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Station 8, Zimmer 217


 
 
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Nathaniel
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Ei 7


Beitrag13.03.2012 21:04
Station 8, Zimmer 217
von Nathaniel
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So, ich hätte da mal eine Frage.
Wie gehe ich am besten mit, sagen wir mal, "abstrakten" Texten um?
(Perspektive, Verwendung von Personalpronomen etc.)
Habe natürlich ein Textbeispiel zum Kritisieren dabei:


Station 8, Zimmer 217

Im Krankenhaus drehte Sie das laminierte Pappschild, am Fußende des Bettes angebracht, ins fahle Mondlicht; betrachtete erst dieses, dann das Mädchen. Es war gerade einmal sechs Jahre alt. So stand es dort geschrieben, gleich hinter dem Namen: N., Sophia. Glücklicherweise schlief das Mädchen. Sie hätte es wahrscheinlich nicht ertragen, in sein fragendes Gesicht zu sehen, verzerrt vom Schmerz. Warum?, würde es fragen. Und eine Antwort bliebe aus. Das Warum würde sich nur auf den Schmerz beziehen. Sophia wusste nichts vom Ausmaß ihrer Krankheit, verstand nicht, dass man daran starb, wenn sie schon so weit fortgeschritten war. Jetzt lag sie da und wurde von unruhigen Träumen geplagt.

Das Mädchen lag auf der Seite, im Mondschein konnte man sein Portrait gut erkennen. Jeder hätte es unter anderen Umständen als schön bezeichnet und bewundert, doch jetzt sah es blass aus. Schweißtröpfchen flossen die Schläfe entlang und Speichel rann aus dem halb geöffneten Mund.
Die Hand, auf der das Kind lag, war zu einer kleinen, weißen Faust vor dem Gesicht zusammengekrampft. Die regelmäßigen Hustanfälle wurden von ihrem Zucken begleitet. Zwischen Daumen und Zeigefinger sammelte sich Schleim. Um diesen abzuwischen lag ein Tuch neben dem Bett auf dem Nachttisch bereit. Es war leicht rot gefärbt und sollte am nächsten Morgen ausgewechselt werden.
Der andere Arm lag über dem Betttuch. Eine Infusionsnadel war dort angebracht worden, um Sophia zu ernähren. Sie fühlte sich zu schwach und zu müde zum Essen, konnte sich gerade so aufrichten. Aber Nahrung brauchte sie. Die Decke verdeckte den Rest des kleinen Körpers.
Sie verspürte Mitleid mit Sophia. Man hatte es erst für eine Erkältung gehalten, Fieber und Husten. Doch später, als es schlimmer wurde, nicht aufhören wollte, das Mädchen anfing, Blut zu spucken, war man misstrauisch geworden. Viel zu spät. Die Krankheitserreger wuren eindeutig identifiziert.

Sie schüttelte sich, wandte ihren Blick von Sophia ab. Niemand wusste, wie die Krankheit übertragen worden war, also hatte man Sie dafür verantwortlich gemacht. Da, seht Sie euch an, wie kann man einem Kind, einem unschuldigen Kind, so etwas nur antun! Keiner interessierte sich wirklich für das Mädchen selbst, sie wollten alle nur die Ungerechtigkeit hervorheben. Ihnen stand die Frage genauso im Gesicht: Warum?
Im Spiegel, der neben dem Bett hing, sah Sie in ihr eigenes Gesicht. Dort fragte keiner. Da liefen die Wangen nur die Tränen hinab, die Sie um das Mädchen vergoss. Und um die Menschen, die ihr Mitleid zur Anklage ausnutzten, die immer die Antwort auf dieselbe Frage forderten. Ärzte, die Reporter, die den Fall in den Zeitungen veröffentlicht und hochgeschaukelt hatten, die Statistiker, die bald ein neues Todesopfer zu ihren Zahlen addieren würden, die Eltern der Freunde, die sich um ihre eigenen Kinder sorgten, der Vater des Mädchens.

Sie unterbrach ihre Gedanken. Nein! Da gab es noch jemanden. Sophies Mutter war heimlich aus dem Haus geschlichen und in die örtliche Kirche, die sie sonst nur an Ostern und Weihnachten besuchte. Dort hatte sie eine Kerze angesteckt und sprach nun auf den Knien ein flehentliches Gebet. Sie betete für ihr Kind.

