sogar, weiß nur nicht, wie ich das finden soll. Schade, dass du solchen Menschen noch nicht begegnet bist. Meine Elterngeneration hatten einen Krieg hinter sich und da kamen Männer aus der Gefangenschaft, die nicht nur ein Bein verloren hatten, Männer, die dann Väter wurden, die sich eine harte Schale zulegten um zu überleben, Männer die ihre Erlebnisse mit Alkohol und anderem betäuben mussten und die ihr Leben versuchten in den Griff zu kriegen. Du würdest staunen zu welchen Sätzen die fähig waren, wenn sie ihre Schäle einmal für Momente aufbrachen und ganz besonders wenn es um ihre „Liebsten“ (Frauen /Kinder) ging. Ja man könnte sagen, ganz schön sentimental, sogar ein wenig kitschig. Man könnte auch sagen: tiefe echte Gefühle und ihnen fehlt die Übung dafür Worte zu finden, also greifen sie zu „Filmvorbildern“. Ich war jedenfalls erstaunt, dass ein so junger Autor wie David, da so fein justiert hat in dieser Szene und so fein hingehört hat. Warum schreibe ich das hier so ausführlich? Ich wollte dir , toltec, nur bewusst machen, dass dein Erfahrungshintergrund ein an deine Person gebundener ist. Vielleicht könntest du ihn erweitern, wenn du deine Schachteln einmal verlässt und einen liebevoll toleranten Blick zulässt auf die vielen Spielarten Mensch, die diese Schöpfung zu bieten hat.

An der Stelle noch ein Satz zur Glaubwürdigkeit des Autors, hier Ich-Erzähler. Als Leser bin ich darauf angewiesen, denn ich folge ihm erst einmal bedingungslos in seine „Textwelt“. Darum hätte ich mir diesen einfachen Satz, dass er mit den Eltern unterwegs ist, auch etwas früher gewünscht und ich finde diesen Satz imens wichtig. Ich habe einen jungen Ich-Erzähler, der auf eine ihm fremde Welt und einen ganz besonderen Menschen trifft. Er ist beeindruckt von allem. Er lässt sich hineinholen inJacks Welt und nun wieder zu Haue, wo die Kreuzungen überschaubar sind, erzählt er immer noch überwältig von seiner Ferienbegegnung. Er klappt mir hier die Folie auf, auf der ich lesen kann. Das ist eine so ehrliche Geschichte und ich begegne hier einem so authentischen Erzähler, das ich auch darin eine große Textqualität sehe.

Ich kann nicht überprüfen, ob die geschilderte Szenerie mit der „Wirklichkeit“ übereinstimmt. Ich sehe sie mit den Augen des Ich-Erzählers. Vielleicht würde ich sie, wenn ich dort wäre total anders beschreiben. Aber das ist für diese Geschichte nicht wichtig. Diese Textwirklichkeit ist die des Erzählers und der hat sich mir als Leser deutlich zu erkennen gegeben. Ich kann dieser Textwirklichkeit vertrauen. Ich bin Handke-Leserin von jung an und das habe ich an ihm und vielen großen Erzählern immer sehr geschätzt, dass sie sich zu erkennen geben und keine Zweifel an dem Blick lassen, den sie auf das Stück erzählte Welt werfen. Dann bin ich ihnen gerne in ihre Wirklichkeit gefolt und fühlte mich meist bereichert. Erzählte Welt bildet nicht 1 zu 1 ab. Sie erweitert.

Ich hatte hier durchaus das Gefühl, dass hier ein Erzähler sich seiner Verantwortung als Erzähler durchaus bewusst ist. Kämest du, wenn du einmal versuchen würdest mit dem Blick des Erzählers in diese Begegnung zu gehen, zu anderen Erkenntnissen?????

Also, kurzes Fazit: Toltec, was du sagst ist für dich und deine Leseweise vollkommen in Ordnung, du solltest es nur auch als deine Meinung kennzeichnen. David, du solltest es als das lesen, was es ist: eine Lesermeinung.

