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jim-knopf Dichter und Trinker
Alter: 35 Beiträge: 3974 Wohnort: München
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20.01.2012 14:16 Bücher zur Lyriktheorie von jim-knopf
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Hier könnt ihr Bücher vorstellen, die sich mit Lyriktheorie befassen.
Studien zur Poetik, Metrik oder was auch immer.
Alles hier herein.
_________________ Ich habe heute leider keine Signatur für dich. |
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jim-knopf Dichter und Trinker
Alter: 35 Beiträge: 3974 Wohnort: München
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Gast
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20.01.2012 14:29
von Gast
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Robert Gernhardt - Was das Gedicht alles kann: Alles. Texte zur Poetik
Die Herausgeber Lutz Hagenstedt und Johannes Möller haben hier versammelt: 200 Seiten an Vorlesungen, 100 Seiten über Dichter, 50 Seiten Gedichtbesprechungen, 50 Seiten über "Fragen zum Gedicht", 25 Seiten "über den Umgang mit Gedichten", 25 Seiten "Über das Dichten", 5 Seiten "Zu Peter Rühmkorfs Auffängerpapieren", 80 Seiten Anhang. Insgesamt 600 wohlgefüllte Seiten, und auch wenn nicht alles, was Gernhardt schreibt, eine Offenbarung ist, und maches auch schon bekannt (Die Texte aus dem älteren gernhardtschen Band "Gedanken zum Gedicht" sind allerdings nicht aufgenommen) - man kann 20 Euro auf schrecklich viele dümmere Arten ausgeben als durch den Kauf dieses Buches Irgendetwas bedenkenswertes gibt es immer zu entdecken, und langweilig ist Gernhardt zu keiner Sekunde.
Erschienen 2010 bei Fischer!
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Gast
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20.01.2012 21:14
von Gast
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Alexander Nitzberg - Lyrikbaukasten. Wie man ein Gedicht macht
Dieses bei DuMont erschienene Werk ist ein Lehrbuch des Gedichtemachens. Allerdings keiner dieser herzlich überflüssigen Ratgeber, die vermitteln, wie man das nächst anstehende Geburtstags- oder Hochzeitsgedicht zusammenschustert, sondern ein ernsthafter Versuch, dem Leser durch Erklärungen und Übungen die Produktion moderner Lyrik zu ermöglichen.
Die Kapitel lauten: Die Sprache der Lyrik, Phonetik, Stilistik, Tropik, Komposition, Die Rezitation, Der Dichter.
Daraus kann man ja vielleicht schon ersehen, dass Reim, festes Metrum etc hier zwar auch verkommen, aber nur eine Nebenrolle spielen. Insgesamt ein Werk, aus dem auch gestandene Forums-Dichter noch etwas mitnehmen können - wenn tatsächlich nicht inhaltlich, so doch auf jeden Fall durch Nachdenken über die von Nitzberg formulierten Thesen. Man muss nicht allem zustimmen (ich persönlich mache es bestimmt nicht), aber bedenkenswert ist eigentlich alles.
Ich gebe mal ein Beispiel aus dem Kapitel Tropik. Nitzberg sagt über das Bild: Bilder müssen um jeden Preis sichtbar sein und gibt davon ausgehend dann zehn Eigenschaften, die ein (lyrisches) Bild aufweisen sollte:
1. Ein Bild muss konkret sein. Abstrakt und sichtbar geht nicht.
2. Ein Bild muss positiv sein. Was es nicht gibt, kann nicht gesehen werden.
3. Ein Bild muss in sich geschlossen sein. Es erschafft seine eigene Realität.
4. Ein Bild muss schlicht sein. Das Auge braucht Überschaubarkeit.
5. Ein Bild muss logisch sein. Nicht "alltags-logisch", sondern "augen-logisch".
6. Ein Bild muss unmittelbar sein. Es spricht aus sich selbst, braucht keinen Kommentar.
7. Ein Bild muss statisch sein. Auch gemalte Bilder bewegen sich nicht.
8. Ein Bild muss glaubwürdig sein. Die Notwendigkeit, "im Bild" zu bleiben.
9. Ein Bild muss faszinierend sein. Das Staunen des Dichters muss das des Lesers werden.
10. Ein Bild muss außerordentlich sein. Keine Klischees ohne visuelle Ausstrahlung.
Nitzberg erläutert diese zehn Punkte natürlich viel ausführlicher, oft über eine Seite oder mehr, stets mit guten Argumenten. Manchem der zehn Punkte wird man sofort zustimmen, andere reizen zum Widerspruch: Muss ein Bild wirklich statisch sein? Sind verneinende Bilder wirkich gefährlich? Aber wie oben gesagt ...