Im Krankenhaus stand Sie immer noch vor dem Bett, betrachtete wieder das Mädchen, das ein Hustenkrampf schüttelte, blutigen Schleim spuckend. Jemand legte Seine Hand auf Ihre Schulter. Ohne hinzusehen erkannte Sie Ihn als Ihren Sohn. Komm, Wir gehen, sagte Er. Sie nickte.
Vorher beugte Sie sich über Sophie und legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie fühlte sich warm an. Die Berührung ließ das Mädchen kurz im Schlaf zusammenzucken, dann entspannte es sich. Seine Atmung wurde ruhiger.
Sie drehte sich um und verschwand mit Ihrem Sohn aus dem Zimmer. Die dritte Person verweilte und passte auf das zarte Geschöpf auf, unbemerkt von allen anderen. Außer dem Mädchen selbst, es schlief ruhig und hustete kein einziges Mal mehr, bis es von den ersten Sonnenstrahlen, die durch das Fenster in das Krankenzimmer fielen, geweckt wurde.



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Karl W.
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Alter: 35
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K
Beitrag14.03.2012 04:41

von Karl W.
Antworten mit Zitat

Ich weiß nicht ganz was du mit 'abstrakten' Texten meinst... komplexe Gedanken lassen sich dem Leser - wenn man sie denn überhaupt so explizit zu Sprache bringen will - mithilfe von Dialogen oder auch inneren Monologen vermitteln. (Ich denke da an Musils Mann ohne Eigenschaften oder an die Platonischen Dialoge, die ja gewissermaßen auch literarische, d.h. ästhetisierte und fiktionalisierte Texte sind.)
Von 'abstrakten' (literarischen) Texten zu sprechen ist dahingehend problematisch, als dass das 'sprechen von...' oder das 'schreiben über...' ja immer Versuche sind, Gedanken (oder unspezifischer: Bewusstseinsgegenstände) zu konkretisieren, zu illustrieren und damit letztlich verständlich zu machen.
Ich glaube was Du hier mit 'abstrakt' meinst lässt sich mit 'nebulös' adäquater beschreiben.

Dein Text ist beherrscht von einem schweren, melancholischen 'Weltuntergangsduktus'. Die Mittel jedoch, mit denen Du hier versuchst eine 'schwere' Stimmung zu erzeugen sind mir nicht nicht fein, nicht 'witzig' genug. Mit dem 'fahlen Mondlicht' schlägst du keinen originellen aber einen meines Erachtens nach richtigen Weg ein, den du leider schnell wieder verlässt ('...verzerrt vom Schmerz."). Danach wird der Text dann einfach zu laut, zu direkt, da wird Blut gehustet, sich vor Schmerzen gewälzt, gebetet usw.

Die auftretenden Personen sind für eine solche kurze Geschichte zu zahlreich und man verliert leicht die Übersicht. Ich würde daher an Deiner Stelle noch mehr mit Namen arbeiten oder die Figuren besser charakterisieren, denn diese sind alle noch recht blass, wodurch jede Tragik am Leser wirkungslos vorbeizieht.

Die Handlung verschwindet zu sehr hinter all den Rührseligkeiten und Nebenschauplätzen. Ich würde empfehlen, dass Du dich mehr auf die wesentlichen Gegenstände bzw. Personen der Geschichte konzentrierst und dich mit diesen noch ausführlicher befasst. Ich meine zum Beispiel solche Stellen:
"Zwischen Daumen und Zeigefinger sammelte sich Schleim. Um diesen abzuwischen lag ein Tuch neben dem Bett auf dem Nachttisch bereit. Es war leicht rot gefärbt und sollte am nächsten Morgen ausgewechselt werden."
Der erste Satz hätte meiner Meinung nach völlig ausgereicht, die beiden darauffolgenden Sätze sind sozusagen sprachliche Blinddärme, die weder einen inhaltlichen noch einen atmosphärischen Zweck zu erfüllen scheinen.

"Die Decke verdeckte den Rest des kleinen Körpers."
Eine ungünstige Formulierung die darüberhinaus merkwürdig platziert ist. Die Geschichte endet außerdem zu plötzlich und zu beiläufig, sodass die Gefahr besteht, dass man die Pointe völlig überliest und sich am Ende fragt: Was wollte mir Text eigentlich sagen?

Das war jetzt leider viel Negatives...Es ist natürlich immer auch Geschmacksache aber vielleicht willst Du ja an der einen oder anderen Stelle noch etwas feilen.