Nichts kann einer guten, aufrichtigen Geschichte etwas anhaben. Sie haben eine zähe Seele und es ist immer eher die Seele des Autors, die sich getroffen fühlt. Aber wenn du schon so mutig bist, mit einer solch persönlichen Geschichte nach außen zu treten, dann halte es einfach aus.

Ganz liebe Grüße euch beiden Aranka.


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Mr. Curiosity
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Der goldene Käfig


Beitrag20.06.2012 12:48

von Mr. Curiosity
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Zitat:
naja, sooo "unreflektiert" und "unverschämt" finde ich den toltec-kommentar gar nicht.
er lobhymnelt nicht: das ist wohl vor allem der point of knax.


Das musste ja kommen ...
Nein, das ist nicht der Punkt. Es gab auch schon andere kritische Meldungen. Die nahm ich aber dankbar entgegen, weil sie angemessen formuliert waren. In anderen Threads verhielt es sich ähnlich. Da wurde ich Kritikern gegenüber auch nicht ausfallend.
Ist es denn notwendig, mich als "Kleinfritzchen" und Jack als Typen mit Realitätsverlust der in Soap-Operas und Hollywood-Filmen lebe zu bezeichnen? Stattdessen könnte man genausogut einfach schreiben: "Meiner Meinung nach ist die Darstellung von Jack etwas klischeehaft geraten. Ein weniger naiver Blick hätte dieser Geschichte denke ich gut getan."
Selber Inhalt, aber netter formuliert. Hätte ich kein Problem mit.
Auch bin ich sehr über toltecs Kommentar verwirrt, weil er sich an früherer Stelle schon einmal in diesem Thread meldete und einen durchweg positiven Kommentar hinterließ.
Vielleicht fehlt mir der nötige Abstand, vielleicht habe ich impulsiv reagiert, aber dennoch .. es geht mir um den Ton, der verallgemeinernd klingt.

Ich weiß, es wird ständig gesagt, als Schreiber müsste man eine Menge aushalten. Ich sehe aber keinen Grund, warum es nötig ist, Kritiken möglichst zynisch und herablassend zu formulieren.
Zitat:

David, ich denke du musst deinen Text nicht verteidigen. Auch ist die Aussage, er ist autobiographisch ein schwaches Argument, das du und die Geschichte nicht nötig hat. Selbst wenn sie autobiographisch ist oder zumindest im Kern autobiographisch ist, so hast du sie sprachlich gestaltet, neu geordnet, Gewichtungen im Weglassen und Hinzufügen gesetzt und es ist eine „Textwirklichkeit“ entstanden.


Normalerweise würde ich dem zu 100% zustimmen. Ich denke aber, man muss schon relativieren. Wenn ich eine Geschichte lesen würde, in der ich eine Figur als klischeehaft empfände, würde sich dieser Kritikpunkt für mich auflösen, wenn ich wüsste, der Text ist biographisch. Wobei ich Jack überhaupt kein bisschen als Klischee empfand, denn er ist doch alles andere als das, was man als den "coolen Ami" bezeichnen würde. Wie sollte ich die Charakterzeichnung einer real existierenden Person kritisieren? Da könnte ich höchstens auf die handwerkliche Ebene gehen.  
Ob mir die Figur sympathisch ist, ist eine andere Sache, das ist subjektiv und hätte in einer Kritik nur peripheren Status.

Ansonsten danke ich dir für deinen wieder einmal sehr ausführlichen Kommentar. Toll!

LG David


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toltec-head
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Beitrag20.06.2012 22:16

von toltec-head
Antworten mit Zitat

Aranka, es liest nicht nur jeder mit eigenen Augen. Die Augen sind auch noch von Tag zu Tag verschieden. Eine objektive Textkritik kann es nicht geben. Von Leuten von Profession darf man wohl erwarten, dass sie zumindest den Anschein einer solchen erwecken. Ich stehe jedoch zu meinem Dilletantismus.
 
