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MT
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Beitrag08.11.2011 22:37

von MT
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debruma hat Folgendes geschrieben:
Ja, herausfließende Texte haben ihre Tücken.

Ich neige zu Lorraine, weniger Schwulst kann sich der Text locker leisten. Das muss gar nicht so dramatisch vorgetragen sein, wäre es zurückgenommener, ginge es wahrscheinlich tiefer.

"Du" groß würde ich lassen (oder wenigstens ganz durchziehen). Meine Hände - die Hände. 'küsse deine Augen' - ähm, nein, eher die Lider.
'mein eigenes Leben' - mein Leben. usw.

Ich ging auch davon aus, dass der Vater sich/sein Kind getötet hat.

Warum? Weil er direkte Ansprache hält und noch agiert - für ein 'Nahtod-Endeminuten-Traumdings' streichelt und drückt, erzählt und sieht er zu viel.
Wer aber eben nicht schon der Welt entrückt 'das Licht sieht' - der wird sein Kind (zumindest einen Impuls lang) retten wollen. Oder über seinen Tod verzweifeln - die Kleine hatte ein Leben vor sich.

Dieses 'endlich zu Mutti' - so einfach ist das nicht; und wenn es so einfach wäre, dann wäre es ein beklemmend, dunkler und grenzgängiger Text.
Das wäre eine Stärke, wenn natürlich in Folge ein heftiger Text, dann wäre mir dieser SingSang in bunten Dramaworten auch stimmiger, das hat dann so einen bitteren Beigeschmack. - aber das willst du ja gar nicht

Wenn es keine Absicht vorliegt, sondern ein Unfall - dann stimmt die Emolage des Prota für mich nicht.

Weiter: Eltern, die ein Kind bekommen (ihr erstes) und entspannt über Babynamen im Auto plaudern und den Mond ankucken?
Ähm. Hrm. Nö.

Auch dieses 'Lea' finden ist überzogen. Die haben sagen 6 Monate lang über Namen gebrütet und dann ist Lea die Epiphanie? Lea ist ja nun nicht Friedwalda.

Die Krankengeschichte der Mutter ist unstimmig, ich vermisse den Wehenschreiber, woher die Krämpfe aus dem Nichts? So ein einschneidendes Erlebnis bleibt nicht so vage in der Erinnerung. Der Kopf versucht der Trauer Erklärungen entgegen zu setzen.

Ich höre hier auf und sag noch was ich gut fand:
hohes Erzähltempo, eine sehr flüssige Schreibe (trotz der  Butterkremformulierungen), der Aufbau der Erzählung - ich meine den Wechsel aus Erinnerung und Blaulicht - und den Mut, sich an solch ein Thema und solch eine Emotionsdichte zu wagen.

Abhängen. Unbedingt. Aber ebenso in tiefe beim 'Ich' gehen, das geht so nicht auf, das ist zu eindimensional.

N´abend debruma,

danke für Deine Kritik. Teilweise darf ich zur Beantwortung auf mein Posting zuvor verweisen. Deine Anregungen sind sehr gut. Ich muss das alles sacken lassen und werde viel beherzigen. Das Thema scheint (mir) doch wichtiger zzu sein, als ich eingangs dachte... Embarassed

I.


_________________
Das Schicksal verzichtet oft auf Kommentare, es begnügt sich damit, zuzuschlagen.

Siegfried Lenz
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Gast







Beitrag08.11.2011 22:43

von Gast
Antworten mit Zitat

Inkognito hat Folgendes geschrieben:
@ Lorraine

Liebe Anja, wenn Dir an dem Text "(fast) alles zu viel" ist, dann werdet Ihr zwei wohl keine Freunde mehr. Mir geht es auch oft so. Da liest man wohlwollend, versucht, sich auf ein Stück einzulassen, doch es gelingt nicht. Und wenn man weiterliest, wird es immer schlimmer. Dann KANN man irgendwann nicht Gutes mehr an dem Text erkennen. So scheint es bei Dir mit meinem Text hier in etwa auch gegangen zu sein. Wobei ich - ehrlich gesagt - inzwischen nicht mehr weiß, was Dich mehr stört: Die aus Deiner Sicht zu große Verwirrung über den Inhalt ("falsche Fährten") oder das - wie Du es nennst - "Triefende". Zu viel oder zu wenig oder in toto zu falsch? Das macht es für mich etwas schwierig. Was ich für mich aber mitnehme ist, dass zum einen die inhaltliche Struktur (der Aussagekern) klarer werden sollte und zum anderen ZU viel Weichspüler drin ist. Über beide Aspekte werde ich lange nachdenken müssen.

Gestatte mir aber noch eines zu sagen: Wenn ein Autor einen Text schreibt und hier im Forum preis gibt, dieser Text sei das Ergebnis eines empfundenen Schreibflusses, hat das aus meiner Sicht nichts mit Aufgesetztheit zu tun. Allenfalls mit Aufrichtigkeit, mit schlichter Ehrlichkeit.

I.


Oh Inko, ich habe mich auf das Textzitat bezogen (beziehen wollen  Embarassed ), welches ich zwei Linien darüber hineingeklebt habe. Nicht auf den Schreibfluss, oder deine Spontaneität.
Deshalb dann auch das Zitat aus dem Zitat.

Es ging mir doch selbst schon so, dass ich einen Text verfasst und ihn alsbald eingestellt habe. Man muss halt in so einem Fall damit rechnen, Kritik zu bekommen und einen Text doch noch einmal überdenken zu müssen. Was du vielleicht auch tun wirst. Ich will damit nicht sagen, dass du dich verbiegen sollst, oder nicht zu dem stehen, was du für richtig hältst.

Ich glaube auf jeden Fall, dass mir das Missverständnis über die Intention des Prota diesen Text in die Quere kam und ich dem Geschriebenen nicht mehr aufgeschlossen gegenüberstand.

Es ist aufrichtig gewesen, zu sagen, dass der Text recht "frisch" ist und ich betrachte ihn, ehrlich gesagt, auch deshalb mit anderen Augen.

Abendgrüsse von Lorraine
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MT
Geschlecht:männlichReißwolf

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Beitrag08.11.2011 22:46

von MT
Antworten mit Zitat

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Inkognito hat Folgendes geschrieben:
@ Lorraine

Liebe Anja, wenn Dir an dem Text "(fast) alles zu viel" ist, dann werdet Ihr zwei wohl keine Freunde mehr. Mir geht es auch oft so. Da liest man wohlwollend, versucht, sich auf ein Stück einzulassen, doch es gelingt nicht. Und wenn man weiterliest, wird es immer schlimmer. Dann KANN man irgendwann nicht Gutes mehr an dem Text erkennen. So scheint es bei Dir mit meinem Text hier in etwa auch gegangen zu sein. Wobei ich - ehrlich gesagt - inzwischen nicht mehr weiß, was Dich mehr stört: Die aus Deiner Sicht zu große Verwirrung über den Inhalt ("falsche Fährten") oder das - wie Du es nennst - "Triefende". Zu viel oder zu wenig oder in toto zu falsch? Das macht es für mich etwas schwierig. Was ich für mich aber mitnehme ist, dass zum einen die inhaltliche Struktur (der Aussagekern) klarer werden sollte und zum anderen ZU viel Weichspüler drin ist. Über beide Aspekte werde ich lange nachdenken müssen.