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Jacaranda
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Beitrag14.03.2012 11:07
Re: Station 8, Zimmer 217
von Jacaranda
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Hallo Nathaniel,

ich habe ein paar Anmerkungen dazugeschrieben. Insgesamt finde ich den Text ganz schön, auch wenn er mir etwas zuwenig auf die innere Qual eingeht, die deine Hauptprotagonistin nach deiner Auffassung erleiden muss, seit sie ihre Kinder ihre eigenen Wege gehen läßt. Aber das ist deine Sache wink Ich finde auch nicht, dass es zuviele Personen sind - das ist in diesem Text ja auch schon eine philosphische Wahrnehmungsfrage wink
Ich würde es allerdings vermeiden, die Personalpronomen groß zu schreiben. Erstens machen das fast alle so (und es wirkt aufgedrückt), und zweitens hast du das in dieser Geschichte gar nicht nötig. Es wird auch so am Ende klar, wer da heimlich in das Spiel eingreift.
Abstrakt ist das meiner Meinung nach nicht (das kenne ich nur als extreme Konzentration auf das Wesentliche). Das ist eine ganz normale Geschichte, über deren Hintergrund sich nett diskutieren ließe. Man könnte noch ein wenig mehr vom Konflikt hineinbauen, zum Beispiel in einer Diskussion zwischen ihr und ihrem Sohn.


Nathaniel hat Folgendes geschrieben:

Im Krankenhaus drehte Sie das laminierte Pappschild, am Fußende des Bettes angebracht, ins fahle Mondlicht; betrachtete erst dieses, dann das Mädchen. Es war gerade einmal sechs Jahre alt. So stand es dort geschrieben, gleich hinter dem Namen: N., Sophia.
Der Satz klingt sehr konstruiert. Dass die Szene im Krankenhaus spielt, wird nach und nach sowieso klar, du könntest auch schreiben: 'Sie drehte das laminierte Pappschild am Fußende des Bettes ins fahle Mondlicht. Gerade einmal sechs Jahre alt. So stand es dort geschrieben, gleich hinter...'
Glücklicherweise schlief das Mädchen. Sie hätte es wahrscheinlich nicht ertragen, in sein fragendes Gesicht zu sehen, verzerrt vom Schmerz. Warum?, würde es fragen. Und eine Antwort bliebe aus. Das Warum würde sich nur auf den Schmerz beziehen. Sophia wusste nichts vom Ausmaß ihrer Krankheit, verstand nicht, dass man daran starb, wenn sie schon so weit fortgeschritten war. Jetzt lag sie da und wurde von unruhigen Träumen geplagt.Ich hätte gern etwas mehr darüber gewusst, warum die Antwort ausbleibt. Ein Satz vielleicht (ich weiss ja nicht, was du denkst, was das 'warum' sein könnte, doch es würde mich interessieren). Ich höre Sie denken 'Damals war es gut gewesen, aber seit der Erkenntnis...' Sie muss sich zwischendurch ganz schöne Sorgen um ihre Kinder machen wink

Das Mädchen lag auf der Seite, im Mondschein konnte man sein Portrait gut erkennen. Das ist für mich ein Gemälde. Vielleicht Antlitz? Jeder hätte es unter anderen Umständen als schön bezeichnet und bewundert, doch jetzt sah es blass aus. Schweißtröpfchen flossen die Schläfe entlang und Speichel rann aus dem halb geöffneten Mund.
Die Hand, auf der das Kind lag, war zu einer kleinen, weißen Faust vor dem Gesicht zusammengekrampft. Die regelmäßigen Hustanfälle wurden von ihrem Zucken begleitet. Zwischen Daumen und Zeigefinger sammelte sich Schleim. Um diesen abzuwischen, lag ein Tuch neben dem Bett auf dem Nachttisch bereit. Es war leicht rot gefärbt und sollte würde am nächsten Morgen ausgewechselt werden. Sollte klingt so nach 'vielleicht auch nicht'.
Der andere Arm lag über dem Betttuch. Eine Infusionsnadel war dort angebracht worden, um Sophia zu ernähren. Sie fühlte sich zu schwach und zu müde zum Essen, konnte sich gerade so aufrichten. Aber Nahrung brauchte sie noch. (Führ es ruhig noch mehr auf das Ende zu). Die Decke verdeckte den Rest des kleinen Körpers.
Sie verspürte Mitleid mit Sophia. Man hatte es erst für eine Erkältung gehalten, Fieber und Husten. Doch später, als es schlimmer wurde, nicht aufhören wollte, das Mädchen anfing, Blut zu spucken, war man misstrauisch geworden. Viel zu spät. Die Krankheitserreger wuren eindeutig identifiziert.