Mir war gestern nach intensiverer Lektüre (das erste Mal hatte ich den Text nur überflogen) das Klischeehafte einiger Orts- und Personenbeschreibungen aufgefallen und ich hatte mich dann zu einer Kritik hinreissen lassen, die ich heute nach nochmaliger Lektüre auch des Quelltexts weder in der Sache noch von den Formulierungen her für angemessen empfinde.

Hierfür möchte ich mich bei Dir, David, ausdrücklich entschuldigen. Allerdings störe ich mich nach wie vor an dem, was man einen "white upper middle class kid" Blick auf Drogen- und Aussteigertum nennen könnte, den Du mit wie ich finde teilweiser hollywoodesker Staffage in Szene setzt. Ich hätte mir zumindest einige ironische Brechungen gewünscht. Dies ist zwar zugegebener Maßen bei der von Dir gewählten Form einer Ich-Erzählung schwierig. Aber Autor und Ich-Erzähler sind zweierlei. Ein Autor kann sich nicht unter Berufung auf seinen Icherzähler herausreden, wenn sein Text stellenweise doch sehr naiv und arg klischeehaltig wirkt.

Der Fänger im Roggen von Salinger ist ein gutes Beispiel dafür wie ein Autor Sichtweisen seines (allzu naiven) Ich-Erzählers unterlaufen kann. Die Dekonstruktion gar des Icherzählers durch seinen Autoren als hohe Kunst findet sich bei Nabokov.

Leider lese ich sowohl aus Arankas als auch aus Davids Kommentaren eine Gleichsetzung zwischen Autor und Icherzähler heraus, die ich für absolut unzulässig halte.

Die mangelnde Distanz zwischen einem Autor und seinem Icherzähler ist bereits als solcher für mich ein gewichtiger Kritikgrund.

LG Toltec
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Aranka
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Beitrag20.06.2012 23:04

von Aranka
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Hallo Toltec,
deine Antwort freut mich. Manchmal braucht man einen zweiten Blick und den hast du dir und uns nun gegönnt. Finde ich sehr nett. Und die Geschichte hat das auch verdient.
Ich weiß sehr wohl ein LI und einen Ich -Erzähler vom Autor zu trennen. Aber der Ich-Erzähler zeigt sich hier als junger Mann auf einer Reise mit den Eltern. Ich schaue also mit seinen Augen und habe auch Jack bewusst durch den Blick dieses Ich-Erzählers wahrgenommen und fand ihn sensibel und glaubwürdig. Aber das ist eben meine Leseweise und ich bin mir darüber sehr bewusst.
Du hast Recht, der Autor verantwortet natürlich seinen Ich-Erzähler. Erst später im Kommentar weist David auf den autobiographischen Hintergrund hin, was beim Lesen für mich nicht relevant war.
Sag, ist es nicht ganz schön, dass wir hier alle ein wenig unterschiedlich unterwegs sind und wir dennoch miteinander in ein vernünftiges Gespräch kommen.
Liebe Grüße Aranka


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toltec-head
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Beitrag20.06.2012 23:15

von toltec-head
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Aranka, doch ich finde das auch schön: Mehrstimmigkeit. Darf ruhig auch kakophon und ein wenig unvernünftig sein. Schließlich darf Obermacho Hegel nicht das letzte Wort behalten.

Wünsche mir Mehrstimmigkeit übrigens nicht nur für ein Forum oder einen Thread sondern sogar für den Text ein und desselben Autors.

Vermisse das ein wenig bei Davids Text.

Wie Jack wohl unseren Ich-Erzähler gesehen hat?