Gestatte mir aber noch eines zu sagen: Wenn ein Autor einen Text schreibt und hier im Forum preis gibt, dieser Text sei das Ergebnis eines empfundenen Schreibflusses, hat das aus meiner Sicht nichts mit Aufgesetztheit zu tun. Allenfalls mit Aufrichtigkeit, mit schlichter Ehrlichkeit.

I.


Oh Inko, ich habe mich auf das Textzitat bezogen (beziehen wollen  Embarassed ), welches ich zwei Linien darüber hineingeklebt habe. Nicht auf den Schreibfluss, oder deine Spontaneität.
Deshalb dann auch das Zitat.

Es ging mir doch selbst schon so, dass ich einen Text verfasst habe und ihn alsbald eingestellt habe. Man muss halt in so einem Fall damit rechnen, Kritik zu bekommen und einen Text doch noch einmal überdenken zu müssen. Was du vielleicht auch tun wirst. Ich will damit nicht sagen, dass du dich verbiegen sollst, oder nicht zu dem stehen, was du für richtig hältst.

Ich glaube auf jeden Fall, dass mir das Missverständnis über die Intention des Prota diesen Text in die Quere kam und ich dem Geschriebenen nicht mehr aufgeschlossen gegenüberstand.

Es ist aufrichtig gewesen, zu sagen, dass der Text recht "frisch" ist und ich betrachte ihn, ehrlich gesagt, auch deshalb mit anderen Augen.

Abendgrüsse von Lorraine

Wo hast Du den geilen Smily her?  lol
Ja, jetzt hab sogar ich es kapiert. Missverständnis, sorry!!!

Abendgrüße zurück.


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Siegfried Lenz
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MT
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Beitrag08.11.2011 22:53

von MT
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Kurzer Nachtrag, Lorraine,

ich wollte - autorlosgelöste - Kritik. Ich habe damit gerechnet, dass sie - angesichts des Themas - auch ruppig ausfallen kann. Alles gut!

 Very Happy
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Gast







Beitrag08.11.2011 23:56

von Gast
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Noch ein kurzer Satz (ok, mehrere lange Sätze) zu den fließenden Texten -

die haben ihre Tücken, nicht weil dagegen etwas zu sagen wäre oder weil man die nicht einstellen darf oder sie grundsätzlich nichts taugen würden.

Das stimmt nicht. 'Herausfließen' kann genauso eine Arbeitsmethode sein, wie die kalt-nüchterne Strukturierung. Das Reißbrett.

Es gibt zwei Schwierigkeiten:
1. Überfülle. Die Worte sprudeln und plätschern und der Leser säuft ab. Es gibt nur sehr wenige, stilsichere Autoren, die auf Anhieb druckreif schreiben. (Meist haben die sich über Jahre geschliffen, damit dies gelingt) Heißt: meistens ist da ne Menge Kram drin, den man selbst direkt wieder eliminieren würde, wenn man Distanz zum Text hat. Kleinkram hat aber gerade bei Texten, die auf dem Grat laufen, verheerende Wirkung.

2. der Autor heult, weil er in seiner Situation ganz gefangen ist. Oder lacht sich schief, tobt, je nach Themenlage. Der Autor weiß, was er sagen will - aber was da dann steht, ist eine andere Frage. Leser zum Heulen (Lachen, Toben) zu bringen, ist ... nur mit Distanz möglich. (Erfahrungswert)
Im Prinzip halte ich Fließtexte für eine gute Basis - aber dann muss der Abstand kommen. Oder aber die Kritiker bringen den rein. Gnadenlos.

Aber sieh mal eines: er fließt, der Text. Das an sich ist schon vieles, der Leser haut nicht nach einem Abschnitt in den Sack. Und: das Thema hat ganz klar Potential.
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MT
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Beitrag09.11.2011 09:43

von MT
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debruma hat Folgendes geschrieben:
Noch ein kurzer Satz (ok, mehrere lange Sätze) zu den fließenden Texten -

die haben ihre Tücken, nicht weil dagegen etwas zu sagen wäre oder weil man die nicht einstellen darf oder sie grundsätzlich nichts taugen würden.

Das stimmt nicht. 'Herausfließen' kann genauso eine Arbeitsmethode sein, wie die kalt-nüchterne Strukturierung. Das Reißbrett.

Es gibt zwei Schwierigkeiten:
1. Überfülle. Die Worte sprudeln und plätschern und der Leser säuft ab. Es gibt nur sehr wenige, stilsichere Autoren, die auf Anhieb druckreif schreiben. (Meist haben die sich über Jahre geschliffen, damit dies gelingt) Heißt: meistens ist da ne Menge Kram drin, den man selbst direkt wieder eliminieren würde, wenn man Distanz zum Text hat. Kleinkram hat aber gerade bei Texten, die auf dem Grat laufen, verheerende Wirkung.

2. der Autor heult, weil er in seiner Situation ganz gefangen ist. Oder lacht sich schief, tobt, je nach Themenlage. Der Autor weiß, was er sagen will - aber was da dann steht, ist eine andere Frage. Leser zum Heulen (Lachen, Toben) zu bringen, ist ... nur mit Distanz möglich. (Erfahrungswert)
Im Prinzip halte ich Fließtexte für eine gute Basis - aber dann muss der Abstand kommen. Oder aber die Kritiker bringen den rein. Gnadenlos.

Aber sieh mal eines: er fließt, der Text. Das an sich ist schon vieles, der Leser haut nicht nach einem Abschnitt in den Sack. Und: das Thema hat ganz klar Potential.

Du bringst es auf den Punkt. Exakt. Danke.


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Siegfried Lenz
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MT
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Beitrag10.11.2011 16:35

von MT
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Servus zusammen,

ich habe - mit etwas Abstand - überarbeitet und mir dabei die Kritiken (sehr) zu Herzen genommen. Hier das Ergebnis für alle, die mögen:
-------------------------------------------------------------------------------------

Vereint


Ich bin bei Dir, kleine Alena, hab keine Angst. Du möchtest wissen, was geschehen ist, doch ich kann es Dir nicht genau sagen. Es ging alles so schnell, ich konnte nicht mehr ausweichen. Wie aus dem Nichts kam der Lastwagen durch die Nebelwand, stieß direkt auf uns zu. Sekundenbruchteile nur, ein Wimpernschlag. Ich riss das Lenkrad zur Seite.

Und nun? Nun sehe ich dort unten einen einzigen Blechklumpen, der eben noch unser Auto war. Man versucht, uns herauszuholen, arbeitet mit schwerem Gerät. Aber sei unbesorgt, niemand wird uns wehtun. Wir sind in Sicherheit.  

Weißt Du, woran ich denken muss? An Deine Geburt. Gut vier Jahre liegt sie zurück. An jenem Abend saßen Deine Mama und ich im Garten hinterm Haus. Es war der zwanzigste August, der Mond schien zu uns herunter, man konnte meinen, er rede uns gut zu. Eingebettet in ein funkelndes Sternenmeer strahlte er in die Nacht, verdrängte für den Moment unsere Ängste und Sorgen, ob bei Deiner Geburt alles gut gehen würde.
 Namen überlegten wir uns, Jungen- und Mädchennamen. Eine Mia war darunter, auch ein Fin. Und als ich Alena aussprach, sahen wir uns wortlos an. Es war das erste Mal, dass wir uns nichts sehnlicher wünschten, als ein Mädchen zu bekommen. Wir umarmten und küssten uns und wollten, dass es für immer ist. Später setzten die ersten Wehen ein. Zaghaft erst, noch zauberten sie ein Lächeln auf unsere Lippen. Doch dann nahmen sie zu, wurden fordernder, und wir fuhren ins Krankenhaus.  