Sie schüttelte sich, wandte ihren Blick von Sophia ab. Niemand wusste, wie die Krankheit übertragen worden war, also hatte man Sie dafür verantwortlich gemacht. Das ist gut!
Da, seht Sie euch an, wie kann man einem Kind, einem unschuldigen Kind, so etwas nur antun! Keiner interessierte sich wirklich für das Mädchen selbst, sie wollten alle nur die Ungerechtigkeit hervorheben. Ihnen stand die Frage genauso im Gesicht: Warum?
Im Spiegel, der neben dem Bett hing, sah Sie in ihr eigenes Gesicht. Dort fragte keiner. Da liefen die Wangen nur die Tränen hinab (Die Tränen laufen die Wangen hinab. Hab noch keine Wangen laufen sehen). die Sie um das Mädchen vergoss. Und um die Menschen, die ihr Mitleid zur Anklage ausnutzten, die immer die Antwort auf dieselbe Frage forderten. Ärzte, die Reporter, die den Fall in den Zeitungen veröffentlicht und hochgeschaukelt hatten, die Statistiker, die bald ein neues Todesopfer zu ihren Zahlen addieren würden, die Eltern der Freunde, die sich um ihre eigenen Kinder sorgten, der Vater des Mädchens.

Sie unterbrach ihre Gedanken. Nein! Da gab es noch jemanden. Sophies Mutter war heimlich aus dem Haus geschlichen und in die örtliche Kirche, die sie sonst nur an Ostern und Weihnachten besuchte. Dort hatte sie eine Kerze angesteckt und sprach nun auf den Knien ein flehentliches Gebet. Sie betete für ihr Kind.  ah, ein weiter Hinweis, die Zeitgleichheit. Mag ich auch.

Im Krankenhaus stand Sie immer noch vor dem Bett, betrachtete wieder das Mädchen, das ein Hustenkrampf schüttelte, blutigen Schleim spuckend. Jemand legte Seine Hand auf Ihre Schulter. Ohne hinzusehen erkannte Sie Ihn als Ihren Sohn. Komm, Wir gehen, sagte Er. Sie nickte.
Vorher beugte Sie sich über Sophie und legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie fühlte sich warm an. Die Berührung ließ das Mädchen kurz im Schlaf zusammenzucken, dann entspannte es sich. Seine Atmung wurde ruhiger.
Sie drehte sich um und verschwand mit Ihrem Sohn aus dem Zimmer. Die dritte Person Schreib einfach 'Der Dritte'. verweilte und passte auf das zarte Geschöpf auf, unbemerkt von allen anderen. Außer dem Mädchen selbst Moment, das Mädchen kann ihn nicht bemerken, es schläft noch... oder du musst dazu sagen, wie!, es schlief ruhig und hustete kein einziges Mal mehr, bis es von den ersten Sonnenstrahlen, die durch das Fenster in das Krankenzimmer fielen, geweckt wurde. Hier würde ich das Krankenzimmer weglassen, als Zeichen, dass sie nicht mehr krank ist.


lieben Gruß!
Chris


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Nathaniel
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Ei 7


Beitrag14.03.2012 13:38

von Nathaniel
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@ Karl:
"Abstrakt" ist das falsche Adjektiv. Mir ist nur kein besserer gerade eingefallen. Ob "nebulös" besser passt, bezweifle ich; immerhin hatte ich gehofft, genug Hinweise auf den Prota zu geben. Aber ich habe das Gefühl, du hast es nicht verstanden. Abgesehen von den Personen, die in der Aufzählung angeführt werden, agieren tatsächlich (Jacaranda hat es schon angedeutet) nur 3. Das schlafende Mädchen mit inbegriffen. Vielleicht erklärt sich somit auch das Ende und warum ich dem Prota keinen Namen gegeben habe...

"Weltuntergangsduktus" gefällt mir in diesem Zusammenhang auch nicht. Denkt man mal genauer darüber nach, ist es eher naja, nicht Alltag, aber fast. Das Blut, die Schmerzen und den Schweiß benötige ich, um die Krankheit zu charakterisieren, deshalb würde ich das nicht als überzogen bezeichnen. (-> Tuberculose)

Zu den zwei Textstellen, an denen du etwas zu beanstanden hattest: Ich werde noch einmal darüber nachdenken. Insbesondere der letzte Satz ist ein Überbleibsel eines Absatzen, den ich rausgeworfen habe und eventuell tatsächlich unpassend.

Danke für deine Kritik.


@ Jacaranda
Da will es jemand aber ganz genau wissen Wink Lässt sich machen. Ein bisschen Philosophie und Weltanschauung kann nie schaden. Ich werde noch ein bisschen ergänzen, was dir gefehlt hat.
Wenn du meinst, probiere ich es mal mit 'kleinen' Personalpronomen. Es sieht auf jeden Fall besser aus^^
Eine kurze Frage noch: Wie findest du es, dass ich feminine Personalpronomen verwende und keine maskulinen? Verwirrt das für das Verständnis eher?