Gute Nacht!
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Mr. Curiosity
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Beitrag21.06.2012 12:11

von Mr. Curiosity
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Zitat:
Allerdings störe ich mich nach wie vor an dem, was man einen "white upper middle class kid" Blick auf Drogen- und Aussteigertum nennen könnte, den Du mit wie ich finde teilweiser hollywoodesker Staffage in Szene setzt. Ich hätte mir zumindest einige ironische Brechungen gewünscht. Dies ist zwar zugegebener Maßen bei der von Dir gewählten Form einer Ich-Erzählung schwierig. Aber Autor und Ich-Erzähler sind zweierlei. Ein Autor kann sich nicht unter Berufung auf seinen Icherzähler herausreden, wenn sein Text stellenweise doch sehr naiv und arg klischeehaltig wirkt.


Naja, was soll man machen? Jack war halt so. Und er war auch kein Aussteiger, sondern ein Veteran, der nicht mehr auf die Beine kam. Äußerlich mochte er das Klischee des coolen Amis bedienen, aber dieses Bild wurde doch ziemlich gebrochen. Das habe ich hier zwar nicht ironisch aufbereitet, aber als ein Klischee sehe ich die Figur nicht. Ohnehin - und das geht nicht  speziellgegen dich - kriege ich immer öfter die Forderung mit, dass pures Gefühl mit Ironie aufgewogen werden müsse. Diese Entwicklung sehe ich persönlich mit Argwohn. Und warum eine Geschichte verfälschen, wenn sie sich so zugetragen hat?
Es ist witzig, dass du Hollywood ansprichst, liegt dieses doch gar nicht weit von Venice Beach entfernt. Wenn man Venice Beach mal besucht, fühlt man sich tatsächlich in die 70er zurückversetzt. Der Ort ist je nach Stimmung entweder unangenehm künstlich, nostalgisch oder sogar authentisch.
Hippies, Aussteiger, Wracks .. dieser Teil L.A.'s wird von verdammt skurilen Gestalten bevölkert. Man glaubt es erst, wenn man mal dort war.
Ich habe sogar Bilder davon. Vielleicht stelle ich sie irgendwann mal rein. Durch google finde ich gerade nichts Brauchbares.

Finde unterschiedliche Meinungen auch interessant.

LG David


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Beitrag21.06.2012 20:46

von toltec-head
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Zitat:
Ohnehin - und das geht nicht speziellgegen dich - kriege ich immer öfter die Forderung mit, dass pures Gefühl mit Ironie aufgewogen werden müsse. Diese Entwicklung sehe ich persönlich mit Argwohn.


Zwangsironiker sind schrecklich, da geb ich Dir recht. "Pures Gefühl" - so was ruft in mir sofort den Zwangsironiker auf den Plan. Patt.
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Aranka
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Beitrag21.06.2012 23:35

von Aranka
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Hallo David, hallo Toltec!
Interessante Gedankengänge. Mit wachsendem Alter genieße ich die Ironie immer feiner dosiert und stehe ihr immer kritischer gegenüber. Sie hat etwas sehr Elastisches. Mischt sich vielleicht deshalb so gern zwischen die Gefühle oder die heikleren Themen. Aber sehr belastbar finde ich das gummiähnliche Material nicht. Bei Dauerbelastung/ -anwendung leiert es schwer aus. Was ist gegen Gefühle einzuwenden? Vielleicht ist es ja eine Frage der Dosierung und der Balance. Die Ironie, ist sie nicht manchmal nur ein Ausweichen? Es sind Fragen. Suche seit einer Weile schon nach ehrlichen Antworten für mich und auch fürs Schreiben.
Euch eine gute Nacht. Aranaka


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Beitrag21.06.2012 23:48

von Mr. Curiosity
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Ich habe generell eigentlich gar nichts gegen Ironie. Ich finde nur, man muss mit ihr aufpassen. Häufig wird sie als "Schutzmauer" benutzt. Sowas merkt man leider sehr schnell. Interessanter Anreiz für mich, mal etwas mit ironischer Note zu schreiben. Hab ich noch nie probiert.

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Gast







Beitrag05.07.2012 20:26

von Gast
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Wer ja auch Jack hieß, war Kerouac.