Ja, schmieg Dich an meine Brust, ruh Dich aus. Der Lärm von dort unten erreicht uns nicht. Wie Papierdrachen schweben wir über dem Ort und schauen hinab. Der Ton ist abgedreht, nur ein fernes Sirren dringt zu uns. Dort unten auf der Straße sind viele Menschen um uns bemüht, sie rufen sich Kommandos zu. Immer wieder blitzt Entsetzen in ihren Augen auf. Feuerwehrleute, Polizisten, Notärzte. Sie alle tun ihre Arbeit, geben ihr Bestes. Doch ich fürchte, es wird nicht genügen. Immer weiter schweben wir fort.

Wir hatten noch so viele Pläne, kleine Maus. So viele Träume. Das Leben lag vor Dir. Jeden Tag hast Du es mit großen Augen ergründet, hast mir mit Deinen Worten die Welt erklärt. Und ich? Ich habe zugehört, wann immer ich konnte. Habe mich eingelassen auf Deine kleinen Weisheiten. Über die weite Blumenwiese bist Du mit mir getobt und hast mir beigebracht, wie man ein Rad schlägt. Du hast mir gezeigt, wie man Gänseblümchen zu einem Haarkranz bindet, und dann haben wir uns scheckig gelacht, als Du ihn mir auf den Kopf setztest.
Es waren so viele, wunderschöne Stunden mit Dir. Sie können doch nicht vorbei sein. Ich will nicht, dass sie vorbei sind. Ich will es nicht.

Unter uns sprühen die Funken der Schneidbrenner, mit denen sie versuchen, die Fahrzeugtüren zu öffnen. Macht schon, würde ich am liebsten rufen, aber ich weiß, sie können mich nicht hören. Sie sehen Dich in Deinem Sitz auf der Rückbank, Deinen Rucksack daneben, den wir heute früh für den Kindergarten gepackt hatten. Honigmelone hatte ich aufgeschnitten, Du magst sie so sehr.
Leute, ihr müsst schneller arbeiten, meine Sicht verschwimmt, immer leiser wird euer Mühen, immer lauter das Sirren von weit her. Es ist mir unerklärlich, aber ich fühle mich geborgen. Hier, hoch oben, an diesem unwirklichen Ort. Macht schon! Tut etwas!  
Weißt Du, mein Kind, manchmal hält das Leben unbegreifliche Ereignisse bereit. Von einem habe ich Dir bisher nicht erzählt, doch ich denke, jetzt ist es an der Zeit.

Damals im Krankenhaus wurden wir schnell in den Kreissaal geführt. Alle kümmerten sich um Deine Mama, ich durfte die ganze Zeit bei ihr sein. Der Raum sah nicht aus wie ein Krankenhauszimmer. Mehr wie ein Kinderzimmer mit gelben Wänden und roten Stoffvorhängen. Ich setzte mich mit aufs Bett, wir hielten einander die Hand. Wieder und wieder sahen wir uns an, unterbrochen nur von Wehenkrämpfen. Wir wussten, schon bald würden die Strapazen ein Ende haben. Doch dann ließen die Wehen plötzlich nach, der Wehenschreiber fiel ab. Ein Arzt kam. Er sagte, so etwas komme schon mal vor, und wir verließen uns darauf.

Noch heute höre ich die Uhr an der Wand, sehe, wie sich ihre Zeiger weiter und weiter drehen, während Deine Mama in einen beruhigenden Schlaf gefallen ist.

Ich hielt ihre Hand, küsste ihre Stirn. Ganz behutsam, ich mochte sie nicht wecken. Sie sah so friedlich aus, die vorangegangenen Stunden waren anstrengend für sie gewesen. Ich fühlte mich in Sicherheit und glaubte, wir wären in guten Händen.

Weißt du, Alena, es ist nicht leicht für mich, dir von diesen Dingen zu erzählen. Ich habe Deine Mutter mehr geliebt als mein eigenes Leben.
Wir lernten uns bei einem Konzert kennen. Sie sang in einem Chor und war die Solistin an jenem Abend. Ich saß ganz vorn, nur wenige Meter trennten uns. Ihre Stimme drang tief in mich ein. So etwas Schönes, Reines hatte ich noch nie zuvor gehört. Meine Tränen liefen nur so über mein Gesicht, und als sie zu mir herunter sah, schenkte sie mir ein Lächeln.

Schlaf weiter, Kleines, ich bin an Deiner Seite. Was unter uns auf der Straße geschieht, möchtest Du wissen? Ich will es Dir sagen. Man hat die Straße gesperrt. Der Sattelschlepper liegt noch immer quer über der Fahrbahn. Überall kreisen Blaulichter durch den Novembernebel. Die Männer versuchen noch immer, die Türen unseres Wagens zu öffnen. Genau kann ich es nicht mehr sehen, es ist plötzlich so hell um uns herum.

Wir sind in Sicherheit. Hier ist es warm und weich. Auch wenn die Blaulichter uns nicht mehr erreichen, wir sind behütet. Wir verlassen einen Raum. Doch jetzt, genau in diesem Augenblick, weiß ich, dass wir einen neuen betreten werden. Einen schöneren noch, einen wärmeren. Der Tunnel dort, siehst Du ihn? Er wird uns führen. Wenn wir Hunger haben, werden wir essen, und wenn wir durstig sind, können wir trinken. Doch erst einmal werden wir uns ausruhen. Ich nehme an, uns steht eine lange Reise bevor.
Weißt du, ich habe Deiner Mama ein Versprechen gegeben. Damals, im Krankenhaus.

Krämpfe rissen sie aus dem Schlaf, der Wehenschreiber schlug wieder aus. Eine Hebamme kam ins Zimmer, sie legte Deiner Mama eine Hand auf die Stirn und lächelte.

Weißt Du, was es bedeutet, sein eigenes Kind zum ersten Mal zu sehen, es zum ersten Mal in den Arm zu nehmen? Nein, Du kannst es nicht wissen, ich will es Dir sagen: Es fühlt sich an, als würde man selbst noch einmal geboren. Als begänne das eigene Leben ein zweites Mal. Alle Sorgen sind aufgelöst, man ist dem Alltag entrückt und glaubt, man könnte fliegen. Jeder Versuch, das Wunder in einer solchen Nacht zu begreifen, dümpelt wie ein Bachlauf in ein großes, weites Meer. Man ist Teil eines unergründbaren Geflechts, dessen Weite und Kraft man nur erahnen kann. Und selbst ein Zweifler fragt sich in einem solchen Moment, ob es doch einen Gott gibt, der über alldem wacht. Dem Himmel möchte man danken für so viel Geborgenheit, von der der eigene Körper durchströmt wird. Man schließt die Augen, atmet tief durch und wünscht, der Augenblick würde niemals enden.