Freut mich, dass es dir gefällt =)


Nathaniel


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Zeth Jin
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Beitrag14.03.2012 13:59

von Zeth Jin
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Nebulös, ja das passt wirklich zur Geschichte, im negativen Sinne.

Das Hauptaugenmerk dieser Geschichte sollte, so hab ich es auf jedenfall verstanden, auf die Gefühle der Protagonistin liegen. Hm, aber irgendwie kriege ich nur Zeigefinger der grauen Masse präsentiert, die mit dem Finger auf sie zeigen. Rolling Eyes
Warum gibts du der Protagonistin keinen Namen? Immerhin ist sie die Hauptdarstellerin dieser kleinen Szene. Wo bleibt ihr Innenleben? Geschimpfe von und auf die Leute, die draußen sitzen, klingt sehr oft, sehr abgedroschen, da über dem Kamm geschert. Was ist das eigentlich für eine Welt in der sich das zuträgt?

Nicht aufgeben, das kriegt man hin ^^
Zeth
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Jacaranda
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Beitrag14.03.2012 14:40

von Jacaranda
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Klar verwirrt das, aber ich finde das gut! der Text ist so kurz, den kann man ruhig zweimal nach Hinweisen durchstöbern... und irgendwann sollte man drauf kommen, wer da alles im Zimmer steht. Ich mag das feminine Personalpronomen. Eigentlich sind wir ja genetisch eh erstmal alle Mädchen nach der Zeugung (sorry, bin Biologe wink). Ich bin zwar selber niemand, der 'sie' personifiziert (obwohl katholisch, Schande über mich, aber wie gesagt, hab ja auch was heidnisches studiert. Du auch, sonst hättest du die beiden anderen rausgelassen, gell?), aber es ist ein exzellentes Mittel, um genau solche Problematiken zu verdeutlichen, wie du es tust. Und evtl noch ein oder zwei mehr anzudeuten. Dazu habe ich natürlich Dogma gesehen (sehr geil), und auch in einem recht polarisierenden furry Webcomic (Jack) gibt es eine Schöpferin, noch dazu ein Schaf. Schon allein, wie sich die Leute über so was aufregen, ist herrlich.

Ich persönlich glaube, dass sie kein/alle Geschlechter hat. Und dass es ihm/ihr/demgrossenGeistderhinterundinallemstecktunddessenNamenwirnichtkennen wurschtegal ist, für was wir 'sie' halten. Dafür schaut sie uns beim Spielen zu, und zwischen den Runden stellen wir fest, wie blöd wir uns anstellen - und freuen uns endlich, dass wir schon gross sind und alles selber entscheiden dürfen. Auch wenn wir die Konsequenzen tragen müssen. Das ist sie nämlich nicht schuld, das haben wir ja gewollt (oder uns von der Schlange einreden lassen? eieiei...). Wollen wir das denn wirklich noch? Ob sie manchmal eingreift? Glaubensfrage wink Aber wie würden wir uns fühlen, wenn sie es täte? Offen? Wenn sie dieser beschützende und gleichzeitig das Böse strafende Gott wäre, nach dem so gerne geschrien wird? Wenn da eine wäre, die wir verehren müssten, weil wir nicht nur glauben, sondern wissen, dass es sie gibt? Wäre das nicht richtig ätzend? Dann wäre der Sinn, den wir im Leben suchen, so richtig auf Unterwurf reduziert... und jegliche Entwicklung vorbei (dabei ist Weiterentwicklung die menschliche Natur). Ich zB bin mir nicht sicher, ob ich solches Wissen ertragen könnte.
Der derart personifizierte Gott ist daher nix für mich, zuwenig Raum und keine Chance, je die Welt zu begreifen. Wir sind doch schon blind genug - wir können uns ja nicht mal etwas ohne Zeit oder Grund vorstellen, so beschränkt sind wir. Ich behalte also mein kleines Stückchen Geist im großen Ganzen (und hoffe, es irgendwann zwischen den Runden zu verstehen, wenn die Beschränkung des Körpers aufgehoben ist. Und ja, diese Hoffnung ist gleichzeitig die, dass bitte mit dem Tod nicht einfach das Licht ausgeknipst wird. Ob ich das glaube? Ich glaube schon. Ich kann mir nämlich auch nicht vorstellen, einfach nicht zu existieren.). Und jetzt werft mich Kleingeist aus der Kirche wink ich spiele noch ein bisschen.

lieben Gruß
Chris (sorry, hatte nen Philoflash...)