Und Mr. Curiosity erweist sich hier als getreuer Schüler: Ich bin immer unterwegs, ich gehe immer weiter, ich besuche den weitest entfernten Winkel meines Landes und spreche mit ihm. Der Wind und die See und die Muscheln und die sternenübersäten Wüstennächte sprechen zu mir. Der Whiskey und die Indianer und die Flötentöne und die Felsen der Sierra und die verwundeten Kriegsheimkehrer, ich hab sie alle getroffen und sie haben mir alle gesagt, was sie vom Menschsein wissen.

Es gehört zirka ins Jahr 1962 und es gehört in die USA. Ein deutscher Student im Jahr 2012 und ein Amerikaner mit Armyjacke, der irgendwann mal einen Liquor Store mit paar Kumpels ausrauben wollte, wissen was von der Welt. Beide was Verschiedenes, aber eigentlich weiß der eine nicht besser Bescheid als der andere. Und möge uns bitte der Amerikaner das erzählen, was er weiß - und der deutsche Student, das, was er kennt.

Zitat:
Jack nahm seine alte Sporttasche und wanderte an der Dämmerung vorbei...

Also vermutlich aus dem Tag in den Tag, aus dem Licht ins Licht. Das Licht im Innern der Muschel der Nacht. Let's call it Poetry.

Zitat:
...überall diese Störfrequenz, durch die verzerrt die Vergangenheit drang.

Bin ja leicht erstaunt, dass unser Erzähler diesen Jack in so kurzer Zeit so genau kennen lernen konnte, dass er sogar weiß, was der innerlich für Hör-Erlebnisse hat.
Aber: Eine Störfrequenz ist eine Störung. Vergangenheit ist an sich keine Frequenz, but let's call it Poetry. Jedoch: Wie ist das, wenn eine Störfrequenz von einer Störung durchdrungen wird?

Zitat:
Das Rauschen verzerrte die Stimmen zu Echoloten, Gitarren wurden zu Sonaren. Jack erbebte, wenn sie jeden Muskel seines Körpers durchdrangen.

Ich schließe: Die Gitarrentöne von Kurt Cobain haben was gesucht. (War der eigentlich Gitarrist? Rock Lexikon sagt ja, er war.) Kurts oder Jacks Sonar war dann allerdings das erste, wo die von den Tönen Getroffenen und sie Zurückstrahlenden was von Aufprall und Eindringen gespürt haben. (Zurückwarfen, nicht durchdrangen, sonst ist's Essig mit dem Echolot.)

Zitat:
Sie fanden ihn nicht.

Okay. Es steht ja da. Sie fanden ihn nicht, weil sie durch ihn durchdrangen und einfach weiter flogen, diese Suchtöne. Allerdings nicht, ohne ihm dabei weh zu tun.

Zitat:
Stille so tief wie die Muschel.

Welche Muscheln sind denn besonders tief? Kenne mich da leider gar nicht aus. Austern schon mal nicht.

Zitat:
Am Ausgang der Nacht war nichts von seinem Ich geblieben.

Ist der Ausgang von der Nacht derselbe wie der Eingang? Oder habe ich das eher so zu verstehen, dass er, an der Dämmerung seitlich vorbei, stracks in die Nacht reingegangen ist, an dem Eingang von der, und jetzt schon ganz durch ist und daher am Ausgang?

Zitat:
Die Sonne löste ihn auf in der Hitze.

Aha. Man kriegt ja hier auf jede Frage eine Antwort. Es ist mittlerweile also wieder Tag geworden. Bloß woher weiß der Erzähler das alles? Wo er Kontakt zu diesem Jack doch nur im Verlauf eines einzigen Tages hatte. (Oder bilde ich mir das bloß ein?)

Zitat:
Selbst, wenn er die Muschel hätte zersplittern wollen, ihm fehlten die Hände.

Zum Glück, an Muscheln kann man sich ganz eklig schneiden. Zum Zersplittern nimmt man besser Steine, Zangen und Hämmer.

Zitat:
Doch keiner der Bewohner von Venice Beach kam jemals auf die Idee, sich Schuhe anzuziehen, und wenn, so höchstens die von den Kleidungsständen, die vielleicht ein paar Wochen hielten.