Ich hielt Dich in meinem Arm und konnte mein Glück nicht fassen. Deine Mama aber wurde schwächer, ihre Stimme wurde leiser. Die Hebamme kam auf mich zu, mit wissendem, mit entschuldigendem Blick nahm sie Dich in ihren Arm. Unvermittelt schlug meine Freude in Sorge um.
„Ihre Frau hat zu viel Blut verloren“, sagte die Hebamme, und schon betraten Ärzte das Zimmer. Kurze Untersuchungen, abstimmendes Kopfnicken, es schnürte mir die Kehle zu.
Deine Mama zog kaum spürbar an meinem Arm, ich beugte mich zu ihr.
„Wenn mir etwas geschieht… Gib Acht auf sie, hörst Du?“
„Sag so etwas nicht“, antwortete ich.
„Versprich es“, sagte sie.
Und ich versprach es.
Wir küssten uns. Wir streichelten einander das Gesicht. Und Deine Mama lächelte.
Die Ärzte nahmen das Bett, schoben es über endlose Flure, fuhren mit dem Fahrstuhl viele Stockwerke und verschwanden hinter einer Tür mit Milchglasscheiben; Zutritt für Unbefugte verboten, stand darauf.
Ich wartete davor im kalten Neonlicht. Ich ging auf und ab, das Quietschen meiner Sohlen auf dem Linoleumboden hallte in den Gängen. Ich setzte mich, wartete weiter, stand wieder auf.
Irgendwann öffnete sich die Tür. Ein Arzt kam heraus, von seiner Stirn rannen Schweißperlen. Ich habe seinen Blick nie vergessen.

Habe ich mein Versprechen gebrochen? Was in meiner Macht stand, habe ich getan. Habe so gut es ging einen Mantel über Dich gebreitet, in der kurzen Zeit, die uns blieb. Doch er wurde uns entrissen, Alena, ich konnte ihn nicht festhalten.

Die Männer unten auf der Straße sind jetzt ganz weit weg, klein wie Ameisen sind sie. Wir wollen nicht mehr zu ihnen zurück, meinst Du nicht auch? Die Blaulichter verschwimmen im Nebel der Zeit, Geräusche verhallen im Nichts.
Der Tunnel ist nicht finster, schau. Brauchst keine Angst zu haben, ich bin da. Auch mit geschlossenen Augen erreicht uns das warme Licht, das uns überströmt wie die Wellen eines Ozeans. Siehst Du die Blumen um uns herum? Es sind viele Blumen, bunte, ich kenne ihre Namen nicht. Ich habe sie noch nie gesehen, aber sie sind wunderschön. Komm, wir pflücken welche, wir binden eine Strauß, einen riesigen, leuchtenden Strauß. Er wird ein Geschenk.
Wie Du lachst, mein Kind. Wie wundervoll Du tanzt in unserem Blütenregen. Es ist wie damals, auf der Wiese, als wir einen Haarkranz banden. Komm, lass uns einen neuen versuchen, einen viel bunteren diesmal. Zeigst Du mir noch einmal, wie es geht?
Nein, ich habe mein Versprechen nicht gebrochen. Schau, dort vorn. Kannst Du sie sehen? Dort ist die Tür. Gleich wird sie sich noch einmal öffnen.
Gleich.
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lady-in-black
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Der goldene Käfig Extrem Süßes!


Beitrag10.11.2011 16:45

von lady-in-black
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Für den ganzen Text habe ich gerade keine Zeit, aber DAS:

Zitat:
Leute, ihr müsst schneller arbeiten, meine Sicht verschwimmt, immer leiser wird euer Mühen, immer lauter das Sirren von weit her. Es ist mir unerklärlich, aber ich fühle mich geborgen. Hier, hoch oben, an diesem unwirklichen Ort. Macht schon! Tut etwas!


ist mir förmlich ins Auge gesprungen. Das passt m.E. überhaupt nicht in den Text, da der Prota ansonsten immer nur sanft und vor allem von Ruhe und Geborgenheit spricht.  Rolling Eyes
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davinhuck
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Beitrag11.11.2011 00:47

von davinhuck
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Erst einmal Hallo zusammen und ein besonderes Hallo an Herrn Inkognito. Ich habe die erste Version der Geschichte heute Morgen direkt nach dem aufstehen gelesen und war zutiefst beeindruckt.


debruma schrieb:
Zitat:
Ich ging auch davon aus, dass der Vater sich/sein Kind getötet hat.

Warum? Weil er direkte Ansprache hält und noch agiert - für ein 'Nahtod-Endeminuten-Traumdings' streichelt und drückt, erzählt und sieht er zu viel.
Wer aber eben nicht schon der Welt entrückt 'das Licht sieht' - der wird sein Kind (zumindest einen Impuls lang) retten wollen. Oder über seinen Tod verzweifeln - die Kleine hatte ein Leben vor sich.



Mich persönlich hat gerade die Art, auf die der Vater seiner Lea in dieser beunruhigenden Situation ruhig zuredet, sehr beeindruckt. Ich stelle mir die Situation so vor, dass dem Vater nach dem schweren Autounfall und erstem Schock sofort klar wird, dass die Lage für beide absolut aussichtslos ist.
Anstatt in Panik zu verfallen oder überflüssige Rettungsversuche zu unternehmen, nimmt er das Ende als gegeben hin und verwendet die letzten Augenblicke seines Lebens lieber, um seiner Tochter zu sagen, wie sehr er sie liebt. Das kann ich uneingeschränkt respektieren.

Ein Kind im Kindergartenalter kann m.M. nach noch nicht viel Böses auf der Welt erkennen. Der Vater sorgt aus meiner Sicht hier also für das notwendige Geborgenheitsgefühl, übermittelt "es ist ok", auch wenn es das natürlich aus Sicht eines Erwachsenen nicht ist. Die letzten Sekunden im Leben des Kindes mit Angst zu füllen, macht die schlimme Lage überhaupt nicht besser, auch wenn dies die Reaktion wäre, zu der die meisten Menschen neigen würden.


Anbei meine vier Tipps in Bezug auf deine Geschichte - Version 1:

    Merke mit einem Wort kurz den Beruf des Vaters an. Dieser muss klarstellen, dass er über die Kompetenz verfügt, seine eigene Lage korrekt einzuschätzen. Vielleicht ist er sogar ein Kollege der "Blaulichter"?! (Rettungssanitäter etc.?!)

    Die beiden Interaktionen mit Lea, also das Küssen auf die Augen und dass Lea sich an seine Brust schmiegt sind für mich schwer vorstellbar, wenn beide fest im Autowrack eingeklemmt sind. Hier kann höchstens mit einer Hand berührt, gestreichelt oder ihre Hand gehalten werden.

    "Gleich, mein Mädchen, hab Geduld, gleich wird es soweit sein. Dann werden wir angekommen sein am Ziel unserer Träume." würde ich anpassen. Ich persönlich fände "Gleich, mein Mädchen, hab Geduld, gleich ist es vorbei.." besser.

    Und der letzte Tip: Wirf die neue Version der Geschichte weg. Die Atmosphäre der alten passt meiner Meinung nach viel besser zum Inhalt als die der neuen. Zusätzlich hast du den Schreibstil den ich an der ersten sehr gut fand in der zweiten irgendwie zerstört  Wink



Sonst, ein super Text smile (in Version 1 versteht sich Wink )
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    Belzustra
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    Beitrag11.11.2011 03:35

    von Belzustra
    Antworten mit Zitat

    Lieber Inkognito,

    diese Version deiner Geschichte ist lebendiger. Sie strahlt nicht mehr die prägnante Ruhe und Geborgenheit aus, die an der ersten Version so faszinierend war. Das macht sie keineswegs schlechter. Sie ist einfach auf ganz andere Art und Weise interessant. Diesmal steht die Vaterliebe eindeutig im Zentrum und niemand wird behaupten können, dass es um einen beabsichtigten Mord eines Vaters an seiner Tochter ginge. Ich frage mich immer noch, wie man die erste Version auf solch abscheuliche Weise missverstehen kann (ist kein Angriff, nur eine Feststellung!).
    Diese Version empfinde ich als massentauglich, sie ist weniger komplex und lässt nun keinen Raum mehr für Interpretationen. Man verschwendet nun keinen zweiten Gedanken mehr, wenn es darum geht, Geschehnisse zu deuten oder Situationen zu verstehen. Alles ist klar verständlich.
    Hier ein paar kleine Anmerkungen:

    Zitat:
    Und nun? Nun sehe ich dort unten einen einzigen Blechklumpen, der eben noch unser Auto war. Man versucht, uns herauszuholen, arbeitet mit schwerem Gerät. Aber sei unbesorgt, niemand wird uns wehtun. Wir sind in Sicherheit.