Also, wer es in die Hand bekommt, kann ruhig mal drin lesen, ich denke, die Zeit ist nicht vertan.
Negativ aufgefallen ist mir, dass Nitzberg zwar viel zitiert, aber nur unter Nennung des Autoren; es gibt keine Quellenangaben. Und das geht ja eigentlich gar nicht.
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Gast
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22.01.2012 11:08
von Gast
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Peter von Matt: Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte
Das ist, scheint's, ein recht bekannter Titel. Jedenfalls gibt es gleich mehrere längere Rezensionen im Netz zu lesen, unter anderem eine von Hanns-Josef Ortheil bei Amazon:
"Die verdächtige Pracht" bei Amazon.
Da man darüber hinaus dort auch einen Blick ins Buch, sprich, ins Inhaltsverzeichnis und auf's erste Dutzend Seiten werfen kann, muss ich hier eigentlich gar nicht mehr viel schreiben ...
Aber natürlich erwähne ich schon noch, dass mir der Band ziemlich gefallen hat - sowohl die gesammelten, teilweise schon etwas älteren Texte als auch der vorangestellte, achtzigseitige Essay mit dem Titel
Die Lyrik im Verdacht. Zur Anthropologie des Gedichts und zum Ärgernis seiner Schönheit.
Der erste Satz lautet: Niemand weiß, was ein Gedicht ist, was bezeugt, dass immerhin von Matt weiß, wie man Leser ködert - bei mir jedenfalls hat's geklappt! Und nachdem ich dann ein, zwei Seiten später Dinge wie ...
Mit der Diffamierung und Tabuisierung der Kategorie "Schönheit" hat sich das Reden und Nachdenken über Kunst im 20. Jahrhundert in ein Dilemma gebracht, aus dem es sich offenbar nicht mehr befreien kann.
... gelesen hatte oder, ein wenig davor ...
Das Gedicht ist ein Ereignis wie ein schießender Stern oder der Schrei aus dem eigenen Mund, an dem wir in der Nacht erwachen. Wenn dieses Ereignis seinem innersten Willen nach schön sein will, was soll es selbst sich darum kümmern? Ein Problem, und ein dorniges, bitteres, stellt die Tatsache erst für jene dar, die über Gedichte zu reden haben. Sie nämlich dürfen das simple Faktum nicht aussprechen, weil sie sich sonst selber vor einer wachsamen Öffentlichkeit der Verlogenheit schuldig machen. Weil "schön" nicht "wahr" sein kann, vertritt, wer eine bestimmte Kunst von ihrem Willen zur Schönheit her definiert, eine faule und falsche Ästhetik, eine Ästhetik der Lüge. Er spricht der Kunst den Willen zur Wahrheit ab, entlässt sie überhaupt aus der Pflicht zur Wahrheit und macht sie zum Luxus. Wir aber brauchen doch die Wahrheit. Wir brauchen die Kunst, weil wir die Wahrheit brauchen. Und was nicht gebraucht wird und dennoch da ist und gefallen will, ist Luxus. So hängen Lüge und Luxus im Verdacht gegen die Lyrik zusammen. So ist aller Verdacht gegen die Lyrik ein entschieden moralischer.
... war mir ziemlich klar, dass ich mir zu Ende anhören würde, was von Matt da vorzutragen gewillt war. Nicht, dass man dem Mann nicht widersprechen könnte - sogar mir sind einige Stellen aufgefallen, wo es etwas im Gebälk seiner Argumentation knirscht; aber das ganze ist so schwungvoll und spannend geschrieben, dass man trotzdem gerne dabeibleibt.
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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23.01.2012 00:00
von firstoffertio
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Das sind zweimal dieselben links, glaube ich.