Okay, vielleicht nicht mit Jack zusammen, aber doch in Venice Beach war unser Berichterstatter etliche Wochen. In welchen die Stände zwar noch zusammenhielten, nicht aber die an denselben verkauften Schlappen.

Zitat:
Eine Gruppe Alt-Hippies tanzte taumelnd, mit allen Farben gekleidet, die sich finden ließen.

Besser wohl „in“ alle Farben gekleidet. Und Farben, besieht man's sich genauer, lassen sich gar nicht mal so viele finden. Jedenfalls nicht auf dem Kleidermarkt für Alt-Hippies.

Zitat:
Hier hatte ich Jack das erste Mal getroffen. Ich hielt mich nur für zwei Tage in L.A. auf.

Somit klingt „ihn das erste Mal getroffen“ an dieser Stelle etwas unglücklich. Man kommt gleich auf die Idee, sie hätten nachher wochenlangen Umgang gehabt, aber das stimmt nicht. Zwei Tage und kein Billigschlappen zerfiel. In sechs hätten sie das aber getan, steht fest.

Zitat:
...sagte er mit zigarettenrauher Stimme.

Zigaretten sind ja gar nicht rau, die sind meist hübsch glatt. „mit rauchiger Stimme“ hätte sich angeboten. Oder „verrauchter“.

Zitat:
Was diese Muschel sei, wollte ich wissen.

Was diese Muschel wäre, hätte ich gefragt.

Zitat:
Das könnte ich mir aussuchen, was „diese Muschel“ ist, antwortete er.

Das könne ich mir aussuchen, was die Muschel sei, hätte ich geschrieben.

Zitat:
„Wenn man genug Erinnerungen hat, braucht man nicht viel Gepäck“, sagte Jack. „Wie meinst du das?“

Das hätte ich jetzt nicht gefragt. Ich hätte gar nichts gesagt, ihn von dieser Sekunde an aber für einen harmlosen Fall von Schwätzer gehalten, der sich gern mal in einem Schwarzen-Serie-Film oder in einem Kerouac-Roman vorkommen gesehen hätte.

Zitat:
...ganzer Oberkörper mit Narben übersät... die meisten genau über den Rippenknochen ... zwei lagen dazwischen.

Um die Frage weiter oben zu beantworten, was der Unterschied besagen soll: Die Stiche (oder Schüsse), die auf den Knochen landeten, waren nicht so schlimm, die zwei aber, sie schlitzten lebenswichtige Organe, Lunge, Herz, Aorta, so was. Wobei die Schlussfolgerung nicht hieb- und stichfest ist, denn auch die an den Rippen könnten dieselben grauslig zersplittert und in die genannten Organe getrieben haben.

Zitat:
Ich versuchte nicht zu zeigen, wie erstaunt ich war, denn noch wusste ich nicht die Geschichte dahinter.

Der Logikgehalt des Wortes „denn“ bleibt unerfindlich.

Zitat:
„Wenn ich in den Spiegel schau, erkenn ich quasi mein ganzes Leben.“

Sein eigenes Leben sollte schon auch jeder wiedererkennen, wenn er ihm mal wo begegnet. Dennoch hätte ich „sehe“ geschrieben.

Zitat:
Die hier sind von einer Messerstecherei auf einem Wall-Mart Parkplatz.

Wal-Mart also, nicht Liquor Store. Und auch den Überfall hab ich bloß zusammenfantasiert. Wal-Mart aber ohne zweites l. (Übrigens die größte Handelskette der Welt, macht pro Jahr mehr Umsatz, als zig kleinere Staaten Regierungsbudget haben.)

Zitat:
„Für ‚unser Land‘ … Ich bin durchgedreht.“

Letztlich geht's in diesen Kerouac-Büchern immer um „unser Land“, die Suche nach dem Ort, wo sich das wirklich echte „unsere Land“ mittlerweile hinverkrümelt hat. Nee, es geht nicht ums Durchziehen von irgendwas, um irgendwelche Weibergeschichten oder so, das ist nur die Oberfläche, was wirklich zählt, ist „unser Land“. Und Mr. Curiosity hat das geschnallt.