    Weißt Du, woran ich denken muss? An Deine Geburt.


    Ich empfinde den Übergang zwischen diesen beiden Absätzen als zu abrupt. Obwohl der Absatz eine Pause markieren könnte und es vielleicht sogar tut, überlese ich diese Pause (ist wahrscheinlich mein eigener Fehler).

    Zitat:
    Du hast mir gezeigt, wie man Gänseblümchen zu einem Haarkranz bindet, und dann haben wir uns scheckig gelacht

    Das Wort "scheckig" passt nicht zur übrigen Sprache deines Textes.

    Zitat:
    Wir lernten uns bei einem Konzert kennen.

    Ich würde eher "in" einem Konzert schreiben.

    Zitat:
    Ihre Stimme drang tief in mich ein.

    Das klingt ein wenig seltsam, besser wäre vielleicht, wenn du schreibst: Ihre Stimme berührte mich.

    Zitat:
    Wir verlassen einen Raum.

    Der Begriff "Raum" löst kurzzeitig Missverständnisse aus. Ich dachte zuerst, die beiden wären vielleicht mittlerweile im Krankenhaus und würden durch die Flure geschoben oder so, aber das ist nicht der Fall, also solltest du hier eher "Ort" benutzen.

    Und eine kleine Anmerkung habe ich noch hinsichtlich der Szene, in der du beschreibst, dass die Mutter immer schwächer wird. Es ist überhaupt keine Hektik zu spüren, ich meine, auf Seiten der Ärzte. Du beschreibst Blicke, als ob man die Mutter bereits aufgegeben hat. Lediglich die Schweißperlen auf der Stirn des Arztes, der dem Mann mitteilt, dass seine Frau tot ist, zeugen von einer gewissen Mühe, die man sich gemacht hat, um die Mutter zu retten.

    Eine solide nette Geschichte, wenn dies die Endfassung ist.
    Gut geschrieben und deinen Kritikern hast du hiermit echt die Luft aus den Segeln genommen.
    Respekt, auch für die Mühe, die du dir gemacht hast.

    LG
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    Belzustra
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    Beitrag11.11.2011 03:45

    von Belzustra
    Antworten mit Zitat

    @lady-in-black:
    Zitat:
    Für den ganzen Text habe ich gerade keine Zeit, aber DAS:

    Zitat:
    Leute, ihr müsst schneller arbeiten, meine Sicht verschwimmt, immer leiser wird euer Mühen, immer lauter das Sirren von weit her. Es ist mir unerklärlich, aber ich fühle mich geborgen. Hier, hoch oben, an diesem unwirklichen Ort. Macht schon! Tut etwas!


    ist mir förmlich ins Auge gesprungen. Das passt m.E. überhaupt nicht in den Text, da der Prota ansonsten immer nur sanft und vor allem von Ruhe und Geborgenheit spricht. Rolling Eyes


    Ich persönlich finde die Textstelle, die du kritisierst ziemlich passend.
    Wenn ich an die verschiedenen Phasen des Sterbens denke, die ein Mensch, der dem Tode nah ist, durchmacht, dann erkenne ich hier viele wieder.
    Am Ende steht "das Akzeptieren" und gerade in dieser Szene sorgt sich der Vater nicht mehr um sein eigenes Leben, aber wohl um die Zukunft seiner Tochter. Er merkt, dass es für ihn zu Ende geht, doch kann nicht akzeptieren, dass es vielleicht auch ihr Ende bedeutet. Daher drängt er in Gedanken und wünscht sich, dass die Helfer sich beeilen.
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    Beitrag11.11.2011 09:31

    von MT
    Antworten mit Zitat

    Hallo davinhuck,

    Willkommen im Forum!

    Zitat:
    Erst einmal Hallo zusammen und ein besonderes Hallo an Herrn Inkognito. Ich habe die erste Version der Geschichte heute Morgen direkt nach dem aufstehen gelesen und war zutiefst beeindruckt.

    Dankeschön. Das freut einen Autor natürlich ungemein.

    Zitat:
    Mich persönlich hat gerade die Art, auf die der Vater seiner Lea in dieser beunruhigenden Situation ruhig zuredet, sehr beeindruckt. Ich stelle mir die Situation so vor, dass dem Vater nach dem schweren Autounfall und erstem Schock sofort klar wird, dass die Lage für beide absolut aussichtslos ist.
    Anstatt in Panik zu verfallen oder überflüssige Rettungsversuche zu unternehmen, nimmt er das Ende als gegeben hin und verwendet die letzten Augenblicke seines Lebens lieber, um seiner Tochter zu sagen, wie sehr er sie liebt. Das kann ich uneingeschränkt respektieren.

    Genau das trifft meine Vorstellung von der Situation! darauf wollte ich hinaus. Ich sagte ja bereits: Ein (Selbst-)Mord war mir völlig fern.

    Zitat:
    Und der letzte Tip: Wirf die neue Version der Geschichte weg. Die Atmosphäre der alten passt meiner Meinung nach viel besser zum Inhalt als die der neuen. Zusätzlich hast du den Schreibstil den ich an der ersten sehr gut fand in der zweiten irgendwie zerstört

     lol Na, das ist doch mal ´ne Ansage!

    Die erste Version ist geschrieben wie gefühlt. Man kann daher durchaus sagen, sie ist authentischer. Mehr und mehr fand ich sie allerdings ZU "mächtig", da war mir zu viel der Holzhammer mit im Spiel.

    Vielleicht wäre eine "Zwischenlösung" zwischen beiden Texten das Mittel der Wahl? Mal sehen, ich bin noch unschlüssig.

    Ich danke Dir fürs Lesen und Kommentieren. Stell mal einen Text von Dir rein. Dann krisste alles zurück.  Very Happy
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    MT
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    Beitrag11.11.2011 09:38

    von MT
    Antworten mit Zitat

    Hi Belzustra,

    Zitat:
    diese Version deiner Geschichte ist lebendiger. Sie strahlt nicht mehr die prägnante Ruhe und Geborgenheit aus, die an der ersten Version so faszinierend war. Das macht sie keineswegs schlechter. Sie ist einfach auf ganz andere Art und Weise interessant. Diesmal steht die Vaterliebe eindeutig im Zentrum und niemand wird behaupten können, dass es um einen beabsichtigten Mord eines Vaters an seiner Tochter ginge. Ich frage mich immer noch, wie man die erste Version auf solch abscheuliche Weise missverstehen kann (ist kein Angriff, nur eine Feststellung!).
    Diese Version empfinde ich als massentauglich, sie ist weniger komplex und lässt nun keinen Raum mehr für Interpretationen. Man verschwendet nun keinen zweiten Gedanken mehr, wenn es darum geht, Geschehnisse zu deuten oder Situationen zu verstehen. Alles ist klar verständlich.

    Das trifft es wohl: Sie ist "massentauglicher", klarer. Deshalb schwanke ich auch sehr zwischen beiden Varianten...