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seppman Weltfriedenstreiber
S Alter: 42 Beiträge: 923 Wohnort: Yaren
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S 23.01.2012 00:06
von seppman
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Moin
Das ist eindeutig derselbe link
wenn dann
Grüße seppman
_________________ Ich bin Flexitarier, ich esse dann, wenn ich Hunger, das worauf ich Hunger habe und verlass mich da völlig auf mein Bauchgefühl. Nebenbei bin ich Anhänger der Multitoleranzbewegung. |
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jim-knopf Dichter und Trinker
Alter: 35 Beiträge: 3974 Wohnort: München
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23.01.2012 12:22
von jim-knopf
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firstoffertio hat Folgendes geschrieben: |
Das sind zweimal dieselben links, glaube ich. |
jetzt nicht mehr
(zumindest oben nicht)
vielen dank für den hinweis
und vielen dank an soleatus für die buchtipps.
"Was ein Gedicht alles kann" von Gernhardt kann ich auch empfehlen, obwohl es ein richtiger Schinken ist. Allgemein sind in dem Zusammenhang die Frankfurter Poetik-Vorlesungen wichtig zu nennen. Ich glaube nicht, dass es sie in Buchform gesammelt irgendwo gibt (hab zumindest nichts gefunden), finde persönlich - was die lyrik betrifft - die vorlesungen von ingeborg bachmann und hilde domin sehr wichtig.
gruß
roman
_________________ Ich habe heute leider keine Signatur für dich. |
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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23.01.2012 23:01
von firstoffertio
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Ich habe bisher nur englische Bücher zum Thema gelesen, und weiss nicht, ob es Sinn macht, sie hier zu erwähnen?
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jim-knopf Dichter und Trinker
Alter: 35 Beiträge: 3974 Wohnort: München
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24.01.2012 01:32
von jim-knopf
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das sei dir selbst überlassen
_________________ Ich habe heute leider keine Signatur für dich. |
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Gast
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24.01.2012 12:21
von Gast
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Hallo!
Firstoffertio, stell ruhig was englisches ein - zumindest mich würde es kümmern.
Was mich gerade etwas umtreibt - wenn hier im Faden nicht nur vorgestellt, sondern auch sonst sich ausgetauscht wird, ist das ganze für den, der nach Buchvorstellungen sucht, aber nicht sehr übersichtlich, oder? Kann man da was tun? Bliebe natürlich wieder an Roman bzw. der Moderation hängen ... Die einzelnen Vorstellungen im Kopfbeitrag verlinken wäre möglich; oder einfach die "technischen Beiträge" wie diesen und die letzten wieder löschen?!
Gruß,
Soleatus
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Gast
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24.01.2012 12:45
von Gast
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Horst Joachim Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen
Ein Band, der sowohl für die, die sich mit strophischer - gereimter wie ungereimter - Dichtung eher historisch beschäftigen, als auch für die, die heute noch selbst strophische Gedichte schreiben, eigentlich unentbehrlich ist.
Das Handbuch ordnet die Strophen nach fünf einfachen Bestimmungen: 1. Zeilenzahl, 2. Anzahl der Hebungen in jedem Vers, 3. Verseingang, 4. Versfüllung und 5. Kadenzenfolge. Das sorgt für große Übersichtlichkeit und schnelle Auffindbarkeit.
Insgesamt sind so 17 zweizeilige, 7 dreizeilige, 126 vierzeilige, 15 fünfzeilige, 51 sechszeilige, 11 siebenzeilige, 48 achtzeilige, 3 neunzeilige, 9 zehnzeilige, 2 elfzeilige, 5 zwölfzeilige, 2 dreizehnzeilige Strophen erfasst, samt einer vierzehnzeiligen Strophe; insgesamt also ziemlich genau 300 Strophen.
Zu allen diesen gibt Frank die Herkunft an (so weit bestimmbar) und zeigt auf, in welchen Zeiträumen die Strophen von wem für welche Inhalte vewendet und mit welchen Absichten benutzt wurden. Fast noch wichtiger sind für den selbst Schreibenden aber die Hinweise darauf, wie die jeweilige Strophe "tickt", was also die z.B. die Verslänge oder die Verteilung von betonten und unbetonten Silben für Auswirkungen auf die Satzstrukturen hat, die sich darüber errichten lassen, und derlei mehr.