Zitat:
Kannste dir vorstellen, dass Langeweile einen echt verrückt machen kann, also ich meine wirklich verrückt?

Wobei: Ginge das, an dieser Stelle mal einzuwerfen, dass bei so einer Textmenge eine Irgendwie-Handlung schon auch mal nett gewesen wäre? Nicht immer nur Porträt und Herumunken aus einem abenteuerlichen Leben heraus.

Zitat:
Kann mich nur erinnern, dass sein Großvater einer der ,Windtalkers‘ war.

Nur so nebenbei: Um was über die Geschichten der Navajos zu erfahren, sind die Krimis von Tony Hillerman ganz nützlich.

Zitat:
Was er jagen würde, hab ich ihn gefragt. Jack öffnete bedeutungsvoll seine Augen und flüsterte: „Erinnerungen.“

Indianer sind immer gut für „bedeutungsvolle Philosophie“. Zur Not und im Minutenkondensat kriegen wir das aber auch von einem Geister-Fernfahrer in einem Tom-Waits-Song erzählt.

Zitat:
Zum Vorschein kam das Tattoo eines Hafenschildes.

Was ist eigentlich ein „Hafenschild“? Besitzt Wilhelmshaven auch eines?

Zitat:
Da hatte sie manchmal tagelang ständig Schokolade um den Mund und hat nach nichts anderem geschmeckt.

So was machen die Amerikaner gern. Eine Figur, von der man nur erfährt, dass sie dauernd schokaladenverschmiert rumlief. Das liest man nicht alle Tage, ist unterhaltsam, belegt, dass der Autor Vorstellungsgabe besitzt. Und man weiß sofort, was die da für ein Mensch war.

Zitat:
Irgendwann meinte sie zu mir, wenn es jemals ‘nen Krieg oder sowas gäb, dann sollte der von uns, der es zuerst nach San Francisco schafft, am Fisherman’s Wharf auf den anderen warten.

War das nicht „The Book of Eli“ mit Denzel Washington, wo der sich nach dem Atomkrieg quer durchs Endzeitland nach San Francisco durchschlagen musste? Das Buch (Book) ist dann die Bibel gewesen. Die fehlt hier noch; in den USA rettet einen notfalls die Bibel immer noch, wenn sonst gar nichts mehr.

Zitat:
Nur noch fliegende Schatten waren die Skater vor dem orangenen Himmel über dem Horizont.

Bei mir würde entweder der Himmel oder aber der Horizont gestrichen.

Zitat:
Fast glaubte ich, wir wären beide auf dem Weg ins Innere der Muschel.

Aber nur fast.

Zitat:
Man traf hier viele Obdachlose, die meisten davon Träumer, die ihre Muschel nicht mehr verließen. Jack war keiner dieser Hippies, hatte aber auch nichts gegen sie.

Eine Nachmittagsunterhaltung und er kennt sich voll aus in Venice. Jeder Schläfer ist in seiner jeweiligen Muschel eingeschlossen. Jeder Schläfer ist ein Hippie. Jack hat nichts gegen Hippies.

Zitat:
Nach wenigen Minuten hatte er meine halbe Pizza gegessen.

Also die Hälfte von der halben, die er mitgenommen hat. Also eine Viertelpizza. Schaffe ich auch in wenigen Minuten.
Außerdem ist es an diesem Strand und in dieser Nacht ja auch so:
Zitat:
Hier gab es keine Zeit.


Zitat:
Erinnerung an Angst und Müdigkeit, die an ihm geklebt hatten, wie der Sand und Staub... Das Feuer.

Vor „wie“ kommt kein Komma. Außerdem ist es Getue. Ich schreib euch jetzt paar dramatische Worte hin und ihr denkt nachher vielleicht, ich hätte eine finstere Geschichte erzählt.