    Zitat:
    Eine solide nette Geschichte, wenn dies die Endfassung ist.
    Gut geschrieben und deinen Kritikern hast du hiermit echt die Luft aus den Segeln genommen.
    Respekt, auch für die Mühe, die du dir gemacht hast.

    Eine solide Geschichte... Was stört mich bloß daran...? grr

    Im Übrigen finde auch ich die Passage, die Du, liebe lib monierst, recht passend. Da schließe ich mich gern den Worten Belzustras an.

    Ich danke Euch, Belzustra und Lady, von Herzen für Eure Mühe, die Ihr Euch mit dem Text gemacht habt! Deine Details, Belzustra, sind gespeichert.
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    lady-in-black
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    Beitrag11.11.2011 10:49

    von lady-in-black
    Antworten mit Zitat

    Inkognito hat Folgendes geschrieben:

    Im Übrigen finde auch ich die Passage, die Du, liebe lib monierst, recht passend. Da schließe ich mich gern den Worten Belzustras an.


    Ich störe euer harmonisches Miteinander nur höchst ungerne ...  Embarassed
    aber schließlich war nicht ich diejenige, die eine bereits vom Körper losgelöste Seele sprechen lassen wollte ...  Wink
    Und ich habe unverändert meine Zweifel daran, dass diese in ihrem Wohlfühlbefinden und bei ihrem Bestreben, dem Kind jegliche Ängste zu nehmen, plötzlich durch ein (vermeintlich) lautes "Leute ... macht schon ... tut etwas" Hektik und Angst (vor dem Kind) verbreitet.

    Das hätte man m.E. anders lösen können, um vor allem auch im Stil des gesamten Textes zu bleiben, wie z.B.:

     "Leute, ihr müsst schneller arbeiten, meine Sicht verschwimmt, iImmer leiser wird euer Mühen, immer lauter das Sirren von weit her. Es ist mir unerklärlich, aber ich fühle mich geborgen. Hier, hoch oben, an diesem unwirklichen Ort. Doch was ist mit dir? Meine Sicht verschwimmt. Warum arbeitet ihr nicht schneller. Bitte beeilt euch!

    Ich würde dem Kind auch keinen Namen geben ... zumindest nicht so häufig. Ist natürlich reine Geschmackssache. Für mich wirkt es in dieser Überarbeitung zu sehr nach einer rein für den Leser bestimmten Information. Als Vater/Mutter spreche ich den Vornamen meines Kindes in der Regel wohl nicht so häufig aus, bleibe eher beim "du".

    Ansonsten denke ich, dass tatsächlich eine Kombination aus beiden Texten am Ende die beste Version hervorbringen könnte.  Wink


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    Beitrag11.11.2011 13:38

    von MT
    Antworten mit Zitat

    Zitat:
    Ich störe euer harmonisches Miteinander nur höchst ungerne ... Embarassed

     lol Hab ich gar nicht gemerkt, also... das harmonische Miteinander. Hier geht´s doch um knallharte Textarbeit. Rolling Eyes

    Lady, ich bin vollkommen bei Dir. Eine Mischung aus beiden Texten wird wohl der richtige Weg sein. Beim ersten ist die Interpretationsbreite sehr interessant, vor allem, wenn der Autor seine Sicht (für sich) festgelegt hat. Der Text im übrigen hingegen hinkt hie und da und ist auch aus meiner (jetzigen) Sicht zu überfrachtet mit pathetischem Zuckerguss. Darauf hat auch debruma schon zu Recht hingewiesen.

    Der zweite Text ist klarer und ... nun ja... einfacher, mehr fürs breitere Publikum, fürchte ich. Die Qualitäten des zweiten gepaart mit der Offenheit des ersten... Das wäre wohl ein guter Ding! Very Happy

    Es werde mal sehen, was geht. Ursprünglich dachte ich, der Text sei (nahezu) fertig in der ersten Variante; nicht ohne Grund steht er in der Prosa und nicht in der Werkstatt. Sachen gibt´s...

    Ich danke Euch vielmals für soviel hilfreiche Textarbeit an einer wirklich harten Nuss.

    ... und gehe dann gleich mal lüften.

    Kommt Ihr nie drauf! Cool
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    Beitrag11.11.2011 15:22

    von lady-in-black
    Antworten mit Zitat

    Stimmt ... da wäre ich NIE drauf gekommen!!  lol Da hätte ich eher noch BlueNote in Verdacht gehabt.  Laughing

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    Gast







    Beitrag12.11.2011 19:17

    von Gast
    Antworten mit Zitat

    Hallo Markus,

    jetzt war ich ein paar Tage off und bin sehr verwundert, was hier in diesem Thread so alles angemerkt wurde.
    Auf die Idee, dass der Vater sich und sein Kind umbringen wollte (umgebracht hat) wäre ich nie gekommen. Dazu fehlte mir im gesamten Text die Stimmung. Da ist nichts Jammerndes (wir wollen zu Mama) oder Selbstzerstörendes (wir schaffen es alleine nicht) oder was-weiß-ich. Ich las nur die so beruhigende Stimme des Vaters, der sein Mädchen tröstet. Der einzige Satz, den man meiner Meinung nach, falsch verstehen kann, ist eben

    Zitat:
    Die Männer unten auf der Straße können uns nichts mehr anhaben.


    Deswegen empfahl ich, ihn zu streichen. Leider hatte ich bei meinem ersten Kommentar keine Zeit meine Anmerkungen zu begründen.

    Wie so oft gefällt mir auch diesmal die erste Version deutlich besser!
    Den neuen Text mag ich nicht. Die Stimmung ist hin. Er fällt mir der Tür ins Haus – rechtfertigt hier und da ... nöö ... nicht mein Ding.

    Liebe Grüße
    Monika
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    Biggi
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    Beitrag13.11.2011 14:59

    von Biggi
    Antworten mit Zitat

    Hallo MT,

    da hast Du ein Thema angepackt!
    Die meisten Menschen haben es noch nicht erlebt, wenn, dann nicht überlebt und können von daher nichts mehr dazu sagen, und dann gibt es Fälle wie Dich, die sich danach sozusagen der Schreiberei verschrieben haben und versuchen, etwas aus dem Themenkomplex "für alle" in Worte zu fassen.
    Schwierig.
    Und das hast Du an den Reaktionen und der kontroversen Diskussion zu Deiner ersten Version gemerkt.
    Ohne es erlebt zu haben, bleibt die Option, die Authentizität des "So-Denkens" anzuzweifeln, wenn herauskommt, dass der Erzähler auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann, wird es schwerer zu kritisieren.
    Kann man dann überhaupt Abstand gewinnen, damit es "gut rüberkommt"?

    Es gibt in meinen Augen auch keine Möglichkeit, diese Geschichte zwei Mal zu lesen, in einer ersten und einer zweiten Version. Kennt man die eine, arbeitet sie im Hintergrund mit, wird unterlegt, wenn man die andere liest und umgekehrt.

    Was ich feststelle: Die frühere Version lässt mich eher an ein Live-Erlebnis glauben. Gesetzt den Fall, einer kann da wirklich noch in dem Umfang denken, dürfen durchaus die Gefühle mit ihm durchgehen.
    Im Gegenteil: das würde ich vermissen, wenn es nicht so wäre. Viele merken erst ganz am Ende, z.B. durch eine Diagnose, was sie in ihrem Leben alles versäumt oder unterlassen haben. Von daher ist er eine Stufe weiter, ein ruhiges Exemplar. Der Friede der schweren Verletzung hat sich schon wie ein Mantel um ihn gelegt.