Allen diese Hinweisen beigegeben sind die Titel einiger ausgewählter Gedichte, mit deren Hilfe man sie sich verdeutlichen kann. Natürlich sind die Hinweise, je nach Wichtigkeit der Strophe, mal mehr, mal weniger ausführlich; immer aber tragen sie sehr zum Verständnis der jeweiligen Strophe bei.
Obwohl 300 Strophen schon eine große Menge sind, bleiben sehr viele andere Strophen unbeachtet - hier wurde unter dem Gesichtspunkt der Häufigkeit ausgewählt. Aber es ist ganz einfach, nach dem vorgestellten Ordnungssystem selbstständig weitere Strophenformen einzugliedern, so dass man sich nach und nach eine noch umfangreichere, auskunftsstärkere Sammlung anlegen kann.
Leider gibt es den fast 900 Seiten starken Band wohl nur noch gebraucht zu erstehen, aber wer die Gelegenheit dazu hat, sollte auf jeden Fall zugreifen!
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Gast
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25.01.2012 12:21
von Gast
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Walter Killy: Wandlungen des lyrischen Bildes
In diesem kleinen, handlichen Bändchen wird die Frage nach dem Wesen des Bildes bei Goethe, Hölderlin, Brentano, Mörike, Trakl, Benn und Brecht gestellt und anhand vieler Gedichte beantwortet wird; dabei bleibt der Blick immer auf den Veränderungen, die das dichterische Bild dabei durchmacht. Ich fand das ganze sowohl inhaltlich beachtlich als auch angenehm zu lesen, kann den Band also durchaus empfehlen. Etwas lästig ist, dass Killy für die gelegentlichen englischen und französischen Zitate keine Übersetzung beigibt (für die altgriechischen schon), aber das ist verschmerzbar.
Ein kurzer Abschnitt über Trakls Dichtung, der einen ersten Eindruck gibt:
Wir haben es mit einer Welt reiner Poesie zu tun, welche die alten Dinge und Bilder als Chiffren für ihre immanenten Beziehungen, für ihre schwermütig-herrlichen kaleidoskopischen Spiele benutzt. Auf diese Weise bringt Trakl den deutschen Vers nochmals zum Sprechen und die Bilder zum rätselhaften Leben. Es geht ein großer Reiz vom Vertrauten aus, wenn man es zum Geheimen verwandelt findet. Aber die Sprache kommt an eine Grenze, jenseits derer die völlige Auflösung der realen Zusammenhänge und des Sinns des Wortes liegt, das Weltbemächtigung und Mitteilung will.
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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25.01.2012 23:16
von firstoffertio
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Mark Strand and Eavan Boland: The Making of a Poem
http://www.amazon.co.uk/Making-Poem-Norton-Anthology-Poetic/dp/0393321789/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1327525469&sr=1-1
Das Buch gibt es auch bei amazon.de, aber da sind keine Kommentare dazu.
Es ist ein anregendes, nicht belehrendes Buch über eine Reihe von Gedichtformen/arten, von Villanelle, Pantum, Sonett, Sextina...zu Ode, Elegie, Ballade. Alle werden kurz in ihrer Form, Geschichte, und zeitgenössischer Anwendung vorgestellt. Dafür gibt es alte und neue Beispiele, wobei eines jeweils genauer besprochen wird. Das Kapitel über Metrik ist kurz.
Ich finde es übersichtlich und nicht Angst machend. Den Autoren geht es darum, zeitgenössischen Lesern und Schreibern einen Einstieg in diese Gedichtformen zu vermitteln.
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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25.01.2012 23:33
von firstoffertio
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Cleanth Brooks, Robert Penn Warren: Understanding Poetry
http://www.amazon.co.uk/Understanding-Poetry-Cleanth-Brooks/dp/0030769809/ref=sr_1_3?s=books&ie=UTF8&qid=1327526235&sr=1-3
Das ist ein ziemlich dicker Schinken, ein Klassiker in der englischsprachigen Welt, und nur noch gebraucht beziehbar. Die letzte Auflage von 1976, die auf vorherigen aufbaute und diese erweiterte.