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Nathaniel
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Ei 7


Beitrag14.03.2012 16:24

von Nathaniel
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*grübel, grübel* Woran liegt es, dass inzwischen 2, die den Text gelesen haben, nicht erkannt haben, wer der Prota ist? Habe ich doch nicht genug Andeutungen gemacht? Schlecht beschrieben? Hmm... Einer hats verstanden.

@ Zeth Jin
Nein, der Hauptaugenmerk liegt auf der Reaktion des Protas auf die Reaktionen der Personen, die mit dem Krankheitsfall in Berührung gekommen sind.
Zitat:
Warum gibts du der Protagonistin keinen Namen? Immerhin ist sie die Hauptdarstellerin dieser kleinen Szene.

Sie braucht keinen. Die Namensgebung wäre unangebracht.
Zitat:
Wo bleibt ihr Innenleben?

Das ist garnicht so einfach, aber ich habe ja schon gesagt, dass ich noch ein bisschen ergänzen werde.
Zitat:
Geschimpfe von und auf die Leute, die draußen sitzen, klingt sehr oft, sehr abgedroschen, da über dem Kamm geschert. Was ist das eigentlich für eine Welt in der sich das zuträgt?

Schau dich um...

@Jacaranda
Danke, dass du deinen Philoflash mit mir/uns geteilt hast.
Ich habe mir gedacht, die feminine Identifikation passt in dem Zusammenhang besser, um die Muttergefühle zu betonen. Aber tatsächlich, in Dogma ist es auch eine Frau^^. (Netter Film, ja Wink ) Habe aber eher an Die Hütte gedacht. (Ich weiß nicht, ob du das Buch kennst, es war vor nicht all zu langer Zeit ziemlich weit vorne in der Bestenliste.)
Die andern beiden hab ich mit hinein gebracht, weil ich dachte, man käme dann leichter dahinter, wer der Prota ist. (Nein, ich bin nicht katholisch, eher freikirchlich geprägt...ich darf machen, was mir passt Sich kaputt lachen)
Und ich finde die Thematik es wert, in einem Text verwendet zu werden!


Nathaniel


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Karl W.
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K
Beitrag16.03.2012 06:34

von Karl W.
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Zitat:
*grübel, grübel* Woran liegt es, dass inzwischen 2, die den Text gelesen haben, nicht erkannt haben, wer der Prota ist? Habe ich doch nicht genug Andeutungen gemacht? Schlecht beschrieben? Hmm... Einer hats verstanden
.

Ich habe schon verstanden, dass die "dritte Person" so eine Art göttliches Wesen sein soll und auch dramaturgisch als 'Deus ex machina' dient.
Dass jedoch die Protagonistin am Anfang des Textes und jene 'dritte Person' identisch sind, ist mir - obschon ich den Text mehr als einmal gelesen habe - völlig entgangen. Dadurch hat sich mir natürlich auch die eigentliche Pointe des Textes verschlossen.
Vielleicht war ich also einfach als Leser nicht sonderlich aufmerksam, womöglich wird aber im Text zu wenig deutlich, dass es sich bei der 'dritten Person' um die ominöse und zu recht namenlose 'Sie' handelt. Das Problem ist, dass die Art und Weise wie Du 'Sie' beschreibst, oft schwer  mit einem Gott in Verbindung zu bringen, der letztlich alle Fäden der Erzählung in der Hand hält.

Zitat:
"Im Krankenhaus drehte Sie das laminierte Pappschild, am Fußende des Bettes angebracht, ins fahle Mondlicht; betrachtete erst dieses, dann das Mädchen. Es war gerade einmal sechs Jahre alt. So stand es dort geschrieben, gleich hinter dem Namen: N., Sophia"


Warum sollte ein göttliches Wesen das offenbar mächtig genug ist Sophia von ihrer Krankheit über Nacht zu befreien, es nötig haben ihren Namen und ihr Alter von einem Pappschild abzulesen? Ich bin da gewiss etwas kleinlich aber solche Handlungsweisen beißen sich mit dem Begriff einer omnipotenten Gottheit, den der durchschnittliche Leser mitbringt. Du beschreibst 'Sie' letztlich zu spezifisch menschlich auch wenn es sich um einen augenscheinlich personifizierten Gott handelt:

Zitat:
"Sie verspürte Mitleid mit Sophia"


Zitat:
Da liefen die Wangen nur die Tränen hinab, die Sie um das Mädchen vergoss.