    Die spätere Version trägt den Kritiken Rechnung und klärt die Dinge gleich. Da läuft nicht noch schnell ein Lebensfilm ab, da wirkt es mitunter so, als würde er die Stopp-Taste drücken und sagen: Mein Kind, das muss ich dir jetzt aber schon noch erzählen, bevor es aus ist mit uns beiden.
    Unmissverständlicher ist diese Fassung, ohne Zweifel, weil Du den Leser mehr führst.

    Es ist in diesem Fall eine Frage des Anspruchs, würde ich sagen.

    LG
    Biggi
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    MT
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    Beitrag15.11.2011 13:12

    von MT
    Antworten mit Zitat

    Hi, Monika,

    Zitat:
    Wie so oft gefällt mir auch diesmal die erste Version deutlich besser!
    Den neuen Text mag ich nicht. Die Stimmung ist hin. Er fällt mir der Tür ins Haus – rechtfertigt hier und da ... nöö ... nicht mein Ding.

    Das ist spannend mitzuerleben - vor allem als Autor: Da stellt man einen Text ein (in die Prosa!), von dem man überzeugt ist. Dann kommen die ersten Kommentare, sie setzen sich kritisch mit den Zeilen auseinander. Es folgen weitere, die ins gleiche Horn blasen. Und dann? Dann liest man selbst noch einmal, fünmal und meint: jou, die haben Recht, da ist was dran. Also überarbeitet man...

    ... und landet oftmals dort, wo die Überarbeitung dem Text schadet.

    Ich gestehe (habich aber - glaube ich - auch schon): Die erste Version gefällt auch mir besser. Dennoch ist sie aus meiner Sicht nicht wirklich rund. Ich bleibe dabei: Eine Mischung beider Varianten könnte das Ziel sein.

    Danke Dir!

    LGMT


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    Siegfried Lenz
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    Beitrag15.11.2011 13:16

    von MT
    Antworten mit Zitat

    Tach Biggi,

    Zitat:
    Was ich feststelle: Die frühere Version lässt mich eher an ein Live-Erlebnis glauben. Gesetzt den Fall, einer kann da wirklich noch in dem Umfang denken, dürfen durchaus die Gefühle mit ihm durchgehen.
    Im Gegenteil: das würde ich vermissen, wenn es nicht so wäre. Viele merken erst ganz am Ende, z.B. durch eine Diagnose, was sie in ihrem Leben alles versäumt oder unterlassen haben. Von daher ist er eine Stufe weiter, ein ruhiges Exemplar. Der Friede der schweren Verletzung hat sich schon wie ein Mantel um ihn gelegt.

    Die spätere Version trägt den Kritiken Rechnung und klärt die Dinge gleich. Da läuft nicht noch schnell ein Lebensfilm ab, da wirkt es mitunter so, als würde er die Stopp-Taste drücken und sagen: Mein Kind, das muss ich dir jetzt aber schon noch erzählen, bevor es aus ist mit uns beiden.
    Unmissverständlicher ist diese Fassung, ohne Zweifel, weil Du den Leser mehr führst.
    Es ist in diesem Fall eine Frage des Anspruchs, würde ich sagen.

    Genau richtig. Die erste Version fordert den Leser mehr, sie ist nicht erklärend. Und das gefällt mir - letztlich doch - besser.
    Zitat:

    Es gibt in meinen Augen auch keine Möglichkeit, diese Geschichte zwei Mal zu lesen, in einer ersten und einer zweiten Version. Kennt man die eine, arbeitet sie im Hintergrund mit, wird unterlegt, wenn man die andere liest und umgekehrt.

    Auch da stime ich Dir uneingeschränkt zu! Und genau das ist das Dilemma. Wenn ich jetzt (irgendwann) mit einer dritten Version ankomme, kann damit wahrscheinlich keiner mehr etwas anfangen.
     Embarassed Dennoch: Die erste, ein wenig garniert mit Teilen aus der zweiten Version. Ich werd´s probieren.

    Danke Dir!

    LGMT


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    Siegfried Lenz
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    Beitrag15.11.2011 19:43

    von MT
    Antworten mit Zitat

    Und noch´n Versuch... Für alle, die mögen:

    Und schon jetzt: Tausend Dank für Eure Arbeit am Text!



    Vereint


    Ich bin bei Dir, meine Tochter, hab keine Angst. Ich halte Deinen Kopf in meinen Händen und küsse Deine Stirn.
    Was ist geschehen, fragst Du mich, und ich antworte, ich kann es nicht sagen. Es ging alles so schnell. Wie aus dem Nichts kam der Lieferwagen durch die Nebelwand. Sekundenbruchteile nur, ein Wimpernschlag.
    Wann wir da sind, möchtest Du wissen, doch auch darauf kenne ich die Antwort nicht. Wir hatten es nicht mehr weit, wir fuhren die Landstraße. Die Linkskurve kam, ich kenne sie gut, wir waren nicht schnell.
    Sei unbesorgt, mein Kind. Sie werden auf Dich warten im Stuhlkreis, Du wirst ihn nicht verpassen. Ich bringe Dich.

    Weißt Du, woran ich denken muss? An Deine Geburt. Gut vier Jahre liegt sie zurück. Deine Mama und ich saßen auf der kleinen Bank im Rosenbeet hinterm Haus. Es war August, der Mond gesellte sich zu uns. Wir hatten Angst vor der Geburt, und doch waren wir so unendlich glücklich. Namen überlegten wir uns, Jungen- und Mädchennamen. Eine Mia war darunter, auch ein Fin. Und als ich Alena aussprach, sahen wir uns wortlos an. Es war das erste Mal, dass wir uns nichts sehnlicher wünschten, als ein Mädchen zu bekommen. Wir umarmten und küssten uns und wussten, es ist für immer. Irgendwann kamen die Wehen, wir fuhren ins Krankenhaus.  

    Ja, schmieg Dich an meine Brust, ruh Dich ein wenig aus. Der Lärm soll dich nicht erreichen. Wie Papierdrachen schweben wir über dem Ort und schauen hinab. Der Ton ist abgestellt, nur ein fernes Sirren weht uns an. Dort unten auf der Straße sind viele Menschen um uns bemüht, sie rufen sich Kommandos zu. Immer wieder blitzt Entsetzen in ihren Augen auf. Feuerwehrleute, Polizisten, Notärzte. Sie alle geben ihr Bestes. Doch es wird nicht genügen. Immer weiter treiben wir fort. Aber sei ohne Furcht, mein Kind, wir sind beschützt. Ich weiß es.

    Jeden Tag ergründest Du die Welt mit großen Augen, erklärst sie mir mit Deinen Worten. Und ich? Ich bekomme nicht genug davon. Ich lasse mich ein auf Deine kleinen Weisheiten. Tobe mit Dir über die weite Blumenwiese, und schlage ein Rad, wie Du es mir beigebracht hast. Wenn ich auf dem Rücken aufkomme, lachst Du Dein Kinderlachen und lässt Dich neben mich ins Gras fallen. Dann sehen wir in den blauen Himmel, beobachten den Weg der Wolken und manchmal einen Vogel, der über uns singt.
    Es sind so viele, wunderschöne Stunden mit Dir. Sie sind nicht vorbei. Sie werden niemals enden. Niemals.  
    Weißt Du, mein Kind, manchmal hält das Leben unbegreifliche Ereignisse bereit. Von einem habe ich Dir bisher nicht erzählt, doch ich denke, jetzt ist es an der Zeit.