Es ist ein Lehrbuch, mit Einführungen zu Kapiteln, jede Menge Texten und Fragen dazu, die sich der Leser stellen kann. Aber auch insgesamt nicht belehrend, sondern anregend. Kapitel behandeln verschiedene Aspekte von DRAMATIC SITUATION über DESCRIPTION: IMAGES, MOODS AND ATTITUDES; TONE; ANALOGICAL LANGUAGE: METAPHOR AND SYMBOL; THEME: MEANING AND DRAMATIC STRUCTURE,...HOW POEMS COME ABOUT: INTENTION AND MEANINGS (hier wird, auch an Beispielen, vorgeführt, wie verschiedene Poeten arbeiten und ändern), METRICS.
Das Kapitel über METRICS ist ausführlich und analytisch/pragmatisch.
Ich habe dieses nicht auf amazon.de gefunden.
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Gast
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01.02.2012 12:47
von Gast
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Friedhelm Kemp: Das europäische Sonett (Zwei Bände).
Diese beiden Bücher sind für alle, die sich ernsthaft mit dem Sonett beschäftigen, ein absolutes Muss. Aber auch für die mit mildem Interesse am Sonett lohnt sich die Beschäftigung mit "Das europäische Sonett", weil das Sonett bis auf einige "Trockenzeiten" immer in der europäischen Literatur gegenwärtig war und sich über die Kapitel hinweg so auch eine Art europäische Literaturgeschichte entfaltet.
Offiziell läuft das Werk unter der Flagge der "Münchner Universitätsschriften", aber das Kemp keinen wissenschaftlichen Ton pflegt, wird schon in seiner Einleitung klar, wo es etwa heißt:
Wir müssen dem Gedicht nicht nur einen Mund, wir müssen ihm Augen einsetzen, von denen wir uns angeblickt fühlen. Nun, das ist eine Metapher, eine gefällig unverbindliche, wird man mir entgegenhalten. Aber man versuche einmal, gleichsam als magischen Akt, sich einem Gedicht wie einem Gesicht auszusetzen. Man vergesse, verjage das sogenannte "lyrische Ich": setze das Gedicht vor sich auf einen Stuhl - einen Thron oder einen Schemel, gleichviel - sich gegenüber als Freund, als Bruder, als Geliebte; über sich als einen Richter; setze sich ihm aus, präge es sich ein, Wort für Wort, Satz für Satz, Bild für Bild, als dürfe man es nicht vergessen, als gäbe es jetzt - und immer wieder - nur dieses eine Gedicht einem gegenüber und auch schon in einem, als etwas Schönes, etwas Forderndes, etwas, das einen angeht, heute, morgen und immer wieder.
Langweilig zu lesen ist Kemps Werk also schon einmal nicht. In den einzelnen Kapiteln stellt er dann verschiedenste Sonettisten und ihre Gedichte vor, grob an der Zeitlinie ausgerichtet. Ziemlich am Anfang steht dabei Dante Alighieri. Kemp:
Die erste entscheidende und bis zu uns hin lebendige Gestalt in der Geschichte des Sonetts ist Dante Alighieri, der 1265 in Florenz geboren wurde und 1321 als Exilant in Ravenna starb. Seine "Vita Nova", die in ihrer Endfassung als ein Werk des Achtunszwanzigjährigen um 1293 entstanden sein dürfte, dieses "Neue Leben" präsentiert sich uns als erste durchkomponierte Sammlung von Sonetten und als eine quasi autobiographische Novelle. Das hat nicht zu unterschätzende Folgen bis in unsere Zeit gehabt.
Trockener und informationslastiger wird der Text aber nie. Auf den 28 Seiten des Dante-Kapitels werden stattdessen Sonette Dantes ausgebreitet samt verschiedener Übersetzungen und Kommentare, sowohl von Kemp als auch von früheren Schreibern. Ich denke, ich hänge noch eines dieser Sonette an. Wieder Kemp:
Im 25. Kapitel [der "Vita Nova"] schildert Dante, wie Beatrice [Dantes "Herrin"] ihm in Begleitung einer anderen Dame, der Herrin eines seiner Freunde, und noch des öfteren auf der Straße begegnet. "Jene holdseligste Frau schritt einher, bekränzt und gekleidet mit Demut. Und es sagten ihrer viele, wenn sie vorübergegangen war: 'Dies ist kein Weib, sondern der schönsten Engel einer des Himmels.' Und andere sagten: 'Diese ist ein Wunderwerk. Gepriesen sei der Herr, der solche Wunder zu wirken weiß!' Solche wundersame Macht ging von ihr aus, dass ich den Griffel wieder aufnahm, dieses Sonett zu machen zu ihrem Preise, welches anhebt Tanto gentil e tanto onesta pare ..."