Weshalb sollte 'Sie' Tränen vergießen, wenn es zur Heilung nur einer Handbewegung bedarf?
 
Möglich, dass ich auch zuviel in den Text hineinlege das nicht enthalten ist, denn von Göttern ist ja nirgends die Rede. 'Sie' wäre auch als irgendeine Engelsgestalt oder ähnliches denkbar, wodurch sich zumindest einige der logischen Probleme erübrigten. Gleichwohl solltest Du 'Sie' sprachlich deutlicher konturieren.


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Jacaranda
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Beitrag16.03.2012 12:57

von Jacaranda
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Was ich dazu denke...
Dass sie sich das Schild ansieht, heißt ja nicht, dass sie es muss... wenn sie nicht wüßte, wer da in welchem Zustand liegt, wäre sie wohl gar nicht gekommen. Dabei ist sie ja sowieso überall. Und die Frage, ob und warum sie hilft oder nicht, ist ja genau ihr Konflikt...
Und ob sie und die dritte Person (die inaktiv ist! die Heilung ist das Handauflegen vorher) eins sind: für den Dreifaltigkeitsgläubigen ja. Aber sie und ihr Sohn sind dann auch eins. Da sind mehrere interessante Punkte drin.
Und ob sie zu menschlich beschrieben ist? Maybe. Aber sie hat uns laut Bibel nach ihrem Abbild geschaffen. Vielleicht hat sie deshalb so menschliche Züge? In dieser Geschichte finde ich es passend.

lieben Gruß!
chris


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Beitrag17.03.2012 00:07

von firstoffertio
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h bin auch nicht auf Gott gekommen.

"Im Spiegel, der neben dem Bett hing, sah Sie in ihr eigenes Gesicht. Dort fragte keiner. Da liefen die Wangen nur die Tränen hinab, die Sie um das Mädchen vergoss. Und um die Menschen, die ihr Mitleid zur Anklage ausnutzten, die immer die Antwort auf dieselbe Frage forderten. Ärzte, die Reporter, die den Fall in den Zeitungen veröffentlicht und hochgeschaukelt hatten, die Statistiker, die bald ein neues Todesopfer zu ihren Zahlen addieren würden, die Eltern der Freunde, die sich um ihre eigenen Kinder sorgten, der Vater des Mädchens."

Vielleicht liegt es daran, dass ich mir Gott, ob Er oder Sie, nicht mit Gesicht vorstelle.

Ich schwankte zwischen Mutter und Ärztin, die Fehler gemacht hat. Der Text wirkte verwirrend auf mich, aber nicht so sehr, dass er mich zum Suchen nach Antwort (Gott) angeregt hätte.
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Jacaranda
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Beitrag17.03.2012 00:19

von Jacaranda
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Fuer mich war dies hier die Schluesselstelle: "niemand wusste, wie die Krankheit übertragen worden war, also hatte man Sie dafür verantwortlich gemacht". Da war fuer mich schon klar, worauf es hinauslaeuft.
Aber das kann daran liegen, dass ich mich gerade sowieso recht viel mit dem Thema auseinandersetze - bin sofort drauf angesprungen. Dafuer kann ich jetzt nicht sehen, wie man das klarer gestalten koennte...

lg chris
p.s. sorry fuer die nichtvorhandenen Umlaute... sch**** Technik heute...


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Nathaniel
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Beitrag17.03.2012 21:11

von Nathaniel
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Melde mich zurück Wink
Ich würde gerne eine neue Version online stellen, in der ich ein paar (Ab-)Sätze ergänzt habe. Hoffentlich erkennt man jetzt besser, wer mein Prota ist!?

Station 8, Zimmer 217

Sie drehte das laminierte Pappschild am Fußende des Bettes ins fahle Mondlicht. Gerade einmal sechs Jahre alt. So stand es dort geschrieben, gleich hinter dem Namen: N., Sophia. Glücklicherweise schlief das Mädchen. Sie hätte es wahrscheinlich nicht ertragen, in sein fragendes Gesicht zu sehen, verzerrt vom Schmerz. Warum?, würde es fragen. Und eine Antwort bliebe aus, irgendwann hatte man den Kontakt zu ihr abgebrochen. Das Warum würde sich nur auf den Schmerz beziehen. Sophia wusste nichts vom Ausmaß ihrer Krankheit, verstand nicht, dass man daran starb, wenn sie schon so weit fortgeschritten war. Jetzt lag sie da und wurde von unruhigen Träumen geplagt.