    Damals im Krankenhaus wurden wir schnell in den Kreissaal geführt. Alle kümmerten sich um Deine Mama, ich durfte die ganze Zeit bei ihr sein. Der Raum sah nicht aus wie ein Krankenhauszimmer. Mehr wie ein Kinderzimmer mit gelben Wänden und roten Stoffvorhängen. Ich setzte mich mit aufs Bett, wir hielten einander die Hand. Wieder und wieder sahen wir uns an, unterbrochen nur von Wehenkrämpfen. Wir wussten, schon bald würden die Strapazen ein Ende haben. Doch dann ließen die Wehen plötzlich nach, der Wehenschreiber fiel ab. Ein Arzt kam. Er sagte, so etwas komme schon mal vor, und wir verließen uns darauf.

    Noch heute höre ich die Uhr an der Wand, sehe, wie sich ihre Zeiger weiter und weiter drehen, während Deine Mama in einen beruhigenden Schlaf gefallen ist.

    Ich hielt ihre Hand, küsste ihre Stirn. Ganz behutsam, ich mochte sie nicht wecken. Sie sah so friedlich aus, die vorangegangenen Stunden waren anstrengend für sie gewesen. Ich fühlte mich in Sicherheit und glaubte, wir wären in guten Händen.

    Es ist nicht ganz leicht für mich, Dir von diesen Dingen zu erzählen. Ich habe Deine Mutter mehr geliebt als mein eigenes Leben. Doch meines wollten sie nicht auf der Station.

    Schlaf weiter, Kleines, ich bin an Deiner Seite. Was unter uns auf der Straße geschieht, möchtest Du wissen? Ich will es Dir sagen. Man hat die Straße gesperrt, der Lieferwagen liegt noch immer quer über der Fahrbahn. Überall kreisen Blaulichter durch den Novembernebel. Die Männer versuchen noch immer, die Türen unseres Wagens zu öffnen. Genau kann ich es nicht mehr sehen, es wird mit einem Mal so hell um uns herum. Ein Licht, so unvorstellbar warm und weich. Spürst Du, wie liebevoll es uns umfängt, wie es uns in seine Arme schließt? Es kommt wie ein guter Freund. Uns kann nichts geschehen.
    Auch wenn die Blaulichter uns nicht mehr erreichen, wir sind behütet. Wir verlassen einen Raum und werden eine neuen betreten. Einen schöneren noch, einen weiteren. Der Tunnel dort, siehst Du ihn? Er wird uns führen. Wenn wir Hunger haben, werden wir essen, und wenn wir durstig sind, können wir trinken. Doch erst einmal werden wir uns ausruhen. Ich nehme an, uns steht eine lange Reise bevor.
    Damals, im Krankenhaus, gab ich Deiner Mama ein Versprechen.
     
    Krämpfe rissen sie aus dem Schlaf, der Wehenschreiber schlug wieder aus. Eine Hebamme kam ins Zimmer, sie legte Deiner Mama eine Hand auf die Stirn und lächelte.

    Weißt Du, was es bedeutet, sein eigenes Kind zum ersten Mal zu sehen, es zum ersten Mal in den Arm zu nehmen? Nein, Du kannst es nicht wissen, ich will es Dir sagen: Es fühlt sich an, als würde man selbst noch einmal geboren. Als begänne das eigene Leben ein zweites Mal. Alle Sorgen sind aufgelöst, man ist dem Alltag entrückt und glaubt, man könnte fliegen. Jeder Versuch, das Wunder in einer solchen Nacht zu begreifen, dümpelt wie ein Bachlauf in ein großes, weites Meer. Man ist Teil eines unergründbaren Geflechts, dessen Weite und Kraft man nur erahnen kann. Und selbst ein Zweifler fragt sich in einem solchen Moment, ob es doch einen Gott gibt, der über alldem wacht. Dem Himmel möchte man danken für so viel Geborgenheit, von der der eigene Körper durchströmt wird. Man schließt die Augen, atmet tief durch und wünscht, der Augenblick würde niemals enden.

    Ich hielt Dich in meinem Arm und konnte mein Glück nicht fassen. Deine Mama aber wurde schwächer, ihre Stimme wurde leiser. Die Hebamme kam auf mich zu, mit wissendem, mit entschuldigendem Blick nahm sie Dich in ihren Arm. Unvermittelt schlug meine Freude in Sorge um.
    „Ihre Frau hat zu viel Blut verloren“, sagte die Hebamme, und schon betraten Ärzte das Zimmer. Kurze Untersuchungen, abstimmendes Kopfnicken, es schnürte mir die Kehle zu.
    Deine Mama zog kaum spürbar an meinem Arm, ich beugte mich zu ihr.
    „Gib Acht auf uns, hörst Du?“
    „Ja“, antwortete ich.
    „Versprich es“, sagte sie.
    Und ich versprach es.
    Wir küssten uns. Wir streichelten einander das Gesicht. Und Deine Mama lächelte.
    Die Ärzte nahmen das Bett, schoben es über endlose Flure, fuhren mit dem Fahrstuhl viele Stockwerke und verschwanden hinter einer Tür mit Milchglasscheiben; Zutritt für Unbefugte verboten, stand darauf.
    Ich wartete davor im kalten Neonlicht. Ich ging auf und ab, das Quietschen meiner Sohlen auf dem Linoleumboden hallte in den Gängen. Ich setzte mich, wartete weiter, stand wieder auf.
    Doch die Tür blieb verschlossen. Ich schlief ein, und als ich erwachte, stand ein Arzt vor mir. Von seiner Stirn rannen Schweißperlen. Ich habe das Zittern in seinen Augen nie vergessen.

    Die Männer unten auf der Straße sind jetzt ganz weit weg, klein wie Ameisen sind sie. Wir wollen nicht mehr zu ihnen zurückgehen. Die Blaulichter verschwimmen im Nebel der Zeit, Geräusche verhallen im Nichts.
    Der Tunnel ist nicht finster, schau. Brauchst keine Angst zu haben, ich bin ja da. Auch mit geschlossenen Augen erreicht uns das warme Licht, das uns durchströmt wie die Wellen eines Ozeans. Siehst Du die Blumen um uns herum? Es sind viele Blumen, bunte, ich kenne ihre Namen nicht. Ich habe sie noch nie gesehen, aber sie sind wunderschön. Komm, wir pflücken welche, wir binden eine Strauß, einen riesigen, leuchtenden Strauß. Er wird ein Geschenk sein.
    Wie Du lachst, mein Kind. Wie wundervoll Du tanzt in unserem Blütenreigen. Es ist wie damals, auf der Wiese, als wir einen Haarkranz banden. Komm, lass uns einen neuen versuchen, einen viel bunteren diesmal. Zeigst Du mir noch einmal, wie es geht?
    Ich habe mein Versprechen gehalten. Immerzu. Schau, dort vorn. Kannst Du sie sehen? Dort ist die Tür.
    Gleich wird sie sich noch einmal öffnen.
    Gleich.


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    Siegfried Lenz
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    Beitrag16.11.2011 12:01

    von lady-in-black
    Antworten mit Zitat

    MT hat Folgendes geschrieben:
    Und genau das ist das Dilemma. Wenn ich jetzt (irgendwann) mit einer dritten Version ankomme, kann damit wahrscheinlich keiner mehr etwas anfangen.


     Rolling Eyes


    Meine Meinung: Nimm die erste Version und ersetze darin lediglich die unklaren Passagen mit den in der zweiten Version überarbeiteten Formulierungen.
    Vergiss die dritte Version, mit der ich irgendwie nichts anfangen kann ...  Embarassed


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