Dann folgt erst der Original-Text von Dante ...
Tanto gentil e tanto onesta pare
la donna mia quand'ella altrui saluta,
ch'ogne lingua deven tremando muta,
e li occhi no l'ardiscon di guardare.
Ella si va, sentendosi laudare,
benignamente d'umilta' vestuta;
e par che sia una cosa venuta
da cielo in terra a miracol mostrare.
Mostrasi si' piacente a chi la mira,
che da' per li occhi una dolcezza al core,
che 'ntender non la puo' chi no la prova;
e par che de la sua labbia si mova
uno spirito soave pien d'amore,
che va dicendo a l'anima: Sospira.
... und dann die wunderbare deutsche Übersetzung, die Hugo Friedrich in seinen "Epochen der italienischen Lyrik" vorstellt (auch ein sehr empfehlenswertes Buch!):
So edel und so heilig rein erscheint
Die Herrin mein all denen, die sie grüßt,
Dass jede Zunge zittert und verstummt
Und sich kein Aug' auf sie zu richten wagt.
Sie geht vorüber, hört sich ringsum rühmen
Und ist in Demut eingehüllt und Güte.
Ein Wesen scheint sie, das vom Himmel kam,
damit auf Erden sie ein Wunder weise.
Sie weist so lieblich sich dem Schauenden,
Dass Süße durch sein Aug' ins Herze dringt,
Die, wer sie nie erfuhr, auch nie begreift.
Und's ist, als ob von ihrer Lippe her
Ein Hauch sich regte, leise, reich an Liebe,
Und zu der Seele spräche: Sehne dich.
Im Besonderen das letzte Terzett ist einfach herrlich. Hier lässt sich Friedrich dann noch über Querbezüge zu anderen Gedichten aus oder über die Beziehung von "Spirito" und "Sospira", aber dazu schweige ich jetzt mal; ich denke, ein Eindruck sollte da sein.
Wer sich nun für dieses Buch interessiert - "googlebooks" hat es ins Netz geholt, zum großen Teil wenigstens; wer mag, kann also schon mal ein wenig probelesen. Erschienen sind die beiden schön gemachten Bände Kemps im Jahre 2002 im Wallstein Verlag!
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jim-knopf Dichter und Trinker
Alter: 35 Beiträge: 3974 Wohnort: München
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01.02.2012 18:18
von jim-knopf
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Zitat: | Leider gibt es den fast 900 Seiten starken Band wohl nur noch gebraucht zu erstehen, aber wer die Gelegenheit dazu hat, sollte auf jeden Fall zugreifen! |
nur noch antiquarisch und daher maßlos überteuert.
nix für mich armen schlucker.
_________________ Ich habe heute leider keine Signatur für dich. |
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Gast
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13.02.2012 13:40
von Gast
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Walter Höllerer: Theorie der modernen Lyrik (zwei Bände)
"Neu herausgegeben von Norbert Miller und Harald Hartung", ist dieses Werk eigentlich von irreführendem Titel; dem Inhalt gerechter wird der Untertitel Dokumente zur Poetik. Es handelt sich nämlich um eine Sammlung von Betrachtungen zur Dichtung und ihrer Grundlagen, angestellt von denen, die es eigentlich wissen müssen: den Dichtern. Der erste Band beginnt mit Samuel Taylor Coleridge, der zweite schließt mit Durs Grünbein, und dazwischen kommen Dutzende Dichter aller Länder und Jahrhunderte zu Wort. Eine sehr lehr- und hilfreiche Sammlung!