Zitat:
Eine halbe Stunde später war er so tief in die Muschel der Nacht gewandert, keines seiner Worte konnte ich noch hören, so sehr ich es auch versuchte.

Hören schon. Bloß nicht verstehen. Sonst waren es keine „Worte“.

Zitat:
Etwas löste sich aus der Umklammerung seiner Finger. Als ich es aus dem warmen Sand zog, erkannte ich das Bild seiner früheren Freundin.

Wie im US-Film. Da machen sie es auch immer so. Es ist sein kostbarster Besitz, er schleppt es immer rum und hat es in einer Extra-Schatulle mit einem Gummi drum. Und man muss sehr darauf achten, wenn man es in die Hand bekommt, der Wind darf es nicht wegreißen. Aber da knallt er sich mit Whiskey zu und hat es in der Hand und jeder kann es wegreißen. Das machen die, damit dieses ganz wichtige Schlüsselmotiv noch mal zu sehen ist für den Zuschauer, dass der sich das nicht etwa ganz alleine noch einmal denken müsste. „Rosebud! Rosebud!“

Zitat:
Ich hatte Gegenden gesehen, in denen Kreuzungen nicht einfach Kreuzungen waren, wie dort, wo ich herkam, sondern wo man das Gefühl hatte, sie wären Orte von Entscheidungen, die das ganze Leben verändern. An welcher Kreuzung hatten sie sich getrennt?

Tja. Wer's mag... Ich mag's nicht. Wo wir hier so superamerikanisch sind mit diesen ewig langen Highways ins Nichts, mit dem Philosophie-Aufladen von diesen Kreuzungen immer, wo man dem Teufel seine Seele verkauft, um den Blues spielen zu können - und nachher wird dann ein Film drüber gedreht, da mag das schon mal angehen. Aber stimmt es denn? Haben die sich je irgendwo irgendwann „getrennt“? Wir wissen es nicht. Ich persönlich hätte vermutet, dass Jack eines Tages einfach weitergezogen ist. Und nach zehn anderen Frauen kam ihm die Idee, dass die hier die wahre Eine war. Und dann ist er nach „Fisherman's Wharf“ und hat erwartet, dass sie das auch so sieht. Wie in diesen „Harry&Sally“-Filmen immer. Da rennen die sekundengenau zum selben bedeutsamen Ort, wenn die Reue sie überkommt.

Zitat:
Am anderen Ende der Welt explodierte vielleicht gerade eine Bombe. Hätte Jack nicht seine Muschel, er könnte den Knall hören, die Erschütterung in jeder Faser seines Körpers spüren.

Okay. Über Fukushima explodiert eine A-Bombe. Mr. Curiosity, an der Westküste der USA stehend, kriegt davon null und gar nichts mit. Aber Jack, der mysteriöse Jack, der spürt so was dann sofort, wenn es passiert. Das heißt, nein, Jack, er spürt es auch nicht. Weil Jack, der sitzt in einer Muschel gefangen, da spürt er dann nicht mehr so viel, von dem was heute noch abgeht, der lebt in der Erinnerung. Aber wenn das nicht so wäre, wenn er ohne Muschel wäre, dann würde Jack diese Bombe in Japan auf jeden Fall spüren.
So einer war der nämlich.
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Mr. Curiosity
Exposéadler

Alter: 35
Beiträge: 2545
Wohnort: Köln
Der goldene Käfig


Beitrag05.07.2012 20:47

von Mr. Curiosity
Antworten mit Zitat

Lieber Dominik Klama,

ich freue mich, dass der Text dich belustigte, und dir eine Möglichkeit bot, dir die Zeit zu vertreiben.

LG David


_________________


"Wenn du Schriftsteller sein willst, dann sag, dass du der Beste bist ...
Aber nicht, solange es mich gibt, kapiert?! Es sei denn, du willst das draußen austragen."

(Ernest Hemingway in "Midnight in Paris")
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