Das Mädchen lag auf der Seite, im Mondschein konnte man sein Gesicht gut erkennen. Jeder hätte es unter anderen Umständen als schön bezeichnet und bewundert, doch jetzt sah es blass aus. Schweißtröpfchen flossen die Schläfe entlang und Speichel rann aus dem halb geöffneten Mund.
Die Hand, auf der das Kind lag, war zu einer kleinen, weißen Faust vor dem Gesicht zusammengekrampft. Die regelmäßigen Hustanfälle wurden von ihrem Zucken begleitet. Zwischen Daumen und Zeigefinger sammelte sich Schleim. Um diesen abzuwischen lag ein Tuch neben dem Bett auf dem Nachttisch bereit. Es war leicht rot gefärbt und würde am nächsten Morgen ausgewechselt werden.
Der andere Arm lag über dem Betttuch. Eine Infusionsnadel war dort angebracht worden, um Sophia zu ernähren. Sie fühlte sich zu schwach und zu müde zum Essen, konnte sich gerade so aufrichten. Aber Nahrung brauchte sie noch.
Die Decke verdeckte den Rest des kleinen Körpers.

Sie verspürte Mitleid mit Sophia. Man hatte es erst für eine Erkältung gehalten, Fieber und Husten. Doch später, als es schlimmer wurde, nicht aufhören wollte, das Mädchen anfing, Blut zu spucken, war man misstrauisch geworden. Viel zu spät. Die Krankheitserreger wuren eindeutig identifiziert.
Sie schüttelte sich, wandte ihren Blick von Sophia ab. Niemand wusste, wie die Krankheit übertragen worden war, also hatte man sie dafür verantwortlich gemacht. Da, seht sie euch an, wie kann man einem Kind, einem unschuldigen Kind, so etwas nur antun! Keiner interessierte sich wirklich für das Mädchen selbst, sie wollten alle nur die Ungerechtigkeit hervorheben. Ihnen stand die Frage genauso im Gesicht: Warum?
Im Spiegel, der neben dem Bett hing, sah sie in ihr eigenes Gesicht. Dort fragte keiner. Da liefen nur die Tränen, die sie um das Mädchen vergoss, die Wangen hinab. Und um die Menschen, die ihr Mitleid zur Anklage ausnutzten, die immer die Antwort auf dieselbe Frage forderten. Ärzte, die Reporter, die den Fall in den Zeitungen veröffentlicht und hochgeschaukelt hatten, die Statistiker, die bald ein neues Todesopfer zu ihren Zahlen addieren würden, die Eltern der Freunde, die sich um ihre eigenen Kinder sorgten, der Vater des Mädchens.
Ein Gefühl von Ohnmächtigkeit breitete sich in ihr aus. Es war ihr genauso unangenehm wie damals. Damals war es auch nicht gelungen, alles ins rechte -ein müdes, aber auch trauriges Lächeln - Lot zu bringen. Wie schwer es doch ist, anderen klar zu machen, dass es manchmal besser ist, nicht den eigenen Willen durchsetzen zu wollen. Als ob sie es besser wüssten.

Sie unterbrach ihre Gedanken. Nein! Da gab es noch jemanden. Sophies Mutter war heimlich aus dem Haus geschlichen und in die örtliche Kirche, die sie sonst nur an Ostern und Weihnachten besuchte. Dort hatte sie eine Kerze angesteckt und sprach nun auf den Knien ein flehentliches Gebet. Sie betete für ihr Kind.

Im Krankenhaus stand sie immer noch vor dem Bett, betrachtete wieder das Mädchen, das ein Hustenkrampf schüttelte, blutigen Schleim spuckend. Jemand legte seine Hand auf ihre Schulter. Ohne hinzusehen erkannte sie ihn als ihren Sohn. Komm, wir gehen, sagte er. Sie nickte. Aber vorher muss ich noch das tun, was ich versprochen habe. Was auch du versprochen hast. Eine Person genügt. Jetzt nickte er.
Sie beugte sich über Sophie und legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie fühlte sich warm an. Die Berührung ließ das Mädchen kurz im Schlaf zusammenzucken, dann entspannte es sich. Seine Atmung wurde ruhiger.
Sie drehte sich um und verschwand mit ihrem Sohn aus dem Zimmer. Der Dritte verweilte und passte auf das zarte Geschöpf auf, unbemerkt von allen anderen. Außer dem Mädchen selbst: Es schlief ruhig und hustete kein einziges Mal mehr, bis es von den ersten Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen, geweckt wurde.


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Ich bin... ich. Nicht mehr, nicht weniger. Einfach ich.
Wobei das -nebenbei bemerkt- mehr ist als ein Wort.
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