Bei der Menge der Stimmen kann es dabei durchaus geschehen, dass der eine Dichter "Hü!" ruft, wo der andere "Hott!" schreit:
Warum soll man danach streben, ein langes Gedicht zu schreiben? fragt sich etwa John Keats in einem Brief und antwortet: Verlangt es die Liebhaber der Dichtkunst nicht nach einem kleinen Reich, in dem sie umherstreifen, wo sie etwas herausgreifen und auswählen können und wo es der Bilder so viele gibt, dass nicht wenige in Vergessenheit geraten und beim zweiten Lesen aufs neue entdeckt werden; Proviant genug, um eine Sommerwoche lang davon zu zehren? (...) Übrigens ist ein langes Gedicht eine Probe auf die Erfindungsgabe, die ich für den Polarstern der Dichtung ansehe, so wie die Phantasie das Segel ist und die Imagination das Ruder.
Dagegen Paul Ambroise Valery: Wenn große Epen schön sind, so sind sie es trotz ihrer Größe und nur bruchstückweise. Beweis: Ein langes Gedicht ist eines, das sich zusammenfassen lässt. Doch ein Gedicht ist, was sich nicht zusammenfassen lässt. Eine Melodie fasst man nicht zusammen.
Es kann sich also jeder Leser seine eiigene Meinung bilden; sich hier anschließen oder dort. Stoff zum Nachdenken jedenfalls bieten die beiden Bände der "Theorie der modernen Lyrik" in überreichem Maß.
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Nihil { }
Moderator Alter: 34 Beiträge: 6039
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13.02.2012 16:57
von Nihil
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Zitat: | Dagegen Paul Ambroise Valery: Wenn große Epen schön sind, so sind sie es trotz ihrer Größe und nur bruchstückweise. Beweis: Ein langes Gedicht ist eines, das sich zusammenfassen lässt. Doch ein Gedicht ist, was sich nicht zusammenfassen lässt. Eine Melodie fasst man nicht zusammen. |
Was für ein toller und wohl durchdachter Beweis ...
In Eichendorffs Gedicht „Schläft ein Lied in allen Dingen“ wird das Besondere im Alltäglichen entdeckt.
In Dantes „Die Göttliche Komödie“ geht es um die Läuterung sündiger Menschen in den drei Jenseitsbereichen, Hölle, Fegefeuer und Paradies.
Was soll davon jetzt besser sein?
Außerdem ist sogar der Vergleich schief. Natürlich kann man eine Melodie zusammenfassen, zwei Motive, eins davon aus einer Quinte und einer Terz im gleichmäßigem Rhythmus bestehend, das andere ist ein Lauf vom kleinen C zum F1. Das Erlebnis lässt sich natürlich nicht zusammenfassen, aber das ist ja wohl nicht von der Länge abhängig. Wer viel zu sagen hat, braucht viel Platz. Wer wenig zu sagen hat, schafft es auch, auf vier Zeilen noch redundant zu sein.
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Gast
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29.02.2012 11:30
von Gast
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Hallo Nihil,
nun sei mal nicht so streng mit den Leuten ... Ich mag lange Gedichte auch ganz gerne, finde aber, Valerys Ausdruck hat was (Und das man eine Melodie nicht zusammenfassen kann, sagt er ja eigentlich auch gar nicht; nur. das man es nicht tut).
Gruß,
Soleatus
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Gast
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29.02.2012 12:01
von Gast
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Bücher zu Friedrich Gottlieb Klopstocks Dichtungstheorie
Die folgenden drei Bücher sollte nur der zur Kenntnis nehmen, der sich von Seiten und Seiten voll mit Strichen, Bögen und Häkchen nicht abschrecken lässt - das sind wirklich ausdrücklich an metrischen Fragen ausgerichtete Werke!
Lesenswert sind sie, denke ich, weil Klopstock einmal an einer wichtigen Stelle steht innerhalb der deutschen Dichtungsgeschichte; seine Ideen haben die Dichtersprache entscheidend mitgeprägt. Zum anderen treibt er die Dinge auch oft bis zum äußersten; diesen Gedanken muss man dann nicht folgen, aber der Blick von einem solchen Standpunkt aus erhellt doch manches, was andernfalls verborgen bliebe.
Klopstock. Gedanken über die Natur der Poesie. Dichtungstheoretische Schriften, herausgegeben von Winfried Menninghaus.
Das ist, wenn man so will, der reine Klopstock; wodurch zu der Gewöhnungsbedürftigkeit seiner Gedanken auch noch die seiner Sprache kommt. Aber, wenn man ehrlich ist - nichts ersetzt den Blick auf die eigentlichen Aussagen; von daher ...
Der Band ist aber auch bemerkenswert aufgrund dessen, was Winfried Menninghaus beiträgt - 90 erklärende Seiten des Titels Klopstocks Poetik der schnellen "Bewegung". Da findet sich vieles erhellende, manchmal etwas verklausulierter beschrieben als nötig, aber immer lesbar. Zum Beispiel über die Bilderlosigkeit Klopstocks - etwas, über das auch die heutige, in großen Teilen in der "Bilderfalle" festsitzenden Forumsdichtung nachzudenken lohnend finden könnte:
Klopstocks Angriff und Distanzierungsarbeit gilt schlechthin der Selbstdefinition der Poesie durch jede Art vertikaler Verweisungsstruktur. Seine Sprache ist weder eine der Allegorie noch des Symbols, weder eine der Metapher noch der Metonymie, weder eine "uneigentliche" noch eine "eigentliche" - alle diese Lieblingsbegriffe der Literaturwissenschaft greifen bei ihm ins Leere, weil sie wesentlich, mit Saussure und Jakobson zu reden, an der paradigmatischen Achse von Zeichenketten orientiert sind. Die Klopstocksche Wortbewegung dagegen verlagert die Poetizität ganz auf die syntagmatische Achse, aus der räumlichen Vertikalen in die zeitliche Horizontale - eben in die Dominante von Metrum, Rhythmus und Grammatik. Diese Poesie des Syntagmas, der Horizontalen prägt ihre Dominante um so reiner aus, je weiter sie sich von Bildern jeder Art ferne hält.
Hans-Heinrich Hellmuth. Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock.
Ein knapp 300 Seiten starker Band, in dem Hellmuth ganz tief in die Einzelheiten geht bezüglich der Art und Weise, wie sich der Grundgedanke der "Bewegung" bei Klopstock umsetzt in die Erfindung von eigenen Vers- und Strophenformen. Also reines "Häkchen und Striche", aber sehr, sehr empfehlenswert.
Mark Emanuel Amstätter. Beseelte Töne. Die Sprache des Körpers und der Dichtung in Klopstocks Eislaufoden.
Klopstock war bis ins hohe Alter begeisterter Schlittschuhläufer und hat diese Tätigkeit auch besungen; und schon selbst Verbindungen gezogen zwischen dem "Tanz auf dem Eis" und dem "Tanz der Silben". Amstätter macht also eigentlich dasselbe wie Hellmuth, nur von einem etwas anderen Standpunkt aus, das Schwergewicht liegt hier eben auf Klopstocks Eislaufoden, die bei Hellmuth gleichwertig mit anderem behandelt werden. Gleichfalls ein lesenswertes Buch!
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Gast
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27.05.2012 16:06
von Gast
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The Cambridge Companion to the Sonnet, edited by A. D. Cousins and Peter Howarth.
Da sich bei mir nach jahrelanger Gleichgültigkeit wieder ein gewisses Interesse am Sonett regt, habe ich mich mal nach Lesestoff umgesehen und bin dabei auf diesen englischsprachigen Band gestoßen, der im letzten Jahr erschienen ist.
Die von verschiedenen Verfassern stammenden Kapitel richten sich durchaus auch, wie üblich, an der Zeitleiste aus, so dass nacheinander Dante und Petrarca, Shakespeare, das romantische, das viktorianische, das moderne, das zeitgenössische (englischsprachige) Sonett verhandelt werden; Aber es gibt daneben auch, und das macht den Band eigentlich lesenswert, allgemeinere Betrachtungen wie "The sonnet and the lyric mode", "The sonnet, subjectivity and gender", "The english sonnet in manuscript, print and mass media"; sowie ein Gespräch dreier Gegenwartsautoren über das Sonett. Insgesamt ein durchaus empfehlenswertes Buch!
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Alfred Wallon |
Verlagsveröffentlichung |
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06.03.2024 19:46 |
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Rund ums Buch, Diskussionen, Lesegewohnheiten, Vorlieben Bücher, die man gelesen haben muss von Nina |
Nina |
Rund ums Buch, Diskussionen, Lesegewohnheiten, Vorlieben |
40 |
25.02.2024 20:12 |
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